Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

13.12.2021, Justus-Liebig-Universität Gießen
Totgesagte leben länger
Kürzlich berichtetes Massenaussterben von Tiefseehaien vor 19 Millionen Jahren fand offenbar doch nicht statt
Haie weisen eine über 400 Millionen Jahre andauernde Erfolgsgeschichte auf und trotzten bislang allen großen Massenaussterbeereignissen der Erdgeschichte. Zu den einschneidenden Umweltkatastrophen an der Perm-Trias-Grenze (vor ca. 252 Millionen Jahren) und an der Kreide-Paläogen-Grenze (vor 66 Millionen Jahren) wurde nun ein höchst dramatisches Aussterbeereignis berichtet: Zwei US-Wissenschafterinnen schrieben jüngst im Fachjournal „Science“ über eine gravierende Abnahme der Haidiversität vor 19 Millionen Jahren. Demnach war die Häufigkeit von Tiefseehaien um über 90 Prozent zurückgegangen.
Die zugrundeliegenden Daten hat ein internationales Team aus Forscherinnen und Forschern unter Leitung des Naturhistorischen Museums in Wien (NHMW) und der Beteiligung der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) nun neu interpretiert. „Aufgrund der relativen Stabilität der Tiefsee bezüglich kurzzeitiger Umweltveränderungen schien dieser berichtete enorme Rückgang der Tiefseehaie alarmierend und überraschend zugleich“, so Dr. Thomas A. Neubauer vom Institut für Tierökologie und Spezielle Zoologie der JLU und Mitautor der Studie. PD Dr. Mathias Harzhauser vom NHMW erläutert: „In mehreren vorangegangen Projekten in Italien, Griechenland, der Türkei, Tansania, Indien, Sri Lanka und dem Oman haben wir gleich alte Meeresablagerungen untersucht. Nirgends gab es Hinweise auf ein Hai-Aussterbeereignis vor 19 Millionen Jahren.“
Dass ihre Ergebnisse von denen der US-Wissenschafterinnen abweichen, erklärt das Team in ihrem Kommentar zur Studie, der ebenfalls in „Science“ veröffentlicht wurde, so: Die herangezogenen Daten beruhten auf Haischuppen aus wenigen Gramm Sediment aus zwei Tiefseebohrkernen aus dem Nord- und dem Südpazifik, von denen aber nur letzterer das entsprechende Zeitintervall abdeckt. Die Forscherinnen übersahen dabei, dass der Eintrag an Sand und Schlamm im südlichen Pazifik genau zu der Zeit des postulierten Ereignisses sprunghaft anstieg. Daher waren in der gleichen Probenmenge plötzlich viel weniger Fossilien zu finden, was fälschlich als dramatisches Aussterbeereignis interpretiert wurde. „Das berichtete Aussterbeereignis ist schlichtweg ein Artefakt der Probennahme. Die relativ geringe Menge an Sediment, die untersucht wurde, reicht bei einer so stark verdünnten Fossilkonzentration nicht aus, um Rückschlüsse zu liefern“, so Studienleiterin Iris Feichtinger vom NHMW.
Originalpublikation:
Feichtinger I., Adnet S., Cuny G., Guinot G., Kriwet J., Neubauer T.A., J. Pollerspöck J., Shimada K., Straube N., Underwood C., Vullo R. & Harzhauser M. 2021. Comment on „An early Miocene extinction in pelagic sharks“. Science. DOI: 10.1126/science.abk0632

13.12.2021, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Urzelle LUCA entstand durch Wasserstoffenergie
Evolutionsbiologie: Publikation in Frontiers in Microbiology
Woher kam der Urstoffwechsel, aus dem das Leben entstand? Forschende der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) haben jetzt den Stoffwechsel der allerersten Lebensform, der Urzelle LUCA, rekonstruiert. Dabei kam ans Licht, dass fast alle chemischen Reaktionen, die am Aufbau der molekularen Bausteine der Urzelle beteiligt waren, Energie freisetzen. Somit diente der Urstoffwechsel selbst als interne Energiequelle, sofern der älteste und zugleich modernste Energieträger vorhanden war: Wasserstoffgas, H2.
Das Team um Prof. Dr. William Martin, Leiter des HHU-Instituts für Molekulare Evolution, erforscht, wie und wo das frühe Leben auf der Erde entstand. Dazu führen sie einerseits chemische Versuche im Labor mit simulierten Hydrothermalquellen durch, andererseits sammeln sie die Spuren vom Ursprung des Lebens im Erbgut heutiger Mikroben und deuten diese im Kontext der Bedingungen auf der frühen Erde. Schon 2016 fanden sie heraus, dass der letzte gemeinsame Vorfahre allen Lebens LUCA (für last universal common ancestor) hydrothermale Tiefseequellen besiedelte.
In ihrer neuen Publikation untersuchen sie, wo LUCAs Stoffwechsel entstand, indem sie die Fragen klärten, wie LUCA seine Grundbausteine aufbaute und woher die dafür erforderliche Energie kam. Hierzu konnte Martins Team 402 Stoffwechselreaktionen identifizieren, die sich vom Ursprung des Lebens vor rund 4 Milliarden Jahren bis heute kaum verändert haben. Diese waren demnach schon in LUCA vorhanden und werfen Licht auf die Frage, wie LUCA mit Energie umging und woher er seine Energie bezog.
Jessica Wimmer, Doktorandin am Düsseldorfer Institut und Erstautorin der neuen Studie, interessierte sich vor allem für die Energiebilanz von LUCAs Stoffwechselreaktionen, denn: Alles Leben braucht Energie. Dazu untersuchte sie mit ihrem Forschungsteam bei ursprünglichen Mikroben die biochemischen Reaktionen, mit denen diese ihre Grundbausteine für Zellstruktur und -funktion aufbauen. Daraus ergab sich ein umfassendes Reaktionsnetzwerk, das bereits bei LUCA vorgelegen haben muss.
Es sind insgesamt 402 einzelne chemische Reaktionen, bei denen die 20 Aminosäuren entstehen, aus denen wiederum alle in Lebewesen vorkommenden Proteine aufgebaut sind; ferner bilden diese Reaktionen die Basen der Nukleinsäuren, die sich in der DNA bzw. RNA wiederfinden und 18 wichtige Vitamine, die für den Stoffwechsel unerlässlich sind. All diese Komponenten entstehen bei primitiven Mikroben – aber auch in Wimmers Computerberechnungen – aus den grundlegenden Molekülen Wasserstoff (H2), Kohlendioxid (CO2) und Ammoniak (NH3), die es an Hydrothermalquellen der frühen Erde in ausreichender Menge gab.
