Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

26.07.2021, Naturhistorisches Museum Wien
Die ältesten Haizähne Österreichs geben Hinweis auf eine globale Klimakrise vor 325 Millionen Jahren
Die stete Drift der Kontinente formt nicht nur Gebirgszüge, sondern hat auch großen Einfluss auf die Tierwelt im Meer. Als die beiden Superkontinente Euramerika und Gondwana in Äquatornähe zu kollidieren begannen, bildete sich zwischen den Landmassen ein tropischer Küstensaum. Diese Lebensräume, deren geologische Reste heute in den karnischen Alpen stecken, brachten die ältesten Haie Österreichs hervor.
Die Karnischen Alpen sind ein beliebtes Ziel für Wanderurlaube. Würde man in der Zeit 325 Million Jahre zurückreisen, wäre Kärnten ein Paradies für Taucher gewesen. Zwischen Korallen und Trilobiten schwammen erste Ur-Haie durch die Tiefen des Kärntner Meeres. Die Zähne dieser ältesten Haie Österreichs wurden zwischen 1989 – 2015 durch akribische Suche von engagierten Fossiliensammlern gefunden und im Zuge einer neuen wissenschaftlichen Studie dem Naturhistorischen Museum Wien und dem Landesmuseum Klagenfurt gespendet.
Das Forschungsteam wurde von Iris Feichtinger vom NHM Wien geleitet und umfasste Kolleg*innen aus dem Naturhistorischen Museum Wien, der Universität Wien, dem Landesmuseum Klagenfurt und der Universität St. Petersburg. Im Rahmen der Untersuchung gelang es Viola Winkler (Visualisierungsspezialistin, NHM Wien), die noch halb im Gestein steckenden Haizähne durch von der Universität Wien bereitgestellte Computertomographie-Bilder darzustellen. Dies ermöglichte sogar einen Blick in das Nervensystem im Inneren der Zähne. Rasch war klar, dass einer der gefundenen Zähne zu einer noch unbekannten Hai-Art gehört, den Forscher*innen auf den klingenden Namen Cladodus gailensis tauften – benannt nach dem Fundgebiet.
Die Karbonzeit war durch drastische Klimaveränderungen charakterisiert. Immer wieder bildeten sich an den Polen Eiskappen und der Meeresspiegel fiel dramatisch. Das Team um Iris Feichtinger konnte im Zuge dieser Studie nun herausfinden, welche Auswirkungen dies für die Haie hatte. Schon kurz vor der ersten großen Vereisung führten die Klimaveränderungen zu einem ersten Massenaussterben unter den Ur-Haien. Nach einer kurzen Erholungsphase folgte eine zweite drastische Aussterbenswelle. Nach dem Höhepunkt der Vereisung führte jedoch das Schmelzwasser der abtauenden Eisschilde zur Bildung neuer Lebensräume, die sogleich Süßwasserhaie als neuen Lebensraum nutzen. „Obwohl sich die im Meer lebenden Haie nur langsam erholten, begannen sich die Süßwasserhaie rasch in den Flüssen und Seen der Kontinente auszubreiten, was zu einer deutlichen Zunahme der Diversität führte“, so Iris Feichtinger.
Originalpublikation:
Diese neuen Erkenntnisse wurden nun im Fachjournal Journal of Vertebrate Paleontology veröffentlicht:
https://doi.org/10.1080/02724634.2021.1925902

28.07.2021, Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns
Patagonischer Langhalssaurier neu beleuchtet
Paläontolog:innen der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie (SNSB-BSPG) untersuchten im Rahmen einer Neubeschreibung die Überreste des Langhalssauriers Patagosaurus fariasi (175 Mio Jahre) aus Argentinien. Diese Untersuchungen haben große Bedeutung für das Verständnis der Evolution der Sauropoden. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher:innen in der wissenschaftlichen Zeitschrift Geodiversitas.
Wie der Name schon verrät: der Dinosaurier Patagosaurus fariasi stammt aus dem heutigen Patagonien, Argentinien und lebte dort vor etwa 175 Millionen Jahren. Er gehört zur Gruppe der Sauropoden (Langhalssaurier), den größten Landtieren, die je auf der Erde gelebt haben. Zu den bekanntesten Vertretern der Langhalssaurier gehören auch Tiere wie Diplodocus oder Brachiosaurus. Obwohl Patagosaurus mit seinen 14 Metern Länge nicht so spektakulär groß war wie sein jüngerer Cousin Patagotitan (mit einer Länge von bis zu 37 Metern das größte Landtier, das jemals auf der Erde gelebt hat), spielt er eine wichtige Rolle für das Verständnis der Evolution der Sauropoden.
Patagosaurus zeigt eine Mischung aus ursprünglichen Merkmalen sowie Merkmalen bereits höher entwickelter Sauropoden wie die sogenannte Pneumatisierung der Wirbelknochen: Die Landriesen entwickelten im Laufe ihrer Evolution immer leichter gebaute Knochen mit zahlreichen Hohlräumen, um ihre Knochen so leicht wie möglich zu machen. Nur so konnten sie so riesig werden, wie beispielsweise Patagotitan. Der Vergleich mit anderen ursprünglichen Sauropoden aus der gleichen Zeit aus verschiedenen Gebieten zeigte, dass auch diese bereits über pneumatisierte Knochen verfügten.
„Die Pneumatisierung wie bei Patagosaurus war offenbar schon bei vielen ursprünglichen Sauropoden weit verbreitet. Wir vermuten daher, dass Sauropoden schon vor der Mittleren Jurazeit auf der Erde weit verbreitet waren. Unsere Neubeschreibung hilft, die evolutionären Zusammenhänge in dieser Tiergruppe besser zu verstehen“, so die Erstautorin Femke Holwerda.
Der Übergang vom frühen zum mittleren Jura (von ca. 180 bis ca. 170 Millionen Jahre) war eine entscheidende Zeitspanne für die Ausbreitung und Evolution der Dinosaurier. Bereits 5-10 Millionen Jahre später, in der mittleren und späten Jurazeit, waren die Sauropoden-Dinosaurier weltweit verbreitet. Leider ist über das Zeitintervall, in dem die Sauropoden ihren großen evolutionären Wachstumsschub hatten, nicht viel bekannt. Argentinien ist einer der wenigen Orte der Erde, an dem überhaupt Sauropodenfossilien aus dieser Zeit gefunden werden, so auch Patagosaurus. Da die ältesten bekannten Langhalssaurier nicht viel älter, aber sehr viel unvollständiger sind, als Patagosaurus, kommt diesen Resten eine besondere Bedeutung für unser Verständnis der Evolution dieser wichtigen Dinosauriergruppe zu.
Ursprünglich wurde das Fossil im Jahr 1979 bekannt gemacht und 1986 kurz beschrieben. Die Paläontologin Femke Holwerda hat die Fossilien im Rahmen ihrer Doktorarbeit an der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie (SNSB-BSPG) und der Ludwig-Maximilians-Universität in München in Zusammenarbeit mit Oliver Rauhut, Kurator an der SNSB-BSPG und dem argentinischen Wissenschaftler Diego Pol (Museo Paleontológico Egidio Feruglio, Trelew) nun erneut untersucht und ausführlich beschrieben. Die Neubeschreibung von Patagosaurus fariasi erschien kürzlich als Monografie in der Zeitschrift Geodiversitas und enthält neue Erkenntnisse zu seiner Entwicklungsgeschichte und seinen Verwandtschaftsbeziehungen zu anderen früh- und mitteljurassischen Sauropoden.
Das umfangreiche Material, das ursprünglich unter dem Namen Patagosaurus beschrieben wurde, enthält jedoch wahrscheinlich noch Überreste mindestens einer weiteren, bisher noch unbekannten Sauropodenart. Die Forscher vermuten daher, dass es bereits kurz nach ihrem Ursprung meh-rere Arten von Langhalssauriern gab und sie eine wichtige Rolle als die größten Pflanzenfresser damaliger Ökosysteme spielten. Diese Erkenntnis deckt sich mit der kürzlich aufgestellten Hypothese, dass die Sauropoden ihren Erfolg einem raschen Klimawandel gegen Ende des unteren Jura verdankten, der zu einem markanten Wechsel in der Flora und somit dem Aussterben früherer Pflanzenfresser führte. Auch diese Hypothese, die auf Arbeiten von Diego Pol und Oliver Rauhut zurückgeht, basierte auf Resten aus Patagonien – was unterstreicht, wie wichtig diese Region für unser Verständnis der Evolution der Dinosaurier ist.
Originalpublikation:
Holwerda F. M., Rauhut O. W. M. & Pol D. 2021. — Osteological revision of the holotype of the Middle Jurassic sauropod dinosaur Patagosaurus fariasi Bonaparte, 1979 (Sauropoda: Cetiosauridae). Geodiversitas 43 (16): 575-643. http://geodiversitas.com/43/16
DOI: 10.5252/geodiversitas2021v43a16

29.07.2021, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
In einem weiteren Schritt zur Rettung des Nördlichen Breitmaulnashorns hat das BMBF-geförderte BioRescue-Konsortium von internationalen Organisationen aus Wissenschaft und Artenschutz drei weitere Embryonen des Nördlichen Breitmaulnashorns erzeugt. Im Juli 2021 entnahmen die Spezialisten des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) dafür Eizellen vom Nashornweibchen Fatu im Reservat „Ol Pejeta“ in Kenia, die anschließend im Labor in Italien befruchtet wurden. Diesmal konnte BioRescue erstmalig das Sperma eines anderen Bullen verwenden, wodurch die genetische Vielfalt der kryokonservierten Embryonen maßgeblich gesteigert wird.
Am 9. Juli 2021 führte das Team aus Wissenschaftler*innen und Artenschützer*innen von Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW), Safaripark Dvůr Králové, Kenya Wildlife Service und Ol Pejeta Conservancy die sechste erfolgreiche Eizellentnahme an Nördlichen Breitmaulnashörnern in Ol Pejeta (Kenia) durch. Unmittelbar nach der Entnahme wurden die 17 gewonnenen Eizellen zur Reifung, Befruchtung, Embryoentwicklung und Kryokonservierung in das Avantea-Labor in Cremona, Italien, geflogen. Seit Beginn des Programms hat das BioRescue Team insgesamt 80 Eizellen mit dem patentierten Verfahren bei dem seltensten Säugetier der Welt gewonnen. Zwei der neuen Embryonen wurden mit dem Sperma des Nördlichen Breitmaulnashornbullen Suni erzeugt, der für alle bisherigen Embryonen die „Vaterrolle“ übernahm. Für einen dritten Embryo konnten die Spezialist*innen von Avantea auch das Sperma von Angalifu verwenden, einem nördlichen Breitmaulnashornbullen, der in San Diego Safari Park mehr als ein Vierteljahrhundert lebte und 2014 starb. Sein Sperma sicherten sich BioRescue-Projektleiter Prof. Thomas Hildebrandt und sein Team bereits 2001 und 2005. Bislang nahmen die Spezialist*innen in IZW und Avantea an, dass Angalifus Sperma nicht in der Lage sei, Eizellen erfolgreich zu befruchten. Jüngst führten sie jedoch Testreihen mit dem Sperma an Eizellen von Schweinen durch, wobei sie lebensfähige Spermien identifizierten. Diese ermöglichten es ihnen, einen Nördlichen Breitmaulnashorn-Embryo von hoher Qualität zu erzeugen. Mit diesem ausgezeichneten Ergebnis wurde das Erbgut eines nicht verwandten Tieres in die kryokonservierte „Embryonen-Population“ mitaufgenommen.
„Erneut konnte Wissen aus der Zucht von Nutztieren einen Beitrag zum Artenschutz leisten: Wir konnten eine Fraktion von Sperma des Bullen Angalifu identifizieren, die wir schließlich erfolgreich zur Erzeugung lebensfähiger Embryonen einsetzen konnten“, sagt Prof. Cesare Galli von Avantea. „Wir sind sehr zufrieden mit der Anzahl der Embryonen, die wir aus den 17 Eizellen erhalten haben. Es ist und bleibt eine Herausforderung, mit relativ wenigen Eizellen und schwankender Qualität des gefrorenen Spermas das ambitionierte Programm zu bestreiten. Der jüngste Erfolg zeigt aber auch, dass die regelmäßige Durchführung der Eizellenentnahme nicht nur für Fatu unbedenklich ist, sondern auch eine beachtliche Zahl an Embryonen ermöglicht hat.“
In einer eigens dafür anberaumten Diskussion vor der Eizellenentnahme am 9. Juli beschloss das Team, bei Nájin, dem älteren der beiden Nördlichen Breitmaulnashörner, keine Eizellentnahme durchzuführen. Ihre künftige Rolle im BioRescue-Programm wird in den kommenden Wochen unter ethischen Gesichtspunkten erörtert und systematisch analysiert. Darauf aufbauend wird das Konsortium eine wissenschaftlich fundierte Entscheidung bekannt geben. Bislang war keine von Nájins Eizellen von ausreichender Qualität, um lebensfähige Embryonen zu erzeugen ¬– für alle 12 bisher erzeugten Embryonen wurden Eizellen von Nájins Tochter Fatu verwendet. Da der Abzug eines von nur noch zwei verbliebenen Individuen aus Sicht des Artenschutzes eine signifikante Einschränkung darstellt, wird diese Entscheidung nach einer gründlichen, wissenschaftlichen Bewertung durch alle Partner und unter Berücksichtigung aller relevanten ethischen Gesichtspunkte getroffen.
„Bei den jüngsten Eingriffen wurde deutlich, dass Nájins Eierstöcke nicht mehr viele Eizellen produzieren und dass deren Qualität beeinträchtigt ist“, sagte Jan Stejskal, Direktor für internationale Projekte im Safaripark Dvůr Králové. „Nájin ist mit 32 Jahren eine alte Dame und es scheint, dass es sich nicht lohnt, sie weiteren Eingriffen auszusetzen. Ihr Gesundheitszustand wird jedoch regelmäßig überwacht.“
In Ol Pejeta ist die Vorbereitung des Embryotransfers in eine entscheidende Phase getreten. Zwei südliche Breitmaulnashornweibchen wurden in das Gehege mit Owuan, dem sterilisierten südlichen Breitmaulnashornbullen, gebracht. Owuan wird mit seinem Deckungsverhalten den Fortpflanzungszyklus der Weibchen anzeigen. Das Team überwacht sorgfältig das Wohlergehen aller Tiere und beginnt in diesen Tagen damit, deren Verhalten und Kommunikation zu beobachten und aufzuzeichnen, um die ersten Embryotransfers vorzubereiten, die voraussichtlich Ende des Jahres beginnen werden.
„Wir sind sehr zufrieden mit den Fortschritten von unseres ambitionierten wissenschaftlichen Rettungsprogramm für das Nördliche Breitmaulnashorn“, sagt BioRescue-Projektleiter Prof. Thomas Hildebrandt vom Leibniz-IZW. “Die insgesamt 12 Embryonen, darunter der erste Embryo des Nördlichen Breitmaulnashornbullen Angalifu, sowie die erfolgreiche Umsiedlung der beiden potenziellen Leihmütter in Owuans Gehege zeigen die Qualität dieses gemeinsamen Projekts. Wir konzentrieren uns nun auf den ersten Embryotransfer in den kommenden Monaten.“
„Es ist sehr ermutigend, dass das Projekt bei seinen ehrgeizigen Bemühungen, eine so symbolträchtige und bedeutende Art vor dem Aussterben zu bewahren, weiterhin gute Fortschritte macht“, sagt Hon. Najib Balala, Cabinet Secretary, Ministry of Tourism and Wildlife (Kenia). „Mit den bisher erzeugten 12 Nördlichen Breitmaulnashorn-Embryonen kann sich das Projekt nun auf die nächsten Schritte des Embryotransfers in die weiblichen Leihmütter in der Ol Pejeta Conservancy konzentrieren, um sein Hauptziel – neuen Nachwuchs für die Nördlichen Breitmaulnashörner – zu erreichen.“
Das BioRescue-Forschungsprogramm wird maßgeblich vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und weiteren Geldgebern wie der Stiftung Nadace ČEZ, dem Philanthropen Dr. Richard McLellan, Merck und GE HeathCare unterstützt. Die internationalen Spezialist*innen werden ihren ehrgeizigen Plan fortsetzen, in einem drei- bis viermonatigen Zyklus weitere Embryonen aus Eizellen zu erzeugen, die den nördlichen Breitmaulnashornweibchen entnommen wurden, solange es die COVID-19-Pandemie dem Team erlaubt, nach Kenia zu reisen. Nachdem die Umsiedlung der Leihmütter abgeschlossen ist, ist ein erfolgreicher Embryotransfer der nächste wichtige Schritt, den das BioRescue-Team anstrebt.

29.07.2021, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Teure Invasion: Nicht-heimische Arten verursachten in Europa zwischen 1960 und 2020 Kosten von über 116 Milliarden Euro
Senckenberg-Wissenschaftler*innen haben gemeinsam mit einem internationalen Team die durch invasive Arten entstandenen Kosten in Europa und Deutschland untersucht. In ihren heute im Fachjournal „NeoBiota“ erscheinenden Studien zeigen sie, dass in den europäischen Ländern im Zeitraum 1960 bis 2020 Schäden von mehr als 116,61 Milliarden Euro durch nicht-heimische Arten entstanden sind. In Deutschland sind es für denselben Zeitraum geschätzte 8,21 Milliarden Euro. Die Ausgaben verzehnfachten sich laut den Forschenden in jeder Dekade – zudem seien die realen Kosten wahrscheinlich um ein Vielfaches höher.
Die Wanderratte, das Beifußblättrige Traubenkraut Ambrosia artemisiifolia, das Wildkaninchen, der Asiatische Eschenprachtkäfer und die Plattwurmart Gyrodactylus salaris haben eines gemeinsam: Sie gelten in Europa als die fünf größten Kostenverursacher unter den invasiven Arten. „Allein die Wanderratte hat im europäischen Raum innerhalb von 60 Jahren Kosten von etwa 5,5 Milliarden Euro verschuldet“, erläutert Dr. Phillip J. Haubrock von der Außenstelle Gelnhausen am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt.
Haubrock und ein internationales Team haben einen genauen Blick auf die durch invasive Arten verursachten Schäden und Kosten in Europa und Deutschland geworfen. Grundlage ihrer Berechnungen ist die Datenbank InvaCost, in welcher eine globale Bewertung der wirtschaftlichen Schäden durch gebietsfremde Arten erfasst ist. „Wir haben erstmalig umfassend und detailliert die Kosten, die durch invasive Arten in europäischen Ländern entstanden sind, quantifiziert und deren Trends über einen Zeitraum von 60 Jahren beobachtet“, fügt Haubrock hinzu. Die Gesamtkosten der invasiven Arten beliefen sich zwischen 1960 und 2020 auf 116,61 Milliarden Euro, wobei Großbritannien, Spanien, Frankreich und Deutschland die höchsten Kosten zu verzeichnen hatten. In der Land- und Forstwirtschaft verursachten die nicht-heimischen Tiere und Pflanzen dabei die größten wirtschaftlichen Schäden.
„Die Gründe für die Einwanderung und Einschleppung invasiver Arten sind vielfältig: Tourismus, Klimaerwärmung, Handel, Verkehr. Deutschland betreibt in seiner zentralen Lage beispielsweise einen intensiven Warenverkehr mit anderen Staaten, der sicherlich einer der Hauptursachen für die Verbreitung und Einführung gebietsfremder Arten ist“, so der Gelnhäuser Biologe. Um die wirtschaftlichen Kosten von Invasionen in Deutschland zu ermitteln, haben die Forschenden die vorliegenden Daten analysiert: Insgesamt werden die wirtschaftlichen Kosten zwischen 1960 und 2020 auf 8,21 Milliarden Euro geschätzt. Diese Summe schließt potentielle Kosten von 7,45 Milliarden Euro ein, die auf extrapolierte Daten für einige wenige invasive Arten – den amerikanischen Ochsenfrosch, die Spätblühende Traubenkirsche Prunus serotina sowie die Bisamratte Ondatra zibethicus und den Amerikanischen Mink – zurückzuführen sind.
„Wir konnten zudem einen linearen Anstieg der Kosten sowohl auf europäischer Ebene, als auch in Deutschland feststellen: pro Dekade kam es zu einer Verzehnfachung der wirtschaftlichen Schäden!“, erklärt Haubrock. Und diese Kosten sind laut den Forscher*innen sogar vermutlich immer noch zu gering angesetzt. Haubrock hierzu: „In Deutschland verursachen laut der aktuellen Datenlage von den knapp 200 als invasiv geführten Arten nur 28 Arten entsprechende Kosten. Arten, wie beispielsweise der Nordamerikanische Waschbär – der nachweislich bereits Schäden in Deutschland verursacht – sind noch überhaupt nicht in der Rechnung erfasst.“
In ihrer Studie weist das Wissenschaftler*innen-Team außerdem darauf hin, dass einige der entstehenden Ausgaben schwer zu quantifizieren sind und nennt die Beeinträchtigung menschlicher Gesundheit oder das Verdrängen heimischer Arten als Beispiele für indirekte Kosten.
„Nicht alle invasiven Arten verursachen wirtschaftliche Schäden, aber die entstehenden Kosten werden vermutlich extrem unterschätzt und liegen wohl um ein Vielfaches höher. Die Invasionsraten steigen weiter und wir müssen davon ausgehen, dass auch die wirtschaftlichen Kosten diesem Trend folgen. Um die wachsenden wirtschaftlichen und ökologischen Probleme invasiver Arten auf regionaler oder Länderebene anzugehen, müssen Erhebung, Berichterstattung und Bewertung der Schäden erheblich verbessert werden. Managementbudgets und Gegenmaßnahmen werden oft auf Regierungsebene festgelegt, und so ist die Quantifizierung der Kosten auf nationaler Ebene der entscheidende erste Schritt. Doch in unserer globalisierten und zunehmend vernetzten Welt wird die Verhinderung und Eindämmung von Schäden nur im internationalen Gleichschritt gelingen“, schließt Haubrock.
Originalpublikation:
Economic costs of invasive alien species across Europe
doi: 10.3897/neobiota.@@.58196

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