Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

19.06.2023, Schweizerischer Nationalfonds SNF
Vögel stossen bei ihrer Flucht vor der Klimaerwärmung auf Berg und Meer
Eine aktuelle Studie zeigt, dass europäische Vögel, die wegen der Klimaerwärmung in kühlere Gebiete ziehen wollen, durch natürliche Hindernisse gebremst werden.
Zwei Drittel der europäischen Vogelarten sind in den letzten 30 Jahren in kühlere Gebiete gezogen und leben heute durchschnittlich 100 Kilometer weiter nördlich oder östlich. Grund dafür ist die Klimaerwärmung. Doch auf der Suche nach geeigneten Lebensräumen treffen sie auf natürliche Hindernisse wie Gebirge und Meere. Dies zeigt eine Studie, die eine vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützte Forschungsgruppe in der Zeitschrift PNAS (*) veröffentlicht hat.
Natürliche Hindernisse
In dieser Studie wurden beinahe alle europäischen Vogelarten erfasst. Die Forschenden untersuchten die Auswirkungen von grossen Landschaftsbarrieren wie Bergketten und Küsten auf die Wanderbewegungen dieser Vögel in den letzten 30 Jahren. Es zeigte sich, dass diese natürlichen Hindernisse sowohl einen Einfluss darauf hatten, welche Distanzen die Vögel zurücklegten als auch darauf, in welche Richtung sie flogen. «Innerhalb der Beobachtungszeit bewegten sich die Vögel zum Beispiel weiter weg von ihrem ursprünglichen Lebensraum, wenn sie fernab von Küsten lebten», erklärt Laura Bosco, Forscherin an der Universität Helsinki und Autorin der Studie. Die Forschenden kamen deshalb zum Schluss, dass die Küsten für die Vögel ein ernstzunehmendes Hindernis darstellen. «Wir wussten bereits, dass die Vögel ihren Lebensraum nicht schnell genug verlegen, um sich weiter in den für sie geeigneten Klimabedingungen aufhalten zu können. Jetzt haben wir einen Teil der Erklärung für dieses Phänomen», erklärt Bosco.
Bedrohte Bergvögel
Wichtig sind diese Ergebnisse, um die möglichen Auswirkungen der Klimaerwärmung auf die europäische Vogelwelt besser zu verstehen. Wenn Vögel von natürlichen Hindernissen aufgehalten werden, besteht die Gefahr, dass sie in klimatisch ungünstigen Lebensräumen verbleiben. Gewisse Arten könnten dadurch vom Aussterben bedroht sein. «Die Vogelwelt in Küstengebieten besteht oft aus seltenen Arten», zeigt sich die Wissenschafterin deswegen besorgt. Aber auch alpine Lebensräume in der Schweiz, wo spezialisierte Arten wie der Schneesperling (Montifringilla nivalis), das Alpenschneehuhn (Lagopus muta) oder der Bergpieper (Anthus spinoletta) zu Hause sind, könnten betroffen sein. Diese Vögel ziehen es nämlich vor, in den ihnen bekannten alpinen Höhenlagen zu bleiben. Die Durchquerung eines tiefer gelegenen Tals kann für sie zum Hindernis werden.
Originalpublikation:
(*) Bosco et al.: Ecological barriers mediate spatiotemporal shifts of bird communities at a continental scale. PNAS (2023). https://doi.org/10.1073/pnas.2213330120

20.06.2023, Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) e. V.
Sisis Abflug in der Morgendämmerung
So früh und so jung wie kein anderer bisher in Deutschland ausgewilderter Bartgeier hat Sisi die umzäunte Nische verlassen
Offizielle Bartgeier-Führungen buchbar
27 Tage nachdem der bayerische Naturschutzverband LBV (Landesbund für Vogel- und Naturschutz) und der Nationalpark Berchtesgaden am 24. Mai im Klausbachtal zum dritten Mal zwei noch flugunfähige junge Bartgeier ausgewildert haben, hat der erste der beiden Vögel die eingezäunte Felsnische verlassen (siehe Video). „Heute Morgen um 04.38 Uhr hat Sisi uns alle überrascht und ist zum ersten Mal abgehoben und aus der Nische geflogen. Dies kam allerdings nicht völlig unerwartet, nachdem sie zuletzt schon deutliche Anzeichen für ihren unmittelbar bevorstehenden Jungfernflug gezeigt hatte“, erklärt LBV-Projektleiter Toni Wegscheider. Bis auch der zweite Jungvogel Nepomuk zum ersten Flug ansetzt, ist es nur noch eine Frage der Zeit. Auch diesen Erstflug kann jede*r mit etwas Glück live per Webcam auf der Webseite des LBV oder des Nationalparks Berchtesgaden mitverfolgen.
„Es ist von Mal zu Mal faszinierend, wie leicht sich diese großen Jungvögel plötzlich in die Luft erheben. Dieser Moment steht symbolhaft für die Rückkehr dieser tollen Vogelart in die freie Wildbahn“, freut sich auch Nationalparkdirektor Dr. Roland Baier. Und der LBV-Vorsitzende Dr. Norbert Schäffer ergänzt: „Ab sofort ist mit Sisi ein weiterer wilder Bartgeier Teil der bayerischen Alpen und wir sind überglücklich, dass wir sie nach einer morgendlichen Suchaktion sicher auf einem Felsen sitzend wiederentdeckt haben.“
Intensives Flugtraining im Vorfeld
Ihrem Instinkt folgend haben die vergangenen Wochen beide Bartgeier von Tag zu Tag mehr Übungsflügelschläge absolviert. Hunderte solcher Schläge und täglicher Flattersprünge wirken wie ein intensives Training der Flugmuskulatur als Vorbereitung für den Erstflug. „Beide Geier haben ähnlich viel geübt wie ihre vier bereits ausgewilderten Vorgängerinnen. Besonders Nepomuk, der eine Woche jünger und deutlich kleiner als Sisi ist, hat uns bisher mit seinem Übungseifer überrascht“, beschreibt Nationalpark-Projektleiter Ulrich Brendel.
Sehr unterschiedlicher Verlauf der Erstflüge
Auch im dritten Jahr war der erste Bartgeier bei seinem Jungfernflug für eine echte Überraschung gut. „Noch bevor die ersten Mitarbeitenden aus dem Bartgeierteam wie jeden Morgen um 5 Uhr ihre Posten an der Beobachtungsplattform bezogen hatten, hob Sisi bereits in der Dämmerung und im Alter von gerade mal 114 Tagen zum ersten Mal in ihrem jungen Bartgeierleben vom Boden ab und flog aus der umzäunten Auswilderungsnische. Schon die letzten Tage war sie sehr unruhig und hatte neue Winkel der Nische erkundet. Dabei hat sie sich an Felsplatten hinabgehangelt und mehrere meterweite Flattersprünge gezeigt“, beschreibt Toni Wegscheider. Im Vergleich zum Alter der meisten anderen ausgewilderten jungen Bartgeier im europäischen Wiederansiedelungsprogramm war Sisi mit 114 Tagen beim ersten Flug auch sehr jung, hatte sich zuletzt aber bereits wie ein Jungvogel verhalten, der bereits eine Woche älter ist.
Die Bandbreite, wie unterschiedlich so ein erster Flug eines jungen Bartgeiers aussehen kann, zeigen die Verläufe der bisher ausgeflogenen Vögel, was die markanten individuellen Unterschiede dieser Art unterstreicht. „Von eleganten Gleitflügen mit sicherer Landung bis hin zum hektischen Flatterstart und einer ruppigen Bruchlandung im Wiesenhang unterhalb der Auswilderungsnische war das vom Beobachtungsteam bisher dokumentierte Spektrum beachtlich“, so Wegscheider weiter.
Außergewöhnliche Harmonie in der Nische
Nachdem die erste gemeinsame Woche in der Nische bei beiden vergangenen Auswilderungen von häufigen Aggressionen der Geier gegeneinander geprägt war, verlief das Zusammenleben in diesem Jahr von Anfang an überraschend harmonisch. Beide Geier schliefen regelmäßig zusammen auf einem Nest, bettelten sich gegenseitig um Futter an und schnäbelten vertraut miteinander. „Obwohl die Vögel in den Vorjahren schon als außergewöhnlich friedliche Konstellation eingeschätzt wurden, hatte wir dieses Mal erneut großes Glück. Meist verhalten sich Bartgeier als Einzelgänger deutlich aggressiver zueinander, was an anderen Projektorten teilweise sogar schon die nachträgliche Errichtung von Absperrungen in den Nischen erfordert hat“, weiß Ulrich Brendel.
Offizielle Bartgeier-Führungen
Am offiziellen Bartgeier-Infostand im Nationalpark an der Halsalm, der auf einer Wanderroute liegt, können sich in den kommenden Wochen alle Besuchenden täglich bei den Projektmitarbeitenden erkundigen, wo genau sich Sisi und Nepomuk gerade aufhalten und wo man sie beim Beobachten am wenigsten stört. Sowohl der LBV als auch der Nationalpark Berchtesgaden bieten jeden Dienstag und Donnerstag kostenlose Bartgeier-Führungen an, für die jedoch eine Anmeldung erforderlich ist. Informationen gibt es unter www.nationalpark-berchtesgaden.bayern.de im Bereich Veranstaltungen sowie unter bartgeier@lbv.de.
Futter in der Umgebung ist ausgelegt
In Vorbereitung auf den ersten Ausflug hat das Bartgeier-Team von Nationalpark und LBV bereits Futter in Rinnen in direkter Umgebung der Nische ausgebracht, das auch fußläufig für die beiden Geier erreichbar ist. Projektmitarbeitende werden auch in den kommenden Wochen immer vor Ort sein und das Verhalten der beiden jungen Bartgeier weiterhin genauso intensiv überwachen wie bisher.

21.06.2023, Julius Kühn-Institut, Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen
Nistmaterial von Mauerbienen enthält Insektizid-Rückstände
Das Begleitmonitoring zum Einsatz von gebeiztem Zuckerrübensaatgut zeigt: Honigbienen nehmen nur unbedenkliche Mengen von Thiamethoxam über blühende Beikräuter auf. Die Auswirkungen auf Wildbienen müssen künftig genauer berücksichtigt werden.
