28.05.2018, Eberhard Karls Universität Tübingen
Elektrifizierendes Bettgeflüster von Messerfischen in freier Wildbahn belauscht
Messerfische kommunizieren mithilfe elektrischer Impulse – Neurobiologen haben das Kommunikationsverhalten zum ersten Mal in einer Langzeitbeobachtung außerhalb des Labors untersucht
Die nachtaktiven Messerfische nutzen elektrische Impulse, um sich zu orientieren und zu kommunizieren. Mithilfe eines eigens entwickelten Elektrodengitters haben Neurobiologen Interaktionen der scheuen Messerfische (Apteronotus leptorhynchus) erstmals in freier Wildbahn über einen längeren Zeitraum beobachtet. Im Urwald von Panama konnten sie insbesondere das Paarungsverhalten der Tiere dokumentieren. Bislang wurden die Tiere fast ausschließlich in Laboren untersucht; Professor Jan Benda und Dr. Jörg Henninger von der Arbeitsgruppe Neuroethologie haben die Fische gemeinsam mit Forschern der Humboldt Universität zu Berlin erstmals in ihrer natürlichen Umgebung und über einen längeren Zeitraum untersucht. Die Ergebnisse der Studie wurden im Journal of Neuroscience veröffentlicht.
In den tropischen Gewässern Lateinamerikas sind die Messerfische zu Hause, kleine Verwandte des Zitteraals, die mit einem speziellen Organ schwache elektrische Entladungen produzieren. Mit Elektrorezeptoren, die auf der ganzen Hautoberfläche der Fische verteilt sind, können sie in tiefster Dunkelheit kleinste Veränderungen in der Umgebung wahrnehmen, z.B. Pflanzen, Steine, Beutetiere oder Artgenossen. Der sechste Sinn dient den Fischen aber auch zur Kommunikation untereinander.
Seit der Entdeckung dieses elektrischen Sinns in den 1950er Jahren wurden diese Fische sehr intensiv in Laboren untersucht. Insbesondere wurde an ihnen erforscht, wie Nervenzellen sensorische Information verarbeiten und diese dann in zielgerichtetes Verhalten umsetzen. Viele Gehirnstrukturen der Fische sind denen des Säugetiergehirns ähnlich. „Wenn wir deren Funktionsweise im Fisch verstehen, haben wir schon einiges über das Säugetiergehirn verstanden“, erklärt Jan Benda. Trotzdem sei so gut wie nichts über das natürliche Leben dieser Fische bekannt: „Sie sind nachtaktiv und halten sich tagsüber versteckt in Wurzelbärten oder zwischen Steinen. Zu sehen bekommt man sie nur sehr selten.“
Um das Verhalten der Fische im Freiland beobachten zu können, haben Professor Jan Benda und Jörg Henninger an der Universität Tübingen ein Elektrodengitter entwickelt, mit dem auf etwa vier Quadratmetern Fläche die elektrischen Aktivitäten aller sich dort befindlichen elektrischen Fische unbemerkt aufgezeichnet werden können. Im Zusammenarbeit mit Professor Rüdiger Krahe von der Humboldt Universität zu Berlin und Mitarbeitern des Smithsonian Tropical Research Institute in Panama wurde das Elektrodengitter zum ersten Mal in einem kleinen Bach im Urwald von Panama eingesetzt.
Jörg Henninger hat in seiner Doktorarbeit die einzelnen Fische anhand ihrer elektrischen Felder identifiziert, ihre Bewegungen rekonstruiert und ihre elektrischen Kommunikationssignale herausgefiltert. „Die Ergebnisse offenbaren eine aufregende und bisher völlig unbekannte Welt elektrischer Kommunikation“, erläutert Henninger seine Beobachtungen. Besonders beeindruckend seien viele Szenen von Balzverhalten. Ein Männchen versuche über mehrere Minuten mit hunderten sogenannter „Chirps“ ein Weibchen zur Ablage eines Eis zu überreden. Das Weibchen antworte schließlich und signalisiere die Eiablage mit einem besonders großen Chirp. Andere sich in der Nähe aufhaltende Männchen werden oft – aber nicht immer erfolgreich – von dem balzenden Männchen vertrieben.
Überraschenderweise sind die bei diesen Verhaltensweisen auftretenden elektrischen Signale so schwach, dass sie kaum die entsprechenden Elektrorezeptoren auf der Haut aktivieren können. In den bisherigen Studien an den Fischen wurde die neuronale Verarbeitung solcher relevanten Signale nicht untersucht. Künftige Untersuchungen müssen nun klären, mit welchen neuronalen Mechanismen diese schwachen Signale detektiert werden. Diese Forschung kann grundlegende Mechanismen aufdecken, wie es gelingt, schwache und mehrdeutige Signale zu detektieren und klassifizieren. „Die Ergebnisse der Studie zeigen, wie wichtig das Wissen über natürliche Sinnesreize ist, um die Funktionen und Funktionsweisen des Gehirns zu verstehen“, betont Henninger.
Publikation: Jörg Henninger, Rüdiger Krahe, Frank Kirschbaum, Jan Grewe, Jan Benda: Statistics of natural communication signals observed in the wild identify important yet neglected stimulus regimes in weakly electric fish. Journal of Neuroscience. 7 May 2018, 0350-18.
DOI: doi.org/10.1523/JNEUROSCI.0350-18.2018
28.05.2018, Wissenschaftliche Abteilung, Französische Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland
Der französische Biodiversitätsplan
Am 18. Mai hat das französische Ministerium für den ökologischen und solidarischen Wandel (Ministère de la Transition Ecologique et Solidaire – MTES) eine öffentliche Befragung für den Biodiversitätsplan gestartet. Bis zum 7. Juni können die Franzosen Ihre Meinungen zum Schutz der Biodiversität äußern und damit einen Beitrag zum Verfassen des zukünftigen Biodiversitätsplans leisten.
Im Hinblick auf den massiven Verlust an Artenvielfalt und dessen Folgen für die Zukunft der Menschheit hat die französische Regierung beschlossen, schnellstmöglich einen interministeriellen Aktionsplan für Biodiversität einzuführen. Ziel dieses Plans ist es, diese Entwicklung umzukehren und die Umsetzung der nationalen Strategie für Biodiversität, die bis 2020 geplant ist, zu beschleunigen.
Der Entwurf ist in fünf Themenblöcke unterteilt:
– Schutz der Biodiversität, um unsere Lebensbedingungen zu verbessern und uns an den Klimawandel anzupassen;
– Biodiversität als Motor des Wandels unseres Produktions- und Verbrauchsverhaltens zur Reduzierung unseres ökologischen Fußabdruck in Frankreich und weltweit;
– Schutz und Wiederherstellung der Natur in all ihren Komponenten ;
– Schaffung eines ehrgeizigen europäischen und internationalen Rahmens zum Schutz der Biodiversität ;
– Wissen und Maßnahmen für die Biodiversität allen zugänglich machen.
Ein weiteres Ziel besteht darin, auch die internationale Gemeinschaft zu mobilisieren und die Biodiversität zu einem genauso wichtigen Thema wie den Klimawandel zu machen.
Quelle: Compte rendu du Conseil des ministres du 23 mai 2018, Le plan biodiversité, https://www.gouvernement.fr/conseil-des-ministres/2018-05-23/le-plan-biodiversit…
31.05.2018, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Zahl freilebender Berggorillas steigt auf mehr als 1.000
Die jüngste Zählung der vom Aussterben bedrohten Berggorillas (Gorilla beringei beringei) im Gebiet um die Virunga-Vulkane ergab eine Zahl von mindestens 604 Individuen. Zusammen mit den 400 Tieren der einzigen anderen Population, die im Bwindi Impenetrable National Park in Uganda beheimatet ist, steigt damit die Gesamtzahl weltweit freilebender Berggorillas auf mehr als 1.000 Tiere. Der Zensus war ein Gemeinschaftsprojekt der Naturschutzbehörden dreier afrikanischer Länder, in denen Berggorillas leben, mehrerer nicht staatlicher Naturschutzorganisationen sowie des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.
„Dies ist eine der seltenen Erfolgsgeschichten im Naturschutz: Die Population der Berggorillas im Virunga-Vulkan-Gebiet hat sich in den letzten drei Jahrzehnten trotz intensiver Gefährdung durch Wilderei, Habitatverschlechterung und Bürgerkrieg mehr als verdoppelt”, sagt Martha Robbins, Wissenschaftlerin und GorillaExpertin am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. „Dieser Anstieg ist ein Beispiel für die engagierten Bemühungen der Regierungen von Ruanda, Uganda und der Demokratischen Republik Kongo – und dabei insbesondere auch für die harte Arbeit des Parkpersonals vor Ort, diese vom Aussterben bedrohten Menschenaffen zu schützen. Der Anstieg zeigt auch, dass aufwändige Schutzbemühungen, einschließlich Tourismus, Veterinärarbeit und Gemeinschaftsprojekten, tatsächlich einen positiven Einfluss auf das Überleben unserer nächsten lebenden Verwandten haben können.”
Der Zensus war eine Kombination von intensiver Feldforschungsarbeit in den Jahren 2015 und 2016 sowie detaillierten Erbgutanalysen. Auf der Suche nach Spuren und Nestern von Gorillas durchstreiften Feldforschungsteams das 440 Quadratkilometer umfassende Gebiet um die Virunga-Vulkane und legten dabei mehr als 2.000 Kilometer zurück. Die DNA-Analysen von etwa 1.100 Kotproben dauerten mehr als 18 Monate und ergaben, dass der Population mindestens 186 nicht habituierte – also nicht regelmäßig von Menschen kontaktierte – Gorillas angehören. Die restlichen 70 Prozent entsprechen 418 Tieren, die für Forschung und Tourismus habituiert worden waren.
Bei der letzten Zählung im Jahre 2010 wurde die Berggorilla-Population im Gebiet um die Virunga-Vulkane auf wenigstens 480 Tiere geschätzt. Den aktuellen Zahlen zufolge hat die Berggorilla-Population über einen Zeitraum von sechs Jahren hinweg also um 26 Prozent zugenommen, was einer jährlichen Wachstumsrate von 3,8 Prozent entspricht. Diesen Anstieg führen die Forscher teilweise auf verbesserte Methoden zurück, die beim aktuellen Zensus angewendet wurden, aber auch auf ein tatsächliches Populationswachstum. Die nun registrierten 604 Gorillas gehörten 41 verschiedenen Gruppen an. Bei 14 Tieren handelte es sich um einzelne Männchen.
Der Zensus war ein Gemeinschaftsprojekt der Naturschutzbehörden der drei Länder, in denen Berggorillas leben (Ruanda, Uganda und Demokratische Republik Kongo), mehrerer nicht staatlicher Naturschutzorganisationen sowie des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie. Routine-Zählungen wie diese tragen entscheidend dazu bei, ManagementStrategien anzupassen, wenn etwa festgestellt wird, dass eine Population zu- oder abnimmt. Sie sind auch wichtig um zu entscheiden, ob Bemühungen zur Arterhaltung wirksam sind oder überarbeitet werden müssen. Die im Gebiet um die Virunga-Vulkane lebende BerggorillaPopulation umfasste Mitte der 1980er-Jahre nur etwa 250 Tiere.
„Die Analyse von DNA aus Kotproben ermöglicht es uns, Gorillas zu zählen, ohne sie vor Ort zu beobachten”, sagt Linda Vigilant, Leiterin des Primaten-Genetiklabors in Leipzig. „Als nächstes werden wir im Detail untersuchen, wie sich die Aufenthaltsorte von verschiedenen Individuen im Laufe der Zeit ändern. Damit werden wir weitere Einblicke gewinnen, wie sich Gruppen und Gruppenangehörigkeiten verändern.”
Am Berggorilla-Zensus im Virunga-Massiv waren die Schutzgebietsbehörden der Demokratischen Republik Kongo sowie von Ruanda und Uganda (L’Institut Congolais pour la Conservation de la Nature, das Ruanda Development Board und die Uganda Wildlife Authority) im Rahmen der Greater Virunga Transboundary Collaboration beteiligt.
Die Zählung wurde vom International Gorilla Conservation Programme (Zusammenschluss von Fauna & Flora International und dem WWF), dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, dem Dian Fossey Gorilla Fund, dem Institute of Tropical Forest Conservation, Gorilla Doctors und dem North Carolina Zoo unterstützt.
Finanziert wurde der Zensus von Fauna & Flora International, dem WWF und Partners in Conservation at the Columbus Zoo & Aquarium. Weitere finanzielle Unterstützung erhielt das Zensus-Wissenschaftskomitee von Berggorilla & Regenwald Direkthilfe.
01.06.2018, Georg-August-Universität Göttingen
Gartenhummel bestäubt effizienter als Honigbiene
Der Anbau vieler Kulturpflanzen ist davon abhängig, dass sie bestäubt werden. Doch nicht alle Insekten sind dabei gleich effizient. Gartenhummeln sind mit ihren langen Rüsseln zuverlässige Bestäuber der Ackerbohne, während die kurzrüsseligen Hummelarten und Honigbienen weniger effektiv sind. Das haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Göttingen herausgefunden. Die Ergebnisse der Studie sind in der Fachzeitschrift Agriculture, Ecosystems & Environment erschienen.
„Honigbienen und Erdhummeln haben die Ackerbohnen am häufigsten angeflogen“, sagt Erstautorin Birgit Marzinzig, ehemalige Masterstudentin in der Abteilung Agrarökologie. „Sie haben die Blüten aber nicht immer bestäubt, sondern meistens Nektar geraubt.“ Dabei beißen die Tiere Löcher in die Blütenbasis. Der Besuch von langrüsseligen Gartenhummeln hingegen führte zu einem höheren Samenansatz und zu einer höheren Fremdbefruchtung. „Honigbienen können zwar aufgrund ihrer hohen Zahl viele Blüten bestäuben – allerdings ist ein einzelner Blütenbesuch vergleichsweise ineffizient“, so Lisa Brünjes aus der Abteilung Pflanzenzüchtung. In der Saatgutproduktion und Pflanzenzüchtung kommt es aber auf eine gute Durchkreuzung der Pflanzen untereinander an, denn eine hohe Fremdbefruchtung in den Samen führt in späteren Generationen zu höheren und stabileren Erträgen.
„Während Honigbienen und Erdhummeln kommerziell produziert und weltweit für die Bestäubung eingesetzt werden, entstammen die Gartenhummeln ausschließlich aus natürlichen Populationen“, sagt Dr. Catrin Westphal, Leiterin der Studie. Angesichts des anhaltenden Rückgangs von Bestäubern sollten auch Landwirte, Züchter und Saatguthersteller im eigenen Interesse vermehrt zum Erhalt und Schutz von wildlebenden langrüsseligen Hummelarten beitragen, schlussfolgern die Forscherinnen und Forscher.
Originalveröffentlichung: Marzinzig, B. et al. (2018). “Bee pollinators of faba bean (Vicia faba L.) differ in their foraging behaviour and pollination efficiency”. Agriculture, Ecosystems and Environment (doi: 10.1016/j.agee.2018.05.003).
05.06.2018, Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns
Invasion giftiger Kröten bedroht Madagaskars Tierwelt
Die Einschleppung der asiatischen Schwarznarbenkröte nach Madagaskar lässt befürchten, dass die giftige Amphibie verheerende Auswirkungen auf die bereits stark bedrohte Tierwelt der Insel haben könnte. Jetzt berichtet ein internationales Forscherteam in der Zeitschrift Current Biology über genetische Befunde, die zeigen, dass diese Ängste begründet sind: Fast alle in Madagaskar heimischen potentiellen Fressfeinde sind empfindlich für das Krötengift. Wenn sie die Kröten fressen, könnte das für sie tödlich sein. An der Studie sind u.a. Forscher der Zoologischen Staatssammlung München, des Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart und der Technischen Universität Braunschweig beteiligt.
„In Australien hat die Einschleppung von Agakröten zu einer tiefgreifenden Störung vieler Ökosysteme geführt, indem wichtige Räuber durch die Krötengifte aus lokalen Nahrungsnetzen entfernt wurden“, sagt Wolfgang Wüster von der Universität Bangor, Vereinigtes Königreich. „Ähnliche Auswirkungen werden wahrscheinlich auch in Madagaskar auftreten, wo Kröten ebenfalls niemals vorkamen. Fressfeinde, die häufiger Kröten erbeuten und nicht schnell lernen, sie zu vermeiden, werden wahrscheinlich seltener oder könnten sogar aussterben.“
Kröten können giftige Substanzen (Bufadienolide) absondern, die viele Arten von Räubern töten, indem sie die Natrium-Kalium-Pumpe (Na + / K + -ATPase), eine essentielle Komponente tierischer Zellmembranen, hemmen. Es ist jedoch bekannt, dass einige Spezies eine Resistenz gegen diese Toxine entwickelt haben, die sich an spezifischen Punktmutationen im Gen für dieses Enzym erkennen lässt. Die Ankunft der giftigen und invasiven Schwarznarbenkröten (Duttaphrynus melanostictus) in Madagaskar führte zu heftigen Diskussionen über ihre wahrscheinlichen Auswirkungen und die Maßnahmen, die ergriffen werden sollten, um sie zu kontrollieren oder auszurotten.
„Bisher war völlig unklar, ob in Madagaskar heimische Räuber tatsächlich empfindlich für das Krötengift sind. Dies wurde zwar von Naturschützern generell angenommen, aber konkrete Beweise gab es dafür nicht“, sagt Co-Autorin Andolalao Rakotoarison, Biologin an der Technischen Universität Braunschweig und der Universität Antananarivo.
Um diese Wissenslücke zu schließen, analysierten die Forscher Sequenzen des Na + / K + -ATPase-Gens von 77 madagassischen Arten, die sich möglicherweise von Kröten ernähren, darunter 27 Schlangen, zwei Echsen, 12 Frösche, acht Säugetiere und 28 Vögel. Ihre Studien zeigten, dass nur eine einheimische Art, ein Nagetier, Anzeichen einer Resistenz gegen das neue Toxin zeigte.
„Unsere Ergebnisse bestätigen, dass die invasiven Kröten wahrscheinlich große Auswirkungen auf viele endemische Arten in Madagaskar haben werden, was die bestehenden Naturschutzprobleme des Landes weiter verschärft und möglicherweise viele bekannte Arten wie zum Beispiel Tenrecs und Fossas gefährdet „, sagt Co-Autorin Friederike Woog vom Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart. Es ist daher von großer Wichtigkeit, die Verbreitung dieser gebietsfremden Art zu kontrollieren, um eine größere Biodiversitätskrise zu verhindern.
Co-Autor Frank Glaw, Spezialist für madagassische Amphibien an der Zoologischen Staatssammlung München (SNSB-ZSM), weist darauf hin, dass die giftigen Kaulquappen der Kröte auch endemische Fische und wirbellose Räuber wie Wasserkäfer, Libellenlarven und Krebstiere gefährden könnten. Eine ähnliche Studie wird daher benötigt, um die Anfälligkeit der aquatischen Prädatoren Madagaskars zu bewerten.
„Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Arten, die von einem Teil der Welt in einen anderen eingeführt wer-den, natürliche Ökosysteme stören können“, sagt Ben Marshall, Master-Student an der Universität Bangor und Erstautor der neuen Studie. „Die Verhinderung von Einschleppungen invasiver Arten muss für die Erhaltung der biologischen Vielfalt oberste Priorität haben.“
Publikation
Marshall, B. M., N. R. Casewell, M. Vences, F. Glaw, F. Andreone, A. Rakotoarison, G. Zancolli, F. Woog & W. Wüster (2018): Widespread vulnerability of Malagasy predators to the toxins of an introduced toad. Current Biology 28, R654–R655.
https://www.cell.com/current-biology/fulltext/S0960-9822(18)30452-4
05.06.2018, Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU)
Netz aus grünen Inseln für mehr Tier- und Pflanzenarten
DBU fördert Biotopverbund für den Artenschutz auf Wiesen und Weiden mit 250.000 Euro
Ovelgönne. „Artenschutz ist komplex. Nur wenn alle Akteure vom Naturschutz über die Landwirtschaft bis zu den Behörden zusammenarbeiten, kann er dauerhaft erfolgreich sein.“ – Mit diesen Worten unterstreicht der Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), Alexander Bonde, die Bedeutung eines neuen Projektes zum Artenschutz im Grünland. Um Wiesen oder Weiden, die vielen Arten wie Tagfaltern oder Heuschrecken einen Lebensraum bieten, besser zu schützen, will das Grünlandzentrum Niedersachsen/Bremen (Ovelgönne) mit der niedersächsischen Landwirtschaftskammer (Oldenburg), der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und dem Naturschutzbund Oldenburger Land (Oldenburg) artenreiche Grünlandflächen erhalten und mit Hilfe von Deichen, Dämmen und Wegrändern so miteinander verbinden, dass ein Verbund von Grünland entsteht. Als Untersuchungsräume dienen Flächen in den Landkreisen Wesermarsch, Ammerland und Oldenburg. Die DBU fördert das Projekt fachlich und finanziell mit 250.000 Euro.
Gemeinsam für den Erhalt der Artenvielfalt
Der unvermindert anhaltende Artenrückgang sei wie der Klimawandel eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit, so Bonde. Die Artenvielfalt zu fördern, leiste einen wichtigen Beitrag zur erfolgreichen Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Das gehe nur gemeinsam, und deshalb sei die Zusammenarbeit der einzelnen Partner in diesem Projekt zentral. Mit Vertretern aus Naturschutz – auch die Naturschutzbehörden der Landkreise sollen eingebunden werden – Landwirtschaft und Wissenschaft seien die Akteure beteiligt, die es zu einer langfristigen Sicherung der Artenvielfalt brauche.
Einzelne Flächen miteinander verknüpfen und so Austausch fördern
Das Bewirtschaften des Bodens habe sich innerhalb des letzten Jahrhunderts grundlegend geändert. Einerseits sei durch eine intensivere Landwirtschaft eine bessere Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln erreicht worden. Andererseits dürfe eine solche Entwicklung jedoch nicht zu Lasten der Umwelt und der Artenvielfalt gehen. An dieser Stelle setze das Projekt an: „Wir wollen einzelne Wiesen und Weiden gezielt so bewirtschaften, dass Lebensraum für mehr Tier- und Pflanzenarten entsteht. Mithilfe verbindender Landschaftselemente wie Deichen, Dämmen oder Wegrändern können wir solch artenreiche Inseln zu einem Biotopverbund vernetzen“, erläutert Projektleiter Dr. Arno Krause vom Grünlandzentrum Niedersachsen/Bremen. So würde ein größerer Lebensraum entstehen, in dem sich Pflanzen- und Tierarten viel mehr ausbreiten könnten. Das erhöhe auch den genetischen Austausch und stärke die Überlebensmöglichkeiten. „Im Rahmen des Projektes soll auch untersucht werden, welche Pflanzenarten dabei helfen, dass sich Tiere wie Heuschrecken oder Tagfalter über die Korridore hinweg zwischen den einzelnen Flächen bewegen“, betont Dr. Reinhard Stock, DBU-Referent für Naturschutz. Der Biotopverbund soll auch nach Ende der Projektlaufzeit Anfang 2021 weiterentwickelt werden, um so langfristig die Lebensvielfalt auf den Grünlandflächen in der Region zu erhalten.
06.06.2018, Universität Wien
Soziale Intelligenz bei Raben
Raben wissen über die Beziehungen anderer Bescheid – und agieren strategisch
Ein Aspekt sozialer Intelligenz ist die Fähigkeit, sowohl die eigenen Beziehungen als auch die anderer im Auge zu behalten. Diese Fähigkeit kennt man bei Primaten, und auch Kolkraben zeigen dieses Verhalten in Gefangenschaft. In ihrer aktuellen Studie dokumentieren VerhaltensbiologInnen um Georgine Szipl von der Universität Wien, dass wildlebende Raben bei der Futtersuche je nach Publikum unterschiedlich viele „Hilferufe“ abgeben. Dies deutet auf ein komplexes Sozialsystem der Tiere hin. Die Ergebnisse dazu erscheinen aktuell im Fachjournal „Proceedings of the Royal Society B“.
In freier Wildbahn versammeln sich Raben an Futterstellen, wo sie sich untereinander häufig lautstark um Futter streiten. Für freilebende Kolkraben, die in komplexen Verbänden mit variierender Größe und Zusammensetzung leben, ist es nicht einfach, in so einem Durcheinander den Überblick zu behalten. Während man lange Zeit davon ausgegangen ist, dass Rabenverbände anonym sind und die Mitglieder nichts übereinander wissen, weisen Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte sehr wohl auf eine Struktur durch verschiedene Altersklassen, Paarbindungen und Verwandtschaftsverhältnisse hin.
In ihrer aktuellen Studie konnten die WissenschafterInnen um Georgine Szipl von der Konrad Lorenz Forschungsstelle der Universität Wien zeigen, dass freilebende Kolkraben ihre Kommunikation während solcher Konflikte an die Zusammensetzung des Publikums anpassen. Wenn Raben von dominanten oder höherrangigen Artgenossen angegriffen werden, äußern die bedrängten Opfer häufig Defensivrufe. Sind Verwandte der Opfer im Publikum, äußert sich das durch eine höhere Rufrate. Umgekehrt haben die ForscherInnen weniger Rufe aufgezeichnet, wenn die Paarpartner der dominanten Angreifer im Publikum waren. „Dies deutet darauf hin, dass freilebende Kolkraben trotz komplexen Sozialsystems über die Beziehungen ihrer Artgenossen Bescheid wissen. Dieses Wissen können sie flexibel einsetzen und dadurch Freunde und Verwandte in ihrer Nähe alarmieren, damit sie ihnen zu Hilfe eilen können bzw. vermeiden, dass Rivalen oder Freunde des Angreifers auf sie aufmerksam werden“, erklärt Szipl.
Dieser Effekt ist auch bekannt als Publikumseffekt. Das bedeutet, dass man sich im Beisein anderer anders verhält als alleine, also wenn man sich unbeobachtet fühlt: Klassisches Beispiel dafür ist etwa das Singen im Auto. „Unser Ergebnis kann nicht einfach mit dem Publikumseffekt erklärt werden, denn die Größe des Publikums, also die Anzahl der anwesenden Raben, hatte keinen Effekt auf die Rufraten, ebenso wenig wie die bloße Nähe der anwesenden Raben“, erklärt Szipl. Vielmehr muss die Zusammensetzung des Publikums eine wichtige Rolle spielen.
Erwachsene Kolkraben, die sich verpaaren, sind langzeitmonogam, höher im Rang sowie dominanter als Singles. Unverpaarte Raben hingegen, die noch nicht den Partner fürs Leben gefunden haben, pflegen engen Kontakt zu ihren Geschwistern und Verwandten, denn diese unterstützen sie während oder nach Konflikten. Angegriffene Raben sind häufig noch nicht fest verpaart und erhöhen deshalb ihre Rufrate, wenn ihre Verwandten, die ihnen helfen könnten, in der Nähe sind. Dominante Angreifer hingegen sind häufig fest verpaarte Individuen, deren Paarpartner sind ebenfalls dominant. Deshalb ist es für die Tiere ratsam, in solchen Situationen nicht zu viel Lärm zu machen: Da die Gefahr groß ist, dass man es auch gleich mit dem Paarpartner, der den Angreifer unterstützt, zu tun bekommt, ist die Rufrate niedrig.
Publikation in „Proceedings of the Royal Society B“
Szipl, G., Ringler, E. & Bugnyar, T. (2018): Attacked ravens flexibly adjust signalling behaviour according to audience composition. Proceedings of the Royal Society B
DOI: http://dx.doi.org/10.1098/rspb.2018.0375
06.06.2018, Universität Zürich
Meerkatzen-Männchen deeskalieren Kämpfe mit Strafe und Zwang
Männliche Grüne Meerkatzen greifen ihre eigenen Gruppenmitglieder an, um Kämpfe mit anderen Gruppen zu verhindern oder zu deeskalieren. Weibchen dagegen stacheln die Kämpfenden mit Zuckerbrot und Peitsche an, wie Anthropologen der Universität Zürich und der Universität Neuenburg zeigen.
Soziale Arten beteiligen sich an verschiedenen kooperativen Aktivitäten wie der Jagd, der Aufzucht von Nachkommen, der Verteidigung der Gruppe gegen Raubtiere und am Kampf mit benachbarten Gruppen. Da soziale Gruppen jedoch immer aus individuellen Tieren bestehen, erhält jedes Gruppenmitglied unterschiedliche Vorteile und erfährt unterschiedliche Konsequenzen, wenn es sich an diesen kooperativen Aktivitäten beteiligt. Folglich sind sich die Gruppenmitglieder oft nicht einig, wann sie kooperieren sollen und wann nicht. Dies gilt insbesondere bei Gruppenkämpfen, bei denen ein ernsthaftes Verletzungs- oder Todesrisiko besteht, der Sieg aber darüber entscheiden kann, ob die Gruppe Zugang zu wichtigen Ressourcen hat.
Strafe und Zwang
Während wir viel darüber wissen, wie Menschen solche Interessenkonflikte lösen, wissen wir relativ wenig darüber, wie andere soziale Arten handeln. Eine neue Studie von Forschenden der Universität Zürich zeigt, dass Grüne Meerkatzen-Männchen Strafe und Zwang anwenden, um Kämpfe innerhalb der Gruppe zu deeskalieren. Diese Strategie wenden insbesondere männliche Meerkatzen an, die Nachwuchs in der Gruppe gezeugt haben, aber selbst verwundet sind und sich daher nicht in der Lage fühlen, ihre Nachkommen zu verteidigen.
Aggressiv gegen Angriffslustige
Während ihrer Doktorarbeit am Inkawu-Vervet-Projekt in Südafrika beobachtete Jean Arseneau-Robar, die Erstautorin der Studie, wie Männchen ihre eigenen Gruppenmitglieder während Kämpfen mit einer anderen Gruppe angriffen. «Bisher wurde immer angenommen, dass Männchen die Paarung von Weibchen mit Männchen der gegnerischen Gruppe verhindern wollen. Diese männliche Aggression wurde so als Partnerverteidigung interpretiert», sagt die Anthropologin Jean Arseneau-Robar. Die Forscher stellten jedoch fest, dass männliche Meerkatzen normalerweise keine weiblichen Gruppenmitglieder angreifen, die versuchen, sich mit Männchen aus der gegnerischen Gruppe zusammenzuschliessen oder sich mit ihnen zu paaren. Stattdessen waren Männchen eher aggressiv gegen Gruppenmitglieder, die entweder einen Kampf anzettelten oder kürzlich gekämpft hatten.
