Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

22.10.2018, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Bonobos: Menschenaffen mit „hohen Tönen“
Wie groß ein Tier oder eine Person ist, kann man in der Regel nicht nur sehen, sondern auch hören, denn mit steigender Körpergröße nimmt die Tonhöhe ab. Obwohl Bonobos und Schimpansen ähnlich groß sind, klingen Bonobo-Rufe eine ganze Oktave höher als Schimpansen-Rufe. Forschende des Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig erklären diese Diskrepanz damit, dass die Stimmlippen von Bonobos nur halb so lang sind wie die von gleich alten Schimpansen. Ob auch andere Faktoren dazu beigetragen haben, ist Gegenstand weiterer Forschungen.
Viele Tierarten haben Mechanismen entwickelt, ihre Stimme tiefer klingen zu lassen, als es ihrer Körpergröße entspricht. Der Vorteil: Tiefe Stimmen werden vom Empfänger mit physischer Überlegenheit und – bei Primaten und Menschen zusätzlich auch mit sozialer Kompetenz – assoziiert. Kommunizieren Erwachsene mit Kindern, dann geschieht das häufig in hoher Tonlage, und sie erscheinen damit kleiner als sie sind.
Bonobos und Schimpansen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Körpergröße nur marginal voneinander. Dennoch sind die Tonlagen ihrer akustischen Signale grundverschieden. Forschende am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie haben die Distanzrufe der beiden Menschanffenarten miteinander verglichen und herausgefunden, dass die Rufe von Schimpansen durchaus ihrer Körpergröße entsprechen. Das Lautrepertoire der Bonobos ist hingegen eine ganze Oktave höher angesiedelt. Bei beiden Arten dienen die untersuchten Rufe der Kommunikation über große Distanzen hinweg, sie sind daher dem gleichen Selektionsdruck unterworfen. Eine Erklärung für die Diskrepanz in der Stimmhöhe fanden die Forschenden jedoch bei Untersuchungen der jeweiligen Stimmapparate: Die Stimmlippen von Bonobos sind nur halb so lang wie die von gleich alten Schimpansen.
Verhaltensstudien deuten darauf hin, dass erwachsene Bonobos Merkmale beibehalten, die für Kinder und Jugendliche typisch sind. Die unterschiedlichen Stimmlagen passen also durchaus ins Bild“, sagt Gottfried Hohmann vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. „Jetzt geht es darum herauszufinden, inwieweit sich bereits die Rufe der Affenkinder unterscheiden, wie die Entwicklung des Stimmapparates während der Pubertät verläuft und welcher Selektionsdruck dazu geführt haben könnte, akustische Signale zu erzeugen die den Sender kleiner tönen lassen, als er tatsächlich ist.“
Originalpublikation:
Sven Grawunder, Cathy Crockford, Zanna Clay, Ammie K. Kalan, Jeroen M.G. Stevens, Alexander Stoessel, Gottfried Hohmann
Higher fundamental frequency in bonobos is explained by larynx morphology
Current Biology, 22. Oktober 2018

22.10.2018, Humboldt-Universität zu Berlin
Wanderungsbewegungen werden beim Artenschutz zuwenig berücksichtigt
Studie in Nature Climate Change betont globale Verflechtungen.
Zugvögel erleben auf ihren Reisen die Umweltveränderungen in verschiedenen Teilen der Erde. Jedes Jahr fliegen Millionen von Vögeln aus ihren sommerlichen Brutgebieten in ihre Überwinterungsgebiete und zurück, oftmals über mehrere tausend Kilometer hinweg. Der Bruterfolg und die Populationsentwicklung heimischer Langstreckenzieher hängen so nicht nur von mitteleuropäischen Umweltbedingungen ab. Auch ungünstige Bedingungen in den Überwinterungsgebieten oder während des Zuges können die Brutpopulation nachträglich beeinflussen. Obwohl diese Zusammenhänge weitgehend bekannt sind, fokussieren Klimafolgenabschätzungen meist nur auf Brutgebiete.
Forschende der Humboldt-Universität zu Berlin gemeinsam mit Partnern aus der Schweiz, Frankreich und Südafrika haben nun mögliche groß-skalige Auswirkungen von Klima- und Landnutzungswandel auf Zugvögel untersucht. Insgesamt wurden mehr als 700 Arten langstreckenziehender Vögel betrachtet, die in Nordamerika, Europa und Asien brüten. Dabei analysierten die Forschende mögliche Gefahren durch Arealverluste in den Sommer- und Wintergebieten sowie die Gefahr, dass sich Zugstrecken verlängern und sich damit der Energieverbrauch erhöht. Die Ergebnisse zeigen, dass diese Gefahren voneinander unabhängig sind und von Kontinent zu Kontinent stark schwanken. So liefern Abschätzungen potentieller Populationsverluste in den Brutgebieten nur ein unvollständiges Bild möglicher Gefahren.
Die Forschenden errechneten, dass auf Brutgebiete ausgerichtete Folgenabschätzungen die Anzahl der potentiell gefährdeten Vogelarten um 18 bis 49 Prozent und die Stärke möglicher Risiken für weitere 17 bis 50 Prozent der Arten unterschätzen könnten. Zudem sind viele Zugvogelarten, die mehreren Risiken gleichzeitig ausgesetzt sind, derzeit noch nicht auf der Roten Liste der International Union for Conservation of Nature als potentiell gefährdet eingestuft. Die Studie, die jetzt in Nature Climate Change erschien, zeigt die Notwendigkeit, die saisonalen Wanderungsbewegungen von Zugvögeln stärker in Folgenabschätzungen und Artenschutzprüfungen zu berücksichtigen.
Originalpublikation:
Zurell, D., Graham, C.H., Gallien, L., Thuiller, W., Zimmermann, N.E.. Long-distance migratory birds threatened by multiple independent risks from global change. Nature Climate Change. DOI: 10.1038/s41558-018-0312-9
https://www.nature.com/articles/s41558-018-0312-9

23.10.2018, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Neue Studie: Woher kommen Riesenschildkröten?
Die Evolution von Riesenschildkröten ist womöglich nicht so stark an Inseln gebunden, wie dies bisher angenommen wurde. Auch auf dem Festland entwickelten sich unabhängig voneinander mehrere Arten der großen Tiere. Das haben Forscher der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und des Paläontologischen Museums Trelew in Argentinien herausgefunden. Mit Hilfe genetischer und osteologischer Daten lebender Arten und fossiler Schildkröten erstellten sie den bisher umfangreichsten Familienstammbaum von ausgestorbenen und noch lebenden Schildkröten. Ihre Studie erschien kürzlich im Fachmagazin „Cladistics“.
Landschildkröten leben in sehr verschiedenen Regionen der Welt – von Wüsten bis hin zu Wäldern. Sie umfassen Arten wie die griechische Landschildkröte und die Galapagos-Schildkröte. Einige der Vertreter entwickelten im Laufe ihrer Evolution große Körper mit einer Panzerlänge von über einem Meter, während andere nicht größer als wenige Zentimeter sind. Obwohl Naturforscher bereits seit der Zeit von Charles Darwin den Riesenwuchs bei Schildkröten untersuchen, gibt er ihnen bis heute Rätsel auf.
Weil alle lebenden Riesenschildkröten auf Inseln zu finden sind, gehen viele Forscher davon aus, dass ihre Entwicklung der sogenannten Inselregel folgte: ein Trend zum Zwergenwuchs bei Großtieren und zum Riesenwuchs bei Kleintieren auf Inseln. Frühere Arbeiten über existierende Riesenschildkröten lieferten jedoch keine konsistente Antwort auf die Frage nach ihrem Ursprung: Einige Studien legten nahe, dass der Riesenwuchs mit dem Fehlen von Raubsäugetieren auf Inseln in Verbindung steht. Andere kamen zu dem Schluss, dass die Schildkröten bereits sehr groß gewesen sein mussten, als sie die abgelegenen Archipele erreichten. Da heute noch nur sehr wenige Riesenschildkrötenarten existieren, lassen sich diese Hypothesen ohne die Analyse ausgestorbener Arten mit Hilfe von Fossilien nicht überprüfen.
In ihrer neuen Studie haben sich der Argentinier Dr. Evangelos Vlachos und Dr. Márton Rabi von der MLU – gefördert durch die Volkswagen-Stiftung – genau an dieses Desiderat gewagt: Die Forscher analysierten genetische Daten von lebenden Arten, die sie mit Knochenmessungen von fossilen und lebenden Schildkröten kombinierten. Anhand dieser Untersuchungen erstellten sie den bisher umfangreichsten Stammbaum ausgestorbener und heute noch lebender Schildkröten. Es handelt sich um die erste Studie in einer globalen Größenordnung, die es ermöglicht, die Entwicklung der Körpergröße bei Schildkröten nachzuzeichnen.
Aus dieser Analyse ergibt sich für die Vergangenheit ein ganz anderes Bild: „Die Fossilien zeigen eine große Anzahl von ausgestorbenen Riesenarten auf dem Festland und deuten darauf hin, dass die Entwicklung des Riesenwuchses nicht an Inseln gebunden war“, sagt Dr. Evangelos Vlachos. Stattdessen entwickelte sich der Riesenwuchs im Lauf der Erdgeschichte mehrfach unabhängig voneinander auf dem Festland – in Asien, Afrika, Europa, Nord- und Südamerika. Spätestens in der Eiszeit des Pleistozäns starben jedoch alle diese Festlandsarten aus.
Ein weiteres unerwartetes Ergebnis der Studie ist, dass die Schildkröten des Mittelmeerraums, die vor allem als Haustiere bekannt sind, in Wirklichkeit eine Zwergenlinie darstellen, da sich ihre Vorfahren als wesentlich größer erwiesen.
„Schildkröten gibt es seit über 55 Millionen Jahren und wir sind jetzt in der Lage, die Entwicklung dieser erfolgreichen Gruppe besser zu verstehen. Heute gelten jedoch von den rund 43 lebenden Arten 17 als stark gefährdet und viele weitere als gefährdet, was vor allem auf den Verlust von Lebensräumen durch den Menschen zurückzuführen ist. Das ist eine enttäuschende Tatsache“, sagt Dr. Márton Rabi. Die heute noch lebenden Artgenossen, wie die auf den Galapagos-Inseln und den Seychellen, stellen vermutlich eher Überlebende nicht verwandter Riesenarten dar, die einst in Südamerika, Ostafrika oder Madagaskar heimisch waren. „Riesenschildkröten sind vielleicht deshalb besser an das Inselleben angepasst, weil sie den Wasser- und Nahrungsmangel während ihrer Reisen über den Ozean für längere Zeit besser ertragen als kleinere Arten. Es gibt Berichte von Riesenschildkröten, die 740 Kilometer von der Küste entfernt verdriftet gesichtet wurden“, so Rabi weiter.
„Wir nehmen an, dass das wärmere Klima und der evolutionäre Druck durch Raubtiere eine Rolle bei der Entwicklung des Riesenwuchses spielen, aber das Bild ist komplex und unsere Proben der fossilen Nachweise sind noch immer begrenzt“, sagt Vlachos.
Was zum Aussterben dieser Festlandriesen führte, bleibt weiter unklar. Für die eiszeitlichen Arten kann es eine Kombination aus der Bedrohung durch Raubtiere, einschließlich des Menschen, und dem Klimawandel gewesen sein. Ebenfalls ist unklar, was dann die Schildkröten dazu treibt, sich immer wieder zu Riesenformen zu entwickeln, falls die Inselregel nicht zutrifft.
Originalpublikation:
Vlachos E., Rabi M., Total evidence analysis and body size evolution of extant and extinct tortoises (Testudines: Cryptodira: Pan-Testudinidae), Cladistics (2018), DOI: doi.org/10.1111/cla.12227

24.10.2018, Max-Planck-Institut für Ornithologie
Krähen stellen Werkzeuge aus mehreren Komponenten her
Ein internationales Team von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Seewiesen und der Universität Oxford haben herausgefunden, dass Geradschnabelkrähen mehrere, für sich alleine zu kurze Elemente kombinieren, um an einen Leckerbissen heran zu kommen – eine Fähigkeit, die bisher nur bei Menschen und Menschenaffen beobachtet wurde. Die Krähen können also neuartige Probleme schnell und flexibel lösen. Welche Vorgänge dabei im Gehirn ablaufen, ist jedoch noch unklar.
Das Verbinden mehrerer einzelner Komponenten zu einem neuen, funktionsfähigen Werkzeug wurde bisher nur bei Menschen und Affen beobachtet. Anthropologen sehen die Entstehung dieser Fähigkeit bei unseren Vorfahren als wichtigen Schritt in der Evolution des menschlichen Gehirns. Auch in der menschlichen Indiviualentwicklung treten ähnliche Fähigeiten erst spät auf. Babys beginnen ungefähr im Alter von 18 Monaten, Werkzeuge zu benutzen. Jedoch fangen sie erst im Alter von ca. fünf Jahren an, neue Werkzeuge zu erfinden, um ein bestimmtes Problem zu lösen. Das Gehirn muss sich die neuen Objekte dafür vermutlich zunächst in Gedanken vorstellen und dann die Ausführung planen. Archäologische Funde deuten darauf hin, dass Verbundwerkzeuge erst spät in der kulturellen Entwicklung des Menschen aufgetaucht sind und möglicherweise mit der Entwicklung von komplexem Bewusstsein und Sprache einhergehen.
Für geschickten Werkzeuggebrauch sind auch Geradschnabelkrähen (Corvus moneduloides) bekannt. Wissenschaftler um Auguste von Bayern vom Max-Planck-Institut für Ornithologie Seewiesen und Alex Kacelnik von der Universität Oxford wollten nun wissen, ob die Krähen auch in der Lange sind, Verbundwerkzeuge herzustellen, um an Futter außer Reichweite zu gelangen.
Dazu haben sie in ihrer Studie, die heute in der Fachzeitschrift Scientific Reports erschien, acht Geradschnabelkrähen eine Kiste präsentiert, die diese zuvor noch nie gesehen hatten. Sie enthielt einen kleinen Behälter mit einem Leckerbissen, der hinter einer durchsichtigen Tür mit einem Spalt für die Schnäbel nicht zu erreichen war. Zu Beginn der Versuchsreihe stand den Tieren ein langer Stab zur Verfügung, den sie durch den Spalt in die Kiste stecken konnten, um damit das Futter durch eine seitliche Öffnung heraus zu schieben. Alle acht Vögel schafften das ohne Schwierigkeiten. Dann platzierten die Wissenschaftler das Futter nach hinten in die Box und stellten den Krähen verschiedene längliche und hohle Elemente zur Verfügung, die diese zusammenstecken konnten. Für sich alleine waren sie aber zu kurz, um bis zum Futter zu reichen.
Am Ende des Experiments mit fünf Schwierigkeitsstufen blieb immerhin noch ein Vogel übrig, der Werkzeuge aus drei und sogar vier Einzelteilen bastelte. “Dieses Ergebnis ist bemerkenswert, denn die Geradschnabelkrähen bekamen keine Hilfe und auch kein Training, um diese Werkzeuge zu bauen, sie haben ganz alleine herausgefunden, wie sich das Problem lösen lässt”, sagt Auguste von Bayern, Erstautorin der Studie.
Die zugrundeliegende mentale Verarbeitung konnten die Forscher mit diesem Versuch jedoch nicht klären. Alex Kacelnik von der Universität Oxford sagt: “Die Ergebnisse zeigen, dass diese Tiere ausgeprägte flexible Fähigkeiten haben, mit denen sie in der Lage sind, neuartige Probleme schnell zu lösen. Eventuell simulieren sie das Problem, in dem sie mögliche Abläufe im Gehirn wieder und wieder durchspielen. Haben sie eine funktionierende Möglichkeit entdeckt, führen sie diese dann aus.”
