27.08.2024, Humboldt-Universität zu Berlin
Links- oder Rechtsrüssler: Elefanten haben beim Fressen klare Vorlieben
Ungewöhnliche Anordnung der Schnurrhaare und indirekte Nahrungsaufnahme tragen vermutlich zur Links- und Rechts-Rüsseligkeit von Elefanten bei.
Ob beim Schreiben oder beim Fußballspielen – Menschen haben meistens eine klare Vorliebe für die rechte oder linke Seite des Körpers. Das gilt auch für Säugetiere. So gibt es – ähnlich wie Rechts- und Linkshänder bei Menschen – auch bei Elefanten eine Unterteilung in Links- und Rechtsrüssler. Bisher ist jedoch noch unklar, warum Elefanten eine derart starke Seitenpräferenz zeigen.
Eine Studie von Hazal Yildiz vom Bernstein Center for Computational Neuroscience Berlin und der Humboldt-Universität zu Berlin gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam zeigt ungewöhnliche Aspekte der Organisation des Elefantenmauls, die mit den starken Seitenpräferenzen der Elefanten zusammenhängen könnten. So stellen die Autoren, die asiatische Elefanten im Zoologischen Garten Berlin beobachtet haben, fest, dass sich die Schnurrhaare rund um das Maul der Elefanten von denen anderer Säugetiere unterscheiden. Die Studie wurde kürzlich in den Annals of the New York Academy of Sciences veröffentlicht.
Die meisten Säugetiere haben kurze, dicht beieinander liegende Schnurrhaare (sogenannte Mikrovibrissae), die vorne um das Maul herum wachsen und die an der Feinkontrolle der Nahrung beim Fressen beteiligt sind. An der Seite des Mauls haben die meisten Säugetiere längere Schnurrhaare (sogenannte Makrovibrissae), mit deren Hilfe sie das Maul grob auf die Nahrung und andere Sinnesreize ausrichten. Bei Elefanten ist dieses Muster überraschenderweise genau umgekehrt: Elefanten haben kurze, dicht beieinander liegende Schnurrhaare auf beiden Seiten des Mauls und vorne am Maul weniger dicht stehende lange Schnurrhaare.
Dieser Beobachtung folgend zeigen die Autor*innen, dass Elefanten ihre Nahrung nicht wie andere Säugetiere frontal aufnehmen, sondern seitlich, wo sich die kleinen, dicht beieinander stehenden Schnurrhaare befinden. Die Forscher nehmen daher an, dass die seitliche Nahrungsaufnahme die Spezialisierung der Tiere in rechts- und linksrüsselige Elefanten befördert. „Ich habe Schnurrhaare bei Säugetieren intensiv studiert, aber ich habe noch nie eine Mundregion wie die der Elefanten gesehen“, sagt Michael Brecht, Professor für Tierphysiologie/Systemneurobiologie und Neural Computation an der Humboldt-Universität zu Berlin, der die Studie leitete. Die Autor*innen vermuten darüber hinaus, dass auch die Tatsache, dass Elefanten die Nahrung nicht direkt über das Maul, sondern über den Rüssel aufnehmen zur Links- oder Rechts-Rüsseligkeit der Elefanten beitragen.
Originalpublikation:
Hazal Yildiz, Olivia Heise, BenGerhardt, Guido Fritsch, Rolf Becker, Andreas Ochs, Florian Sicks, Peter Buss, Lin-Mari de Klerk-Lorist,Thomas Hildebrandt, Michael Brecht: Macrovibrissae and microvibrissae inversion and lateralization in elephants
Link zur Studie: https://nyaspubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/nyas.15194
27.08.2024, BUND
Artenschutzprojekt: Luchs Thüringen – Europas Luchse vernetzen
Erfolgreiche Auswilderung weiterer Luchse im Thüringer Wald und überraschender Luchsnachwuchs
Zwei weitere Luchse – Vreni und Kilian – im Thüringer Wald ausgewildert
GPS-Daten von Luchsen Frieda und Viorel zeigen bereits größere Wanderungen an
Fotofallen zeigen unbekannte Luchsin mit Jungtieren an der Grenze zu Bayern
Im Rahmen des Artenschutzprojekts „Luchs Thüringen – Europas Luchse vernetzen“ wurden heute zwei weitere Luchse erfolgreich im mittleren Thüringer Wald ausgewildert. Die jungen Luchse Vreni und Kilian folgen damit den Spuren von Frieda und Viorel, die bereits im Mai 2024 in dieser Region angesiedelt wurden. Im südlichen Thüringer Wald wurde zudem kürzlich eine Luchsin mit Jungtieren von einer Wildkamera aufgenommen. Der unerwartete Luchsnachwuchs ist die erste nachgewiesene Luchs-Reproduktion im Thüringer Wald seit über 150 Jahren und eine freudige Überraschung für das gesamte Projektteam. Gemeinsam mit ihren ausgewilderten Artgenossen legen die jungen Luchse einen ersten Grundstein für ein langfristig stabiles Luchsvorkommen im Thüringer Wald.
Dazu erklärt der Thüringer Umweltminister Bernhard Stengele (heute vor Ort von Umweltstaatsekretär Dr. Burkhard Vogel vertreten): „Ich bin froh über jeden Fortschritt dieses wegweisenden europäischen Projektes – sowohl über die weitere Auswilderung als auch über den ersten Luchsnachwuchs im Thüringer Wald. Unserem gemeinsamen Ziel einer gut vernetzten Luchspopulationen in Deutschland und Mitteleuropa kommen wir Schritt für Schritt näher mit einer stabilen Luchspopulation im Thüringer Wald. “
Luchsin Vreni, geboren im Frühjahr 2023 im Schweizer Tierpark Langenberg, und Kuder (männlicher Luchs) Kilian, aus dem Zoo Nürnberg, stammen aus dem Erhaltungszuchtprogramm des Karpatenluchses der European Association for Zoos and Aquaria (EAZA). Sie wuchsen in großen, naturnahen Gehegen auf. Im April 2024 kamen die Tiere im BUND-Wildkatzendorf Hütscheroda an und bezogen zunächst ein eigens für die Auswilderung von Luchsen errichtetes Gehege. Hier wurden sie auf ein Leben in der freien Wildbahn vorbereitet und ihr Verhalten gründlich beobachtet. „Beide Luchse zeigten von Anfang an eine ausgeprägte Scheu vor Menschen“, erklärt Dr. Max Boxleitner, Luchsexperte des WWF Deutschland. „Nach positiver Beurteilung durch ein Expertengremium, wurden sie Anfang August mit GPS-Halsbandsendern ausgestattet und in unser Auswilderungsgehege im Thüringer Wald überführt. Die Daten der Halsbandsender helfen uns, das Raumnutzungsverhalten der Tiere in freier Wildbahn zu überwachen.“
Die im Mai 2024 ausgewilderten Luchse Frieda und Viorel haben sich in ihrer neuen Umgebung gut eingelebt. Die GPS-Daten ihrer Halsbandsender zeigen, dass Frieda hauptsächlich in der Nähe von Oberhof unterwegs ist, während Viorel bereits größere Wanderungen unternommen hat und dabei sogar bis in den Frankenwald vorgedrungen ist. „Beide Luchse erweisen sich als geschickte Jäger. Mithilfe der GPS-Daten konnten wir bereits mehrfach von den Luchsen erlegte Beutetiere im Gelände aufspüren“, erklärt Dr. Markus Port, Naturschutzbiologe beim BUND Thüringen und an der Universität Göttingen.
Viorel dürfte im südlichen Thüringer Wald bereits Kontakt zu anderen Luchsen gehabt haben. „Die Daten unserer Fotofallen, die wir seit Herbst 2023 in Südthüringen aufgestellt haben, lassen darauf schließen, dass im Grenzgebiet zu Bayern mindestens drei verschiedene Luchse beheimatet sind“, ergänzt Port. Aus diesem Bereich stammt auch die Aufnahme der Luchsin mit den Jungtieren, die dem Forstamt Schönbrunn Mitte August zugespielt wurde. „Die unerwartete Luchsreproduktion freut uns sehr!“, sagt Jürgen Boddenberg, Leiter des Sachgebietes Waldnaturschutz bei ThüringenForst. „Sie zeigt, dass unsere Wälder dem Luchs einen hervorragenden Lebensraum bieten. Und belegt, dass der Zeitpunkt unseres Projektes gut gewählt ist, um die zaghaften Anfänge des thüringisch-bayerischen Luchsvorkommens durch gezielte Auswilderung zu unterstützen.“ Die Herkunft der Luchsin ist derzeit noch nicht bekannt. Vermutlich ist sie über den Frankenwald in den Thüringer Wald eingewandert. In den Jahren 2016-2018 wurden zwei verwaiste Jungluchse aus dem Bayerischen Wald in den nordbayerischen Steinwald umgesiedelt, und haben sich dort erfolgreich fortgepflanzt.
29.08.2024, Universität Zürich
Urzeitliche Seekuh von mehreren Raubtieren angegriffen
Der seltene Fund einer prähistorischen Seekuh, die zuerst von einem Krokodil und dann von einem Hai angegriffen wurde, bietet neue Einblicke in die Jagdstrategien und die Nahrungskette vor Millionen von Jahren.
In einer neuen Studie über die Interaktion zwischen Raub- und Beutetieren in der Urzeit haben Forschende der Universität Zürich, des Natural History Museum of Los Angeles County und des Museo Paleontológico de Urumaco in Venezuela einen seltenen Fall aufgedeckt, bei dem ein einzelnes Tier von mehreren Raubtieren angegriffen wurde. Die Studie zeigt, dass im heutigen Nordwesten Venezuelas vor etwa 23 bis 11,6 Millionen Jahren eine ausgestorbene Seekuhart zunächst von einem urzeitlichen Krokodil gejagt und später von einem Tigerhai gefressen wurde.
Interaktionen in der urzeitlichen Nahrungskette
Tiefe Bissspuren an der Schnauze der Seekuh deuten darauf hin, dass das Krokodil wahrscheinlich versucht hat, seine Beute zu ersticken, indem es sie an der Nase packte. Weitere grosse Einschnitte lassen vermuten, dass das Krokodil die Seekuh dann zerrte und riss, möglicherweise um eine «Todesrolle» auszuführen – ein Verhalten, das auch bei modernen Krokodilen noch zu beobachten ist. Ein Zahn eines Tigerhais, der in der Nähe des Halses der Seekuh gefunden wurde, sowie Bissspuren am Skelett zeigen, dass die Überreste später vom Hai gefressen wurden. Die Funde stützen die Annahme, dass die Nahrungsketten in der Urzeit ähnlich funktionierten wie heute.
«Heutzutage beobachten wir oft, dass Kadaver, die von Raubtieren erbeutet werden, von anderen Tieren gefressen werden – aber fossile Beweise für dieses Verhalten sind selten», sagt der Hauptautor Aldo Benites-Palomino vom Paläontologischen Institut der Universität Zürich. «Während wir bereits früher feststellten, dass Pottwale von mehreren Haiarten gefressen wurden, zeigt diese neue Entdeckung die Bedeutung der Seekühe in der prähistorischen Nahrungskette.»
Obwohl fossile Beweise für Wechselwirkungen in der Nahrungskette existieren, sind sie in der Regel lückenhaft und schwer zu interpretieren. «Unsere Ergebnisse bieten einen seltenen Einblick in die komplexen Raubtier-Beute-Beziehungen des Miozäns vor etwa 23 bis 11,6 Millionen Jahren und sind einer der wenigen Belege dafür, dass sich mehrere Raubtiere von derselben Beute ernährten», fügt Benites-Palomino an.
Tipp vom Bauern führte zum Fundort
Die Fossilien wurden in der Agua Clara-Formation aus dem frühen bis mittleren Miozän in der Nähe von Coro in Venezuela während einer Expedition unter der Leitung von Mitautor Marcelo R. Sanchez-Villagra entdeckt. Das Team legte ein Teilskelett frei, das einen Teil eines Schädels und achtzehn Wirbel umfasste, und zwar an einem Ort, der 100 Kilometer von früheren Fossilienfunden in der Region entfernt liegt. «Wir erfuhren von dem Fundort durch einen dort ansässigen Bauern, der einige ungewöhnliche Felsen bemerkte», sagt Sanchez-Villagra, Direktor des Paläontologischen Instituts und Museums der UZH. «Die ersten Fossilien, die wir fanden, stellten sich als Teile von Seekuh-Schädeln heraus – eine überraschende Entdeckung.»
Dank einer sorgfältigen Analyse der Geologie und der Sedimente des Fundorts konnte das Alter der Fossilien bestimmt werden. Die aufwändige Freilegung des Skeletts erfolgte in mehreren Etappen, da das sehr grosse Tier von viel feinem Sediment befreit werden musste. Der ungestörte Zustand der Fundstelle ermöglichte es dem Team jedoch, die Raubtierspuren deutlich zu erkennen. «Wir organisierten eine paläontologische Rettungsaktion, bei der die Fossilien vorsichtig mit einem Schutzgehäuse geborgen wurden», erklärt Sanchez-Villagra. «Die Bergung dauerte mit einem fünfköpfigen Team etwa sieben Stunden. Die Präparierung und Restaurierung der Schädelelemente nahmen nochmals mehrere Monate in Anspruch.»
Originalpublikation:
Benites-Palomino, A., Aguirre-Fernández, G., Velez-Juarbe, J., Carrillo-Briceño, J. D., Sánchez, R., & Sánchez-Villagra, M. R. (2024) Trophic interactions of sharks and crocodylians with a sea cow (Sirenia) from the Miocene of Venezuela. Journal of Vertebrate Paleontology. DOI: 10.1080/02724634.2024.2381505
30.08.2024, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Biodiversitätsverlust: Viele Studierende im Umweltbereich kennen Ursachen nicht so genau
Umweltstudenten weltweit haben Wahrnehmungslücken, was die Ursachen des globalen Biodiversitätsverlusts betrifft. So das Ergebnis einer Umfrage der Goethe-Universität Frankfurt, bei der mehr als 4000 Studierende aus 37 Ländern befragt wurden. Die Lücken sind von Land zu Land verschieden: In manchen Ländern wird eher der Klimawandel als Ursache unterschätzt, in anderen der Faktor invasive Arten, in dritten die Verschmutzung. Die Umfrage zeigt auch, dass länderspezifische Indikatoren die Wahrnehmung stark beeinflussen.
FRANKFURT. Von den geschätzt 10 Millionen, größtenteils noch unentdeckten Tier- und Pflanzenarten auf der Erde könnten in den nächsten Jahrzehnten eine Million aussterben. Dieser Biodiversitätsverlust hätte dramatische Folgen, denn Tiere und Pflanzen sind Multidienstleister: Sie erhalten Ökosysteme, sorgen für ein ausgeglicheneres Klima auf dem Planeten und liefern uns Nahrung sowie Wirkstoffe für Medizin. Kurz: Ohne Artenvielfalt überleben wir Menschen nicht.
Es braucht also dringend konsequente politische Maßnahmen gegen das „sechste Massenaussterben“ der Erdgeschichte. Eine Personengruppe, auf die es besonders ankommt, sind die heutigen Studierenden im Umweltbereich. Viele von ihnen werden in Zukunft voraussichtlich einflussreiche Posten in Umweltpolitik und Wirtschaft besetzen – und mit darüber entscheiden, ob der globale Rückgang der Artenvielfalt effizient bekämpft wird.
Aber wie gut sind die Entscheiderinnen und Entscheider von morgen überhaupt informiert? Können sie die Hauptursachen für den Biodiversitätsverlust als solche identifizieren – und zudem von Faktoren abgrenzen, die gar keinen Einfluss auf die Artenvielfalt haben? „Wir sind die ersten, die diese Fragen in unserer Studie global wissenschaftlich untersucht haben“, so Dr. Matthias Kleespies von der Abteilung Didaktik der Biowissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt.
Zusammen mit anderen Frankfurter Forschern hat Kleespies eine Online-Umfrage bei rund 4400 Studenten der Umweltwissenschaften in 37 Ländern durchgeführt. Diese bekamen eine Online-Fragebogen, der acht Ursachen für den globalen Biodiversitätsverlust auflistet. Darunter die fünf tatsächlichen Hauptgründe: Klimawandel (vermehrte Dürren und andere Folgen der Erwärmung), Übernutzung (etwa Überfischung), Lebensraumverlust (etwa durch Rodungen), Verdrängung durch invasive Arten und schließlich Verschmutzung (Luftverschmutzung, Plastikmüll, Erdölverschmutzung). Zusätzlich waren drei Faktoren aufgeführt, die keinen oder kaum Einfluss auf die Artenvielfalt haben: Elektrosmog, Fabrik- und Fahrzeuglärm sowie das Internet. Die Umweltstudierenden sollten angeben, in welchem Maß die acht Faktoren ihrer Meinung nach für den Rückgang der Biodiversität verantwortlich sind. Die Skala reichte von 1 (geringer Einfluss) bis 5 (sehr starker Einfluss).
Die ausgefüllten Fragebögen wurden mittels einer speziellen Methode analysiert, die Muster in Daten erkennt. Am Ende bildeten sich so insgesamt acht unterschiedliche Cluster mit Anhäufungen bestimmter, gut voneinander unterscheidbarer Antworttypen heraus. Kleespies erläutert: „Bei Antworttyp 1 zum Beispiel werden alle Hauptursachen erkannt, mit Ausnahme des Klimawandels. Dessen Einfluss auf den Rückgang der biologischen Vielfalt unterschätzen die Studenten.“ Bei Typ 2 wiederum spielt die Verschmutzung eine untergeordnete Rolle, bei Typ 7 der Faktor invasive Arten. Eine Sonderform stellt Typ 3 dar, bei der alle Hauptursachen unterschätzt und diese zudem von den irrelevanten Faktoren wie Lärm gar nicht unterschieden werden. „Zum Glück gab es von diesem Antworttypen vergleichsweise wenige“, sagt Kleespies. Insgesamt kommen die acht Antworttypen in den befragten Ländern in unterschiedlicher Häufigkeit vor.
Im nächsten Auswertungsschritt ging es um die Hintergründe der Antworten: Was bedingt die unterschiedlichen Antworttypen? Dafür bezogen die Forschenden länderspezifische Indikatoren ein: den CO2-Ausstoß des Landes sowie Indikatoren für Wohlstand, Umwelt und Biodiversität. Kleespies: „Wir stellten fest, dass diese Indikatoren die Wahrnehmung der Studenten im jeweiligen Land erheblich beeinflussen.“
Beim Antworttyp 1 zum Beispiel, der den Klimawandel als Treiber unterschätzt. In Ländern mit sehr hohem CO2-Ausstoß – etwa Russland, China, Saudi-Arabien – kommt Typ 1 deutlich häufiger vor. „Warum das so ist, lässt sich mit unseren Daten zwar nicht erklären. Aber wir vermuten, dass die Umweltstudenten in diesen Ländern nicht so sensibilisiert sind. Es fehlt im Studium an Aufklärung darüber, dass auch der Klimawandel den Verlust der Artenvielfalt verstärkt.“ Zudem gehe es ja um den Anteil des eigenen Landes am Klimawandel. Dass der groß sei, werde eventuell nicht so gerne zugegeben.
Bei Antworttyp 2 – Verschmutzung als unterschätzter Faktor – ist ebenso ein Zusammenhang zwischen Bewertung und ländertypischen Indikatoren erkennbar, aber in anderer Form. In wohlhabenden Ländern mit gesünderen Ökosystemen – zum Beispiel Australien, Schweden und Deutschland – unterschätzen die Studierenden den Faktor Verschmutzung häufiger. Vermutlich werde Verschmutzung in diesen Ländern allgemein nicht als Problem wahrgenommen, meint Kleespies, und somit auch nicht als eine der Hauptursachen für den globalen Biodiversitätsverlust. Antworttyp 7 wiederum, der invasiven Arten stark unterschätzt, ist in Länder wie Nigeria und Kenia, in denen invasive Arten weniger häufig sind, eher verbreitet. In Australien und Spanien kommt Typ 7 dagegen nur selten vor – gerade dort stellen invasive Arten ein großes Problem dar.
Welche Schlüsse Kleespies aus der Studie zieht? „Sie zeigt erstmals die großen Wahrnehmungslücken, die die nächste Generation der Entscheidungsträger im Umweltbereich beim Thema Artenvielfaltverlust und seinen Ursachen hat. Diese Lücken müssen geschlossen werden.“ Und da sind die heutigen Entscheidungsträger an den Universitäten und in der Politik gefragt. Sie müssen die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass im Umweltstudium des jeweiligen Landes alle Ursachen des komplexen Problems behandelt werden. „Der Biodiversitätsverlust betrifft uns alle, es ist ein globales Problem. Deshalb braucht es bei Studierenden im Umweltbereich, unabhängig vom Herkunftsland, auch eine globale Sichtweise.“ Die Studie sei ein Appell in diese Richtung.
Originalpublikation:
Matthias Winfried Kleespies, Max Hahn-Klimroth, Paul Wilhelm Dierkes: Perceptions of biodiversity loss among future decision-makers in 37 countries. npj Biodiversity (2024) https://doi.org/10.1038/s44185-024-00057-3
30.08.2024, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Wenn die Hitze orientierungslos macht
Nicht nur wir Menschen leiden unter Hitzewellen. An der Universität Würzburg fanden Forschende kürzlich heraus, dass heiße Temperaturen Hummeln den Geruchssinn rauben – und damit ihre Nahrungssuche erschweren.
Der Klimawandel setzt Ökosystemen auf unterschiedlichste Weise zu. Eine seiner Folgen sind immer längere und intensivere Hitzeperioden, die essenzielle Abläufe der Natur beeinflussen – zum Beispiel die Bestäubung. Ein Team von Forschenden der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) hat nun genauer untersucht, wie sich Hitze auf eine bestimmte Akteurin dieser Prozesse auswirkt: Die Hummel.
„Hummeln sind wichtige Bestäuber in natürlichen und landwirtschaftlichen Systemen. Sie haben damit einen hohen wirtschaftlichen Wert und stehen für biologische Vielfalt“, erklärt Dr. Sabine Nooten, Leiterin der Studie. Die pelzigen Insekten sind außerdem äußerst anfällig für Hitzeereignisse, da sie besonders gut an kältere Lebensräume angepasst sind.
Hitze schadet den Tieren
Als Bestäuber orientieren sich Hummeln an Duftstoffen, welche die Pflanzen abgeben. Diese chemischen Wegweiser verraten nicht nur den Standort der Pflanzen, sie enthalten auch Informationen zum Zustand der Blüten.
Im Experiment wurden Hummeln in Röhren Temperaturen von 40 Grad Celsius ausgesetzt – mit gravierenden Folgen. „Die Hummeln sind in ihrer Fähigkeit Pflanzendüfte wahrzunehmen erheblich beeinträchtigt.“, so Sabine Nooten. Sie verlieren quasi ihren Geruchssinn.
Bei Arbeiterinnen konnten Verschlechterungen von bis zu 80 Prozent festgestellt werden. Männliche Tiere büßten bis zu 50 Prozent ihres Geruchssinn ein. Auffällig war weiterhin, dass wilde Hummeln noch größere Probleme mit der Hitze hatten als wirtschaftlich genutzte Tiere.
Auch eine anschließende Regenerationszeit bei passenden Temperaturen sorgte nicht umgehend für Besserung. 24 Stunden nach den Hitzetests zeigten die meisten Hummeln immer noch vergleichbare Beeinträchtigungen.
Folgestudie in Planung
Die Studie bestätigt, wie stark das Zusammenspiel von Insekten und Pflanzen durch den Klimawandel belastet wird. Hitzewellen im Besonderen fällt hier demnach eine tragende Rolle zu. Die Ergebnisse könnten für zukünftige Initiativen zum Artenschutz von entscheidender Bedeutung sein.
Ein Folgeprojekt ist bereits bewilligt, erzählt Sabine Nooten: „Nachdem wir herausgefunden haben, dass Hitzewellen die physiologischen Prozesse der Hummeln zur Wahrnehmung von Blumendüften beeinträchtigen, richtet sich unser Fokus nun auf die Verhaltensseite. Wir werden testen, wie sich Hitze auf das Verhalten der Hummeln bei der Nahrungssuche auswirkt.
Originalpublikation:
Sabine S. Nooten, Hanno Korten, Thomas Schmitt and Zsolt Kárpáti: The heat is on: reduced detection of floral scents after heatwaves in bumblebees. DOI: https://doi.org/10.1098/rspb.2024.0352
29.08.2024, Universität Wien
Wie ein Salzriese die Biodiversität im Mittelmeer radikal veränderte
Erstmals Artenverlust durch ökologische Krise vor 5,5 Millionen Jahren quantifiziert
Vor rund 5,5 Millionen Jahren erlebte das Mittelmeer nach der Abtrennung vom Atlantik eine ökologische Krise. Eine internationale Studie unter der Leitung von Konstantina Agiadi von der Universität Wien konnte nun erstmals beziffern, wie tiefgreifend und langandauernd der daraus folgende Biodiversitätsverlust war: Nur 11 Prozent der damals ausschließlich im Mittelmeer heimischen Arten überlebten die Krise, und bis zur Erholung der Artenvielfalt dauerte es mehr als 1,7 Millionen Jahre. Die Studie wurde aktuell im renommierten Fachmagazin Science veröffentlicht.
Die Bewegungen der Erdkruste haben im Laufe der Erdgeschichte immer wieder zur Abtrennung großer Meeresgebiete von den Ozeanen und damit zur Versalzung und Bildung massiver Salzablagerungen geführt. So genannte Salzriesen – Salzablagerungen von Tausenden Kubikkilometern – wurden unter anderem in Europa, Australien, Sibirien oder dem Mittleren Osten entdeckt. Sie stellen eine wertvolle natürliche Ressource dar, die bis heute in Bergwerken abgebaut wird, beispielsweise in Hallstatt oder auch in der Khewra-Salzmine in Pakistan.
Auch unter dem Mittelmeer findet sich ein solcher Salzriese, der in den frühen 1970ern entdeckt wurde. Diese Kilometerdicke Salzschicht bildete sich vor etwa 5,5 Millionen Jahren nach der Trennung des Mittelmeers vom Atlantik während der Messinischen Salzkrise. In einer in der Fachzeitschrift Science veröffentlichten Studie konnte nun ein internationales Forscher*innenteam – 29 Wissenschafter*innen von 25 Institutionen – unter der Leitung von Konstantina Agiadi von der Universität Wien den Biodiversitätsverlust im Mittelmeer infolge dieser ökologischen Krise und die anschließende Erholung quantifizieren.
Enorme Auswirkungen auf die biologische Vielfalt des Mittelmeers
Nach jahrzehntelanger akribischer Forschung an 12 bis 3,6 Millionen Jahre alten Fossilien aus den an das Mittelmeer angrenzenden Staaten sowie aus Tiefsee-Bohrkernen, zeigte sich, dass sich die Zusammensetzung der Arten nach der Isolierung des Mittelmeers erheblich veränderte: Zwei Drittel (67 %) der zuvor im Mittelmeer heimischen Arten tauchten nach der Krise nicht mehr in den Proben auf. Nur 86 von 779 endemischen Arten (Arten, die vor der Krise ausschließlich im Mittelmeer lebten) überlebten die rasante Veränderung der Lebensbedingungen nach der Trennung vom Atlantik. Die veränderten Übergänge zwischen Atlantik und Mittelmeer, aufgrund derer auch der Salzgigant entstand, führte zu starken Schwankungen in Bezug auf Salzgehalt und Temperatur, beeinflusste aber auch die Wanderungen der Meeresorganismen, die Ströme von Larven und Plankton und störte so zentrale Prozesse des Ökosystems. Infolge dieser Veränderungen starb ein großer Teil der damaligen Mittelmeerarten, darunter auch tropische Riff-bildende Korallen, aus. Nach der erneuten Verbindung mit dem Atlantik und der Invasion neuer Arten wie dem Weißen Hai und der Ozeandelphine, zeigte sich auch ein neuer Verlauf der Biodiversität im Mittelmeer: Die Zahl der Arten nahm von Westen nach Osten ab, wie dies auch heute der Fall ist.
Erholung dauerte länger als erwartet
Da Nebenmeere wie das Mittelmeer wichtige Biodiversitäts-Hotspots sind, war es sehr wahrscheinlich, dass die Salinitätskrise sich stark auswirkte, dies war jedoch bisher noch nicht quantifiziert worden. „Unsere Studie stellt die erste statistische Analyse einer so großen ökologischen Krise dar“, erklärt Konstantina Agiadi vom Institut für Geologie. Zudem wurden erstmals auch die Zeiträume zur Erholung von einer solchen Umweltkrise quantifiziert – und die sind tatsächlich länger als erwartet: „Die Biodiversität in Bezug auf die Anzahl der Arten erholte sich erst nach mehr als 1,7 Millionen Jahren“, erklärt die Geowissenschafterin.
Die Autor*innen schlagen zudem in ihrem Artikel ein Modell vor, das Klima und geologische Prozesse mit spezifischen Auswirkungen auf marine Ökosysteme durch die Bildung von Salzriesen in Verbindung bringt und auch auf andere Regionen der Welt übertragen werden könnte.
„Die Ergebnisse werfen eine Reihe neuer spannender Fragen auf“, erklärt Daniel García-Castellanos von Geosciences Barcelona (CSIC), der Senior Scientist der Studie: „Wie und wo haben 11% der Arten die Versalzung des Mittelmeers überlebt? Wie haben frühere, größere Salzformationen die Ökosysteme und das Erdsystem verändert?“ Diesen Fragen will das Forschungsteam in Zukunft noch nachgehen, unter anderem auch im Rahmen des neuen Cost Action Network „SaltAges“, in dem die sozialen, biologischen und klimatischen Auswirkungen von Salzriesen untersucht werden.
Originalpublikation:
Agiadi et al. (2024) The marine biodiversity impact of the Late Miocene Mediterranean salinity crisis. Science.
DOI: 10.1126/science.adp3703
https://doi.org/10.1126/science.adp3703