Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

21.02.2022, Ludwig-Maximilians-Universität München
Geschlechtschromosomen von Vögeln als Reservoir für springende Gene
Die LMU-Biologen Vera Warmuth und Jochen Wolf berichten in Genome Research
Transponierbare Elemente (TEs) sind kurze DNA-Sequenzen, die in den Genomen der meisten Lebewesen vorkommen und die Fähigkeit haben, ihre Position zu verändern.
Mithilfe verschiedener molekularer Mechanismen – sogenanntem copy-paste oder cut-and-paste – können sie an einen anderen Ort innerhalb des Genoms ‘springen’. Die in transponierbaren Elementen enthaltenen Gene werden daher als springende Gene bezeichnet. Je nachdem, an welcher Stelle sie in das Genom eingefügt werden, kann dies negative Konsequenzen für den Wirt – das Genom – haben. Daher besitzen Genome Schutzmechanismen, um die Aktivität von TEs einzuschränken. Allerdings haben TEs auch Wege gefunden, diese Schutzmechanismen zu umgehen.
Die LMU-Biologen Vera Warmuth und Jochen Wolf konnten nun an Krähen zeigen, dass deren Geschlechtschromosom eine besonders hohe TE Aktivität aufweist, die Schutzmechanismen bei diesem Chromosom also weniger wirken als bei den anderen Chromosomen. Bei Vögeln besitzen nur weibliche Tiere ein geschlechtsspezifisches Chromosom. Eine besonders hohe TE-Aktivität auf den Geschlechtschromosomen war bislang nur von dem Modellorganismus Drosophila melanogaster – der Fruchtfliege – bekannt, wo das Geschlechtschromosom nur bei Männchen vorkommt. Bei der Fruchtfliege beschleunigt die unkontrollierte TE Aktivität auf dem Geschlechtschromosom den Alterungsprozess der Männchen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten, dass die hohe TE-Aktivität auf den Geschlechtschromosomen möglicherweise auch bei weiblichen Vögeln zu einem Fitnessverlust führen könnte.
Originalpublikation:
Accumulation and ineffective 1 silencing of transposable elements on an avian W Chromosome
Vera M. Warmuth, Matthias H. Weissensteiner, Jochen B. W. Wolf
Genome Research 2022
https://genome.cshlp.org/content/early/2022/02/11/gr.275465.121.abstract

21.02.2022, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Wildtierkameras liefern Erkenntnisse über die Verbreitung bedrohter Arten im Truong-Son-Gebirge in Vietnam und Laos
Um dem weltweit zunehmenden Aussterben von Arten entgegenzuwirken, sind wirksame Artenschutz-Strategien dringend erforderlich, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Ökologie, die Verbreitung und dem Bestand der Arten beruhen. Mit Hilfe von Wildtierkameras gewann ein Wissenschaftsteam des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW), des WWF-Vietnam, Save Vietnam’s Wildlife, Re:wild und FFI Vietnam neue Erkenntnisse über das Vorkommen und die Verbreitung des hoch bedrohten annamitischen Streifenkaninchens und zweier ebenso bedrohter Muntjakhirsch-Arten in sechs Gebieten in Vietnam und Laos.
Das Team ermittelte die Treiber, die das Vorkommen dieser bedrohten endemischen Arten beeinflussen, und erstellte Vorhersagekarten für diese Gebiete. Die Daten und Karten sind in der Fachzeitschrift „Conservation Science and Practice“ veröffentlicht.
Das annamitische Streifenkaninchen (Nesolagus timminsi) und die beiden Hirscharten Roosevelt-Muntjak (Muntiacus rooseveltorum) und Annam-Muntjak (Muntiacus truongsonensis) kommen nur im Truong-Son-Gebirge entlang der Grenze zwischen Vietnam und Laos vor. Die Wissenschaft weiß bisher wenig über die Ökologie, das Verhalten und die Verbreitung dieser Arten – gesichert ist, dass sie in ihrem gesamten Verbreitungsgebiet stark gefährdet sind. Die Hauptbedrohung für das Streifenkaninchen und die Muntjaks ist die weit verbreitete Wilderei durch Auslegen von Drahtschlingen. Ein besseres Verständnis der Verbreitung der Bestände im Truong-Son-Gebirge und der Faktoren, die ihr Vorkommen beeinflussen, ist ein erster Schritt zur Entwicklung wirksamerer Schutz- und Erhaltungsstrategien.
Um mehr über diese Arten zu erfahren, führte das Wissenschaftsteam an sechs Standorten im nördlichen und zentralen Bereich des Grenzgebirges systematische Kameraerhebungen auf Landschaftsebene durch. Ihre Ergebnisse zeigten, dass das Vorkommen der Muntjaks und der Streifenkaninchen von verschiedenen Landschaftsfaktoren beeinflusst wird, darunter die Höhenlage, die Abgeschiedenheit der Gebiete und die an die Schutzgebiete angrenzende Bevölkerungsdichte, zwei Parameter also, die den Druck durch den Menschen und seine Jagd auf die Bestände repräsentieren. Das Ausmaß der Abgeschiedenheit wurde als durchschnittliche Reisezeit von Hauptstraßen zu einer Position innerhalb von Schutzgebieten berechnet. Die angrenzende Bevölkerungsdichte ergab sich aus der Dichte der Dörfer, sie quantifiziert also die Nähe zu menschlichen Siedlungen in der Umgebung der Schutzgebiete. Mit diesen Faktoren und den Nachweisen der Spezies auf den Bildern der Wildtierkameras entwickelten die Wissenschaftler mathematische Modelle, wie diese Faktoren das Vorkommen der Tiere an verschiedenen Standorten unterschiedlich beeinflussen.
