Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

08.10.2018, Deutsche Wildtier Stiftung
Wähler in Bayern stimmen für Gams & Co.!
EMNID-Umfrage belegt: Mehrheit ist gegen die wildtierfeindliche Landespolitik

In kaum einem Bundesland ist die Waldpolitik so wildtierfeindlich wie in Bayern. Dass der gesetzliche Grundsatz „Wald vor Wild“, der Rothirsch, Reh und Gämse ausschließlich einen negativen Einfluss auf Forstpflanzen zuschreibt, am Wählerwillen vorbei geht, zeigt eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts EMNID im Auftrag der Deutschen Wildtier Stiftung: Eine große Mehrheit der bayerischen Wähler lehnt die derzeit geltenden Regelungen ab, die im Bergwald die Jagd auf Rothirsch, Gams und Reh über das ganze Jahr zulässt. 70 Prozent der Befragten halten eine Schonzeit für wichtig, selbst wenn durch ganzjährige Jagd der Wald besser wachsen könnte. Die bayerischen Wähler erteilen damit der gegenwärtigen Jagdpraxis in den bayerischen Alpen eine klare Absage!
Auf die Frage „Halten Sie den Grundsatz Wald vor Wild für richtig?“, antwortet eine absolute Mehrheit von 55 Prozent, diesen für nicht richtig zu halten. „Damit stellen sich die bayerischen Wähler gegen die Forstpolitik der Staatsregierung in den vergangenen Jahren“, sagt Hilmar Freiherr von Münchhausen, Geschäftsführer der Deutschen Wildtier Stiftung.
Wie verfilzt die geltende Wildtierfeindlichkeit ist, zeigt die Tatsache, dass sich keine der etablierten Parteien in ihrem Wahlprogramm für ein Ende des Grundsatzes „Wald vor Wild“ einsetzt. Im Gegenteil: Die bayerischen GRÜNEN fordern explizit eine bayernweit konsequente Umsetzung von „Wald vor Wild“ – und damit weiterhin ganzjährige Abschüsse im Bergwald! Allein in Oberbayern darf auf über 30.000 Hektar Bergwald ganzjährig auf Gams-, Rot- und Rehwild gejagt werden. „Die Gams und andere Wildtiere sind die Verlierer der bayerischen Landtagswahl, wenn die Politik nicht zum Umdenken bereit ist“,kritisiert Münchhausen und fordert eine kritische Prüfung aller Gebiete, in denen die Schonzeit aufgehoben wurde.

10.10.2018, NABU
Deutschland muss insektenfreundlicher werden
Angesichts der heutigen Vorschläge des Bundesumweltministeriums zum neuen Insektenschutzprogramm fordert der NABU, dass Deutschland grundsätzlich insektenfreundlicher werden muss. Dazu seien ein Umsteuern in der Landwirtschaft notwendig, eine deutliche Reduktion des Pestizideinsatzes sowie Schutzgebiete, die ihren Namen verdienen.
„Den Wert von Insekten können wir gar nicht hoch genug einschätzen. 90 Prozent aller Pflanzen sind auf Bestäubung angewiesen. Derzeit aber erleben wir einen alarmierenden Insektenschwund. Und das sowohl bei der Gesamtmasse als auch bei den Arten. Dieser Verlust kann verheerende Folgen haben für Mensch und Natur“, sagte NABU-Präsident Olaf Tschimpke.
Der NABU begrüßt daher, dass die Bundesregierung erstmals ein spezielles Insektenschutzprogramm plant und Bundesumweltministerin Schulze hierzu einen umfassenden Maßnahmenkatalog erarbeitet. „Die Ursachen für den Insektenrückgang sind komplex, aber die hohe Verantwortung der Landwirtschaft ist bekannt. Nun geht es darum, Lösungen umzusetzen – dabei darf sich keiner wegducken“, forderte Tschimpke. Bund und Länder müssten an einem Strang ziehen, ebenso sei die Landwirtschaft gefordert, den gefährlichen Trend zu stoppen.
Entscheidend zur Rettung der Insekten ist nach Ansicht des NABU eine naturverträglichere und damit insektenfreundlichere EU-Agrarpolitik. „Mit ihrer jetzigen Subventionspolitik zerstört die EU die Lebensräume von Insekten. Grünland wird zu intensiv genutzt, Brachflächen sind kaum mehr zu finden, Hecken, feuchte Stellen und blütenreiche Wegsäume sucht man vielerorts vergebens“, so Tschimpke.