Der insektizide Wirkstoff Thiamethoxam ist in der EU und somit auch in Deutschland als Pflanzenschutzmittel nicht mehr zugelassen. Um jedoch Zuckerrüben vor Vergilbungsviren zu schützen, die von Blattläusen übertragen werden, erteilten sieben Bundesländer 2021 eine Notfallzulassung für Saatgut, das mit dem Stoff gebeizt, also ummantelt war. Diese Notfallzulassung war an die Bedingung geknüpft, dass ein Begleitmonitoring mit Honigbienen durchgeführt wird, um mögliche Nebenwirkungen auf Bienen zu dokumentieren.
Das Julius Kühn-Institut (JKI) hat dieses Monitoring gemeinsam mit dem Institut für Bienenkunde und Imkerei in Veitshöchheim und der Universität Hohenheim durchgeführt. Die Ergebnisse sind im Fachjournal „Environmental Toxicology and Chemistry“ erschienen, die Studie wurde für den Titel der Mai-Ausgabe ausgewählt: https://doi.org/10.1002/etc.5602
Da Zuckerrüben vor der Blüte geerntet werden, sind sie als Trachtpflanzen für Bienen nicht attraktiv. Ein mögliches Risiko geht aber von blühenden Beikräutern aus, die neben oder im Feld wachsen. Aus diesem Grund dürfen Landwirtinnen und Landwirte, die gebeiztes Zuckerrübensaatgut verwenden, Beikräuter nicht zur Blüte kommen lassen. Die untersuchten Honig-, Nektar und Bienenproben aus den Bienenvölkern sowie Pollen und Nesteingangsproben von Wildbienen-Niströhren waren frei von Rückständen. In 13 Prozent der Proben von Pollen und Bienenbrot der Bienenvölker und in einigen Proben der aus Erdschlamm gebauten Mittelwände der Wildbienen-Niströhren fanden sich jedoch Kleinstmengen von Thiamethoxam. Während die Rückstände in Pollen und Bienenbrot belegen, dass offensichtlich die blühenden Beikräuter im Zuckerrübenbestand nicht vollständig entfernt wurden, stammen die Rückstände in den Mittelwänden vom Feldbodenmaterial. Selbst wenn alle Auflagen der Notfallzulassung (wie das Entfernen von Beikräutern vor der Blüte) erfüllt worden wären, hätte dies eine Exposition des Bodens und des Nistmaterials also nicht verhindert. Ähnliches wurde bei dem hier untersuchten Wirkstoff bereits in vergleichbaren Studien beobachtet. Daher ist es wichtig, den in der Studie aufgezeigten Expositionsweg bei künftigen Forschungsarbeiten zu berücksichtigen. „Es hat sich aber herausgestellt, dass weder in einem akuten noch in einem chronischen Expositionsszenario ein Risiko für Honigbienen oder Wildbienen bestand“, fasst Dr. Richard Odemer vom JKI-Institut für Bienenschutz die Ergebnisse der Studie zusammen.
Zur Methodik
Die Untersuchung wurde an Feldern von mit dem Thiamethoxam-haltigen Mittel Cruiser 600 FS gebeizten Zuckerrüben in Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg durchgeführt. Gesammelt, beprobt und auf Rückstände untersucht wurden Matrizes direkt aus den Bienenvölkern (Nektar, Pollen, Bienen) sowie von den Feldern (Rübenblätter, Rübenschosser, Beikräuter). Insgesamt wurden 189 Proben von vier behandelten und drei unbehandelten Feldern genommen. Dabei zeigte sich, dass über blühende Beikräuter und den daraus gesammelten Pollen Kleinstmengen an Thiamethoxam in die Völker eingetragen wurden. Diese feldrealistischen Mengen wurden anschließend mit dem Risikobewertungstool BeeREX der US-Umweltagentur EPA analysiert.
Originalpublikation:
Richard Odemer, Elsa Friedrich, Ingrid Illies, Stefan Berg, Jens Pistorius, Gabriela Bischoff: Potential Risk of Residues From Neonicotinoid-Treated Sugar Beet Flowering Weeds to Honey Bees (Apis mellifera L.), in: Environmental Toxicology and Chemistry, 42, Nr. 5, pp. 1167–1177, 2023.
Doi: https://doi.org/10.1002/etc.5602

21.06.2023, Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) e. V.
Frühstart von Nepomuk: einen Tag nach Sisi fliegt zweiter Bartgeier völlig überraschend aus
Einer der frühsten Jungfernflüge in der europäischen Projektgeschichte
Nachdem gestern mit Sisi bereits der erste der beiden dieses Jahr vom bayerischen Naturschutzverband LBV (Landesbund für Vogel- und Naturschutz) und dem Nationalpark Berchtesgaden ausgewilderten junge Bartgeier seinen Jungfernflug absolviert hat, hat es ihr heute Morgen Geiermännchen Nepomuk völlig überraschend gleichgetan (siehe Video). „Um 7.20 Uhr ist Nepomuk aus der eingezäunten Felsnische im Klausbachtal abgehoben, wie ein Profi losgesegelt und hat seinen ersten Flug sehr elegant absolviert. Unser erstes Männchen im Projekt ist gerade einmal 107 Tag alt und somit einer der jüngsten Geier auf dem Jungfernflug in der über 30-jährigen Geschichte des europäischen Auswilderungsprogramms“, freut sich LBV-Projektleiter Toni Wegscheider.
Junge Bartgeier wagen ihren ersten Ausflug im Durchschnitt um den 120. Lebenstag. Da Nepomuk eine Woche jünger und deutlich kleiner als Sisi ist, kam sein Jungfernflug heute Morgen für das gesamte Projektteam sehr überraschend. „Auch wenn Nepomuk in den vergangenen Tagen für sein junges Alter seine Flugmuskulatur mit täglichen intensiven Übungsflügelschlägen bereits sehr fortgeschritten trainierte, hat wirklich niemand von uns damit gerechnet, dass er mit gerade mal 107 Tagen schon den Ausflug aus der Nische wagt“, so Nationalparkdirektor Dr. Roland Baier.
Nach kurzem Anvisieren seiner Zielregion flog Nepomuk in der Morgensonne außergewöhnlich souverän ab und segelte in Richtung eines zuvor vom Projektteam bestückten Futterplatzes. „Nach seiner Landung in einer Felsrinne hat sich der noch sehr zierliche Bartgeier erst mal einige Zeit in der neuen Situation orientiert. Erfahrungsgemäß folgen nach dem Erstflug aber bereits am selben Tag weitere Übungsflüge, die genau wie die von Sisi vom ständig präsenten Betreuungsteam überwacht werden“, erklärt Toni Wegscheider.
Neben dem Futter, das das Bartgeier-Team von Nationalpark und LBV bereits in Vorbereitung auf die beiden Ausflüge in Felsrinnen in direkter Umgebung der Nische ausgebracht hat, haben die Vorjahre gezeigt, dass die Vögel im Nationalpark ausreichend Futter für Aasfresser finden. „Trotz weiterhin bestückter Futterplätze haben alle Geier das Auswilderungsgebiet irgendwann kaum mehr angeflogen und waren überraschend schnell unabhängig von menschlicher Unterstützung. Einen ähnlichen Verlauf erwarten wir auch dieses Jahr mit Sisi und Nepomuk“, berichtet Toni Wegscheider.
Projektmitarbeitende werden auch in den kommenden Wochen immer vor Ort sein und das Verhalten der beiden jungen Bartgeier weiterhin genauso intensiv überwachen wie bisher. Auch wenn die jungen Bartgeier ihre Erstflüge souverän absolviert haben, werden die beginnenden Übungsflüge es beiden Vögeln bereits nach wenigen Wochen ermöglichen, elegant in den Gipfelregionen des Nationalparks zu kreisen. „Naturfotografinnen und Naturfotografen werden angehalten, großen Abstand zu den beiden Bartgeiern zu halten. Nationalpark-Ranger sind vermehrt im Einsatz, um die jungen Bartgeier vor aufdringlichen Gästen zu schützen“, sagt Roland Baier.
Wo fliegen die anderen Bartgeier?
Bavaria fühlt sich schon länger im Salzachtal östlich des Nationalparks Berchtesgaden sehr wohl. Zusammen mit der ein Jahr jüngeren Recka fliegt sie dort bevorzugt im österreichischen Tennen- und Hagengebirge umher. Mit etwas Glück können in der Gegend sogar beide Bartgeier zusammen beobachtet werden. Dagmar zeigt von allen bisherigen bayrischen Bartgeiern den größten Entdeckungsdrang und erkundet weite Gebiete der Schweiz, Südtirols und des Alpenhauptkamms und verweilt aktuell in Frankreich. Die aktuellen Flugrouten aller drei Bartgeier-Damen sowie die kommenden Ausflüge von Sisi und Nepomuk, sobald sie im Spätsommer das Klausbachtal verlassen haben, können auf der Webseite des LBV mitverfolgt werden unter www.lbv.de/bartgeier-auf-reisen.
Bartgeiersichtungen dem LBV melden
Neben den aktuell häufig im Umfeld des Nationalparks fliegenden Bavaria und Recka wurden in letzter Zeit auch mehrfach andere durchziehende Bartgeier in den bayrischen Alpen gesichtet. Der LBV ruft deshalb alle dazu auf, den bayerischen Naturschützer*innen in Zukunft vor allem außerhalb des Auswilderungsbereichs Sichtungen von Bartgeiern per E-Mail zu melden unter bartgeier@lbv.de oder per Online-Formular. „Am wichtigsten ist uns, dass beim Melden immer ein Foto oder Video mitgeschickt wird, selbst wenn es nur unscharf mit dem Smartphone aufgezeichnet wurde“, so Toni Wegscheider. Wenn möglich sollten dabei auch noch die Flugrichtung und Aktivitäten beschrieben werden, sowie möglichst genaue Gefiedermerkmale wie die Farbe der Federn an verschiedenen Körperstellen sowie helle Flecken oder Markierungen.

22.06.2023, Eberhard Karls Universität Tübingen
Tiere suchten schon vor mehr als 30.000 Jahren die Nähe zu Menschen
Team der Universität Tübingen und des Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment erforscht altsteinzeitliche Beziehungen von Mensch und Rabe
Wilde Tiere gingen Beziehungen zu Menschen ein, lange bevor diese im Neolithikum vor rund 10.000 Jahren sesshaft wurden. So bedienten sich zum Beispiel Raben in der Kultur des Pavlovien vor mehr als 30.000 Jahren im heutigen tschechischen Mähren an Mammuts, die von den damaligen Menschen erbeutet wurden. Diese wiederum hatten auf vielfältige Weise im Alltag mit Raben zu tun. Der Einfluss des Menschen auf das Nahrungsverhalten der Raben wurde nun erstmals in einer naturwissenschaftlichen Studie an dortigen archäologischen Fundstätten untersucht.
Die Hauptautoren des Artikels sind Dr. Chris Baumann, der an den Universitäten Tübingen und Helsinki forscht, und Dr. Shumon T. Hussain von der Universität Aarhus sowie Professor Hervé Bocherens von der Universität Tübingen und dem Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment. Die neue Studie wurde in der Fachzeitschrift Nature Ecology and Evolution veröffentlicht. In einer früheren Publikation, erschienen in Archaeological and Anthropological Sciences, hatte Chris Baumann bereits allgemein darüber berichtet, dass Belege für das Zusammenleben von Tier und Mensch tief ins Pleistozän zurückreichen und dass solche Beziehungen schon frühe Ökosysteme formten.
Ähnliches Nahrungsspektrum
Raben haben ein sehr breites Nahrungsspektrum, sind neugierig und zeichnen sich durch ein flexibles Verhalten aus. Ihre Knochen wurden in großer Zahl an den tschechischen Fundstätten Předmostí I, Pavlov I und Dolní Věstonice I entdeckt. „Die Anzahl an Rabenknochen aus den mährischen Fundstellen ist bemerkenswert und sicherlich ungewöhnlich für den Untersuchungszeitraum“, sagt Shumon T. Hussain. Daher vermuteten die Forscherinnen und Forscher, dass sich die Raben in der Nähe der Menschen aufhielten und möglicherweise von deren Anwesenheit profitierten. Das Forschungsteam untersuchte daraufhin die Knochen von zwölf Kolkraben mit naturwissenschaftlichen Methoden und rekonstruierte ihr Hauptnahrungsspektrum anhand der Analyse stabiler Stickstoff-, Kohlenstoff- und Schwefelisotope. „Diese altsteinzeitlichen Raben ernährten sich überwiegend von dem Fleisch großer Pflanzenfresser, häufig von Mammuts, ähnlich wie die damals lebenden Menschen“, erklärt Chris Baumann. „Wir gehen deshalb davon aus, dass sie vor allem von Mammutkadavern in der Nähe von menschlichen Lagern angezogen wurden.“
Das Verhalten der Tiere begann sich an dem der Menschen zu orientieren, sagt das Forschungsteam. „Für diese wiederum wurden die Vögel zu einem Bestandteil ihrer Erfahrungs- und Gedankenwelt. Die Menschen scheinen den Raben in ihre Kultur aufgenommen zu haben, wie unter anderem polierte Rabenknochen sowie die auffällig hohe Anzahl an Flügelknochen im Fundmaterial zeigen“, sagt Hussain. Dies hatten bereits frühere Studien zu den Rabenknochen ergeben. Weitere umfassende Untersuchungen zur Evolution von Mensch-Tier-Beziehungen seien deshalb wichtig, um die frühen Ökosysteme von eiszeitlichen Jägern und Sammlern besser zu verstehen, sagen die Forscherinnen und Forscher. Sie bezeichnen das Verhalten der Raben als synanthropisch. Synanthropen sind wilde Tiere, die von einem mit Menschen geteilten Ökosystem profitieren.
Der Mythos von der unberührten Natur
„Vielfach wird angenommen, dass die frühen Menschen in und mit einer praktisch unberührten Natur gelebt hätten. Das ist jedoch sehr simplifizierend und so auch nicht richtig. Wir wissen inzwischen, dass Menschen durch ihr Verhalten Ökosysteme schon vor mindestens 30.000 Jahren beeinflussten und nachhaltig veränderten“, sagt Chris Baumann. Essensreste der Menschen bildeten eine stabile Nahrungsbasis für kleine Aasfresser. Solche neuen Nischen seien mit der Zeit stärker beansprucht worden, sodass wiederum die Menschen diese Tiere leichter fangen und als Quelle für Fleisch, Fell und Federn nutzen konnten. Als Nachteil dieser Entwicklung könnten sich jedoch Zoonosen, also zwischen Mensch und Tier übertragbare Infektionskrankheiten, leichter ausgebreitet haben.
Originalpublikation:
Chris Baumann, Shumon T. Hussain, Martina Roblíčková, Felix Riede, Marcello A. Mannino, Hervé Bocherens: Evidence for hunter-gatherer impacts on raven diet and ecology in the Gravettian of Southern Moravia. Nature Ecology and Evolution, https://doi.org/10.1038/s41559-023-02107-8
Chris Baumann: The paleo‑synanthropic niche: a first attempt to define animal’s adaptation to a human‑made micro‑environment in the Late Pleistocene. Archaeological and Anthropological Sciences, https://doi.org/10.1038/s41559-023-02107-8

22.06.2023, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Wie Proteine Säugetier-Spermien auf ihrem Weg zur Eizelle schützen
Die Samenflüssigkeit von Säugetieren enthält eine Vielzahl von Eiweißen, die von den Geschlechtsanhangsdrüsen ausgeschüttet werden und wichtig für die Vorgänge bei der Befruchtung sind. Eines dieser Eiweiße, welches bei Huftieren – und in besonders großer Menge bei Schweinen – vorkommt, ist das Spermadhesin AQN-3. Ein Forschungsteam des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW), der Humboldt-Universität zu Berlin (HUB) und des Leibniz-Forschungsinstituts für Molekulare Pharmakologie hat das Protein untersucht und unerwartete Eigenschaften entdeckt, die dazu beitragen könnten, dass Spermien bis zum Erreichen der Eizelle funktionsfähig bleiben.
Die Erkenntnisse sind in der Fachzeitschrift „Chemistry and Physics of Lipids“ veröffentlicht.
Die Eiweiße in der Samenflüssigkeit gelten als wichtig für das Überleben der männlichen Keimzellen und deren Wechselwirkungen mit den Komponenten des weiblichen Genitaltraktes, ohne dass bisher vollständig klar ist, wie das im Einzelnen funktioniert. In der Samenflüssigkeit von Huftieren gibt es fünf verschiedene Eiweiße, die sich an die Spermienoberfläche anheften (Spermadhesine), in besonders großer Menge im Sperma bei Schweinen.
Um die Funktion dieser Eiweiße zu verstehen, wurden für Forschungszwecke die Spermadhesine AWN und AQN-3 künstlich in Bakterien hergestellt. In einer früheren Arbeit zeigte das Wissenschaftsteam um Karin Müller und Beate Braun vom Leibniz-IZW, dass AWN spezifisch an negativ geladene Lipide bindet. Diese sind jedoch primär auf der ins Innere der Spermienzelle gerichteten Hälfte der Zellmembran zu finden. Damit ergab sich die Frage, wie sich die Spermadhesine an die Oberfläche der Spermien anheften? Da aus Arbeiten anderer Gruppen bekannt ist, dass AWN mit AQN-3 Aggregate bildet, wurde nun untersucht, ob AQN-3 an typische Lipide auf der Außenseite der Spermienmembran bindet, wie Phosphatidylcholin und Sphingomyelin. „Überraschenderweise zeigte sich in den genutzten Modellsystemen mit Lipidstreifen und –vesikeln, dass auch AQN-3 eine selektive Bindung mit negativ geladenen Lipiden eingeht, wie z. B. mit Phosphatidsäure und verschiedenen Phosphatidylinositol-Phosphaten“, erklärt Müller. Darüber hinaus besitzt AQN-3 eine extreme Neigung zur Bildung von Aggregaten mit sich selbst und anderen Eiweißen.
Studien anderer Arbeitsgruppen beschreiben noch ein weiteres Eiweiß in den Aggregaten aus nativem AWN und AQN-3 in der Samenflüssigkeit, das Eiweiß pB1. „Das pB1 Protein gehört zu einer Gruppe von Proteinen, von denen bekannt ist, dass sie in Spermien von Rinderarten an das Phosphatidylcholin auf der Außenseite der Zellmembran binden und so stabilisierend wirken“, sagt Peter Müller von der Humboldt-Universität zu Berlin. Es wird deshalb vermutet, dass pB1 durch Aggregatbildung die schützende Proteinhülle aus AWN und AQN-3 in der Zellmembran von Spermien verankert. Negativ geladene Lipide wie Phosphatidylinositol-Phosphate dienen als Signalmoleküle bei der Befruchtung. Werden sie vorzeitig gebildet und ausgeschleust, könnten sie durch Spermadhesine „abgefangen“ werden, bis die Spermien die Eizelle am Ort der Befruchtung erreicht haben.
Interessanterweise ist die Zusammensetzung der Proteinhülle um die Spermien artspezifisch. So bilden Spermadhesine nur bei Schweinen die Hauptkomponente in der Samenflüssigkeit. Es ergibt sich somit die Frage, wie deren Rolle bei anderen Arten ausgefüllt wird und ob ihre schützenden Eigenschaften bei der Anwendung von Techniken der assistierten Fortpflanzung im Rahmen von Arterhaltungsmaßnahmen genutzt werden könnten.
Publikationen
Müller K, Müller P, Lui F, Kroh PD, Braun BC (2023): Porcine spermadhesin AQN-3 binds to negatively charged phospholipids. CHEM PHYS LIPIDS.
Kroh PD, Braun BC, Lui F, Müller P, Müller K (2022): Boar spermadhesin AWN: Novel insights into its binding behavior and localization on sperm. BIOL REPROD. https://doi.org/10.1093/biolre/ioab244.

22.06.2023, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Globale Analyse zu Bestäubern in Städten: Wildbienen und Schmetterlinge besonders gefährdet
Schmetterlinge leiden am meisten unter dem Wachstum von Städten. Schrumpfende Lebensräume und Nahrungsangebote lassen ihren Bestand zurückgehen. Gleiches gilt für viele Wildbienen, die im Frühjahr in Städten zu finden sind, wie ein Team der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und der Chinesischen Akademie der Wissenschaften im Fachjournal „Ecology Letters“ berichtet. Noch hat das keine Auswirkung auf die Bestäubung von Pflanzen, weil zum Beispiel Honigbienen die Effekte kompensieren können. Die Studie ist die erste umfassende Analyse zu dem Thema und beinhaltet Daten aus 133 Studien. Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung von Naturschutzmaßnahmen in Städten.
Überall auf der Welt wachsen Städte – mit erheblichen Auswirkungen auf den Lebensraum vieler Tierarten. Die Folgen: versiegelte Flächen, eine geringere Pflanzenvielfalt und weitere Umweltbelastungen, wie Licht- und Luftverschmutzung. Besonders betroffen davon sind Bestäuber, deren Arbeit für Ökosysteme und damit die Ernährungssicherheit des Menschen unverzichtbar ist. „Es gibt eine Vielzahl von Studien, die das Zusammenspiel von Verstädterung, Bestäubern und der Bestäubungsleistung untersuchen und negative Folgen aufzeigen. Weil diese Arbeiten sehr aufwändig sind, sind die Studien meist auf einzelne Städte oder Regionen begrenzt“, sagt der Biologie Dr. Panagiotis Theodorou von der MLU. Um einen globalen Überblick zu erhalten, wertete er gemeinsam mit Forschenden der Chinesischen Akademie der Wissenschaften die Daten von 133 solcher Einzelstudien aus, die sich mit den Folgen von Städtewachstum für Bestäuber und ihre Bestäubungsleistung befassten. Die Arbeiten decken mit Ausnahme der Antarktiks alle Kontinente der Erde ab.
Die Ergebnisse zeigen ein eindeutiges Bild: „Mit steigender Urbanisierung nehmen die Häufigkeit und Artenvielfalt vieler Bestäuber ab“, so Theodorou. Allerdings sind bestimmte Gruppen stärker betroffen als andere. Den größten negativen Einfluss fand das Team bei Schmetterlingen. „Schmetterlinge sind besonders anfällig für Veränderungen in ihrer Umgebung. Für ihre Ernährung und Larvenentwicklung sind sie auf ganz bestimmte Pflanzen angewiesen. Da diese in Städten immer weniger zu finden sind, ist auch der Bestand vieler Schmetterlingsarten rückläufig“, erklärt Dr. Huan Liang vom Botanischen Garten Wuhan von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften. Besonders betroffen waren auch jene Bestäuber, die bereits zu Beginn des Frühlings unterwegs sind und sich vom Nektar und Pollen der Frühblüher ernähren: Wildbienen etwa, die im Boden nisten, fehlen in Städten häufig geeignete Brutstätten, ihr Bestand nimmt ab. Weniger betroffen sind dagegen Wildbienen, die in Löchern oder Insektenhotels nisten.
Die rückläufigen Zahlen zeigen aber in allen Studien keinen Einbruch bei der Bestäubungsleistung, die Pflanzen wurden weiterhin regelmäßig von Bestäubern angeflogen und produzierten weiterhin ausreichend Samen für ihre weitere Verbreitung. Den Forschenden zufolge ist das vor allem auf Honigbienen zurückzuführen, die gemeinsam mit Hummeln die eigentlich fehlende Bestäubungsarbeit kompensieren. „Honigbienen sind sehr produktiv und werden vielerorts von Hobby-Imkern gehalten“, so Liang. Das sei zwar gut für die städtischen Pflanzen, habe aber negative Folgen für andere Bestäuber, denn oft verdrängten Honigbienen nicht nur andere heimische Bestäuber, sie können auch Krankheiten auf andere Bestäuber übertragen.
Die Studie liefert wichtige Erkenntnisse für den Schutz der Biodiversität und eine nachhaltige Stadtentwicklung. Die Analyse ergab etwa, dass Städte mit einer größeren Blumenvielfalt in der Regel mehr und viele unterschiedliche Bestäuber beheimaten. „Wenn wir unsere Städte mit Blick auf das Angebot für Bestäuber besser gestalten, können wir zumindest einen Teil der negativen Folgen des Städtewachstums kompensieren“, fasst Theodorou zusammen.
Die Studie wurde von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und der Nationalen Stiftung für Naturwissenschaften in China gefördert.
Originalpublikation:
Studie: Liang H., He Y.-D., Panagiotis T., Yang C.-F. The effects of urbanisation on pollinators and pollination: A meta-analysis. Ecology Letters (2023). doi: 10.1111/ele.14277
https://doi.org/10.1111/ele.14277

22.06.2023, Bundesanstalt für Gewässerkunde
Fischsterben in der Oder im August 2022: BfG legt neue Erkenntnisse und Empfehlungen vor
Der heute veröffentlichte Bericht der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) gibt einen umfassenden Überblick zu den an der Bundesanstalt durchgeführten Untersuchungen zum Fischsterben in der Oder im August 2022. Darin enthalten sind neue Erkenntnisse, die ein genaueres Bild zur Entstehung der Katastrophe zeichnen sowie Empfehlungen, die dazu beitragen sollen, „ökologische Extremereignisse“ in der Oder und anderen Flüssen zukünftig frühzeitig zu erkennen und dadurch Gegenmaßnahmen einleiten zu können.
Die BfG-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler verdeutlichen in dem Bericht, dass die Kombination aus erhöhtem Salzgehalt, hohen Temperaturen, starker Sonneneinstrahlung und langanhaltend niedrigem Abfluss im Sommer 2022 die massenhafte Vermehrung der Brackwassermikroalge Prymnesium parvum in weiten Teilen der Oder ermöglichte. Den BfG-Fachleuten gelang es nicht nur die Alge, sondern auch das von ihr produzierte Algentoxin Prymnesin-B1 im Oderwasser nachzuweisen. Da in den umfassenden Analysen keine weiteren Schadstoffe in fischtoxischen Konzentrationen gefunden wurden, schlussfolgerten die Autoren/-innen, dass die Algentoxine von Prymnesium parvum der Auslöser für das massenhaften Sterben von Fischen und anderen Organismen waren.
Zur Identifizierung und Quantifizierung der Algenart nutzten die Forschenden u. a. molekularbiologische Methoden (PCR-Verfahren und DNA-Metabarcoding). Diese stehen an der BfG nun zusammen mit der Methode zur Bestimmung der Algentoxine zur Verfügung und können auch im Falle erneuter Algenblüten in der Oder sowie anderen Flüssen schnell zum Einsatz kommen und somit zu einer frühzeitigen Risikoabschätzung beitragen.
Dies ist aus Sicht der am Bericht beteiligten Autoren/-innen dringend erforderlich: Basierend auf den hydrologischen Auswertungen der vergangenen Jahre ist auch zukünftig mit vergleichbaren Niedrigwassersituationen an der Oder zu rechnen.
Eine entscheidende Voraussetzung für die Entstehung der Algenblüte war der erhöhte Salzgehalt in der Oder. Im Vergleich zu Analysen von Wasserproben aus anderen Flussgebieten Deutschlands konnte durch die BfG-Analysen nachgewiesen werden, dass die Konzentrationen des ansonsten nur sehr selten bestimmbaren Elementes Rhenium (Re) im Oderwasser außergewöhnlich erhöht waren. Dies ist ein deutlicher Hinweis auf eine maßgebliche Einleitung salzhaltiger Abwässer aus dem polnischen Bergbau. Hierfür sprechen auch die enormen Salzmengen von im Durchschnitt 4.000 Tonnen Kochsalz, die zusätzlich je Tag in dem Zeitraum der Algenblüte eingebracht wurden. Diese Menge entspricht in etwa dem Inhalt von 200 Güterwaggons Salz je Tag.
Wie lässt sich ein erneutes Fischsterben verhindern?
Ausgehend von der erarbeiteten wissenschaftlichen Basis leiteten die BfG-Fachleute in dem Bericht disziplinübergreifend Empfehlungen ab. Diese sind auch auf andere Flüsse übertragbar, um anderenorts vergleichbare Katastrophen zu verhindern. Die BfG-Fachleute empfehlen:
1. Eine Ausweitung des Algen-Monitorings, inklusive der Algentoxine, und verbesserte Onlinebereitstellung der Daten. Hierzu stehen sichere molekularbiologische Methoden als „Schnelltests“ für die frühzeitige Erkennung von Prymnesium parvum bereit.
2. Eine Vermeidung begünstigender Faktoren für Algenblüten, insb. durch ein an die klimatischen Bedingungen angepasstes Management von Stoffeinleitungen sowie die Reduzierung von Nährstoffeinträgen.
3. Die Kontrolle und Eindämmung schädlicher Algenblüten sowie die Schaffung von Rückzugshabitaten für die natürliche Flussfauna.
4. Ein konzertiertes Vorgehen von Landes- und Bundesbehörden bei zukünftigen Krisenfällen nach dem Vorbild der Ursachenaufklärung des Fischsterbens in der Oder 2022.
Wie dringend die Empfehlungen der BfG umgesetzt werden sollten, zeigen die aktuellen Entwicklungen: In den Seitenkanälen der Oder sind nach Angaben des polnischen Umweltministeriums in den vergangenen Tagen bereits hunderte Kilogramm an Fischen verendet – ein deutliches Warnsignal. „Angesichts der aktuell steigenden Temperaturen, fallender Wasserstände und dem unverändert erhöhten Salzgehalt der Oder halte ich es für sehr gut möglich, dass es auch in diesem Sommer zu einem erneuten großflächigen Fischsterben in der Oder kommt“, sagt Dr. Jan Wiederhold. Der Geoökologe koordinierte die Entstehung des BfG-Berichts zum Fischsterben in der Oder.
Die BfG beteiligte sich schon früh an der Suche nach den möglichen Ursachen des Fischsterbens und führte 2022 eine Vielzahl von Analysen durch. Nach Anfragen des Landeslabors Berlin-Brandenburg und des Landesamtes für Umwelt Brandenburg sowie in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz leistete die BfG Amtshilfe in verschiedenen Bereichen. Einige der damals erarbeiteten Ergebnisse gingen in Kurzform in den am 30.09.2022 vorgestellten Statusbericht der „Nationalen Expert*innengruppe zum Fischsterben in der Oder“ ein.
Originalpublikation:
https://doi.bafg.de/BfG/2023/BfG-2143.pdf

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