Der Poë, Tui, Pfarr- oder Predigervogel (Prosthemadera Novae-Seelandiae, circinata und concinnata, Lamprotornis Novae-See landiae, Merops Novae-Seelandiae und concinnatus, Meliphaga Novae-Seelandiae und concinnata, Sturnus crispicollis, Certhia concinnata, Philemon concinnatus), vertritt die Sippe der Kragenhalsvögel (Prosthemadera) und kennzeichnet sich durch kräftigen, oben und unten sanftgebogenen Schnabel, starke, hochläufige Füße, mäßig lange Flügel, unter deren Schwingen die vierte die längste ist, mittellangen, gerundeten Schwanz, zerschlissene und kugelig eingerollte Federbüschel zu beiden Seiten des Halsen und lange, schmale, haarartig geschaftete Federn am Oberhalse. Das Gefieder ist vorherrschend glänzend stahlgrün, auf den kleinen Oberflügeldecken, den Enden der längsten Schulterfedern, den vordersten Mantelfedern, dem Bürzel und der Unterbrust stahlblau schillernd, auf dem Mantel, den Schultern, dem Unterrücken, dem Bauche und den Schenkeln dunkelbraun mit Bronzeschimmer; die größten oberen Flügeldecken, die Schäfte der verlängerten Halsfedern und die beiden Halsbüschel sind weiß, die Schwingen und Schwanzfedern schwarz, außen dunkelgrün scheinend, die Augen dunkelbraun, der Schnabel wie die Füße schwarz. Junge Vögel unterscheiden sich von den gleichgefärbten alten durch schieferbraunschwarze Färbung und ein breites, halbmondförmiges, schmutzigweißes Kehlschild. Die Länge beträgt dreißig, die Fittiglänge vierzehn, die Schwanzlänge zwölf Centimeter.
Obgleich der Poë häufig nach Sidney gebracht wird und schon wiederholt lebend nach Europa, auch nach Deutschland, gekommen ist, haben wir doch erst in der Neuzeit über sein Freileben Kunde erhalten, die ausführlichste und eingehendste durch Buller. Die ersten Ansiedler, berichtet der genannte, nannten den Poë »Predigervogel« und zwar wegen seiner weißen Halsbüschel, welche sie mit den Bäffchen der Amtstracht eines evangelischen Geistlichen verglichen. Aber auch diejenigen, welche den Tui in seinen heimatlichen Wäldern sahen, finden den Namen bezeichnend; denn wenn der Predigervogel singt, wendet er sich hin und her, ganz wie ein Pfarrherr auf der Kanzel. Er sitzt, wie Timpson bemerkt, ernsthaft auf einem Zweige, schüttelt mit dem Kopfe, dreht ihn bald auf die eine, bald auf die andere Seite, als ob er zu diesem und jenem sprechen wolle, fährt dann und wann plötzlich auf und erhebt nun so machtvoll seine Stimme, als ob es Schlafende aufzuwecken gelte. Ganz im Gegensatze zu seiner sonstigen Lebhaftigkeit und Rastlosigkeit verweilt er, während er singt, auf einer und derselben Stelle. Am frühen Morgen singt er am anhaltendsten, und dann hallen die Wälder der Nord-, Süd- und Aucklandsinsel wieder von dem Getöne aller wetteifernd lautgebenden Vögel dieser Art.
Ihr Lockton ist ein eigenthümlich helles und gellendes »Tui, tui«, ihre gewöhnliche Sangesweise ist eine aus fünf Tönen bestehende Strophe, welcher immer ein einzelner Ton vorausgeht; außerdem aber vernimmt man noch ein eigenthümliches Geläute von ihnen, welches Husten oder Lachen ähnelt und zudem noch eine Menge anderer Noten, so daß der Poë mit Recht als Singvogel bezeichnet werden darf.
Der Flug ist schnell und zierlich, vielfacher Wendungen und Schwenkungen fähig, wenn auch etwas geräuschvoll. »Kein Vogel der Wälder Neuseelands«, sagt Layard, »zieht die Aufmerksamkeit des Fremden mehr auf sich als er. Der geräuschvolle Gesell ist beständig in Bewegung, entweder fliegend von Baum zu Baum oder segelnd in luftigen Kreisen über dem Walde. Diese Kurzweil treibt er namentlich gegen Abend, und ich war anfangs geneigt, zu glauben, daß er dadurch Futter erspähen wolle, fand aber später, daß das Segeln nur zum Vergnügen geschieht. Oft sieht man ihrer acht bis zehn gemeinschaftlich über den Bäumen dahinfliegen, kreisend, sich drehend, Burzelbäume schießend, von einer bedeutenden Höhe mit ausgebreiteten Schwingen und Schwanz sich niedersenkend und andere Kunststücke treibend, bis auf einen Lockruf alle plötzlich in das Waldesdickicht hinabtauchen und dem Auge entschwinden.« Buller bestätigt diese Angaben und führt sie weiter aus. »Hoch in der Luft sieht man zu Zeiten den Vogel seine Flügel einziehen und einzig und allein durch schnelles Auf- und Niederschlagen des Schwanzes für Augenblicke sich schwebend erhalten (?) oder langsam abwärts gleiten, hierauf mit halbgeöffneten Flügeln schnell vorwärts schießen und wiederum in die Höhe steigen«, kurz allerlei Flugkünste treiben.
Die Nahrung des Tui besteht in Kerbthieren, den verschiedenartigsten Früchten und Beeren und dem Honige gewisser Blumen. Seine Zunge ist, wie die aller Honigfresser, mit einer feinen Bürste versehen, welche man nur zu sehen bekommt, wenn der Vogel krank oder verendet ist. Wenn in den Monaten Oktober und November der Kuhai (Sophora gandiflora) seine Blätter abgeworfen und dafür mit einem Mantel wunderschöner gelber Blumen sich bedeckt hat, ist er der Lieblingsaufenthalt der Tuis; wenn im December und Januar Phormicum tenax in voller Blüte steht, verlassen sie den Wald und besuchen die Flachsfelder, um sich hier von Korarihonig zu nähren. Bei dieser Gelegenheit werden von den Eingeborenen viele in Schlingen gefangen und als Leckerbissen verzehrt. Wenn die Beeren in voller Reife stehen, werden sie außerordentlich fett, und dies mag die Sage hervorgerufen haben, daß sie mit dem Schnabel die Brust sich öffnen sollen, um ihr Feist loszuwerden.
Das Nest findet man gewöhnlich in einer Zweiggabel eines dicht belaubten Strauches, wenige Meter über dem Boden, seltener im Wipfel eines höheren Baumes. Es ist ziemlich groß und aus trockenen Reisern und grünem Moose erbaut, die Nestmulde mit hübsch geordneten Grashalmen umgeben und innen mit den haarähnlichen schwarzen Schossen der Baumfarne ausgekleidet. Die drei bis vier, in Größe und Gestalt abändernden Eier sind etwa siebenundzwanzig Millimeter lang, achtzehn Millimeter dick, birnförmig, weiß, leicht rosenfarben überhaucht und mit rundlichen rothen Flecken gezeichnet.
Infolge der ungewöhnlichen Nachahmungsgabe ist der Poë ein Liebling der Ansiedler wie der Eingeborenen geworden. Obgleich er im allgemeinen als hinfällig betrachtet wird, dauert er erwiesenermaßen doch bis zehn Jahre in Gefangenschaft aus. Einmal an Käsig und Stubenfutter gewöhnt, lernt er leicht und rasch mehrere Worte sprechen, eine Weise nachpfeifen, das Bellen des Hundes, das Kreischen eines Papageien, das Gackern eines Huhnes nachahmen usw. Die Maoris schätzen seine Nachahmungsgabe ungemein hoch, lassen es sich viel Zeit kosten, ihn zu lehren, und erzählen Geschichten, welche die Fertigkeit des Vogels ins hellste Licht stellen. Auch Buller wurde einmal nicht wenig überrascht. »Ich hatte«, so erzählt er, »im Rathhause von Romgitikai zu einer Versammlung von Eingeborenen gesprochen, einen Gegenstand von schwerwiegender Bedeutung mit ihnen verhandelt und meine Ansicht mit allem Ernste und aller mir zu Gebote stehenden Beredsamkeit dargelegt. Man denke sich mein Erstaunen, als unmittelbar, nachdem ich geendet, und noch ehe der alte Häuptling, an welchen ich mich besonders gewandt, Zeit zur Antwort gefunden, ein Tui, welcher über unseren Köpfen im Gebauer hing, mit klarer Stimme und vollkommen richtiger Betonung, ›Tito‹, das heißt falsch! herabrief. ›Freund‹, entgegnete mir der alte Häuptling Nepia Taratoa, nachdem die allgemeine Heiterkeit sich etwas gelegt, ›Deine Gründe sind gewiß ganz gut; aber meinen Mokai, den sehr klugen Vogel, hast Du doch nicht überzeugt!‹«
Es scheint, daß die Neuseeländer den Poë von jeher gern in der Gefangenschaft gehalten haben. Sie brachten ihn Rochelas in kleinen, aus Flechtwerk verfertigten Käfigen und boten ihn zum Verkaufe an, und heutigen Tages noch kommen auf demselben Wege viele in die Hände der Europäer. Bennett versichert, daß die Gefangenen höchst unterhaltend sind, sich sehr leicht zähmen lassen und mit ihren Pflegern sich rasch befreunden. Abgesehen von ihrem vortrefflichen Gesange, besitzen sie die Gabe der Nachahmung in hohem Grade: sie sollen hierin nicht bloß die Elster und den Raben, sondern selbst die Spottdrossel übertreffen. Sie lernen Worte mit größter Genauigkeit nachsprechen und können überhaupt jeden Laut wiedergeben, welchen sie vernehmen, und somit vereinigt sich bei ihnen alles, um sie einem Thierfreunde werth zu machen: Schönheit und liebenswürdiges Betragen, Gesang und leichte Zähmbarkeit.