Weibchen nutzen Zuckerbrot und Peitsche
Erik Willems, der das Forschungsprojekt leitete, sagt: «Wir haben vor Kurzem gezeigt, dass Weibchen in dieser Spezies sowohl Aggression als auch Fellpflege einsetzen, um die Teilnahme männlicher Gruppenmitglieder an Kämpfen zwischen den Gruppen zu beeinflussen. Affenweibchen benutzen somit Zuckerbrot und Peitsche, um die Teilnahme von Männchen an Kämpfen zwischen verschiedenen Gruppen zu fördern.» Die Forscher wollten nun wissen, ob Männchen in ähnlicher Weise vorgehen. Dabei stellten sie fest, dass die Aggression gegen eigene Gruppenmitglieder eine effektive Strategie zur Deeskalation von Konflikten zwischen Gruppen ist.
Mit Strafen deeskalieren
UZH-Professor Carel van Schaik ergänzt: «Es war wirklich interessant zu sehen, dass Weibchen Strafen und Belohnungen verwenden, um die Kämpfenden anzustacheln. Männchen hingegen, um die Kämpfe zu ersticken und die Situation für den jungen verwundbaren Nachwuchs ruhig und sicher zu halten.»
Redouan Bshary, Professor an der Universität Neuenburg, stellt fest: «Normalerweise bestrafen grössere und mächtigere Individuen die schwächeren. Unsere Erkenntnisse bei den Grünen Meerkatzen sind neu, weil hier sowohl Weibchen als auch Männchen Bestrafung anwenden.» Weibchen würden dabei oft eine Koalition bilden, wenn sie Männchen bestrafen, um die kleinere Grösse durch mehrere Mitstreiterinnen auszugleichen.
Literatur:
Arseneau-Robar TJM, Müller E, Taucher AL, van Schaik CP, Bshary R und Willems EP. 2018. Male monkeys use punishment and coercion to de-escalate costly intergroup fights. Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences 20172323. DOI: 10.1098/rspb.2017.2323
06.06.2018, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Brückenschlag zwischen der Kommunikation von Mensch und Tier
Kooperatives Turn-Taking wird von Forschern als einer der ältesten Mechanismen des Sprachsystems verstanden und liegt möglicherweise menschlicher und nichtmenschlicher Primatenkommunikation zugrunde. Ein internationales Forscherteam, darunter Simone Pika vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Ray Wilkinson von der Universität Sheffield, Kobin Kendrick von der Universität York in Großbritannien und Sonja Vernes vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in den Niederlanden, gibt einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand und stellt einen neuen vergleichenden Forschungsansatz vor, mit dem die Forscher die evolutionären Wurzeln von Sprache entschlüsseln wollen.
Sprache – eines der wohl markantesten Merkmale des Menschen – wird in Bezug auf die Evolutionstheorie noch immer als ein „Mysterium“ oder sogar als ein „Problem“ betrachtet. Sprachliche Interaktionen basieren auf einem kooperativen Wechselspiel, welches aus alternierenden, kurzen und flexiblen Turns zwischen zwei oder mehreren Individuen besteht. Dieses Wechselspiel – das so genannte Turn-Taking – findet universell über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg statt und wurde auch in allen Primatenkladen beobachtet. Turn-Taking scheint somit ein uralter Mechanismus des Sprachsystems zu sein, das eine Art Brücke zwischen dem sprachversierten Menschen, und den Kommunikationssystemen unserer nächsten lebenden Verwandten, den nicht menschlichen Primaten, bildet. Doch was genau wissen wir über kommunikatives Turn-Taking in anderen Primaten- und Tierarten?
Die Forscher sichteten die vorhandene Literatur, wobei sie sich auf Turn-Taking bei Vögeln, Säugetieren, Insekten und Froschlurchen konzentrierten. Simone Pika aus der Abteilung für Primatologie am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, eine der Initiatoren und Erstautorin der Studie, sagt: „Einschätzungen und direkte Vergleiche der Turn-Taking-Fähigkeiten nicht-menschlicher Tiere in Bezug auf Sprachevolution waren bisher aus Mangel an Daten aber auch gravierenden Unterschieden in der Terminologie, der Methodik und dem Studiendesign nur stark eingeschränkt möglich.“
Darüber hinaus widmeten sich die meisten Untersuchungen der Kommunikation von Vögeln und rein vokalen Interaktionen und fokussierten auf einem einzigen Schlüsselelement menschlichen TurnTakings, dem so genannten „Zeitfenster“. Das Zeitfenster bezieht sich auf die Lücke zwischen Anfangsturn und Antwortturn und variiert in menschlicher Konversation zwischen 0 und 500 Millisekunden. Bei Tieren wurden Zeitfenster von weniger als 50 Millisekunden (z.B. Gesänge der Fraserzaunkönige) bis zu 5.000 Millisekunden (z.B. Kontaktrufe von Weißbüschelaffen) beobachtet. Untersuchungen anderer Turn-Taking-Systeme – zum Beispiel gestischer Interaktionen von Bonobos oder Schimpansen – sind momentan noch relativ selten. Sie stellen aber „da sie Menschenaffenkommunikation in Bezug auf mehrere Schlüsselelemente menschlichen Turn-Takings erforschen, den erfolgversprechendsten Weg dar, um die mögliche Verbindung zwischen Turn-Taking und Spracheevolution zu entschlüsseln“, sagt Simone Pika.
In ihrer neusten Publikation entwickelten die Forscher einen neuen Forschungsansatz, der vergleichende Studien in Bezug auf vier Schlüsselelemente menschlicher Konversation ermöglichen soll: A) Wie flexibel sind Turns? B) Wer ist als Nächstes dran? C) Wann wird geantwortet? D) Was soll ein Turn bezwecken? Die Forscher suggerieren, diesen neuen vergleichenden Ansatz auf spezifische Vertreter der mehr als 50 Primatengattungen anzuwenden und die verschiedensten Turn-taking-Phänotypen zu charakterisieren. Sie betonen außerdem, dass mehr Forschungsaufmerksamkeit vergleichbar komplexen Kommunikationssystemen in entfernter verwandten Arten gelten soll.
Zum Beispiel stellen neuere Erkenntnisse zur Sprachkompetenz und kognitiven Fähigkeiten von Papageien und Rabenvögeln den Zusammenhang zwischen Sprachfähigkeit und genetischer Distanz zum Menschen in Frage. Dieses neue Feld des „Vergleichenden Turn-Takings“ kann somit dazu beitragen, eine der „schwierigsten“ Forschungsfragen der Wissenschaft zu beleuchten und nachzuprüfen, ob Turn-Taking tiefgreifende Auswirkungen auf menschliche Kultur und Kooperation hatte und den Grundstein für die Entwicklung der Sprache gelegt hat.
07.06.2018, Universität Zürich
Individuelle «Namen» ermöglichen Delfinen komplexe Beziehungen
Als einzige Tierart behalten männliche Tümmler ihre individuellen «Namen». Ähnlich wie wir Menschen können sie sich damit besser in den komplexen sozialen Netzwerken, in denen Delfine leben, zurechtfinden. Dies fanden Forschende der Universitäten Zürich und Western Australia heraus. Delfine bilden sehr stabile Allianzen und unterstützen sich gegenseitig.
Delfine sind intelligente Wesen, kommunizieren mit hochfrequenten Pfeiflauten und sind zu starken Beziehungen fähig. Männliche Tümmler gehen innerhalb ihrer Population komplexe mehrstufige Allianzen ein, die von der intensiven, lebenslangen Freundschaft bis zur losen Interessensgemeinschaft reichen können. So spannen etwa zwei bis drei Männchen in der Paarungszeit sehr eng zusammen, um ein Weibchen monatelang von der Gruppe abzusondern, sich mit ihr zu verpaaren, gegen Rivalen zu verteidigen oder auch Weibchen von anderen Gruppen zu «stehlen».
Aufnahmen des individuellen Stimmlabels
Wissenschaftler der UZH, der University of Western Australia und der University of Massachusetts haben 17 erwachsene Delfine in Shark Bay in Westaustralien studiert. Aus früheren Forschungen waren die männlichen Meeressäuger bereits für ihre feste Bündnispartnerschaft bekannt. Ihre Bindungen zueinander sind so stark wie diejenigen zwischen den Muttertieren und ihren Kälbern. Frühere Forschungen hatten ausserdem gezeigt, dass Delfine hochfrequente Pfeiflaute als eine Art «Namen» nutzen, um sich vorzustellen und sich auch über grosse Distanzen unter Wasser identifizieren zu können.
Für die vorliegende Studie sammelten die Forschenden mit Unterwassermikrofonen Aufnahmen der Pfeiflaute der Delfine und ermittelten das individuelle Stimmlabel jedes Männchens. Sie mas-sen die Ähnlichkeit dieser Identitätssignale innerhalb ihrer sehr engen Allianz sowie innerhalb eines anderen Netzwerks ihrer Gemeinschaft. Sie fanden heraus, das männliche Delfine trotz ihrer starken sozialen Bindungen ihre individuellen Pfeiflaute beibehalten und diese sich nicht im Laufe der Zeit einander anpassen.
Jedes Männchen behält lebenslang seinen eigenen Ruf
«Dies ist ein sehr ungewöhnlicher Befund», sagt Michael Krützen, Professor für Anthropologie und Evolutionsbiologie an der Universität Zürich. Denn es kommt sehr oft vor, dass Paare oder Gruppen von Tieren ihre Rufe einander annähern, um ihre Zugehörigkeit zu unterstreichen. Dies ist etwa der Fall bei einigen Papageien, Fledermäusen, Elefanten und Primaten. «Bei männlichen Tümmlern passiert genau das Gegenteil: Jedes Männchen behält seinen eigenen, individuellen Ruf und unterscheidet sich von seinem Bündnispartner, auch wenn sie eine unglaublich starke Bindung zueinander entwickeln», erklärt Krützen.