Die Tatsache, dass Geradschnabelkrähen Verbundwerkzeuge erstellen können, bedeutet aber nicht, dass die zugrunde liegenden Prozesse im Gehirn die gleichen sein müssen, wie bei Menschen oder Menschenaffen. Für die Wissenschaftler eröffnet sich aber damit eine Möglichkeit, die gedanklichen Prozesse, die für das Erfinden und den Bau von neuen Werkzeugen nötig sind, weiter zu erforschen.
Originalpublikation:
A.M.P. von Bayern, S. Danel, A.M.I. Auersperg, B. Mioduszewska, A. Kacelnik. Compound tool construction by New Caledonian crows. Scientific Reports, 24. Oktober 2018.
www.nature.com/articles/s41598-018-33458-z

24.10.2018, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Schimpansen erschnüffeln Gruppenmitglieder und Verwandte
Primaten, uns Menschen eingeschlossen, verlassen sich normalerweise auf ihre Augen, weil sie über einen vergleichsweise schlechten Geruchssinn verfügen. Ein internationales Forschungsteam der Universität Leipzig, des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie und der Durham University in Großbritannien hat nun in Verhaltensstudien im Zoo Leipzig herausgefunden, dass Schimpansen hauptsächlich ihren Geruchssinn nutzen, um neue Dinge zu erkunden, und dass sie Gruppenmitglieder und Verwandte am Geruch erkennen.
Kommunikation mittels chemischer Botenstoffe ist im Tierreich zur Übertragung sozialer Informationen weit verbreitet. Tiere benutzen Duftsignale, um Gruppenmitglieder oder Verwandte zu erkennen, oder um genetisch zu ihnen passende Paarungspartner zu finden. Im Gegensatz zu den meisten anderen Säugetieren wurden Primaten jedoch seit jeher als „Mikrosmaten“ bezeichnet, welche einen schlechten Geruchssinn besitzen. Obwohl die Erforschung der Olfaktorik bei manchen Primatenarten in den letzten Jahren zugenommen hat, wurden Menschenaffen dabei weitestgehend ausgespart. Forschende der Universität Leipzig, des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie und der Durham University haben nun eine der ersten Studien durchgeführt, die die Signalfunktion von sozialen Gerüchen bei Menschenaffen untersucht.
Dazu haben die Wissenschaftlerinnen den Mitgliedern zweier Schimpansengruppen Urin von Gruppenmitgliedern, fremden Artgenossen und eine geruchslose Kontrolle präsentiert. Die Geruchsproben befanden sich jeweils in luftdurchlässigen Plexiglasboxen; die Verhaltensreaktionen der Schimpansen wurden auf Video aufgezeichnet. Das Ergebnis: Die Schimpansen haben länger am Urin als an der Kontrolle gerochen – ein Hinweis darauf, dass sie den Geruch anderer Schimpansen wahrnehmen können. Noch wichtiger war jedoch: sie konnten zwischen dem Geruch von Gruppenmitgliedern und dem von Fremden unterscheiden, wobei sie länger an der Duftprobe schnüffelten, wenn es sich um fremde Artgenossen handelte, die nicht zu ihrer Gruppe gehörten. „Schimpansen sind sehr territorial, und Begegnungen zwischen verschiedenen Gruppen verlaufen meist aggressiv – tatsächlich werden Tiere aus anderen Schimpansengemeinschaften im Freiland manchmal sogar getötet. Duftspuren könnten ihnen dabei helfen, andere Tiere zu lokalisieren und zu ermitteln, ob sie zu ihrer eigenen oder einer anderen Gruppe gehören. Das wirkt sich auf Überleben und Fitness der Tiere positiv aus“, sagt Erstautorin Stefanie Henkel von der Universität Leipzig und dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. „Gerüche könnten gerade für Schimpansen besonders wichtig sein, weil sie meist in dichten Wäldern mit einer eingeschränkten Sichtweite leben. Darüber hinaus spalten sich Schimpansengemeinschaften zeitweise in Untergruppen auf, wobei sich Gruppenmitglieder oft tagelang nicht sehen“, fügt Henkel hinzu.
Desweiteren konnten die Forscherinnen belegen, dass Schimpansen länger an einem Geruch geschüffelt haben, je näher sie mit dem Duftgeber verwandt sind – ein erster Hinweis darauf, dass Menschenaffen ihre Verwandten am Geruch erkennen können. „Die Fähigkeit Verwandte zu erkennen, ist äußerst wichtig. Sie ermöglicht es den Tieren, geeignete Koalitionspartner auszuwählen und zu vermeiden, dass sie sich mit nahen Verwandten paaren oder ihren eigenen Nachwuchs töten“, erklärt Co-Autorin Jo Setchell. „Es gibt Hinweise darauf, dass auch Menschen den Geruch ihrer Verwandten erkennen können, sogar schon als Neugeborene. Wir haben also anscheinend gute olfaktorische Fähigkeiten beibehalten, obwohl wir – genau wie unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen – normalerweise keine Duftmarken setzen und uns das spezialisierte olfaktorische System fehlt, welches man bei vielen anderen Tieren findet. Unsere Ergebnisse helfen uns, die Evolution der chemischen Kommunikation bei Primaten besser zu verstehen und verdeutlichen, dass wir dem Geruchssinn bei Menschenaffen in der Forschung mehr Beachtung schenken sollten.“
„Als sich die Schimpansen den Plexiglasboxen zum ersten Mal annäherten, nutzten die meisten Tiere interessanterweise zuerst ihren Geruchssinn, um die Boxen zu untersuchen, anstatt sie zu berühren oder einer genauen visuellen Inspektion zu unterziehen“, betont Henkel. „Mich überrascht es, dass die Erforschung des Geruchssinns bei Menschenaffen bisher so vernachlässigt wurde, obwohl es immer mehr Hinweise darauf gibt, dass Olfaktorik auch für andere Primatenarten, uns Menschen eingeschlossen, sehr wichtig ist. Unsere Ergebnisse verdeutlichen die Bedeutung des Geruchssinns für Schimpansen. Zukünftige Studien könnten den gesamten Informationsgehalt verschiedener Duftquellen bei Menschenaffen entschlüsseln, anhand von chemischen Analysen und weiteren Verhaltensstudien.“
Originalpublikation:
Stefanie Henkel and Joanna M. Setchell
Group and kin recognition via olfactory cues in chimpanzees (Pan troglodytes)
Proceedings of the Royal Society B, 24. Oktober 2018
http://dx.doi.org/10.1098/rspb.2018.1527

25.10.2018, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Die größte fossile Riesenmilbe in Bernstein entdeckt
Milben sind bekanntermaßen sehr kleine Tiere von geringer Körperlänge. Die meisten Arten messen weniger als einen Millimeter. Umso bemerkenswerter ist der Fund einer fossilen Milbe in einem 100 Millionen Jahre alten burmesischen Bernstein, die mit einem Zentimeter Körperlänge ein wahrer Riese unter den Milben ist. Immensmaris chewbaccei wurde in der Fachzeitschrift Fossil Record von einem Deutsch-Polnischen Forscherteam unter der Leitung von Dr. Jason Dunlop vom Museum für Naturkunde Berlin beschrieben. Sie wurde nach der Star Wars-Figur Chewbacca benannt und ist die größte fossile Milbe, die je beschrieben wurde.
Milben sind mit circa 50 000 lebenden Formen die artenreichste Gruppe der Spinnentiere. Viele sind winzig und eher unauffällig. Fossile Milben sind Seltenheiten, denn obwohl sie relativ häufig in Bernstein vorkommen, sind sie aufgrund der geringen Körpergröße nur schwer zu erforschen. Ein Überraschungsfund war deshalb eine Fossilmilbe aus einer Privatsammlung, die nun im Besitz des Museums ist. Das in Bernstein eingeschlossene Tier ist ohne Mikroskop und mit bloßem Auge sichtbar. Zu der Entdeckung sagt Dr. Jason Dunlop, Wissenschaftler am Museum für Naturkunde Berlin und Experte für die Evolution von Spinnentieren: „Das Bernsteintier aus dem kreidezeitlichen, burmesischen Bernstein Myanmars gibt uns einen faszinierenden Einblick in den Regenwald vor 100 Millionen Jahren, als hauptsächlich Spinnentiere und Insekten unter den Füßen der Dinosaurier lebten.“
Das neue Fossil gehört der Milbengruppe Parasitengona an. Erwachsene Tiere und einige Tiere in Jungstadien gehören zu den räuberischen Milben, die mit ausdehnbaren Mundwerkzeugen nach kleinen Insekten und Insekteneiern auf Nahrungssuche gehen. Bei allen Arten der Gruppe leben die Tiere jedoch in mindestens einem Jungstadion parasitär. Dann ernähren Sie sich von Blut eines anderen Insekts oder Spinnentiers. Was den Forscherinnen und Forschern bis jetzt leider nicht bekannt ist, ist, wie sich die neu entdeckte Riesenmilbe in ihren Jungstadien ernährte
Immensmaris chewbaccei besitzt außerdem Füße mit speziellen Haaren, die ihr nicht nur den Namen einbrachten, sondern eine Anpassung für das Klettern gewesen sein könnten. Falls sie auf Bäume kletterte oder an Baumrinde lebte, würde das auch erklären, wie sie in das Baumharz gelangen konnte um schließlich zu Bernstein zu fossilieren.
Manche moderne Arten aus der Parasitengona Gruppe sind mit einigen Millimetern Körperlänge für Milben relativ groß. Das neu beschriebene Fossil ist mit Abstand der größte Vertreter seiner Familie und eine der größten Milbenarten, die je gelebt haben. Einzig eine lebende Verwandte aus einer anderen Familie innerhalb der Parasitengona Gruppe übertrifft die kreidezeitliche Dino-Milbe. Die Riesensamtmilbe (Dinothrombium tinctorium) kann eine Körperlänge von 14mm erreichen.
Originalpublikation:
Dunlop, J. A., Frahnert, K. & Mąkol, J. 2018. A giant mite in Cretaceous Burmese amber. Fossil Record 21, 285–290. Doi https://doi.org/10.5194/fr-21-1-2018

25.10.2018, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei
Haie im Visier
Versuche mit satellitenbasierten Sendern in der Nordsee sollen Wanderungsverhalten von Hundshaien aufklären
Er ist der größte in deutschen Gewässern stetig vorkommende Hai und in der aktuellen Roten Liste der Meeresfische Deutschlands als „stark gefährdet“ eingestuft: der Hundshai (Galeorhinus galeus). Die bis zu 2 m langen Tiere kommen in den gemäßigten Breiten sämtlicher Weltmeere der Nord- und Südhalbkugel vor. Aufgrund langanhaltenden starken Fischereidrucks (unter anderem ihrer Flossen und vitaminhaltigen Leber wegen) sind die Bestände dieser Art weltweit zurückgegangen. Wissenschaftler des Thünen-Instituts für Seefischerei in Bremerhaven wollen nun mithilfe satellitenbasierter Ortungstechnik Näheres über das Verhalten dieser Haie, die im Meer weite Strecken zurücklegen können, herausfinden.
Bislang gibt es nur wenige Daten über die Biologie und Häufigkeit der Tiere. Das macht eine belastbare Einschätzung der Populationsgrößen und bevorzugten Lebensräume schwierig. Der Internationale Rat für Meeresforschung in Kopenhagen (ICES), der im Zweijahrestakt Zustandsmeldungen und Höchstmengen für den Beifang an Hundshaien an die Europäische Union ausgibt, stützt sich lediglich auf die wenigen verfügbaren Fang- und Anlandedaten aus kommerziellen Fischereien im Nordostatlantik. Daten aus wissenschaftlichen Fängen sind mit enormen Unsicherheiten behaftet, da diese seltene Art nicht repräsentativ erfasst wird.
„Hundshaie sind wie die meisten anderen Haiarten sehr anfällig für Überfischung“, sagt Dr. Matthias Schaber, der Leiter des Forschungsprojekts. „Sie werden spät geschlechtsreif, haben lange Tragzeiten und eine relativ geringe Nachkommenzahl. Obwohl es in der Nordsee keine gezielte kommerzielle Fischerei auf Hundshaie gibt, geht dennoch eine unbekannte Anzahl an Haien als zufälliger Beifang in die Netze“.
Ansammlungen von großen Hundshaien, die für den Menschen ungefährlich sind, werden in der Nordsee häufiger im Umkreis von Helgoland beobachtet. „Die Tiere tauchen im späten Frühling bei warmen Wassertemperaturen auf und sind bis zum Spätherbst wieder verschwunden. Wir wissen allerdings nicht, was die Haie im Sommer bei Helgoland machen, wo sie herkommen, wohin sie im Herbst abwandern, und ob sie vielleicht jedes Jahr in das Gebiet zurückkehren“, sagt der Fischereibiologe aus dem Thünen-Institut.
Um genauere Einblicke in ihr Bewegungsprofil zu erhalten, bestückt Schaber im Rahmen des „Helgoland Tope Tagging Project“ (Tope = Hundshai) in Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Helgoländer Hochseeangler ausgewachsene Tiere mit modernen Sendern, die kontinuierlich verschiedene Umweltparameter messen, sich nach einem vorprogrammierten Zeitraum vom Hai ablösen, an die Wasseroberfläche treiben und dann die Messdaten via Satellit versenden (sog. Satellite Pop-Up Archival Tags). Für die Markierung wurden zunächst fünf Hundshaie im Seegebiet um Helgoland vom Boot aus gefangen und schonend an Bord gebracht. „Wir halten die Aufenthaltsdauer jedes Tieres an Bord so kurz wie möglich, damit es sich rasch wieder erholt. Der Satellitensender, den wir an der Rückenflosse befestigen, ist leicht und hat einen geringen Wasserwiderstand, sodass er die recht großen Haie nicht beeinträchtigt“, erklärt Schaber. Weitere Markierungen sollen folgen.
Nach dem Aussetzen der Haie zeichnen die Sender Wassertiefe, Temperatur und Lichtintensität auf. Aus diesen Daten lassen sich später Rückschlüsse auf das Verhalten und die Wanderbewegungen der Tiere ziehen. Neben täglichen Aktivitätsmustern können auch Informationen zu Gebieten gewonnen werden, in denen die Hundshaie gegebenenfalls über längere Zeit ortstreu sind, z.B. während der Fortpflanzung oder zum Gebären der Jungtiere. Diese Daten sind nicht nur für eine bessere Bestandsabschätzung im Nordostatlantik hilfreich, sondern auch eine wertvolle Grundlage, um mögliche geeignete Schutzgebiete für die Tiere auszuweisen.
Erste Ergebnisse erwartet Matthias Schaber im Frühsommer nächsten Jahres. „Ab dem Moment, wo wir den markierten Hai wieder ausgesetzt haben, können wir nichts tun außer abwarten und hoffen“, sagt er. „Die Sender zeichnen 270 Tage lang Daten auf, lösen sich dann ab und senden die Informationen via Satellit an mich. Idealerweise will ich vor dem erwarteten Zeitpunkt nichts von den fünf Haien hören – danach dann aber unbedingt.“

25.10.2018, Veterinärmedizinische Universität Wien
Endemische, virale Erkrankungen in der Nutztierhaltung als Bedrohung für Wildtiere
Pestis des Petits Ruminants (PPR) ist eine im westlichen Raum kaum bekannte, virale und häufig tödlich endende Krankheit kleiner Huftiere, wie Ziegen. Neben ökonomischen Verlusten stellt sie im asiatischen und afrikanischen Raum auch eine Bedrohung für die Wildtierpopulation dar. WildtierbiologInnen des Royal Veterinary College, der Wildlife Conservation Society (WCS), der Food and Agricultural Organization der Vereinten Nationen (FAO) sowie der Vetmeduni Vienna haben nun in einem Scientific Letter im renommierten Fachjournal Science explizit diese Bedrohung am Beispiel der mongolischen Saigas, einer ursprünglichen Antilopenart, zum Thema gemacht.
Im Gegensatz zu Zoonosen, die neben Tieren auch den Menschen bedrohen, laufen viele tierische Krankheiten in westlichen Ländern unter dem Radar. In vielen anderen Regionen, wie in Afrika und Asien stellen diese tierischen Erkrankungen jedoch nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine effektive Bedrohung für die Wildtierpopulationen dar.
Eine dieser Erkrankungen ist Pestis des Petits Ruminants, abgekürzt PPR, eine virale Erkrankung von Schafen und Ziegen. Diese Krankheit hat eine weltweit medial kaum beachtete, aber dennoch große Bedeutung hinsichtlich der Lebensweise ländlicher Gemeinden, der Bewahrung der Biodiversität sowie der nationalen und letztlich auch globalen Wirtschaft. Wiederholtes Massensterben von wilden, kleinen Wiederkäuern in der Steppe und den Bergen im mittleren Osten und Ost-Asiens stellt ein Warnsignal hinsichtlich der Auswirkung des Virus auf die Bewahrung der dort lebenden Wildtierpopulationen dar.
Hohe Sterblichkeitsrate der Antilopenart Saiga in Folgejahren
Eine Sterblichkeitsrate von über zwei Drittel der ohnehin bedrohten Saigas, einer Antilopenart, im Jahr 2017, ist ein mahnendes Beispiel für die Auswirkung des PPR-Virus auf die Wildtierpopulation. Die Situation bei den Saigas ist aber sogar noch dramatischer, da dies schon der zweite Fall in weniger als zwei Jahren ist, bei dem es zum Massensterben dieser Tiere durch eine virale Infektion kam. Dadurch werden gerade zwei Jahrzehnte von speziell installierten Wildtierprogrammen, wie etwa der Wilderei zur Horn- und Fleischgewinnung, zunichte gemacht.
Das Massensterben ist laut den Forschenden, zu denen auch Chris Walzer von der Abteilung für Conservation Medicine des Forschungsinstitutes für Wildtierkunde und Ökologie der Vetmeduni Vienna zählt, mit dem voranschreitenden Klimawandel, dem Überschwappen von Pathogenen sowie der Ressourcenverringerung durch die Landwirtschaft verbunden. Speziell die Übertragung von Erkrankungen von Wildtieren auf kultivierte Arten, die zumeist gegensätzlich gesehen wird, ist kaum beachtet und zeigt eine mangelnde systemische Überwachung in den betroffenen Regionen auf, die sich auch auf die jeweils heimischen Arten kleiner Huftiere bezieht.
Die Autoren weisen deshalb auf das dringend notwendige Miteinbeziehen der heimischen Wildtierpopulationen in regionale Überwachungsprogramme hin, um die weltweite Auslöschung des PPR-Virus richtig vorantreiben zu können. Die Ausbreitung des Menschen und der Landwirtschaft stellt in vielen Gebieten schon alleine einen hohen Druck auf die bestehende Wildtierpopulation dar. Ein Zusammenschluss von landwirtschaftlichem Voranschreiten und der Wildtierbewahrung ist damit eine notwendige Konsequenz, aber auch eine Herausforderung. Besseres Pathogen-Monitoring, das auch die Wildtiere wie im Fall von PPR miteinschließt, muss dabei ebenso inkludiert sein.
Damit das Verständnis für die Ausbreitung der Erkrankung verstärkt wird wird von Science for Nature und People Partnership SNAPP Steppe Health eine ExpertInnengruppe aus TiermedizinerInnen und WildtierbiologInnen zusammengestellt, die die Auswirkungen von Erkrankungen wie PPR auf Wildtiere in Regionen untersuchen sollen, in denen Wild- neben landwirtschaftlichen Populationen leben.
Originalpublikation:
Der Scientific Letter „PPR virus threatens wildlife conservation“ von Xavier Fernandez Aguilar, Amanda E. Fine, Mathieu Pruvot, Felix Njeumi, Christian Walzer, Richard Kock und Enkhtuvshin Shiilegdamba wurde in Science veröffentlicht.
http://science.sciencemag.org/content/362/6411/165.2/tab-pdf

25.10.2018, Universität Konstanz
Und Evolution wiederholt sich doch: Wie die Evolution Streifen kommen und gehen lässt
Konstanzer Evolutionsbiologen um Prof. Dr. Axel Meyer entdecken die genetische Basis der Evolution von Farbmustern. Die neuen Erkenntnisse über die Streifen der besonders artenreichen ostafrikanischen Buntbarsche erklären, wie sich Evolution in Weltrekordtempo wiederholen kann. Die Studie wird am 26. Oktober im Magazin „Science“ veröffentlicht.
Warum wiederholt sich die Evolution? Und was passiert genetisch, wenn sich Evolution wiederholt? Sind dieselben oder andere Gene und Mechanismen verantwortlich, um ähnlich aussehende Organismen zu produzieren? Die Antwort auf diese ebenso alte wie wichtige evolutionsbiologische Frage sind Konstanzer Biologen ein Stück nähergekommen und die Antwort ist verblüffend. Sie untersuchten ein besonderes Farbmuster, das in der Tierwelt oft und bei den unterschiedlichsten Arten vorkommt: horizontale Streifen. Sie konnten die Basis der wiederholten Evolution dieser Streifen mit modernen genomischen und molekularbiologischen Methoden, wie CRISPR-Cas, identifizieren.