Wimmer zu ihrer Forschungsfrage: „Wir wollten wissen, woher der ursprüngliche Stoffwechsel seine Energie bezog. Denn vor vier Milliarden Jahren gab es noch keine Enzyme, die in heutigen Zellen die Reaktionen katalysieren. Die Reaktionen mussten vielmehr in der damaligen Umwelt von sich aus stattfinden können. Es gab schon viele Vermutungen, woher die treibende Energie hätte stammen können. Im Stoffwechsel selber hatte aber noch niemand gesucht.“ Dazu untersuchte das Team die Energiebilanz jeder Reaktion anhand ihrer freien Energie, auch Gibbs-Energie genannt.
Ihr Ergebnis: LUCA war für seinen Stoffwechsel auf keine externen Energiequellen wie UV-Licht, Meteoriteneinschläge, Vulkanausbrüche oder Radioaktivität angewiesen. Vielmehr liefern – in einer Umgebung, die sich bei Hydrothermalquellen finden lässt – die grundlegenden Reaktionen selbst die Energie für den Stoffwechsel. Oder anders ausgedrückt: Der Großteil von LUCAs chemischen Reaktionen setzt sogar Energie frei.
Die Energie für das Leben ist im Leben selbst enthalten. „Das ist deshalb aufregend,“ sagt Prof. Martin, Letztautor der Studie, „weil der sonst so komplizierte Stoffwechsel auf einmal eine natürliche Tendenz offenbart, sich unter den richtigen Bedingungen von alleine zu entfalten.“
Um zu diesem überraschenden Schluss zu gelangen, untersuchte das Team die Energetik der 402 Reaktionen mit Computermodellen unter vielen unterschiedlichen Umweltbedingungen, um energetisch günstige von energetisch ungünstigen Konstellationen zu unterscheiden. Denn ob eine Reaktion Energie freisetzt, hängt zum Teil von den herrschenden Umweltbedingungen ab. Sie spielten pH-Werte von 1 (sauer) bis 14 (alkalisch), Temperaturen von 25 bis 100 °C sowie unterschiedliche Konzentrationsverhältnisse der Ausgangsstoffe (Reaktanden) zu den Reaktionsprodukten durch, Auch die energetische Rolle des Wasserstoffs wurde bewertet. Wimmer: „Ohne Wasserstoff geht gar nichts, weil dieser benötigt wird, um das CO2 überhaupt in den Stoffwechsel einzuschleusen.“
Die energetisch optimalen Bedingungen lagen im Bereich eines alkalischen pH-Wertes um etwa 9 und einer Temperatur von 80 °C. Wasserstoff diente zur CO2-Fixierung. Prof. Martin ordnet diese Ergebnisse ein: „Dieses Milieu entspricht genau der Umgebung, die man im Hydrothermalfeld ‚Lost City‘ im Atlantis-Massiv, einem unterseeischen Gebirge im Mittelatlantik, vorfindet. In dieser Umgebung könnten rund 97 Prozent der 402 Reaktionen spontan ablaufen, also ohne zusätzliche Energiezufuhr. In dieser Umgebung ist Wasserstoff in jeder Hinsicht chemisches Sonnenlicht. Die moderne Energieforschung nutzt genau die gleichen Eigenschaften des Wasserstoffs wie das Leben. Nur hat das Leben schon vier Milliarden Jahre Erfahrung damit, wir fangen gerade erst an.“
Jessica Wimmer ergänzt: „Wir haben gezeigt, dass die Energie am Ursprung des Lebens rein chemischer Natur ist. Wir brauchen kein Sonnenlicht, keine Meteoriten, kein UV Licht: nur H2 und CO2, plus etwas Ammoniak und Salz. Und aus unserem biosynthetischen Netzwerk können wir auf die Eigenschaften von LUCA zurückschließen, über Milliarden von Jahren hinweg.“
Originalpublikation:
Jessica L. E. Wimmer, Joana C. Xavier, Andrey d. N. Vieira, Delfina P. Pereira, Jacqueline Leidner, Filipa L. Sousa, Karl Kleinermanns, Martina Preiner, William F. Martin, Energy at origins: Favorable thermodynamics of biosynthetic reactions in the last universal common ancestor (LUCA), Frontiers in Microbiology (2021).
DOI: 10.3389/fmicb.2021.793664

14.12.2021, Universität Leipzig
Sensationeller Fund im Leipziger Auwald: Extrem seltene Insektenart während einer Exkursion entdeckt
Forschende und Biologiestudierende der Universität Leipzig haben bei einer zoologischen Freilandexkursion im Leipziger Auwald ein extrem seltenes Insekt entdeckt, den Mückenhaft (Bittacus hageni). Gleich mehrere Exemplare gingen ihnen im Blätterdach des Leipziger Auwalds ins Netz. Diese Art von Schnabelfliegen ist in Europa nur an wenigen Stellen zu finden. In Deutschland galt sie bis 2003 als ausgestorben. Der Fund unterstreicht die Bedeutung des Leipziger Auwaldes als einzigartigen aber bedrohten Lebensraum. Er zeigt aber auch, welche wertvollen Entdeckungen durch Studentenexkursionen möglich werden.
Exkursionsleiterin Lisa Hahn, Doktorandin am Institut für Biologie, und ihre Kolleg:innen haben zu dem Fund ein Paper verfasst, das in der Dezemberausgabe der Zeitschrift „Entomologische Nachrichten und Berichte“ erschienen ist.
Das Faszinierende an Naturwissenschaften – und insbesondere an der Biologie – ist, dass es immer wieder Neues und Unerwartetes zu entdecken gibt. Der im Juli dieses Jahres gefundene Mückenhaft ist eine nicht mehr als Fünf-Cent große Schnabelfliege, die mit ihren langen Beinen an eine Schnake erinnert. Nach seinem Erstfund Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland galt der Mückenhaft für über 130 Jahre ausgestorben, bis ihn ein Göttinger Zoologe am Rand des Harzes 2003 wiederentdeckte.
Der erneute Fund von Hagens Mückenhaft ist nicht nur ein absolut seltenes Ereignis, sondern auch ein Erstnachweis für den östlichen Teil Deutschlands. Eine Studentin der Universität Leipzig entdeckte das Tier ohne zu wissen, was sie Kostbares in den Händen hielt. „Als ich sah, was die Studentin gefunden hatte, war mir gleich klar, dass es sich um etwas ganz Besonderes handeln musste und schickte sofort Bilder an meine Kollegen“, erzählt Exkursionsleiterin Hahn.
Ihr gelang es dann einige Tage später, bei einer intensiven Nachsuche noch weitere Exemplare der Art zu finden. Auch Dr. Detlef Bernhard, Insektenexperte und wissenschaftlicher Mitarbeiter der von Prof. Dr. Sebastian Steinfartz geführten Arbeitsgruppe Molekulare Evolution und Systematik der Tiere an der Universität Leipzig, war beeindruckt, als er die taxonomische Ersteinschätzung der Kollegin unter dem Binokular bestätigen konnte. „Es ist sehr schwierig und ein glücklicher Zufall, diese Art nachzuweisen, da sie extrem versteckt lebt und nur vereinzelt vorzukommen scheint“, betont Dr. Bernhard.
Allerdings ist der Leipziger Auwald auch ein ganz besonderer Ort, an dem viele Insektenarten vorkommen, darunter auch viele seltene. Aus diesem Grund erforscht die Universität Leipzig in Verbund mit dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) hier auch das Vorkommen und die Verbreitung bedrohter Insektenarten. So analysiert Lisa Hahn im Rahmen ihrer Promotion die Diversität die über 500 Käferarten, die am Boden aber auch im Kronenraum der Auwaldbäume vorkommen. Dabei setzen die Forschenden den 40 Meter hohen Auwaldkran des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung und der Universität Leipzig ein. „Dieser Fund bestätigt auch die herausragende Bedeutung des Leipziger Auwalds als Refugium für bedrohte Arten und besonderen Lebensraum in Europa, den es unbedingt in seiner jetzigen Größe und Ausprägung zu erhalten gilt“, erläutert Dr. Bernhard weiter.
Für Studierende bietet der Auwald nicht nur die Chance, einen spannenden Einblick in die Diversität der Insekten und Forschungsaktivitäten zu erleben, sondern auch während der Freilandexkursionen die Arten in ihrem natürlichen Habitat zu erleben. „Da es innerhalb der Universität und auch der Fakultät für uns immer schwieriger wird, Mittel für Freilandexkursionen zu erhalten, freut mich dieser Fund ganz besonders, zeigt es doch unseren Studierenden hautnah, wie spannend und faszinierend Biologie sein kann und wie wichtig es ist, raus in die Natur zu gehen und nicht nur noch vor dem Bildschirm oder im Labor zu sitzen“, erklärt Prof. Dr. Steinfartz.
Der Fund wird auch den ersten genetischen Fingerabdruck der Art liefern, der dann diese Art auch in DNA-Datenbanken für die Forschung zugänglich machen wird. Hierzu wird eine in der Arbeitsgruppe von Prof. Steinfartz bereits etablierte Methode angewendet, bei der die untersuchten Tiere nicht beschädigt werden und im Anschluss als Belegexemplar in einer öffentlichen Sammlung verbleiben können.
Originaltitel der Veröffentlichung:
„Erstnachweis von Bittacus hageni Brauer, 1860 (Mecoptera, Bittacidae) für Sachsen” Entomologische Nachrichten und Berichte, 65, 2021/3.

14.12.2021, Höhlenschnecke mit Stachelzähnen entdeckt
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Gemeinsam mit Forschenden aus der Schweiz und aus Spanien hat Adrienne Jochum vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum, dem Naturhistorischen Museum und der Universität in Bern eine neue Schneckengattung und -art entdeckt. Die nur wenige Millimeter großen Weichtiere leben in Höhlen Nordspaniens und haben ungewöhnliche, vergabelte Zähne. In der im Fachjournal „Organisms Diversity & Evolution“ erschienenen Studie hat das Team zudem erstmals ein geschlechtsreifes Weibchen dieser Gruppe beschrieben.
Transparente, wenige Millimeter große Schnecken an schlammigen Höhlenwänden zu finden, ist kein leichtes Vorhaben. „Dennoch ist es gelungen 57 Gastropoden-Populationen aus verschiedenen Höhlen Nordspaniens zu sammeln. Wir haben diese nun sowohl morphologisch als auch molekulargenetisch untersucht“, erläutert Dr. Adrienne Jochum vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt, dem Naturhistorischen Museum und der Universität in Bern und fährt fort: „Die Schnecken stehen exemplarisch für die unbekannte Vielfalt in den Höhlen Nordspaniens.“
Jochum und ihre Kolleg*innen Jeannette Kneubühler und Dr. Eike Neubert aus der Schweiz sowie Dr. Carlos E. Prieto aus Spanien haben in ihrer integrativen Studie innerhalb der untersuchten Tiere eine bislang unbekannte Gattung der Höhlenschnecken sowie eine neue Art aus dem Kantabrischen Gebirge entdeckt. Die neu identifizierte Gattung Iberozospeum ist nach ihrem iberischen Ursprung und nach ihren aus den Ostalpen und den Dinariden bekannten Verwandten der Gattung Zospeum benannt.
Die neu beschriebene Art Iberozospeum costulatum hat eine „mittelgroße“, etwa 1,24 bis 1,55 Millimeter große, durchsichtige Schale und ihr Mundwerkzeug besteht aus einem langen Band, das mit doppelspitzigen, scharfen Zähnen versehen ist. „Diese ‚Radula‘ dient zum Abgrasen und Durchsieben des Höhlenschlamms nach Nahrungsbrocken“, fügt Jochum hinzu.
Unter den histologisch untersuchten, aus zehn Sammlungen stammenden Tieren befand sich auch ein geschlechtsreifes Schneckenweibchen, das erstmalig von der Senckenbergerin und ihren Kolleg*innen beschrieben wurde. Jochum hierzu: „Die weibliche Gastropode trägt eine – für ihre Körpergröße – riesige Eiweißdrüse zur Eiproduktion.“ Anhand von rasterelektronenmikroskopischen Aufnahmen der inneren Schale konnten die Forschenden zudem zwei Stellen für Muskelansätze nachweisen, die es den Schnecken ermöglicht Muskelpirouetten zu drehen.
„Die Erforschung der nordspanischen Höhlen ist noch längst nicht abgeschlossen. Jede Entdeckung eröffnet neue Möglichkeiten, um die Lebensstrategien in dieser Unterwelt zu verstehen“, schließt Jochum.
Originalpublikation:
Kneubühler, J., Jochum, A., Prieto, C.E. et al. Molecular investigation and description of Iberozospeum n. gen., including the description of one new species (Eupulmonata, Ellobioidea, Carychiidae). Org Divers Evol (2021). https://doi.org/10.1007/s13127-021-00517-9

15.12.2021, Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde
Wolfsnachwuchs im Landkreis Barnim
Die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) untersucht seit einem Jahr die Wolfspopulation im Landkreis Barnim. Seit kurzem leben zwei neue Rudel im Barnim – in beiden Territorien konnten erstmalig Welpen nachgewiesen werden.
Nachdem das südliche Brandenburg mittlerweile nahezu flächendeckend vom Wolf besiedelt ist, etabliert sich Isegrim seit einigen Jahren auch im Norden Brandenburgs in immer mehr Revieren. Im gesamten Bundesland waren es im letzten Monitoringjahr 2020/21 knapp 60 besiedelte Territorien.
Den aktuellen Besiedlungsprozess im Landkreis (LK) Barnim untersucht seit über einem Jahr die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde in Kooperation mit dem Landesbetrieb Forst Eberswalde und den ehrenamtlichen Wolfsbeauftragten des Landkreises. Im Rahmen eines Intensivmonitorings haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Fachgebietes für Wildbiologie, Wildtiermanagement und Jagdbetriebskunde (FWWJ) dafür aktuell über 50 Wildkameras in 15 Revieren aufgebaut, die Wildtiere automatisch detektieren. Darüber hinaus wird systematisch nach Wolfslosungen gesucht, um mittels genetischer Analysen die Wölfe individuell erfassen zu können.
Den aktuellen Besiedlungsprozess im Landkreis (LK) Barnim untersucht seit über einem Jahr die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde in Kooperation mit dem Landesbetrieb Forst Eberswalde und den ehrenamtlichen Wolfsbeauftragten des Landkreises. Im Rahmen eines Intensivmonitorings haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Fachgebietes für Wildbiologie, Wildtiermanagement und Jagdbetriebskunde (FWWJ) dafür aktuell über 50 Wildkameras in 15 Revieren aufgebaut, die Wildtiere automatisch detektieren. Darüber hinaus wird systematisch nach Wolfslosungen gesucht, um mittels genetischer Analysen die Wölfe individuell erfassen zu können.
Neue Territorien im Barnim
„Aktuell leben im Barnim östlich der A11 zwei eigenständige Wolfsrudel“, so Dr. Frank-Uwe Michler, der das Wolfsmonitoring im LK Barnim koordiniert. „Das Barnimer Heide-Rudel, südlich von Eberswalde, und das Parstein-Oderberg-Rudel, nördlich des Oder-Havel-Kanals.“ Im letzten Monitoringjahr 2020/2021 entstanden durch das Fotofallenmonitoring der HNEE über 3.000 Wolfsbilder. „Anhand der Fotofallenbilder wissen wir, dass in beiden Territorien im letzten Jahr erstmalig Wolfswelpen geboren wurden“, erläutert Prof. Siegfried Rieger, Leiter des FWWJ an der HNEE. Waren es im Jahr 2020 mit jeweils zwei Welpen noch vergleichsweise kleine Würfe, konnten dieses Jahr fünf (in der Barnimer Heide) bzw. sechs Welpen (in Parstein-Oderberg) durch die Wildkameras nachgewiesen werden. Aktuell leben in beiden Rudeln nachweislich neun Wölfe.
Soweit die Pfoten tragen
Im Barnimer Heide-Rudel sind die beiden Elterntiere anhand einer charakteristischen Hauterkrankung auf den Fotofallenbildern individuell eindeutig zu identifizieren. „Anhand der Fotofallenstandorte, auf denen die beiden Alttiere nachgewiesen wurden, wissen wir, dass die Wölfe bis zu 30 km pro Nacht zurücklegen und sich das Territorium in der Barnimer Heide über mindestens 240 km² bis in den LK Märkisch-Oderland (Biesow, Prötzel) erstreckt“, berichtet die HNEE-Studentin Nadin Edinger, die im Wolfsmonitoring mitarbeitet.
Allerlei Tiere vor der Kamera
„Über die Fotofallen werden neben den Wölfen auch andere seltene Tierarten nachgewiesen“, berichtet Frank-Uwe Michler. Neben Schwarzstorch, Seeadler, Schreiadler und Fischotter wird im Gebiet des Parstein-Oderberg-Rudels regelmäßig ein Nordafrikanisches Stachelschwein von den Wildkameras erfasst. Dieser stachelige Exot ist vermutlich im Frühjahr 2020 aus dem Tierpark in Angermünde ausgebrochen und lebt seitdem stabil in einem Gebiet zwischen dem Parsteinsee, Lunow-Stolzenhagen und Oderberg.
Bürgerinnen und Bürger sind dazu aufgerufen, Wolfssichtungen und Wildtierrisse im LK Barnim an wolfsmonitoring@hnee.de zu melden.

15.12.2021, Universität Konstanz
Wie Tiere räumliche Entscheidungen treffen
Forschende entdecken eine einheitliche Regel dafür, wie Tiere während der Fortbewegung räumliche Entscheidungen treffen – Internationales Forschungsprojekt unter Leitung von Konstanzer Wissenschaftler*innen
Ein internationales Team unter der Leitung von Forschenden der Universität Konstanz und des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie hat mit Hilfe von Virtual Reality (VR) Technologien den Algorithmus entschlüsselt, den Tiere verwenden, wenn sie sich während der Fortbewegung für eines unter mehreren möglichen Zielen entscheiden. Die heute in PNAS veröffentlichte Studie zeigt, dass Tiere die Komplexität ihrer Umwelt verarbeiten, indem sie die Welt auf aufeinanderfolgende Entscheidungen zwischen lediglich zwei Optionen – sogenannte binäre Entscheidungen – reduzieren. Diese Strategie führt zu einer äußerst effektiven Entscheidungsfindung, egal wie viele Optionen es ursprünglich gibt. Die Studie liefert den ersten Beweis für einen gemeinsamen Algorithmus, der die Entscheidungsfindung über Artgrenzen hinweg steuert. Sie legt nahe, dass grundlegende geometrische Prinzipien erklären können, wie und warum sich Tiere so bewegen, wie sie es tun.
Bei den meisten Tieren geht es im Leben darum, zu entscheiden, welchen Ort sie als nächstes aufsuchen. Egal ob rennend, schwimmend oder fliegend: fortlaufend müssen Tiere Entscheidungen darüber treffen, wo sie fressen, sich verstecken und mit wem sie sich zusammentun. Dank verschiedener Durchbrüche in der Neurobiologie während der letzten Jahrzehnte, von denen einige 2014 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet wurden, haben wir heute ein besseres Bild davon, wie räumliche Informationen im Gehirn von Tieren verarbeitet werden. Ein internationales Forschungsteam hat jetzt dieses neurobiologische Wissen angewandt, um zu verstehen, wie Tiere zwischen im Raum verteilten Handlungsoptionen wählen.
„Die neuronalen Darstellungen von Handlungsoptionen bei Tieren ändern sich zwangsläufig, sobald sich die Tiere durch den Raum bewegen“, sagt Vivek Hari Sridhar, Erstautor der Studie und Postdoc am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie (MPI-AB) in Konstanz. „Wenn wir diese Tatsache in unserem Verständnis der räumlichen Entscheidungsfindung berücksichtigen, offenbaren sich neue und grundlegende geometrische Prinzipien, die bisher unentdeckt blieben, wie wir in unserer Studie zeigen.“
„Raum“ als neue Zutat
An der Studie beteiligt waren Forschende aus den Fachbereichen Biologie, Ingenieurswesen und Physik aus Deutschland, vom Weizmann Institute of Science in Israel und der Eötvös Loránd Universität in Ungarn. Das interdisziplinäre Team ließ sich von der Neurobiologie, der Physik und dem Verhalten von Tieren inspirieren und konstruierte ein Computermodell der Entscheidungsfindung im Gehirn. Das Modell berücksichtigt, wie das Gehirn räumliche Handlungsoptionen darstellt – in diesem Fall die Richtung zu möglichen Zielen –, um zu verstehen, wie während der Fortbewegung räumliche Entscheidungen getroffen werden.
„Die Berücksichtigung des Zusammenspiels von Bewegung und neuronaler Dynamik war entscheidend“, sagt Sridhar, der seine Arbeit als Doktorand in der Abteilung für kollektives Verhalten an der Universität Konstanz und am MPI-AB durchführte. „Dadurch konnten wir eine neue Perspektive darauf gewinnen, wie das Gehirn Entscheidungen trifft“.
Vereinfachung von komplexen Entscheidungen
Das daraus resultierende Modell sagte voraus, dass das Gehirn komplexe Entscheidungen zwischen mehreren Optionen spontan in eine Reihe von einfacheren Entscheidungen mit jeweils nur zwei Handlungsoptionen zerlegt, bis nur noch eine Option – die letztlich gewählte – übrigbleibt. Ein Prozess, den Wissenschaftler*innen als „Bifurkation“ – also Aufgabelung – bezeichnen. Im Modell führte dies dazu, dass die simulierten Tiere eine Reihe von abrupten Richtungswechseln vollzogen, die jeweils mit dem Ausschluss einer der verbleibenden Optionen verbunden waren. Jeder Richtungswechsel war dabei das Ergebnis plötzlicher Veränderungen in der neuronalen Dynamik, je nachdem in welchem geometrischen Verhältnis das Tier gerade zu den verbliebenen Handlungsoptionen stand.
Der Algorithmus erwies sich als derart verlässlich, dass die Forschenden prognostizierten, dass dieser „Aufgabelungsprozess“ nicht nur zu äußerst präzisen Entscheidungen führen würde, sondern auch „universell“ sein könnte. Indem sie eine Vielzahl an Bewegungsbahnen ihrer simulierten Tiere überlagerten, fanden sie eine Verzweigungsstruktur, die ihrer Erwartung nach auch bei der Bewegung von echten Tieren, die räumliche Entscheidungen treffen, zu finden sein sollte.
Überprüfung der Theorie
Um ihre theoretischen Vorhersagen bei echten fliegenden, laufenden und schwimmenden Tieren zu testen, nutzen die Forschenden immersive VR-Technologie für Verhaltensexperimente mit Fruchtfliegen, Wüstenheuschrecken und Zebrafischen. Die VR-Technologie ermöglichte es den Forschenden, die Tiere in offenen, fotorealistischen Umgebungen zu testen und gleichzeitig die Bewegungen der Tiere während der Entscheidungsfindung über viele Wiederholungsexperimente hinweg präzise zu messen. Das Ergebnis: Bei allen untersuchten Arten wurden genau die Aufgabelungen in den überlagerten Bewegungsbahnen festgestellt, die durch das Modell vorhergesagt worden waren.
„Man geht häufig davon aus, dass die Tiere zunächst entscheiden, wohin sie gehen, und sich anschließend zum gewählten Ziel bewegen“, sagt Sridhar. „Unsere Ergebnisse zeigen jedoch, dass das Zusammenspiel zwischen Bewegung und der sich dabei verändernden neuronalen Darstellung von Handlungsoptionen die Art und Weise, wie Entscheidungen getroffen werden, erheblich beeinflusst. Das Spannende daran ist, dass dies zu einer äußerst effektiven Entscheidungsfindung in komplexen und vielfältigen ökologischen Kontexten führt.“
Vom Einzelnen zum Kollektiv
Die Wissenschaftler*innen fanden außerdem heraus, dass die selben geometrischen Prinzipien wahrscheinlich auch für die räumliche Entscheidungsfindung von Tierkollektiven, wie zum Beispiel umherziehenden Herden oder Vogelschwärmen, gelten.
Iain Couzin, Letztautor der Studie und Co-Direktor des Exzellenzclusters „Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour“ an der Universität Konstanz sowie Direktor am MPI-AB, sagt: „Es ist bemerkenswert, dass ein derart eleganter Prozess der Entscheidungsfindung über weite Bereiche biologischer Organisationformen zugrunde liegt: von der neuronalen Dynamik zu individuellen Entscheidungen und von individuellen Entscheidungen bis hin zu kollektiven Bewegungen. Diese Erkenntnis verändert unser Verständnis davon, wie Tiere ihre vielschichtige und komplexe Welt verstehen.“
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1073/pnas.2102157118

16.12.2021, ohannes Gutenberg-Universität Mainz
Neandertaler veränderten Ökosysteme vor 125.000 Jahren
Petra Giegerich Kommunikation und Presse

Untersuchungen in Neumark-Nord bei Halle zeigen: Feuer wurde verwendet, um Waldgebiete offen zu halten
Jäger und Sammler haben vor 125.000 Jahren eine Veränderung des Ökosystems verursacht. Zu diesem Ergebnis kommt eine interdisziplinäre Studie von Archäologen der Universität Leiden in Zusammenarbeit mit Forschenden der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz, Leibniz-Forschungsinstitut für Archäologie (RGZM). Neandertaler nutzten demnach Feuer, um die Landschaft offen zu halten, und hatten damit einen weit größeren Einfluss auf ihre lokale Umgebung als bislang angenommen. Die neue Studie wurde in dem Wissenschaftsmagazin Science Advances veröffentlicht.
Archäologen gehen seit Langem der Frage nach, wie und seit wann der Mensch in die Ökosysteme unseres Planeten eingegriffen hat. Untersuchungen in einem Braunkohleabbaugebiet in der Nähe von Halle lieferten nun wichtige Hinweise. „Im Tagebau von Neumark-Nord wurden in den letzten Jahrzehnten archäologische Forschungen durchgeführt. Neben einer großen Menge an Daten über die frühe Umwelt wurden auch zahlreiche Spuren der Aktivität von Neandertalern gefunden“, sagt Prof. Dr. Sabine Gaudzinski-Windheuser, Professorin für Pleistozäne Archäologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Leiterin des archäologischen Forschungszentrums und Museums für menschliche Verhaltensevolution MONREPOS, einer Einrichtung des RGZM. „Wir haben unter anderem die Überreste von Hunderten von geschlachteten Tieren gefunden, umgeben von zahlreichen Steinwerkzeugen und einer großen Menge an Holzkohleresten.“
Jäger und Sammler hielten Waldgebiete während 2.000 Jahren offen
Die Spuren wurden in einer Landschaft gefunden, die vor 125.000 Jahren ein Waldgebiet war. Nicht nur Beutetiere wie Pferde, Hirsche und Rinder, sondern auch Elefanten, Löwen und Hyänen lebten hier, wie die zooarchäologischen Untersuchungen von Dr. Lutz Kindler, Wissenschaftler am RGZM, und Sabine Gaudzinski-Windheuser zeigen. Dieser Laubmischwald erstreckte sich von den Niederlanden bis nach Polen. An mehreren Stellen in diesem Gebiet befanden sich Seen und an einigen dieser Seen wurden Spuren von Neandertalern am Ufer entdeckt. Als die Neandertaler damals dort auftauchten, wich der geschlossene Wald großen offenen Flächen, teilweise aufgrund von Bränden. Es wurde bisher diskutiert, ob der Wald durch die Ankunft des Menschen geöffnet wurde oder ob Menschen hierherkamen, eben weil die Landschaft offen war. Die neue Studie fand jedoch genügend Beweise, um zu dem Schluss zu kommen, dass Jäger und Sammler das Gebiet mindestens 2.000 Jahre lang offen hielten.
Vergleichende Untersuchungen der Leidener Paläobotanikerin Prof. Dr. Corrie Bakels haben gezeigt, dass an ähnlichen Seen der Gegend, wo die gleichen Tiere umherzogen, es aber keine Spuren von Neandertalern gibt, die dichte Waldvegetation weitgehend intakt blieb.
Bisher wurde allgemein angenommen, dass die Menschen erst mit der Einführung der Landwirtschaft vor etwa 10.000 Jahren begannen, ihre Umwelt zu gestalten – indem sie zum Beispiel Bäume fällten, um Felder anzulegen. Viele Archäologen gehen jedoch davon aus, dass dies schon viel früher, in kleinerem Umfang, erfolgte, wobei Neumark-Nord das früheste Beispiel für einen solchen Eingriff ist. Die neuen Forschungsergebnisse sind nicht nur für die Archäologie von Bedeutung, sondern auch für Disziplinen, die sich beispielsweise mit Renaturierung befassen. Sie zeigen, dass frühe Jäger und Sammler ihre Landschaft gestaltet haben. Es ist sehr wahrscheinlich, dass in Zukunft weitere Hinweise gefunden werden, dass bereits die frühen Menschen in der tiefsten Vergangenheit ihre Umwelt schon viel früher stark beeinflusst haben, als bisher angenommen.
Originalpublikation:
Wil Roebroeks et al.
Landscape modification by Last Interglacial Neanderthals
Science Advances, 15. Dezember 2021
DOI: 10.1126/sciadv.abj5567
https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.abj5567

16.12.2021, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Insekten: Wie Landwirte beim Artenschutz besser einbezogen werden können
Landwirte haben ein großes Potenzial, den Artenschutz weltweit voranzutreiben. Bislang wird dieses noch zu wenig genutzt. Wie sich das ändern ließe, zeigt ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) in einer neuen Studie im Fachjournal „Global Ecology and Conservation“. Hierfür befragten die Forschenden 560 Landwirte weltweit nach ihrem Wissen über die lokale Bestäubervielfalt und auch dazu, wie sie sich für das Thema engagieren. Die Ergebnisse geben wichtige Hinweise für die Politik und die Wissenschaft.
Knapp 40 Prozent aller Landflächen weltweit werden landwirtschaftlich genutzt. „Landwirte haben deshalb viel Verantwortung: Wie sie ihre Flächen bewirtschaften, hat einen großen Einfluss auf die Umwelt und auch auf die Artenvielfalt vor Ort“, sagt die Biologin Julia Osterman von der MLU, die die neue Studie geleitet hat. Bislang sei jedoch zu wenig über das Wissen und die Einstellungen von Landwirten zu dem Thema bekannt gewesen.
Das Team befragte 560 Landwirte aus elf Ländern in Europa, Mittelamerika, Asien und Ozeanien zu deren Wissen und Einstellungen über Insekten und Bestäuber, wie sie sich für den Artenschutz engagieren und welche Unterstützung sie sich in dem Bereich wünschen. „Die mit Abstand wichtigsten Bestäuber waren in unserer Umfrage Honigbienen und Wildbienen. Häufig werden die Tiere, insbesondere Honigbienen, von Landwirten direkt gehalten, um die Bestäubung auf ihren Pflanzenkulturen sicherzustellen“, so Osterman. Doch auch in der Forschung bislang wenig beachtete Bestäuber, zum Beispiel Fliegen, seien häufig als wichtige Bestäuber genannt worden. Ob die Landwirte ein Insekt für wichtig erachteten, hing stark von den lokalen Begebenheiten ab. Zum Beispiel bewerteten Avocadobauern in Australien Fliegen als sehr wichtig, während diese in anderen Ländern überhaupt keine Rolle spielten. „Das liegt vor allem daran, welche Insekten in den jeweiligen Regionen häufig vorkommen“, so Osterman. Tatsächlich stimmten die Beobachtungen der Landwirte in der Regel mit offiziellen Angaben zum Vorkommen der Insekten überein.
„Landwirte verfügen über ein sehr großes Wissen zu Bestäubern. Das sollte bei der Planung von Maßnahmen zum Artenschutz nicht unterschätzt werden“, so Osterman. Etwa ein Viertel der Befragten gab an, Blühstreifen oder Hecken für Insekten angelegt zu haben. „Diese Maßnahmen wurden vor allem in den Ländern umgesetzt, in denen es auch staatliche Subventionen dafür gibt“, so Osterman. Doch auch ohne staatliche Förderung bemühten sich Landwirte, etwas für den Schutz von Insekten zu tun. Hier sieht Osterman Verbesserungsbedarf, um dieses Potenzial noch besser zu nutzen: „Es sollte flexiblere Fördermöglichkeiten geben, die sich an den lokalen Begebenheiten orientieren und in der Praxis gut umsetzbar sind.“
Die Bereitschaft, sich noch stärker für den Artenschutz zu engagieren, sei laut der Umfrage bei den Landwirten vorhanden. „Viele der Befragten gaben außerdem an, dass sie sich einen stärkeren Austausch mit der Wissenschaft zu diesem Thema wünschen. Hierfür bedarf es neuer Kooperations- und Dialogformate zwischen Forschung und Praxis“, so Osterman abschließend.
Die Studie wurde unterstützt durch das Graduiertenkolleg ESCALATE und durch SUPER-B, eine Maßnahme im Rahmen der European Cooperation in Science and Technology COST.
Originalpublikation:
Studie: Osterman J. et al. On-farm experiences shape farmer knowledge, perceptions of pollinators, and management practices. Global Ecology and Conservation (2021). https://doi.org/10.1016/j.gecco.2021.e01949

16.12.2021m Universität Koblenz-Landau
Deutschlandweite Studie zeigt: Insekten in Naturschutzgebieten sind stark mit Pestiziden belastet
Insekten in Naturschutzgebieten sind stark mit Pestiziden belastet. Das zeigt eine aktuelle Studie unter Beteiligung der Universität Koblenz-Landau. Im Schnitt sind die Tiere mit 16 unterschiedlichen Pestiziden belastet. Keines der in Deutschland untersuchten Schutzgebiete war unbelastet, so ein weiteres Ergebnis der Studie, die am 16.12.2021 in der Fachzeitschrift „Scientific reports“ erscheint. Pestizide wurden bisher im Schutzgebietsmanagement nicht beachtet, Risikoanalysen fehlen und konventionell mit Pestizideinsatz bewirtschaftete Ackerflächen liegen mitten in Schutzgebieten und umranden diese.
In den vergangenen drei Jahrzehnten sind nachweislich mehr als 75 Prozent der Biomasse an Insekten in deutschen Naturschutzgebieten verschwunden. Die vom Weltbiodiversitätsrat (IPBES) beschriebene Biodiversitätskrise findet in Deutschland also auch mitten in Schutzgebieten statt. Das Fatale: Ohne Insekten brechen Ökosysteme zusammen, können zum Beispiel Pflanzen nicht mehr ausreichend bestäubt werden. Experten vermuten Pestizide als einen der Hauptverursacher für den dramatischen Rückgang. „Unsere Daten zeigen deutlich, dass Insekten in Naturschutzgebieten mit einem Cocktail aus Pestiziden belastet sind“, unterstreicht Dr. Carsten Brühl vom Institut für Umweltwissenschaften der Universität Koblenz-Landau. Im Projekt DINA (Diversity of Insects in Nature protected Areas), in dem unter der Leitung des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) neun Partner über zwei Jahre die Insektenvielfalt in Naturschutzgebieten in Deutschland erfasst und dokumentiert haben, haben er und sein Team die Pestizidbelastung von Insektenmischproben unter die Lupe genommen. Dabei haben sie mit einer neu entwickelten Methode erstmals geschaut, wie stark die Insekten selbst belastet sind. Bisherige Studien haben ausschließlich Daten über die Belastung von Luft und Boden erhoben. Im DINA-Projekt wurde nach einem standardisierten Protokoll mit Serien sogenannter Malaisefallen in 21 Schutzgebieten gearbeitet, in denen die erfassten Insekten in Alkohol konserviert werden. Gleichzeitig wirkt Alkohol als Lösungsmittel für Pestizide. Dadurch konnte das Landauer Forschungsteam direkt untersuchen, welche Pestizide an diesen Untersuchungspunkten an den Insekten hafteten. „Mit unserer Methode können 92 aktuell in Deutschland zugelassene Pestizide gleichzeitig in geringen Mengen analysiert werden“, erklärt Nikita Bakanov aus der Landauer Forschungsgruppe. Ausgewertet haben die Forscher Daten aus den Schutzgebieten von Mai und August 2020.
Insektengemeinschaften mit bis zu 27 Pestiziden belastet
Auf den Insekten haben die Wissenschaftler über die Gebiete verteilt 47 der 92 Pestizide gefunden. Im Schnitt konnten sie 16 verschiedene Pestizide auf Insekten der einzelnen Naturschutzgebiete nachweisen. In einem Schutzgebiet bestand die Belastung auf den Tieren sogar aus 27 verschiedenen Stoffen. Die minimale Belastung lag bei sieben Pestiziden. „Wenn man bedenkt, dass die Risikobewertung im Rahmen der Zulassungsverfahren von Pestiziden davon ausgeht, dass Insekten mit nur einem Pestizid in Kontakt kommen, liegt auf der Hand, wie realitätsfern diese Bewertungspraxis ist“, unterstreicht Brühl. Überrascht haben Brühl, der seit 20 Jahren zu den Auswirkungen von Pestiziden auf die terrestrische Umwelt forscht, die Ergebnisse nicht. „Es ist gut, dass wir unsere Annahmen dank der neuen Methodik jetzt auch zeigen und belegen können“. Der Ansatz baut auf einem Vorprojekt auf, in dem die Landauer Forscher überlegt haben, über welche unterschiedlichen Wege Insekten potenziell mit Pestiziden in Kontakt kommen können.
Schutzzonen von zwei Kilometern nötig
Die Ergebnisse haben die Forscher mit einer Raumanalyse der Projektpartner kombiniert. „Wir wollten herausfinden, wo die Insekten die Pestizide aufnehmen“, erklärt Lisa Eichler vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung in Dresden. Das Ergebnis der Analyse: Die Insekten haben die Pestizide auf der Anbaufläche in einem Umkreis von zwei Kilometern aufgenommen. Die Erklärung: Naturschutzgebiete in Deutschland sind in der Regel klein. Im Durchschnitt haben sie eine Größe von unter 300 Hektar, 60 Prozent sind sogar kleiner als 50 Hektar. Sehr viele Insekten haben aber einen großen Flugradius. „Politik, Wissenschaft und Landschaftsplanung müssen daher Pufferzonen einplanen und dabei in anderen Skalen denken, 10 bis 20 Meter reichen da nicht aus“, unterstreicht Dr. Martin Sorg vom Entomologischen Verein Krefeld. Pufferzonen um Naturschutzgebiete und auch Schutzgebiete aus dem europäischen Natura2000-Programm, in denen keine synthetischen Pestizide eingesetzt werden dürfen und die ökologisch bewirtschaftet werden, müssten etabliert werden. Die Landschaftsplanung sollte in diesen Puffergürteln von zwei Kilometern Breite um die Naturschutzgebiete ein Risikomanagement verwirklichen und dort prioritär Ökolandbau fördern, so die Empfehlung der Forscher.
Denn Berechnungen des Forschungsteams zeigen: Würde man einen solchen Schutzraum für alle Naturschutzgebiete deutschlandweit umsetzen, beträfe das 30 Prozent der Agrarfläche. „Diese Zahl mag auf den ersten Blick groß erscheinen“, so Brühl, aber entspräche der Forderung der EU nach 25 Prozent und der neuen Ampelkoalition nach 30 Prozent an Bio-Landwirtschaft bis 2030. „Mit unserer Untersuchung liefern wir Empfehlungen zur Umsetzung dieses Transformationszieles, für das die Politik noch neun Jahre Zeit hat“.
Gezielte Forschung und Ökolandbau in und um Schutzgebiete
Die neue Ampelkoalition fordert den erhöhten Anteil der ökologisch bewirtschafteten Agrarfläche, die EU will ebenfalls bis 2030 synthetische Pestizide um die Hälfte reduzieren. „Das politische Ziel ist da, getragen wird es auch durch die Nachfrage der Verbraucher nach Bio-Lebensmitteln. Wichtig ist nun die gezielte Umsetzung“, unterstreicht Brühl. „Auch die Zukunftskommission Landwirtschaft kam in diesem August zu dem Schluss, dass sich etwas ändern muss.“ Allerdings habe deren formulierte Zukunftsvision keine Anteile von ökologischem Anbau festgelegt und auch die Reduktion des Pestizideinsatzes ausgelassen. Nötig sei nun, so Brühl, die Landwirte in der Transformation beratend zu unterstützen und den ökologischen Anbau dort anzusiedeln, wo er am dringendsten gebraucht wird – als Pufferzonen um Schutzgebiete. „Streng geschützte“ Lebensräume nach EU-Recht würden dann auch in der Realität vor Pestizideinflüssen geschützt. Ökolandbau sollte somit als Instrument für den wirksamen Schutz und die Erhaltung der Artenvielfalt in den Gebieten eingesetzt werden, die zu diesem Zweck ausgewiesen sind.
„Die Entwicklungsarbeit hin zu einem gezielt eingesetzten Ökolandbau 2.0 muss mit massiver Forschung unterstützt werden“, verdeutlicht Brühl. Parallel dazu müsste kontinuierlich beobachtet und überwacht werden, wie sich die Insektengemeinschaften und der Einsatz von Pestiziden entwickeln, fordern die Forscher weiter. Die im DINA-Projekt etablierten Monitoring-Methoden seien dafür besonders geeignet.
Originalpublikation:
Carsten A. Brühl, Nikita Bakanov, Sebastian Köthe, Lisa Eichler, Martin Sorg, Thomas Hörren, Roland Mühlethaler, Gotthard Meinel, Gerlind U.C. Lehmann. Direct pesticide exposure of insects in nature conservation areas in Germany. Scientific Reports. www.nature.com/articles/s41598-021-03366-w

17.12.2021, Hochschule Trier
Seltene Großkrebse in der Steinbachtalsperre entdeckt
Während ihrer Arbeit an der Talsperre haben Biologen der Hochschule Trier, vom Umwelt-Campus Birkenfeld kürzlich einen seltenen Fund gemacht: Die Wissenschaftler konnten Edelkrebse (wissenschaftlicher Name: Astacus astacus) beobachten. „Erste genetische Untersuchungen legen nahe, dass es sich bei den Tieren um einen Restbestand dieser vorher in der Region weit verbreiteten und heute im Hunsrück fast vollkommen verschwundenen Art handelt, die in der Talsperre ein Refugium gefunden hat“ erklärt Dr. Stefan Stoll, Professor für Interdisziplinären Umweltschutz.
Die Edelkrebse werden in ganz Europa immer seltener und gelten in Deutschland als vom Aussterben bedroht. Größte Gefährdungsursachen sind Gewässerverschmutzung, Zerstörung der Lebensräume und die Krebspest. Insbesondere die Bedeutung der Krebspest nimmt immer weiter zu, da sie von eingeschleppten gebietsfremden Arten übertragen wird. Seit längerem breiten sich vor allem amerikanische Flusskrebsarten wie der Signalkrebs oder der Kamberkrebs in europäischen Gewässern aus. Sie wurden zur fischereilichen Nutzung besetzt oder sind für den Aquarienhandel eingeführt worden. Die amerikanischen Arten sind an die Krebspest, eine Pilzerkrankung, angepasst und ihr gegenüber immun. Trotzdem tragen sie den Erreger in sich und übertragen ihn auf die einheimischen Krebse, die zu fast 100 % an der Infektion sterben. So ist in der Nahe und ihren Seitenbächen der Edelkrebs mittlerweile fast vollständig verschwunden und wurde durch den eingewanderten Signalkrebs ersetzt.
Die Staumauer der Steinbachtalsperre stellt für die Krebse eine unüberwindbare Barriere dar und so konnten sich die Edelkrebse dort halten. Hier leben die bis zu 20 cm langen Tiere von abgestorbenen Pflanzen, Aas, Kleintieren und kranken oder verletzten Fischen. Als Allesfresser helfen sie dabei das Wasser sauber zu halten und sind selber Nahrung für Fische wie Barsche und Forellen. Besonders wohl fühlen sich die Krebse in abwechslungsreichen Lebensräumen, die durch Wurzeln, Totholz, Wasserpflanzen und Steine zahlreiche Versteckmöglichkeiten bieten und vielfältige Nahrungsquellen bereitstellen. Für Schutz, Erhalt und Förderung des Bestandes soll die Habitatqualität in der Steinbachtalsperre verbessert werden.
„Wir werden Informationen zu den Krebsen im kommenden Jahr auch im WasserWissensWerk bereitstellen und wer ab nächstem Frühjahr zu einer der regelmäßig stattfindenden Gewässerexkursionen kommt, kann mich dann auch persönlich auf das Thema ansprechen“ sagt Wolfram Remmers, Gewässerbiologe und Mitarbeiter von Prof. Stoll.
Informationen und Termine auf der Seite des WasserWissensWerks (https://www.wasserwissenswerk.de).

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