Das Beibehalten der individuellen «Namen» hilft den Männchen, ihre vielen verschiedenen Be-ziehungen im Auge zu behalten und zu unterscheiden, wer ihre Freunde, wer die Freunde ihrer Freunde und wer ihre Konkurrenten sind. So gelingt es ihnen, ein komplexes soziales Netz von kooperativen Beziehungen auszuhandeln. «Neben dem Menschen scheinen bisher nur Delfine ihre individuellen ‹Namen› zu behalten, wenn es um die Bildung von engen und langen kooperativen Beziehungen geht», sagt Stephanie King, Erstautorin der Studie.
Körperkontakte zur Festigung der Beziehungen
Männliche Delfine nutzen auch Körpersignale wie Streicheln, einen Klaps geben und synchrones Verhalten, um ihre soziale Bindungen auszudrücken. «Momentan untersuchen wir die Beziehungen der Männchen untereinander in einer Allianz noch genauer um herauszufinden, ob sie zwischen allen Beteiligten gleich stark ausgeprägt sind oder nicht», erklärt Krützen.
Literatur:
Stephanie L. King, Whitney R. Friedman, Simon J. Allen, Livia Gerber, Frants H. Jensen, Samuel Wittwer, Richard C. Connor and Michael Krützen. Bottlenose Dolphins Retain Individual Vocal Labels in Multi-level Alliances. Current Biology, June 7, 2018. DOI: 10.1016/j.cub.2018.05.013
07.06.2018, Hochschule Weihenstephan-Triesdorf
Schützen Biberdämme vor Hochwassern? HSWT erforscht Grundlagen zum Wasserrückhalt durch Biberdämme
Die Wissenschaftler Prof. Dr. Volker Zahner und Prof. Dr. Carsten Lorz vom Institut für Ökologie und Landschaft der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf erarbeiteten in dem Forschungsprojekt „Die Wirkung des Europäischen Bibers (Castor fiber) auf den natürlichen Wasserrückhalt an ausgewählten Fließgewässern Bayerns“ die Grundlagen der hydraulischen und hydrologischen Wirkung von Biberdämmen bei Hochwasserereignissen in Europa. In dem damit in Verbindung stehenden Projekt „ProNaHo“ des Lehrstuhls für Hydrologie und Flussgebeitsmanagement der TU München erfolgt dann die prozessbasierte Modellierung.
Nach März 1988, Pfingsten 1999, dem August 2002 und 2005 trat im Juni 2013 das fünfte außergewöhnliche Hochwasserereignis in Bayern innerhalb eines verhältnismäßig kurzen Zeitraums auf. Die bayerische Staatsregierung beschloss daraufhin die Anstrengungen im Hochwasserschutz zu verstärken. Neben dem „Technischen Hochwasserschutz“ und der „Hochwasservorsorge“ gilt in diesem Zusammenhang auch dem „Natürlichen Rückhalt“ besondere Aufmerksamkeit. Die Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT) sollte in einem vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz geförderten Forschungsprojekt untersuchen, inwieweit Biberdämme einen wirksamen Beitrag für den natürlichen Wasserrückhalt leisten können. Bayern ist heute wieder weitgehend vom Biber besiedelt. Dabei weisen rund 30-40 % der Reviere Dämme auf. Diese Dämme haben einen hohen Stellenwert für den Naturschutz, weisen aber auch ein hohes Konfliktpotenzial auf. Gerade unter hydraulischen und hydrologischen Aspekten gab es bislang wenig belastbare Informationen zur Bewertung und Modellierung im Hochwasserfall.
Die Wissenschaftler Prof. Dr. Volker Zahner und Prof. Dr. Carsten Lorz vom Institut für Ökologie und Landschaft der HSWT erarbeiteten in dem Forschungsprojekt „Die Wirkung des Europäischen Bibers (Castor fiber) auf den natürlichen Wasserrückhalt an ausgewählten Fließgewässern Bayerns“ die Grundlagen der hydraulischen und hydrologischen Wirkung von Biberdämmen bei Hochwasserereignissen in Europa. In dem damit in Verbindung stehenden Projekt „ProNaHo“ des Lehrstuhls für Hydrologie und Flussgebeitsmanagement der TU München erfolgt dann die prozessbasierte Modellierung. Mit einer bayernweiten Umfrage wurden in verschiedenen Naturräumen die Anzahl und Verteilung von Biberdämmen erfasst und nach relevanten Parametern typisiert. Dabei zeigte sich, dass Biber nur an kleinen Fließgewässern Dämme bauen, die meist weniger als sechs Meter breit und weniger als 70cm tief sind sowie mindestens einen Gehölzsaum aufweisen. Dämme werden nur in nicht zu steilem Gelände errichtet, bei über 7% Gefälle finden sich in aller Regel keine Dämme mehr. Je nach Topographie und Geländeneigung entstehen Dammkaskaden. Das durch die Dämme zurück gehaltene Sedimentvolumen schwankt dabei in Abhängigkeit der Fläche der Biberteiche zwischen 42 und 3858 Kubikmetern.
Vor allem der als Freibord bezeichnete Abstand zwischen dem Wasserspiegel und der Oberkante des Dammes entscheidet in Verbindung mit der Biberteichgröße darüber, wie viel der anströmenden Wassermenge aufgenommen und zurückgehalten wird. Die bei den stabilsten Dämmen im Bayerischen Wald ermittelte Maßzahl HQ10 sagt dabei aus, dass die dortigen Biberdämme zehnjährigen Hochwasserereignissen standgehalten haben. Mit ansteigender Biberpopulation steigt auch die Zahl der Dämme, jedoch nicht zwangsläufig proportional. Wenn die günstigsten Reviere besetzt sind, führt der Populationsdruck dazu, dass marginalere (kleinere) Gewässer besiedelt werden, die ohne Dammbauten für den Biber nicht bewohnbar wären. So entstehen Dämme vor allem in Kleingewässern und in Oberläufen, wie es zum Beispiel in Unterfranken der Fall war. Die potentielle Wirkung von Biberdämmen auf den Hochwasserabfluss wird durch die Verringerung der Fließgeschwindigkeit, die durch das Freibord zurückgehaltene Wassermenge sowie längerfristig von der Dammstabilität bestimmt.
07.06.2018, Georg-August-Universität Göttingen
Göttinger Wissenschaftler analysieren, wie die Haltung von Nutztieren wahrgenommen wird
Die meisten Tiere in der Landwirtschaft werden in konventionellen Ställen gehalten. Wie Verbraucher reagieren, wenn sie realitätsnahe Bilder solcher Ställe sehen, haben Forscherinnen und Forscher der Universi-täten Göttingen und Bozen untersucht. Bilder aus üblichen Ställen werden demnach von Personen ohne landwirtschaftlichen Bezug sehr negativ bewertet. Aus den Ergebnissen kann abgeleitet werden, wie eine akzeptierte Tierhaltung in Europa ausgestaltet werden müsste. Die Studie ist in der Fachzeitschrift Animal Frontiers erschienen.
Die Wissenschaftler befragten rund 1.000 Personen online, welchen Eindruck die Fotos auf sie machen. Ställe, die die Bewegungsfreiheit der Tiere einschränken, wurden negativer als übliche Ställe bewertet. Wird ein Zugang zum Außenbereich sichtbar, schneiden die Ställe besser ab. „Wir waren überrascht davon, wie schlecht die reine Stallhaltung bewertet wurde“, sagt Dr. Gesa Busch von der Universität Bozen, Hauptauto-rin der Studie. Die Wissenschaftler schlussfolgern, dass die wahrgenommene Natürlichkeit eines Stalles als Schlüsselreiz für dessen Bewertung herangezogen wird. Doch nicht alle Tiere können draußen gehalten wer-den, da das Land begrenzt ist und die Tiere Emissionen verursachen. „Hybridstrategien wie zum Beispiel Außenklimaställe mit Zugang zu Laufhöfen oder Joggingweiden, wie es sie in der Milchviehhaltung bereits gibt, könnten einen Kompromiss darstellen, der für die Tiere besser ist und von der Gesellschaft akzeptiert wird“, so Prof. Dr. Achim Spiller von der Universität Göttingen.
Originalveröffentlichung: Busch, G., Spiller, A, (2018). Pictures in public communications about livestock farm-ing. Animal Frontiers, 8(01), S. 27-33. https://academic.oup.com/af/article/8/1/27/4967585
07.06.2018, Universität zu Köln
Wichtige Schritte der embryonalen Entwicklung der Wirbelsäule des Zebrafischs entschlüsselt
Paper von Kölner Entwicklungsbiologen erhält Auszeichnung als „Research Highlight“ in der Fachzeitschrift „Development“
Ein internationales Team um die Kölner Entwicklungsbiologen Hans-Martin Pogoda, Iris Riedl-Quinkertz, Heiko Löhr und Matthias Hammerschmidt konnte am Modellorganismus des Zebrabärblings, auch Zebrafisch genannt, den Mechanismus der Wirbelsäulenentstehung in wesentlichen Aspekten entschlüsseln. Die Studie liefert neue Einblicke in die embryonale Ausbildung der Wirbelsäule, in der sich Wirbelkörper und deren Zwischenbereiche, sogenannte Intervertebrale, abwechseln. Der Beitrag der Kölner Forschenden wurde von den Herausgebern der Fachzeitschrift „Development“ als „Research Highlight“ ausgewiesen.
Alle Wirbeltiere (inklusive uns Menschen) bilden als funktionellen Vorläufer der späteren Wirbelsäule eine stabförmige, knorpelartige Struktur, das Notochord, aus. Es durchzieht die Körperachse des Embryos etwa vom Hals bis zur Schwanzspitze. Das Team fand Hinweise darauf, dass der Startmechanismus der Wirbelbildung bei Knochenfischen grundsätzlich anders als bei Vögeln und niederen Säugern abläuft. Zwar besitzen alle Wirbeltiere ursprünglich ein Notochord, beim Fischembryo spielt diese Struktur jedoch eine Schlüsselrolle bei der Segmentierung des Rückgrats, die letztlich ihren Ausdruck in einer „Kette“ aus Wirbelkörpern findet.