“Die Faktoren, die die Verbreitung der Arten im Truong-Son-Gebirge beeinflussen, sind komplex”, sagt Thanh Van Nguyen, Doktorand am Leibniz-IZW. “Mit unserer Modellierung konnten wir untersuchen, wie sich diese Einflüsse auf das Vorkommen des annamitischen Streifenkaninchens und der Muntjak-Arten an verschiedenen Untersuchungsstandorten auswirken, und so diese Komplexität besser verstehen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass das Streifenkaninchen in einigen Gebieten in höheren Lagen und in anderen in niedrigeren Lagen vorkommt. Überraschenderweise gab es keinen eindeutigen Nachweis für einen möglichen Einfluß des menschlichen Jadgdrucks auf ihr Vorkommen. Bei den Muntjaks hingegen zeigte sich ein durchweg positiver Einfluss der Höhenlage, und an einigen Standorten waren die Vorkommen in abgelegeneren Gebieten größer als in siedlungsnahen Gebieten. Die detaillierte Untersuchung standortspezifischer Unterschiede in den verschiedenen Regionen lieferten den Schlüssel für die Erklärung des Vorkommens der Arten im Truong-Son-Gebirge.”
Obwohl die Wissenschaftler keine eindeutige Auswirkung der Bejagung auf das Vorkommen des Streifenkaninchens feststellten, fanden sie die höchsten Vorkommen dieser Art in den Saola-Naturreservaten in Vietnam, wo der WWF-Vietnam seit mehr als zehn Jahren intensive Maßnahmen zur Entfernung von Schlingfallen durchführt. Anh Quang Hoa Nguyen, Koordinator und Projektleiter beim WWF-Vietnam, fügt hinzu: “Wir sind stolz darauf, an diesem Projekt beteiligt zu sein und freuen uns darauf, die Informationen zum Schutz dieser und anderer wichtiger Arten zu nutzen, die die biologische Vielfalt in diesem Teil der Welt so einzigartig machen. Die Ergebnisse zum annamitischen Streifenkaninchen sind ein erstes vielversprechendes Zeichen dafür, dass unsere intensiven Schutzbemühungen in den Saola-Naturreservaten einen positiven Nutzen für den langfristigen Erhalt der endemischen Arten im Truong-Son-Gebirge haben können.” Cuong Xuan Tran, Direktor des Pu-Mat-Nationalparks (Vietnam), sieht ebenfalls den Nutzen dieser Arbeit für den Naturschutz. “Die Ergebnisse dieser Arbeit sind ein wichtiger Schritt zum Schutz dieser bedrohten endemischen Arten,” sagt Cuong Xuan Tran.
“Mit dieser umfassenden Datengrundlage werden wir in der Lage sein, die Bestände dieser Arten in den Gebieten, in denen wir tätig sind, zu überwachen und so die Auswirkungen unserer Schutzbemühungen zu messen”, sagt Dr. Andrew Tilker, Asian Species Officer bei Re:wild und Postdoktorand am Leibniz-IZW. Tilker ist auch Mitglied der IUCN-Spezialistengruppen für Hirsche und Hasenartige, mit Schwerpunkt auf den Muntjaks und dem annamitischen Streifenkaninchen. “Große Untersuchungen auf Landschaftsebene wie diese sind ein erster Schritt zur Umsetzung von evidenzbasierten Schutzinitiativen, die sicherstellen, dass diese Arten im Truong-Son-Gebirge überleben und gedeihen.”
Das annamitische Streifenkaninchen (Nesolagus timminsi) ist ein Waldbewohnener der Gattung der Hasenartigen (Lagomorpha), der in der Bergregion an der Grenze zwischen Vietnam und Laos beheimatet ist. Es wurde erst im Jahr 2000 erstmalig wissenschaftlich beschrieben, über seine Ökologie oder sein Verhalten ist noch wenig bekannt. Die Art ist durch den Verlust ihres Lebensraums und die Jagd mit Schlingfallen bedroht und wird auf der Roten Liste der bedrohten Arten der IUCN als “stark gefährdet” eingestuft. Zu den Muntjaks in der Region gehören mindestens zwei bekannte – und möglicherweise weitere unbekannte – Arten, darunter das Roosevelt-Muntjak (Muntiacus rooseveltorum) und das Annam-Muntjak (Muntiacus truongsonensis). Die Muntjaks im Truong-Son-Gebirge sind kleine Hirsche mit dunklem Fell, winzigen Reißzähnen und einem Haarbüschel auf der Stirn. Da so wenig über diese Arten bekannt ist (inklusive ihrer Taxonomie) werden sie derzeit von der IUCN als “Data Deficient” (unzureichende Datengrundlage) eingestuft. Wissenschaftler:innen und Naturschützer:innen sind sich jedoch einig, dass die Bestände der Muntjaks in der Region durch die intensive Jagd zurückgegangen sind und die Arten mindestens als gefährdet anzusehen sind.
Originalpublikation:
Nguyen TV, Wilting A, Niedballa J, Nguyen A, Rawson BM, Nguyen AQH, Cao TT, Wearn OR, Dao AC, Tilker A (2022): Getting the big picture: Landscape-scale occupancy patterns of two Annamite endemics among multiple protected areas. Conservation Science and Practice. DOI: 10.1111/csp2.620

21.02.2022, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Käfer im Klimawandel
Wie reagieren Insekten, die in Baumkronen leben, wenn ihre angestammte Baumart plötzlich verschwindet? Eine Studie in den Auwäldern der Elbe bringt überraschende Erkenntnisse.
Infolge der Dürreperioden der letzten Jahre wurde in Deutschland ein ausgeprägtes Baumsterben beobachtet, das in Wäldern und Parks deutlich sichtbare Lücken hinterlassen hat. Alle Klimaprojektionen deuten darauf hin, dass solche Ereignisse in Zukunft häufiger auftreten.
Diese Entwicklung beeinflusst auch Insekten und andere Tiere in den Baumkronen, die einen wesentlichen Teil der Artenvielfalt ausmachen und viele Funktionen übernehmen, ohne die kein Wald existieren kann.
Als Reaktion auf das Baumsterben plant die Forstwissenschaft, Wirtschaftswälder in robustere Mischwälder umzubauen. Dazu gehört auch die vermehrte Pflanzung hitze- und dürreresistenter Baumarten aus anderen Ländern.
Doch diese Strategie birgt Risiken und ist umstritten: Werden Pflanzen oder Tiere in Regionen eingeführt, in denen sie nicht heimisch sind, kann das die Ökosysteme, deren Biodiversität und Funktion stören. „Art und Ausmaß solcher Störungen lassen sich aber mit dem derzeitigen Wissensstand nicht vorhersagen.“ Das schreiben die Wissenschaftler Andreas Floren und Tobias Müller von der Ökologie und Bioinformatik der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) mit Peter Horchler von der Bundesanstalt für Gewässerkunde in Koblenz im Fachjournal Sustainability.
Exotische Bäume als Rettungsanker
Die Forscher zeigen nun, dass nicht-heimische Bäume in Zeiten des Klimawandels auch Chancen bieten – sie können zum Rettungsanker für Insekten werden, wenn deren angestammte Wirtsbäume reihenweise absterben.
Anzeichen dafür haben die Biologen in den Auwäldern des Biosphärenreservats Mittlere Elbe gefunden. Dort wachsen neben der einheimischen Esche (Fraxinus excelsior) auch Rot-Eschen (Fraxinus pennsylvanica), die aus Nordamerika stammen. Die Exoten wurden dort Anfang des 20. Jahrhunderts gezielt wegen ihrer hohen Überflutungstoleranz gepflanzt.
„Wir haben 2016 und 2017 in den Kronen der beiden Baumarten die Biodiversität der Käfer analysiert“, erzählt Andreas Floren von der JMU-Arbeitsgruppe Systemökologie, die Tierökologie und Bioinformatik vereint. Dabei zeigte sich: Die größte Käfer-Diversität von allen untersuchten Baumarten war auf den heimischen Eschen zu finden. Und sie unterschied sich deutlich von den Käfergemeinschaften der Rot-Eschen.
Heimische Eschen fast komplett abgestorben
Ein durch Dürrestress und Pilzinfektionen verursachtes Eschensterben war laut Floren in diesen beiden Jahren nicht erkennbar. Doch 2020, als das Team die Analysen wiederholte, war die Situation völlig anders: Zu diesem Zeitpunkt waren mehr als 80 Prozent der heimischen Eschen abgestorben – was einem „knock-out“ dieser Baumart nahekommt. Die Hitze und Dürre der Vorjahre hatten ihren Tribut gefordert. Die Eschen aus Nordamerika dagegen waren unversehrt geblieben.
Drastisch verändert hatte sich 2020 auch die Käferfauna in den Baumkronen. „Das weist auf eine funktionelle Umstrukturierung des Ökosystems“, erklärt Floren. Viele Arten waren auf die Rot-Esche gewechselt, und mehrere als gefährdet eingestufte Rote-Liste-Arten traten nun so häufig auf, dass sie zu Schädlingen wurden. Diese Käfer bohren sich in die Rinde der einheimischen Eschen und zerstören deren Bastschicht, so dass die Bäume sterben.
Erstaunlicherweise fehlten in allen Bäumen pflanzenfressende Käfer. Dagegen fanden sich mehr im Holz lebende und holzfressende Käfer. Räuberische Käfer und solche, die sich von Pilzen ernähren, lebten nun vermehrt auf den nordamerikanischen Eschen.
Die Ergebnisse basieren auf Untersuchungen mittels Insektizidvernebelung („Fogging“). Bei dieser in der Forschung gängigen Methode werden einzelne Baumkronen eingenebelt; Käfer und andere Insekten fallen in Fangplanen am Boden und können dann systematisch bestimmt werden. Das als Insektizid verwendete natürliche Pyrethrum zersetzt sich innerhalb weniger Stunden ohne Rückstände, so dass die Störung für das Ökosystem gering bleibt.
Rot-Eschen bieten den zweitbesten Lebensraum
„Alles in allem legen unsere Daten nahe, dass Fraxinus pennsylvanica zu einer Art Rettungsanker für die heimische Fauna werden könnte, wenn die einheimische Esche verschwindet. In diesem Fall bietet die Rot-Esche den zweitbesten Lebensraum“, so Floren. „Dass Neophyten für den Erhalt der einheimischen Fauna wichtig werden, ist sehr ungewöhnlich und nur möglich, weil die beiden Eschenarten eng miteinander verwandt sind.“
Als Neophyten bezeichnet man in der Biologie Pflanzen, die durch menschliche Aktivitäten an nicht-heimischen Standorten eingeführt wurden.
Notwendig seien jetzt weitergehende Untersuchungen zur Diversität und Funktion der Baumkronenfauna inklusive der Neophyten, um auf mögliche Folgen des Klimawandels vorbereitet zu sein. Denn: Was in den Auwäldern passiert ist, könnte auch das Schicksal anderer Wälder werden.
Originalpublikation:
The Impact of the Neophyte Tree Fraxinus pennsylvanica [Marshall] on Beetle Diversity under Climate Change. Andreas Floren, Peter J. Horchler, Tobias Müller. Open Access, 08.02.2022, Sustainability, https://doi.org/10.3390/su14031914

22.02.2022, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels
Hoch aus der Luft helfen Drohnen, den Lebensraum von Zauneidechsen zu erfassen
Das Verständnis der Raumnutzung und der Lebensraumbedürfnisse von Tieren ist wesentlich für einen wirksamen Artenschutz. Kleine Tiere nutzen kleine Strukturen, die schwer zu erfassen sind. Forschende des LIB haben jetzt in einer Studie mit Hilfe von Drohnen diese kleinen Strukturen in hochauflösenden Habitatkarten dargestellt. Das Forschendenteam konnte zeigen, wie wichtig niedrige Brombeerbüsche für Zauneidechsen in der Dellbrücker Heide in Köln sind. Die Drohnen-Methode kann Anwendung im Naturschutz und der Landschaftsplanung finden.
„Was für die Menschen ihr Kiez oder Viertel ist, ist für Wildtiere ihr Aktionsraum“, erläutert Dr. Dennis Rödder, Reptilienexperte vom Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB), Museum Koenig Bonn. Dieses Gebiet ist ihnen vertraut, dort bewegen sie sich und es erfüllt ihre ökologischen Bedürfnisse im täglichen Leben, von der Nahrung bis zum Unterschlupf. Nach Erkundungstouren in die Umgebung kehren die Tiere meist in dieses Gebiet zurück. Die Erfassung des Habitats im Aktionsraum kann daher wertvolle Erkenntnisse über die räumlichen und strukturellen Bedürfnisse der Wildtiere liefern. Diese Ansprüche zu verstehen wird immer wichtiger, da durch menschliche Einflüsse Landschaften verändert werden. „Wir hoffen, dass unsere Arbeit nicht nur theoretisch bleibt, sondern auch Anwendung im Naturschutz und der Landschaftsplanung findet“, erklärt Vic Clement, Doktorand am LIB, Museum Koenig Bonn.
Zauneidechsen und ihr Aktionsraum sind klein, ebenso die Strukturen in ihrem Lebensraum. Um diese zu erfassen, sind daher hochauflösende Karten, die einzelne Büsche, Gras, Sand oder Bäume abbilden, vonnöten. Hier schaffen Drohnen Abhilfe: aus einer geringen Höhe nehmen sie hochauflösende Bilder des Gebiets auf, sodass einzelne Strukturen gut zu unterscheiden sind. Die Forschenden des LIB legten nun die beobachteten Aktionsräume der untersuchten Tiere auf die detaillierte Karte, und konnten auf diese Weise die Struktur des Habitats innerhalb der Grenzen des Aktionsraumes untersuchen und mit der Umgebung vergleichen. So haben Clement, Schluckebier und Rödder nachgewiesen, dass Zauneidechsen in der Dellbrücker Heide vor allem niedrige Brombeerbüsche aufsuchen, während sie offene Sandflächen und hochwachsende Vegetation meiden. Vorlieben für Gras und andere niedrige Büsche hingegen variieren von Tier zu Tier.
„Die Zauneidechse als Kulturfolger ist oftmals Opfer von Störung, Zerstörung, oder Fragmentierung ihrer Lebensräume durch menschliche Aktivitäten. Ausgleichs- und Schutzmaßnahmen könnten sich mit unseren Daten nun besser formulieren lassen“, hofft auch Rieke Schluckebier, Masterkandidatin in der Sektion Herpetelogie des LIB, Museum Koenig Bonn. Drohnen haben sich in den letzten Jahren immer mehr als nützliches Werkzeug zur Beantwortung ökologischer Fragestellungen erwiesen. Diese zeiteffiziente Methode zur Erfassung von Lebensraumstrukturen kann von großem Nutzen bei der Verwaltung von Schutzgebieten sein.
Originalpublikation:
Clement, V.F., R. Schluckebier, & D. Rödder (2022). About lizards and unmanned aerial vehicles: assessing home range and habitat selection in Lacerta agilis. Salamandra, 58: 24–42.
https://www.salamandra-journal.com/index.php/home/contents/2069-clement-v-f-r-schluckebier-d-roedder

22.02.2022, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Arbeitsteilung bei Ameisen bereits seit über 100 Millionen Jahren
Biologieteam der Universität Jena entdeckt in Fossilien frühesten Beweis für kooperatives Verhalten bei Ameisen
Ameisen leben in arbeitsteilig organisierten Staaten. Drei Kasten übernehmen dabei jeweils verschiedene Aufgaben: Während die Königin Eier legt und die Männchen diese befruchten, versorgen die Arbeiterinnen den Nachwuchs und kümmern sich um Nahrung und Nestbau. In der Biologie nennt man dieses besondere Verhalten Eusozialität, die bei den Ameisen besonders komplex ausgebildet ist. Sie zeigt sich nicht nur im Verhalten, sondern auch in der Morphologie der Tiere: Geflügelte Weibchen übernehmen die Rolle der Königin, während unfruchtbare Weibchen ohne Flügel die Aufgaben der Arbeiterinnen erledigen. Doch wann genau in ihrer Evolution haben Ameisen mit diesem einzigartigen Teamwork begonnen? Ein internationales Forschungsteam – unter Federführung von Biologen der Friedrich-Schiller-Universität Jena – entdeckte nun den materiellen Beweis dafür, dass Ameisen bereits vor über 100 Millionen Jahren in einem solchen Sozialsystem lebten und sich die kooperative Lebensweise bereits in der frühen Kreidezeit herausbildete. Ihre Ergebnisse präsentieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Forschungsmagazin „Zoological Journal of the Linnean Society“.
Erstmals Ameisenpuppe in kreidezeitlichem Bernstein gefunden
Für ihre Arbeit nahmen die Biologinnen und Biologen vier in Bernstein eingeschlossene Fossilien sehr genau unter die Lupe. Bei den vier Tieren handelte es sich um drei weibliche erwachsene, flügellose Ameisen und eine nicht vollständig entwickelte Puppe – die erste Ameisenpuppe, die jemals in einem kreidezeitlichen Bernstein gefunden wurde. „Mithilfe von Mikro-Computertomographie-Aufnahmen konnten wir feststellen, dass die Weichgewebe der Insekten hervorragend erhalten geblieben sind“, erklärt Dr. Brendon E. Boudinot, der derzeit im Rahmen eines Humboldt-Forschungsstipendiums an der Universität Jena forscht. „Wir konnten so etwa den Aufbau des Gehirns, die Struktur des Nervensystems und die Querstränge der Muskeln genau untersuchen und somit die vier Exemplare untereinander vergleichen.“
Sensationelle Entdeckungen
Dank dieser Einblicke in die innere Anatomie der Ameisen war es den Forschenden möglich, Rückschlüsse auf die Artzugehörigkeit zu ziehen – und dabei zwei spektakuläre Entdeckungen zu machen: Zum einen gehören zwei der erwachsenen Tiere zu einer bisher unbekannten Art der ausgestorbenen Ameisen-Gattung Gerontoformica, die die Experten hierdurch erstmals genauer beschreiben konnten.
Zum anderen entstammen die dritte ausgewachsene Ameise und die Puppe der gleichen Art: Gerontoformica gracilis. „Da Ameisenpuppen sich nicht fortbewegen können, liegt der Schluss nahe, dass das ausgewachsene Tier sie getragen hat“, sagt Boudinot. „Dieser sogenannte Bruttransport ist ein einzigartiges Merkmal des arbeitsteiligen Zusammenlebens von Ameisen. Das Fossil liefert somit den ersten materiellen Beweis für kooperatives Verhalten aus der Kreidezeit: Diese Ameisen kümmerten sich gemeinsam um ihre Jungen, gingen gemeinsam auf Nahrungssuche und hatten unterschiedliche Königinnen- und Arbeiterkasten.“ Damit stellten die fossilen Vertreter der ausgestorbenen Ameisen-Gattung ein wichtiges Verbindungsstück – ein sogenanntes „missing Link“ – zwischen den heutigen Ameisen und ihren nächsten Verwandten dar, das bestätige, dass sich das spezialisierte Sozialsystem der Ameisen in der frühen Kreidezeit – zur Zeit der Dinosaurier – entwickelt hat.
