28.10.2024, Deutsches Primatenzentrum GmbH – Leibniz-Institut für Primatenforschung
Warum Languren Salzwasser trinken
Vom Aussterben bedrohte Cat Ba Languren trotzen schlechten Umweltbedingungen und zeigen bemerkenswerte Anpassung
Eine Studie des Deutschen Primatenzentrums – Leibniz-Institut für Primatenforschung und des Zoos Leipzig zeigt die bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit der stark bedrohten Cat Ba Languren. Trotz einer geringen genetischen Vielfalt haben die Languren entscheidende genetische Merkmale bewahrt, die ihnen helfen, in ihrer isolierten Umwelt auf der Insel Cat Ba in Vietnam zu überleben. Eine dieser bemerkenswerten Anpassungen ist die Fähigkeit, Salzwasser zu trinken (Nature Communications).
Die Untersuchung widmet sich den genetischen Herausforderungen, mit denen die weniger als 100 verbliebenen Individuen dieser Primatenart konfrontiert sind. Durch den dramatischen Rückgang ihrer Population leidet die Art unter genetischer Verarmung, hoher Inzucht und einer potenziell erhöhten Anfälligkeit für Krankheiten. Dennoch zeigt die Analyse ihrer Erbinformation, dass genetische Vielfalt in funktionell wichtigen Bereichen ihrer Erbinformation aufrechterhalten wurde. Das ermöglicht den Cat Ba Languren (Trachypithecus poliocephalus) weiterhin mit veränderten Umweltbedingungen adäquat umzugehen.
„Ihre Anpassungsfähigkeit macht die Tiere einzigartig. Salzwasser zu trinken ist dafür ein herausragendes Beispiel“, sagt Liye Zhang, Genetiker am Deutschen Primatenzentrum (DPZ) und Hauptautor der Studie.
Diese außergewöhnliche Fähigkeit ist eine direkte Folge ihrer isolierten Inselheimat, auf der es nur begrenzte Süßwasserquellen gibt. Die Forschenden zeigen, dass Veränderungen in bestimmten Genen die Toleranz gegenüber Salzwasser wahrscheinlich erhöht haben. Diese genetischen Anpassungen ermöglichen es den Languren, den hohen Natriumgehalt des Salzwassers zu bewältigen und tragen somit zu ihrem Fortbestand in dieser einzigartigen Umgebung bei.
Der Cat Ba Langur: Symbol für Anpassungsfähigkeit und dringenden Schutzbedarf
Der Cat Ba Langur, eine der seltensten Primatenarten der Welt, ist nicht nur stark bedroht, sondern steht auch sinnbildlich für die bemerkenswerte Fähigkeit der Natur, sich an herausfordernde Bedingungen anzupassen. „Diese Forschungsergebnisse verdeutlichen die Dringlichkeit, den Cat Ba Languren und seinen Lebensraum besser zu schützen“, betont Christian Roos, Wissenschaftler am DPZ und Mitautor der aktuellen Studie.
Obwohl viele Säugetierpopulationen weltweit rückläufig sind, bleiben die genetischen Auswirkungen solcher Bestandsrückgänge oft unerforscht. Der Cat Ba Langur stellt ein wertvolles Modell dar, um die Folgen von starken Populationseinbrüchen auf die genetische Vielfalt einer Art zu untersuchen. Einst umfasste die Population dieser Langurenart mehrere hundert Tiere, sie wurde jedoch durch Jagd, Wilderei und Lebensraumverlust bis 2004 auf alarmierende 40 Individuen reduziert. Inzwischen hat sich der Bestand auf etwa 85 Tiere erholt. Dennoch ist die Art weiterhin vom Aussterben bedroht, insbesondere durch die Fragmentierung ihres Lebensraums, Störungen durch unkontrollierten Tourismus und die zunehmende Inzucht. Diese Bedrohungen unterstreichen die Notwendigkeit, bestehende Schutzmaßnahmen auszuweiten und gezielte Erhaltungsprogramme zu intensivieren, um das Überleben dieser Primatenart langfristig zu sichern.
Das Cat Ba Langur Conservation Project
Das im Jahr 2000 vom Allwetterzoo Münster und der Zoologischen Gesellschaft für Arten- und Populationsschutz e.V. initiierte Cat Ba Langur Conservation Project setzt sich gemeinsam mit dem Cat Ba Nationalpark für den Schutz der Primaten und anderen bedrohten Tier- und Pflanzenarten sowie ihres einzigartigen Lebensraums ein. Seit dem Jahr 2019 ist der Zoo Leipzig für die Umsetzung des Projekts auf Cat Ba verantwortlich, der in Vietnam auch ein Auffang- und Artenschutzzentrum für bedrohte Primaten betreibt. Dort werden Nachfahren von ursprünglich aus dem illegalen Wildtierhandel beschlagnahmten Cat Ba Languren versorgt und gezüchtet. „Gemeinsam mit den vietnamesischen und internationalen Partnern haben wir für den Schutz dieser einzigartigen Languren und ihres Lebensraums in den letzten Jahren sehr viel erreicht. Die Verdopplung der Population ist ein herausragendes Beispiel für einen gelungenen ganzheitlichen Arten- und Naturschutz. Dennoch wäre es zu früh, diese hochbedrohte Art als gerettet zu bezeichnen. In den nächsten Jahren wird es verstärkt darauf ankommen, den Lebensraum langfristig effektiv zu schützen und ggf. andere Lebensräume auf der Insel wieder zubesiedeln“, betont Jörg Junhold, Direktor des Zoo Leipzig.
Originalpublikation:
Zhang, L., Leonard, N., Passaro, R. et al. Genomic adaptation to small population size and saltwater consumption in the critically endangered Cat Ba langur. Nat Commun 15, 8531 (2024). https://doi.org/10.1038/s41467-024-52811-7
29.10.2024, Universität Bremen
Überraschende Erkenntnisse über Bakterienwachstum als Bedrohung für Korallenriffe
In algenüberwucherten Korallenriffen fördern nicht die Algen, sondern die Korallen selbst das Wachstum schädlicher Bakterien – ein Hinweis darauf, dass eine Störung des natürlichen Gleichgewichts im Wasser eine zentrale Rolle spielt. Das zeigt eine neue Studie unter der Leitung der Universität Bremen.
„Die Entdeckung ist überraschend“, erläutert Studienautorin Dr. Bianca Thobor von der Abteilung für Marine Ökologie der Uni Bremen. „Frühere Studien hatten angenommen, dass vor allem die Algen-Exsudate – die von Algen abgegebenen Stoffe – das Wachstum schädlicher Bakterien begünstigen.“ Thobor und ihre Kolleg:innen aus den Niederlanden und den USA hatten erwartet, dass in algen-dominierten Riffen die Algen das Wachstum schädlicher Bakterien verstärkern. „Diese Bakterien gelten als potenzielle Krankheitserreger und könnten die ohnehin gefährdeten Korallen weiter schwächen“, so Thobor, die die Forschung im Rahmen ihrer Doktorarbeit durchgeführt hat.
„Gleichgewicht der organischen Stoffe im Wasser ist entscheidend“
Doch die Studie, die jetzt im renommierten Journal mSystems erscheint, liefert unerwartete Ergebnisse: In einem algenüberwucherten Korallenriff sind es die Exsudate der Korallen selbst, die das Wachstum schädlicher Bakterien fördern, nicht die der Algen. „Das legt nahe, dass das Gleichgewicht der organischen Stoffe im Wasser entscheidend ist. Eine Störung dieses Gleichgewichts, etwa durch menschliche Einflüsse, kann das Wachstum gefährlicher Mikroorganismen begünstigen“, so die Biologin.
Die Forschungsarbeit, die in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Marine Glykobiologie der Uni Bremen sowie internationalen Partnern auf der Karibikinsel Curaçao durchgeführt wurde, wirft ein neues Licht auf die Bedrohungen für Korallenriffe, die bereits stark durch den Klimawandel und Umweltverschmutzung gefährdet sind. „Seit den 1950er Jahren haben wir bereits die Hälfte aller Hartkorallen weltweit verloren, besonders in der Karibik, wo viele Riffe nun von Algen überwuchert sind“, betont Thobor.
Ergebnisse auch für Seegraswiesen oder Seetangwälder von Bedeutung
Die Wissenschaftler:innen analysierten die Zusammensetzung der Kohlenhydrate, die von Steinkorallen und Braunalgen ins Wasser abgegeben werden, sowie die des Riffwassers. Diese Zuckerstoffe wurden dann mit Meerwasser aus einem von Algen überwucherten Riff auf Curaçao gemischt und vier Tage lang beobachtet. Um herauszufinden, wie sich die Bakteriengemeinschaft während dieser Zeit entwickelte, entnahmen die Forschenden Wasserproben zu verschiedenen Zeitpunkten und sequenzierten das Erbgut der Bakterien.
Diese Ergebnisse könnten nicht nur für Korallenriffe, sondern auch für andere marine Ökosysteme wie Seegraswiesen oder Seetangwälder von Bedeutung sein. Thobor hebt hervor: „Sie verdeutlichen, wie empfindlich das Gleichgewicht mariner Lebensräume auf Veränderungen des organischen Materials im Wasser reagiert – und wie solche Veränderungen potenziell schädliche Auswirkungen auf die Stabilität und Gesundheit dieser Ökosysteme haben können.“
Originalpublikation:
https://journals.asm.org/doi/10.1128/msystems.00832-24
29.10.2024, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Sanfte Riesen in Gefahr. Alle zwölf Riesenmuschelarten befinden sich ab sofort auf der Roten Liste für bedrohte Arten
Die größte Riesenmuschel der Welt, Tridacna gigas, gilt ab sofort als „vom Aussterben bedroht“. Die Senckenberg Ocean Species Alliance hat für 34 wirbellose marine Arten, darunter auch Tridacna gigas, Berichte für die Aktualisierung der Roten Liste der IUCN (International Union for the Conservation of Nature) zugeliefert. Durch Überfischung sind die Bestände der Riesenmuschelarten dramatisch zurückgegangen.
Die größte Riesenmuschel der Welt, Tridacna gigas, ist ab sofort in der Roten Liste als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft. Das ist die höchste Gefährdungsstufe vor der Deklarierung als „in der Natur ausgestorben“. Der Rückgang der Population wird auf 84 Prozent geschätzt, zuletzt wurde die Muschel 1996 als „gefährdet“ eingestuft. Alle zwölf bekannten Riesenmuschelarten befinden sich nun auf der Roten Liste in unterschiedlichen Kategorien: Für zwei Muscheln fehlen noch notwendige Daten für eine Klassifizierung, bei vier Muscheln liegt noch keine akute Gefährdung vor. Die übrigen sechs sind von „gefährdet“ bis „stark gefährdet“ eingestuft.
Das Projekt „Senckenberg Ocean Species Alliance“ hat der IUCN für die Aktualisierung der Roten Liste den Gefährdungsstatus von insgesamt 34 wirbellosen Arten aus dem Meer geliefert, darunter die Riesenmuscheln, aber auch 22 Kaltwasserkorallen. Senckenberg hat sich zum Ziel gesetzt, die Zahl der erfassten wirbellosen marinen Arten zu erhöhen und durch die Zusammenarbeit mit der IUCN auf ihren Schutzstatus hinzuwirken.
Riesenmuscheln bevölkerten einst in großer Menge tropische Flachwasserriffe. Aufgrund des jahrzehntelangen unkontrollierten Verzehrs ihres Fleisches sowie der Attraktivität ihrer beeindruckend massiven Schalen haben sie einen drastischen Populationsrückgang erlitten. „Der Zustand unserer Riesenmuscheln ist alarmierend. Er spiegelt eine lange Geschichte der Ausbeutung wider“, so Prof. Dr. Julia Sigwart vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt, die das Projekt „Senckenberg Ocean Species Alliance“ leitet. „Nun müssen die Maßnahmen zum Schutz der Riesenmuscheln intensiviert werden.“
Tridacna gigas ist nicht nur die größte aller Riesenmuscheln, sondern auch die größte lebende Muschel überhaupt. Sie kann ein Gewicht von über 200 Kilogramm haben und über 100 Jahre alt werden. Aber nicht alle Riesenmuscheln sind Riesen. Die kleinste der Gruppe ist Tridacna crocea, die etwa 15 Zentimeter misst und sich ein Zuhause schafft, indem sie Löcher in Korallen bohrt. Anders als einige ihrer größeren Verwandten ist Tridacnae crocea im Indischen und Pazifischen Ozean noch weit verbreitet und wurde als nicht gefährdet eingestuft, da es keine eindeutigen Hinweise auf größere Rückgänge in letzter Zeit gibt. Die fortlaufende Datenerfassung für alle Arten in der Roten Liste – ob gefährdet, oder nicht – ist dennoch wichtig, um Populationstrends und -änderungen im Laufe der Zeit nachzuvollziehen.
Die Senckenberg Ocean Species Alliance setzt sich zudem dafür ein, dass der Prozess der Aufnahme einer Art in die Rote Liste beschleunigt wird. Dr. Anne Helene Tandberg leitet die dafür zuständige Arbeitseinheit bei Senckenberg und betont: „Derzeit dauert der Prozess von der Bewertung einer Art bis zur Veröffentlichung auf der Roten Liste der IUCN etwa ein Jahr. Aber für viele Arten dauert es viel, viel länger. Mit der Senckenberg Ocean Species Alliance können wir dabei helfen, die Bewertungen zu beschleunigen und sind damit auch Dienstleister für Forschende, die eine Entdeckung gerne auf die Rote Liste setzen möchten.“
Die Rote Liste bedrohter Arten der IUCN ist die weltweit umfassendste Informationsquelle zum globalen Aussterberisiko. Sie ist ein wichtiges Instrument zum Schutz und zur Erhaltung einzelner Arten und der globalen Artenvielfalt: Die Liste liefert objektive Daten, die Bedrohungen einordnen, sie informiert die Politik und trägt damit zu weltweiten Artenschutzbemühungen bei.
31.10.2024, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Messel-See: Todesfalle für Fledermäuse?
Über 500 Fledermaus-Fossilien wurden innerhalb von 42 Jahren im UNESCO-Welterbe Grube Messel entdeckt. Eine neue, heute im Fachjournal „Palaeobiodiversity and Palaeoenvironments“ erschienene Studie untersucht, ob die hohe Zahl der Fossilien auf eine ungewöhnliche Übersterblichkeit zurückzuführen ist. Die Forschenden diskutieren zwei Hypothesen: den Tod durch giftige Gase oder durch Cyanobakterien im Wasser des Messel-Sees. Experimente und eine Umfrage zu ertrunkenen Fledermäusen in Swimmingpools deuten jedoch darauf hin, dass die Fledermaus-Sterblichkeit im Messel-See mit der in modernen Schwimmbecken vergleichbar ist.
Hunderte fossile Fledermäuse wurden bereits aus den 47 Millionen Jahre alten Ölschiefern des UNESCO-Welterbes Grube Messel geborgen. „Die überwiegende Mehrheit davon sind vollständige Skelette, der Rest besteht aus isolierten Flügeln oder auch Köpfen,“ erklärt PD Dr. Krister T. Smith vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt. „In den meisten Fällen handelt es sich um die Art Palaeochiropteryx tupaiodon, eine kleine Fledermaus, die in wichtigen Punkten mit heute lebenden Fledermäusen zu vergleichen ist“, ergänzt seine Senckenberg-Kollegin Dr. Renate Rabenstein.
Smith, Rabenstein und Prof. Dr. Joy O´Keefe von der University of Illinois Urbana Champaign, USA, gehen in ihrer neuen Studie der Frage nach, ob die zahlreichen Fledermausfossilien auf eine Übersterblichkeit der Tiere am Messel-See hinweisen und welche Gründe für diese vorliegen könnten. „Aktuell gibt es zwei Hypothesen zur Erklärung, wie es zu den vielen Fossilien in den Messel-Gesteinsschichten kam: Das Einatmen giftiger Gase wie Kohlendioxid, die über dem See schwebten und zur Betäubung mit anschließendem Ertrinken der Tiere führte, und alternativ das Trinken von Oberflächenwasser, das mit den Giften von Cyanobakterien kontaminiert war und daher zum Tod führte. Beide Annahmen implizieren eine viel höhere Sterblichkeit als sie für Unfalltode, beispielsweise nur durch Ertrinken, angenommen wird“, erläutert Smith.
Um die bisherigen Theorien zu überprüfen, stellten sich die Forschenden folgende Fragen: Wie hoch ist die natürliche Sterberate für Fledermäuse in einem kleinen Gewässer? Ist es erwartbar, dass ertrunkene Fledermäuse als ganze Skelette überliefert werden? Und wurden mehr Fledermaus-Skelette in Messel gefunden, als anhand der ersten zwei Ergebnisse zu erwarten wäre?
Um Antworten zu erhalten, verfolgten die Forscher*innen eine ungewöhnliche Reihe von Ansätzen. Um die natürliche Sterberate bei Fledermäusen zu ermitteln, nahmen sie Schwimmbecken von Privathäusern ins Visier. Auf der Grundlage von vereinzelten Berichten zu Fledermäusen, die in den Swimmingpools ertrunken waren, entwickelten sie eine Online-Umfrage mit 29 Fragen, die sich an Swimmingpool-Besitzer*innen in den USA richtete. Anhand von 496 Fragebögen konnten die Wissenschaftler*innen ableiten, dass Fledermäuse dort regelmäßig in Swimmingpools ertrinken. „Man beobachtet schon länger, dass Faktoren wie Wasserknappheit dazu führen, dass Fledermäuse Schwimmbecken als Wasserquellen aufsuchen. Es ist möglich, dass bestimmte Eigenschaften von Pools eher zum Ertrinken von Fledermäusen führen, wenn diese ins Wasser geraten,“ erläutert Dr. O’Keefe. Der höchste ermittelte Wert von toten Fledermäusen lag bei 14 Tieren jährlich. „Natürlich kann der Messel-See nicht direkt mit privaten Pools gleichgesetzt werden: Er war viel größer, es gab während des Treibhausklimas im Eozän schwere Unwetter und der See war – anders als einige Schwimmbecken – ganzjährig verfügbar. Mit anderen Worten: Wir gehen davon aus, dass diese Faktoren sogar eine noch höhere Sterblichkeit bei Fledermäusen, die den See zum Trinken aufsuchten, verursachen konnten“, ergänzt Smith.
Um eine jährliche Rate für die Entstehung von Fledermausfossilien in Messel abzuschätzen, erfasste das Team alle bisherigen Fossilfunde von Fledermäusen und führte Experimente mit – zuvor im Frankfurter Zoo verstorbenen – rezenten Fledermäusen durch, um deren Ertrinken und Versinken zu simulieren. Die dafür verwendeten 46 toten Fledermäuse mit Flügelspannweiten von 300 Millimetern sind gut mit den am häufigsten auftretenden Messel-Fledermäusen vergleichbar. „Wir wollten mit dieser Methode nachvollziehen, wie schnell Fledermauskadaver sinken und wie viele von den ertrunkenen Fledermäusen daher tatsächlich als Skelette am Seeboden erhalten bleiben können“, so Rabenstein. Die Experimente zeigen, dass Kadaver mit wassergefüllten Lungen dazu neigen, schneller abzusinken als solche mit luftgefüllten Lungen. Alle Tierleichen, die zunächst in flachem Wasser absanken, blähten sich anschließend auf und trieben oberflächennah, bis sie innerhalb von Tagen bis Wochen zerfielen und endgültig absanken. „Der Messeler See muss also eine ordentliche Tiefe gehabt haben, sonst würden wir nur noch zerfallene Skelette vorfinden,“ fügt Smith hinzu.
Smith fasst zusammen: „Wenn wir alle unsere Ergebnisse verbinden, zeigt sich, dass die jährliche Fledermaussterblichkeit am Messeler See in der gleichen Größenordnung wie die Sterblichkeit in modernen Swimmingpools liegt. Unsere quantitativen Analysen liefern keine Hinweise darauf, dass die Fledermaussterblichkeit in Messel über ein ‚normales‘ Unfall-Niveau hinausgeht – der Messel-See kann demnach nicht als ‚Todesfalle‘ für die fliegenden Säuger oder andere Tiere bezeichnet werden.“
Originalpublikation:
Krister T. Smith, Renate Rabenstein & Joy O’Keefe (2024): Was Palaeolake Messel a death‑trap? Insight from modern bat drownings and decay experiments. Palaeobiodiversity and Palaeoenvironments. https://doi.org/10.1007/s12549-024-00631-4
31.10.2024, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Hohe Überlebensraten erklären 20 Jahre rascher Ausbreitung von Wölfen in Deutschland
Seit vor gut 20 Jahren Wölfe in Deutschland wieder heimisch wurden, breiten sie sich schnell in vielen Teilen des Landes aus. Die rasch ansteigende Zahl der Wölfe lag in hohen Überlebens- und Reproduktionsraten in Gebieten begründet, die geeignete Umweltbedingungen aufweisen. Dies zeigt eine Analyse des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) in Zusammenarbeit mit dem LUPUS Institut, dem Bundesamt für Naturschutz (BfN) und dem Senckenberg Zentrum für Wildtiergenetik. Die Überlebenswahrscheinlichkeit für Wölfe war im Analysezeitraum so hoch wie nirgends sonst auf der Welt.
Die Expansionsphase werde jedoch enden, sobald die Tragfähigkeit des Lebensraums erreicht sei – dann ist auch mit einem Absinken der Überlebensraten zu rechnen, so das Forschungsteam in einem neuen Artikel in der Fachzeitschrift „Wildlife Biology“.
Junge Wölfe in Deutschland wiesen während der ersten zwei Jahrzehnte seit dem Beginn der Wiederbesiedlung Deutschlands eine jährliche Überlebenswahrscheinlichkeit von 75 Prozent auf, bei erwachsenen Tieren waren es sogar 88 Prozent. Bei jungen Wölfen bis zu einem Alter von 2 Jahren war die Überlebensrate dabei von der Eignung des Lebensraumes abhängig – je schlechter dieser für Wölfe geeignet war, desto geringer ihre Überlebenschance; bei erwachsenen Wölfen konnte dieser Zusammenhang durch das Forschungsteam unter Leitung der Abteilung für Ökologische Dynamik des Leibniz-IZW nicht nachgewiesen werden. „Mittels Überlebensanalysen mit statistischen Modellierungsmethoden konnten wir die mittlere Überlebenszeit eines Wolfes in Deutschland von 146 Wochen, also ungefähr drei Jahren, ermitteln“, sagt Prof. Dr. Stephanie Kramer-Schadt, Leiterin der Abteilung am Leibniz-IZW und Professorin an der Technischen Universität Berlin. Das höchste nachgewiesene Alter eines Wolfes im Untersuchungsdatensatz betrug fast 13 Jahre.
„Die Überlebensraten der deutschen Wolfspopulation waren im Vergleich zu anderen Regionen sehr hoch, sie gehörten sogar zu den höchsten weltweit“, so Kramer-Schadt weiter. „Dies deutet darauf hin, dass sich die Wölfe in den untersuchten 20 Jahren in für sie sehr gut geeigneten Lebensräumen ansiedelten. Auch der strenge gesetzliche Schutz hat dazu beigetragen.“ Als geeignet qualifizieren sich Landstriche, die ausreichend Deckung – beispielsweise durch Wälder – und Rückzugsräume bieten, die möglichst weit von Straßen entfernt liegen. Dadurch ermöglichen diese Räume dem Wolf, dem Menschen aus dem Weg zu gehen. Siedeln sich Wölfe in weniger geeigneten Lebensräumen an, wirkt sich dies negativ auf das eigene Überleben und die Fortpflanzung aus. „Während erwachsene Tiere in weniger gut geeigneten Gebieten noch gut überleben und Reviere gründen können, verlangsamt die geringere Überlebensrate von Jungtieren und subadulten Tieren sowie die geringere Anzahl von Jungtieren pro Wurf das Populationswachstum und damit die Ausbreitung der Art.“ Wenn die optimalen Lebensräume besetzt sind, wird sich das Wachstum der Population abbremsen, so die Wissenschaftlerin.
Grundlage der wissenschaftlichen Untersuchung war ein Langzeitdatensatz, der durch die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) bereitgestellt wurde und die Erhebungen und Erkenntnisse des umfassenden Wolfsmonitorings der Bundesländer sowie zehntausende DNA-Untersuchungen durch das Senckenberg Zentrum für Wildtiergenetik inkludierte, was diese Forschung überhaupt erst ermöglichte. In der Untersuchung ermittelte das Team auch die Reproduktionsleistung von insgesamt 201 weiblichen Wölfen aus 165 Territorien, die Teil des analysierten Langzeitdatensatzes von 2000 bis 2020 waren. „Wir konnten darin Daten von den weiblichen Wölfen analysieren, die nachweislich Nachkommen bekamen – und zwar im Schnitt im Alter von 2,8 Jahren“, sagt IZW-Wissenschaftlerin und Erstautorin des Aufsatzes Dr. Aimara Planillo. „Die Analysen zeigen zudem einen höheren Reproduktionserfolg von Weibchen mit mehr Erfahrung sowie in besser geeigneten Lebensräumen, wo sie bis zu fünf Jahre lang Nachwuchs zeugten.“ Zusammenfassend zeigen die Modelle, dass sich vor allem ein gut geeigneter Lebensraum sowie die reproduktive Erfahrung des Weibchens ebenfalls positiv auf die Zahl der Nachkommen pro Wurf auswirken, welche in Deutschland bei im Schnitt vier Nachkommen liegt.
Untersuchungen in anderen Ländern und Regionen zeigen, wie hoch die Überlebensrate für erwachsene Wölfe in Deutschland im Vergleich ist. Andere nicht bejagte Populationen weisen mit 78 Prozent in den USA oder 82 Prozent im Alpenraum zwar auch hohe Raten für erwachsene Wölfe auf, wobei diese nicht an die 88 Prozent in Deutschland heranreichen; dies liegt daran, dass es sich bei der Population in Deutschland um eine sich noch ausbreitende Population handelt.
Die Abteilung für Ökologische Dynamik des Leibniz-IZW erforscht (unter anderem) die Populationsentwicklungen von Großkarnivoren wie dem Wolf oder dem Eurasischen Luchs anhand individuen-basierter, räumlicher Modelle und spannt dabei den Bogen von der Analyse vergangener Prozesse – wie der Wiederbesiedlung Deutschlands durch den Wolf – bis zur Vorhersage zukünftiger Entwicklungen. Für die aktuell in „Wildlife Biology“ publizierte Forschungsarbeit nutzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler demografische Daten zur Wolfspopulation (Alter, Geschlecht, Geburtsjahr und -ort, Wiederfundzeitpunkte und -orte und Todesursache) aus den Jahren 2000 bis 2020 und setzten sie in Beziehung zu Umweltvariablen wie Lebensraumeignung (beeinflusst durch Landschaftstyp, Nähe zu Straßen oder die Dichte menschlicher Besiedlung), Wolfspopulationsdichte (jährliche Dichte von Wolfsterritorien um das Territorium im Fokus) sowie die Jahreszeit.
Ein wesentlicher Teil der Daten stammt aus der fortlaufenden molekulargenetischen Untersuchung von im Freiland gesammelten Proben, die im Rahmen des Wolfsmonitorings der Bundesländer an Senckenberg eingeschickt werden. Zahlreiche Wolfsindividuen, von denen über die Jahre mehrfach Proben gesammelt wurden, können anhand der erstellten genetischen Profile wiedererkannt und über Verwandtschaftsanalysen Rudeln zugeordnet werden. Das Leibniz-IZW-Team entwickelte dann räumlich-statistische Modelle, um den Einfluss der Umweltvariablen auf die Überlebenswahrscheinlichkeit der Population, die jährlichen Überlebensraten der unterschiedlichen Altersklassen, die Reproduktionswahrscheinlichkeit und die Reproduktionsleistung zu ermitteln. Damit wurde sichtbar, wie gut eine Variable – etwa eine hohe Qualität des Lebensraumes – bestimmte Populationsparameter vorhersagen kann und wie groß ihr Einfluss auf die Zahl und räumliche Verteilung der Wölfe in Deutschland ist.
Vorherige wissenschaftliche Untersuchungen des Leibniz-IZW zeigten, dass
• die Wiederbesiedlung Deutschlands durch den Wolf kein gleichbleibender, kontinuierlicher Prozess, sondern von sich verändernden Rahmenbedingungen geprägt ist. Das bedeutet zum Beispiel, dass Wölfe in Bezug auf die Eignung der Lebensräume in unterschiedlichen Phasen ein unterschiedliches Verhaltensspektrum zeigen: In frühen Phasen picken sich Wölfe die „Sahnestücke“ für neue Territorien heraus, während ihre Ansprüche in späteren Phasen nahe der Lebensraum-Sättigung nachweislich sinken. Die in der aktuellen Untersuchung identifizierte geringere Überlebensrate von Jungtieren und die geringere Anzahl an Nachkommen in weniger gut geeigneten Gebieten liefert die Erklärung für diese Präferenzen der Wölfe.
• die Wolfspopulation in Deutschland im Wesentlichen gesund ist und dass durch Menschen verursachte Tode wie Kollisionen im Verkehr oder illegale Tötungen für die überwältigende Mehrheit der tot aufgefundenen Wölfe verantwortlich sind. Daten der mittlerweile 1.000 im Leibniz-IZW sezierten Wölfe aus Deutschland zeigen, dass rund drei Viertel der toten Wölfe an einer Kollision im Verkehr sterben – zumeist mit Autos auf Landstraßen oder Autobahnen. In 13,5 Prozent aller untersuchten Wölfe wurden Hinweise auf eine Straftat wie zum Beispiel den illegalen Beschuss gefunden, wobei die Tiere nicht immer daran starben.
Die Untersuchung wurde vom Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) unter Förderkennzeichen 3521 83 1300 gefördert.
Originalpublikation:
Planillo A, Reinhardt I, Kluth G, Collet S, Rolshausen G, Nowak C, Steyer K, Ellwanger G, Kramer-Schadt S (2024): Habitat and density effects on the demography of an expanding wolf population in Central Europe. Wildlife Biology 2024: e01246. DOI: 10.1002/wlb3.01246
31.10.2024, Universität Bayreuth
Das Schweigen der Käfer
Forschende der Universität Bayreuth haben herausgefunden, dass Larven von Totengräber-Käfern zu geringerem Gewicht und höherer Sterblichkeit neigen, wenn die Elterntiere während der Brutpflege nicht mehr akustisch kommunizieren können. Die Studie ist ein erster Schritt, die Kommunikation von Tieren zu entschlüsseln.
What for?
Für die Entwicklung von kooperativem Verhalten, wie zum Beispiel elterliche Fürsorge, ist Kommunikation unerlässlich. Im Familienleben von Tieren gibt es zahlreiche verschiedene Interaktionen der Familienmitglieder untereinander, und Tierarten unterscheiden sich hinsichtlich der Komplexität ihres Zusammenlebens. Für ein Verständnis, welche Rolle Kommunikation bei der Evolution von Familienleben spielt und inwiefern die Kommunikation selbst sich entwickelt, wenn das Zusammenleben komplexer wird, muss zunächst ein weniger komplexes System wie das der Totengräber – bestehend aus wenigen Familienmitgliedern – verstanden werden. Dies lässt Schlussfolgerungen für die Entwicklung sozialer Lebensweisen allgemein zu, welche zur Entschlüsselung von Kommunikation im Tierreich beitragen.
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Kommunikation – egal ob akustisch, chemisch, visuell oder über Vibrationen – spielt im Familienleben von Tieren eine Schlüsselrolle. Tiere müssen beispielsweise potenzielle Partner erkennen und mit ihnen interagieren, ebenso wie mit ihren Nachkommen während der Aufzucht. Obwohl die zentrale Rolle von Kommunikation schon länger bekannt ist, ist die Funktion einzelner Signale oftmals noch nicht verstanden. Einige Studien haben sich bereits mit der Kommunikation im Familienleben von Insekten beschäftigt; diese haben sich jedoch meist auf die chemische Kommunikation konzentriert. Forschende der Universität Bayreuth haben nun unter der Leitung von Dr. Taina Conrad vom Lehrstuhl für Evolutionäre Tierökologie von Prof. Dr. Sandra Steiger die erste Studie publiziert, welche die Funktion von akustischen Signalen der Käfergattung Totengräber (Nicrophorus) vor und während der Brutpflege beleuchtet.
Totengräber zeigen eine für Insekten außergewöhnlich intensive Form der Brutpflege, bei der beide Eltern sich um den Nachwuchs kümmern. Hierfür vergraben sie vor der Eiablage den Kadaver eines kleinen Säugetiers, der den Larven als Nahrungsquelle dient. Nach dem Schlüpfen der Larven füttern beide Eltern die Larven, wobei sie durchgehend akustische Signale in Form von sogenannter Stridulation abgeben: Die Käfer reiben die Kante ihrer harten Deckflügel über Kerben am Hinterleib, wodurch ein Zirpen entsteht. „Es ist erstaunlich, dass wir heute immer noch so wenig über die Funktion dieser Stridulationssignale bei Totengräbern wissen, weil bereits Darwin geschrieben hat, dass die Stridulation vermutlich eine Rolle bei der Brutpflege spielt“, sagt Conrad.
Um herauszufinden, welche Rolle die akustische Kommunikation vor und während der Brutpflege spielt, haben die Forschenden aus Bayreuth die Stridulationsapparate der Elterntiere bei drei Nicrophorus-Arten abgeklebt und sie so zum Schweigen gebracht. Die drei Arten unterscheiden sich in der Abhängigkeit der Larven von der elterlichen Brutpflege: Während Larven der einen Art ohne die Fürsorge der Eltern nicht überleben, sind diejenigen einer zweiten Art weitestgehend unabhängig von den Eltern. Die dritte Art befindet sich bezüglich der Abhängigkeit zwischen den beiden anderen.
Die Forschenden konnten zeigen, dass die drei Arten unterschiedlich auf das „Stummschalten“ der Elterntiere reagieren, aber für alle drei Arten war ein negativer Effekt messbar. Die fehlende akustische Kommunikation der Eltern beeinflusste bei allen untersuchten Arten das Gewicht der Larven und damit die Überlebenschancen. Auf den ersten Blick scheint der Effekt mit der Abhängigkeit der Larven zusammenzuhängen, da die Larven der abhängigen Art am meisten beeinflusst waren, die der unabhängigen Art am wenigsten. Allerdings unterscheiden sich die Arten hinsichtlich des Zeitpunkts, zu dem während der Brutpflege die Kommunikation wichtig ist.
„Unsere Studie ist ein wichtiger erster Schritt, um zu zeigen, dass die Stridulation während der Brutpflege bei den Totengräbern tatsächlich von entscheidender Bedeutung ist. Künftig wollen wir herausfinden, was genau kommuniziert und wie die Brutpflege koordiniert wird“, so Conrad.
Originalpublikation:
The impact of acoustic signalling on offspring performance varies among three biparentally caring species. Taina Conrad, Magdalena M. Mair, Julia Müller, Peter Richter, Sophie Schödel, Ann-Kathrin Wezstein, Sandra Steiger. Animal Behaviour 217 (2024)
DOI: https://doi.org/10.1016/j.anbehav.2024.08.014
30.10.2024, Universität Zürich
Parallelen bei Gehirnentwicklung von Weissbüschelaffen und Menschen
Bei Weissbüschelaffen dauert die Entwicklung der Gehirnregionen, die soziale Interaktionen verarbeiten, unerwartet lange. Sie erstreckt sich – ähnlich wie beim Menschen – bis ins frühe Erwachsenenalter. In dieser Zeit beteiligen sich alle Gruppenmitglieder an der Jungenaufzucht, was zur hohen sozialen Kompetenz dieser Affenart beiträgt.
Das Gehirn von Primaten wird durch verschiedene Einflüsse in der Entwicklung geprägt. Diese unterscheiden sich jedoch zwischen Menschenaffen und Affen mit gemeinschaftlicher Jungenaufzucht wie etwa den Weissbüschelaffen (Callithrix jacchus). Bei Letzteren helfen von der Geburt an andere Gruppenmitglieder massgeblich mit, die Jungen gross zu ziehen – ganz wie bei Menschen.
Wie sich solche sozialen Interaktionen auf die Gehirnentwicklung der Weissbüschelaffen auswirken, untersuchten internationale Forschende unter der Leitung von Paola Cerrito vom Institut für Evolutionäre Anthropologie der Universität Zürich. Die Studie gibt neue Einblicke in den Zusammenhang zwischen der zeitlichen Entwicklung des Gehirns und den sozio-kognitiven Fähigkeiten von Weissbüschelaffen, insbesondere deren Kooperationsbereitschaft und Prosozialität.
Längeres Lernen aus sozialen Interaktionen
Das Forschungsteam analysierte die Hirnentwicklung mit Magnetresonanztomographie-Daten und konnte zeigen, dass Gehirnregionen, die an der Verarbeitung sozialer Interaktionen beteiligt sind, beim Weissbüschelaffen eine verlängerte Entwicklungszeit aufweisen – ähnlich wie beim Menschen. Sie erreicht ihre Reife erst im frühen Erwachsenenalter, was längere Phasen des Lernens aus sozialen Interaktionen ermöglicht.
Wie beim Menschen interagieren Säuglinge bei Weissbüschelaffen von Geburt an mit mehreren Bezugspersonen und sind so einem intensiven sozialen Austausch ausgesetzt. Die Nahrungsaufnahme ist ebenfalls eine kooperative Angelegenheit: Jungtiere werden von den Gruppenmitgliedern gefüttert und müssen bisweilen darum betteln, weil ihre Mütter bereits mit dem nächsten Nachwuchs beschäftigt sind. Diese sozialen Verhaltensinteraktionen prägen laut Studie die Entwicklung des Gehirns massgeblich und tragen zu den hoch entwickelten sozio-kognitiven Fähigkeiten dieser Affen bei.
Modell für die menschliche Evolution
Aufgrund der Parallelen zum Menschen sind Weissbüschelaffen wichtige Modelle für die Untersuchung der Evolution von sozialer Kognition. «Unsere Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig soziale Erfahrungen für die Gestaltung der neuronalen und kognitiven Netzwerke sind, nicht nur bei Affen, sondern auch beim Menschen», erklärt Cerrito.
