Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

04.09.2021, WWF World Wide Fund For Nature
Rote Liste bedrohter Arten wird länger
Riesenwasserschildkröten, Riffhaie und Komodowarane hochgestuft. WWF: Artensterben stoppen, um Homo sapiens zu schützen
Auf dem Weltnaturschutzkongress der Internationalen Naturschutzunion IUCN in Marseille wurde am Samstag die aktuelle Internationale Rote Liste vorgelegt. Demnach finden sich von den insgesamt 138.374 erfassten Arten mehr als 38.543 in Bedrohungskategorien – mehr als jemals zuvor. Die Naturschutzorganisation WWF warnt angesichts der neuen Zahlen vor einer „katastrophalen Zuspitzung des weltweiten Artensterbens“. In letzter Konsequenz sei damit auch der Mensch, der die Ursache dieser Entwicklung darstellt, bedroht. Nach WWF-Einschätzung könnten rund eine Million Arten innerhalb der nächsten Jahrzehnte aussterben. Die Naturschutzorganisation spricht daher vom „größten Artensterben seit dem Ende der Dinosaurierzeit“. Nach wissenschaftlichen Schätzung gibt es weltweit rund 8 Millionen Tier- und Pflanzenarten. Viele davon sind noch kaum erforscht oder gar dem Menschen gänzlich unbekannt.
Neben zahlreichen Echsen und Geckos wurden vor allem viele Schildkröten in höhere Bedrohungskategorien eingestuft. Darunter so ikonische Vertreter wie Cantors Riesenweichschildkröte (Pelochelys cantorii) oder die Riesen-Erdschildkröte (Heosemys grandis). Bei den asiatischen Spezies sprang die Ampel von „gefährdet“ bzw. „stark gefährdet“ auf „vom Aussterben bedroht“. Schlechter geht es zudem den Komodowaranen (Varanus komodoensis). Die Art ist jetzt als „stark gefährdet“ bewertet (zuvor: „gefährdet“). Die Kleinen Schwarzspitzenhaie (Carcharhinus limbartus) wurden aufgrund von Fischereidruck von „gering gefährdet“ auf „gefährdet“ hochgestuft, auch viele andere Hai- und Rochenarten gelten nun als strärker bedroht. Die zuvor als nicht bedroht geltenden Venezuela-Kapuzineraffe (Cebus brunneus) sind nun „stark gefährdet“. Grund sind die dramatischen Entwaldungsraten im Lebensraum der Arten in Nord-Venezuela, wo die Tiere innerhalb der kommenden Jahrzehnten 30% ihres Habitats verlieren könnten.
Der WWF fordert zum Schutz der Menschheit und der biologischen Vielfalt den Stopp und die Umkehr des Biodiversitätsverlusts bis 2030. Hierfür brauche es eine neue, starkes UN-Abkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt (CBD). Darin müsse verbindlich festgeschrieben werden, dass die Staaten alles in ihrer Machtstehende tun, um den ökologische Fußabdruck des Menschen innerhalb der nächsten zehn Jahre um 50% zu reduzieren. Zudem müssten 30 Prozent der Erde unter Schutz gestellt werden, verbunden mit klaren Garantien für die Rechte indigener Völker. Sie seien „Torhüter und wichtige Verbündete“ im Kampf gegen die Zerstörung der weltweiten Ökosystem.
„Es geht nicht mehr nur um die Beseitigung eines Umweltproblems, sondern um die Frage, ob der Mensch nicht irgendwann auf der Roten Liste in einer Gefährdungskategorie landet“, warnt Dr Arnulf Köhncke, Leiter Artenschutz beim WWF Deutschland. „Eine intakte Natur ist von existenzieller Bedeutung für uns und unsere Kinder. Ist die Erde krank, werden es auch die Menschen. Denn wir sind für unser eigenes sicheres und gesundes Leben auf gesunde Ökosystem und Artenvielfalt angewiesen. Allein die Hälfte der Weltwirtschaftsleistung hängt von der Natur ab.“ Derzeit gehört die Spezies Homo sapiens allerdings noch keiner der Bedrohungskategorien der Internationalen Roten Liste an.

05.09.2021, Deutsche Wildtier Stiftung
Mit Aktivität gegen den Artenschwund
Deutsche Wildtier Stiftung: Lebensraum-Optimierung ist eine Starthilfe für Sumpfschildkröte
„Das Artensterben ist hochdramatisch, die Auswirkungen auf Wildtiere tiefgreifend und existenzbedrohend“, sagt Professor Dr. Klaus Hackländer, Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung und Mitglied der „Species Survival Commission“ innerhalb der Weltnaturschutzunion IUCN (International Union for Conservation of Nature), die noch bis zum 11. September ihren diesjährigen Kongress in Marseille abhält. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Von den 138.374 untersuchten Arten seien 38.543 „bedroht“; das sind so viele wie noch nie zuvor.
„Das Anthropozän – das aktuelle, vom Menschen überprägte Erdzeitalter – zeigt Auswirkungen auf unsere Wildtiere wie einst der Asteroideneinschlag auf die Dinosaurier“, betont Hackländer. „Wir müssen die Spirale des Aussterbens stoppen, bevor es für viele Wildtierarten endgültig zu spät ist.“ Die Veränderung des Klimas ist ein viel diskutierter Aspekt, doch auch die Biodiversitätskrise muss im Fokus stehen. „Es geht um die Übernutzung unserer Ressourcen, die zunehmende Versiegelung von Flächen sowie die Trockenlegung von Feuchtgebieten“, warnt der Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung. „Wir müssen schnell und konsequent gegensteuern“, betont er.
„Aktivität können dem Artenschwund auf mehreren Ebenen entgegenwirken“, betont Hackländer. „Zum Beispiel durch die Optimierung des Lebensraums für eine Art“. Für das Überleben der Sumpfschildkröten in Mecklenburg-Vorpommern gestaltet die Deutsche Wildtier Stiftung auf ihrem Gutsgelände ein Mix aus Gewässern und extensiv beweideten Trockenrasen zu einer Wohlfühl-Oase für diese bedrohte Art um. Global gesehen wurden neben Echsen und Geckos in diesem Jahr vor allem Schildkrötenarten von der IUCN in höhere Bedrohungskategorien eingestuft. Jede zweite Schildkrötenart, die im Süßwasser lebt, ist gefährdet. Auch die Sumpfschildkröte ist betroffen. In der Roten Liste Deutschlands findet man dieses Reptil sogar in der Kategorie „vom Aussterben bedroht“. Das liegt am Verlust von Lebensraum und invasiven Arten wie beispielsweise dem Waschbären. „Man darf sich durch den Fünf-vor-12-Gedanken nicht lähmen lassen“, sagt Hackländer. „Es gibt den Negativtrend zu stoppen; dabei kann jeder einen Beitrag leisten.“

07.09.2021, Universität Bern
Fischweibchen können über ihre Eier das Fluchtverhalten ihrer Nachkommen beeinflussen
Buntbarsch-Weibchen können über die Zusammensetzung ihrer Eier beeinflussen, wie schnell ihre Nachkommen bei Gefahr die Flucht ergreifen können. Dies konnten Forschende unter der Leitung von Barbara Taborsky vom Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern anhand von Experimenten mit sozial brütenden Buntbarschen erstmals zeigen.
Bei vielen Tier- und Pflanzenarten können die Mütter Eigenschaften wie zum Beispiel Körperbau oder Wachstum ihrer Nachkommen beeinflussen. Dies kann, wie zum Beispiel bei Vögeln und Fischen, durch Veränderungen der Zusammensetzung der Eier geschehen, oder über Signale an den Embryo bei Säugetieren. Mütter und Väter können auch direkt über Brutpflegeverhalten ihre Nachkommen beeinflussen. Die Eltern nehmen bestimmte Faktoren wie beispielsweise Nahrungsknappheit, Risiko durch Räuber oder sozialen Stress in ihrer Umgebung wahr, und senden entsprechende Signale an ihre Nachkommen, wobei sie sogenannte «elterliche Effekte» erzeugen. Diese Signale können die Nachkommen auf die zukünftigen Umweltbedingungen oder Stressfaktoren nach der Geburt oder dem Schlüpfen aus dem Ei vorbereiten.
«In zwei Experimenten mit sozial brütenden Buntbarschen haben wir herausgefunden, dass Mütter durch eine gezielte Ausstattung ihrer Eier ihre Nachkommen auf erhöhten Raubdruck vorbereiten können. Nachkommen, deren Eltern während der Eibildung einen Räuber sehen konnten, produzierten Junge, die eine schnellere Fluchtreaktion zeigten», erklärt Barbara Taborsky, Professorin am Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern und Letztautorin der im Fachjournal PNAS erschienenen Studie. Nachkommen von Müttern, denen vor der Eiablage Raubfischvideos gezeigt wurden, wiesen einen um 50 Millisekunden schnelleren Fluchtreflex auf. Frühere Versuche wiesen nach, dass dieser Fluchtreflex ausschlaggebend ist für die Wahrscheinlichkeit, eine Räuberattacke zu überleben. «Mit dieser Studie konnten wir erstmals nachweisen, dass ein mütterlicher Effekt auf die Eiausstattung nicht nur Wachstum oder Körperbau beeinflusst, sondern auch ein adaptives Verhalten der Nachkommen erzeugen kann», erklärt Taborsky.
Räuberexponierte Mütter legen größere und «teurere» Eier
In den Experimenten bekamen Fisch-Mütter mehrfach pro Woche Videoclips mit Raubfischen gezeigt, während einer Kontrollgruppe Videos von leeren Aquarien gezeigt wurden. Nachdem schnellere Fluchtreflexe bei den Nachkommen der Räuber-Versuchsgruppe gefunden wurden, fragten sich die Forschenden, wie die Mütter ihre Nachkommen über das erhöhte Raubrisiko «informieren» können.
«Wir fanden heraus, dass Mütter der Räuber-Versuchsgruppe grössere und proteinreichere Eier legten, also mehr Energie für jedes einzelne Junge aufwandten», erklärt Barbara Taborsky. Weiter unterschieden sich die Nachkommen in den ersten Tagen nach dem Schlüpfen in ihren Wachstumshormonen, und waren auch grösser. Zusätzlich zu ihrer schnelleren Fluchtreaktion würde in der Natur auch dieser Grössenunterschied den Jungen einen Überlebensvorteil gegenüber Räubern verschaffen. Es braucht jedoch noch weitere Studien, um die biologischen Grundlagen derartiger mütterlicher Effekte vollständig zu verstehen.
Elterliche Effekte beeinflussen die genetische Fitness von Nachkommen
Die Studie ist laut den Forschenden ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Verständnis, wie Eltern ihre Nachkommenschaft auf zu erwartende Herausforderungen vorbereiten. «Es ist bereits bekannt, dass bei Kindern die Ernährung und Schulung bereits in frühem Alter wichtig ist. Weit weniger bekannt ist bislang aber, wie Tiere Informationen über die zu erwartende Umwelt an ihre Nachkommen weitergeben. Dass Eltern vielfältige Möglichkeiten haben, Nährstoffe oder Hormone in ihren Eiern zu deponieren, um die Fitness, also das Überleben und den Fortpflanzungserfolg der Nachkommen zu beeinflussen, wurde lange Zeit ignoriert», so Barbara Taborsky.
Die Experimente sowie genetische Analysen wurden von Sakshi Sharda im Zuge ihrer Masterarbeit durchgeführt, und Forschende vom Institut für Pflanzenwissenschaften und vom Departement für Chemie, Biochemie und Pharmazie der Universität Bern führten die chemischen Analysen durch.
Die Studie wurde vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanziert.
Originalpublikation:
Sakshi Sharda, Tobias Zuest, Matthias Erb, and Barbara Taborsky. Predator-induced maternal effects determine adaptive anti-predator behaviours via egg composition. PNAS, Published: September 06, 2021. https://doi.org/10.1073/pnas.2017063118

08.09.2021, Universität Leipzig
Wählerische Wasserdrachen: Einheimische Kammmolche suchen gezielt die besten Fortpflanzungsgewässer aus
Kammmolche (Triturus cristatus) muten in ihrem verborgenen Unterwasserreich an wie urtümliche kleine Drachen und überraschten nun ein internationales Forscher:innenteam unter der Leitung von Prof. Dr. Sebastian Steinfartz von der Universität Leipzig. Ihre Forschungsergebnisse zeigen erstmals, dass die vermeintlich ortstreuen Amphibien nicht nur häufiger wandern als bislang angenommen, sondern dabei gezielt in für sie geeignete Gewässer zur Fortpflanzung einwandern. Diese Erkenntnis ist nicht nur ein entscheidender Baustein für das Verständnis der Ökologie von Amphibien, sondern auch sehr bedeutsam für den angewandten Schutz stark bedrohter Amphibienarten.
Dem Forscher:innenteam, an dem auch Wissenschaftler:innen der Universitäten Zürich und Lausanne sowie der Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz in der Schweiz sowie Studierende der Universität Hamburg beteiligt waren, ist es im Rahmen einer mehrjährigen Studie gelungen, auf der Basis von mehr als fünftausend genetisch und ökologisch untersuchten Kammmolchen im Großraum Hamburg einen einzigartigen Einblick in das Wanderverhalten und die Populationsstruktur des Nördlichen Kammmolches zu erhalten. Sie fanden heraus, dass die bisher als ortstreu betrachteten Molche deutlich häufiger ihr Fortpflanzungsgewässer als bisher angenommen wechseln. Dabei suchen sie gezielt Gewässer auf, die ihnen bessere Bedingungen bieten, also eine höhere Qualität aufweisen. „Wir waren sehr überrascht, wie viele Individuen in den drei Jahren unserer Studie in verschiedenen Gewässern gefangen werden konnten und dass die Tiere, die vermeintlich nur sehr kurze Distanzen überwinden können, dabei nicht unbedingt das räumlich naheliegendste Gewässer aufsuchten“, berichtet Bianca Unglaub, die in Kürze ihre Doktorarbeit an der Universität Leipzig abschließen wird und von Studierenden der Universität Hamburg bei den arbeitsintensiven und zeitaufwendigen Freilandarbeiten vor Ort unterstützt worden ist.
Vom Aussterben bedrohte Wirbeltiere
Weltweit gehören Amphibien zu der am stärksten zurückgehenden Gruppe von Wirbeltieren überhaupt. Und auch in Deutschland sind Frösche, Molche und Salamander vielerorts vom Aussterben bedroht. „Der Kammmolch zählt nicht nur zu den größten Molcharten, sondern aufgrund des stark gezackten Rückenkammes der Männchen zur Fortpflanzungszeit zu den spektakulärsten Amphibienarten vor unserer Haustür“, erklärt Prof. Steinfartz vom Institut für Biologie der Universität Leipzig. Männchen und Weibchen zeichnen sich durch eine auffällig gelb-orange gefleckte Bauchzeichnung aus, die für jedes Individuum einmalig ist und daher wie ein Fingerabdruck zur Unterscheidung einzelner Tiere genutzt werden kann. Der Kammmolch kommt in fast ganz Mitteleuropa vor, jedoch sind die einzelnen Populationen oft in ihren Beständen stark bedroht und weisen einen kritischen Erhaltungszustand auf. Wie andere Amphibienarten auch, leiden Kammmolche vor allem unter der zunehmenden durch den Menschen verursachten Zerstörung und Veränderung ihrer aquatischen Lebensräume, die aus Teichen, Tümpeln und Weihern bestehen. Daher sind Kammmolche in Deutschland streng geschützt und werden im Anhang II der Flora-Fauna-Habitat (FFH) Richtlinie gelistet. Im Verlauf eines Jahres wandern Amphibien zwischen ihren Winterquartieren an Land und ihren Fortpflanzungsgewässern. „Um den aktuellen besorgniserregenden Rückgang von Amphibien entgegenzuwirken und geeignete Schutzmaßnahmen zu entwickeln, ist es daher besonders wichtig, das Verhalten von Amphibien in ihren natürlichen Lebensräumen besser zu verstehen“, betont der Biologe. Weitere Kenntnisse über die individuellen Wanderbewegungen und die räumliche Dynamik von Amphibienpopulationen seien der Schlüssel für erfolgreiche Schutzmaßnahmen.
„Die Untersuchungsergebnisse legen nahe, dass Kammmolche und wahrscheinlich auch viele andere Amphibien bevorzugt in Gewässer einwandern, die ihnen bessere Umweltbedingungen und somit einen höheren Fortpflanzungserfolg bieten“, erklärt Prof. Steinfartz. In Gewässern mit hoher Qualität hätten die Individuen zwar keine höheren Überlebenschancen, wiesen aber nachweislich einen größeren Fortpflanzungserfolg auf, erläutert der Leiter der Untersuchung weiter. Die Gewässerqualität hat demnach einen entscheidenden Einfluss auf das Wanderverhalten von Individuen und somit auf die demographische und genetische Struktur von Amphibienpopulationen, zumal die Kammmolche aus schlechten Gewässern abwandern. „Die Studie gibt klare Hinweise, wie der Kammmolch geschützt werden kann“, sagt der Mitautor Dr. Benedikt Schmidt, der an der Universität Zürich lehrt und für die Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz in der Schweiz (KARCH) arbeitet. „Entscheidend ist die Qualität des Weihers und seiner Umgebung, denn die Lebensraumqualität bestimmt das Wanderverhalten, aber auch die Größe der Populationen und die Fortpflanzung. Durch einfache Pflegemaßnahmen können bestehende Kammmolch-Gewässer attraktiver gemacht werden, wie zum Beispiel die Minimierung von Fischbesatz und Uferbeschattung.“ Auf diese Weise könne der Fortpflanzungserfolg und dadurch auch die Überlebensfähigkeit der gesamten Population erhöht werden.
Originalpublikation:
Originaltitel der Veröffentlichung in „Molecular Ecology“:
„Context-dependent dispersal determines relatedness and genetic structure in a patchy amphibian population”, doi.org/10.1111/mec.16114

13.09.2021, Deutsche Wildtier Stiftung
Die Rückkehr der Wölfe führt zu Konflikten
Die Deutsche Wildtier Stiftung übernimmt Schirmherrschaft für Wolfsausstellung
Der Wolf ist zurück. Und mit ihm die Konflikte in Kulturlandschaften wie der Lüneburger Heide. Eine Ausstellung in Winsen (Aller) informiert über Lebensweise und Verbreitung des faszinierenden Tieres, in begleitenden Vorträgen und Gesprächsrunden wird über Konsequenzen und Perspektiven diskutiert. Schirmherr der Ausstellung „Wölfe in einer Kulturlandschaft“ ist die Deutsche Wildtier Stiftung.
Was bedeutet die Rückkehr von Canis lupus für die Natur und wild lebende Tiere, was für Nutztiere und den Menschen? Geht es um den Wolf, stehen sich zwei Lager, zuweilen recht unversöhnlich, gegenüber. Während die einen die Wiederkehr des im 19. Jahrhundert in Deutschland ausgerotteten großen Beutegreifers als gelungenes Beispiel für erfolgreiche Artenschutzarbeit feiern, befürchten die anderen ein Ende der Weidetierhaltung oder gar der Sicherheit von Spaziergängern, Kindern und Haustieren. Berechtigte Befürchtungen von übertriebenen Ängsten zu trennen, zu informieren und zu erklären, kann eine Annäherung der beiden Lager ermöglichen.
„Aufklärung muss sein, wenn wir mit der Rückkehr des Wolfes so umgehen wollen, dass die Bedürfnisse des Wildtieres, aber auch die Bedürfnisse der Menschen, die mit dem Wolf in unmittelbarer Nachbarschaft leben, berücksichtigt werden“, sagt Prof. Dr. Klaus Hackländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Wildtier Stiftung. Denn: „Nur ein funktionierendes Wolfsmanagement kann Schützer und Geschädigte versöhnen.“ Dazu sollen die sechswöchige Ausstellung im Museumshof Winsen (Aller) sowie die flankierenden Veranstaltungen beitragen. Beginn ist am 19. September. Am 19. Oktober spricht Hackländer zum Thema „Der Wolf ist zurück: Konsequenzen für die Kulturlandschaft und Perspektiven für die Zukunft“.
Die Gemeinde Winsen am Südrand der Lüneburger Heide liegt in einem Gebiet, in dem der Wolf seit einiger Zeit wieder heimisch ist. Bereits im Jahr 2018 sorgte ein Tier, das in der Nähe einer Kindertagesstätte gesichtet wurde, für Aufregung. Im vergangenen Jahr wurde ein Wolf auf einer Bundesstraße überfahren. Niedersachsen insgesamt ist laut des aktuellen Wolfsmonitorings aus den Jahren 2020/2021 neben Brandenburg das Bundesland mit dem größten Wolfsbestand. Demnach wurden hier zumindest 32 Wolfsterritorien und 128 Jungwölfe dokumentiert. Nach Angaben des niedersächsischen Umweltministers Olaf Lies sind somit in einigen Regionen seines Bundeslandes die höchsten Wolfsdichten weltweit zu finden.
Um die Diskussion zu versachlichen, hat Olaf Lies beim Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU), an der Prof. Klaus Hackländer forscht und lehrt, eine Populationsstudie zum Wolf in Auftrag gegeben. Durch die Studie sollen Erkenntnisse gewonnen werden, die bei der Lösung von Konflikten durch den Wolf helfen. Ende des Jahres liegen die Ergebnisse vor.
Die Ausstellung „Wölfe in einer Kulturlandschaft“ mit Fotos, Exponaten und Rahmenprogramm ist vom 19. September bis zum 31. Oktober im Grooden Hus auf dem Winser Museumshof zu sehen. Alles zum Rahmenprogramm, Öffnungszeiten und Preisen erfahren Sie hier: https://www.winser-heimatverein.de/

13.09.2021, Universität Bielefeld
Wie sich bei Meeresschnecken genetische Inseln bilden
Internationale Studie erscheint im Forschungsjournal Science Advances
Gewöhnlich haben alle Individuen einer Population von Meeresbewohnern, die das Potenzial haben, sich über große Entfernungen auszubreiten, ein ähnliches genetisches Spektrum. Immer wieder allerdings bilden sich innerhalb von Populationen an kleinen, lokal begrenzten Orten plötzlich und für kurze Zeit kleine Gruppen genetisch unterschiedlicher Individuen. Wie es zu dieser chaotischen Bildung genetischer Inseln bei einer Meeresschnecke gekommen ist, zeigt eine neue Studie.
Für die Forschung haben Wissenschaftler*innen der Universität Bielefeld und des British Antarctic Survey kooperiert. Ihre Studie ist in Science Advances erschienen.
Die Forschenden haben die genetischen Abweichungen von Tiergruppen innerhalb einer Population anhand der Napfschnecke Nacella concinna auf zwei Faktoren zurückgeführt. Sie nutzten dazu genomische Daten, Daten von Treibbojen und Computersimulationen. Dadurch konnten sie nachweisen, dass im Fall der Napfschnecke eine ganze Generation von Nachkommen auf eine extrem begrenzte Zahl von Eltern zurückging und die Strömung die Larven gemeinsam an einen Ort getragen hatte. „Uns ist es damit gelungen, eine Brücke zwischen Theorie und Praxis zu bauen“, sagt der Molekularbiologe Professor Dr. Joseph Hoffman von der Universität Bielefeld, der zu den Autor*innen der Studie gehört.
Erstmals Nachweis für theoretische Annahmen zu Bildung genetischer Inseln
Ob es zu einer chaotischen Inselbildung kommt, hängt oft von Zufällen ab. „Die Ausbreitung dieser Art von Organismen kann geografisch begrenzt und im Laufe der Zeit instabil sein“, sagt Dr. David Vendrami, Mitarbeiter von Joseph Hoffman und Erstautor der Studie. „Es gibt sehr viele Theorien, die zu erklären versuchen, wie es zu diesen genetischen Inseln kommt“, sagt er. „In der Praxis war es bislang aber nicht gelungen, dies auf einen konkreten Mechanismus zurückzuführen.“
Die Studie ist eine Kooperation zwischen den Bielefelder Forschenden und den Kolleg*innen des British Antarctic Survey (BAS), dem Polarforschungsprogramm von Großbritannien, die die Daten vor Ort erhoben haben. Professor Lloyd Peck PhD vom BAS hat bei Tauchgängen in der Antarktis Napfschnecken-Proben gesammelt und hatte mit Joseph Hoffmann die Idee für die Studie. „Die Napfschnecke Nacella concinna gehört zu den Lebewesen, die die flachen Gewässer in der Antarktis dicht besiedeln. Dort leben teilweise fast 500 Tiere pro Quadratmeter“, sagt Peck. Jedes Jahr geben die Weibchen Millionen von Eiern ins Wasser ab, aus denen sich Larven entwickeln. Die Analyse der genetischen Proben aus der Antarktis zeigte eindeutig eine genetische Insel und ließ den Schluss zu, dass genetische Inseln bei diesen Napfschnecken wahrscheinlich relativ häufig auftreten und wieder verschwinden. „Dabei haben wir genetische Strukturen entdeckt, bei denen die Tiere in den Populationen eng miteinander verwandt sind, sodass Brüder und Schwestern, Cousins und Cousinen in einem kleinen Gebiet sehr dominant sind.“
Methodik erlaubt, weitere Fälle genetischer Inselbildung zu rekonstruieren
Die Forschungsdaten stammen aus den Jahren 1999 und 2015 und wurden an neun Orten in der Antarktis gesammelt. Die Forschenden analysierten die genomischen Daten und kombinierten diese mit Daten von Treibbojen, die Aufschluss über die Meeresströmungen gaben. „Wir haben auch Computersimulationen entwickelt, in denen wir den Lebenszyklus von Napfschnecken nachgestellt haben, um zu verstehen, welche Ereignisse zur Entstehung einer genetischen Insel führen könnten“, sagt David Vendrami. Das Ergebnis war eindeutig: Die gesamte Generation der Napfschnecken an einem Ort stammte von einer winzigen Anzahl von Eltern ab. Die Larven hatten sich zudem gemeinsam mit der Meeresströmung bewegt und siedelten sich so am selben Ort an.
Das bedeutet aber nicht, dass alle anderen Theorien zur genetischen Inselbildung falsch sind. „In anderen Fällen kann es sein, dass eine ganz andere Theorie zutrifft“, sagt Vendrami. Das Forschungsdesign biete die Möglichkeit, auch in anderen Fällen eine genetische Inselbildung zu rekonstruieren und die möglichen Ursachen einzugrenzen.
„Um zu verstehen, wie sich Meerespopulationen entwickeln, müssen wir unbedingt die Mechanismen kennen, die ihre genetische Vielfalt beeinflussen“, sagt David Vendrami. Dies sei zum Beispiel wichtig, um den Einfluss von menschengemachten Eingriffen besser abschätzen zu können oder auch für das Management von Schutzgebieten und Fanggründen. „Unsere Ergebnisse bieten ein Fundament, um marine Populationen besser zu verstehen und zu managen.“ Wer etwa ein Schutzgebiet verwaltet, ist womöglich besorgt, wenn sich an einem Ort viele Individuen genetisch stark ähneln. „Es könnte sich aber auch nur um eine kurzzeitige genetische Inselbildung handeln“, sagt der Wissenschaftler. „Wenn das nachprüfbar ist, lässt sich zum Beispiel besser abschätzen, ob es sinnvoll ist, einzugreifen, weil eine Population gefährdet ist, oder ob es sich womöglich nur um ein kurzzeitiges und zufälliges Ereignis handelt.“
Originalpublikation:
David L. J. Vendrami, Lloyd S. Peck, Melody S. Clark, Bjarki Eldon, Michael Meredith, Joseph I. Hoffman: Sweepstake reproductive success and collective dispersal produce chaotic genetic patchiness in a broadcast spawner. Science Advances, https://doi.org/10.1126/sciadv.abj4713, veröffentlicht am 10. September 2021

14.09.2021, Deutsche Wildtier Stiftung
Gämsen reagieren auf Klimawandel
Deutsche Wildtier Stiftung: Bergwälder werden immer wichtiger für das Alpenwild
„Gämsen zeigen sich bei veränderten Klimabedingungen besonders flexibel“, sagt Professor Dr. Klaus Hackländer, Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung und Mitautor einer aktuellen Veröffentlichung im Fachjournal Global Change Biology. „Wird es in der Felsregion zu warm, verlagern sie ihre Aktivitäten in tiefere Waldregionen“, so Hackländer. Arten, die in extremen Lebensräumen wie den Hochgebirgsregionen leben, sind an die jahreszeitlichen Umweltbedingungen sehr gut angepasst. Dadurch gelten sie aber auch als besonders empfindlich, wenn es um den Klimawandel geht. Die neue Studie belegt, dass die Erwärmung hochalpiner Lagen für Gämsen weniger dramatisch ist als bisher angenommen. „Wir konnten beobachten, dass Gämsen, die in den kühleren Bergwäldern leben, viele Vorteile im Vergleich zu ihren in den Hochlagen lebenden Artgenossen haben“, erläutert Hackländer. Wichtig für die Tiere sei dann allerdings, dass sie dort nicht von Menschen gestört werden.
Die Studie des Instituts für Wildtierbiologie und Jagdwirtschaft der Universität für Bodenkultur Wien und des Nationalparks Berchtesgaden basiert auf Untersuchungen an über 20.000 einjährigen Gämsen, die zwischen 1993 und 2019 in den Österreichischen Alpen beobachtet wurden. Ein wichtiges Kriterium der Untersuchungen war dabei der Ernährungszustand (Body-Mass-Index = BMI) der Tiere: Während Junggämsen in höheren, waldfreien Gebieten eine Verschlechterung des BMI aufwiesen, waren in Bergwäldern lebende Junggämsen konditionell bessergestellt. „Die Schlussfolgerung aus den Beobachtungen ist, dass Wälder wie ein Puffer den Klimaeffekt bei großen Pflanzenfressern abfedern können“, fasst Hackländer die Ergebnisse der Langzeitstudie zusammen.
Die Anpassungsfähigkeit der Gämsen ist erstaunlich, doch sie kann nur dort beobachtet werden, wo menschliche Störungen im Wald gering sind. Ganz entgegen dieser Notwendigkeit existieren im Bayerischen Bergwald großflächig sogenannte Schonzeitaufhebungsgebiete, in denen Gämsen unerwünscht sind und ganzjährig gejagt werden dürfen. Seit Kurzem stehen Gämsen sogar auf der Vorwarnliste der Roten Liste der Tiere Deutschlands. Die Deutsche Wildtier Stiftung fordert daher seit langem, Wildruhe- bzw. Jagdschongebiete in den Bayerischen Alpen auszuweisen, wie sie in vielen europäischen Nachbarländern bereits existieren.
Eine Studie zu den Lebensräumen der Gämsen in den Bayerischen Alpen finden Sie hier.
https://ots.de/ERcDKG
Details zur Studie über die Reaktion der Gämsen auf klimatische Veränderungen finden Sie hier: https://doi.org/10.1111/gcb.15711

15.09.2021, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
Über 25.000 Jahre Einfluss der Umwelt auf die Tierwelt
Schon bevor Menschen sich auf Madagaskar ansiedelten, beeinflussten Umweltveränderungen die dort lebenden Lemurenpopulationen
In einem interdisziplinären Projekt untersuchte ein Team unter Leitung von apl. Professorin Dr. Ute Radespiel, Institut für Zoologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo), und Professor Dr. Hermann Behling, Abteilung Palynologie und Klimadynamik der Georg-August-Universität Göttingen, den Einfluss von Umweltveränderungen über die letzten 25.000 Jahre auf die Tierwelt von Madagaskar. In der Zeitschrift Communications Biology berichten sie in einem heute veröffentlichten Artikel, dass der Rückgang madagassischer Wildtiere im Norden der Insel bereits erheblich war, bevor Menschen Einfluss darauf nahmen.
Auf Madagaskar leben viele Tier- und Pflanzenarten, die nur dort vorkommen. Darum eignet sich die Insel besonders gut, um in einem regional begrenzten Gebiet zu untersuchen, welche Einflüsse wie auf Tierarten und Populationen wirken. So gehen Forschende beispielsweise davon aus, dass in der Vergangenheit vor allem Klimaveränderungen dafür verantwortlich waren, dass sich Lemuren in den Wäldern auf unterschiedliche Lebensräume verteilten und sich zu getrennten Arten entwickelten. Lemuren gehören zu den Primaten. Sie kommen ausschließlich auf Madagaskar vor. Über die Klima- und Umweltveränderungen, die vor über 10.000 Jahren in Madagaskar stattgefunden haben, war bisher sehr wenig bekannt. Das Forschungsteam hat auf der Insel darum in einem definierten Untersuchungsgebiet zwei unterschiedliche Aspekte beleuchtet und kombiniert: Die Umweltveränderungen auf Madagaskar innerhalb der letzten 25.000 Jahre und die Entwicklung einer im Wald lebenden Lemurenart im selben Zeitraum.
TiHo-Doktorandin Helena Teixeira untersuchte in den immergrünen Feuchtwäldern des Montagne d’Ambre Nationalparks (NP) im Norden Madagaskars stellvertretend für andere Tierarten die Mausmakiart Microcebus arnholdi. Sie nahm Gewebeproben, extrahierte die DNA, und modellierte die demographischen Schwankungen der Lemuren über die Zeit mit Hilfe genomischer Daten. Im selben Jahr bohrte Dr. Vincent Montade aus der Arbeitsgruppe von Hermann Behling im selben Gebiet Sedimentkerne aus mehreren vulkanischen Seen (Maarseen). Sie liefern natürliche Aufzeichnungen über die lokale und regionale Umwelt- und Klimadynamik bis ins späte Pleistozän, das vor über 2,5 Millionen Jahren begann und vor etwa 11.700 Jahren endete. Anschließend analysierten, interpretierten und kombinierten sie die genomischen und paläoökologischen Daten. Die paläoökologischen Daten setzen sich aus Analysen von Pollen und der Gesteinskörnung sowie anorganisch-geochemischen Untersuchungen zusammen. Sie zeigten, dass es in den vergangenen 25.000 Jahren im nördlichen Madagaskar fünf Hauptperioden mit Umweltveränderungen gab. So endete laut der Analysen vor etwa 5.500 Jahren eine auch von Kontinental-Afrika bekannte Feuchtperiode. Die Niederschläge wurden weniger und die Vegetation rund um den Nationalpark entwickelte sich in eine offene Graslandschaft, in der es insbesondere seit 900 Jahren auch häufig zu Bränden kam. Menschen besiedelten Madagaskar erst vor 1.000 bis 2.000 Jahren. Die Forscherinnen und Forscher gehen in ihrer Veröffentlichung deshalb davon aus, dass sie die Lebensräume vorher nicht nennenswert beeinflussten und die von ihnen beschrieben Veränderungen auf natürliche klimatische Einflüsse zurückzuführen sind.
Die Forscherinnen und Forscher nutzen die Unterschiede und Gemeinsamkeiten im genetischen Code der Tiere in Kombination mit geschätzten Mutationsraten und Generationsdauern, um die zurückliegende Entwicklung der Populationen zu modellieren. Die verschiedenen genomischen Untersuchungen des Arnhold-Mausmakis zeigten, dass sich die Populationsgrößen in den vergangenen 25.000 Jahren mehrfach stark veränderten. Auf einen Populationsrückgang während der letzten kühl-trockenen Eiszeit folgte eine deutliche Zunahme während der afrikanischen Feuchtperiode. Ein starker Populationsrückgang begann laut dem Forschungsteam in den letzten 5.000 Jahren, als es zunehmend trockener wurde. Im letzten Jahrtausend, also mit verstärktem Eingreifen des Menschen, hat sich der Rückgang noch verstärkt. „Unsere Studie zeigt, dass der Rückgang der madagassischen Wildtiere im Norden bereits erheblich war, bevor der Einfluss des Menschen auf die Insel einsetzte, und bringt neue Erkenntnisse darüber, wie Umweltveränderungen in der Vergangenheit die heutigen Biodiversitätsmuster in tropischen Regionen geprägt haben“, sagt Radespiel.
Die Originalpublikation
Past environmental changes affected lemur population dynamics prior to human impact in Madagascar
Helena Teixeira, Vincent Montade, Jordi Salmona, Julia Metzger, Laurent Bremond, Thomas Kasper, Gerhard Daut, Sylvie Rouland, Sandratrinirainy Ranarilalatiana, Romule Rakotondravony, Lounès Chikhi, Hermann Behling, Ute RadespielCommunications Biology
DOI: https://doi.org/10.1038/s42003-021-02620-1

16.09.2021, Veterinärmedizinische Universität Wien
Was fühlt der Hund, wenn sein Halter/seine Halterin einen anderen Hund freudig begrüßt?
Im engen Zusammenleben von Mensch und Haushund ist eine klare Kommunikation und ein gegenseitiges Verständnis wichtig. Tatsächlich wurden Hunde im Laufe der Domestikation immer besser, die Körpersprache und das Verhalten des Menschen zu lesen und mit ihm zu kommunizieren. Aber wie deuten sie sein Verhalten gegenüber anderen Hunden? Eine soeben erschienene Studie des Clever Dog Labs an der Vetmeduni und der SCAN-Unit (Institut für Kognition, Emotion und Methoden der Psychologie) der Universität Wien zeigt nun mit bildgebenden Verfahren erstmals, was dabei im Gehirn des Hundes vor sich geht.
Dass die Domestikation des Hundes viel zum artübergreifenden Verständnis von Hund und Mensch beigetragen hat, ist hinlänglich belegt. Zusätzlich lernen Hunde, die lange und eng mit Menschen zusammenleben, viele Eigenschaften und Verhaltensweisen ihrer menschlichen Partner. Unter anderem erwerben sie dabei die Fähigkeiten, ihn am Gesicht zu erkennen, Gesichtszüge und Emotionen zu unterscheiden und sogar menschenspezifische Gesten und Verhaltensweisen wie das Zeigen zu deuten. Dieses gegenseitige Verstehen fördert die emotionale Bindung, die viele Hunde zu ihrem menschlichen Partner aufbauen. Sie ist manchmal so stark und eng, dass sie mit der Bindung von Kindern zu ihren Eltern verglichen wird. Allerdings wurde dieser Vergleich bisher nur auf der Verhaltensebene untersucht. Aber liegen ihr tatsächlich ähnliche Gehirnprozesse zu Grunde?
Ein Charakteristikum einer guten Partnerschaft ist die besondere Sensibilität gegenüber dem Verhalten seines Partners zu anderen. Das äußert sich unter anderem darin, wie man auf positive aber auch negative Handlungen seines Partners zu einem anderen reagiert. Dieser andere wird sogar zu einem Rivalen, wenn die beobachteten Handlungen besonders freundschaftlich ausfallen. Verhaltenstests mit Hunden, die ihren menschlichen Partner bei freundschaftlichen Handlungen mit einem anderen Hund sahen, zeigten wiederholt, dass diese darauf reagieren und sogar versuchen, dazwischen zu gehen. Doch was fühlen sie dabei?
Ohne sprachliche Verständigung und Befragung ist es schwierig, die Emotion eines anderen Lebewesens zu deuten. WissenschaftlerInnen wollen sich nicht mit bloßen Analogien zum Menschen begnügen, sondern der Sache tiefer auf den Grund gehen. Eine Möglichkeit dazu bietet die funktionale Magnetresonanztomographie (fMRT), ein bildgebendes Verfahren, das die Aktivitäten bestimmter Gehirnareale in guter räumlicher Auflösung darstellt. Damit kann man gezielt jene Areale untersuchen, welche bei der emotionalen Bewertung des Wahrgenommenen eine Rolle spielen. Das Problem dabei ist jedoch, dass man zwar Menschen bitten kann, sich in einen MRT-Scanner zu legen und bewegungslos aufmerksam Videos zu betrachten, aber wie macht man das mit Tieren? Betäubung oder auch nur Sedierung ist aus experimentellen Gründen nicht möglich – der Hund soll aufmerksam Videos betrachten – und aus ethischen Gründen sollte man die Tiere nicht fixieren.
Wache Hunde im MRT-Scanner
Nachdem es weltweit nur eine Gruppe in Ungarn, zwei in den USA und eine in Mexiko gibt, die bereits erfolgreich Hunde trainiert haben, freiwillig und ohne Fixierung einige Minuten im Scanner zu liegen, hat nun auch in Österreich ein interuniversitäres Konsortium, bestehend aus ForscherInnen am Clever Dog Lab des Messerli Forschungsinstituts an der Vetmeduni, an der SCAN-Unit der Fakultät für Psychologie der Universität Wien und am MR-Zentrum der Uni Wien begonnen, diese neuartige, nicht-invasive Methode der bildgebenden Hirnforschung bei wachen Hunden anzuwenden. Dazu ist es notwendig, die Hunde vorher stufenweise an die laute und enge Umgebung des Scanners zu gewöhnen und die erforderlichen Verhaltensweisen intensiv zu trainieren. Denn nur dann steigen die Hunde, ausgestattet mit Gehörschutz freiwillig in den Scanner, stecken ihren Kopf in die Spule und bleiben nahezu regungslos bis zu fünf Minuten liegen, während sie Bilder oder Videos auf einem Bildschirm am Ende der Röhre betrachten.
In der vorliegenden Studie wurde die Gehirnaktivität von 12 Haushunden auf diese Weise untersucht. Das Ziel der WissenschaftlerInnen war herauszufinden, ob die Hunde, die in einem Video gezeigten Menschen anhand ihrer Identität (HalterIn oder Fremder) und im Hinblick auf die dabei gezeigten Handlungen an einem anderen Hund (positiv, sozial oder neutral, nicht-sozial) unterscheiden. Einzelne, 10 Sekunden lange Videos zeigten entweder die/den HalterIn des im Scanner liegenden Hundes oder eine ihm fremde Person, die entweder einen anderen Hund freudig begrüßen und streicheln (positive, soziale Interaktion) oder ihm die Ohren und Zähne kontrollieren (neutrale, nicht-soziale Interaktion).
Tatsächlich konnte das ForscherInnenteam bei der Analyse der MRT-Bilder zeitlich und räumlich divergierende Hirnaktivitäten bei den vier genannten Videos feststellen. Diese Unterschiede stimmten zu einem großen Teil mit den Erwartungen der ForscherInnen überein, die sie aus den bei Menschen und Tieren bekannten Reaktionen in ähnlichen Situationen gebildet haben. So zeigten die Hunde etwa eine Aktivitätszunahme in der Amygdala und der Insula, zwei Gehirnareale, die an der Bewertung von Reizen und Verarbeitung von Emotionen beteiligt sind, besonders bei den positiv-sozialen Handlungen am anderen Hund. Obwohl man daraus noch nicht die Emotion des Hundes im Scanner eindeutig feststellen kann, so deuten diese Regionen zumindest starke physiologische Erregung an. Es liegt nahe, dass sie den im Video gezeigten Hund als potentielle Bedrohung der Bindung zu ihrer Bezugsperson (HalterIn) wahrgenommen haben. Die erhöhte Aktivität im Hypothalamus bei diesen Videos, insbesondere bei der positiven, sozialen Mensch-Hund-Interaktion mit dem Halter, lässt zudem vermuten, dass die Hunde ihre/n HalterIn in dem Video erkannt haben und auf die freudige Begrüßung mit dem anderen Hund aufgeregter als gegenüber dem Fremden oder den nicht-sozialen Mensch-Hund-Interaktionen reagiert haben. Obwohl noch viele Fragen offenbleiben, bietet diese Studie erste Einblicke in das Gefühlsleben von Hunden bei der Bewertung von Handlungen seiner menschlichen Bezugsperson.
Der Artikel “Neural responses of pet dogs witnessing their caregiver’s positive interactions with a conspecific: an fMRI study” von Sabrina Karl, Ronald Sladky, Claus Lamm und Ludwig Huber wurde in Cerebral Cortex Communications veröffentlicht.
https://academic.oup.com/cercorcomms/article/2/3/tgab047/6323659

Dieser Beitrag wurde unter Wissenschaft/Naturschutz veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert