Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

09.05.2022, Deutsche Wildtier Stiftung
Illegaler Vogelabschuss bedroht Auswilderungsprojekt der seltenen Waldrappe
Deutsche Wildtier Stiftung unterstützt eine bessere Überwachung der Zugrouten mit GPS-Sendern
Man sieht es ganz deutlich im Röntgenbild: Zwei Schrotkugeln stecken im leblosen Vogelkörper. Eine im Flügel, eine tief in der Körpermitte. Es gibt keinen Zweifel: Waldrappweibchen „Dieks“, das auf dem Weg in die Toskana war, ist Opfer von Wilderern geworden. Illegale Vogeljagd – einfach abgeknallt. „Dieks“ Körper wurde von Vogelschützern leblos aufgefunden und zu einem Forensiker ins Labor gebracht. Der Kriminalist bestätigte den Verdacht: Der Waldrapp wurde mit einem Flintenschuss in den Tod gestreckt. Die Vogelschützer ringen um Fassung.
Der seltene Waldrapp, der mühevoll von den Artenschützern des Waldrappteams in Wien im Tiergarten Schönbrunn aufgezogen wurde, starb an einem späten Nachmittag im Arno-Tal nahe Figline Valdarno in der Toskana. „Ein herber Verlust, der uns sehr weh tut“, sagt Dr. Johannes Fritz, Leiter des Waldtrappteam Conservation and Research. Fritz ist wütend: „Rund ein Drittel der Verluste in Italien sind eine Folge illegaler Jagdaktivitäten. Sie beeinträchtigt die Bestandsentwicklung erheblich und gefährdet das Überleben unser Waldrappe Jahr für Jahr. Wir fordern endlich effiziente Maßnahmen gegen dieses sinnlose und illegale Töten.“
Auch die Deutsche Wildtier Stiftung, die das Projekt des Waldtrappteam Conservation and Research unterstützt, indem sie GPS-Sender für die Waldrappe zur Verfügung stellt, die die Zugrouten genau dokumentieren, fordert eine wirksame und konsequente Bekämpfung der illegalen Vogeljagd in Italien. „Der illegale Abschuss im Mittelmeerraum ist unbestritten die häufigste Todesursache der Waldrappe. Und es werden ja nicht nur Waldrappe, sondern geschützte Greifvögel und Störche geschossen – die Dunkelziffer ist hoch“, sagt Professor Dr. Klaus Hackländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Wildtier Stiftung. Die GPS-Geräte der Deutschen Wildtier Stiftung am Rücken der Waldrappe machen es möglich, illegalen Vogelmord noch besser zu aufzudecken. „Aber es müssen mehr Anstrengungen unternommen und Abkommen getroffen werden, um die Wildtierkriminalität strafrechtlich zu verfolgen“, so der Wildtierbiologe.
Auch in diesem Jahr übergibt die Deutsche Wildtier Stiftung wieder GPS-Sender an das Waldrappteam, um Abflug, Flug-Verlauf und die Ankunft der bedrohten Waldrappe in ihren Sommer- und Winterquartieren zu dokumentieren. Die federleichten Sender werden wie winzige Rucksäcke auf die Rücken der Vögel geschnallt und behindern diese beim Fliegen nicht. Die Zugroute ist bei Waldrappen nicht angeboren, sondern wird von den älteren Tieren weitergegeben. Die Jungvögel schließen sich also vor ihrem ersten Wegzug den erfahrenen Altvögeln an. „Das Waldrappprojekt zeigt, dass eine Wiederansiedlung ausgestorbener Arten funktionieren kann, wenn die Gründe für ihr Aussterben beseitigt werden. Bei den Ibisvögeln lag es am Menschen, der ihre Nester plünderte oder die Tiere tötete. Damit muss im 21. Jahrhundert ein für alle Mal Schluss sein“, so Professor Hackländer.

09.05.2022, Naturhistorisches Museum Wien
Erste Fischsaurier aus der Kreidezeit Österreichs entdeckt
Ein internationales Forschungsteam um NHM Wien-Paläontologen hat erstmals kreidezeitliche Fischsaurier (Ichthyosaurier) aus den Alpen Österreichs nachgewiesen. Die einzigartigen Fossilien aus Sandsteinen der Rossfeld-Formation Salzburgs und aus Kalken der Schrambach-Formation in Oberösterreich entpuppten sich als wissenschaftliche Sensation.
Ein einzelner Zahn und ein Gebilde mit knochenartigen Strukturen lagen viele Jahre unerkannt in Privatsammlungen zweier Hobbypaläontologen – Funde, die sich nun als wissenschaftliche Sensation entpuppten. Der Bericht des NHM Wien über einen fossilen Pliosaurier aus Österreich im Jahr 2019 veranlasste die Sammler, ihre Funde genauer zu untersuchen und Kontakt mit dem Naturhistorischen Museum Wien aufzunehmen. Schnell stellte sich heraus, dass es sich bei den Fossilresten um außergewöhnliche Funde eines Zahns und um einen Teil einer Schnauze eines Fischsauriers handelt. Die Objekte stammen aus Sandsteinen der Rossfeld-Formation Salzburgs und aus Kalken der Schrambach-Formation in Oberösterreich. Der Einzelzahn ist rund 132 Millionen Jahre alt und die Schnauze mit 130 Millionen Jahren nur wenig jünger. Aus der Kreidezeit des österreichischen Alpenraums waren Ichthyosaurier aber bis dahin völlig unbekannt.
„Die neuen Ichthyosaurier-Zähne sind ein wichtiges Bindeglied in der Ichthyosaurier-Evolution der Kreidezeit, es handelt sich um die ersten Nachweise dieser Art in Österreich überhaupt“, freut sich NHM-Wien-Paläontologe PD Dr. Alexander Lukeneder.
Der Schnauzen-Fund stammt aus denselben Schichten, in denen PD Dr. Alexander Lukeneder 2019 auch den ersten Pliosaurier Österreichs nachweisen konnte. Somit sind nun zwei der größten Räuber der kreidezeitlichen Nahrungsnetze nachgewiesen. Ichthyosaurier und Pliosaurier waren wahrscheinlich Konkurrenten und jagten beide Ammoniten, Tintenfische und eventuell sogar kleine Ur-Haie. Während die Pliosaurier mit den Dinosauriern am Ende der Kreidezeit vor 66 Millionen Jahren ausstarben, verschwanden die Fischsaurier schon früher, vor rund 93 Millionen Jahren, mit bis heute ungeklärter Ursache. Fischsaurier lebten ausschließlich im Meer und konnten bis zu 18 Meter lang und 40 Tonnen schwer werden, mit einer bis zu 2 Meter lange Schnauze. Die hier erforschten Fischsaurier aus dem österreichischen Alpenraum waren zwischen 4 und 6 Metern groß.
Die Fossilien wurden mittels Computertomografie genauer analysiert. Damit konnten auch winzige Strukturen im Inneren der Fischsaurier-Fossilien sichtbar gemacht werden. Die detaillierten Untersuchungen brachten überraschende Erkenntnisse. Im Inneren des größeren Stückes verbargen sich über zehn bis zu drei Zentimeter lange Zähne des Ichthyosauriers. Auch die Anatomie der Schnauze konnte so untersucht werden. Anhand der Micro-CT-Daten wurden dreidimensionale digitale Modelle erstellt, die als Basis für die Rekonstruktionen des Tieres dienten. So wurde mit Hilfe der Firma 7reasons ein bis dahin unbekannter Ichthyosaurier digital „zum Leben erweckt“.
Die Kooperation mit den Privatsammlern zeigt neuerlich das große Potenzial der Zusammenarbeit zwischen Citizen Scientists und Wissenschaftler*innen. Die beiden Finder der bedeutenden Fossilien, Karl Bösendorfer (Pinsdorf) und Alfred Leiblfinger (Golling), überließen den Wissenschaftler*innen die Funde nicht nur zur Bearbeitung. Sie übergaben die Fossilien dankenswerter Weise dem NHM Wien und dem Haus der Natur in Salzburg, wo sie somit dauerhaft zugänglich sind.
Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Cretaceous Research publiziert:
Lukeneder A., Zverkov, N., Kaurin, C., Blüml, V. 2022. First Early Cretaceous ichthyosaurs of Austria and the problem of Jurassic–Cretaceous ichthyosaurian faunal turnover. Cretaceous Research, 136, April 2022, 105224. https://doi.org/10.1016/j.cretres.2022.105224

10.05.2022, Universität Wien
Mutigere Weißbüscheläffchen lernen schneller als zurückhaltende
Kognitive Fähigkeiten von Weißbüscheläffchen werden von ihrer Persönlichkeit und Familienzugehörigkeit beeinflusst
Individuelle Eigenschaften scheinen unseren Lernerfolg zu bestimmen. Ein Team von Kognitions- und Verhaltensbiolog*innen der Universität Wien führte Persönlichkeitstests und eine Reihe von Lerntests mit Weißbüscheläffchen durch und stellte fest, dass eine solche Verbindung zwischen Persönlichkeit und Lernfähigkeit, verknüpft mit der Familienzugehörigkeit, auch bei diesen Affen besteht. Die Ergebnisse ihrer Studie wurden kürzlich in der wissenschaftlichen Zeitschrift „Scientific Reports“ veröffentlicht.
Lange Zeit wurde angenommen, dass nur Menschen eine Persönlichkeit haben. In den vergangenen Jahrzehnten wurde allerdings nachgewiesen, dass auch Tiere – von der Spinne bis zum Affen – individuelle Persönlichkeitsmerkmale besitzen. Häufig weisen „befreundete“ Tiere, manchmal auch ganze soziale Gruppen ähnliche Persönlichkeitsmerkmale auf. Die These der Forscher*innen: Entdeckungsfreudigere und/oder mutigere Individuen lösen unterschiedliche Lernaufgaben schneller. Vedrana Šlipogor und ihre Kolleg*innen an der Universität Wien untersuchen in ihrem kürzlich erschienenen Forschungsartikel, ob eine solche Verbindung zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Lernfähigkeit auch bei Weißbüscheläffchen besteht und inwiefern diese Verbindung auch mit der Familienzugehörigkeit verknüpft ist. Weißbüscheläffchen pflanzen sich „kooperativ“ fort und ähneln dem Menschen in vielen sozio-kognitiven Merkmalen.
Die Forscher*innen untersuchten zuerst Persönlichkeitsmerkmale der Äffchen, indem sie beispielsweise ihre Reaktionen auf neue oder seltsame Gegenstände und neues Futter beobachteten, oder auch, wie lange es dauert, bis sie sich einer Spielzeugschlange annähern. Diese Experimente zeigten, dass einige Äffchen sehr entdeckungsfreudig und mutig sind, während andere neue Reize eher vermeiden und sich fernhalten. Anschließend überprüften die Forscher*innen die Lernleistung der Äffchen mithilfe verschiedener Lernaufgaben. Bei den einfachen Lernaufgaben wurde den Äffchen beispielsweise beigebracht, auf einer Waage zu stehen und dabei einen ‚Target Stick‘ zu halten. Es gab auch schwierigere Aufgaben, wie zum Beispiel eine Verbindung zwischen gleich großen Objekten unterschiedlicher Farbe und Formen herzustellen oder auch zwischen gleichartigen Objekten unterschiedlicher Größe.
Weibliche Weißbüscheläffchen lernten insgesamt schneller als männliche
Ähnlich wie in Studien mit anderen Tierarten schnitten die Weißbüscheläffchen bei unterschiedlichen kognitiven Aufgaben konstant gut ab. Die untersuchten weiblichen Weißbüscheläffchen lernten insgesamt schneller als die männlichen. Die Ergebnisse der Autor*innen bestätigten großteils die anfängliche These, dass Persönlichkeitsmerkmale (im Speziellen die in der Studie gegenübergestellten Eigenschaften Mut und Schüchternheit) das Lerntempo der Affen beeinflussen. Aber auch soziale Faktoren spielten eine Rolle: Die Familienzugehörigkeit der Äffchen, insbesondere im Zusammenspiel mit einer mutigen oder schüchternen Persönlichkeit, scheint Einfluss darauf zu haben, wie schnell sie unterschiedliche Aufgaben meistern. So lernten insbesondere mutigere Äffchen schneller als zurückhaltendere, was bei Mitgliedern desselben Familienverbands besonders auffällig war.
Dass die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Familienverband das Lerntempo beeinflusst, könnte möglicherweise auf das gemeinsame soziale Umfeld, gemeinsame frühere Erfahrungen aber auch auf die Genetik zurückzuführen sein. Evolutionär gesehen ist es jedenfalls plausibel, dass das Lernen sowohl von der Persönlichkeit als auch vom sozialen Umfeld bestimmt wird, da mutigere Individuen üblicherweise eher auf neue Situationen und/oder Herausforderungen im physischen und sozialen Umfeld reagieren. In solch einem komplexen Umfeld wird dann möglicherweise anhand von höheren sozio-kognitiven Leistungen selektiert.