„Interessanterweise ist das Notochord beim Zebrabärbling äußerlich nicht in offensichtlich unterscheidbare Segmente unterteilt. Auf molekularer Ebene konnten wir allerdings erkennen, dass sich die Schicht der äußeren Knorpelzellen, die sogenannten Chordoblasten, durchaus in bereits segmentierte Abschnitte gliedert. Dieser Fund legt nahe, dass die Bildung der Wirbelkörper von den Chordoblasten gesteuert wird“, sagt Erstautor Dr. Hans-Martin Pogoda vom Institut für Zoologie der Universität zu Köln. „Wir haben weiterhin gelernt, dass die Aktivitäten der Chordoblasten in Antwort auf das Signalmolekül Retinsäure ganz ähnlich sind wie die der Osteoblasten, die die Knochen im Menschen formen.“
Für entwicklungsbiologische Fragestellungen ist der Zebrabärbling ein besonders geeigneter Modellorganismus, da der Embryo optisch wie experimentell gut zugänglich ist. So ist es beispielsweise möglich, seine Entwicklung „live“ unter dem Mikroskop zu verfolgen, erklärt Pogoda: „Wir schauen uns die zellulären und molekularen Prozesse bei der Bildung des axialen Skeletts an und wollen herausfinden, wie der Bauplan der Wirbelsäule im Embryo angelegt wird. Diese Abläufe am Modell genau zu verstehen, ist grundlegend, zumal der Zebrabärbling heute eines der wichtigsten Modellsysteme der biomedizinischen Forschung ist. Viele der hier gewonnenen Erkenntnisse können auf den Menschen übertragen werden.“
Zur Publikation:
http://dev.biologists.org/content/145/9/dev159418.long
07.06.2018, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Agroforstwirtschaft: Kaffee mit Pfeilgiftfrosch
Gemeinsam mit einem kolumbianisch-deutschen Forscherteam haben Senckenberg-Wissenschaftler die Amphibien-Vielfalt in landwirtschaftlich genutzten und ungenutzten Gebieten der Kolumbianischen Anden untersucht. In ihrer kürzlich im Fachjournal „Agriculture, Ecosystems and Environment“ erschienen Studie zeigen sie, dass die Biodiversität in den bewirtschafteten und vermeintlich minderwertigen Habitaten sogar höher sein kann, als in den unberührten Nebelwaldbereichen. Das Ergebnis hat direkte Auswirkungen auf die Schutzkonzepte der dort zahlreich vorkommenden endemischen und bedrohten Tierarten.
Der auffällig rot-schwarz gefärbte und maximal 2 Zentimeter große Santander Pfeilgiftfrosch Andinobates virolinensis ist eine von vielen Amphibienarten, die nur in Kolumbien vorkommen. „Erstaunlicherweise haben wir diese endemische und als ‚gefährdet’ eingestufte Art ausschließlich in so genannten Schattenkaffeeplantagen gefunden“, erklärt Dr. Raffael Ernst von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden und fährt fort: „Das ist insofern ungewöhnlich, weil diese Art eine spezialisierte Fortpflanzungsbiologie besitzt. Das Männchen transportiert den Quappennachwuchs auf dem Rücken zu geeigneten Aufzuchtgewässern, meist Bromelienblattachseln – und diese natürlichen Mikrohabitate sind in den bewirtschafteten Arealen eigentlich sehr limitiert.“
Ernst hat gemeinsam mit Forschenden von der kolumbianischen Escuela de Biología der Universidad Industrial de Santander und dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) 13 Flächen in den Kolumbianischen Anden über einen Zeitraum von 2 Jahren untersucht. „Wir wollten herausfinden, wie sich unterschiedliche landwirtschaftliche Nutzung auf die Artenvielfalt und Zusammensetzung von Amphibiengemeinschaften auswirkt – hierfür haben wir insgesamt 2556 Tiere erfasst und bestimmt“, so der Dresdner Herpetologe. Das Ergebnis der Feld- und Laborarbeiten ist überraschend: Anders als bisher angenommen zeigen besonders die bewirtschafteten und fragmentierten Areale eine hohe Amphibienvielfalt. Deren Diversität übertraf sogar die der nahegelegenen unberührten Nebelwaldbereiche. „Das Konzept der ‚Agroforstwirtschaft’ – eine Kombination aus Land- und Forstwirtschaft – scheint demnach in Kolumbien, zumindest in bereits stark gestörten Regionen aufzugehen“, so Ernst.
Zum Schutz der gesamten Amphibienvielfalt reicht es laut der Studie nicht aus, vermeintlich unberührte, natürliche Gebiete aus der Nutzung herauszunehmen und unter Schutz zu stellen. Das Wissenschaftlerteam empfiehlt dagegen die Matrix aus genutzten und ungenutzten Arealen in Ihrer Gesamtheit zu schützen und weiter zu entwickeln. Ernst gibt ein Beispiel: „Lassen wir die Kaffeeplantagen außen vor, verlieren wir eventuell Arten wie den erwähnten Santander Pfeilgiftfrosch, die hier einen Ersatzlebensraum gefunden haben. Aber auch in den unbewirtschafteten Nebelwäldern konnten wir Arten nachweisen, die ausschließlich dort vorkommen, wie beispielsweise die bedrohte Froschart Pristimantis bacchus. Nur ein ganzheitliches Konzept kann diesen beiden und vielen weiteren Froscharten gerecht werden.“
Publikation
Lilith Zoe Brüning, Mina Krieger, Elson Meneses-Pelayo, Nico Eisenhauer, Martha Patricia Ramirez Pinilla, Björn Reu, Raffael Ernst (2018): Land-use heterogeneity by small-scale agriculture promotes amphibian diversity in montane agroforestry systems of northeast Colombia.
Agriculture, Ecosystems & Environment, Volume 264, 2018,
Pages 15-23,
https://doi.org/10.1016/j.agee.2018.05.011.
12.06.2018, Veterinärmedizinische Universität Wien
Auf den archäologischen Zahn gefühlt: genetische Spurensuche was für ein Schwein Hallstatt hatte
Hallstatt wird seit der Bronzezeit als Salzquelle auch zum Pökeln von Fleisch geschätzt. Knochen- und Zahnfunde belegen eine gut funktionierende Fleischindustrie vor allem mit Schweinen. Was für einen genetischen Ursprung die verarbeiteten Tiere hatten, können Erbgutreste in den Fundstücken verraten. Forschenden der Vetmeduni Vienna und des Naturhistorischen Museums Wien gelang es mit einer speziell entwickelten Methode die prähistorischen DNA-Spurenelemente zu extrahieren und zu analysieren. Ihre in BMC Research Notes veröffentlichte Studie zeigt nun als ersten Schritt, dass die Schweine der Hallstätter Bronzezeit genetisch gesehen Europäer waren.
Die Region Hallstatt wird über Österreichs Grenzen hinaus als Weltkulturerbe geschätzt. Vor allem seit der Bronzezeit und bis heute ist jedoch das Salz, in den Bergstollen rund um den Ort, der eigentliche Schatz der Region. Denn es eignete sich auch für das Konservieren von Fleisch, dem Pökeln, um es, ohne die sonst notwendige Kühlung, haltbar zu machen. Damit entwickelte sich in der Region schon früh eine lukrative Fleischproduktionsindustrie.
Die Hallstätter hatten in der Bronzezeit Schwein, aber welches?
Grabungen und Knochen- und Zahnfunde belegten, dass vor allem Schweinefleisch in der Hallstättergegend zur Bronzezeit verarbeitet wurde. Diese visuelle Zuordnung, anhand der Knochen und Zähne, und die Datierung kann durch genetische Daten weiter verfeinert werden. Denn in den Fundstücken steckt zumeist noch so viel DNA, dass eine Artanalyse der verarbeiteten Tiere möglich ist. Das prähistorische Erbgut zu gewinnen erfordert jedoch spezielle Methoden.
Sabine Hammer vom Institut für Immunologie der Vetmeduni Vienna und ihren KollegInnen vom Naturhistorischen Museum gelang es nun aus den Schweinezähnen mitochondriale DNA zu extrahieren und damit einen ersten Schritt zum Artnachweis der verarbeiteten Schweine zu setzen. Es zeigte sich, dass die getesteten Proben fast ausschließlich zum europäischen Schweine-Haplotyp gehörten.
Adaptierte Methode weist verarbeitete Schweine als Europäer aus
Visuelle Artbestimmung durch Knochen oder Zahnfunde und ihre Datierung sind längst nicht mehr die einzigen Bestimmungsformen für archäologische Proben. Die Bestimmung der genetischen und in weiterer Folge auch der geographischen Abstammung liefert wertvolle Informationen etwa über Haltung oder Zucht von Nutztieren in der frühen Menschheitsgeschichte. Dafür muss prähistorisches Erbgut jedoch mit ausreichender Qualität gefunden, extrahiert und analysiert werden.
Hammer und ihren KollegInnen gelang es die Methoden entsprechend zu adaptieren und die ersten Proben genetisch einzuordnen. „Aus sieben ausgewählten Proben konnten wir genug mitochondriale DNA für eine sogenannte Markeranalyse gewinnen“, erklärt die Erstautorin. „Die Erbgut-Sequenzen die wir dadurch entschlüsselten, verglichen wir per Computeranalyse mit bereits veröffentlichten DNA-Codes. Das Ergebnis war bis auf eine Probe eindeutig. Es scheint, dass nur die, den genetisch gesehen, europäischen Vorfahren zugehörigen Schweinearten verarbeitet wurden.“
Die heutigen Schweine sind wissenschaftlich gesehen in zwei Haplotyp-Gruppen aufgeteilt, in denen sich bestimmte Erbgutvarianten evolutionär bei allen Nachfahren nachweisen lassen. „Die Gruppen sind in eine asiatische und europäische Erbgutvariante aufgeteilt“, erklärt Hammer. „Laut unseren Ergebnissen waren sechs Proben eindeutig europäischen Ursprungs.“ Nur eine Probe war zwischen den beiden Haplotypgruppen eingeordnet.
Weitere Tests könnten auch geographische Daten liefern
„Diese Ergebnisse deuten, als ein erster Schritt, darauf hin, dass Schweine zur Verarbeitung in und um Hallstatt gehalten und gezüchtet wurden“, erklärt Hammer. Diese geographische Einschätzung muss jedoch erst durch weitere Proben bestätigt werden. Eindeutig scheint jedoch zu sein, dass neben gezüchteten Tieren auch die, für die frühe Hallstätter Fleischindustrie, erjagten Wildschweine europäische Vorfahren hatten. Die dafür etablierte und durch die Ergebnisse bestätigte Methodik wird die Entschlüsselung weiterer Markergene unterstützen und zukünftig eine umfangreichere Analyse ermöglichen. „Die Crux in diesem Fall ist jedoch, dass qualitativ ausreichendes Erbgut aus den ausgegrabenen Proben gewonnen werden kann“, so Hammer. Erst dann lassen sich die Funde genetisch eindeutig kartieren und letztendlich geographisch zuordnen.
Service:
Der Artikel „Bronze Age meat industry: ancient mitochondrial DNA analyses of pig bones from the prehistoric salt mines of Hallstatt (Austria)“ von Sabine E. Hammer, Barbara Tautscher, Erich Pucher, Kerstin Kowarik, Hans Reschreiter, Anton Kern und Elisabeth Haring wurde in BMC Research Notes veröffentlicht.
https://bmcresnotes.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13104-018-3340-7
12.06.2018, Max-Planck-Institut für Ornithologie
Das Verschwinden eines Elternteils ist die Hauptursache für den Tod der ganzen Brut bei Blaumeisen
Der Tod aller Küken in einem Nest hängt bei Blaumeisen fast immer mit dem plötzlichen und unwiderruflichen Verschwinden eines Elternteils zusammen. Peter Santema und Bart Kempenaers vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen zeigen, dass der verbleibende Elternteil sich dann mehr anstrengt, um wenigstens einige der Küken durchzubringen, was bei zwei Dritteln der Nester auch gelingt. Alleinerziehende Männchen haben generell weniger Erfolg, was unter anderem daran liegen könnte, dass sie nicht brüten und daher die Küken nicht warmhalten können.
Blaumeisen legen typischerweise 8-15 Eier in ein Nest, aus dem idealerweise 21 Tage nach dem Schlüpfen die Jungtiere ausfliegen. In einigen Nestern jedoch sterben alle Jungtiere noch bevor sie alt genug sind, das Nest zu verlassen. Die Gründe für solch einen kompletten Brutverlust waren bisher unklar. Ein Elternteil könnte zum Beispiel die Jungenaufzucht komplett seinem Partner überlassen haben, oder beide Eltern könnten auch gemeinsam entschieden haben, die Brut zu verlassen. Peter Santema und Bart Kempenaers vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen haben in ihrer Studie eine Methode entwickelt, mit der sie herausfinden konnten, wann genau die Eltern aufhören, Futter zum Nest zu bringen und wann der Nachwuchs verloren geht.
Dazu haben die beiden Wissenschaftler alle erwachsenen Blaumeisen in ihrer Studienfläche mit einem winzigen Microchip-Transponder ausgestattet. In alle Nestboxen in der Fläche wurde ein automatisches Überwachungssystem eingebaut, das jeden Besuch eines Vogels mit Transponder über das ganze Jahr aufzeichnete. So konnten sie jeden Besuch der 277 Nestboxen analysieren und feststellen, wann ein Elternteil zuletzt am Nest war. Im Falle des plötzlichen Verschwindens eines Elternteils haben sie untersucht, wie oft das verbleibende Elternteil das Nest vor und nach dem Verschwinden seines Partners besucht hat.
Von den 684 Nestern, die sie über sieben Jahren analysieren konnten, haben dreizehn Prozent die Brut komplett verloren. Bei fast allen dieser Nester verschwand eins der Elternteile, während die Jungen noch gelebt haben. “Bis auf eine Ausnahme sind alle verschwundenen Vögel nie wieder im Studiengebiet aufgetaucht“, sagt Bart Kempenaers, der die Studie geleitet hat. Dass ein Elternteil die Brut verlassen und die Aufzucht dem Partner überlassen hat, ist also unwahrscheinlich. Auch die Besuchsraten der Eltern im Nest waren normal bis zum Zeitpunkt des Verschwindens, was auf ansonsten gesunde Individuen hindeutet, die nicht erschöpft ihre Brut aufgeben mussten. “Mit all diesen Beweisen liegt es auf der Hand, dass das plötzliche Wegbleiben eines Elternteils durch seinen Tod verursacht wurde”, sagt Peter Santema, Erstautor der Studie. Das ununterbrochene Anfliegen zum und vom Nest macht die Eltern anfällig für Fressfeinde aus der Luft, vor allem dem Sperber.
Das Fehlen eines Elternteils muss aber nicht zwangsläufig das Ende der ganzen Brut bedeuten. In mehr als zwei Drittel der Fälle, bei denen zuvor ein Elternteil verschwand, erreichte zumindest ein Teil der Nestlinge das Ausflugsalter. Die Wahrscheinlichkeit für eine trotzdem erfolgreiche Brut war höher, wenn das Männchen verschwunden war. „Die Nestlinge können nicht die Temperatur im Körper konstant halten, so lange sie keine Federn haben. Nur Weibchen haben einen Brutfleck und damit die Möglichkeit, sie warm zu halten“, sagt Peter Santema. Das könnte ein Grund sein, warum alleinerziehende Männchen generell weniger erfolgreich waren als Weibchen.
In den anderen Fällen scheinen die zurückgebliebenen Elternteile nicht in der Lage gewesen zu sein, die Brut alleine durchzubringen. Nachdem dem Verschwinden des Partners haben sowohl bei Männchen als auch Weibchen die Nestbesuche zunächst erheblich zu-, aber bei letztlich erfolglosen Bruten dann stetig wieder abgenommen. Es scheint, dass die verlassenen Elternteile es zumindest alleine versucht haben, aber mit der hohen Nachfrage letztlich nicht mithalten konnten. Dass die Eltern ihre Nestlinge freiwillig aufgeben, ist sehr unwahrscheinlich. Da Blaumeisen nur einmal pro Jahr Nachwuchs bekommen und kurzlebig sind, haben sie nur eine geringe Chance, sich in Zukunft noch einmal fortpflanzen zu können.
Im Gegensatz zu Nestern, die komplett fehlschlugen, wurden Nester mit nur einem Teilverlust der Brut generell von beiden Elternteilen versorgt. “Unsere Ergebnisse zeigen, dass es für den Tod einzelner Nestlinge andere Gründe gibt als für den Verlust der ganzen Brut, wie zum Beispiel Nahrungsknappheit oder Krankheit”, fasst Bart Kempenaers zusammen.
Originalveröffentlichung:
Peter Santema & Bart Kempenaers (2018) Complete brood failure in an altricial bird is almost always associated with the sudden and permanent disappearance of a parent. Journal of Animal Ecology, published online on June 12, 2018
11.06.2018, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Roboterfisch bringt „echte“ Artgenossen zum Reden
Die nachtaktiven afrikanischen Nilhechte erzeugen elektrische Spannungspulse und verschaffen sich damit ein erstaunlich genaues Bild ihrer Umgebung. Sie können mit diesen Pulsen aber auch gezielt bestimmte Mitglieder ihres Schwarms ansprechen – fast, als würden sie sie beim Namen rufen. Das zeigt eine aktuelle Studie der Universität Bonn, die nun in der Zeitschrift „PNAS“ erschienen ist. ACHTUNG SPERRFRIST: Nicht vor Montag, 11. Juni, 21 Uhr MESZ veröffentlichen!
Um dieser ungewöhnlichen Form der Kommunikation auf die Schliche zu kommen, griffen die Forscher zu einem Trick: Sie konstruierten einen Roboterfisch aus Gummi, dessen Schwimmrichtung sich fernsteuern ließ. Die Attrappe verfügte über zwei Empfänger-Elektroden, mit denen sie die elektrischen Signale „echter“ Nilhechte registrieren konnte. Zwei Sender-Elektroden ermöglichten es ihr zudem, selbst Spannungspulse abzustrahlen.
„Wir haben diesen Roboter zu einem afrikanischen Nilhecht ins Wasser gesetzt“, erklärt Prof. Dr. Gerhard von der Emde vom Institut für Zoologie der Universität Bonn. „Dann haben wir beobachtet, wie die beiden aufeinander reagierten.“ Der Wissenschaftler erforscht seit vielen Jahren die Sinnesleistungen schwach elektrischer Fische. Diese erzeugen ihre Spannungspulse nicht, um damit Gegner außer Gefecht zu setzen. Stattdessen liefert ihnen ihr Elektro-Sinn ein erstaunlich detailreiches Bild ihrer Umgebung. Sie können so beispielsweise in pechschwarzer Nacht die Form und Größe von Objekten erkennen.
Morsebotschaft unter Wasser
Man könnte die Spannungspulse vielleicht mit den Tönen eines Sonars vergleichen: Jeder Nilhecht stößt einen kurzen, charakteristischen „Ton“ aus, der sich von denen anderer Arten unterscheidet. Dieser wird von der Umgebung verändert, was dem Fisch erlaubt, sich zu orientieren. Und er macht das nicht nur einmal, sondern ständig – immer wieder von kürzeren oder längeren Pausen unterbrochen. Das Ganze ähnelt einer chaotisch anmutenden Morsebotschaft.
Möglicherweise ist diese Analogie treffender, als es auf den ersten Blick scheint. Die Wissenschaftler vermuten, dass Nilhechte ihre Elektro-Signale auch zur Kommunikation miteinander nutzen. „Unsere Ergebnisse stützen diese These“, sagt Martin Worm, der in der Arbeitsgruppe von Prof. von der Emde promoviert.
So schwamm die Attrappe in einem der Versuche im Becken hin und her, ohne dabei Spannungspulse abzugeben. Der echte Fisch ignorierte seinen angeblichen Artgenossen daraufhin weitgehend. Anders war es, wenn der Roboter die für Nilhechte typischen Elektrosignale erzeugte. Er wurde daraufhin für seinen Aquariums-Mitbewohner deutlich interessanter. Dieser folgte ihm dann beispielsweise durch das Aquarium.
Die größte Aufmerksamkeit erzielte der Roboter allerdings, wenn er die „Morsebotschaften“ des echten Fischs „nachplapperte“, also rund 20 Millisekunden nach jedem Puls des Nilhechts ebenfalls ein Signal erzeugte. „Durch dieses ‚Echo‘ zeigte der Hecht jetzt erst Recht an der Attrappe Interesse und schwamm zum Beispiel direkt auf sie zu“, erklärt Worm.
Aber nicht nur das: Der Fisch passte seine Elektro-Signale nun seinerseits an die der Attrappe an. Aus der unregelmäßigen Abfolge von Pulsen wurde ein regelmäßiges Hin und Her – wie bei einem Ballwechsel zweier Tennisspieler. Etwa ein bis zwei Sekunden dauerte diese Synchronisation, die auch schon in der freien Natur beobachtet wurde.
„Wir nehmen an, dass sich Fische auf diese Weise ganz gezielt an andere Schwarm-Mitglieder richten, um sich mit ihnen auszutauschen“, vermutet von der Emde. Vereinfacht gesagt: Indem sie den „Sprechrhythmus“ eines Artgenossen imitieren, teilen sie ihm mit, dass sie mit ihm kommunizieren möchten. Und dieser zeigt, dass er verstanden hat, indem er sich seinerseits an den Duktus des ersten Fisches anpasst. Die Synchronisation initiiert also das eigentliche „Gespräch“.
Die Wissenschaftler wollen nun herausfinden, wie es danach weiter geht: Welche Informationen werden ausgetauscht? Gibt es beispielsweise bestimmte Puls-Sequenzen, die Gefahr signalisieren oder anzeigen, dass einer der Kommunikationspartner Nahrung gefunden hat? Dabei soll ihnen wieder ihr Roboter-Fisch helfen, der von ihrem Kooperationspartner Prof. Dr. Tim Landgraf von der FU Berlin gebaut wurde. „Wir hoffen, so Antworten auf diese Fragen zu finden“, sagt von der Emde. „Schon jetzt deutet sich an, dass das Sozialverhalten der Nilhechte sehr viel interessanter ist, als man bislang dachte.“
Publikation: Martin Worm, Tim Landgraf, Julia Prume, Hai Nguyen, Frank Kirschbaum und Gerhard von der Emde: Evidence for mutual allocation of social attention through interactive signaling in a mormyrid weakly electric fish; Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS); DOI: 10.1073/pnas.1801283115
13.06.2018, Dachverband Deutscher Avifaunisten
Seeregenpfeifer vom Mittelmeer brüten an der Nordsee
Biologen der Schutzstation Wattenmeer und des Michael-Otto-Instituts im NABU entdeckten an der nordfriesischen Wattenmeerküste kürzlich zwei Seeregenpfeifer-Weibchen aus dem Mittelmeerraum unter den einheimischen Artgenossen. Im Beltringharder Koog und in St.Peter-Ording waren den Forschern die aus Mallorca und Südfrankreich stammenden Vogelweibchen aufgefallen.
Das erste Regenpfeifer-Weibchen wurde im vergangenen Juni auf Mallorca im Rahmen eines Forschungsprojektes im Feuchtgebiet Salobrar de Campos mit Farbringen versehen. Der zweite Vogel brütete im letzten Jahr mehr als 1.300 Kilometer entfernt am Mittelmeer in den südfranzösischen Salinen von Pesquiers. Seeregenpfeifer werden europaweit beringt, um mehr über die Ökologie dieser in vielen Ländern gefährdeten Art herauszufinden. Ortswechsel über große Entfernungen sind bei Seeregenpfeifern zwar keine Seltenheit, trotzdem sind diese Fälle eine große Besonderheit und für Deutschland die ersten ihrer Art.
Für die Seeregenpfeifer-Damen vom Mittelmeer wird es vermutlich nur ein kurzer Aufenthalt an der Nordsee werden. Üblicherweise verlassen sie wenige Tage nach dem Schlupf der Küken ihre Jungen, die dann vom Vater allein großgezogen werden. Vielleicht heißt es aber auch im nächsten Jahr wieder: Lieber St. Peter statt Malle.
15.06.2018, Deutsches Primatenzentrum GmbH – Leibniz-Institut für Primatenforschung
Primaten in Gefahr
Internationale Experten fordern sofortige Maßnahmen zum Schutz bedrohter Affenarten
Affen sind faszinierend. Sie sind intelligent, leben in komplexen Gesellschaften und sind ein wichtiger Teil der Ökosysteme. Darüber hinaus sind sie mit uns verwandt. Sie gehören ebenso wie der Mensch zur Gruppe der Primaten. Während Menschen sich jedoch bis in den hintersten Winkel der Erde ausgebreitet haben, sind viele unserer nächsten Verwandten stark gefährdet. Ein internationales Team führender Primatenforscher, darunter Christian Roos vom Deutschen Primatenzentrum (DPZ) – Leibniz-Institut für Primatenforschung, hat in einem heute erschienenen Übersichtsartikel die bedrohte Lage vieler nicht-menschlicher Primatenarten in Brasilien, Madagaskar, Indonesien und der Demokratischen Republik Kongo analysiert und bewertet. In ihrer Studie untersuchten die Forscher den Einfluss menschlicher Aktivitäten auf wildlebende Primatenpopulationen. Besonders die Zerstörung natürlicher Wälder und deren Umwandlung in landwirtschaftliche Nutzflächen bedrohen viele Arten, die dadurch ihren Lebensraum verlieren. Aber auch die Jagd und der Handel mit Buschfleisch führen zum massiven und schnellen Rückgang vieler Populationen. Eine modellhafte Simulation der Ausbreitung landwirtschaftlich genutzter Flächen bis zum Ende des Jahrhunderts ergab einen Rückgang der Verbreitungsgebiete vieler Affenarten um bis zu 78 Prozent. Die Wissenschaftler fordern in ihrer Studie sofortige Maßnahmen zum Schutz der bedrohten Affenarten und geben Handlungsempfehlungen, um die Primaten nachhaltig und auf lange Sicht vor dem Aussterben zu bewahren (Peer Journal 2018).
Affen leben in tropischen und subtropischen Gebieten der Erde und sind vor allem in Regionen Afrikas, Südamerikas, Madagaskars und Asiens verbreitet. Die Weltnaturschutzunion (IUCN) listet derzeit 439 Arten. 65 Prozent (286) davon sind in den vier Ländern Brasilien, Indonesien, Madagaskar und der Demokratischen Republik Kongo beheimatet. Von ihnen sind rund 60 Prozent vom Aussterben bedroht. Besonders dramatisch ist die Lage in Indonesien und Madagaskar, wo mehr als drei Viertel der Primatenarten bedroht sind und über 90 Prozent der Populationen zurückgehen.
In einer umfassenden Literaturrecherche analysierten die Autoren der Studie die Hauptbedrohungsfaktoren für Affenarten in den vier Ländern. In Brasilien, Madagaskar und Indonesien bringen vor allem der Verlust und die zunehmende Zerteilung ihrer Lebensräume die Tiere in Bedrängnis. In der Demokratischen Republik Kongo stellt der Handel mit Buschfleisch die größte Gefahr dar. Zudem werden Primaten illegal als Haustiere verkauft oder in der traditionellen Medizin verwendet. Armut, mangelnde Bildung, Ernährungsunsicherheit sowie politische Instabilität und Korruption fördern zusätzlich den Raubbau an natürlichen Ressourcen in den betreffenden Ländern und erschweren Schutzmaßnahmen.
„Die Zerstörung der natürlichen Umwelt durch Abholzung der Wälder, Schaffung von landwirtschaftlichen Nutzflächen und Ausbau der Infrastruktur zum Transport der Güter ist ein Hauptproblem“, sagt Christian Roos, Wissenschaftler in der Abteilung Primatengenetik am DPZ und Co-Autor der Studie. „Nicht zuletzt die Industrienationen tragen zu dieser Entwicklung bei. Die Nachfrage nach Rohstoffen wie Soja, Palmöl, Kautschuk, Hartholz oder fossilen Brennstoffen ist hierzulande groß. Allein die vier primatenreichen Länder decken 50 Prozent dieser Exporte nach China, Indien, den USA und Europa.“
Die Wissenschaftler kombinierten Daten aus den Datenbanken der Vereinten Nationen (United Nations) und der World Bank und simulierten so die geschätzte Ausbreitung der landwirtschaftlichen Nutzflächen in den vier Ländern bis zum Ende des Jahrhunderts. Unter Annahme eines Worst-Case-Szenarios konnten die Forscher einen Rückgang der Verbreitungsgebiete der Affenarten vorhersagen. Demnach könnten bis zum Jahr 2100 78 Prozent der Lebensräume in Brasilien, 72 Prozent in Indonesien, 62 Prozent in Madagaskar und 32 Prozent im Kongo verschwunden sein. Gleichzeitig untersuchten die Autoren die Größe und Verbreitung von Schutzgebieten für die Tiere. Ihre Schätzungen ergaben, dass in Brasilien und Madagaskar rund 38 Prozent, in Indonesien 17 Prozent und im Kongo 14 Prozent ihrer Lebensräume in Schutzgebieten liegen. Der Großteil der Verbreitungsgebiete ist also ohne Schutzstatus und die Affen damit gefährdet.
Die Autoren fordern die Ausweitung der Schutzgebiete, die Aufforstung der Wälder und Pflanzung von Korridoren als wichtige Maßnahmen, um Primatenpopulationen zu erhalten. Darüber hinaus muss bei der lokalen Bevölkerung ein Bewusstsein für die prekäre Lage geschaffen werden. Regierungen, Wissenschaftler, Naturschutzorganisationen und die Wirtschaft müssen zusammenarbeiten, um nachhaltige, ökologische Landwirtschaft zu fördern bei gleichzeitigem Erhalt traditioneller Lebensweisen. Zudem sollten Regierungen der betreffenden Länder härter gegen illegale Jagd, Waldzerstörung und Handel mit Primaten vorgehen.
„Primaten sind wie die Kanarienvögel im Bergwerk“, sagt Christian Roos. „Sie sind für die tropische Biodiversität von unschätzbarem Wert, da sie für die Regeneration von Wäldern und stabile Ökosysteme wichtig sind. Wenn sie aussterben, ist das ein Alarmsignal, dass diese Lebensräume auch für Menschen langfristig nicht mehr nutzbar sein werden.“
Publikation
Estrada, A. et al. (2018): Primates in peril: the significance of Brazil, Madagascar, Indonesia and the Democratic Republic of Congo for global primate conservation. Peer Journal https://peerj.com/articles/4869/