Buntbarsche, von denen über 1200 Arten in den großen afrikanischen Seen, Malawi, Victoria und Tanganjika vorkommen, sind wie ihr Name schon sagt, besonders bunt und farbenprächtig. Aber, sie sind nicht nur farblich vielfältig, sondern haben auch zahlreiche Musterungen wie längs oder quer verlaufende Streifen. „Doch nicht nur das“ erklärt Prof. Dr. Axel Meyer, „Buntbarsche sind Paradefälle der Evolution. Sie sind im Hinblick auf Sozialverhalten, Körperformen, Farbmuster und viele andere biologische Aspekte extrem divers, aber gleichzeitig wiederholen sich bestimmte Themen, unabhängig voneinander in verschiedenen Seen“. Dieses Prinzip der sich wiederholenden Evolution — der Biologe spricht hier von ‚Konvergenz‘ — verleiht den Buntbarschen eine tragende Rolle für die Erforschung der genetischen Basis solcher Phänomene. Denn wenn in mehreren evolutionären Linien unabhängig voneinander ähnliche Farb- und Körperformen entstanden sind, bedeutet das, dass die Evolution auf ähnliche Umweltbedingungen die gleiche Antwort gefunden hat. Die Frage, die sich dann stellt: Wenn Evolution sich wiederholt, wie macht sie das genetisch?
Wie genau die Streifen der Buntbarsche während der Evolution gemacht werden kommen und gehen, und welches durch welches Gen und welcher genetische Mechanismus dafür verantwortlich ist, konnten die Wissenschaftler nun durch Genomanalysen, Züchtungen und Experimente, auch mit der Genschere CRISPR-Cas im Labor detailliert nachvollziehen. „Es lässt sich durch Züchtungsexperimente exakt bestimmen“, erläutert Dr. Claudius Kratochwil, Nachwuchswissenschaftler in Professor Meyers Arbeitsgruppe und Erstautor der Studie in Science, „auf welchem der 22 Chromosomen der Fische, genauer auf welchem Bereich dieses Chromosoms, die für die Streifen ursächliche genetische Region verortet ist.“ Das verantwortliche Gen auf diesem Chromosomenstück heißt agrp2. Dieses „Streifengen“ und deren Ursprung und Vorkommen in anderen afrikanischen Seen wurde durch vergleichende molekulare Arbeiten beschrieben. Die Streifen der Buntbarsche sind evolutionär betrachtet recht labil. Im Laufe von wenigen Millionen Jahren sind sie in den Afrikanischen Seen häufig verlorengegangen und neu entstanden. Da diese Arten (mit und ohne Streifen) so jung sind kann man sie auch mit einander kreuzen. Die im Labor mögliche Kreuzung und gleichzeitige Untersuchung von Buntbarschen mit und ohne Streifen zeigt, dass alle Buntbarsche das „Streifen-Gen“ haben. Allerdings unterscheiden sich die Schalter (regulatorische Elemente) des Streifengens in Buntbarscharten mit und ohne Streifen. „Der entscheidende Trick dieses genetischen Schalters ist, dass er bewirkt, dass das Gen bei Arten ohne Streifen stärker angeschaltet ist, also viel Protein entsteht. Das Streifengen agrp2 funktioniert demnach als „Streifen-Hemmer“: denn bei höherer Genproduktion werden die Streifen unterdrückt, bei geringer Genproduktion bleiben sie. Dies konnte durch moderne genetische Methoden gezeigt werden. „Wenn das Gen im Genom einer Art ohne Streifen mit Hilfe der Genschwere CRISPR-Cas entfernt wird“, erläutert Kratochwil weiter, „dann entwickelt selbst ein „streifenloser“ Fisch plötzlich Streifen, was zeigt, dass das Streifengen der entscheidende genetische Faktor ist“.
Die neuen Erkenntnisse zu diesem genetischen Mechanismus, dem An- und Ausschalten von Streifen durch das „Streifen-Gens“ wurden in der aktuell Ausgabe von „Science“ veröffentlicht. Interessanterweise ist das agrp2 Gen des Buntbarsches eine Kopie des agouti Gens bei Säugetieren, dass auch für Farbvarianten bei Katzen, Hunden, Pferden und gestreiften Vogelküken verantwortlich ist. „Vielleicht wäre die Tierwelt ohne die Existenz der agouti Gen Familie wesentlich weniger farbenfroh“ spekuliert Dr. Claudius Kratochwil. Was der Mechanismus des „Streifen-Gens“ bei Buntbarschen eindeutig ermöglicht, ist die Option der wiederholten Evolution in vergleichsweise kürzester Zeit. Gehen in der Evolution Merkmale verloren, so ist dieser Verlust meist endgültig, wie der belgische Paläontologe Louis Dollo schon vor genau 125 Jahren erkannt hat. 1893 formulierte er sein nach ihm benanntes „Gesetz“. Eine Besonderheit des Streifen Gens agrp2 ist, dass es die evolutionäre wiederholte Evolution eines Merkmals auf relativ einfache Weise erlaubt. Verliert ein Buntbarsch einmal seine Streifen, heißt das somit nicht, dass sie nicht wiederkehren können -und umgekehrt. So zeigen diese modernen molekularbiologischen Arbeiten auch, dass paläontologische Regeln und evolutionäre Gesetzmäßigkeiten neu hinterfragt werden müssen.
Originalpublikation: Agouti-related peptide 2 facilitates convergent evolution of stripe patterns across cichlid fish radiations
Manuskriptnr.: science.aao6809
Weiterführende Links: https://www.evolutionsbiologie-uni-konstanz.com

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