Neue Erkenntnisse über die Evolution der Ameisen
Die Arbeit mit den vier fossilen Ameisen haben den Forschenden gezeigt, welche Fülle an Informationen sich mit den hochauflösenden Abbildungsmöglichkeiten hervorbringen lassen. „Wir können nun neue Erkenntnisse über die Entwicklung der inneren Anatomie fossiler Insekten ableiten und Verwandtschaftsverhältnisse fossiler Arten untereinander und mit den heute lebenden Arten viel genauer klären“, sagt der US-amerikanische Entomologe. Wie etwa entstanden die beiden unterschiedlichen weiblichen Formen der Ameisen – Königinnen und Arbeiterinnen? Bildeten sich etwa zuerst die Flügel zurück und dann die Fruchtbarkeit, führte die einsetzende Sterilität zum Verlust des Flugapparats oder fanden beide Entwicklungen gleichzeitig statt? Auf solche Fragen zur Evolution der Ameisen können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dank der neuen Erkenntnisse und Methoden möglicherweise bald Antworten liefern. Damit verbunden ergeben sich zudem neue Forschungsfragen im Bereich der Soziobiologie, etwa zur Entstehung der Eusozialität.
Originalpublikation:
B. E. Boudinot, A. Richter, J. Katzke, J. C. M. Chaul, R. A. Keller, E. P. Economo, R. G. Beutel, S. Yamamoto: „Evidence for the evolution of eusociality in stem ants and a systematic revision of †Gerontoformica (Hymenoptera: Formicidae)“, Zoological Journal of the Linnean Society, 2022, https://academic.oup.com/zoolinnean/advance-article/doi/10.1093/zoolinnean/zlab097/6523228

23.02.2022, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei
Die Tiefsee im Takt des Klimawandels
Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Karl-Michael Werner vom Thünen-Institut für Seefischerei und Margrete Emblemsvåg vom Institut Møreforsking AS und der arktischen Universität Norwegens haben eine ungewöhnliche Verbindung zwischen den Bodenfischgemeinschaften in Ostgrönland und den Auswirkungen des Klimawandels entdeckt. Beim Auswerten langer Zeitreihen beobachteten sie, dass Ökosysteme über den gesamten Tiefenbereich von 150 bis1500 Metern Wassertiefe zeitgleich auf Änderungen in der Atmosphäre, der Meereisbedeckung und der Oberflächentemperatur reagierten – erstaunlicherweise am deutlichsten bei Tiefseefischen, die unterhalb von 400 Metern Wassertiefe leben.
Über fast 20 Jahre, von 1998-2016, sammelten Forschende vom Thünen-Institut für Seefischerei aus Bremerhaven und dem grönländischen Institut für natürliche Ressourcen in Nuuk Daten zu Veränderungen in der Fischgemeinschaft in Tiefen von 150 bis 1500 Metern. Während dieses Zeitraums fuhren sie jedes Jahr mit Forschungsschiffen an ähnliche Positionen vor Ostgrönland, um mit einem wissenschaftlichen Grundschleppnetz Proben zu nehmen. So kamen Informationen von fast 1400 Netzfängen zusammen.
„Während wir die Daten zu den Fischvorkommen analysierten, wurde uns bewusst, dass die Änderungen in Tiefenregionen zwischen 350 und 1000 Metern stärker waren als die Änderungen in flacheren Regionen. Als sich auch noch statistisch bestätigte, dass diese Beobachtungen in der Tiefe mit Änderungen in der Atmosphäre korrelierten, war die größte Herausforderung, Hypothesen zu entwickeln, wie diese Dinge zusammenhängen“, sagt Margrete Emblemsvåg.
Ökologische Änderungen in der Tiefe
Für ihre Datenanalyse nutzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das statistische Auswerteverfahren „Tensor Dekomposition“, mit dem sie räumliche und zeitliche Änderungen der Fischgemeinschaften simultan untersuchen konnten. „Diese Methode wird noch nicht lange für ökologische Fragestellungen herangezogen, jedoch wurde kürzlich erkannt, dass sie sich sehr gut für die Analyse von räumlich-zeitlichen Prozessen in Fischgemeinschaften eignet“, erläutert Karl-Michael Werner vom Thünen-Institut. „Das markanteste Ergebnis war, dass die Änderungen in wesentlich größeren Tiefen als erwartet auftraten.“ So konnten die Forschenden selbst in über 400 Metern Tiefe vermehrt boreale, also stärker wärmeangepasste Arten wie den Lumb (Brosme brosme) und den Blauleng (Molva dypterygia) beobachten, während das Vorkommen von arktischen und sub-arktischen Arten wie dem Schwarzen Heilbutt (Reinhardtius hippoglossoides) oder dem Blauen Seewolf (Anarhichas denticulatus) abnahm.
Langsamer Wandel und Extremereignisse
Die Ergebnisse der Tensor Dekomposition zeigten, dass sich die Verbreitung von Fischgemeinschaften in größeren Tiefen zwischen den Jahren 2005 und 2010 rapide geändert hat. Zur gleichen Zeit stiegen sowohl die Lufttemperatur als auch die Temperatur und der Salzgehalt der Oberflächenschicht an und die Ausdehnung des Meereises nahm ab. Die Ergebnisse zeigten aber auch kurzfristige Änderungen der Tiefseefischgemeinschaften parallel zu Extremereignissen in der Umwelt, wie im Jahre 2003, als die Lufttemperatur außergewöhnlich hoch war. Fischgemeinschaften in der Tiefsee scheinen somit sowohl empfindlich gegenüber langsamen Veränderungen als auch gegenüber Extremereignissen zu sein, die innerhalb kürzester Zeit zu Änderungen der ökologischen Verhältnisse führen.
Ein Fahrstuhl in die Tiefe?