Soziale Einflüsse während der Entwicklung könnten auch eine treibende Kraft bei der Entstehung Mitgefühls und Empathie beim Menschen gewesen sein. «Dieses Verständnis kann Auswirkungen auf die Evolutionsbiologie bis zu den Neurowissenschaften und der Psychologie haben», sagt die Erstautorin.
Originalpublikation:
Paola Cerrito, Eduardo Gascon, Angela C. Roberts, Stephen J. Sawiak, Judith M. Burkart. Neurodevelopmental timing and socio-cognitive development in a prosocial cooperatively breeding primate (Callithrix jacchus). Science Advances, 30 October 2024; DOI: https://doi.org/10.1126/sciadv.ado3486
01.11.2024, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Ein Bienen-Gen spezifiziert kollektives Verhalten
Forschende der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) untersuchten zusammen mit Kollegen aus Frankfurt, Oxford und Würzburg, wie das komplexe, kooperative Verhalten von Honigbienen (Apis mellifera) genetisch programmiert ist, so dass es an nachfolgende Generationen weitergegeben werden kann. Sie fanden die Antwort im sogenannten doublesex-Gen (dsx), wie sie in der Fachzeitschrift Science Advances erläutern.
Verhaltensinteraktionen zwischen Organismen sind grundlegend und vielfach angeboren. Jeder Mensch und jedes Tier interagieren auf die eine oder andere Art durch ihr Verhalten mit anderen Individuen ihrer sozialen Gruppe. Im Tierreich bringt dies erhebliche Vorteile bei der gemeinsamen Nahrungsbeschaffung, beim Schutz vor Feinden und bei der Aufzucht von Nachkommen.
Bei einigen Tieren wie der Honigbiene sind die sozialen Verhaltensbindungen so ausgeprägt, dass einzelne Individuen zusammen eine feste Gemeinschaft bilden. Zusammen funktionieren sie wie ein einzelner „Superorganismus“. Tausende von Arbeitsbienen schützen dabei durch ihr individuelles Verhalten die ganze Kolonie, ernähren sie und kümmern sich um die Brut.
Prof. Dr. Martin Beye, Leiter des Instituts für Evolutionsgenetik der HHU und Korrespondenzautor der nun in Science Advances erschienenen Studie, betont: „Das Verhaltensrepertoire der einzelnen Biene und die gemeinschaftliche Koloniefunktion sind nicht erlernt, sondern vererbt. Bisher war aber nicht bekannt, wie so komplexe Verhaltensweisen genetisch kodiert sind.“
Forschende der HHU um Beye und Erstautorin Dr. Vivien Sommer haben nun zusammen mit Kollegen von den Universitäten Frankfurt/Main, Oxford und Würzburg herausgefunden, dass ein spezielles Gen, genannt dsx, das arbeiterspezifische Verhalten kodiert.
Sommer: „Das Gen programmiert, ob eine Arbeiterin eine Aufgabe in der Kolonie aufnimmt und wie lange sie dies tut. Hierzu gehören beispielsweise auch Aspekte gemeinschaftlicher Arbeit wie die Versorgung der Larven oder die Beschaffung und der soziale Austausch von Nahrung.“
Für ihre Untersuchungen haben die Biologen das dsx-Gen bei einigen Bienen mithilfe der Genschere CRISPR/Cas9 verändert oder ausgeschaltet. Die entsprechend manipulierten Bienen haben sie mit einem QR-Code beklebt und ihr Verhalten im Bienenstock anschließend mit Kameras überwacht. Die entstandenen Videosequenzen wurden mit KI-Unterstützung ausgewertet, so dass die individuellen Verhaltensmuster der Bienen bestimmt werden konnten.
Sommer: „Unsere zentrale Frage war, ob und wie sich die angeborenen Verhaltensmuster durch die Veränderung des Gens verändern. Solche Änderungen müssen sich im Nervensystem der Arbeiterinnen widerspiegeln, wo ja die Steuerprogramme für das Verhalten ablaufen.“
Die Forschenden haben sogenanntes Grün fluoreszierendes Protein (kurz GFP) in die dsx-Sequenz integriert, so dass GFP zusammen mit dem dsx-Protein hergestellt wurde. Hierdurch konnten, mithilfe von Fluoreszenzmikroskopie, die neuronalen Verschaltungen sichtbar gemacht werden, sowohl bei den unveränderten Bienen als auch bei denjenigen mit genetischen Modifikationen. „Mit diesen Werkzeugen konnten wir genau sehen, welche Verbindungswege im Gehirn das dsx-Gen schafft, die wiederum die angeborenen Verhaltensmuster der Honigbiene regulieren“, sagt Doktorandin Jana Seiler, ebenfalls Koautorin der Studie.
„Die Ergebnisse deuten auf ein grundlegendes genetisches Programm hin, welches die neuronale Verschaltung und das Verhalten der Arbeiterin bestimmt“, meint Prof. Dr. Wolfgang Rössler vom Lehrstuhl für Verhaltensphysiologie und Soziobiologie, Kooperationspartner an der Universität Würzburg.
Im nächsten Schritt wollen die Forschenden den Schritt von der einzelnen Honigbiene hin zum Superorganismus Bienenvolk tun. Alina Sturm, ebenfalls Doktorandin an der HHU und Koautorin: „Wir hoffen, das Bindeglied zwischen individueller Programmierung und dem koordinierten Verhalten vieler Individuen zu finden.“
Originalpublikation:
Vivien Sommer, Jana Seiler, Alina Sturm, Sven Köhnen, Anna Wagner, Christina Blut, Wolfgang Rössler, Stephen F. Goodwin, Bernd Grünewald, Martin Beye. Dedicated developmental programing for group-supporting behaviors in eusocial honeybees. Science Advances (2024).
DOI: 10.1126/sciadv.adp3953