Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

12.04.2024, Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns
Erstmalige Einblicke in den genetischen Flaschenhals der Schafhaltung in der Jungsteinzeit
Die genetische Vielfalt der Schafe nahm nicht wie bisher angenommen schon in der Anfangszeit der Schafhaltung vor rund 10.000 Jahren im anatolischen Verbreitungsgebiet des Wildschafes ab. Ein Forscherteam um SNSB- und LMU-Archäozoologen Prof. Joris Peters zeigt, dass diese Vielfalt während der ersten 1.000 Jahre menschlicher Einflussnahme auf Haltung und Zucht der Schafe vergleichsweise hoch blieb und wohl erst im späteren Verlauf der Jungsteinzeit signifikant zurückging. Die neue Studie erschien nun in der Fachzeitschrift Science Advances.
Heutige Hausschafe in Eurasien gehören vorwiegend zu nur zwei vom Muttertier vererbten, sogenannten genetischen Matri- oder auch Mutterlinien. Frühere Forschungen gingen davon aus, dass die genetische Vielfalt bereits in der Frühphase der Domestikation des Wildschafes rapide abnahm. Die Untersuchung vollständiger Mitogenome aus dem frühen Domestikationsort Asıklı Höyük in Zentralanatolien, der zwischen 10.300 und 9.300 Jahren besiedelt war, widerlegt diese Annahme: Trotz eines Jahrtausends menschlicher Einflussnahme auf die Schafhaltung und -zucht blieb die mitogenomische Diversität unverändert hoch, wobei fünf Matrilinien nachgewiesen wurden, darunter eine bisher unbekannte Linie. Die anhaltend hohe Vielfalt der Matrilinien, die in den 1.000 Jahren der Schafhaltung beobachtet wurde, war für die Forscher unerwartet.
„In Aşıklı Höyük gab es sowohl Schafe, die von den Siedlungsbewohnern gehalten, als auch solche, die gejagt wurden. Wir nehmen an, dass gelegentlich die Schafherden bei Bedarf durch einheimische Wildschafe ergänzt wurden, z.B. um Verluste durch Krankheiten oder Stress in Gefangenschaft auszugleichen. Gut möglich, dass man Schafe auch weiträumig ausgetauscht hat. Eine mögliche Parallele dazu findet sich beim Import bestimmter Getreidepflanzen nach Zentralanatolien, die in Südostanatolien heimisch sind“, interpretiert Prof. Peters die Ergebnisse der Studie.
Die verschiedenen Mutterlinien oder auch Haplogruppen kann man sich vorstellen wie die Äste eines Stammbaums. Tiere, die einer bestimmten Linie angehören, weisen vergleichsweise geringe Variationen in ihrem mitochondrialen Erbgut auf, da sie von einer gemeinsamen Vorfahrin abstammen. Heute überwiegt bei Schafen in Europa die Haplogruppe B und in Ostasien die Haplogruppe A. Folglich nahm die mitogenomische Vielfalt später im Domestizierungsprozess oder dann ab, als sich die Schafzucht während des Neolithikums über ihre ursprüngliche Domestizierungsregion hinaus ausbreitete – eine Frage, die bisher unbeantwortet blieb.
Um dieser Frage nachzugehen, untersuchte das internationale Forscherteam um Prof. Joris Peters, Staatssammlung für Paläoanatomie (SNSB-SPM) und Institut für Paläoanatomie (LMU München), Prof. Ivica Medugorac, Populationsgenomik der Tiere, LMU München, und Prof. Dan Bradley, Molecular Populations Genetics, Smurfit Institute for Genetics, Trinity College Dublin, die matrilineare Zugehörigkeit und die phylogenetischen Beziehungen von 629 modernen und historischen Schafen in ganz Eurasien.
Der Vergleich der Ergebnisse von Aşıklı Höyük mit altDNA-Signaturen in archäologischen Schafsknochen aus späteren Siedlungen in Anatolien und den umliegenden Regionen sowie in Europa und Mittelasien zeigt deutlich, dass die mitogenomische Vielfalt im 9. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung deutlich abnahm. Eine Folge davon ist die bereits erwähnte Dominanz der Matrilinie B in Europa. „Wir können heute davon ausgehen, dass diese Entwicklung auf einen so genannten „Flaschenhals“ zurückzuführen ist. Dieser trat später in der Jungsteinzeit auf, als sich die Schafzucht nach der frühen Domestizierung der Art über die natürliche Verbreitung der Wildschafe hinaus ausbreitete. Der Flaschenhals hängt wahrscheinlich mit sogenannten Gründereffekten zusammen: Im Zuge der Ausbreitung der Tierhaltung in Richtung Europa wurden nach und nach kleinere Herden aus einer bereits stark reduzierten Schafpopulation entfernt“, so Peters weiter.
„Besonders faszinierend sind die Erkenntnisse, die durch die Integration von genetischen und archäologischen Datensätzen gewonnen werden konnten. Zusammen mit den zahlreichen anderen Mosaiksteinen, die Zooarchäologen, Archäologen und Genetiker über Jahrzehnte hinweg gesammelt haben, ergibt sich nun ein zunehmend kohärentes Bild menschlicher kultureller Anpassungen seit der letzten Eiszeit. Studien wie diese zeigen, dass die Domestizierung von Tieren nicht im Sinne eines generationenübergreifenden Plans zu verstehen ist, sondern als ein Prozess des Zufalls und der Notwendigkeit, der unsere jüngere Kulturgeschichte maßgeblich geprägt hat und uns bis heute begleitet“, ergänzt Prof. Ivica Medugorac.
Originalpublikation:
Edson Sandoval-Castellanos et al. Ancient mitogenomes from Pre-Pottery Neolithic Central Anatolia and the effects of a Late Neolithic bottleneck in sheep (Ovis aries).
Sci. Adv.10,eadj0954(2024). DOI:10.1126/sciadv.adj0954
https://doi.org/10.1126/sciadv.adj0954
15.04.2024, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)
Tropische Wälder brauchen zur natürlichen Regeneration fruchtfressende Vögel
Fruchtfressende Vögel spielen eine wichtige Rolle in den Waldökosystemen, insbesondere im Atlantischen Regenwald in Brasilien. Wildlebende Vögel können das Kohlenstoffpotenzial in sich regenerierenden tropischen Wäldern um bis zu 38 Prozent erhöhen. Die Erhöhung der Waldbedeckung auf über 40 Prozent kann für den Erfolg von Wiederherstellungsinitiativen entscheidend sein.
Eine neue Studie des Crowther Lab der ETH Zürich zeigt, dass es ein entscheidendes Hindernis für die natürliche Regeneration von Tropenwäldern gibt: Die Modelle, die mit Beobachtungsdaten aus der Mata Atlântica, dem atlantischen Regenwald Brasiliens, erstellt wurden, zeigen, dass bei der Regeneration von Tropenwäldern bis zu 38 Prozent mehr Kohlenstoff gespeichert werden könnte, wenn sich wilde Vögel frei zwischen den Waldgebieten bewegen könnten.
Das Kohlenstoffpotenzial von Vogelsamen
Fruchtfressende Vögel wie der Türkisnaschvogel, die Palmentangare oder die Rotbauchdrossel spielen eine wichtige Rolle in Waldökosystemen, da sie auf ihrem Weg durch die Waldlandschaft Samen aufnehmen, ausscheiden und verbreiten. Zwischen 70 und 90 Prozent der Baumarten in tropischen Wäldern sind darauf angewiesen, dass Tiere ihre Samen verbreiten. Das ist nötig, damit Wälder wachsen und ihre Funktion erfüllen können.
Schon frühere Studien haben gezeigt, wie wichtig Vögel für die Biodiversität in Wäldern sind, aber die Forschenden des Crowther Lab verstehen nun auch quantitativ, wie Vögel zur Wiederherstellung von Wäldern beitragen.
Die neue Studie, die in der Fachzeitschrift Nature Climate Change erschienen ist, belegt den wichtigen Beitrag von fruchtfressenden Wildvögeln zur Regeneration der Wälder. Die Forschenden verglichen das Potenzial zur Kohlenstoffspeicherung von wenig fragmentierten Landschaften mit dem von stark zerstückelten Landschaften. Die Daten zeigen, dass stark fragmentierte Landschaften die Bewegung von Vögeln einschränken und dadurch bis zu 38 Prozent weniger Kohlenstoff gespeichert werden kann.
Im Gebiet der Mata Atlântica stellten die Forschenden fest, dass der Erhalt von mindestens 40 Prozent Waldbedeckung entscheidend ist. Ausserdem fanden sie heraus, dass der Abstand zwischen zwei Waldgebieten höchstens rund 130 Meter betragen darf, damit sich die Vögel weiterhin durch die Landschaft bewegen und für deren ökologische Erholung sorgen können.
Die Studie ergab weiter, dass verschiedene Vogelarten die Pflanzensamen unterschiedlich verbreiten. Kleinere Vögel verbreiten mehr Samen, können aber nur kleine Samen von Bäumen mit geringerem Kohlenstoffspeicherpotenzial aufnehmen. Grössere Vögel wie der Riesentukan oder der Krauskopf-​Blaurabe verbreiten dagegen die Samen von Bäumen mit höherem Kohlenstoffspeicherpotenzial. Bei den grösseren Vögeln ist jedoch die Wahrscheinlichkeit geringer, dass sie in stark zerstückelten Landschaften zwischen den einzelnen Waldgebieten umherfliegen.
«Dank dieser wichtigen Informationen können wir dort, wo die Waldbedeckung diesen Schwellenwert unterschreitet und Wiederherstellungsmassnahmen daher besonders dringend und effektiv sind, gezielt aktiv werden, etwa indem wir Bäume pflanzen», sagt Daisy Dent, Wissenschaftlerin am Crowther Lab der ETH Zürich.
Ökosystemleistungen wiederherstellen
«Damit sich Tropenwälder gut regenerieren, müssen sich grössere Fruchtfresser frei zwischen den Waldgebieten bewegen können», sagt Carolina Bello, Postdoktorandin am Crowther Lab der ETH Zürich und Hauptautorin der Studie. «Diese Studie zeigt, dass gerade in tropischen Ökosystemen die Samenverbreitung durch Vögel entscheidend dafür ist, welche Baumarten sich regenerieren können.»
Auf Basis der aktuellen Daten geht die Studie über die Ergebnisse früherer Untersuchungen hinaus, die die Autorinnen und Autoren in der Mata Atlântica vor Ort durchgeführt haben. Der Atlantische Regenwald ist eine der Regionen mit der grössten biologischen Vielfalt der Welt. Sie ist aber auch eine mit der stärksten Fragmentierung: Nur 12 Prozent des ursprünglichen Waldes sind noch vorhanden, verteilt auf kleine Gebiete. Ausserdem ist der Wald eine der wichtigsten Regionen der Erde, in der eine grossflächige ökologische Wiederherstellung geplant ist: Im Rahmen des Abkommens zur Wiederherstellung der Mata Atlântica soll der Wald auf einer Fläche von 12 Millionen Hektar wiederhergestellt werden oder sich auf natürliche Weise regenerieren.
Die Studie zeigt: Erhöht man die Waldbedeckung auf über 40 Prozent, erhält und fördert man damit nicht nur die Artenvielfalt, sondern auch funktionierende Ökosystemleistungen wie Samenverbreitung und Kohlenstoffspeicherung. Dies soll der Wiederherstellungsinitiative in dieser Region zu grösstmöglichem Erfolg verhelfen.
«Wir haben schon immer gewusst, dass Vögel wichtig sind, aber das Ausmass dieser Effekte hat uns überrascht», sagt Thomas Crowther, Professor für Ökologie an der ETH Zürich und leitender Co-​Autor der Studie. «Wenn wir die Komplexität des Lebens in diesen Wäldern wiederherstellen können, erhöht sich ihr Potenzial für die Speicherung von Kohlenstoff deutlich.»
Strategien zur Wiederherstellung von Tropenwäldern
Frühere Studien deuten darauf hin, dass die Wiederherstellung von Wäldern in der Mata Atlântica mehr als 2,3 Milliarden Tonnen Kohlenstoff binden könnte und dass die natürliche Regeneration um 77 Prozent kostengünstiger wäre als Baumpflanzungen.
In tropischen Gebieten, in denen eine passive Regeneration wahrscheinlicher ist, gibt es nach Ansicht der Forschenden verschiedene Strategien, um die Wanderung von Tieren zu fördern, zum Beispiel durch das Pflanzen von Fruchtbäumen und die Verhinderung von Wilderei. In stark fragmentierten Landschaften sind dagegen aktive Wiederherstellungsmassnahmen notwendig.
«Wenn wir wissen, ab welchem Waldbedeckungsgrad sich Samen in der umgebenden Landschaft ausbreiten können, wissen wir auch, wo eine natürliche Regeneration möglich ist und wo wir aktiv Bäume pflanzen müssen. So können wir die Wiederherstellung der Wälder so kostengünstig wie möglich gestalten», sagt Danielle Ramos, Mitautorin der Studie von der Universität Exeter in Großbritannien und der Universidade Estadual Paulista, Rio Claro, São Paulo, Brasilien.
Originalpublikation:
Bello, C., Crowther, T.W., Ramos, D.L. Morán-López, T., Pizo, M.A., Dent, D.H., Frugivores enhance potential carbon recovery in fragmented landscapes, Nature Climate Change (2024), doi:10.1038/s41558-024-01989-1

15.04.2024, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Auf dem Trockenen: Wasserverknappung bedroht Tierarten im Ruaha-Nationalpark in Tansania
Nicht nur der Klimawandel sorgt für austrocknende Landschaften: Ein Forschungsteam unter der Leitung des Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) untersuchte die Folgen vermehrter Wasserentnahme für Landwirtschaft und Viehzucht aus dem Great Ruaha River, einem der größten Flüsse Tansanias. Dieser ehemals permanent wasserführende Fluss fällt mittlerweile über Monate trocken. Die Forschenden konnten nachweisen, dass Büffel, Zebras und Wasserböcke dadurch teils gravierend in ihrem Lebensraum eingeschränkt werden. Einige Pflanzenfresser können den temporären Wassermangel durch ihre Nahrung teilweise ausgleichen, andere kaum oder gar nicht.
Die Auswirkungen der Wasserverknappung auf die Artengemeinschaft im Ruaha-Nationalpark sind in einem Aufsatz in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Wildlife Biology“ beschrieben.
Obwohl Nationalparks in ganz Afrika das Ziel haben, Wildtiere vor den direkten negativen Auswirkungen menschlicher Eingriffe wie Buschfleischjagd, Wilderei und Viehzucht zu schützen, gehen die Wildtierbestände in vielen Nationalparks zurück. Der Grund dafür sind unter anderem indirekte menschliche Eingriffe wie die Wasserentnahme aus Flüssen außerhalb der Nationalparks. Wenn es während der Trockenzeit in afrikanischen Ländern wenig oder gar nicht regnet, versiegen temporäre Wasserquellen wie Pfützen, regengefüllte Senken und Tümpel. Viele Tierarten reagieren darauf, indem sie in die Nähe noch bestehender Gewässer ziehen.
„Wir wollten herausfinden, welche Tierarten am besten mit Wasserknappheit zurechtkommen und welche Überlebensstrategien die Tiere entwickeln“, erklärt Erstautorin Dr. Claudia Schmied, deren Dissertation über die Konsequenzen der Wasserentnahme aus dem Great Ruaha River für die Großtiergemeinschaft vom Leibniz-IZW betreut wurde. „Dafür haben wir uns während dreier Trockenzeiten angeschaut, welche Pflanzenfresser im Ruaha-Nationalpark ihren Standort ändern und dorthin ziehen, wo sie konstante Wasserquellen finden.“
Manche Pflanzenfresser reagierten sensibler auf Wassermangel als andere, bestätigen die Wissenschaftler:innen. „Es gibt Tiere, die den Mangel an Trinkwasser teilweise durch ihre Ernährung ausgleichen können oder über Mechanismen verfügen, ihre Körpertemperatur zu regulieren, um den Wasserverlust über Kot und Urin zu begrenzen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass zum Beispiel Allesfresser wie der Kronenducker und das Warzenschwein ihre Entfernung zur nächstgelegenen Wasserquelle in der späten Trockenzeit deutlich größer werden lassen, also nicht dem Wasser hinterherziehen“, sagt Schmied. Dies gelte beispielsweise auch für das Impala (Aepyceros melampus) und den Großen Kudu (Strepsiceros zambesiensis), die eine gemischte vegetarische Kost zu sich nehmen.
„Unsere Erkenntnisse deuten darauf hin, dass diese Arten besser mit dem Rückgang des Oberflächenwassers zurechtkommen als zum Beispiel der Afrikanische Büffel.“. Afrikanischer Büffel (Syncerus caffer), Steppenzebra (Equus quagga) und Wasserbock (Kobus ellipsiprymnus) brauchen als Weidetiere einen konstanten Zugang zu Trinkwasser. Allesfresser wie das Warzenschwein (Phacochoerus africanus) und der Kronenducker (Sylvicapra grimmia) haben ein breiteres Nahrungsspektrum und verzehren unterirdische Pflanzen wie Knollen, Rhizome, Früchte und zudem kleinere Tiere – und damit Nahrung, die mehr Wasser enthält als die in der Trockenzeit abgegrasten Weideflächen. Dies macht diese Tierarten unabhängiger vom Zugang zu Trinkwasser.
Um die sich ändernden Standorte der Tiere zu ermitteln, kartierten die Forschenden die Aufenthaltsorte der Tiere in der frühen und in der späten Trockenzeit. Es bestätigte sich die Vermutung, dass manche Tierarten in die Nähe der noch wenigen verbleibenden Wasserquellen am oberen Great Ruaha River ziehen. Am auffälligsten verhielt sich der Afrikanische Büffel, so Prof. Stephanie Kramer-Schadt, Leiterin der Abteilung für Ökologische Dynamik am Leibniz-IZW: „Unsere räumlichen Analysen zeigten, dass sich die Afrikanischen Büffel während der Trockenzeit komplett aus dem Forschungsgebiet zurückzogen.“ Diese Weidetiere sind besonders wasserabhängig, da der Feuchtigkeitsgehalt von Weidegräsern in der Trockenzeit gering ist. „Die Afrikanischen Büffel im Ruaha-Nationalpark verlieren während der Trockenzeit also große Teile ihres Lebensraums“, ergänzt Dr. Marion East, Wissenschaftlerin in der Abteilung für Ökologische Dynamik am Leibniz-IZW und Betreuerin von Schmieds Dissertation.
Dass sich zum Ende der Trockenzeit vermehrt wasserabhängige Pflanzenfresser in der Nähe der schrumpfenden Wasserstellen am oberen Great Ruaha River versammeln, hat weitreichende Folgen. Größere Raubtiere wie Löwen und Leoparden ziehen nun ebenfalls in diese Gebiete und vertilgen einen Teil der Bestände dieser Arten. Über die langfristigen Auswirkungen des Wasserverlustes im Great Ruaha River auf die Ökologie des Ruaha-Nationalparks und seine hohe Artenvielfalt ist allerdings bisher noch wenig bekannt. Die zunehmende Ansammlung von Tieren in der Nähe verbleibender Wasserquellen kann die Übertragung von Krankheitserregern fördern, vermuten die Forschenden. Der große Wasserverlust könnte zudem zu einem schnelleren Rückgang der Nährstoffqualität und der Ufervegetation führen, was wiederum die Gesundheit von Pflanzenfressern beeinträchtigen und negative Folgen für deren Bestände haben könnte.
Der Ruaha-Nationalpark in Tansania wurde 1964 gegründet und 2008 um das Usangu-Wildreservat erweitert. Mit einer Fläche von 20.226 km2 gehört er zu den größten Nationalparks in Afrika. Er gilt als einer der wichtigsten Lebensräume für Wildtiere in Afrika. Der Great Ruaha River wird als das ökologische Rückgrat Tansanias geschätzt, bevor er den Ruaha-Nationalpark durchquert, einem der größten Nationalparks Afrikas.
Originalpublikation:
Schmied C, Hofer H, Scherer C, Kramer-Schadt S, East ML (2024): Effect of human induced surface water scarcity on herbivore distribution during the dry season in Ruaha National Park, Tanzania. Wildlife Biology 2024: e01131. DOI: 10.1002/wlb3.01131

15.04.2024, Universität Potsdam
Warum die europäische Kolonisierung den Blaubock zum Aussterben brachte
Ein internationales Team von Forschenden unter der Leitung der Universität Potsdam hat in Zusammenarbeit mit Colossal Biosciences und dem Museum für Naturkunde Berlin das erste flächendeckende Kerngenom des ausgestorbenen Blaubocks erstellt und analysiert. Die genomischen Daten geben Aufschluss über die Evolutionsgeschichte und das Aussterben der Art. Der Blaubock ist die einzige große afrikanische Säugetierart, die in jüngerer Zeit ausgestorben ist. Die Ergebnisse der Studie, die jetzt in „Current Biology“ veröffentlicht wurden, zeigen, dass die Art wahrscheinlich an eine geringe Populationsgröße angepasst war und so Jahrtausende überlebte.
Das machte sie aber zugleich anfällig für plötzliche Einflüsse wie die Jagd, die nach der europäischen Kolonisierung des südlichen Afrikas zunahm.
Der Blaubock (Hippotragus leucophaeus) war eine afrikanische Antilope mit bläulich-grauem Fell, verwandt mit der Rappen- und der Pferdeantilope. Der letzte Blaubock wurde um 1800, nur 34 Jahre nach seiner wissenschaftlichen Erstbeschreibung, erlegt. Nun ist es dem Forschungsteam, an dem Potsdamer Evolutionsbiologen um Prof. Dr. Michael Hofreiter beteiligt waren, gelungen, aus einem Exemplar des schwedischen Naturkundemuseums ein Genom mit 40-facher Abdeckung zu gewinnen. Dabei handelt es sich um eines von nur fünf DNA-validierten historischen Museumsexemplaren des Blaubocks.
Eine geringe genomische Vielfalt und Populationsgröße wird oft als nachteilig angesehen, da sie zu einer Verringerung der Fitness und Anpassungsfähigkeit einer Art führen kann. „Der Blaubock hatte jedoch über viele Jahrtausende eine geringe Populationsgröße, bevor er um 1800 ausstarb“, erklärt Michael Hofreiter. „Die Tatsache, dass keine Inzucht und nur wenige nachteilige Mutationen festgestellt wurden, deutet darauf hin, dass die Art an eine langfristig niedrige Populationsgröße angepasst war“, ergänzt Elisabeth Hempel, die den Blaubock im Rahmen ihrer Doktorarbeit an der Universität Potsdam und dem Museum für Naturkunde Berlin untersucht hat.
Außerdem zeigt die Analyse der langfristigen Populationsgröße, dass diese nicht von den eiszeitlichen Klimaschwankungen beeinflusst wurde. Dies ist für ein großes pflanzenfressendes Säugetier unerwartet, da diese Zyklen zu Veränderungen in der Verfügbarkeit von Lebensraum geführt haben sollten. Dieses Ergebnis legt nahe, dass die derzeitigen Modelle der langfristigen Ökosystemdynamik in der Region möglicherweise verfeinert werden müssen.
Die Forschenden schließen aus ihren Ergebnissen, dass Arten lange Zeit mit einer geringen Populationsgröße überleben können, solange sie keinen schnell wirkenden Störungen ausgesetzt sind. Folglich dürfte der plötzliche menschliche Einfluss während der europäischen Kolonisierung des südlichen Afrikas im 17. Jahrhundert eine zentrale Rolle beim Aussterben der Art gespielt haben.
Im Zuge der DNA-Analysen wurden im Genom auch zwei Gene identifiziert, die für die blaue Fellfarbe der Art verantwortlich sein könnten, welcher der Blaubock seinen Namen verdankt. Möglich wurde dies mithilfe modernster Computeranalyse-Software des Biotechnologieunternehmens Colossal Bioscience, mit dem die Forschenden zusammengearbeitet haben. „Als Teil von Colossals kontinuierlichem Fokus auf alte DNA, Beziehungen zwischen Genotyp und Phänotyp und die Wiederherstellung von Ökosystemen war es uns eine Ehre, an der bahnbrechenden Arbeit von Professor Hofreiter und seinem Team mitzuarbeiten“, sagte Ben Lamm, Mitbegründer und CEO von Colossal Bioscience. „Die Forschungsziele für das Projekt erlaubten es unseren Teams, zusammenzuarbeiten und einige der neuesten Colossal-Algorithmen für alte DNA und vergleichende Genomik anzuwenden, um herauszufinden, was der Blaubock wirklich zu der einzigartigen Spezies machte, die sie war.“
Veröffentlichung:
Hempel et al., 2023, Colonial driven extinction despite genomic adaptation to low population size in the blue antelope, Current Biology, DOI: https://doi.org/10.1016/j.cub.2024.03.051

16.04.2024, Veterinärmedizinische Universität Wien
Hirsche passen Physiologie der Muskeln an Jahreszeit an
Am Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Vetmeduni ging man in einer aktuellen Studie der Frage nach, wie Rothirsche sich auf zellulärer Ebene auf den Winter vorbereiten. Im Fokus standen biochemische Kälteanpassungen in der Muskulatur und deren Steuerung. Die Studie wurde vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung Österreichs (FWF) finanziert und erbrachte bahnbrechende Erkenntnisse mit allgemeiner Bedeutung für Säugetiere.
In den Membranen von Muskelzellen befinden sich Schlüsselenzyme der Muskelfunktion. Wie alle biochemischen Vorgänge ist die Aktivität dieser Enzyme temperaturabhängig. Ein zu kalter Muskel ist deshalb nur eingeschränkt funktionstüchtig. Wie Rothirsche im Winter ausreichend bewegungsfähig bleiben, trotz niedrigerer Temperatur vor allem in äußeren Körperteilen, war die zentrale Fragestellung dieses Projekts.
Um saisonale zelluläre Veränderungen feststellen zu können, wurde den Tieren im Winter und im Sommer unter Narkose mittels Biopsie eine geringe Menge an Muskelgewebe entnommen. Im Labor bestimmten die Wissenschafter:innen anschließend die Fettsäurezusammensetzung der Zellmembranen und die Aktivität von Schlüsselenzymen. Mit den Ergebnissen gelang es grundlegende Zusammenhänge aufzuklären. Dazu der Projektleiter Walter Arnold: „Wir konnten feststellen, dass die Aktivität wichtiger Enzyme des Muskelstoffwechsels von der Konzentration bestimmten Fettsäuren in den Zellmembranen beeinflusst wird. Zusammen mit jahreszyklischen Veränderungen der Genexpressionen bestimmen die saisonalen Veränderungen der Fettsäureumgebung die maximal mögliche Aktivität membranständiger Enzyme.“
Die zweite Untersuchungsfrage war, wie die jahreszyklischen Veränderungen in Zellmembranen zustande kommen. Ein denkbarer Grund war eine unterschiedliche Zufuhr mehrfach ungesättigter Fettsäuren mit der Nahrung, da diese von Säugetieren nicht synthetisiert werden können. Eine weitere Möglichkeit war die Steuerung durch die Tageslänge, deren Veränderung im Jahresverlauf wohlbekannte andere saisonale Reaktionen auslöst, wie den Wechsel vom Sommer- ins Winterfell. Beide Hypothesen wurden mit einem ausgeklügelten Experiment untersucht. Den Tieren wurde das ganze Jahr über Futter mit unterschiedlichen Konzentrationen essenzieller Fettsäuren verabreicht und die Wahrnehmung der Tageslänge wurde im letzten Versuchsjahr manipuliert. Das gelang mit der Verabreichung des Hormons Melatonin, dass natürlicherweise nur nachts und deshalb vermehrt im Winter ausgeschüttet wird. Die künstliche Erhöhung des Melatoninspiegels im Blut ab Juni führte bereits im August zur Wende in den Winterzustand, deutlich erkennbar am vorzeitigen Wechsel ins Winterfell und ebenso nachweisbar in den Muskelzellen. Die Zufuhr essenzieller Fettsäuren hatte dagegen so gut wie keinen Einfluss auf jahreszeitliche Veränderungen.
Fazit: Durch saisonale Anpassungen auf zellulärer Ebene ist es den Hirschen möglich, trotz der besonders in den Beinen niedrigeren Körpertemperatur ausreichende Muskelfunktion zu erhalten. Mit der durch geringere Wärmeproduktion erzielten Energieeinsparung überstehen sie Nahrungsknappheit und Kälte des Winters, ohne ihre Fluchtfähigkeit zu sehr zu beeinträchtigen.
Diese Studie bietet faszinierende Einblicke in die erstaunlichen Anpassungsmechanismen von Hirschen und legt nahe, dass ähnliche Phänomene auch bei anderen Säugetieren vorhanden sind, einschließlich des Menschen. Die Erkenntnisse haben somit weitreichende Auswirkungen auf das grundlegende Verständnis der evolutionären Anpassung an saisonal veränderliche Lebensbedingungen.
Originalpublikation:
Der Artikel „Summer fades, deer change: Photoperiodic control of cellular seasonal acclimatization of skeletal muscle“ von Kristina Gasch, Alba Hykollari, Manuela Habe, Patricia Haubensak, Johanna Painer-Gigler, Steve Smith, Gabrielle Stalder und Walter Arnold wurde in „iScience“ veröffentlicht.
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2589004223026962?via%3Dihub

16.04.2024, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Speiseplan von Insekten an der Abnutzung ihres Kiefers erkennbar
Methode könnte Einblicke in vergangene ökologische Umbrüche geben
– Die Esswerkzeuge von Grillen nutzen sich je nach Art der Ernährung unterschiedlich ab, zeigt eine aktuelle Studie der Universitäten Kiel und Tokyo
– Mit Hilfe von dreidimensionalen Mikroskopie-Aufnahmen lässt sich die Art und Stärke der Abnutzung objektiv bestimmen
– Die Methode lässt sich beispielsweise nutzen, um Insektensammlungen in Museen zu analysieren. Die Ergebnisse können Hinweise auf ökologische Veränderungen in der Vergangenheit geben.
Zeige mir deine Kiefer, und ich sage dir, was du isst: So könnte das Motto einer Studie lauten, die an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und der Universität Tokyo durchgeführt wurde. Die Forschenden haben darin untersucht, ob sich an der Abnutzung der Esswerkzeuge von Insekten ihre Ernährungsgewohnheiten ablesen lassen. Bei Wirbeltieren sind derartige Analysen seit Jahrzehnten Standard. Denn aus den Ergebnissen können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weitreichende Erkenntnisse zu den Lebensumständen der untersuchten Arten gewinnen. Bei Wirbeltieren ist das insbesondere für Fossilfunde interessant: Der Blick auf die Zähne verrät viel über die ökologische Nische, in der das entsprechende Tier vor Millionen von Jahren gelebt hat.
Eisen-Einlagerung statt Zahnschmelz
„Wir wollten wissen, ob sich diese Methode auch auf Insekten übertragen lässt“, erklärt Dr. Daniela Winkler vom Zoologischen Institut der CAU. „Sie haben zwar keine Zähne, aber sogenannte Mandibeln, mit denen sie ihre Nahrung zerkleinern.“ Ähnlich wie Zähne verfügen auch die Insekten-Kiefer über eine Schutzschicht, die sie gegenüber Abrieb unempfindlicher macht. Diese besteht jedoch nicht aus Zahnschmelz, sondern aus eingelagerten Metallen wie Zink oder Eisen. „Wir haben untersucht, welche Spuren bestimmte Nahrungsbestandteile trotz dieser Schutzschicht in den Mandibeln hinterlassen“, sagt Winkler.
Die Zoologin ist Expertin für Zahnanalysen – und zugleich eine Pionierin auf diesem Gebiet: Als erste Wissenschaftlerin weltweit konnte sie vor einigen Jahren nachweisen, dass sich auch die Kauwerkzeuge von Reptilien je nach Ernährung auf charakteristische Weise abnutzen. Ihre Ergebnisse erlauben beispielsweise völlig neue Einblicke in die Lebensweise von Dinosauriern. Auch bei den Insekten beschritt sie nun mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus Japan Neuland. „Wir haben Experimente mit Grillen durchgeführt, die wir unterschiedlich gefüttert haben“, sagt sie. „Alle Tiere erhielten zu Pellets gepresste Bestandteile der Saat-Luzerne. Wir mischten dieser Grundnahrung aber unterschiedliche Bestandteile bei, darunter verschieden groben Quarzsand oder Vulkanasche.“
Mandibeln verschleißen ganz ähnlich wie Meerschweinchen-Zähne
Insgesamt lief das Experiment über einen Monat. In dieser Zeit fertigten die Forschenden mehrfach mit einem speziellen Mikroskop dreidimensionale Oberflächenscans von den Mandibeln an. Mit Hilfe einer computergestützten automatisierten Auswertungsmethode vermaßen sie dann die Topografie der Mandibel-Oberfläche – vereinfacht gesagt: ihre Rauheit. Dazu erfassten sie insgesamt mehr als 40 Parameter, darunter die durchschnittliche Tiefe der Kratzer und die Komplexität der Abnutzungsmuster. Ein Ergebnis hat Winkler dabei selbst überrascht: „Wir haben früher auf ähnliche Weise die Abnutzung von Meerschweinchen-Zähnen untersucht – und zwar ebenfalls mit Hilfe von Futterpellets, denen wir Quarzsand oder Asche beigemischt hatten, um die Aufnahme solcher Partikel im natürlichen Lebensraum zu simulieren. Denn das kommt bei Pflanzenfressern tatsächlich häufig vor“, sagt sie. „Die Mandibeln der Grillen verschleißen auf fast identische Weise, obwohl die Tiere erheblich kleiner sind und ihre Esswerkzeuge einen ganz anderen Aufbau haben.“
Verlässlicher Einblick in den Speiseplan der Grillen
Tatsächlich ließ sich aus den Parametern schon einige Tage nach Start des Experiments mit großer Sicherheit ablesen, auf welche Weise die Tiere gefüttert worden waren. Die Spuren auf den Mandibeln geben also offensichtlich einen verlässlichen Einblick in den Speiseplan der Grillen. Für fossile Insekten-Funde eignet sich das Verfahren allerdings wohl nicht. Denn dazu müssen die Mandibeln in dreidimensionaler Form erhalten sein; das ist aber nur selten der Fall. Auch Insekten-Einschlüsse in Bernstein lassen sich auf diese Weise nicht analysieren, da die Kiefer dort von einer Harzschicht bedeckt sind.
Dennoch könnten die Ergebnisse in der Fachwelt auf großes Interesse stoßen: Weltweit verfügen viele naturkundliche Museen über große Insektensammlungen. Die Grillen, Käfer, Wanzen und Libellen darin sind zum Teil mehrere hundert Jahre alt. Ihre Mandibeln dokumentieren, wie sich ihre ökologische Nische seit damals verändert hat – durch menschliche Eingriffe, Umweltzerstörung, Klimawandel oder auch die Einwanderung neuer Pflanzenarten. „Zudem lässt sich an den Spuren ablesen, wie schnell sich die Insekten auf diesen Wandel einstellten“, erklärt Winkler: „Ob sie sich zum Beispiel direkt neue Nahrungsquellen erschlossen, wenn ihre Lieblingspflanze seltener wurde – oder ob sie das erst taten, wenn sie anders nicht mehr überleben konnten.“
Originalpublikation:
Winkler DE, Seike H, Nagata S, Kubo MO. 2024 Mandible microwear texture analysis of crickets raised on diets of different abrasiveness reveals universality of diet-induced wear. Interface Focus 14: 20230065.
https://doi.org/10.1098/rsfs.2023.0065

15.04.2024, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Giftcocktail lässt Hummeln kalt
Wildbienen sind in der Natur verschiedenen Pflanzenschutzmitteln ausgesetzt, die eine potenziell giftige Wirkung haben können. Eine Studie der Uni Würzburg zeigt jetzt, dass Hummeln relativ robust gegenüber diesen Mitteln sind.
Hummel scheinen gegenüber Pflanzenschutzmitteln robust zu sein. Das zeigt eine neue Studie, deren Ergebnisse Wissenschaftlerinnen der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) jetzt in der Fachzeitschrift Environment International veröffentlicht haben.
Das Team vom Biozentrum der Universität hat dafür eine Hummelkolonie geteilt und die Tiere sowohl einzelnen Insektiziden und Fungiziden als auch Kombinationen dieser Pflanzenschutzmittel ausgesetzt. Im Anschluss untersuchten die Wissenschaftlerinnen Lernfähigkeit und Flugaktivität der so behandelten Hummeln. Dabei zeigten sich keine negativen Auswirkungen. Entstanden ist die Studie in Kooperation mit der Universität Bayreuth.
Wildbienen nehmen viele Pflanzenschutzmittel auf
„Rettet die Bienen!“ Dieser Aufruf war in den letzten Jahren in aller Munde und hat auf das weltweite Bienensterben aufmerksam gemacht. Im Gegensatz zur weit verbreiteten Annahme ist allerdings nicht die Honigbiene von diesem Rückgang betroffen, da sie durch Imkerinnen und Imker gut versorgt werden kann. Das Bienensterben betrifft besonders Wildbienen, die allerdings deutlich schlechter erforscht sind als Honigbienen.
„In der Natur sind Bienen nicht nur einzelnen Stressoren ausgesetzt, sondern treffen in der Regel auf eine Vielzahl von Faktoren, die negative Effekte auf die Bestäuber haben können. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zählt dabei zu den Hauptursachen des Insektenrückgangs“, erklärt Ricarda Scheiner den Hintergrund der jetzt veröffentlichten Studie. Scheiner ist Professorin für Neuroethologie der Arthropoden am Lehrstuhl für Zoologie II der JMU und Hauptautorin der Studie.
Wildbienen, zu denen auch die Hummel zählt, nehmen auf ihren Sammelflügen viele verschiedene Pflanzenschutzmittel auf und tragen diese über die Nahrung in die Kolonie ein. „Durch die Aufnahme von Pflanzenschutzmittel-Mischungen können Effekte auf das Verhalten entstehen, die schwer vorherzusagen sind. Einige Mittel können miteinander interagieren und ihre Wirkung gegenseitig beeinflussen, wodurch ein verstärkter oder abgeschwächter Effekt entstehen kann“, sagt Antonia Schuhmann, Erstautorin der Studie und Doktorandin bei Ricarda Scheiner.
Neue Methode zur Erforschung von Pflanzenschutzmittel-Mischungen
Was passiert nun, wenn Hummeln einen Cocktail aus Pflanzenschutzmitteln aufnehmen? Wirkt sich dies auf ihr Verhalten aus? Diesen Fragen sind die Wissenschaftlerinnen in ihren Experimenten nachgegangen. Um zu erforschen, ob Pflanzenschutzmittel-Mischungen einen Effekt auf das Lernverhalten und die Flugaktivität von Hummeln haben, haben sie am Biozentrum der Universität Würzburg eine neue Methode entwickelt.
Diese ermöglicht die Teilung einer Hummelkolonie in vier „Abteilungen“. „Dadurch ist es möglich, sowohl Einzelbehandlungen mit Insektiziden und Fungiziden als auch Mix-Behandlungen an einer Kolonie zu testen“, erklärt Ricarda Scheiner. Dank der neuen Methode können Unterschiede zwischen Kolonien ausgeschlossen werden. Außerdem werden weniger Kolonien pro Versuch benötigt.
Zwei Experimente zeigen keine Effekte
Die Forscherinnen untersuchten das Lernverhalten und die Flugaktivität nach einer Behandlung mit einem Insektizid, einem Fungizid und deren Mischung und verglichen die Ergebnisse mit einer Kontrollgruppe. Um das Lernverhalten zu untersuchen, wurden die Hummeln in einer Flugarena auf farbige Blütenattrappen konditioniert. Sie sollten lernen, eine bestimmte Blütenfarbe mit einer Zuckerwasser-Belohnung zu verknüpfen und diese dann gezielt anzufliegen. Das Ergebnis: Die verschiedenen Pflanzenschutzmittel-Behandlungen zeigten keinen Effekt auf die Lernfähigkeit der Hummeln.
Die Flugaktivität wurde mit Hilfe von moderner RFID-Technik untersucht. Dazu erhielten die Hummeln kleine Chips, sodass jedes Tier eine eigene ID besaß. Scanner vor der Kolonie lasen die ID aus und speicherten sie, jeweils mit einem Zeitstempel versehen. Auf diese Weise konnten die Wissenschaftlerinnen die Flugaktivität jeder Hummel genau bestimmen. Auch hier zeigte die Auswertung keine Effekte der Pflanzenschutzmittel.
Die Hummel als robuste Wildbiene
„Die Versuche zeigen, dass die Hummel gegenüber Stressoren wie Pflanzenschutzmitteln recht robust zu sein scheint“, fasst Antonia Schuhmann das zentrale Ergebnis der Studie zusammen. Wie andere Wildbienen in den Versuchen abschneiden würden, bleibe jedoch unklar. „Die Hummel profitiert durch ihre soziale Lebensweise in der Kolonie, die toxische Effekte abpuffern und schwachen Bienen das Überleben sichern kann“, sagt Ricarda Scheiner. Zudem unterscheide sich die Hummel in ihrer Körpergröße von vielen solitär lebenden Wildbienen, die deutlich kleiner sind.
Nach Ansicht der Wissenschaftlerinnen benötigt es deshalb dringend weitere Versuche, um die Wirkung von Pflanzenschutzmittel-Mischungen auf verschiedene Wildbienenarten zu verstehen.
Originalpublikation:
Schuhmann, A., Schulte, J., Feldhaar, H., Scheiner, R. (2024). Bumblebees are resilient to neonicotinoid-fungicide combinations. Environment International 186 (108608). https://doi.org/10.1016/j.envint.2024.108608

17.04.2024, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels
Neue Schmetterlingsart entstand vor 200.000 Jahren durch Kreuzung zweier anderer Arten
Bei der Entstehung neuer Arten denken wir an einen Prozess, bei dem sich eine angestammte Art in mindestens zwei neue Arten aufspaltet. Nun hat ein internationales Wissenschaftsteam unter Beteiligung von Forschenden des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB) die Entstehung einer neuen Art durch Hybridisierung nachgewiesen: Die amazonische Schmetterlingsart Heliconius elevatus entstand vor 200 000 Jahren bei einer Kreuzung zwischen den Arten Heliconius pardalinus und Heliconius elevatus. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.
„Diese Studie befasst sich mit so vielen verschiedenen Ebenen des Artbildungsprozesses, insbesondere mit der Introgression, also der Aneignung ökologischer Merkmale, und konnte nur durch die Zusammenarbeit eines internationalen Teams und die Entschlossenheit sowie harte Arbeit von Dr. Neil Rosser von der Harvard University durchgeführt werden“, betont Dr. Karina Lucas Silva-Brandão, Kuratorin für Schmetterlinge am LIB. Sie steuerte brasilianische Proben von Heliconius-Schmetterlingen bei und hat an mehreren Evolutionsstudien mit diesen Schmetterlingen mitgearbeitet.
Arten werden oft als die Spitzen oder Blätter eines „Lebensbaums“ betrachtet. In diesem Modell entstehen neue Arten dadurch, dass sich die Spitzen abspalten und über Tausende bis Millionen von Jahren neue Arten bilden. Heute wissen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass die Äste des Lebensbaums verworren sind und Gene durch gelegentliche Kreuzung von einer Art auf eine andere übertragen werden. Dies kann theoretisch zur Bildung einer neuen Art führen.
Der amazonische Schmetterling Heliconius elevatus ist das Ergebnis einer Kreuzung zwischen zwei anderen Arten, H. pardalinus und H. melpomene. Heliconius elevatus ist genetisch näher mit H. pardalinus verwandt, aber es war H. melpomene, die die Merkmale übertrug, die für die Abweichung von H. pardalinus verantwortlich sind, darunter Farbmuster, Flügelform, Vorliebe für Wirtspflanzen, Sexualpheromone und Partnerwahl. Diese Art der Entstehung neuer Arten, bei der die Hybridisierung eine entscheidende Rolle bei der Errichtung von Fortpflanzungsbarrieren spielt, wird als hybride Speziation bezeichnet.
Der Nachweis, dass eine hybride Speziation bei Tieren möglich ist, ist jedoch eine schwierige Aufgabe. Die Forschenden müssen nachweisen, dass die Kreuzung zwischen zwei Arten tatsächlich die Bildung einer völlig neuen Art ausgelöst hat, die sich genetisch von beiden Eltern unterscheidet. Das Wissenschaftlerteam, dem Forschende aus mehreren südamerikanischen Ländern angehören, hat nun ein Beispiel für eine hybride Art bei den farbenprächtigen Heliconius-Schmetterlingen des Amazonas gefunden.
In einer zehnjährigen Studie sammelten die Forscher genetische und ökologische Beweise dafür, dass der Vorfahre der heutigen Heliconius melpomene und Heliconius pardalinus vor fast 200.000 Jahren Teile ihres Genoms einbrachte, um eine dritte Art, Heliconius elevatus, hervorzubringen, und dass alle drei Arten heute im Amazonas-Regenwald nebeneinander existieren.
Professor Kanchon Dasmahapatra vom Fachbereich Biologie der Universität York und Hauptautor der Studie betont: „Hybride Spezies sind zwar nicht so ungewöhnlich, aber überzeugende Beispiele für hybride Tierarten sind wirklich schwer zu finden. Bei den wenigen Beispielen, die es gibt, haben die vermeintlichen Hybridarten entweder nur wenige Generationen lang existiert und sind möglicherweise kurzlebig oder die Hybridart lebt nicht neben ihrer Elternart, so dass es schwierig ist festzustellen, ob es sich tatsächlich um eine neue Art handelt.“
Hauptautor Dr. Neil Rosser, Postdoktorand an der Universität York und jetzt an der Harvard University, verbrachte mehrere Jahre im Amazonasgebiet damit, die beteiligten Arten zu kreuzen. So legte er die genetische Grundlage mehrerer Merkmale offen, die für die Erhaltung der Unterscheidbarkeit einer Art wichtig sind. Zu diesen Merkmalen gehören Farbmuster, Flügelform, Vorliebe für Wirtspflanzen, Sexualpheromone, Partnerwahl und Flug. Er stellt heraus: „Bemerkenswerterweise haben wir festgestellt, dass beim Schmetterling Heliconius elevatus die Teile des Genoms, die diese wichtigen Merkmale steuern, tendenziell mit Regionen des Genoms von Heliconius melpomene übereinstimmen. Dieser Befund ist der Schlüssel zum Nachweis, dass Heliconius elevatus eine hybride Art ist, da er stark darauf hindeutet, dass die Hybridisierung dazu geführt hat, dass der Schmetterling andere Merkmale als seine Eltern hat und sich deshalb nicht mit ihnen fortpflanzen kann.“
Kanchon Dasmahapatra fügt hinzu: „Da sich das Verbreitungsgebiet von Arten aufgrund menschlicher Eingriffe und des Klimawandels rasch verändert, werden die Möglichkeiten zur Hybridisierung oder Vermischung zwischen Arten wahrscheinlich zunehmen, was große Auswirkungen hat. Diese zunehmende Vermischung wird wahrscheinlich dazu führen, dass sich mehr Gene zwischen den Arten bewegen, was in einigen Fällen dazu führt, dass Arten von den Genen anderer Arten überschwemmt werden und in anderen Fällen möglicherweise zur Bildung neuer Hybridarten in der Zukunft führt.“
Originalpublikation:
https://www.nature.com/articles/s41586-024-07263-w

17.04.2024, Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz
Zebrafinken-Küken brabbeln nicht ohne Grund
Wenn Babys sprechen oder Vögeln singen lernen, greift das gleiche Prinzip: Zuhören und dann nachahmen. So wird aus anfänglichem Gebrabbel das erste Wort oder Lied. Zebrafinken-Küken merken sich zunächst den Gesang eines erwachsenen Vogels. Später verfeinern sie ihre eigenen Laute, bis sie dem eingeprägten Gesang ähneln. Forschende am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz zeigen nun, dass ihre ersten Laute bereits eine Rolle spielen, bevor die Küken Singen üben. Das anfängliche Gebrabbel ist notwendig, um sich Gesang überhaupt erst einprägen zu können. Dies deckt sich mit Erkenntnissen bei der Sprachentwicklung des Menschen. Auch trägt das Gebrabbel entscheidend zum Lernerfolg bei.
Ein männliches Zebrafinken-Küken schlüpft aus seinem Ei. Ungefähr 3-4 Wochen später beginnt es erste, krächzende Laute von sich zu geben – mit seinem späteren Gesang haben diese noch nicht viel zu tun. Doch schon mit drei Monaten ist der Zebrafink mit dem Singen üben fertig: Sein Gesang ist nun ausgereift. Diesen wird er sein ganzes weiteres Leben zwitschern, um sich eine Partnerin zu suchen oder sein Territorium zu verteidigen.
Das Singen lernen bei Zebrafinken funktioniert ähnlich wie das Sprechen lernen im Menschen: Küken oder Babys ahmen das nach, was sie hören – bei Zebrafinken meist den Gesang des Vaters. Dabei durchlaufen die Küken zwei Phasen. Etwa 25 Tage nach dem Schlüpfen beginnen sie, sich den Gesang ihres Vorbilds zu merken und als Vorlage abzuspeichern (sensorische Phase). Etwas später setzt die dann parallel verlaufende sensormotorische Phase ein: In dieser verfeinern die Küken ihre eigenen Laute, bis sie der abgespeicherten Vorlage ähneln.
Bisher wurde angenommen, dass das erste Küken-Gebrabbel die sensormotorische Phase einleitet, den Zeitpunkt, an dem die Küken beginnen den eingeprägten Gesang zu imitieren. Welche Mechanismen den Startschuss für die vorherige, sensorische Phase geben, in der sich die Vögel den Gesang merken, blieb unklar. Albertine Leitão und Manfred Gahr vom Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz zeigen nun, dass das Gebrabbel bereits die erste, sensorische Phase einleitet – und stellen damit das bisherige Konzept des Gesangslernens von Zebrafinken auf den Kopf.
Für ihre Untersuchungen gaben die Forschenden Zebrafinken-Küken das Geschlechtshormon Testosteron. Dies führte dazu, dass die Küken früher als gewöhnlich zu Brabbeln anfingen. Interessanterweise startete in diesen Fällen auch die sensorische Phase früher. Um zu zeigen, dass diese beiden Beobachtungen zusammenhängen, untersuchten die Forschenden Küken, die vorrübergehend nicht brabbeln konnten: Diese waren nicht in der Lage, sich den Gesang ihres Vorbilds zu merken.
Damit zeigen die Forschenden, dass die ersten, unbeholfenen Laute früher als gedacht eine Rolle beim Gesangslernen spielen: Die Küken müssen brabbeln, um sich den zu imitierenden Gesang erst einmal merken zu können. Wahrscheinlich entstehen dadurch Verknüpfungen im Gehirn, die es den Zebrafinken ermöglichen, den Gesang abzuspeichern. Dies deckt sich mit den Erkenntnissen im Menschen: Das vorsprachliche Gebrabbel von Babys trägt entscheidend zum ihrem Lernerfolg während des Spracherwerbs bei.
Originalpublikation:
Babbling opens the sensory phase for imitative vocal learning
Albertine Leitão and Manfred Gahr
PNAS, online April 15, 2024
DOI: 10.1073/pnas.2312323121

18.04.2024, Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT)
Vierte globale Korallenbleiche: ZMT-Forscherin beobachtet Zustand der Riffe im östlichen tropischen Pazifik
Laut Forschenden der US-amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) und der International Coral Reef Initiative (ICRI) erleben die Riffe weltweit derzeit eine weitere globale Korallenbleiche. Während solche Ereignisse früher eher selten waren, ist dies nun das zweite Ereignis dieser Größenordnung in den vergangenen zehn Jahren und das vierte seit 1982. Dr. Sonia Bejarano vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) ist Teil des Global Coral Reef Monitoring Netzwerks, das über die Entwicklung dieser globalen ökologischen Krise berichtet.
Korallen sind Meerestiere, die Kolonien bilden und am Meeresboden leben. Sie bestehen aus kleinen Polypen und Mineralskeletten, die sie selbst aus Kalziumkarbonat produzieren. Ihre bunten Farben und einen Großteil der Energie, die sie zum Leben brauchen, verdanken Korallen Tausenden von mikroskopisch kleinen Algen, die im Inneren ihrer Polypen leben. Ist das Meerwasser für längere Zeit wärmer als normalerweise, versuchen die Korallen den Hitzestress zu überleben, indem sie ihre Algen abstoßen. Auch wenn die Korallen diesen Verlust eine Zeit lang überleben können, sind sie dadurch doch anfälliger für den Hungertod. Wenn Korallen ihre Algen abstoßen, verlieren sie auch ihre Farbe, und ihre weißen Korallenskelette schimmern durch die Polypen hindurch. Gebleichte Riffe sind in großer Gefahr abzusterben und schließlich zu erodieren.
Die derzeit zu beobachtende Bleiche ist eine Folge der anhaltenden, ungewöhnlich hohen Meerestemperaturen, die durch das Wetterphänomen „El-Niño“ noch verstärkt werden. Wie von der NOAA Coral Reef Watch (NOAA CRW) festgestellt, ist die Bleiche im Atlantik, Pazifik und Indischen Ozean weit verbreitet. „Von Februar 2023 bis April 2024 wurde sowohl in der nördlichen als auch in der südlichen Hemisphäre der großen Ozeanbecken eine signifikante Korallenbleiche dokumentiert“, sagt Dr. Derek Manzello, Koordinator des NOAA CRW.
Die Bleiche begann Anfang 2023 in allen Riffen weltweit und wurde seitdem in mindestens 53 Ländern und Gebieten bestätigt, darunter in den USA (Florida), in der Karibik, im östlichen tropischen Pazifik (Mexiko, El Salvador, Costa Rica, Panama und Kolumbien) und dem australischen Great Barrier Reef. Des weiteren betroffen sind große Teile des Südpazifiks (inkl. der Inselstaaten Fidschi, Vanuatu, Tuvalu, Kiribati und Samoa), das Rote Meer, der Persische Golf und der Golf von Aden. Die jüngsten Meldungen bestätigen auch eine weit verbreitete Korallenbleiche in Teilen des Indischen Ozeans (Tansania, Mauritius, die Seychellen, Tromelin, Mayotte) und vor der Westküste Indonesiens.
„Die Riffe im östlichen tropischen Pazifik sind von diesem Hitzestress nicht verschont geblieben“, berichtet Sonia Bejarano, Korallenriffökologin am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung in Bremen. „Seit April 2023 haben wir eine lokale Bleiche in den mittelamerikanischen Riffen festgestellt. Vom Norden Mexikos bis zu den Chilenischen Inseln haben wir die Riffe genau beobachtet. Es war ein intensives Jahr, in dem wir das Ausbleichen ganzer Riffgebiete feststellen mussten. Aber es gab auch einige Hoffnungsschimmer, da wir sehen konnten, dass andere Riffe nicht so stark betroffen sind oder sich auf dem Weg der Besserung befinden“, fügt die Forscherin hinzu.
Der östliche tropische Pazifik erstreckt sich vom Golf von Kalifornien im Norden bis nach Ecuador, den Galapagos-Inseln und den chilenischen Inseln Pascua und Sala y Gomez im Süden und grenzt an die Westküste von Süd- und Mittelamerika. Nach dem Indopazifik und der Karibik ist dieses die drittgrößte Region mit Korallenriffen. Als Teil des Global Coral Reef Monitoring Network der International Coral Reef Initiative (ICRI) beobachtet hier ein Netzwerk von 32 lateinamerikanischen Forschenden das Fortschreiten der Korallenbleiche in der gesamten Region.
Seit Mitte 2023 haben die Wissenschaftler:innen insgesamt 72 Standorte im östlichen tropischen Pazifik untersucht. 38 dieser Standorte weisen Anzeichen einer schweren Bleiche auf, während in 20 von ihnen einige Korallengebiete abgestorben sind. „Es ist noch ungewiss, wie sich die Riffe bis 2024 entwickeln werden. Unser Team wird die Riffe weiterhin genau untersuchen, um zu verstehen, wo unsere Hotspots der Anfälligkeit für Bleiche und der Widerstandsfähigkeit liegen, und um diese Informationen zu nutzen, um die bestmöglichen Strategien für den Schutz und die Wiederherstellung der Riffe zu entwickeln“, so Bejarano.
Besonders wenn sie weltweit auftritt, hat die Korallenbleiche starke Auswirkungen auf die Wirtschaft, die Lebensgrundlage der Menschen und die Ernährungssicherheit der Länder. Ein ausgebleichtes Riff ist aber kein totes Riff, sondern ein Riff, das ums Überleben kämpft. Wenn sich die Meerestemperaturen wieder normalisieren, können sich die Korallen erholen, und die Riffe weiterhin wertvolle Nahrungs- und Einkommensquellen für die Menschen vor Ort sein, die von ihnen abhängig sind. Diese globale Bleiche erfordert globales Handeln. Die International Coral Reef Initiative (ICRI), ein Zusammenschluss von 101 Mitgliedern, setzt sich unermüdlich für die Umsetzung von Managementplänen für Riffe ein, um deren Widerstandsfähigkeit zu stärken.
Im östlichen tropischen Pazifik beherbergen die Riffe einen großen Teil der biologischen Vielfalt unserer Meere. Viele Menschen sind für ihre Ernährung oder ihren Lebensunterhalt durch Fischfang oder Tourismus auf die Riffe angewiesen. Obwohl viele der Riffe in Meeresschutzgebieten wie Nationalparks, Reservaten oder Naturschutzgebieten liegen, sind in vielen dieser Schutzzonen weiterhin Fischfang und andere menschliche Aktivitäten erlaubt, was zu zusätzlichem Stress für die Riffe führt. Aus diesem Grund wurden bereits verschiedene Maßnahmen zur Wiederherstellung von Korallenriffen ergriffen. „Es muss weiterhin in die Grundlagenforschung investiert werden, um all diese Bemühungen so zu steuern, dass sie strategisch und koordiniert erfolgen, so kosteneffizient wie möglich sind und nicht zu ökologischen Katastrophen führen“, sagt Riffökologin Bejarano.
Globale Bleichereignisse treten in allen tropischen Meeren der Welt auf, schädigen jedoch nicht alle Riffe gleichermaßen. Deshalb ist es wichtig, die Schutzbemühungen auf lokaler, nationaler und regionaler Ebene zu intensivieren und die Korallenriffe ständig und nicht nur während der Bleiche zu überwachen. „Monitoring- Systeme für Korallenriffe, wie sie von verschiedenen Universitäten, Regierungsbehörden und Nichtregierungsorganisationen unterhalten werden, sind dabei essentiell“, erklärt Sonia Bejarano.
Weitere Informationen
Am Dienstag, 14. Mai veranstaltet die International Coral Reef Initiative (ICRI) ein Webinar (auf Englisch) zur 4. globalen Korallenbleiche und informiert über die Ursachen und Folgen und welche Lösungen in unserer Reichweite liegen.
Anmeldung unter: https://icriforum.org/events/fourth-global-bleaching-event/
Online-Platform Coral Bleaching Hub: https://icriforum.org/bleaching-hub/

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