Da die statistischen Auswertungen klar belegen, dass die Verteilung von Bodenfischen mit Änderungen in der Atmosphäre und der Oberfläche zusammenhängen, liegt es nahe, dass diese physikalischen Änderungen eine biologische Kaskade hervorrufen, die von der Oberfläche bis in die Tiefsee reicht. Ähnliches wurde zur gleichen Zeit in anderen Gebieten im Nordatlantik beobachtet. „Änderungen an der Oberfläche können innerhalb von Wochen und Monaten die Absinkraten von organischem Material, unter anderem absterbendes Plankton, in die Tiefe beeinflussen. Diese absinkende Biomasse ist eine wichtige Nahrungsgrundlage für die Artgemeinschaft des Meeresbodens, von denen sich die Fische ernähren“, erklärt Karl-Michael Werner.
Die zweite Hypothese, warum die Arten am Kontinentalabhang stärkere Änderungen als in den flacheren Wasserschichten zeigten, könnte auf die Verteilung verschiedener Wasserkörper zurückzuführen sein. Eine frühere Studie der Autorin Margrete Emblemsvåg zeigte, dass sich tiefere Schichten, in denen Wassermassen atlantischen Ursprungs dominieren, über den Studienzeitraum langsam erwärmten, während dies in den arktischen Wasserkörpern im Flachen nicht der Fall war. Dieser graduelle Temperaturanstieg in der Tiefe könnte der Taktgeber für die grundlegenden Änderungen in den Verbreitungsgebieten der Fische sein, während die Extremereignisse über kurzfristige Änderungen in der Nahrungsverfügbarkeit am Meeresboden eher für die zeitlich begrenzten Ausschläge in der Fischfauna verantwortlich sind. Die Klärung dieser Fragen ist Gegenstand weiterer Untersuchungen.
Originalpublikation:
Emblemsvåg, M., Werner, K. M., Núñez-Riboni, I., Frelat, R., Torp Christensen, H., Fock, H. O., Primicerio, R. (2022). Deep demersal fish communities respond rapidly to warming in a frontal region between Arctic and Atlantic waters. Global Change Biology, 00, 1–12. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/gcb.16113

23.02.2022, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Während manche Insekten zurückgehen, können andere häufiger werden
Bestandsveränderungen einer Insektengruppe, z. B. Heuschrecken, sagen wenig darüber aus, wie es anderen Insekten im selben Lebensraum ergeht, z. B. Fliegen. Grund: Während sich Insektengruppen mancherorts ähnlich entwickeln, können die Trends an anderen Orten ganz unterschiedlich sein. Diese Ergebnisse einer Metastudie haben Forschende in der Fachzeitschrift Biology Letters veröffentlicht. Sie untersuchten Insekten-Langzeitdaten von mehr als 900 Orten weltweit. Die Ergebnisse zeigen, dass man mehrere Artengruppen gleichzeitig monitoren muss, um die Natur zielgerichtet schützen zu können.
Das sogenannte „Insektensterben“ ist 2017 ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Damals veröffentlichten Forschende eine Abnahme der Fluginsektenbiomasse in westdeutschen Naturschutzgebieten von über 75 Prozent in knapp 30 Jahren. Die Studie ließ viele Menschen erkennen, dass es heute weniger Insekten gibt als früher. Seitdem sind weltweit viele neue Studien erschienen, die oft große Rückgänge zeigen; hunderte Medien haben über das Thema berichtet.
Unter Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, der Friedrich-Schiller-Universität Jena und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) entwickeln Forschende seit 2018 eine neue Datenbank; sie beinhaltet hunderte internationaler Studien, welche über viele Jahre die Häufigkeit verschiedener Insekten untersucht haben. Geleitet wird das Team von Dr. Roel van Klink, Postdoktorand bei iDiv und der MLU. „Es ist alarmierend, dass ein solcher Rückgang vor unseren Augen passiert, und niemand gesehen hat, dass er an ganz vielen Orten gleichzeitig stattfindet“, sagt er. „Das zeigt, wie wichtig es ist, unsere Umwelt zu überwachen.“ Das Monitoring von Insekten ist jedoch schwierig, weil die meisten klein sind und weil es sehr viele verschiedene gibt; allein in Deutschland gibt es 30.000 Insektenarten. Zweitautorin Dr. Diana Bowler fügt hinzu: „Die meisten Monitoring-Programme untersuchen nur eine Insektengruppe. Niemand hat untersucht, ob der Zustand der untersuchten Gruppen auch etwas über den Zustand der anderen aussagt.“ Bowler ist Postdoktorandin bei iDiv, der Universität Jena und dem UFZ.
Für die neue Studie untersuchten die Forschenden, ob Bestandsveränderungen bei einer Insektengruppe Aussagen über Veränderungen anderer Insektengruppen erlauben. Wenn zum Beispiel Schmetterlinge zurückgehen, bedeutet das, dass auch Käfer, Fliegen und Bienen zurückgehen? Wenn Trends bei einer Artengruppe Rückschlüsse auf andere Gruppen erlauben, würden sie sich als Indikatoren eignen. Der Vorteil wäre, dass man nicht alle Insektengruppen monitoren müsste. Forschende und Entscheidungsträger könnten dann Daten über eine Insektengruppe nutzen, um Schlussfolgerungen und Schutzempfehlungen für andere Insekten abzuleiten.
Allerdings fanden van Klink und sein Team kaum Hinweise auf solche Indikatorarten: Die Bestände verschiedener Artengruppen zeigten oft unterschiedliche Trends. „Am ähnlichsten waren noch die Trends bei Käfern und Schmetterlingen, die oft gleichzeitig zu- oder abnahmen“, sagt van Klink. „Aber selbst bei diesen beiden Insektengruppen war die Korrelation gering. Heuschrecken dagegen machen komplett ihr eigenes Ding; ihre Bestandsveränderungen korrelieren mit keiner anderen Artengruppe“.
Insgesamt unterstreichen die Ergebnisse der Studie, was die Forschenden schon seit Jahren sagen. „Insekten sind keine homogene Gruppe, die weltweit einen dramatischen Rückgang verzeichnen, wie uns manche Schlagzeilen glauben machen“, sagt Senior-Autor Prof. Jonathan Chase, Forschungsgruppenleiter bei iDiv und der MLU. „Die Natur ist nicht so einfach wie wir es gerne hätten“, fügt van Klink hinzu. „Zweifellos verändert der Mensch die Natur in beispielloser Weise. Es ist unsere Aufgabe herauszufinden, wie, warum und wo diese Veränderungen stattfinden und welche Insektengruppen davon betroffen sind.“ Die Studie unterstreiche die Notwendigkeit, Bestandsveränderungen vieler Insektengruppen gleichzeitig zu monitoren und ihre Ursachen besser zu verstehen. „Wir können nicht einfach eine Gruppe von Insekten beobachten und davon ausgehen, dass alle anderen dasselbe tun“, sagt Diana Bowler. „Wir müssen uns um die gesamte Vielfalt der Insekten kümmern.“
Originalpublikation:
van Klink, R., Bowler, D. E., Gongalsky, K. B., Chase, J. M. (2022). Long-term abundance trends of insect taxa are only weakly correlated. Biology Letters. DOI: 10.1098/rsbl.2021.0554

24.02.2022, Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL
Maul auf! Was Vogelschnäbel über die tropische Artenvielfalt aussagen
In Regionen der Erde, in denen fruchtfressende Vögel weitere Schnäbel haben, gibt es auch grössere Palmfrüchte, zeigt eine neue Studie. Das tönt banal, ermöglicht aber neue Einblicke in die tropische Artenvielfalt und liefert Lösungsansätze für Artenschutz, Renaturierung von Wäldern und Wiederauswilderung von Tieren.
Die Artenvielfalt in Tropenwäldern ist gewaltig. Doch wie ist sie entstanden? Angesichts der grossflächigen Zerstörung dieser Wälder ist das eine drängende Frage in der ökologischen Forschung. Ein internationales Team unter Leitung der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL hat nun erkundet, wie die die Wechselwirkungen zwischen Vögeln und Palmen die Artenvielfalt erhöht hat.
Die meisten Palmen bilden fleischige Früchte, die von Vögeln und Säugetieren gefressen und danach verbreitet werden. Vögel schlucken die Früchte meist ganz, weshalb die Schnabelweite die Fruchtgrösse limitiert, welche der Vogel verzehren kann. «Vogelschnäbel und Palmenfrüchte stehen wohl schon seit Millinoen von Jahren miteinander in Wechselwirkung», erklärt Ian McFadden von der WSL-Gruppe Räumliche Evolutionsökologie. Er ist Erstautor der Studie, die nun in den «Ecology Letters» veröffentlicht wurde. Mit seinen Kolleginnen und Kollegen erstellte McFadden erstmals eine weltweite Karte, die Schnabel-Öffnungsweiten und die Grösse der Palmfrüchte zusammenbringt. «Normalerweise erforscht man Interaktionen von Arten regional, wir haben dies nun auf globaler Skala anhand von Artmerkmalen gemacht», sagt McFadden.
Zwei kürzlich veröffentlichte Datensätze machten dies möglich: Die Datenbank AVONET, welche die Körpermerkmale nahezu sämtlicher weltweit bekannter Vogelarten enthält, und PalmTraits, eine Datenbank für Palmen. Für die Analyse wählte McFadden rund 1100 fruchtfressende Vogelarten und 2000 Palmenarten aus. Mit statistischen Pfadmodellen prüften die Forschenden, wie Schnabelweiten und Fruchtgrössen von Faktoren wie dem Klima, der Pflanzen-Biomasseproduktion, dem Artenreichtum und der tektonischen Erdgeschichte beeinflusst werden.
Stärker verknüpft in Äquatornähe
Es zeigte sich, dass die beiden Merkmale umso enger verbunden waren, je näher am Äquator die Arten lebten. In Afrika traf dieses Muster am deutlichsten zu, auf Inseln wie Madagaskar weniger. Dort gibt es weniger fruchtfressende Vögel, dafür fressen Lemuren Palmenfrüchte, was das Vogel-Palmen-Muster aufweicht, wie McFadden vermutet.
Die enge Koppelung zwischen Schnäbeln und Palmen in Äquatornähe fand sich auf der ganzen Welt, obwohl sich die tatsächliche Schnabel- und Fruchtgrösse zwischen den Kontinenten stark unterscheiden. Beide Merkmale sind in Südostasien am grössten, im Südosten der USA am kleinsten und in Südamerika und Afrika mittelgross. Das Klima spielte im Modell keine Rolle dabei, wie eng Schnäbel und Früchte zusammenhingen, ausser indirekt über die Palmenvielfalt, die in wärmeren Regionen höher ist.
Die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Bäumen und Samenverbreitern ist auch ein Weg, um den praktischen Naturschutz zu unterstützen. «Wenn man zerstörte Wälder renaturieren will, muss man auch Samen verbreitende Tiere berücksichtigen und allenfalls wieder auswildern», sagt McFadden Immerhin würden in den Tropen Mehrheit aller Früchte durch Tiere verbreitet.
Nach Ansicht des Biologen stützt die Studie die Hypothese, dass die Tropen eine so hohe Artenvielfalt aufweisen, weil die Interaktionen zwischen den Arten dort stärker sind. Diese Erkenntnis verbessert unser Grundverständnis der Tropenwälder und kann helfen, optimale Ansatzpunkte für deren Schutz zu finden. Allerdings, fügt McFadden hinzu, «wissen wir bisher nicht, ob alle tropischen Regenwälder weltweit in Bezug auf die Samenverbreitung gleich funktionieren.»
Originalpublikation:
McFadden et al. 2022 Ecology Letters. ‘Global plant-frugivore trait matching is shaped by climate and biogeographic history.’ https://doi.org/10.1111/ele.13890

24.02.2022, Universität zu Köln
Sex lohnt sich: Asexuelle Reproduktion schadet der Genomevolution von Stabheuschrecken
Stabheuschreckenarten, die sich rein asexuell fortpflanzen, können sich evolutionär nicht so schnell anpassen wie sexuell reproduzierende Arten. Das führt zu einer Verringerung der biologischen Vielfalt / Veröffentlichung in „Science Advances“
Ein internationales Team von Wissenschaftler:innen hat gezeigt, dass sich die asexuelle Fortpflanzungsform Parthenogenese negativ auf die Evolution der Genome der Tiere auswirkt, die sie praktizieren. Bei dieser Art von Fortpflanzung entstehen die Nachkommen aus einer einzelnen unbefruchteten Eizelle. An der Studie unter der Leitung von Professorin Dr. Tanja Schwander und Professor Dr. Marc Robinson-Rechavi an der Universität Lausanne waren Wissenschaftler von der Universität Edinburgh und der Evolutionsbiologe Dr. Jens Bast von der Universität zu Köln beteiligt. Die Ergebnisse sind am 23. Februar unter dem Titel „Convergent consequences of parthenogenesis on stick insect genomes“ in Science Advances erschienen.
Die Erzeugung von Nachkommen erfolgt über zwei Hauptwege der Fortpflanzung: sexuell, also über die Befruchtung zwischen männlichen und weiblichen Geschlechtszellen, oder asexuell, zum Beispiel durch Parthogenese. Bei der Parthenogenese geben die Weibchen ihre Gene weiter, ohne dass ein Männchen beteiligt ist. Timema sind eine im Westen Nordamerikas beheimatete Gattung von Stabinsekten und umfassen sowohl sexuell als auch asexuell reproduzierende Arten. Die Biolog:innen fanden heraus, dass bei asexuell reproduzierenden Timema langfristig vorteilhafte Mutationen nicht so effizient weitergegeben werden können.
Timema haben – wie Menschen – einen zweifachen Chromosomensatz. Wie stark sich diese beiden Genomkopien unterscheiden, wird als Heterozygotie beschrieben. Bei der Parthenogenese geht diese Unterschiedlichkeit jedoch verloren, die beiden Genomkopien ähneln sich stark. Dadurch sinkt auch die Variabilität, die für die Anpassung an die Umwelt wichtig sein kann.
Das Forschungsteam analysierte die Genome von fünf asexuellen Timema-Arten und eng mit ihnen verwandten sexuell reproduzierenden Arten. „Die Ergebnisse zeigen, dass der genetische Austausch bei sexueller Fortpflanzung die Anpassungsgeschwindigkeit und die genetische Vielfalt in den natürlichen Populationen der Insekten fördert“, sagt Dr. Jens Bast.
Dr. Jens Bast erforscht im „Sex Lab“ an der Uni Köln die Vorteile der sexuellen Reproduktion sowie die Mechanismen von Asexualität.
Publikation:
https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.abg3842

25.02.2022, Deutsche Wildtier Stiftung
Kröten, Frösche, Unken und Molche sitzen in den Startlöchern
Deutsche Wildtier Stiftung: Milde Winter führen zu einer vorzeitigen Amphibienwanderung. Jetzt schon in der Dämmerung die Augen aufhalten
Die Winter in Deutschland werden zunehmend wärmer. Länger anhaltende Kälteperioden mit Schnee und Eis bleiben immer häufiger aus. Der Deutsche Wetterdienst ordnete auch den Winter 2021/2022 im Bereich der wärmsten Winter seit Beginn der Aufzeichnungen ein (https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2022/2/7.html). Was bedeutet der Klimawandel für Amphibien, die sich bei steigenden Temperaturen im Frühjahr von ihren Winterquartieren auf die Wanderung zu ihren Laichgewässern aufmachen? „Milde Winter führen zu einer vorzeitigen Amphibienwanderung. Auch in diesem Frühjahr wird die Wanderaktivität in einigen Regionen Deutschlands vermutlich früher beginnen als sonst und sich über einen längeren Zeitraum hinziehen als üblich, da die die Tiere in mehreren Intervallen wandern“, sagt Daniela Baumgärtner, Artenschützerin bei der Deutschen Wildtier Stiftung.
Amphibien gehören zu den sogenannten ektothermen Tieren, das bedeutet, ihre Körpertemperatur hängt wesentlich von ihrer Umgebungstemperatur ab. Um Minusgrade im Winter unbeschadet zu überstehen, suchen Kröten, Frösche und Molche frostfreie Quartiere wie beispielsweise Kompost- und Laubhaufen oder Erdlöcher auf. Grasfrösche können bei einer Gewässertiefe von mindestens einem Meter sogar auch am Gewässergrund überwintern, wenn ein Teil des Gewässers zugefroren ist. „Sobald die nächtlichen Temperaturen wieder auf deutliche Pluswerte ansteigen, fällt dann der Startschuss“, sagt Baumgärtner, „die Tiere werden agil, verlassen ihr Winterquartier und machen sich auf zu ihren Laichgewässern, um sich zu paaren.“ Optimale Wanderbedingungen beispielsweise für die Erdkröten herrschen bei über 70 Prozent Luftfeuchtigkeit mit Lufttemperaturen über sieben Grad Celsius. Die Wanderungen finden in der Regel in der Dunkelheit zwischen sieben Uhr abends und zwei Uhr morgens statt und können je nach Art wenige hundert Meter bis mehrere Kilometer betragen.
Wenn eindeutige Übergange von einer längeren Frostperiode hin zu wärmeren Temperaturen ausbleiben, macht dies die Wanderaktivität von Amphibien und somit Schutzmaßnahmen wie etwa das Aufstellen von Amphibienzäunen schwer planbar. Statt einer konzentrierten Wanderung über einen kurzen Zeitraum von wenigen Wochen hinweg – so wie wir es aus vergangenen Wintern gewohnt sind – laufen die Amphibien nun immer öfter einzeln und stückweise über Wege und Straßen. So steigt für sie die Gefahr, überfahren zu werden. „Entsprechend gilt es, bei Temperaturen ab fünf Grad Celsius und hoher Luftfeuchtigkeit als Autofahrer, Radfahrer oder auch Fußgänger in der Dämmerung genauer hinzuschauen, ob wandernde Amphibien Straßen oder Wege kreuzen. Nehmen Sie Schilder zur Krötenwanderung ernst und halten Sie sich auch an Geschwindigkeitsbegrenzungen, seien Sie auch auf Waldwegen vorsichtig und umfahren oder umgehen Sie die Tiere“, rät Baumgärtner.

Dieser Beitrag wurde unter Wissenschaft/Naturschutz veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert