Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

08.05.2023, Veterinärmedizinische Universität Wien
Vögel und Biologger – auf die richtige Form und Position kommt es an
Biologger werden auf Vögeln häufig zu Forschungszwecken angebracht und sammeln wichtige Daten. Anhand des Waldrapps – einem vom Aussterben bedrohten Vogel – untersuchte ein Forschungsteam unter Leitung des Forschungsinstituts für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Vetmeduni nun im Windkanal den aerodynamischen Einfluss dieser Apparate. Dabei zeigte sich, dass sich die Geräte massiv auf den Energieverbrauch und die zurückgelegten Flugdistanzen auswirken. Durch aerodynamische Optimierung und die richtige Positionierung am Körper der Vögel lassen sich jedoch die nachteiligen Effekte deutlich reduzieren.
Bisher gibt es nur wenige wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Auswirkungen von Biologgern auf die Aerodynamik und Hydrodynamik von Tieren. Das steht in deutlichem Kontrast zum intensiven Einsatz solcher Technologien bei wild lebenden Tieren. In letzter Zeit mehrten sich die Bedenken hinsichtlich der beeinträchtigenden Wirkungen dieser Geräte.
Während das Augenmerk lange ausschließlich auf Gewichtsreduzierung gerichtet war, untersuchten die Forscher:innen nun die aerodynamischen Effekte von Biologgern. Zu diesem Zweck wurden Waldrappe (Geronticus eremita) darauf trainiert, in einem Windkanal zu fliegen. Dabei wurden die Herzfrequenz und die dynamische Körperbeschleunigung (VeDBA; dynamic body acceleration) als Parameter für den Energieverbrauch in Bezug auf verschiedene Logger-Formen und Windströmungsrichtungen gemessen.
Der optimale Biologger: Hinten am Körper angebracht und aerodynamisch geformt
„Unsere Daten belegen, dass die Position von Biologgern die Flugdistanzen und die Form den Energieverbrauch erheblich beeinflussen. Ungünstige Form und Positionierung wirken sich nicht nur auf den Kraftaufwand beim Schlagflug aus. Der energetisch wahrscheinlich wichtigere Effekt besteht darin, dass die Geräte die Gleit- oder Höhenflugfähigkeit des Vogels beeinträchtigen und ihn so dazu zwingen, den energetisch viel anspruchsvolleren Schlagflug häufiger durchzuführen“, fasst Studien-Erstautorin Ortal Mizrahy-Rewald vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (Vetmeduni) die zentralen Studienergebnisse zusammen.
Eine ergänzende Studie mit wilden Waldrappen während des Frühjahrszugs belegt, dass die Position der Geräte auf dem Rücken der Vögel die Länge der Flugetappen beeinflusst. „Vögel, die die Geräte oben auf dem Rücken trugen, hatten signifikant kürzere Flugphasen im Vergleich zu Vögeln mit einem weiter hinten positionierten Gerät“, so Ortal Mizrahy-Rewald.
Geringer Aufwand, um schädliche Wirkungen zu reduzieren
Durch eine konsequent aerodynamische Gestaltung des Gehäuses und eine verstärkte Berücksichtigung der Aerodynamik beim Anbringen des Gerätes lassen sich laut den Wissenschafter:innen schädliche Wirkungen mit geringem Aufwand reduzieren. Bei Vögeln ist die Befestigung von Biologgern über Beinschlaufen am unteren Rücken der üblichen Befestigung über Flügelschlaufen am oberen Rücken eindeutig vorzuziehen. Allerdings kann die Bedeutung eines verringerten Luftwiderstands variieren, da je nach verwendetem System die Vorteile eines Biologgers in der Nähe des Schwerpunkts den Nachteil durch den erhöhten Luftwiderstand überwiegen können.
Originalpublikation:
Der Artikel „The impact of shape and attachment position of biologging devices in Northern Bald Ibises“ von Ortal Mizrahy Rewald, Natalie Winkler, Frederik Amann, Katharina Neugebauer, Bernhard Voelkl, Herwig A. Grogger, Thomas Ruf und Johannes Fritz wurde in „Animal Biotelemetry“ veröffentlicht.
Zum wissenschaftlichen Artikel: https://animalbiotelemetry.biomedcentral.com/articles/10.1186/s40317-023-00322-5…

09.05.2023, Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart
Große, alte Mischwälder können den Rückgang einer bedrohten Vogelart stoppen.
Viele Zugvogelarten, die südlich der Sahara überwintern, zeigen seit Ende der 1990er Jahre einen europaweiten Rückgang ihrer Bestände. Eine Art, die davon besonders betroffen ist, ist der Trauerschnäpper (Ficedula hypoleuca). Ein Wissenschaftlerteam des Naturkundemuseums Stuttgart und der ehrenamtlichen Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft (OAG) Bonn am Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (Museum Koenig, Bonn) untersuchte die langfristige Populationsentwicklung und Nistplatzwahl der Trauerschnäpperpopulation im Kottenforst bei Bonn.
Die Ergebnisse sind in einem aktuellen Artikel in der Fachzeitschrift „Ardeola“ erschienen und unterstreichen die Bedeutung großer, alter Wälder für den Erhalt der heimischen Biodiversität.
Der Trauerschnäpper ist ursprünglich ein Bewohner alter Wälder. Dort nistet er in Baumhöhlen und ernährt sich ausschließlich von fliegenden Insekten. Die Art war aufgrund von Lebensraumverlusten zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus weiten Teilen Mitteleuropas verschwunden. Sie erholte sich aber flächendeckend, unter anderem durch das Anbringen von Nistkästen in allen Arten von Wäldern, aber auch in Parks und großen Gartenanlagen. Dieser Trend dauerte bis vor ca. 25 Jahren an. Seither gehen die meisten Populationen wieder zurück. Hierfür werden verschiedene Gründe als Rückgangsursache diskutiert, darunter biotische Wechselwirkungen und der Klimawandel.
Entgegen des europaweiten Trends dauert die positive Populationsentwicklung des Trauerschnäppers im Kottenforst weiter an und hat einen Bestand erreicht, der den Kottenforst zu einem regional wichtigen Brutgebiet für die Art macht. „Es ist daher wünschenswert die Fläche des Wildnisgebietes im Kottenforst noch auszudehnen und dabei insbesondere die Gebiete mit den Kernvorkommen des Trauerschnäppers zu berücksichtigen. Die Mehrheit der Vogelpaare nutzt Baumhöhlen zum Brüten, die in reich strukturierten, offenen Altwäldern reichlich vorhanden sind. Diese Waldstruktur scheint für den Trauerschnäpper optimal zu sein, da sie die Jagd auf Fluginsekten in der Nähe des Nestes ermöglicht“, sagt Dr. Stefan Abrahamczyk, Kurator am Naturkundemuseum Stuttgart.
Die Population im Kottenforst entstand in den 1960er Jahren durch das Anbringen zahlreicher Nistkästen, die durch viele, 150-250 Jahre alte Eichen und Buchen geprägt werden. Zwischen 1960 und 1970 stieg die Population stark an und war vollständig auf Nistkästen zur Brut angewiesen, obwohl auch damals schon viele natürliche Nisthöhlen zur Verfügung gestanden hätten. Dass sich Trauerschnäpper im Kottenforst und einigen wenigen anderen alten Wäldern von Russland bis Spanien weiter ausbreiten, kann an der Größe und Struktur dieser Wälder liegen. Große, alte Wälder bieten besonders viel Nahrung und Nistmöglichkeiten und sind besser gegen Störungen gepuffert. Dieses Argument wird unterstützt durch die Beobachtung, dass aktuell im Kottenforst nur noch ein Drittel der Trauerschnäpperpopulation in Nistkästen und der Rest in natürlichen Baumhöhlen alter Eichen und Buchen brütet. Die Gründe für diese Entwicklung sind noch unklar. Zwar ging die absolute Anzahl der Nistkästen seit 1970 zurück, der Anteil der von Trauerschnäppern besetzten Kästen blieb hingegen konstant. Auch stehen jedes Jahr ein kleiner Teil der verfügbaren Kästen leer.
„Diese Ergebnisse widersprechen der bisher gängigen Annahme, dass Trauerschnäpper Nistkästen gegenüber Baumhöhlen bevorzugen und zeigen, wie wichtig große, alte Wälder für viele heimische Arten und den Erhalt der heimischen Biodiversität sind“, so Dr. Stefan Abrahamczyk.
Originalpublikation:
Stefan Abrahamczyk, Jonatan Grimm, Marvin Fehn, and Darius Stiels, „Long-Term Decoupling of a Local Population Trend of the European Pied Flycatcher Ficedula hypoleuca from Nest Box Abundance Indicates the Importance of Old-Growth Forest“, Ardeola 70(2), 185-200, (27 April 2023).
DOI: https://doi.org/10.13157/arla.70.2.2023.ra3

09.05.2023, Georg-August-Universität Göttingen
Insekten & Co machen Wälder produktiver
Forschungsteam belegt die Bedeutung von Arthropoden für das Ökosystem: Wälder beherbergen 80 Prozent der weltweiten Pflanzen- und Tierartenvielfalt. Sie sind daher entscheidend für den Naturschutz. Doch die Artenvielfalt in Wäldern ist bedroht, vor allem durch Eingriffe des Menschen und den Klimawandel. Welche Bedeutung die Artenvielfalt für das Ökosystem hat, zeigt ein internationales Forschungsteam mit Forschenden der Universität Göttingen.
Eine hohe Vielfalt an Baumarten wirkt sich positiv auf die Artenvielfalt und die Häufigkeit von Arthropoden wie Insekten, Spinnen und Tausendfüßern aus. Wie die Studie auch zeigt, tragen diese Arthropoden dazu bei, dass eine hohe Baumartenvielfalt die Produktivität im Wald fördert. In artenreichen Wäldern wird die Ausbreitung der pflanzenfressenden Arthropoden effektiver von jagenden und parasitären Arthropoden unterdrückt. Das begünstigt das Wachstum der Bäume. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Nature Ecology & Evolution erschienen.
In einem groß angelegten Experiment erhoben und analysierten die Forschenden fünf Jahre lang Daten zum Vorkommen baumbewohnender Arthropoden und zum Baumwachstum im Südosten Chinas. Sie unterteilten die erfassten Arthropoden in Pflanzenfresser, Jäger und Parasitoiden. Letzteres sind Lebewesen, deren Larven im Körper ihres Wirts leben und ihn töten. „Die Fülle an Daten zu verschiedenen Gruppen von Organismen, die wir im weltweit größten Experiment zur Baumartenvielfalt zusammengetragen haben, gewährt uns einen genaueren Blick auf die Bedeutung der Artenvielfalt für den Wald“, sagt Prof. Dr. Andreas Schuldt aus der Abteilung Waldnaturschutz der Universität Göttingen. Er war an der Erfassung der Arthropoden und ihrer ökologischen Auswirkungen beteiligt.
Die Studie zeigt erstmals, welche Bedeutung die Vielfalt der Arthropoden für die Produktivität im Wald hat. „Artenreiche Gruppen wie die Arthropoden gehen zurück, weil Waldflächen zerstört werden und die Artenvielfalt der Pflanzen abnimmt“, erklärt Schuldt. „Bislang befassten sich die meisten Untersuchungen zur Bedeutung der Vielfalt für das Ökosystem nur mit der Pflanzenartenvielfalt. Die ökologische Bedeutung von Lebewesen entlang der Nahrungskette wurde vernachlässigt.“ Schuldt betont: „Angesichts der Bedeutung, die Wälder für die globale Artenvielfalt haben, müssen wir diese Zusammenhänge verstehen und Schutzmaßnahmen ergreifen.“ Das sieht die Leiterin des Experiments, Prof. Dr. Xiaojuan Liu von der Chinese Academy of Sciences in Peking, auch so: „Die Erkenntnisse unterstreichen die entscheidende Rolle von Schutzmaßnahmen zur Förderung und zum Erhalt der Artenvielfalt in Wäldern.“ Dr. Yi Li, Erstautorin der Studie, fügt hinzu: „Eine Optimierung der Waldbewirtschaftung für eine stärkere Bindung von Kohlenstoff kann effektiver sein, wenn die Vielfalt der Arthropoden zusammen mit der Vielfalt der Bäume gefördert wird.“
Originalpublikation:
Yi Li et al. Multitrophic arthropod diversity mediates tree diversity effects on primary productivity. Nature Ecology & Evolution 2023. http://www.nature.com/articles/s41559-023-02049-1

09.05.2023, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Käfer und ihre Biodiversität in totem Holz
Welche Art von Energie fördert die Biodiversität von Käfern, die im Wald in Totholz leben? Das kommt ganz darauf an, wo die Käfer in der Nahrungspyramide stehen.
Energie ist der Schlüssel des Lebens. Seit Jahrzehnten versuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, den Zusammenhang zwischen verfügbarer Energie und der Artenvielfalt in Ökosystemen zu entschlüsseln.
Dabei zeigen sich eindeutige Zusammenhänge. So sind zum Beispiel Ökosysteme mit höherem Energieeintrag, etwa durch stärkere Sonneneinstrahlung in Nähe des Äquators, mit einer größeren Artenvielfalt ausgestattet. Aber Ökosysteme beziehen ihre Energie nicht ausschließlich direkt von der Sonne. Energie kann auch chemisch gespeichert sein, etwa in Ressourcen wie Holz.
Welche Form von Energie fördert die Biodiversität? Passiert das einheitlich entlang der Nahrungskette? Diese Fragen blieben bisher unbeantwortet.
Erste Antworten kommen nun von Forschenden aus dem Biozentrum der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg. Ein Team um die Ökologen Simon Thorn und Peter Kriegel hat die Artenvielfalt von Käfern untersucht, die in Wäldern in Totholz leben. Dafür wurden Daten aus ganz Europa zusammengetragen. Simon Thorn hat das Projekt vor sechs Jahren initiiert und koordiniert; er forscht seit kurzem am Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie.
Totholz von Skandinavien bis Italien untersucht
Wie die Forschenden im Journal Ecology Letters zeigen, wird die Diversität von Totholzkäfern je nach deren Position in der Nahrungspyramide unterschiedlich von den Energieformen beeinflusst. Dieser Nachweis gelang mit Daten, die entlang eines Gradienten von Nord- bis Südeuropa an insgesamt 2.746 Totholzobjekten aufgenommen wurden.
„Arten wie der Hirschkäfer, dessen Larven sich direkt von abgestorbenem Holz ernähren und damit in der Nahrungspyramide unten stehen, profitieren in ihrer Vielfalt von der Energiemenge, die im Holz gespeichert ist“, sagt Peter Kriegel: Je mehr Zuckerverbindungen im Kernholz gelagert sind, desto größer ist ihre Diversität.
Am oberen Ende der Nahrungspyramide der Totholzkäfer stehen Arten wie der Ameisenbuntkäfer, die andere Insekten fressen. Ihre Diversität bleibt weitestgehend von der im Holz gespeicherten Energie unbeeinflusst. Stattdessen spielt hier die stärkere Sonneneinstrahlung eine wichtige Rolle.
Im Totholz verborgene Organismen nachweisen
„Diese Ergebnisse sind wichtig für die ökologische Grundlagenforschung“, sagt der JMU-Waldökologe Professor Jörg Müller, der an der Studie beteiligt war. Die Resultate könnten dazu beitragen, besorgniserregende Entwicklungen wie das Insektensterben zu bremsen.
Als nächstes will sich das Forschungsteam vom JMU-Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie der Biodiversität in Totholz widmen, die nicht offen sichtbar ist.
„Mit Methoden wie der DNA-Sequenzierung wollen wir die molekularen Spuren verborgener Organismen nachweisen: Bakterien, Pilze ohne Fruchtkörper, aber auch schwer bestimmbare und daher oft vernachlässigte Insektengruppen“, erklärt Peter Kriegel. Dann soll es um die Frage gehen, ob die jeweilige Baumart oder die Besonnung für eine hohe Artenvielfalt wichtiger ist.
Originalpublikation:
Ambient and substrate energy influence decomposer diversity differentially across trophic levels. Ecology Letters, 8. Mai 2023, Open Access https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/ele.14227

10.05.2023, Universität Wien
Gemeinsam zum Ziel: Citizen Science liefert wertvollen Beitrag zur Verhaltensbeobachtung von Vögeln
Genauigkeit der erhobenen Daten variiert nach Vogelart und Aufgabenstellung
Langfristige Aufzeichnungen von Daten über das Verhalten von Tieren stellen für die Wissenschaft wichtige Quellen für die Entwicklung von neuen, überprüfbaren Hypothesen dar. Für die Erfassung solcher Langzeitdaten ist die Einbeziehung und Beteiligung von Bürgerwissenschafter*innen ein Gewinn für Wissenschaft und Gesellschaft. Inwieweit die so erhobenen Daten auch verlässlich sind, hat ein Forschungsteam rund um Didone Frigerio von der Konrad Lorenz Forschungsstelle für Verhaltens- und Kognitionsbiologie in Grünau im Almtal – einer Core Facility der Universität Wien – in einer Studie evaluiert. Die Ergebnisse wurden aktuell in der renommierten Fachzeitschrift ERL -Environmental Research Letter veröffentlicht. Gemeinsam mit freiwilligen Bürgerwissenschafter*innen untersuchte das Team die räumliche Verteilung dreier Modellvogelarten (Graugänse, Waldrappe und Kolkraben) und evaluierte dabei die Genauigkeit der von den Freiwilligen erhobenen Daten.
Citizen Science (Bürgerwissenschaft) ist eine Methode, interessierte Freiwillige in den wissenschaftlichen Prozess einzubinden und idealerweise eine Win-Win-Situation für beide Seiten zu schaffen: einerseits den Profi-Forschenden den Zugriff auf Langzeit-Datensätze und andererseits den Freiwilligen einen aktiv-partizipativen Einblick in die Wissenschaft zu ermöglichen. Auf einen solchen Citizen Science-Ansatz griff auch das Team rund um Verhaltensbiologin Didone Frigerio für die Verhaltensbeobachtung von Graugänsen, Waldrappen und Kolkraben zurück: In den letzten Jahren involvierte es mehr als 2000 freiwillige, nicht-wissenschaftliche Teilnehmer*innen in die Datengewinnung und sorgte so für die Generierung von Langzeitdatensätzen, die von großem Wert für die Dokumentation von biologischen Veränderungen sein können.
Citizens als Scientists
Drei Jahre lang hatten insgesamt 21 regionale Schulklassen und Besucher*innen des Cumberland Wildparks in Grünau, Oberösterreich, die Gelegenheit, sich am Monitoring des Raum-Zeit-Verhaltens der 3 Vogelarten zu beteiligen, indem sie die Sichtungen der individuell markierten Tiere sammelten und dokumentierten. Da die Datenerfassung zumindest für die Graugans mit zwei verschiedenen Instrumenten (analog – mit Stift und Papier oder digital – über ein App) erfolgte, konnte auch dieser Parameter in die Beurteilung der Genauigkeit der erhobenen Daten einbezogen werden. Für Projektleiterin Didone Frigerio ist in der Verhaltensbiologie allerdings die Kontrolle der Übereinstimmung der Beobachtungen besonders wichtig: „Das wird besonders relevant, wenn man mit nichtwissenschaftlichen Freiwilligen und sogar mit Schulklassen arbeitet.“ Ziel der Studie war es, unter anderem die Genauigkeit der von den Teilnehmenden gesammelten Daten in Abhängigkeit vom für die Erfassung verwendeten Instrument zu untersuchen und Informationen über das Zeit-Raum-Muster der Graugänse zu gewinnen.