Die Bundesregierung sei gefordert, jetzt in Brüssel einen Kurswechsel zu erreichen. Derzeit laufen die Verhandlungen für die Förderperiode ab 2021. Für Landwirte müsse es sich dann lohnen, Lebensräume von Insekten zu erhalten. Möglich sei dies durch eine Umschichtung der Gelder in einen neuen EU-Naturschutzfonds, der Landwirten Anreize für Naturschutzmaßnahmen bietet. Doch Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner will allem Anschein nach auch über 2021 hinaus am derzeitigen, umweltschädlichen System festhalten.
Auch national müsse die Bundesregierung schnell handeln. Sofortprogramme und Schutzmaßnahmen für Insekten seien unabdingbar in Anbetracht der chronischen Unterfinanzierung des Naturschutzes in Deutschland. Hierzulande klafft derzeit eine Finanzierungslücke von weit über 50 Prozent. Allein zur Umsetzung der EU-Naturschutzrichtlinien werden jährlich 1,4 Milliarden Euro benötigt – zur Verfügung stehen lediglich 540 Millionen Euro.
Zusätzlich fordert der NABU ein besseres Management der Schutzgebiete. Für zahlreiche bedrohte Arten sind sie die letzten Rückzugsräume. Doch selbst hier dürfen häufig Pestizide eingesetzt werden. „Dadurch wird der Schutz der Insekten unterlaufen“, kritisierte der NABU-Präsident. Die Länder müssten strengere Vorgaben für die Schutzgebiete machen. Sinnvoll sei auch der Vorschlag von Bundesumweltministerin Schulze, artenreiches Grünland und Streuobstwiesen zu geschützten Biotopen zu erklären.
Dritter wesentlicher Schritt muss nach Ansicht des NABU eine deutliche Reduzierung des Pestizideinsatzes sein. Die Bundesregierung müsse dazu endlich verpflichtende Reduktionsziele beschließen. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass reine Absichtserklärungen – etwa im Nationalen Aktionsprogramm – wirkungslos bleiben. „Wir brauchen auch wieder mehr Regionen, in denen überhaupt keine Pestizide eingesetzt werden“, forderte Tschimpke. Der Einsatz der besonders schädlichen Neonikotinoide sowie vergleichbar wirkender Insektizide und Breitbandherbizide wie Glyphosat müsse komplett verboten werden.
Vollständig pestizidfrei sollten künftig sämtliche Schutzgebiete sein sowie Städte und Gemeinden und der Haus- und Kleingartenbereich. „Auch das Zulassungssystem für Pestizide muss dringend reformiert werden. Wirkstoffe müssen stärker auf ihre Schädlichkeit für die biologische Vielfalt hin überprüft werden. Dafür muss sich Deutschland bei der laufenden Überprüfung der EU-Pestizid-Verordnung einsetzen“, so der NABU-Präsident.
Ausführliche Forderungen des NABU zum Insektenschutzprogramm der Bundesregierung

12.10.2018, NABU und LBV
Feldlerche ist Vogel des Jahres 2019

Der NABU und sein bayerischer Partner LBV, Landesbund für Vogelschutz, haben die Feldlerche (Alauda arvensis) zum „Vogel des Jahres 2019“ gewählt. Mit der Auswahl verbinden die Verbände die Forderung nach einer grundlegenden Änderung der europäischen Agrarpolitik. Auf den Star, Vogel des Jahres 2018, folgt ein weiterer Vogel der Agrarlandschaft. Damit küren der NABU und der LBV die Feldlerche zum zweiten Mal zum „Vogel des Jahres“ nach 1998.
„Diese Ehre wurde bisher nur wenigen Vögeln zuteil. Trotz aller Anstrengungen war die erste Wahl zum Vogel des Jahres leider nicht genug, um die Art zu retten. Denn der alarmierende Rückgang bei den Beständen dieses ehemaligen Allerweltsvogels setzte sich fort“, sagt Heinz Kowalski, NABU-Präsidiumsmitglied.
„Nur noch wenige kennen und hören den Gesang der Feldlerche am Himmel. Intensivkulturen mit Wintergetreide, Mais und Raps, fehlende Brachflächen und der Rückgang von Insekten verringern ihren Lebensraum und ihre Nahrungsgrundlage“, sagt Norbert Schäffer, LBV-Vorsitzender.
Die Feldlerche steht als Jahresvogel auch stellvertretend für andere Feldvögel wie Kiebitz und Rebhuhn, denen es zum Teil sogar noch schlechter geht. Die immer intensivere Landwirtschaft ist zum Hauptgrund für das Artensterben in Europa geworden. NABU und LBV fordern deshalb für die derzeit laufenden Verhandlungen über die künftige EU-Agrarpolitik ein radikales Umsteuern. Derzeit fließen jährlich 58 Milliarden Euro Agrarsubventionen überwiegend als pauschale Flächenprämien an Landwirte. Das sind 114 Euro pro EU-Bürger. Diese Gelder müssen künftig statt in Massenproduktion gezielt für eine naturverträgliche Landwirtschaft investiert werden, um Arten wie die Feldlerche zu retten. Bisher haben sich jedoch weder die Bundeskanzlerin noch ihre Agrarministerin Julia Klöckner am Verhandlungstisch in Brüssel klar dazu bekannt. Die Feldlerche – und mit ihr unsere ländlichen Lebensräume mit ihrer ganzen Artenvielfalt – haben jedoch nur eine Chance, wenn die Bundesregierung auf EU-Ebene die Weichen der Agrarpolitik richtig stellt.
NABU und LBV rufen bei der Mitmach-Aktion „Meine 114 Euro“ Bürgerinnen und Bürgern auf, ihre Wünsche an eine Agrarreform EU-Parlamentariern aus ihrem Wahlkreis zu übermitteln und so zur Rettung der Feldlerche und anderer Feldvögel beizutragen.
Mit zwischen 1,3 und 2 Millionen Revieren gehört die Feldlerche immer noch zu den häufigen Vögeln Deutschlands. Allerdings befinden sich ihre Bestände in einem deutlichen Sinkflug. Ein Drittel der Feldlerchen sind in den vergangenen 25 Jahren verschwunden. Zwischen 1990 und 2015 gab es einen Bestandsrückgang um 38 Prozent, wie offizielle Monitoringdaten des Dachverbandes Deutscher Avifaunisten belegen. Aus vielen Gebieten Deutschlands ist die Feldlerche bereits völlig verschwunden.
Die Nahrung der Feldlerche ist abhängig von den Jahreszeiten. In den kalten Monaten begnügt sie sich mit Pflanzenteilen und Sämereien. Im Frühling kommen Insekten, Regenwürmer oder andere Kleintiere dazu, die besonders für den Feldlerchen-Nachwuchs ein wichtiges Kraftfutter sind.
Die Feldlerche kann in der heutigen Agrarlandschaft wegen der schnell und dicht aufwachsenden großflächigen Intensivkulturen oft nur noch eine Brut aufziehen. Wo auf riesigen Flächen nur noch undurchdringbares Wintergetreide, Raps oder Mais wachsen, fallen die überlebenswichtigen zweiten und dritten Bruten aus. Wenn die Lerchen deswegen auf die vegetationsfreien Fahrspuren im Feld ausweichen, werden sie häufig Opfer von Nesträubern oder von Maschinen überrollt. Heute fehlt meist die Auflockerung der Landschaft durch Brachen, Sommergetreide oder extensiv genutztes Grünland, wo die Vögel auch im späten Frühjahr noch brüten könnten. Hielten sich 1990 noch Brach- und Maisanbauflächen die Waage, gab es 2010 bereits zwanzig Mal mehr Maisflächen. Auch in Überwinterungsgebieten des Zugvogels haben sich die Nahrungsbedingungen für den Zugvogel durch die Intensivierung der Landwirtschaft und durch Pestizide weiter verschlechtert.
Der Feldlerche hilft dann auch ihre perfekte Tarnung nicht mehr. Mit nur 16 bis 18 Zentimetern Körperlänge und der beige bis rötlich-braunen Gefiederfärbung an der Oberseite ist sie im Stoppelfeld gut getarnt. Ihr einziger Schmuck besteht aus feinen, schwarzbraunen Längsstreifen und Strichen am Oberkopf und einer kleine Federhaube.
Unsere Ohren nehmen Feldlerchen eher wahr als die Augen. Die Männchen singen meist im Flug aus einer Höhe von 50 bis 200 Metern, wo sie mit bloßem Auge kaum mehr zu erkennen sind. Ihr scheinbar endlos tirilierender Gesang bildet die traditionelle Klangkulisse unserer Agrarlandschaft. War es früher oft unmöglich, aus diesem Geräuschteppich einen einzelnen Vogel herauszuhören, ist es heute eine Freude, überhaupt eine Lerche zu hören. In manchen Gegenden ist der Himmel über den Feldern sogar bereits stumm.

12.10.2018, Karlsruher Institut für Technologie
Lebten Vorfahren der Säugetiere unterirdisch?
Die im Sonnenlicht enthaltene UV-Strahlung kann Zellen und Erbsubstanz schädigen. Die Natur hat daher für einige Reparatursysteme gesorgt, ein besonders effizientes wird durch Licht gesteuert. Es ist ein altes System, das sich im Laufe der Evolution kaum geändert hat. Nahezu alle Organismen verfügen darüber. Nur den höheren Säugetieren, und damit auch dem Menschen, fehlt dieses lichtinduzierte Reparatursystem. Sie schützen sich mit einem weit weniger effizienten Mechanismus. Warum, ist bis heute unklar. Einem Team des KIT ist es nun in einem internationalen Forschungsprojekt gelungen, einige Antworten zu geben. Die Ergebnisse veröffentlicht es in Current Biology (10.1016/j.cub.2018.08.039).
In der Erbsubstanz steckt die Bauanleitung für sämtliches Leben und alle biologischen Funktionen, zugleich ist sie anfällig für schädigende Einflüsse. Diese können durch Fehler bei der Vervielfältigung, aber auch durch externe Faktoren, etwa Strahlung oder toxische Substanzen, ausgelöst werden. Die Natur schützt sich dagegen von jeher mit Reparatursystemen. Eines der wichtigsten und effizientesten ist die sogenannte Photoreaktivierung. Durch sichtbares Licht werden dabei spezielle Enzyme, sogenannte Photolyasen, aktiviert, die schädigende Veränderungen der Erbsubstanz rückgängig machen. Von Pflanzen über Einzeller, Pilze und Bakterien bis hin zu fast allen Tierarten verfügen Organismen über ein fast identisches System der Photoreaktivierung. Lediglich höheren Säugetieren fehlt es. Diese evolutionäre Auffälligkeit verbindet sie mit einem seltenen Höhlenbewohner: Der blinde Höhlenfisch Phreatichthys andruzzii ist eine Besonderheit, denn er lebt seit vielen Millionen Jahren unterhalb der somalischen Wüste in wassergefüllten Felsspalten – völlig isoliert und im vollkommenen Dunkel. Untersuchungen an dem Fisch ergaben, dass neben einigen anderen ungewöhnlichen Veränderungen auch dieses Reparatursystem für die Erbsubstanz defekt ist.
Der Evolution bei der Arbeit zusehen
Gemeinsam mit Professor Tilman Lamparter vom Institut für Botanik des KIT und Professor Cristiano Bertolucci von der Universität Ferrara, Italien, untersuchten die Forschenden des Instituts für Toxikologie und Genetik (ITG) des KIT in einer mehrjährigen internationalen Zusammenarbeit die Genetik dieses DNA-Reparatursystems in Höhlenfischen und verglichen es mit dem von Zebrafischen. Dazu bestrahlten sie Zellen der Fische mit UV-Licht und untersuchten deren Fähigkeit zur DNA-Reparatur. „Wir konnten nachweisen, dass bei den Höhlenfischen, im Unterschied zu den Zebrafischen, dieses System nicht mehr richtig funktioniert. Die betroffenen Gene sind stark verändert und auch die Art, wie diese Gene durch Licht reguliert werden, ist abnormal“, so Professor Nicholas Foulkes vom ITG. „Zum ersten Mal können wir der Evolution gewissermaßen bei der Arbeit zusehen, denn die Ergebnisse geben uns Hinweise, wie sich diese Reparatursysteme unter besonderen Bedingungen im Laufe der Jahrmillionen verändert haben können“, so Foulkes. Das wiederum könnte darauf deuten, warum Säugetiere diesen Schutzmechanismus nicht mehr besitzen. „Wir glauben, dass wir hier die ersten Schritte eines Veränderungsprozesses beobachten, wie er sich bei den Vorfahren der höheren Säugetiere während des Mesozoikums abgespielt haben könnte“, berichtet der Forscher. Das Erdzeitalter Mesozoikum begann vor etwa 250 Millionen Jahren und endete vor ungefähr 65 Millionen Jahren. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schlussfolgern daraus, dass diese Säugetier-Vorfahren im Laufe der Evolution unter der Erde gelebt und als Ergebnis von Jahrmillionen in Dunkelheit ihr DNA-Reparatursystem verloren haben könnten.
Was sind die Schlüsselgene für UV-Schäden?
Insgesamt, so Foulkes, brächten die Erkenntnisse ein besseres Verständnis über die Biologie dieser Reparatursysteme. „Je mehr wir darüber lernen, desto eher können wir diese Erkenntnisse in einem medizinischen Kontext anwenden“, führt er weiter aus. Die negativen gesundheitlichen Folgen übermäßiger Sonnenlichtexposition seien ein wichtiges Gesundheitsthema. „Wir verstehen aber noch nicht vollständig, welche Mechanismen daran beteiligt sind und welches die Schlüsselgene für die DNA-Schäden sind. Sie könnten wichtige Marker und vielleicht auch Ziele für therapeutische Ansätze sein, um UV-Schäden zu behandeln“, hofft Foulkes.
Warum Fische Fett vertragen
Phreatichthys andruzzii weist noch weitere für die Forschung interessante Besonderheiten auf. Wie viele andere Höhlentiere auch, ist der Somalische Höhlenfisch äußerst langlebig und hat eine besondere Zellregulation, welche die Entstehung von Krebs verhindert. Außerdem verfügt er über eine ungewöhnlich niedrige Stoffwechselrate. Höhlenfische überdauern längere Perioden ohne Nahrung, indem sie äußerst effizient Fett speichern. „Wie überleben sie ohne negative Folgen mit so viel Fett im Körper?“, fragt Nicholas Foulkes und hofft, durch ein besseres Verständnis dieses außergewöhnlichen Stoffwechsels langfristig wichtige Erkenntnisse für den menschlichen Körper erzielen zu können.
Originalpublikation:
Haiyu Zhao, Giuseppe Di Mauro, Sebastian Lungu-Mitea, Pietro Negrini, Andrea Maria Guarino, Elena Frigato, Thomas Braunbeck, Hongju Ma, Tilman Lamparter, Daniela Vallone, Cristiano Bertolucci and Nicholas S. Foulkes: Modulation of DNA repair systems in blind cavefish during evolution in constant darkness, Current Biology

12.10.2018, Karlsruher Institut für Technologie
Lebten Vorfahren der Säugetiere unterirdisch?
Die im Sonnenlicht enthaltene UV-Strahlung kann Zellen und Erbsubstanz schädigen. Die Natur hat daher für einige Reparatursysteme gesorgt, ein besonders effizientes wird durch Licht gesteuert. Es ist ein altes System, das sich im Laufe der Evolution kaum geändert hat. Nahezu alle Organismen verfügen darüber. Nur den höheren Säugetieren, und damit auch dem Menschen, fehlt dieses lichtinduzierte Reparatursystem. Sie schützen sich mit einem weit weniger effizienten Mechanismus. Warum, ist bis heute unklar. Einem Team des KIT ist es nun in einem internationalen Forschungsprojekt gelungen, einige Antworten zu geben. Die Ergebnisse veröffentlicht es in Current Biology (10.1016/j.cub.2018.08.039).
In der Erbsubstanz steckt die Bauanleitung für sämtliches Leben und alle biologischen Funktionen, zugleich ist sie anfällig für schädigende Einflüsse. Diese können durch Fehler bei der Vervielfältigung, aber auch durch externe Faktoren, etwa Strahlung oder toxische Substanzen, ausgelöst werden. Die Natur schützt sich dagegen von jeher mit Reparatursystemen. Eines der wichtigsten und effizientesten ist die sogenannte Photoreaktivierung. Durch sichtbares Licht werden dabei spezielle Enzyme, sogenannte Photolyasen, aktiviert, die schädigende Veränderungen der Erbsubstanz rückgängig machen. Von Pflanzen über Einzeller, Pilze und Bakterien bis hin zu fast allen Tierarten verfügen Organismen über ein fast identisches System der Photoreaktivierung. Lediglich höheren Säugetieren fehlt es. Diese evolutionäre Auffälligkeit verbindet sie mit einem seltenen Höhlenbewohner: Der blinde Höhlenfisch Phreatichthys andruzzii ist eine Besonderheit, denn er lebt seit vielen Millionen Jahren unterhalb der somalischen Wüste in wassergefüllten Felsspalten – völlig isoliert und im vollkommenen Dunkel. Untersuchungen an dem Fisch ergaben, dass neben einigen anderen ungewöhnlichen Veränderungen auch dieses Reparatursystem für die Erbsubstanz defekt ist.
Der Evolution bei der Arbeit zusehen
Gemeinsam mit Professor Tilman Lamparter vom Institut für Botanik des KIT und Professor Cristiano Bertolucci von der Universität Ferrara, Italien, untersuchten die Forschenden des Instituts für Toxikologie und Genetik (ITG) des KIT in einer mehrjährigen internationalen Zusammenarbeit die Genetik dieses DNA-Reparatursystems in Höhlenfischen und verglichen es mit dem von Zebrafischen. Dazu bestrahlten sie Zellen der Fische mit UV-Licht und untersuchten deren Fähigkeit zur DNA-Reparatur. „Wir konnten nachweisen, dass bei den Höhlenfischen, im Unterschied zu den Zebrafischen, dieses System nicht mehr richtig funktioniert. Die betroffenen Gene sind stark verändert und auch die Art, wie diese Gene durch Licht reguliert werden, ist abnormal“, so Professor Nicholas Foulkes vom ITG. „Zum ersten Mal können wir der Evolution gewissermaßen bei der Arbeit zusehen, denn die Ergebnisse geben uns Hinweise, wie sich diese Reparatursysteme unter besonderen Bedingungen im Laufe der Jahrmillionen verändert haben können“, so Foulkes. Das wiederum könnte darauf deuten, warum Säugetiere diesen Schutzmechanismus nicht mehr besitzen. „Wir glauben, dass wir hier die ersten Schritte eines Veränderungsprozesses beobachten, wie er sich bei den Vorfahren der höheren Säugetiere während des Mesozoikums abgespielt haben könnte“, berichtet der Forscher. Das Erdzeitalter Mesozoikum begann vor etwa 250 Millionen Jahren und endete vor ungefähr 65 Millionen Jahren. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schlussfolgern daraus, dass diese Säugetier-Vorfahren im Laufe der Evolution unter der Erde gelebt und als Ergebnis von Jahrmillionen in Dunkelheit ihr DNA-Reparatursystem verloren haben könnten.
Was sind die Schlüsselgene für UV-Schäden?
Insgesamt, so Foulkes, brächten die Erkenntnisse ein besseres Verständnis über die Biologie dieser Reparatursysteme. „Je mehr wir darüber lernen, desto eher können wir diese Erkenntnisse in einem medizinischen Kontext anwenden“, führt er weiter aus. Die negativen gesundheitlichen Folgen übermäßiger Sonnenlichtexposition seien ein wichtiges Gesundheitsthema. „Wir verstehen aber noch nicht vollständig, welche Mechanismen daran beteiligt sind und welches die Schlüsselgene für die DNA-Schäden sind. Sie könnten wichtige Marker und vielleicht auch Ziele für therapeutische Ansätze sein, um UV-Schäden zu behandeln“, hofft Foulkes.
Warum Fische Fett vertragen
Phreatichthys andruzzii weist noch weitere für die Forschung interessante Besonderheiten auf. Wie viele andere Höhlentiere auch, ist der Somalische Höhlenfisch äußerst langlebig und hat eine besondere Zellregulation, welche die Entstehung von Krebs verhindert. Außerdem verfügt er über eine ungewöhnlich niedrige Stoffwechselrate. Höhlenfische überdauern längere Perioden ohne Nahrung, indem sie äußerst effizient Fett speichern. „Wie überleben sie ohne negative Folgen mit so viel Fett im Körper?“, fragt Nicholas Foulkes und hofft, durch ein besseres Verständnis dieses außergewöhnlichen Stoffwechsels langfristig wichtige Erkenntnisse für den menschlichen Körper erzielen zu können.
Originalpublikation:
Haiyu Zhao, Giuseppe Di Mauro, Sebastian Lungu-Mitea, Pietro Negrini, Andrea Maria Guarino, Elena Frigato, Thomas Braunbeck, Hongju Ma, Tilman Lamparter, Daniela Vallone, Cristiano Bertolucci and Nicholas S. Foulkes: Modulation of DNA repair systems in blind cavefish during evolution in constant darkness, Current Biology

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