11.10.2024, Institute of Science and Technology Austria
Evolution in Echtzeit – 30 Jahre Schneckenexperiment sagt Anpassung voraus
Vor den Augen der Forschenden haben sich Meeresschnecken auf einer winzigen Felsinsel weiterentwickelt. Die Meeresschnecken wurden wieder angesiedelt, nachdem eine giftige Algenblüte sie ausgerottet hatte. Die Forscher:innen brachten absichtlich eine andere Unterart ein. Diese entwickelte sich jedoch so, dass sie der 30 Jahre zuvor verlorenen Population verblüffend ähnlich wurde. Die von Forscher:innen des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) und der norwegischen Nord Universität geleitete Studie wurde nun in Science Advances veröffentlicht.
Wir schreiben das Jahr 1988. Die Kosterinseln vor der schwedischen Westküste nahe der norwegischen Grenze werden von einer besonders dichten Blüte giftiger Algen heimgesucht, die den Bestand an Meeresschnecken auslöscht. Aber warum sollte sich jemand für das Schicksal eines Haufens von Schnecken auf einem Eiland von lediglich drei Quadratmetern Fläche im offenen Meer interessieren? Es stellt sich heraus, dass dies eine einzigartige Möglichkeit bot, Evolution zu beobachten und sogar vorauszusagen.
Vor diesem Ereignis beherbergten die Inseln und ihre kleinen Gezeitenschären – felsige Eilande – dichte und vielfältige Populationen von Meeresschnecken der Art Littorina saxatilis. Während sich die Schneckenpopulationen der größeren Inseln – von denen einige auf weniger als 1 % dezimiert worden waren – innerhalb von zwei bis vier Jahren wieder erholten, blieben viele Schären karg.
Die Meeresökologin Kerstin Johannesson von der Universität Göteborg, Schweden, ergriff die Gelegenheit und führte im Jahr 1992 L. saxatilis-Schnecken auf einer kleinen Schäre wieder ein. Damit startete sie ein Experiment, das mehr als 30 Jahre später weitreichende Auswirkungen haben sollte. Ein internationales Team geleitet von Forschenden des Institute of Science and Technology Austria (ISTA), der Nord Universität (Norwegen), der Universität Göteborg (Schweden) und der University of Sheffield (Vereinigtes Königreich) veröffentlichte nun, was sich in dieser Zeit getan hat.
Wellenschnecken und Krabbenschnecken
L. saxatilis ist eine verbreitete Art von Meeresschnecken, die an den Küsten des Nordatlantiks vorkommt, wo verschiedene Populationen an ihre Umwelt angepasste Merkmale entwickelt haben. Zu diesen Merkmalen gehören Größe, Schalenform, Schalenfarbe und Verhalten. Die Unterschiede zwischen diesen Merkmalen sind besonders auffällig zwischen dem so genannten Krabben- und dem Wellen-Ökotyp. Diese Schnecken haben sich wiederholt an verschiedenen Orten entwickelt, in Umgebungen, wo ihnen Gefahr von Krabben drohte und auf wellenexponierten Felsen, fern von Krabben. Wellenschnecken sind in der Regel klein und haben eine dünne Schale mit spezifischen Farben und Mustern, eine große und abgerundete Öffnung und ein auffälligeres Verhalten. Krabbenschnecken sind deutlich größer, haben dickere Schalen ohne Muster und eine kleinere und länglichere Öffnung. Zudem sind sie in Anbetracht der sie umgebenden Raubtiere vorsichtiger.
Die schwedischen Kosterinseln beherbergen diese beiden L. saxatilis-Untergruppen, die oft auf ein und derselben Insel nebeneinander leben oder nur durch ein paar hundert Meter Meer getrennt sind. Vor der toxischen Algenblüte von 1988 bewohnten Wellenschnecken die Schären, während an den nahegelegenen Ufern sowohl Krabben- als auch Wellenschnecken zu finden waren. Diese räumliche Nähe sollte sich als entscheidend erweisen.
Alte Merkmale neu entdeckt
Da die Wellenschneckenpopulation in den Schären durch die giftigen Algen völlig ausgelöscht wurde, beschloss Johannesson 1992, auf einem dieser Eilande wieder Schnecken anzusiedeln, allerdings vom Krabben-Ökotyp. Mit ein bis zwei Generationen pro Jahr erwartete sie zurecht, dass sich die eingebrachten Krabbenschnecken vor den Augen der Wissenschafter:innen an ihre neue Umgebung anpassen würden. „Unsere Kolleg:innen beobachteten bereits im ersten Jahrzehnt des Experiments Anzeichen für die Anpassung der Schnecken“, sagt Diego Garcia Castillo, Doktorand in der Barton Gruppe am ISTA und einer der führenden Autor:innen der Studie. „Im Laufe der 30 Jahre des Experiments konnten wir zuverlässig vorhersagen, wie die Schnecken aussehen werden und welche genetischen Regionen betroffen sein werden. Die Veränderung war sowohl schnell als auch weitreichend“, fügt er hinzu.
Die Schnecken haben die veränderten Merkmale jedoch nicht von Grund auf neu entwickelt. Anja Marie Westram, eine ehemalige Postdoktorandin am ISTA und derzeit Forscherin an der Nord Universität, erklärt: „Ein Teil der genetischen Vielfalt war bereits in der Ausgangspopulation der Krabbenschnecken vorhanden, allerdings nur in geringer Häufigkeit. Das liegt daran, dass L. saxatilis in der jüngeren Vergangenheit ähnliche Bedingungen erlebt hatte. Der Zugang der Schnecken zu einem großen Genpool hat diese schnelle Evolution vorangetrieben.“
Anpassung durch Vielfalt
Das Team untersuchte über die Jahre drei Aspekte: das Aussehen der Schnecken, individuelle Genvariationen und größere genetische Veränderungen, genannt Inversionen, die ganze Chromosomregionen betreffen.
Sehr bald nach ihrer Verpflanzung veränderten die Schnecken ihre Form, um sich an ihre neue Umgebung anzupassen. Es handelt sich um das bereits bekannte Phänomen der „phänotypischen Plastizität“. Aber auch genetisch begann sich die Population schnell zu verändern. Die Forscher:innen konnten das Ausmaß und die Richtung der genetischen Veränderungen vorhersagen, insbesondere was die Inversionen anbelangt. Sie zeigten, dass die schnelle und dramatische Veränderung der Schnecken möglicherweise auf zwei sich ergänzende Prozesse zurückzuführen ist: Eine schnelle Selektion von Merkmalen, die in den verpflanzten Krabbenschnecken bereits in geringer Häufigkeit vorhanden waren, und einen Genfluss von benachbarten Wellenschnecken, die einfach 160 Meter über das Meer getrieben sein könnten, um die Schäre zu erreichen.
Evolution im Angesicht von Umweltzerstörung und Klimakrise
Es ist theoretisch bekannt, dass sich eine Art mit einer ausreichend hohen genetischen Variation schneller an Veränderungen anpassen kann. Nur wenige Studien zielten bisher jedoch darauf ab, die Evolution über einen längeren Zeitraum in freier Wildbahn zu untersuchen. „Diese Arbeit ermöglicht uns einen genaueren Blick auf die wiederholte Evolution. Dadurch konnten wir vorhersagen, wie eine Population Merkmale entwickelt, die sich in der Vergangenheit unter ähnlichen Bedingungen separat und wiederholt entwickelt haben“, sagt Garcia Castillo.
Das Team möchte nun herausfinden, wie sich Arten an aktuelle Herausforderungen wie Umweltverschmutzung und Klimawandel anpassen können. „Nicht alle Arten haben Zugang zu großen Genpools, und es ist sehr langwierig neue Eigenschaften von Grund auf zu entwickeln. Wie sich Arten an ihre Umgebung anpassen ist sehr komplex, und auch unser Planet ist mit komplexen Veränderungen konfrontiert, wie z. B. extremen Wetterereignissen, dem rasch fortschreitenden Klimawandel, Umweltverschmutzung und neuen Parasiten“, sagt Westram. Sie hofft, dass diese Arbeit weitere Forschungen zur Erhaltung von Arten mit einer großen und vielfältigen genetischen Ausstattung anregen wird. „Vielleicht hilft diese Forschung, die Menschen davon zu überzeugen, eine Reihe von natürlichen Lebensräumen zu schützen, damit die genetische Vielfalt der Arten erhalten bleibt“, schließt Westram.
Inzwischen haben die Schnecken, die Johannesson 1992 auf die Schäre gebracht hat, eine florierende Population von etwa 1.000 Tieren erreicht.
Originalpublikation:
Diego Garcia Castillo, Nick Barton, Rui Faria, Jenny Larsson, Sean Stankowski, Roger Butlin, Kerstin Johannesson, and Anja M. Westram. 2024. Predicting rapid adaptation in time from adaptation in space: A 30-year field experiment in marine snails. Science Advances. DOI: 10.1126/sciadv.adp2102
15.10.2024, Universität Wien
Bonobo ist nicht gleich Bonobo – drei genetisch unterschiedliche Populationen im Kongo
Historisch kleine Population mit erhöhtem Aussterberisiko
Bonobos sind gemeinsam mit Schimpansen unsere nächsten lebenden Verwandten. Die Menschenaffen, die nur in der Demokratischen Republik Kongo vorkommen, sind vom Aussterben bedroht: Insgesamt gibt es nur noch 20.000 Individuen. Forscher*innen der Universität Wien und des University College London konnten nun durch Erbgutanalysen zeigen, dass es sich trotz der geringen Populationszahl dennoch um mindestens drei genetisch verschiedene Gruppen handelt, die sich stammesgeschichtlich bereits vor rund 145.000 Jahren voneinander trennten.
Bonobos sind dem Menschen extrem ähnlich: Nur ein Prozent unserer Gene unterscheidet sich voneinander. Sie gelten als besonders friedlich, da Konflikte in ihren engen sozialen Gruppen auf überraschend harmonische Weise gelöst werden. Insbesondere spielen sexuelle Interaktionen eine Schlüsselrolle in ihrer sozialen Bindung und Allianzen. Obwohl die männlichen Nachkommen am selben Ort bleiben wie ihre Väter, bilden auch Weibchen starke Bündnisse und können eine große soziale Dominanz über die Männchen ausüben.
Nur noch 20.000 Individuen in freier Wildbahn
Bonobos sind vom Aussterben bedroht. Es gibt vermutlich nur noch etwa 20.000 Individuen, die in freier Wildbahn ausschließlich im Kongobecken in der Demokratischen Republik Kongo leben. In der Forschung galt lange Zeit die Vermutung, dass sie eine kleine, gleichförmige Art sind, obwohl ihre DNA, die mütterlicherseits vererbt wird, Hinweise auf unterschiedliche Populationen lieferte.
In der aktuellen Publikation analysierte ein internationales Team der Universität Wien und des University College London das gesamte Erbgut mehrerer Bonobo-Individuen aus Wildreservaten. Die Forscher*innen fanden heraus, dass mehrere – genetisch verschiedene – Gruppen von Bonobos existieren, die wahrscheinlich aus drei unterschiedlichen Regionen des Kongo stammen. „Wir konnten nachweisen, dass die Unterschiede zwischen diesen Populationen ebenso groß sein können wie jene zwischen verschiedenen Unterarten von Schimpansen. Die Daten zeigen, dass sich die verschiedenen Bonobo-Gruppen bereits vor bis zu 145.000 Jahren genetisch voneinander trennten“, so Erstautorin Sojung Han vom Department für Evolutionäre Anthropologie der Universität Wien.
Die Forscher*innen konnten auch nachweisen, dass die Populationsgrößen der Bonobos in diesen langen historischen Zeiträumen immer sehr gering waren: Sie gehören zu den kleinsten Gruppen der Menschenaffen. Damit sind Bonobos sogar noch gefährdeter als bisher angenommen. Weitere Forschungsaktivitäten zur Verschiedenheit der Bonobos sollten daher auch in den Maßnahmen zur Arterhaltung berücksichtigt werden, etwa bei der Planung von Lebensraumerhaltung, Auswilderung oder Verlagerung von Individuen.
Originalpublikation:
Han et al. (2024). Deep genetic substructure within bonobos. Current Biology 34, 1-8.
DOI: 10.1016/j.cub.2024.09.043
https://doi.org/10.1016/j.cub.2024.09.043
15.10.2024, Universität Wien
Bonobo ist nicht gleich Bonobo – drei genetisch unterschiedliche Populationen im Kongo
Historisch kleine Population mit erhöhtem Aussterberisiko
Bonobos sind gemeinsam mit Schimpansen unsere nächsten lebenden Verwandten. Die Menschenaffen, die nur in der Demokratischen Republik Kongo vorkommen, sind vom Aussterben bedroht: Insgesamt gibt es nur noch 20.000 Individuen. Forscher*innen der Universität Wien und des University College London konnten nun durch Erbgutanalysen zeigen, dass es sich trotz der geringen Populationszahl dennoch um mindestens drei genetisch verschiedene Gruppen handelt, die sich stammesgeschichtlich bereits vor rund 145.000 Jahren voneinander trennten.
Bonobos sind dem Menschen extrem ähnlich: Nur ein Prozent unserer Gene unterscheidet sich voneinander. Sie gelten als besonders friedlich, da Konflikte in ihren engen sozialen Gruppen auf überraschend harmonische Weise gelöst werden. Insbesondere spielen sexuelle Interaktionen eine Schlüsselrolle in ihrer sozialen Bindung und Allianzen. Obwohl die männlichen Nachkommen am selben Ort bleiben wie ihre Väter, bilden auch Weibchen starke Bündnisse und können eine große soziale Dominanz über die Männchen ausüben.
Nur noch 20.000 Individuen in freier Wildbahn
Bonobos sind vom Aussterben bedroht. Es gibt vermutlich nur noch etwa 20.000 Individuen, die in freier Wildbahn ausschließlich im Kongobecken in der Demokratischen Republik Kongo leben. In der Forschung galt lange Zeit die Vermutung, dass sie eine kleine, gleichförmige Art sind, obwohl ihre DNA, die mütterlicherseits vererbt wird, Hinweise auf unterschiedliche Populationen lieferte.
In der aktuellen Publikation analysierte ein internationales Team der Universität Wien und des University College London das gesamte Erbgut mehrerer Bonobo-Individuen aus Wildreservaten. Die Forscher*innen fanden heraus, dass mehrere – genetisch verschiedene – Gruppen von Bonobos existieren, die wahrscheinlich aus drei unterschiedlichen Regionen des Kongo stammen. „Wir konnten nachweisen, dass die Unterschiede zwischen diesen Populationen ebenso groß sein können wie jene zwischen verschiedenen Unterarten von Schimpansen. Die Daten zeigen, dass sich die verschiedenen Bonobo-Gruppen bereits vor bis zu 145.000 Jahren genetisch voneinander trennten“, so Erstautorin Sojung Han vom Department für Evolutionäre Anthropologie der Universität Wien.
Die Forscher*innen konnten auch nachweisen, dass die Populationsgrößen der Bonobos in diesen langen historischen Zeiträumen immer sehr gering waren: Sie gehören zu den kleinsten Gruppen der Menschenaffen. Damit sind Bonobos sogar noch gefährdeter als bisher angenommen. Weitere Forschungsaktivitäten zur Verschiedenheit der Bonobos sollten daher auch in den Maßnahmen zur Arterhaltung berücksichtigt werden, etwa bei der Planung von Lebensraumerhaltung, Auswilderung oder Verlagerung von Individuen.
Originalpublikation:
Han et al. (2024). Deep genetic substructure within bonobos. Current Biology 34, 1-8.
DOI: 10.1016/j.cub.2024.09.043
https://doi.org/10.1016/j.cub.2024.09.043
15.10.2024, Hessisches Landesmuseum Darmstadt
Sieben neue »Star-Trek-Frösche« in Madagaskar entdeckt – klingt nach Science-Fiction
Ein internationales Forscherteam hat in den Regenwäldern von Madagaskar sieben neue Arten von Baumfröschen entdeckt, die ungewöhnliche Laute von sich geben. Ihre seltsamen, hochfrequenten Pfeiflaute klingen eher wie Soundeffekte aus der Science-Fiction-Serie Star Trek. Aus diesem Grund haben die Forscher die neuen Arten nach sieben der bekanntesten Captains der Serie benannt.
Wer denkt, dass alle Frösche quaken, der irrt sich. Sieben neu entdeckte Baumfrosch-Arten der Gattung Boophis, die in den Regenwäldern von Madagaskar vorkommen, geben bei der Kommunikation mit anderen Fröschen sehr spezielle Pfeiftöne von sich.
Diese Pfeiftöne erinnerten das Forscherteam unter der Leitung von Professor Miguel Vences von der Technischen Universität Braunschweig an Star Trek, wo ähnlich klingende Soundeffekte häufig verwendet werden. »Deshalb haben wir die Frösche nach Kirk, Picard, Sisko, Janeway, Archer, Burnham und Pike benannt – sieben der bekanntesten Captains aus der Science-Fiction-Serie«, sagt Professor Vences. »Diese Frösche klingen nicht nur wie Soundeffekte aus Star Trek, sondern es scheint auch zu passen, dass man, um sie zu finden, oft ziemlich weites ›trekking‹ absolvieren muss! Einige Arten sind an Orten zu finden, die auch für Touristen zugänglich sind, aber um weitere dieser Arten zu finden, mussten wir große Expeditionen zu abgelegenen Waldstücken und Bergen unternehmen. Dies entspricht im eigentlichen Sinn wissenschaftlicher Entdeckung und Erkundung, was unserer Meinung nach den Geist von Star Trek widerspiegelt«, erklärt Assistenzprofessor Mark D. Scherz vom Naturhistorischen Museum Dänemarks an der Universität Kopenhagen, der als Autor an der Studie beteiligt war.
Das Rauschen des Wassers übertönen
Die ungewöhnlichen Rufe dieser Frösche sind als »Werberufe« bekannt – eine Art der Selbstdarstellung, die den Forschern zufolge den Weibchen Informationen über die Eignung des Männchens als Partner vermitteln kann. Diese besondere Gruppe von Fröschen lebt entlang schnell fließender Bäche in den bergigsten Regionen Madagaskars – ein lauter Hintergrund, der erklären könnte, warum die Frösche in so hohen Tönen rufen.
Für Fans von Star Trek könnten einige der Froschrufe an die Geräusche der so genannten »Bootsmannspfeife« und eines Geräts namens »Tricorder« erinnern. Für andere klingen sie vielleicht wie ein Vogel oder ein Insekt. »Würden die Frösche einfach nur quaken wie die uns vertrauten europäischen Frösche, wären sie eventuell vor dem Hintergrund des lauten Rauschens des Wassers der Flüsse, in deren Nähe sie leben, nicht zu hören. Ihre hochfrequenten Triller- und Pfeiftöne heben sich akustisch von all dem Lärm ab«, erklärt Dr. Jörn Köhler, Zoologe am Hessischen Landesmuseum Darmstadt, der eine Schlüsselrolle bei der Analyse der Froschlaute spielte.
»Das Aussehen der Frösche hat dazu geführt, dass sie mit bisher bekannten, ähnlichen Arten verwechselt wurden, aber jede Art gibt eine unverwechselbare Serie dieser hohen Pfeiftöne ab, die es uns ermöglicht haben, sie voneinander und von anderen Fröschen zu unterscheiden«, sagt er. Die Rufunterschiede stimmen auch mit den Ergebnissen der genetischen Analysen überein, die das Team durchgeführt hat.
Anfällig für den Klimawandel
Madagaskar ist für seine immense Artenvielfalt bekannt, und die Forscher entdecken in den Regenwäldern immer wieder verborgene Arten, was das Land zu einem wahren Froschparadies macht. Madagaskar, eine Insel von der Größe Frankreichs, beherbergt etwa 9 % aller Froscharten der Erde. »Wir haben nur an der Oberfläche dessen gekratzt, was die Regenwälder Madagaskars zu bieten haben. Jedes Mal, wenn wir in den Wald gehen, finden wir neue Arten, und allein bei den Fröschen gibt es noch mehrere hundert Arten, die wir noch nicht beschrieben haben«, sagt Professor Andolalao Rakotoarison von der Université d’Itasy in Madagaskar. Allein in den letzten zehn Jahren haben sie und der Rest des Teams rund 100 neue Arten von der Insel beschrieben.
Die Forscher, die hinter dieser Entdeckung stehen, hoffen, dass dieses neue Wissen die Schutzbemühungen in den Regenwäldern Madagaskars stärken wird. Die Arten leben oft in unmittelbarer geografischer Nähe zueinander, aber in verschiedenen Höhenlagen und in unterschiedlichen Mikrohabitaten. Diese Aufteilung macht sie besonders anfällig für Veränderungen des Klimas und der Umwelt.
Das Forscherteam fordert daher eine stärkere Sensibilisierung für die Erhaltung der biologischen Vielfalt Madagaskars, um sicherzustellen, dass diese einzigartigen Arten und ihre Lebensräume auch in Zukunft erhalten bleiben. Sie hoffen aber auch, dass sie weiterforschen und neue Arten in Wäldern aufspüren können, in die noch kein Wissenschaftler vorgedrungen ist.
Originalpublikation:
Vences, M., J. Köhler, C. R. Hutter, M. Preick, A. Petzold, A. Rakotoarison, F. M. Ratsoavina, F. Glaw & M. D. Scherz (2024): Communicator whistles: A Trek through the taxonomy of the Boophis marojezensis complex reveals seven new, morphologically cryptic treefrog species from Madagascar (Amphibia: Anura: Mantellidae). – Vertebrate Zoology 74: 643-681. https://doi.org/10.3897/vz.74.e121110
15.10.2024, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Von Brandenburg nach Italien in fünf Tagen: Mini-Sender geben erstmals genaue Einblicke in Zugverhalten von Fledermäusen
Einige Fledermausarten gehören zu den Weltmeistern der saisonalen Wanderungen im Tierreich. Die nur wenige Gramm schweren Kleinabendsegler fliegen beispielsweise jeden Spätsommer von Mittel- oder Osteuropa bis in den Mittelmeerraum – und im Frühjahr zurück. Bislang konnten die bis zu 1.500 Kilometer langen Routen nur anhand sporadischer Funde beringter Individuen nachvollzogen werden. Ein Team des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) stattete nun Kleinabendsegler im Rahmen einer größeren wissenschaftlichen Untersuchung mit Miniatursendern aus und rekonstruierte den Flug eines Weibchens von Brandenburg bis nach Italien.
Die saisonale Migration einiger Fledermausarten ist in mehrfacher Hinsicht ein faszinierendes Verhalten. Gemessen an Gewicht und Körpergröße gilt beispielsweise der Zug der zwischen 12 und 22 Gramm schweren Kleinabendsegler (Nyctalus leisleri) von Ost- und Mitteleuropa in wärmere Gefilde in Italien oder Frankreich zu den erstaunlichsten Energieleistungen im Tierreich. Wo genau die Tiere dabei entlang fliegen, wo sie unterwegs stoppen und wie lange sie für bestimmte Abschnitte ihrer Route benötigen, war bislang nicht bekannt. „Wir konnten bislang nur verzeichnen, dass eine Fledermaus, die wir etwa in Brandenburg mit einem Ring versehen haben, zufällig von Kolleginnen oder Kollegen in Italien oder Frankreich in einem Tagesquartier gefunden wurde“, erklärt der Fledermausspezialist und Leiter der Abteilung für Evolutionäre Ökologie am Leibniz-IZW, Prof. Christian Voigt. „Daher statten wir in einem aktuellen Projekt Kleinabendsegler mit Sendern aus, die jede Nacht nur einige wenige Signale abgeben. So ließ sich das Gewicht der Sender und somit die Belastung für die Tiere minimieren. Die stündlich abgegebenen Signale werden über das Mobilfunknetz erfasst. Über den Standort der Masten, die ein ‚beep‘ aufschnappen, können wir die Position der Fledermaus ableiten und ihre Flugrouten nachvollziehen.“
Voigt und seine Arbeitsgruppe rekonstruierten auf diese Weise den Zug mehrerer Kleinabendsegler im August 2024, darunter auch jenen eines 17 Gramm schweren Weibchens vom südlichen Brandenburg bis in die Nähe von Parma. Ihr Weg in Richtung Winterquartier führte über München, Garmisch-Partenkirchen, den Comer See, Mailand und Parma –innerhalb von nur fünf Tagen flog es über Sachsen, die Tschechische Republik, den Bayrischen Wald und München nach Garmisch-Partenkirchen in den Alpenraum, wurde dann in der Gegend von Innsbruck geortet und tauchte als nächstes am Comer See in Italien auf. Von dort aus erreichte sie kurze Zeit später Mailand und Parma, wo es sich seitdem aufhält. Das Weibchen ist nur eines von mehreren Individuen, sich von Brandenburg aus auf dem Weg Richtung Süden gemacht haben. „Unser Kleinabendseglerweibchen flog mit erstaunlicher Geschwindigkeit und Präzision in Richtung Süden, wo sie sich mutmaßlich mit einem dort dauerhaft dort lebenden Männchen verpaaren und den Winterschlaf verbringen wird“, berichtet Dr. Carolin Scholz, Projektmitarbeiterin am Leibniz-IZW. In den Apenninen und in der Po-Ebene gibt es Bestände ortstreuer männlicher Kleinabendsegler, die saisonal um die Gunst der ankommenden Weibchen buhlen. Im Frühjahr fliegen die weiblichen Tiere wieder zurück, um in den Wäldern Mittel- oder Osteuropas ihre Jungen zu gebären und großzuziehen.
Der Kleinabendsegler ist eine mittelgroße, waldbewohnende Fledermausart, die auf naturbelassene Laub- und Mischwälder mit einem hohen Angebot an Baumhöhlen-, Spalten- und Rindenquartieren angewiesen ist. In diesen Höhlen legen sie bevorzugt ihre Wochenstuben an, die rund 20 bis 50 Weibchen umfassen können. Kleinabendsegler haben schmale und langgestreckte Flügel, die für einen schnellen Langstreckenflug perfekt geeignet sind. Auch außerhalb des saisonalen Zuges gilt der Kleinabendsegler als besonders schneller und wendiger Flugkünstler. Mit Geschwindigkeiten von teilweise über 40 km/h jagt er über dem Kronendach im offenen Luftraum nach Motten, Zweiflüglern wie Schnaken und Zuckmücken sowie nach Netz- und Köcherfliegen.
„Durch ihre Bevorzugung von naturbelassenen Wäldern als Standorte für die Wochenstuben und die Nahrungssuche sowie durch den saisonalen Zug sind Kleinabendsegler von der Intensivierung der Forstwirtschaft sowie der Windenergieproduktion besonders betroffen“, erklärt Voigt. „Aufgeräumte Forsten bieten weder genug Nahrung noch Unterschlupf und die Windenergieproduktion in Wäldern beeinträchtigt ihren Lebensraum auf vielfältige Weise, etwa durch zusätzlichen Verlust an Waldlebensraum und durch Kollisionsrisiko in ihrem Jagdgebiet über den Baumwipfeln.“ Zusätzlich sind die Kleinabendsegler auf ihren nun erwiesenermaßen schnell und zielstrebig durchflogenen Zugrouten durch Windenergieanlagen gefährdet, welche genau innerhalb dieser Routen liegen, ergänzt Dipl.-Biol. Uwe Hoffmeister, Fledermausexperte aus Brandenburg. „Um die Art zu schützen, benötigen wir genauere Kenntnisse über die Wanderrouten der Kleinabendsegler. Ihre saisonalen Wanderungen, auf denen sie große Entfernungen zurücklegen können, machen zudem deutlich, wie wichtig die internationale Zusammenarbeit bei den Schutzbemühungen ist. Dass die Standorte für neue Windenergieanlagen mit Bedacht gewählt werden, ist entscheidend für den Schutz von Fledermäusen auf nationaler und internationaler Ebene.“ Daher werden die Forschenden in Zukunft noch viele Daten besenderter Kleinabendsegler auswerten und so genauere Einblicke in die Welt des Langstreckenflugs von Fledermäusen erlangen.
15.10.2024, Hochschule Weihenstephan-Triesdorf
Luchse in Bayern – Luchsmännchen stützt Population in Nordbayern
Neue Monitoringdaten belegen, dass sich im nordostbayerischen Raum langsam eine Population des Luchses etabliert. Im Monitoringjahr 2023/24 konnten in Bayern 73 selbständige Luchse sowie 22 Jungtiere durch das staatliche Monitoring, das in Bayern die Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT) im Auftrag des Bayerischen Landesamts für Umwelt (LfU) durchführt, nachgewiesen werden.
Ein Großteil der nachgewiesenen Tiere ist grenzüberschreitend im Dreiländereck Deutschland/Tschechien/Österreich unterwegs. Elf Weibchen hatten dieses Jahr erfolgreich Nachwuchs. Im Vergleich zu den Vorjahren ist der aktuelle Bestand stabil, unterliegt aber seit Jahrzehnten immer wieder starken Schwankungen.
Der Luchs in Bayern bleibt so nach wie vor eine stark gefährdete Tierart, deren Bestände noch keine überlebensfähige Population darstellen. Aufgrund der geringen Nachwuchsrate und der schwachen Ausbreitung sind kleine Luchsbestände besonders empfindlich. Risikofaktoren sind neben natürlichen Todesursachen die geringe genetische Vielfalt, aber auch Verkehrsunfälle und illegale Nachstellungen. Im Rahmen eines Forschungsprojektes https://www.hswt.de/forschung/projekt/1799-luchsmonitoring untersucht die Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT) derzeit, wie schnell ein erwachsenes, standorttreues Tier durch ein anderes Tier gleichen Geschlechts ersetzt wird („Turnover“). Dies lässt Rückschlüsse auf die Vitalität der Population zu.
Bei der Ausbreitung der bayerischen Luchspopulation kann auch die Wiederfreilassung aufgefundener, mutterloser und gesundgepflegter Jungtiere eine Rolle spielen. So wurde am 31.07.2024 ein Luchsmännchen im Frankenwald erfolgreich wieder in die Freiheit entlassen. Das Tier wurde vor einem Jahr im Landkreis Tirschenreuth im Alter von rund acht Wochen verletzt aufgefunden. Nach der Gesundpflege in einer geeigneten Einrichtung erfolgte die Wiederfreilassung durch das LfU und die HSWT in Zusammenarbeit mit dem Naturpark Frankenwald, den örtlichen Jägern sowie den Bayerischen Staatsforsten.
Um die Entwicklung der Luchse möglichst gut nachvollziehen zu können, wird um Mitteilung von Luchshinweisen und die Zusendung von Fotofallenbildern an die Fachstelle Große Beutegreifer des LfU gebeten (Tel. 09281 1800-4640 tägl. 10 – 16 Uhr, fachstelle-gb@lfu.bayern.de). Die HSWT und das LfU setzen hierbei auf eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Jägerschaft und der örtlichen Bevölkerung.
16.10.2024, Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie
Geheimes Leben im Untergrund: Tiere unter dem Meeresboden
In Hohlräumen und Höhlen unter dem Meeresboden in der Tiefsee haben Forschende zahlreiche Tiere entdeckt, manche davon bis zu einem halben Meter groß. Diese Entdeckung zeigt deutlich, dass die unzugängliche Tiefsee noch voller Geheimnisse steckt und wie wichtig es ist, dieses Ökosystem zu schützen. Unterstützt wurden die Forschenden von dem Datenspezialisten André Luiz de Oliveira vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie.
Seit langem ist bekannt, dass hydrothermale Quellen von tierischem Leben dicht bevölkert sind. Auf einer Forschungsreise zum Ostpazifischen Rücken haben Forschende um Monika Bright von der Universität Wien und Sabine Gollner vom Königlich Niederländischen Institut für Meeresforschung (NIOZ) nun entdeckt, dass nicht nur auf, sondern auch im Meeresboden Tiere unterschiedlichster Größe leben: Unter dem Meeresboden rund um Hydrothermalquellen entdeckten sie Höhlensysteme, in denen es von Würmern, Schnecken und chemosynthetischen Bakterien wimmelt. Ihre Ergebnisse veröffentlichen sie jetzt in der Zeitschrift Nature Communications.
„Das ist eine ziemlich revolutionäre Entdeckung“, sagt André Luiz de Oliveira vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen, der im Juli 2023 an der Expedition mit dem Forschungsschiff R/V Falkor (too) des Schmidt Ocean Institute teilnahm. „Diese großen Tiere unter dem Meeresboden zu finden, war nicht nur sehr aufregend. Es zeigt auch, dass die Bewohner auf und unter dem Meeresboden eng miteinander verbunden sind. Außerdem legt es nahe, dass sich die Larven dieser Tiere im Untergrund verbreiten – was schon länger vermutet, aber nie systematisch untersucht und nachgewiesen wurde.“
De Oliveira – ein Biologe, der seit langem in der Bioinformatik tätig ist – begleitete die Fahrt als Datenwissenschaftler. Die Forschungsarbeiten wurden mit Hilfe des Tauchfahrzeugs ROV SuBastian des Schmidt Ocean Institute durchgeführt, das die Tauchgänge filmte, Proben nahm und Experimente durchführte. „Jeder geplante Tauchgang – insgesamt 18 an der Zahl – lieferte bis zu vier Terabyte an Daten in Form von Videos, Bildern, Proben, Tabellen und so weiter. Meine Aufgabe war es, all diese Daten zu sortieren und zu organisieren, um den Forschenden die weitere Arbeit zu erleichtern“, sagt de Oliveira. „In enger Zusammenarbeit mit Monika, Sabine und den anderen Forschenden sowie den Meerestechnikern habe ich eine maßgeschneiderte Web-Schnittstelle eingerichtet.“ Durch die übersichtliche Erfassung und Organisation aller gesammelten Informationen und deren Verknüpfung mit Experimenten und Analysen an Bord konnten die Forschenden schnell und effizient auf die relevanten Daten zugreifen. „Wir waren von Wasser umgeben, ertranken aber in Daten. Meine Arbeit hat es den Forschenden relativ leicht gemacht, sich im Meer der täglich anfallenden Daten zurechtzufinden und ihre Experimente sinnvoll zu gestalten und interpretieren.“
Wie die Forschenden in ihrer Publikation schreiben, „wirft die Entdeckung von tierischem Leben unter der Oberfläche der Erdkruste Fragen bezüglich der Ausdehnung dieser Ökosysteme auf, die größer ist als das, was auf der Oberfläche des Meeresbodens zu sehen ist. Die Untersuchung der Biosphäre unter dem Meeresboden auf tierisches Leben hat gerade erst begonnen“. Die jetzt vorliegenden Ergebnisse werden dazu beitragen, die Funktionsweise dieser faszinierenden und komplexen Ökosysteme sowie ihre Rolle für die globale biologische Vielfalt und die geochemischen Kreisläufe besser zu verstehen. Damit unterstreicht ihre Veröffentlichung auch, dass die Ökosysteme dringend vor möglichen zukünftigen anthropogenen Einflüssen geschützt werden müssen, betonen die Autoren. „Diese Entdeckung macht deutlich, wie viele Geheimnisse sich noch in der unzugänglichen Tiefsee verbergen und wie wichtig es ist, sich um diese Ökosysteme zu kümmern“, so de Oliveira abschließend.
Originalpublikation:
Monika Bright, Sabine Gollner, André Luiz de Oliveira, Salvador Espada-Hinojosa, Avery Fulford, Ian Vincent Hughes, Stephane Hourdez, Clarissa Karthäuser, Ingrid Kolar, Nicole Krause, Victor Le Layec, Tihomir Makovec, Alessandro Messora, Jessica Mitchell, Philipp Pröts, Ivonne Rodríguez-Ramírez, Fanny Sieler, Stefan M. Sievert, Jan Steger, Tinkara Tinta, Teresa Rosa Maria Winter, Zach Bright, Russel Coffield, Carl Hill, Kris Ingram, Alex Paris (2024): Animal life in the shallow subseafloor crust at deep-sea hydrothermal vents. Nature Communications 2024.
DOI: 10.1038/s41467-024-52631-9
https://www.nature.com/articles/s41467-024-52631-9
17.10.2024, Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz
Unterschätzte Tutorinnen: Vogelweibchen machen den Nachwuchs zu besseren Sängern
Die Männchen singen, die Weibchen hören zu. Lange galten diese Rollen beim Vogelgesang und dem dazugehörigen Lernprozess als klar verteilt. Eine Studie unter der Leitung von Daniela Vallentin am MPI für biologische Intelligenz zeigt nun, dass weibliche Zebrafinken sehr wohl eine aktive Rolle beim Gesangslernen spielen. Die Rufe der Weibchen in Reaktion auf die Gesangsübungen der Männchen haben einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der komplexen Gesänge. Spezialisierte Nervenzellen im Gesangszentrum der Männchen werden dann aktiv, wenn sie in Anwesenheit von Weibchen ihren Gesang üben. So fördert das Feedback der Weibchen direkt die Präzision und Qualität des erlernten Gesangs.
Wie bei vielen Vogelarten sind auch beim Zebrafinken ausschließlich die Männchen dazu in der Lage, den arttypischen Gesang von einem Tutor, meist dem Vater, zu erlernen. Über einen Zeitraum von drei Monaten hören die jungen Männchen dem Tutor zunächst nur zu. Dann fangen sie an, den gehörten Gesang auch zu üben und entwickeln schließlich eine eigene Version davon, die sie ihr Leben lang beibehalten. Die Weibchen hingegen singen nicht, ihre Rufe sind angeboren und dienen vor allem zur Kommunikation mit dem Partner. Die Forschung zum Gesangslernen hat sich daher bislang vor allem auf die männlichen Tiere konzentriert, also die Beziehung zwischen Tutor und Lehrling. Ein potenzieller Einfluss der Weibchen und deren Rufe auf die Gesangsentwicklung wurde bislang weitgehend vernachlässigt.
Ein Forschungsteam unter der Leitung von Daniela Vallentin hat daher nun jungen Zebrafinkenmännchen den zu erlernenden Tutorgesang vorgespielt, entweder in weiblicher Gesellschaft oder alleine. Die Ergebnisse waren eindeutig: Männchen, die mit weiblicher Unterstützung lernten, konnten den Tutorgesang präziser imitieren. Eine Analyse der weiblichen Rufe während des Gesangslernen zeigte, dass die Weibchen direkt auf die lernenden Männchen reagieren, also quasi deren Gesangsleistung mit ihren einfachen Rufen kommentieren. „Dieses vokale Feedback hat einen positiven Einfluss auf die Gesangsentwicklung der Männchen“, erklärt Daniela Vallentin.
“Das war ein spannendes und unerwartetes Ergebnis, das wir auch auf neuronaler Ebene genauer anschauen wollten”, führt Linda Bistere, Erstautorin der Studie, aus. Eine Analyse der Gehirnaktivität zeigte, dass die Rufe der Weibchen eine spezifische neuronale Reaktion im vokalen Lernzentrum im Gehirn der Jungtiere auslösen, und damit aktiv den neuronalen Gesangslernprozess beeinflussen. Die Rufe der Weibchen fungieren als eine Art Feedback-Mechanismus, möglicherweise sogar als direkte Anleitung für die Männchen beim Erlernen ihres Gesangs.
Solche subtilen aber dennoch entscheidenden Interaktionen zwischen den Geschlechtern bleiben oft lange unerkannt oder zumindest unbeachtet, prägen aber dennoch – wie auch in diesem Fall – komplexe Verhaltensweisen. Diese neuen Erkenntnisse stellen also nicht nur eine wichtige Korrektur der bisherigen Annahme dar, dass Weibchen beim Gesangslernen eine passive Rolle spielen, sondern erinnern auch daran, sich bei der Erforschung komplexer Prozesse nicht immer nur auf das Offensichtliche zu konzentrieren.
Originalpublikation:
Bistere L., Gomez-Guzman C.M., Xiong Y., Vallentin D.
Female calls promote song learning in male juvenile zebra finches
Nature Communications. online am 16.10.2024
https://doi.org/10.1038/s41467-024-53251-z
17.10.2024, Universität Hohenheim
SCIENCE Publikation: Ameisen betreiben Landwirtschaft – seit 66 Millionen Jahren
Anbau von Pilzen durch Ameisen und die damit verbundene Koevolution begann mit Asteroideneinschlag / Uni Hohenheim: Neu entdeckte Arten nützen dem Artenschutz
Nicht nur Menschen betreiben Landwirtschaft – Ameisen beherrschen diese Kunst schon viel länger. Sie bauen Pilze an. Und das seit 66 Millionen Jahren, wie Forschende mit Beteiligung der Universität Hohenheim in Stuttgart herausgefunden haben. Möglich wurde dies durch Gensequenzierung, aus der sich ein Stammbaum der Pilze ableiten ließ. Kombiniert mit dem Stammbaum der Ameisen konnten die Forschenden eine Jahrmillionen dauernde Koevolution belegen, bei der sich die Arten in ihrer jeweiligen Evolution gegenseitig beeinflussten. Dass die Forschenden dabei auch neue Arten beschreiben konnten, kommt dem Schutz der Biodiversität zugute. Die Ergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift Science publiziert. DOI: https://www.science.org/doi/10.1126/science.adn7179
Prof. Dr. Christian Rabeling braucht Geduld und Ausdauer: Bei tropischer Hitze verfolgt er sorgsam bis zu zwei Meter lange, winzige Gänge in der Erde, die sich manchmal wie Tannenbäume auffächern. Vor manchen Baumeistern solcher Kunstwerke muss er sich in Acht nehmen: Blattschneiderameisen können recht aggressiv auf die Störung reagieren. Kleinere Ameisen-Arten sind dagegen sehr scheu und ziehen sich vor ihm zurück.
Bis zu drei Tage kann es dauern, bis der Forscher der Universität Hohenheim fündig wird: eine Art Nest von der Größe eines Golfballs am Ende eines Ganges. Darin wird Landwirtschaft betrieben – und zwar seit rund 66 Millionen Jahren, so die neue Erkenntnis der Forschenden.
„Die Ameisen züchten gezielt Pilze als Nahrungsquelle und versorgen sie mit Blättern als Substrat“, erklärt der Evolutionsbiologe. Über 250 Ameisenarten haben sich auf den Anbau von Pilzen spezialisiert, und die Pilze passten sich im Laufe der Evolution eng an ihre Wirte an. „Manche bilden Strukturen, die nur in der Kultivierung durch Ameisen vorkommen. Und sie lassen sich außerhalb des Ameisennests gar nicht kultivieren – ein Zeichen einer echten koevolutiven Beziehung, bei der sich beide Partner gegenseitig beeinflussen und gemeinsam entwickeln.“
DNA-Sequenzanalysen geben Aufschluss über Verwandtschaft
Das Phänomen an sich ist seit rund 150 Jahren bekannt. Der Naturforscher Fritz Müller schilderte seinem Kollegen Charles Darwin seine Beobachtungen zu den pilzzüchtenden Ameisen in Brasilien, woraufhin Darwin den Briefwechsel 1874 zur Publikation an das Fachmagazin „Nature“ schickte. Doch lange Zeit war es nicht möglich, die Pilzarten voneinander zu unterscheiden und deren Stammesgeschichte zu rekonstruieren. Erst seit den 1990er Jahren ermöglichen molekularbiologische Untersuchungen Aussagen dazu.
Seitdem können Forschende über DNA-Sequenzanalysen die Verwandtschaftsverhältnisse verschiedener Arten bestimmen. Die Ähnlichkeit der Gene gibt Aufschluss über die Verwandtschaft und über den Verlauf der Evolution. „Heute verwenden wir dabei moderne Hochdurchsatzmethoden, die die Evolutionsbiologie revolutioniert haben“, erläutert Prof. Dr. Rabeling.
Die Forschenden nutzen sogenannte hochkonservierte Gene, die über große Zeitspannen und Artgrenzen hinweg kaum Änderungen erfahren haben. Sie kommen in vielen Organismen vor und dienen als Ankerpunkte, um aus kleinen Proben Tausende von Genabschnitten zu analysieren. Letztendlich lassen sich daraus ganze Stammbäume erstellen.
Koevolution von Pilzen und Ameisen – seit 66 Millionen Jahren
„Stammbäume für die Ameisen gab es bereits, doch nun ist es uns gelungen, auch Stammbäume für die Pilze aufzustellen“, freut sich Prof. Dr. Rabeling. Den neuen Evolutionsbaum für 475 Pilz-Arten kombinierten sie mit einem Baum für 276 Ameisen-Arten. Dieser Abgleich ergab, dass ein gemeinsamer Vorfahr sowohl bei den pilzzüchtenden Ameisen als auch bei den Pilzen vor etwa 66 Millionen Jahren lebte – kurz nach dem Einschlag eines Asteroiden im Bereich der heutigen mexikanischen Halbinsel Yucatán, der das Aussterben der Dinosaurier auslöste.
Dieser Moment markiert eine wichtige Phase in der Geschichte der Erde, nicht nur für die Großreptilien. Abkühlung und Dunkelheit führten auch zu einem Massensterben vieler Pflanzenarten, was den Pilzen einen evolutionären Vorteil verschaffte. „Das könnte ein Schlüsselfaktor dafür gewesen sein, dass Ameisen sich verstärkt auf Pilze spezialisierten.“
Neu beschriebene Arten dienen Schutz der Biodiversität
Bei dem Blick in die Evolutionsgeschichte haben die Forschenden durch ihre Arbeit zahlreiche neue Arten und Gattungen entdeckt und beschrieben – und das kommt künftig der Biodiversität zugute. Dieses Thema hat sich das Kompetenzzentrum für Biodiversität und integrative Taxonomie (KomBioTa) auf die Fahnen geschrieben, bei dem das Fachgebiet von Prof. Dr. Rabeling ein Kernelement darstellt.
„Die Artbeschreibung ist der erste Schritt zum Schutz der Artenvielfalt“, stellt der Experte fest. „Denn schützen können wir nur Arten, die wir kennen. Und je mehr wir über sie wissen, wo sie vorkommen und wie sie leben, desto besser können wir Maßnahmen zu ihrem Schutz ableiten.“
Originalpublikation:
Ted R. Schultz et al., The coevolution of fungus-ant agriculture. Science 386, 105-110 (2024). https://www.science.org/doi/10.1126/science.adn7179