Forschende als Partner*innen
Hinsichtlich der räumlichen Häufigkeit der Graugänse zeigte die Auswertung durch das Forschungsteam, dass die zwei verschiedenen Methoden der Datenerfassung unterschiedliche Ergebnisse lieferten – so wurden mehr Sichtungen bei Verwendung der App registriert. In Bezug auf die räumlichen „Hotspots“ der Graugänse hingegen erbrachten beide Instrumente zur Datenerfassung ähnliche Ergebnisse. Die Genauigkeit der Daten variierte je nach Schwerpunktart und Aufgabe – so lag die korrekte Erkennung der individuellen Markierung der Vögel zwischen 12,5 % (Waldrapp) und 100 % (Graugans). Von den drei untersuchten Vogelarten wurden die bodenlebenden Graugänse im Vergleich zu den baumbewohnenden und fliegenden Waldrappen bzw. Kolkraben am häufigsten beobachtet. Darüber hinaus zeigten Graugänse Unterschiede in ihrer Abundanz zwischen verschiedenen Standorten sowie Präferenzen für bestimmte räumliche Hotspots innerhalb des Untersuchungsgebiets, jedoch nicht in Bezug auf ihre Brutstatus (mit/ohne Nest).
Das Projekt wurde dank der Förderung vom OeAD-Programm Sparkling Science sowie vom FFG-Programm Bridge finanziert. Unter den Schulklassen, die sich teilweise über einen längeren Zeitraum am Projekt beteiligten, erhielt die Volksschule Grünau sogar das „Young Science Gütesiegel“. „Die Citizen Science Landschaft ist in Österreich und allgemein im deutschen Sprachraum sehr lebendig und rege um Kommunikation und Austausch bemüht, auch dank der Plattform ‚Österreich forscht'“, meint Didone Frigerio. „Allgemein zeigt unsere Studie, dass Citizen Science-Daten zur Entwicklung eines robusten Modells der räumlichen Muster und der Abundanz unserer Vogelarten verwendet werden können – aber auch, dass die Auswirkungen der Zusammenarbeit weit über das Projektende spürbar bleiben.“
Originalpublikation:
Publikation in Environmental Research Letters:
Verena Puehringer-Sturmayr, Julia Rittenschober, Gudrun Gegendorfer, Sonia Kleindorfer and Didone Frigerio: Assessing quality of contributions to avian monitoring by non-scientists: a case study on individually banded wild birds
https://doi.org/10.1088/1748-9326/acd073

10.05.2023, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Afrikanische Nashörner besitzen Retroviren, die bei asiatischen Nashörnern und Verwandten nicht vorkommen
Nashörner sind in Afrika und Asien beheimatet und gehören zur Ordnung der Unpaarhufer, zu der auch die Pferde und Tapire gehören. Bis vor kurzem gab es Hinweise darauf, dass sich – im Gegensatz zu den meisten anderen Säugetieren – während der gesamten Entstehungsgeschichte der Unpaarhufer keine Gammaretroviren, wie das Murine Leukämievirus, in ihren Genomen integriert hatten.
Der retrovirale Kolonisierungsprozess wird auch als „retrovirale Endogenisierung“ bezeichnet und hat dazu geführt, dass die meisten Säugetiergenome im Durchschnitt bis zu zehn Prozent retroviral-ähnliche Abschnitte enthalten. Eine vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) geleitete Analyse von Genomen moderner und ausgestorbener Nashörner ergab nun, dass afrikanische Nashörner Dutzende von Gammaretroviren in ihren Genomen haben, die bei asiatischen Nashornartenwie dem Sumatra- und Java-Nashorn fehlen. In Afrika hat das Spitzmaulnashorn zwei verwandte Retrovirengruppen, von denen eine beim Breitmaulnashorn fehlt. Die Beschränkung des Vorkommens dieser Retroviren auf Afrika und die enge Verwandtschaft der Viren mit Nagetierviren, insbesondere mit denen afrikanischer Nagetiere, legt nahe, dass afrikanische Nashörner von einer exogenen Virusvariante infiziert wurden und ihre Genome in Afrika kolonisiert wurden. Die Arbeit wurde im wissenschaftlichen Journal of Virology veröffentlicht.
Retroviren, zu denen der Erreger von Aids, HIV-1, gehört, sind einzigartig unter den Viren, da sie sich nur vermehren können, wenn sie sich in das Erbgut des Wirts integrieren. Geschieht dies in der Keimbahn, in Spermatozyten oder Eizellen, können sie zu einem Teil des Genoms des Wirts werden, das an die nächste Generation vererbt wird und dann in jeder Zelle des Körpers der Nachkommen vorhanden ist. Dieser evolutionäre Vorgang ist so häufig aufgetreten, dass bis zu durchschnittlich zehn Prozent des Säugetiergenoms aus Retroviren oder Resten davon bestehen. Eine frühere Studie der verfügbaren Genome von Pferden und ihren Verwandten deutete darauf hin, dass sie ebenso wie Nashörner und Tapire keine Gammaretroviren haben. Gammaretroviren sind eine Gruppe von Viren, die mit Mäuse- und Vogelviren verwandt sind und sich erfolgreich in den Genomen der meisten Säugetiere eingenistet haben.
„Wir hatten Daten von mehreren Nashornarten, bei denen wir immer wieder große Teile von Gammaretroviren fanden. Als wir viel neuere und vollständigere Referenzgenome moderner und ausgestorbener Nashörner verwendeten, stellten wir fest, dass nur afrikanische Nashörner kolonisiert worden waren“, sagt Dr. Kyriakos Tsangaras, Erstautor der Studie.
Gemeinsam mit Kollegen aus Australien und Deutschland fand das Wissenschaftlerteam heraus, dass tatsächlich zwei verschiedene Gammaretrovirus-Gruppen afrikanische Nashörner besiedelt hatten, wobei eine Gruppe nur das Spitzmaulnashorn und nicht das Breitmaulnashorn besiedelte und diese Gruppe evolutionär jünger war als die gemeinsame Gruppe. Zusammen mit der Einsicht, dass die Gammaretroviren nur in afrikanischen Nashörnern vorkommen, ergibt sich aus dieser Untersuchung, dass die afrikanischen Nashörner in Afrika kolonisiert wurden, weshalb die entsprechenden Gammaretroviren bei asiatischen Nashörnern und anderen Nashornverwandten nicht vorkommen.
„Die früheren Ergebnisse zeigen, dass es damals keine qualitativ hochwertigen Referenzsequenzen von Wildtieren gab“, sagt Prof. Alex Greenwood, Leiter der Abteilung Wildtierkrankheiten am Leibniz-IZW. „Zwar hat sich die Situation seit der Sequenzierung des ersten menschlichen Genoms stark verbessert, aber wenn in den Datenbanken so viele Arten oder qualitativ hochwertige Referenzgenome von vielen Arten fehlen, entgehen einem Dinge wie die virale Geschichte der Wirtsarten. Das ist wirklich ein weiteres Beispiel dafür, warum wir mehr Genom-Referenzsequenzen von Wildtieren brauchen, weil wir nicht wissen, was uns sonst noch fehlt und welche Fehl-Schlüsse wir über das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Sequenzen ziehen, die sich als Folge von zu wenig Informationen herausstellen könnten“.
Originalpublikation:
Tsangaras K, Mayer J, Mirza O, Dayaram A, Higgins DP, Bryant B, Campbell-Ward M, Sangster C, Casteriano A, Höper D, Beer M, Greenwood AD (2023): Evolutionarily young African rhinoceros gammaretroviruses. J VIROL 97, e0193222. https://doi.org/10.1128/jvi.01932-22.

11.05.2023, Georg-August-Universität Göttingen
Gesunde Zähne dank der „Waschmaschine“
Forschungsteam mit Beteiligung der Universität Göttingen klärt Zahnabrieb bei Wiederkäuern
Wiederkäuer zeigen beim Fressen ein spezielles Verhalten: Sie schlucken ihre pflanzliche Nahrung grob zerkaut, würgen sie dann mehrmals hoch und kauen weiter. Das bringt einen entscheidenden Vorteil, wie ein Forschungsteam mit Beteiligung der Universität Göttingen zeigt: Der hochgewürgte Nahrungsbrei enthält weniger harte Silikate aus Sand und Staub als die anfangs aufgenommene Nahrung.
Dadurch werden die Zähne beim Kauen nicht so stark abgeschliffen. Das kann erklären, dass die Zahnkronen von Wiederkäuern weniger ausgeprägt sind als bei anderen Pflanzenfressern. Die Erkenntnisse sind in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Science (PNAS) erschienen.
Die Forschenden gaben vier Kühen über mehrere Tage mit Sand versetztes Grasfutter und entnahmen Proben vom hochgewürgten Nahrungsbrei und vom Kot. Dann ermittelten sie den Gehalt an Silikaten. Diese Verbindungen aus dem Sand und Gras führen wegen ihrer Härte besonders zum Abrieb der Zähne. Der Kot enthielt ungefähr so viel Silikate wie das sandige Grasfutter, der hochgewürgte Nahrungsbrei dagegen deutlich weniger. Die Silikate verbleiben demnach im Magen, genauer gesagt im Pansen. Das ist der Teil des Magens, in dem die Nahrung durch Mikroorganismen aufgeschlossen wird.
Weil das aufwendige Kauen zum Teil auf Nahrungsbrei verlagert wird, der im Pansen „gewaschen“ wurde, werden die Zähne bei Wiederkäuern weniger abgenutzt als zum Beispiel bei Pferden. Diese zerkauen ihre Nahrung vollständig nach der Aufnahme, mitsamt der abschleifenden Anteile. Für die Forschenden passt die Beobachtung damit zusammen, dass Wiederkäuer vergleichsweise niedrige Zahnkronen haben. Durch die Leistung des Pansens bleiben die Zähne länger funktionsfähig. Das beeinflusst ihre Evolution: Es gibt keinen Druck zur Bildung von mehr Zahnmaterial.
„Die Studie klärt einen wenig beachteten, aber grundlegenden Aspekt der Nahrungszerkleinerung bei großen Pflanzenfressern und trägt zum Verständnis der Funktion und Evolution der Zähne bei“, erklärt Prof. Dr. Jürgen Hummel von der Abteilung Wiederkäuerernährung. Neben dem Verständnis der Verdauungsphysiologie ist das Ergebnis interessant für die Paläontologie: Zähne geben wegen ihrer guten fossilen Überlieferung oft die wichtigsten Hinweise bei der Rekonstruktion früherer Pflanzenfresser und ihrer Umwelt.
Ein Kommentar in PNAS nimmt Bezug auf die Ergebnisse und diskutiert das Thema weiter:
Sanson G. D. Reassessing assumptions about the evolution of herbivore teeth. PNAS 2023. http://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2219060120

11.05.2023, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels
Neue Studie: Naturschutzexperten warnen vor Gefahren, die legaler Wildtierhandel mit sich bringt
Ein multinationales und interdisziplinäres Team von Forschenden hat eine neue Studie veröffentlicht, die den Schaden bemisst den der legale Wildtierhandel derzeit für die weltweiten Bemühungen um Naturschutz und Nachhaltigkeit verursacht. Der Forschungsgruppe gehören Mitglieder mehrerer Fachgruppen der International Union for Conservation of Nature (IUCN) Kommission für die Erhaltung der Artenvielfalt an. Sie weisen auf das Risiko des legalen, aber dennoch nicht nachhaltigen Handels mit Tausenden von Wildtierarten hin.
Die Studie, die diesen Monat im Journal of Environmental Management veröffentlicht wurde, umfasst eine systematische Überprüfung der bestehenden Instrumente, Schutzmaßnahmen und derzeitigen rechtlichen Rahmenbedingungen, um die nachhaltige Nutzung von lebenden Wildtieren sowie ihren Körperteilen zu gewährleisten. Die Forschenden stellten fest, dass der legale Handel mit Wildtierarten in den allermeisten Fällen nicht durch strenge Nachweise der Nachhaltigkeit gestützt wird. Insbesondere der Mangel an Daten über das Exportvolumen von Wildtieren, an Daten über Wildtierpopulationen und an evidenzbasierten Folgenabschätzungen des Handels sei dabei besonders bedenklich.
Dr. Alice Hughes, leitende Wissenschaftlerin und außerordentliche Professorin an der Universität von Hongkong, fasst die Studie in ihren Worten zusammen: „Die Ausbeutung von Wildtieren stellt eine der größten Bedrohungen für das Überleben der Arten dar. Allzu oft wird jedoch legaler Handel automatisch mit nachhaltigem Handel gleichgesetzt, obwohl es an Beweisen fehlt, die bestätigen, dass dies tatsächlich der Fall ist. Unsere Untersuchung wirft ein grelles Licht auf den systematischen Mangel an regulatorischen Schutzmaßnahmen, die dringend erforderlich sind, um sicherzustellen, dass der legale Handel nicht zu einem Rückgang der Wildtierpopulationen führt. Während viele Übereinkommen, die sich auf wildlebende Tiere und Pflanzen konzentrieren, die Forderung nach einer „nachhaltigen Nutzung“ enthalten, beziehen sie sich in Wirklichkeit nur selten auf Beweise oder wenden Vorsorgeprinzipien an, um eine weitere Übernutzung von Arten zu verhindern“.
Während der Bekämpfung des illegalen Handels mit wildlebenden Tieren und Pflanzen viel Aufmerksamkeit gewidmet wird, sind einige der Herausforderungen auch beim legalen Handel zu beobachten. Der weltweite legale Handel mit wildlebenden Tieren und Pflanzen ist ein großes und aufstrebendes Geschäft, dessen Wert derzeit auf rund 400 Milliarden USD pro Jahr geschätzt wird. Die Risiken eines nicht nachhaltigen legalen Handels wurden erkannt und in verschiedenen Übereinkommen der Vereinten Nationen verankert. Sie zielen darauf ab, den weltweiten Verlust der biologischen Vielfalt zu verringern. Die Ausbeutung wildlebender Tiere gilt jedoch nach wie vor als zweitgrößte Bedrohung für die globale Vielfalt und ihre lebenswichtigen Beiträge für die Menschen, direkt nach dem Klimawandel.
Dr. Mark Auliya vom Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels in Bonn, Deutschland, ist an der Studie beteiligt und resümiert die zusammengetragenen Ergebnisse: „Unsere Studie liefert für 183 Arten Beweise für einen nicht nachhaltigen Handel mit einer breiten Palette von Wildtiergruppen – von Säugetieren wie dem Bergrohrbock für die Trophäenjagd und handwerkliche Produkte bis hin zu wirbellosen Tieren wie der Harlekingarnele für den weltweiten Handel mit exotischen Haustieren. Wir haben festgestellt, dass der derzeitige legale Handel nicht durch strenge Nachweise für die Nachhaltigkeit dieser Arten gestützt wird. Es mangelt an Daten über die Ausfuhrmengen und über die Überwachung der Wildpopulationen, sodass eine echte Bewertung der nachhaltigen Nutzung kaum möglich ist. Diese Beispiele sind nur eine Teilmenge und sollten als Spitze eines größeren Eisbergs betrachtet werden. Wir gehen davon aus, dass weitere Untersuchungen zeigen werden, dass weitaus mehr Wildtierarten in nicht nachhaltigem Umfang ausgebeutet werden“.
Die Autorinnen und Autoren warnen vor der Annahme, dass Wildtierarten hohe Entnahmen verkraften können, wenn keine Daten vorliegen, und unterstreicht die Notwendigkeit einer angemessenen Anwendung des Vorsorgeprinzips, um Populationsrückgänge und das Aussterben von Arten zu verhindern sowie einen langfristig wirtschaftlich tragfähigen Wildtierhandel zu ermöglichen. Diese Arten sind für die Gesundheit des Ökosystems von entscheidender Bedeutung. Aus den genannten Gründen sei die Überwachung der Bestände unerlässlich, um einen nachhaltigen Handel zu ermöglichen und die Bereitstellung wichtiger Ökosystemleistungen nicht zu gefährden.
Dr. Vincent Nijman – mitwirkender Wissenschaftler und Professor für Anthropologie an der Oxford Brookes University im Vereinigten Königreich – interpretiert die Ergebnisse wie folgt: „Zu verstehen, welche Wildtiere gehandelt werden, woher sie kommen und in welchem Umfang, ist neben den Auswirkungen auf die langfristige Lebensfähigkeit der Arten von entscheidender Bedeutung, um den Verlust von Arten auf dem gesamten Planeten zu verlangsamen. Um dem Rückgang der biologischen Vielfalt Einhalt zu gebieten, ist vor allem ein stärkerer Vorsorgeansatz erforderlich, der durch eine geänderte Beweislast gestützt wird. Dies sollte dazu führen, dass Händler und Importeure die Nachhaltigkeit nachweisen müssen, um den Handel zu ermöglichen, und nicht Forschende und Menschen aus der Praxis, die die Nicht-Nachhaltigkeit aufdecken, oder Zollbeamte, die beweisen müssen, dass die Ausfuhr gegen die Vorschriften verstößt“.
Um die derzeitige Situation zu verbessern, nennen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vier Kernbereiche, die gestärkt werden sollten, um dieses Ziel zu erreichen: (1) rigorose Datenerfassung und -analyse von Populationen; (2) Verknüpfung von Handelsquoten mit IUCN- und internationalen Vereinbarungen; (3) verbesserte Datenbanken und Einhaltung von Handelsbestimmungen; und (4) besseres Verständnis von Handelsverboten, Marktkräften und Artenaustausch.
Professor David Edwards – mitwirkender Wissenschaftler und Professor für Naturschutzwissenschaften an der Universität Sheffield, UK – fordert deshalb: „Es ist dringend notwendig, die Entscheidungsträger für die mangelnde Nachhaltigkeit eines Großteils des legalen Wildtierhandels zu sensibilisieren. Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, um einschlägige Regelwerke wie CITES anzupassen, um das Überleben vieler bedrohter Arten zu sichern. Ohne nachhaltige Bewirtschaftung werden nicht nur Arten oder Populationen aussterben, sondern auch Gemeinschaften, die von diesen Arten abhängig sind, werden ihre Lebensgrundlage verlieren“.
Originalpublikation:
Hughes A, Auliya M, Altherr S, Scheffers BR, Janssen J, Nijman V, Shepherd CR, D’Cruze N, Sy E, Edwards DP 2023. Determining the sustainability of legal wildlife trade. Journal of Environmental Management (https://doi.org/10.1016/j.jenvman.2023.117987)

11.05.2023, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Molekulare Marker identifizieren verschiedene Zelltypen im Hoden von Katzenarten
Der Hoden ist das natürliche Stammzell-Reservoir für die Bildung männlicher Keimzellen. Das Verständnis dieses Prozesses ist eine Voraussetzung, um die Bildung männlicher Keimzellen „im Reagenzglas“ zu ermöglichen. Dieses Verfahren gewinnt zunehmend an Bedeutung, da damit das genetische Potential wertvoller Individuen erhalten und vervielfacht werden kann, von denen keine vitalen Spermien gewonnen werden können. Ein Forschungsteam am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW), Berlin, und an der University of Texas at San Antonio, USA, identifizierte Marker für die wichtigsten Zelltypen im Hoden von Hauskatzen und gefährdeter Katzenarten.
Damit können die unterschiedlichen Zelltypen beurteilt und weiter untersucht werden. Das Forschungsprojekt wird durch ein Einstein Junior Stipendium an der Humboldt Universität zu Berlin sowie durch die National Institutes of Health, USA, gefördert. Die neuen Erkenntnisse sind in der Fachzeitschrift „Theriogenology Wild“ veröffentlicht.
Von den 39 Katzenarten, die es auf der Welt gibt, stehen 18 als gefährdete oder bedrohte Arten auf der „Roten Liste“ der Weltnaturschutzorganisation (IUCN). Maßnahmen zur Unterstützung der Fortpflanzung (assistierte Fortpflanzung) werden zunehmend wichtiger für die Fruchtbarkeit und den Erhalt der genetischen Vielfalt dieser Tierarten. Die Gefrierkonservierung von Spermien und die künstliche Befruchtung gehören zu diesen Maßnahmen. Hoden männlicher Tiere, die sterben (oder eingeschläfert werden müssen), bergen Stammzellen und zahlreiche unreife Vorstufen männlicher Keimzellen. Diese könnten in Zukunft „im Reagenzglas“ zu fertigen Spermien ausgereift werden (In-vitro-Spermatogenese). Vollständig gelungen ist das bisher nur bei der Labormaus.
„Um Hodenzellen von Katzenartigen für solch ein künftiges Verfahren zu erhalten, haben wir in einer früheren Forschungsarbeit die Gefrierkonservierung von Hodenzellen bei Hauskatzen und Wildkatzenarten optimiert“, erklärt Mohammad Bashawat, Leiter der Untersuchung und Wissenschaftler am Leibniz-IZW. Nach dem Auftauen muss die Überlebensfähigkeit der Hodenzellen bewertet und während der Zellkultur verfolgt werden. Dazu müssen die verschiedenen Hodenzellen identifizierbar sein.
Während der Spermatogenese werden durch Zellteilung und Differenzierung aus spermatogonialen Stammzellen, einer Untergruppe der Spermatogonien, Spermatozyten gebildet. Die Spermatozyten treten in die Reifeteilung ein, aus der haploide Spermatiden hervorgehen, die nachfolgend zu Spermien ausreifen und den Hoden verlassen. Für die Steuerung der Spermatogenese und die Versorgung der sich entwickelnden Keimzellstadien sind die Leydig- und Sertolizellen des Hodens zuständig.
In der aktuellen Forschungsarbeit ist es dem Team gelungen, mit Antikörpern die Expression Zelltyp-spezifischer Moleküle in den verschiedenen Hodenzellen von Katzenartigen zu charakterisieren. Diese Marker-Moleküle gestatten die eindeutige Identifizierung von Leydig- und Sertolizellen, Spermatogonien und fortgeschrittenen Keimzellstadien bis zu Spermatiden bei der Hauskatze sowie bei vier weiteren Wildkatzenarten. Diese Marker können nun genutzt werden, um die Reinheit separierter Zellsuspensionen oder die Zusammensetzung aufgetauter Zellsuspensionen für den Einsatz in der Zellkultur zu bewerten und liefern einen wichtigen Schritt zur Vervollkommnung des Reifeprozesses im Reagenzglas.
Originalpublikation:
Bashawat M, Braun BC, Müller K, Hermann BP (2023): Molecular phenotyping of domestic cat (Felis catus) testicular cells across postnatal development – a model for wild felids. THERIOGENOL WILD 2, 100031, https://doi.org/10.1016/j.therwi.2023.100031.

12.05.2023, Bundesanstalt für Gewässerkunde
Die Wanderung der Lachse hat begonnen – Die BfG untersucht das Verhalten von Lachsen und anderen Fischen
Seit Ende März schwimmen die „Jung-Lachse“ aus der Sieg, einem Nebenfluss des Rheins, in Richtung Meer. Wehre, Schleusen und Wasserkraftanlagen stehen den Tieren dabei im Weg. Wissenschaftler/-innen der BfG nutzen die Wanderung, um das Verhalten der Fische bei der Passage solcher Querbauwerke besser zu verstehen.
Gezählt wurden die Fische an der Wasserkraftanlage Unkelmühle/Sieg durch Forschende im Auftrag der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG). Bei den seit dem 23.03.2022 nächtlich stattfindenden Kontrollen (ca. zwei Mal pro Woche) erfassten die Forschenden in den vergangenen zwölf Monaten 31 Fischarten. Bislang gingen den Fachleuten mehr als 60.000 Tiere ins Netz. In 2022 waren darunter mehr als 3.500 Junglachse (Smolts), die sich von März bis Juni in Richtung Meer wanderten.
Wanderung mit Hindernissen
Dass Fische über längere Strecken überhaupt flussabwärts schwimmen können, ist keine Selbstverständlichkeit. Denn Querbauwerke, wie Wehre, Schleusen und Wasserkraftanlagen stehen diesen Wanderungen im Weg. Während die Reise flussaufwärts – von Fachleuten als „Fischaufstieg“ bezeichnet – über spezielle Bauwerke (Fischtreppen) erfolgen kann, sind für den sog. Fischabstieg noch viele Fragen offen: Wie erfolgt die Abwanderung und welche Schwimmhorizonte (oberflächennah, am Gewässergrund) nutzen flussabwärts wandernde Fische? Die mit der Untersuchung betrauten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen für die BfG herausfinden, wo und in welcher Wassertiefe sie den abwandernden Fischen sichere Abstiegskorridore anbieten müssen. Dabei richtet sich der Fokus neben den Lachsen vor allem auf die abwandernden Cypriniden (karpfenartige Fische, wie z. B. Nase, Aland, Plötze oder Ukelei). „Wir hoffen auf neue Erkenntnisse zum Abwanderverhalten dieser Flussfischarten, über die viel weniger bekannt ist als über den Lachs“, erklärt der BfG-Biologe Dr. Detlev Ingendahl, der maßgeblich an der Untersuchung beteiligt ist. Eine endgültige Auswertung der umfangreichen Daten liegt voraussichtlich im Jahresverlauf vor.
Der Betreiber RWE und das Land NRW haben die Wasserkraftanlage Unkelmühle ab 2011 im Rahmen des Wanderfischprogramms Nordrhein-Westfalen schrittweise mit speziellen Fischschutz- und Abstiegseinrichtungen ausgestattet. Die Pilotanlage besitzt zudem spezielle Fangkammern, mit deren Hilfe die Forschenden der BfG die Fische schonend erfassen können. Vorläufige Ergebnisse zeigen, dass die überwiegende Mehrzahl der bisher kontrollierten Fische an der Sieg entlang der Wasseroberfläche wanderte. „Nur wenige Arten, die am Gewässergrund leben, nutzen die in der Tiefe installierten Abstiegswege“, sagt Detlev Ingendahl.
Ökologische Durchgängigkeit der Bundeswasserstraßen herstellen
Die Erkenntnisse der Untersuchung an diesem Nebenfluss des Rheins sollen genutzt werden, um den Fischabstieg an den mehr als 200 Wehren in den Bundeswasserstrassen verbessern zu können. Eine wichtige Voraussetzung, damit die großen Flüsse in Deutschland wieder einen guten ökologischen Zustand bzw. ein gutes ökologisches Potenzial erreichen und so die Anforderungen der EU-Wasserrahmenrichtlinie erfüllen. Ein wichtiges Ziel dafür ist es, die ökologische Durchgängigkeit wiederherzustellen, d.h. die Trennung der Lebensräume durch Querbauwerke zu vermindern, damit Fische und wirbellose Kleinlebewesen wieder ungehindert stromauf und stromab zwischen ihren typischen Nahrungs-, Laich- und Rückzugslebensräumen wandern können.
Als Eigentümer der Bundeswasserstraßen ist die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) für die ökologische Durchgängigkeit an den von ihr betriebenen Anlagen zuständig. Die BfG und die Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) beraten die WSV bei der Planung, Umsetzung und Qualitätssicherung der erforderlichen Maßnahmen.

12.05.2023, Deutsche Wildtier Stiftung
Gesucht – haben Sie diesen Bilch gesehen? Die Deutsche Wildtier Stiftung startet eine groß angelegte Suche nach dem Gartenschläfer in Sachsen-Anhalt
Wo steckt „Zorro“? Die Deutsche Wildtier Stiftung will es genau wissen. Sie startet eine Suche nach dem Tier des Jahres 2023 in Sachsen-Anhalt. Bürger aus den Einheitsgemeinden Stadt Oberharz am Brocken und Stadt Wernigerode sind ab sofort aufgerufen, Ausschau nach dem Gartenschläfer zu halten. Denn der Vertreter der Bilche, auch Schlafmäuse genannt, ist jetzt aus dem Winterschlaf aufgewacht. Wer einen Gartenschläfer gesehen hat, wird gebeten, eine E-Mail an TierdesJahres@DeutscheWildtierStiftung.de zu schicken.
Bei ihrer Suche nach dem seltenen Bilch ist die Stiftung auf die Hilfe von ehrenamtlichen Wildtierfreunden angewiesen. Gartenschläfer sind klein, nachtaktiv und sie leben versteckt. „Also ist es schwierig, sie zu entdecken. Aber sie kommen gerne in Gärten. Hier knabbern sie im Vogelhaus Körner oder futtern sich an Brombeeren satt“, sagt Saskia Jerosch, Projektleiterin bei der Deutschen Wildtier Stiftung. Jerosch ist es wichtig, Haus- und Gartenbesitzer aufzuklären. „Viele halten den Gartenschläfer für eine Maus oder verwechseln ihn im Dunklen mit einer Ratte. Deshalb werden manche Gartenschläfer vergiftet. Dabei sind diese Bilche auf der Roten Liste als ,stark gefährdet‘ eingestuft. Wir beraten vor Ort, wenn es Hinweise auf ein Gartenschläfervorkommen gibt“, sagt sie. Dann versuchen Jerosch und ihr Team, den Verdacht zu bestätigen. Dafür nutzen sie Wildkameras, die in Bodennähe an Bäumen angebracht werden und die Gartenschläfer nachts fotografieren. Zusätzlich geben sogenannte Spurentunnel Aufschluss: Laufen die Tiere durch die schmalen Tunnel, die an Ästen oder in Sträuchern hängen, drücken sie ihre Pfoten in eine Art Stempelkissen und hinterlassen dann Abdrücke auf dem Papier, das in den Tunneln liegt.
Noch gilt das Gebiet, in dem die Deutsche Wildtier Stiftung unterwegs ist, als weißer Fleck auf der Verbreitungskarte des kleinen Bilchs. Niemand weiß sicher, ob sich hier Gartenschläfer aufhalten. Mechthild Klocke, Leiterin des Projekts „Spurensuche Gartenschläfer“ vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND): „In Sachsen-Anhalt liegen Gartenschläfer-Nachweise lediglich für das Gebiet des Nationalparks Harz vor. Erste Totfunde zeigen aber, dass die Art hier auch weiter verbreitet sein könnte. Im benachbarten Niedersachsen liegen uns bereits Nachweise jenseits des Nationalparks vor, die zeigen, dass er durchaus in der Nähe von Siedlungen zu finden ist.“ Das Projekt der Deutschen Wildtier Stiftung „Gartenschläfer – die Suche in Sachsen-Anhalt“ ergänzt daher die bundesweite „Spurensuche Gartenschläfer“ des BUND, der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. „Jeder Hinweis auf die bedrohte Art hilft uns, sie und ihre Lebensweise besser zu verstehen – so können wir sie noch besser schützen“, sagt Klocke.
Sie wollen wissen, wie sich der Gartenschläfer von Maus oder Ratte unterscheidet? Klicken Sie unseren Steckbrief an: https://www.deutschewildtierstiftung.de/wildtiere/gartenschlaefer oder informieren Sie sich hier zum Tier des Jahres 2023: https://www.deutschewildtierstiftung.de/naturschutz/tier-des-jahres

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