„Allem Anschein nach bedingen sowohl die Persönlichkeitsmerkmale als auch das soziale Umfeld die individuellen kognitiven Fähigkeiten der Weißbüscheläffchen“, erklärt Šlipogor. „In unseren nächsten Studien wollen wir herausfinden, ob sich diese Ergebnisse auch durch andere Aufgaben bestätigen lassen, die vielleicht ein wenig kognitiv herausfordernder sind, und ob dieser Effekt auch bei anderen hochsozialen Tieren mit ähnlichen sozio-ökologischen Eigenschaften auftritt.“
Originalpublikation:
Šlipogor, V., Graf, C., Massen, J.J.M., & Bugnyar, T. (2022). Personality and social environment predict cognitive performance in common marmosets (Callithrix jacchus). Scientific Reports 12, 6702.
DOI: 10.1038/s41598-022-10296-8
https://www.nature.com/articles/s41598-022-10296-8.epdf?sharing_token=vHj4cDpjuh…

12.05.2022, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Was Heuschrecken fressen
Über die Nahrungsnetze pflanzenfressender Insekten ist nicht viel bekannt. Ein Team vom Biozentrum forscht nach – in Unterfranken ebenso wie in den Berchtesgadener Alpen.
Wer an einem lauen Sommerabend an einer Wiese vorbeispaziert, bekommt oft ein imposantes Konzert geboten. Es sind Heuschrecken, die mit ihrem Zirpen für mediterrane Stimmung sorgen. Meistens sind die Gesänge zu hören, mit denen Männchen die Weibchen zur Paarung anlocken wollen. Es kann sich aber auch um Rivalengesänge handeln, wenn zwei Männchen sich zu nahekommen.
Grashüpfer, Grillen, Heupferde: Die Namen dieser Heuschrecken dürften den meisten Menschen geläufig sein. Insgesamt gibt es über 80 Heuschreckenarten in Deutschland.
„Heuschrecken sind für viele Wiesen-Ökosysteme sehr wichtig“, sagt der Zoologe Sebastian König vom Biozentrum der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg: Die Insekten sind eine bedeutsame Nahrungsquelle für Vögel. Und als Pflanzenfresser entfernen sie bis zu 30 Prozent der Pflanzenbiomasse auf einer Wiese und fördern so das gemeinsame Vorkommen vieler Pflanzenarten.
Klimawandel: Wie reagieren Nahrungsnetze?
Heuschrecken und ihre Ernährungsgewohnheiten sind ein wissenschaftlich spannendes Thema. Denn es gibt generell noch großen Forschungsbedarf zu den Nahrungsnetzen, die Pflanzen und pflanzenfressende Insekten miteinander verbinden.
Warum sich die Wissenschaft dafür interessiert? „Es ist wichtig zu verstehen, wie Nahrungsnetze funktionieren, um ihre Stabilität im Kontext des Klimawandels vorhersagen zu können“, erklärt König, der als Doktorand am JMU-Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie bei Professor Ingolf Steffan-Dewenter und Co-Betreuer Professor Jochen Krauß forscht.
Mehr als 3.000 Heuschrecken beobachtet
Einen ersten Beitrag zum Verständnis der Heuschrecken-Nahrungsnetze haben König und Fachkollegen aus Würzburg, München und Salzburg im Journal Global Change Biology veröffentlicht.
Für die Studie wurden Heuschrecken-Pflanzen-Gemeinschaften in unterschiedlichen Gebieten untersucht – an warmen Standorten bei Karlstadt und Winterhausen in Unterfranken wie auch in den Berchtesgadener Alpen. So konnten die Artengemeinschaften entlang eines klimatischen Gradienten analysiert werden, und zwar in Höhenlagen von 250 bis 2.100 Metern.
Das Team stellte in den Sommern 2019, 2020 und 2021 auf 41 Wiesenflächen fest, welche Heuschrecken-Arten an welchen Pflanzen fressen. Es beobachtete dabei mehr als 3.000 Individuen von 54 Arten. Und es sammelte die Kotpellets der Tiere und analysierte die darin enthaltenen Pflanzenreste mittels DNA-Sequenzierung.
Theorie zur Nahrungsnischenbreite teilweise bestätigt
Die Ökologen wollten die vor einigen Jahren aufgestellte Hypothese prüfen, dass es für Insekten in höheren Lagen von Vorteil sein sollte, unterschiedliche Arten von Pflanzen fressen zu können. Das würde Sinn machen, denn in der hochalpinen Umgebung ist die Auswahl an Nahrungspflanzen nicht sehr groß. Es empfiehlt sich, dort auch wegen der hohen Umgebungsvariabilität nicht allzu wählerisch zu sein.
Königs Studie bestätigt die Hypothese zum Teil. Sie zeigt, dass Heuschrecken in kalten Regionen ein relativ breites Spektrum von Pflanzen fressen. Das gilt aber auch für warme Lebensräume, etwa für die unterfränkischen Kalkmagerrasen. In Gebieten mit gemäßigten Temperaturen, wo die Zahl der Pflanzenarten groß ist, sind die Heuschrecken dagegen stärker auf Pflanzen spezialisiert, die eng miteinander verwandt sind. Aber auch die Ressourcenzusammensetzung spielt eine wichtige Rolle für die Pflanzenfresser. So dominieren beispielsweise Grashüpfer mit einer Vorliebe für Gräser in grasreichen Wiesen.
Das Fazit der Forscher: „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass das Klima und die Zusammensetzung der Pflanzengemeinschaften die Nahrungsspezialisierung von Pflanzenfressern beeinflussen. Wenn Pflanzenfresser viele unterschiedliche Arten verspeisen, könnte das eine Anpassung und eine Voraussetzung dafür sein, in klimatisch extremen Lebensräumen überleben zu können.“
Jetzt wird die Darmflora der Heuschrecken analysiert
Die Würzburger Wissenschaftler wollen jetzt noch mehr Fakten über die Nahrungsnischenbreite von pflanzenfressenden Insekten zusammentragen. Als nächstes werden sie die Mikroorganismen analysieren, die im Darm der Heuschrecken leben. Auf diese Weise sollen mögliche Beziehungen zwischen der Ernährungsweise und der Diversität und Zusammensetzung der Darmflora aufgedeckt werden.
Das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst hat diese Studie im Rahmen des Programms „Exzellenzverbünde und Universitätskooperationen“ gefördert.
Originalpublikation:
Phylogenetic relatedness of food plants reveals highest insect herbivore specialization at intermediate temperatures along a broad climatic gradient. Sebastian König, Jochen Krauss, Alexander Keller, Lukas Bofinger, Ingolf Steffan-Dewenter. Global Change Biology, 16. April 2022, DOI: 10.1111/gcb.16199

12.05.2022, Universität Wien
Wie Haizähne Evolutionsprozesse entschlüsseln können
Zahnformen des Tigerhais: Schon der Embryo wechselt – und verschluckt – seine Zähne
Vom Embryo bis zum Schildkröten-Knacker: Ein Team um die Paläobiologin Julia Türtscher von der Universität Wien erforschte den mehrfachen Wechsel der Zahnform beim Tigerhai. Die kürzlich im Journal of Anatomy veröffentlichte Studie ist auch für die Paläontologie zentral, um aus den unzähligen erhaltenen Haizähnen Rückschlüsse auf ausgestorbene Arten ziehen zu können.
Knorpelfische, also Haie und Rochen, besitzen ein sogenanntes Revolvergebiss: Sobald sie einen Zahn verlieren, kommt ein neuer hinterher, und das ein Leben lang. „Dementsprechend haben wir sowohl von lebenden als auch von fossilen Knorpelfischen eine unglaubliche Menge an Zähnen, anhand derer wir auch für frühere Zeiten untersuchen können, wann und wie welche Art entstand beziehungsweise wieder ausstarb“, erklärt Julia Türtscher vom Institut für Paläontologie der Universität Wien. Eine besondere Herausforderung bei solchen Forschungsarbeiten: Bei den meisten Haiarten verändert sich die Zahnform im Laufe ihres Lebens.
Multiple Zahnformen erschweren Analyse
„Diese so genannte Heterodontie, also das Vorkommen unterschiedlicher Zahnformen in einem Gebiss, hat sich als eine der größten Herausforderungen für diese Analysen erwiesen, denn hier fehlt es bisher an systematischem Wissen“, so die Nachwuchswissenschafterin. Obwohl jedes Jahr zahlreiche Haiarten entdeckt und beschrieben werden, sind detaillierte Beschreibungen von Zahnformen und Heterodontie-Mustern für die meisten Arten kaum vorhanden oder nur unzureichend bekannt.
Für den Tigerhai konnte diese Lücke nun mit einer Studie des Instituts für Paläontologie der Universität Wien geschlossen werden. Mithilfe der geometrischen Morphometrie an Zähnen des Tigerhais Galeocerdo cuvier wurden von Julia Türtscher und ihren Kolleg*innen die Zahnformen für dessen vier verschiedene Entwicklungsstadien, vom Embryo bis zum erwachsenen Tier, analysiert und im Detail beschrieben.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich die Form der Haizähne im Laufe des Hailebens graduell und subtil verändert: Die Zähne werden einerseits größer und andererseits komplexer“, so Türtscher. So weisen die Zähne dieser Haie ein Sägemuster auf, die so genannte Zähnelung, und jede einzelne dieser Sägekanten ist bei erwachsenen Tieren noch einmal – also sekundär – gezähnelt. Dieser komplexe Aufbau ermöglicht es den erwachsenen Tigerhaien, sich von einem unglaublich breiten Beutespektrum zu ernähren: Sie können selbst Schildkrötenpanzer mühelos durchschneiden und große Beutetiere wie andere Haie oder Meeressäuger durchtrennen.
Die jüngeren und kleineren Tigerhaie hingegen besitzen nur einfach gezähnelte Zähne: Sie ernähren sich auch hauptsächlich von kleineren Fischen, bei denen diese zusätzliche Sägehilfe nicht nötig ist.
Tigerhai-Embryos bilden schon im Mutterleib Zähne
Die vorliegende Studie liefert auch die erste umfassende Beschreibung der Zahnform von Tigerhai-Embryos: Demnach bilden die Embryonen bereits im Mutterleib Zähne, allerdings zuerst noch ohne Zähnelungen. Bereits vor der Geburt setzt jedoch der sogenannte permanente Zahnwechsel ein und die neu gebildeten Zähne weisen erste primäre Zähnelungen auf. „Das heißt, die ersten Zähne werden sogar noch im Mutterleib gewechselt – und dabei verschluckt“, erklärt Türtscher.
Je größer die Tiere werden, umso größer werden die Zähne und umso mehr primäre Zähnelungen kommen hinzu. Die sekundären Zähnelungen entwickeln sich allerdings erst relativ spät, wenn die Tiere eine beachtliche Größe angenommen haben. „Es scheint generell ein Zusammenhang zu bestehen zwischen doppelt gezähnelten Zähnen und einer großen Körpergröße: Tigerhaie gehören mit einer Maximallänge von 5,5 Metern zu den größten räuberischen Haien unserer Meere. Außerdem sehen wir auch bei ihren ausgestorbenen Verwandten, dass die großen Arten doppelt gezähnelte Zähne hatten, während kleinere Arten nur eine einfache Zähnelung aufwiesen“, erklärt Zweitautor Patrick L. Jambura vom Institut für Paläontologie der Universität Wien.
„Die vorliegende Studie trägt insgesamt deutlich zu unserem Wissen über Zahnmerkmale im Laufe der Entwicklung des Tigerhais bei – sie bietet damit eine Grundlage für weitere morphologische und genetische Studien über die Zahnvariation bei Haien und wird sicherlich dazu beitragen, die vielen Entwicklungs- und Evolutionsprozesse der heutigen und vergangenen Knorpelfische zu entschlüsseln“, sagt Jürgen Kriwet, der Leiter der Arbeitsgruppe für evolutionäre Morphologie am Institut für Paläontologie.
Originalpublikation:
Türtscher, J., Jambura, P. L., López‐Romero, F. A., Kindlimann, R., Sato, K., Tomita, T., & Kriwet, J. (2022). Heterodonty and ontogenetic shift dynamics in the dentition of the tiger shark Galeocerdo cuvier (Chondrichthyes, Galeocerdidae). Journal of Anatomy.
DOI: https://doi.org/10.1111/joa.13668

Dieser Beitrag wurde unter Wissenschaft/Naturschutz veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert