Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

06.10.2020, NABU
50 Jahre Nationalpark Bayerischer Wald – LBV und NABU gratulieren
Eine Erfolgsgeschichte Dank des Mutes der damaligen Entscheidungsträger
Der LBV und sein bundesweiter Partner NABU gratulieren zum 50-jährigen Jubiläum des Nationalparks Bayerischer Wald. „Der Nationalpark Bayerischer Wald ist eine Erfolgsgeschichte – für die Region und für die Natur“, betont Dr. Norbert Schäffer, Vorsitzender des LBV und lobt die damaligen Entscheidungsträger für ihren Mut und ihre Weitsicht. „Waldnationalparke haben eine herausragende Funktion für den Artenschutz. Gleichzeitig wird der Atmosphäre durch das Wachstum der Bäume Kohlenstoff entzogen und in lebenden und toten Bäumen, aber auch im Waldboden, lange gebunden. Nationalparke sind daher eine echte Kohlenstoffsenke und tragen zum Klimaschutz bei“, erklärt Jörg Andreas Krüger, Präsident des Naturschutzbunds Deutschland.
Vor 50 Jahren, am 7. Oktober 1970, wurde der erste deutsche Nationalpark gegen den heftigen Widerstand von Teilen der Bevölkerung gegründet. Damals wurden Einschränkungen und Bevormundung befürchtet. Auch die Erweiterung 1997 führte zu hitzigen Debatten. Aber der Mut der Entscheidungsträger einen Nationalpark gegen den Willen eines Teils der örtlichen Bevölkerung zu gründen, zahlte sich auch wirtschaftlich aus. Heute steht das ehemalige Armenhaus in Bayern finanziell besser da denn je: Touristenmagnet und attraktives Reiseziel, das die lokale Wirtschaft ankurbelt und nachhaltig stützt. „Gerade in Zeiten wie diesen, wenn bedingt durch die Corona-Pandemie der Urlaub dahoam angesagter ist denn je, ist der Bayerische Wald ein attraktives Urlaubsziel für viele“, erläutert der LBV-Vorsitzende Dr. Norbert Schäffer. Untersuchungen zeigen, dass fast 60 Prozent der Gäste gerade wegen des Nationalparks in die Region kommen. In einer repräsentativen Umfrage der Uni Würzburg sprachen sich sogar 97 Prozent der Befragten für ein Weiterbestehen des Nationalparks aus.
„Durch die natürliche Entwicklung in einem Nationalpark können Lebensräume für Insekten, Vögel und Pilze entstehen, die es in dieser Quantität und Qualität so in Wirtschaftswäldern nicht gibt“, erklärt NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger. „Auf den Flächen des Nationalparks Bayerischer Wald haben wir bereits in den 1980er Jahren erlebt, wie die Natur regiert, wenn Wald großflächig abstirbt. Bereits nach wenigen Jahren sind flächig wieder junge Bäume nachgewachsen und die Baumartenvielfalt ist heute größer als zuvor“, so Krüger. „Ein Nationalpark kann somit als Referenzfläche dienen, um zu zeigen, wie ein natürlicher Wald auf den Klimawandel reagiert. Er zeigt uns, welche Baumarten mit den Herausforderungen Hitze und Trockenheit am besten zurechtkommen“, ergänzt der LBV-Vorsitzende Schäffer.
Vor diesem Hintergrund begrüßen LBV und NABU die Entscheidung der Bayerischen Staatsregierung, als ersten Schritt weitere Waldflächen dauerhaft aus der Nutzung zunehmen. „Dies kann aber nur ein Zwischenschritt für die Ausweisung eines 3. Nationalparks in Bayern sein“, sind sich die beiden Vorsitzenden Schäffer und Krüger einig.

06.10.2020, Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e.V.
Wildtiere in der Landwirtschaft: ZALF stellt Entscheidungshilfen für den Umgang mit dem Wolf vor
Das Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V. untersucht im Rahmen einer Nachwuchsforschergruppe, wie sich Konflikte zwischen Wildtieren und Menschen in der Landwirtschaft reduzieren lassen. In der Zeitschrift „Conservation Biology“ stellen ZALF-Forschende nun einen Bewertungsrahmen vor, der Behörden und Politik im Umgang mit dem Wolf besser unterstützen soll.
Landwirtschaftlich genutzte Flächen sind immer auch Lebensraum. Wenn Wildtiere auf Feldern ihre Nahrung suchen oder Nutztiere auf Weiden reißen, kann das für landwirtschaftliche Betriebe zum Problem werden. Das konfliktträchtigste Beispiel ist wohl der Wolf. Mehr als 100 Rudel sind seit dem Jahr 2000 wieder in Deutschland heimisch. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Nachwuchsforschungsgruppe „Mensch-Wildtierkonflikte in Agrarlandschaften“ am ZALF wollen herausfinden, wie sich in der Landwirtschaft das Risiko für durch Wildtiere verursachte Schäden vermeiden lässt. In Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen aus Deutschland, Tansania und Kanada hat die Gruppe um den Leiter Dr. Hannes König einen wissenschaftlichen Bewertungsrahmen erarbeitet, der dabei unterstützen soll, durch Wölfe verursachte Schäden zukünftig besser einzuschätzen und Entscheidungshilfen für geeignete Maßnahmen bereitzustellen.
Jeden Fall überprüfen und überlegt handeln
Der Wolf ist in Deutschland eine streng geschützte Art. Bislang durften die Tiere nicht bejagt werden. Im November 2019 wurde das Bundesnaturschutzgesetz geändert: In Ausnahmefällen ist nun die Tötung von Wölfen, die wiederholt Nutztiere reißen, erlaubt. Vor diesem Hintergrund hilft der Bewertungsrahmen lokalen Behörden, Schadensfälle je nach Situation objektiv einzuschätzen und zu entscheiden, ob die Tötung eines Wolfs notwendig ist. In die Analyse fließen die Ansichten verschiedener Interessensgruppen, zum Beispiel aus dem Naturschutz und der Landwirtschaft, mit ein. „Der Bewertungsrahmen bietet eine wissenschaftlich fundierte Grundlage, Konflikten zwischen der Landwirtschaft und dem Wolf vorzubeugen und im Schadensfall angemessen zu handeln“, erklärt Hannes König.
Schutzmaßnahmen bleiben notwendig
Das Instrument der Jagd auf Wölfe soll Tierhalter unterstützen, aber nur in Notfällen eingesetzt werden. Wie König betont, sind Landwirtinnen und Landwirte aufgerufen, stattdessen konsequent Schutzmaßnahmen, wie Elektrozäune und Herdenschutzhunde einzusetzen, um zu verhindern, dass der Wolf Schafe, Ziegen oder andere Nutztiere reißt.
Originalpublikation:
https://conbio.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/cobi.13513

06.10.2020, Stiftung Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig, Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere
Neue Schlangenart aus Myanmar im Museum entdeckt
Ein internationales Forscherteam hat eine bisher unbekannte, ungiftige Schlangenart aus Myanmar nach dem Reptilienkundler Joe Slowinski benannt.
Reptilien-Freunde aufgepasst: Ein internationales Forscherteam unter Beteiligung von Prof. Dr. Hinrich Kaiser vom Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig – Leibniz Institut für Biodiversitätsforschung (ZFMK) in Bonn, hat eine neue Schlangenart entdeckt. Benannt wurde sie nach dem Reptilienexperten Joseph B. Slowinski (1962-2001), der während einer Forschungsreise im Norden Myanmars am Biss eines Kraits (einer Giftnatter) starb. So heißt das neuentdeckte, schwarz-weiß gebänderte Reptil, das in den Sammlungen der California Academy of Sciences in San Francisco und des National Museum of Natural History in Washington, DC gefunden wurde, nun Slowinski-Walzenschlange (Cylindrophis slowinskii). „Die Entdeckung zeigt, was für erstaunliche Arten sich in den Schränken von Museumssammlungen versteckt halten und auf ihre Entdeckung warten“, sagt Hinrich Kaiser.
Wie das Team im Fachblatt Zootaxa schreibt, lebt Cylindrophis slowinskii nur am Ufer des Indawgyi-Sees im Kachin-Staat im Norden von Myanmar – einer Region mit einer ausgesprochen hohen Artenvielfalt. „Myanmar ist eines der letzten, weitgehend unerforschten Gebiete der Erde, ein Hotspot der biologischen Vielfalt.“ sagt Dr. Sven Mecke von Naturkundemuseum Paderborn, der das Projekt leitete. Cylindrophis slowinskii ist nun schon die 177ste Schlangenart, die in dem südostasiatischen Land nachgewiesen worden ist. Bei uns in Deutschland leben gerade einmal sechs Schlangenarten.
Die neue Schlange gehört zur Familie der Walzenschlangen, von denen es noch 14 weitere Arten gibt. Diese ungiftigen Schlangen sehen sich oft ziemlich ähnlich, sodass eine neue Art leicht übersehen werden kann. Das Besondere der rund 30 Zentimeter langen Cylindrophis slowinskii: die Beschuppung des Schwanzes und die vielen länglichen Flecken auf der Körperunterseite. Per DNA-Analyse konnten die Forscher sie als eigenständige Art identifizieren und einen Stammbaum der Gattung erstellen. Die bisher unbekannte Art gehört zu den Wühl- und Riesenschlangenartigen und damit zu jener Überfamilie, zu der auch die größten lebenden Schlangenarten zählen.
Cylindrophis slowinskii ist übrigens nicht das erste Reptil, das nach Slowinski benannt wurde. Im Jahr 2002 erhielt ein in Myanmar beheimateter Gecko den Namen dieses Forschers (Cyrtodactylus slowinskii), im Jahr 2005 war ein in Thailand, Laos und Vietnam verbreiteter Krait an der Reihe (Bungarus slowinskii). Über zehn Jahr später entdeckten Forscher eine kleine Agame (eine Echse) in China, die sie Diploderma slowinskii tauften. „Bestimmt werden auch noch weiter Arten zu Ehren von Joe Slowinski benannt, schließlich war er einer der weltweit führenden Experten für asiatische Reptilien,“ so Kaiser.
Joe Slowinski: Joseph “Joe” Bruno Slowinski (15. November 1962 – 12. September 2001) war ein US-amerikanischer Reptilienkundler. Er war seit seiner Kindheit besonders fasziniert von der Familie der Elapidae – den Giftnattern, mit dem gefürchteten Viergestirn Kobras, Mambas, Kraits und Korallenottern. Seine erste Schlange fing er im Alter von gerademal vier Jahren. Nach der Überwindung vieler bürokratischer und logistischer Hindernisse gelang es dem enthusiastischen und ehrgeizigen Wissenschaftler im Jahr 2001, eine internationale Expedition in den abgelegenen und noch kaum erforschten Norden Myanmars zu organisieren. Am 11. September, am Tag des bislang folgenschwersten Terroraktes in seiner Heimat, wurde der Reptilienkundler in einem Moment der Unachtsamkeit von einem Krait (Bungarus multicinctus) gebissen und verstarb.
Publikation: Bernstein, J.M., Bauer, A.M. McGuire, J.A., Arida, E., Kaiser, H., Kieckbusch, M. & Mecke, S. (2020). Molecular phylogeny of Asian pipesnakes, genus Cylindrophis Wagler, 1828
(Squamata: Cylindrophiidae), with the description of a new species from Myanmar. Zootaxa, 4851, 3, 535-558.
https://www.researchgate.net/publication/344197915_Molecular_phylogeny_of_Asian_pipesnakes_genus_Cylindrophis_Wagler_1828_Squamata_Cylindrophiidae_with_the_description_of_a_new_species_from_Myanmar

07.10.2020, Veterinärmedizinische Universität Wien
Out of Africa: Zugvögel fliegen immer früher nach Europa
Als Reaktion auf den Klimawandel verschiebt sich die Frühlingswanderung vieler Zugvögel immer weiter nach vorne. Laut einer soeben von einem internationalen Forschungsteam unter Leitung der Vetmeduni Vienna (Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung) präsentierten Studie folgt diese Änderung jedoch keinem einheitlichen Muster. Im Gegenteil, bei näherer Betrachtung ergibt sich ein vielschichtiges Bild: Wesentlich für den Start der Wanderung ist die Region des Überwinterns.
Aus bisherigen Studien ist bekannt, dass Zugvögel ihre Frühjahrsankunft in den europäischen Brutgebieten aufgrund des Klimawandels vorverlegen. Zudem leiden jene Arten, die schlechter in der Lage sind, ihre Zugzeit anzupassen, in Europa unter einem Rückgang ihres Bestands. Naheliegend ist deshalb die Vermutung, dass die Ursache ihres Rückgangs in der Unfähigkeit liegt, den Zeitpunkt ihres Zuges anzupassen.
Je nach Ort des Überwinterns kommen Zugvögel früher oder später
Um diese und weitere Fragen zu beantworten, untersuchte eine Forschungsgruppe um Ivan Maggini und Leonida Fusani vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung an der Vetmeduni Vienna den Zeitpunkt des Vogelzuges im zentralen Mittelmeerraum. Und zwar auf der im Tyrrhenischen Meer gelegenen Insel Ponza, etwa 50 km von der italienischen Küste entfernt. Ein großer Teil der mittel- und nordeuropäischen Wandersingvögel macht auf dieser Insel Halt, um sich von einer fast 500 km langen Meeresüberquerung zu erholen. Fusani und Maggini analysierten in Zusammenarbeit mit einem internationalen Forschungsteam auf Ponza die Zugzeiten der 30 während der letzten 18 Jahre auf der Insel am häufigsten gezählten Arten. Dazu Maggini: „Als allgemeines Muster konnten wir eine Vorverlegung der Zugzeit beobachten. Allerdings haben die in Nordafrika und der Sahelzone überwinternden Arten ihre Zugzeit stärker nach vorne verschoben als jene Arten, die weiter südlich, in den tropischen Wäldern Zentralafrikas, überwintern.“
Wichtige Erkenntnisse für die Anpassungsfähigkeit von Zugvögeln angesichts des Klimawandels
Für dieses Phänomen könnte es laut den beiden Wissenschaftern zwei Erklärungen geben: Entweder verbessern sich die Bedingungen in der Sahelzone, so dass sich die Vögel schneller auf den Zug vorbereiten und somit früher aufbrechen können, oder die Bedingungen entlang der Route begünstigen eine schnellere Zugbewegung. „Herauszufinden, welches dieser beiden Szenarien das wahrscheinlichere ist, ist der nächste Schritt, um besser zu verstehen, ob und welche Zugvögel in Zukunft in der Lage sein werden, sich an den Klimawandel anzupassen“, so Fusani. Maggini und Fusani arbeiten bereits an der Beantwortung dieser Fragen, indem sie die Physiologie und das Verhalten der Vögel auf Ponza und in der Sahara-Wüste in Marokko untersuchen, wodurch in naher Zukunft klarer sein sollte, welche Zugvogelarten besonders unter dem Klimawandel leiden.
Klimawandel bewirkt Kettenreaktion in der Tierwelt
Der Klimawandel wirkt sich auf verschiedene Lebewesen auf unterschiedlichste Weise aus. In Europa begünstigt der frühere Frühlingsbeginn ein früheres Erscheinen von Insekten, was sich wiederum auf die Brutzeit der insektenfressenden Vögel auswirkt. Indem sie früher brüten, stellen sie sicher, dass sie genügend Nahrung finden, um ihre Jungen zu ernähren. Viele Zugvögel sind jedoch nicht in der Lage, jahreszeitlich veränderte, günstige Bedingungen in ihren europäischen Brutgebieten zu beobachten, weil sie den Winter Tausende von Kilometern entfernt in Afrika verbringen. Ihre innere Uhr regt sie dazu an, ihr Winterquartier zum geeigneten Zeitpunkt zu verlassen. Angesichts des Klimawandels ist daher zunehmend eine Herausforderung die Abflugzeiten so anzupassen, dass sich den Zugvögeln bei der Ankunft am Zielort Europa auch tatsächlich ein Höchstmaß an Nahrungsquellen bietet.
Originalpublikation:
Der Artikel „Recent phenological shifts of migratory birds at a Mediterranean spring stopover site: species wintering in the Sahel advance passage more than tropical winterers“ von Ivan Maggini, Massimiliano Cardinale, Jonas Hentati Sundberg, Fernando Spina und Leonida Fusani wurde in PLOS ONE veröffentlicht. https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0239489

08.10.2020, WWF World Wide Fund For Nature
Artensterben Schwarz-Rot-Gold
Aktuelle Rote Liste bedrohter Säugetiere – WWF: Ein Drittel von Deutschland unter Schutz stellen.
Knapp ein Drittel der Säugetiere in Deutschland ist in seinem Bestand gefährdet. Das sind Ergebnisse der neuen Roten Liste der Säugetiere, die das Bundesamt für Naturschutz (BfN) heute gemeinsam mit dem Rote-Liste-Zentrum (RLZ) vorgestellt hat. Hierzu erklärt Dr. Arnulf Köhncke, Leiter Artenschutz beim WWF Deutschland:
„Knapp ein Drittel der Säugetiere in Deutschland ist in seinem Bestand gefährdet. Viele Bestände haben sich in den vergangenen Jahren verschlechtert. Das größte Aussterben seit Ende der Dinosaurierzeit macht auch vor Deutschland nicht halt. Hoffnungsvoll stimmt allerdings, dass gerade bei Tierarten, die im Fokus von Natur- und Artenschutzprojekten stehen, der Bestandstrend nach oben weist. Wildkatze, Fischotter, Atlantischer Kegelrobbe und Wolf geht es wieder besser. Das zeigt: Langfristiger Einsatz zahlt sich aus. Wir brauchen einen Artenschutz-Dreiklang für Deutschland: Mehr Schutzgebiete, ambitionierte Klimapolitik und einen ernährungs- und landwirtschaftspolitischen Neustart.
Der WWF fordert daher bis 2030 30 Prozent der Erde unter Schutz zu stellen. Dazu muss auch Deutschland seinen Beitrag leisten. Die EU-Biodiversitätsstrategie hat sich exakt zu diesem Ziel für ganz Europa bekannt. Momentan sind allerdings nur rund 15 Prozent der deutschen Landfläche durch Natura 2000-Schutzgebiete abgedeckt. Es braucht also mehr Nationalparke, Biosphärenreservate und Naturschutzgebiete. Vor allem, wenn wir mit entsprechenden Forderungen auch an Entwicklungs- und Schwellenländer herantreten.
Da zudem über 50 Prozent der Fläche in Deutschland landwirtschaftlich genutzt wird, muss es in der Landwirtschaft einen ökologischen Neustart geben. Die politische und steuerfinanzierte Förderung einer intensiven Landwirtschaft, die Natur zerstört und allen Klimazielen zuwiderläuft, muss ein Ende haben.
Im Kampf gegen die Klimakrise wird der EU-Gipfel im Oktober entscheidend sein. Der WWF erwartet von Kanzlerin Merkel, als EU-Ratsvorsitzende dafür zu sorgen, dass die EU-Staaten eine Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 65 Prozent beschließen.

08.10.2020, Max-Planck-Institut für molekulare Genetik
Maulwürfe: intersexuell und genetisch gedopt
Vervielfachungen und Inversionen von DNA-Abschnitten führen zur Vermännlichung von Maulwurf-Weibchen
Weibliche Maulwürfe besitzen neben Eierstock- auch Hodengewebe, das männliche Geschlechtshormone produziert – was sie von der Kategorisierung in zwei Geschlechter abweichen lässt. Welche Erbgut-Umbauten zu dieser einzigartigen Entwicklung beitragen, beschreibt ein Team um die Berliner Forscher Stefan Mundlos und Darío Lupiáñez in „Science“.
Maulwürfe sind besondere Geschöpfe, die sich in einem extremen Lebensraum tummeln. Als Bergarbeiter tief in der Erde besitzen sie einen zusätzlichen Finger an jeder Vorderpfote und eine außergewöhnlich starke Muskulatur. Zudem sind Maulwurf-Weibchen zweigeschlechtlich, die Tiere bleiben jedoch fruchtbar. Wie es für Säugetiere typisch ist, sind sie mit zwei X-Chromosomen ausgestattet, besitzen aber sowohl funktionierendes Eierstock- als auch Hodengewebe. Beide Gewebetypen sind bei Maulwürfen in einem Organ, den Ovotestes, vereint – und das ist einzigartig unter Säugetieren.
Viel Testosteron im Blut der Maulwurf-Weibchen
Das Hodengewebe der Maulwurf-Weibchen produziert zwar keine Spermien, wohl aber große Mengen des Geschlechtshormons Testosteron, sodass die Weibchen ähnlich hohe Werte wie die Männchen aufweisen. Vermutlich macht dieses natürliche „Doping“ die Maulwurf-Weibchen aggressiv und muskulös, was für ein Leben unter der Erde von Vorteil ist, wo sie Höhlen graben und um Ressourcen kämpfen müssen.
In einer Studie im Fachjournal Science berichten Berliner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun von den genetischen Besonderheiten, die zu der charakteristischen sexuellen Entwicklung bei Maulwürfen führen. Demnach sind es vor allem Veränderungen in der Struktur des Genoms, die zu einer veränderten Steuerung der Gen-Aktivität führen. Dies kurbelt in den Weibchen neben dem genetischen Programm für die Hodenentwicklung auch die Enzyme für die Produktion männlicher Hormone an.
Die Studie eines internationalen Teams entstand unter der Leitung von Professor Stefan Mundlos, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik (MPIMG) und Direktor des Instituts für Medizinische Genetik und Humangenetik der Charité – Universitätsmedizin Berlin, sowie Dr. Darío Lupiáñez, Forschungsgruppenleiter am Berlin Institute for Medical Systems Biology (BIMSB), das zum Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) gehört.
Genomische Mechanismen der Evolution
„Seit Darwin gilt, dass die unterschiedlichen Erscheinungsbilder von Lebewesen durch graduelle Veränderungen im Erbgut entstanden, die an die nächsten Generationen weitergegeben wurden“, sagt Mundlos. „Aber wie hängen DNA-Veränderungen und Ausprägung konkret zusammen und wie findet man sie?“
Um dieser Frage nachzugehen, sequenzierten die Forscherinnen und Forscher das Genom des Iberischen Maulwurfs (Talpa occidentalis) erstmals komplett. Auch die dreidimensionale Struktur des Erbgutes in der Zelle untersuchten sie. Denn im Zellkern bilden Gene und zugehörige Steuersequenzen regulatorische Domänen – das sind relativ isolierte „Nachbarschaften“, in denen DNA-Abschnitte besonders häufig miteinander interagieren. „Unsere Hypothese war, dass beim Maulwurf nicht nur Veränderungen in den Genen, sondern vor allem auch in der Regulation dieser Gene existieren“, sagt Mundlos.
Im Laufe der Maulwurf-Evolution hätten sich demnach nicht nur einzelne DNA-Buchstaben geändert, sondern sich auch größere Teilstücke des Genoms verlagert, sagt der Forscher. Gelangen DNA-Abschnitte von einer Stelle an die nächste, können ganz neue regulatorische Domänen entstehen und damit neue Gene aktivieren oder vorhandene verstärken oder abschwächen.
Programm zur Hodenentwicklung aktiviert
„Die sexuelle Entwicklung von Säugetieren ist komplex, aber wir haben eine recht gute Vorstellung davon, wie der Prozess abläuft“, sagt Darío Lupiáñez. „Ab einem bestimmten Zeitpunkt geht die Entwicklung in die eine oder andere Richtung weiter, männlich oder weiblich. Wir wollten wissen, wie die Evolution diesen eigentlich festgelegten Ablauf moduliert und die intersexuellen Eigenschaften von Maulwürfen ermöglicht.“
Tatsächlich entdeckte das Team beim Vergleich mit dem Genom anderer Tiere und des Menschen eine Inversion – also einen umgedrehten Erbgutabschnitt – in einem Bereich, der an der Bildung der Hoden beteiligt ist. Durch die Drehung geraten zusätzliche DNA-Abschnitte in die regulatorische Domäne des Gens FGF9, was die Steuerung und Regulation des Gens neu organisiert. „Diese Veränderung führt dazu, dass sich in weiblichen Maulwürfen neben Eierstock- auch Hodengewebe entwickeln kann“, erklärt die Erstautorin der Studie Dr. Francisca Martinez Real, Wissenschaftlerin am MPIMG und am Institut für Medizinische Genetik und Humangenetik der Charité.
Zusätzlich stieß das Team auf eine Verdreifachung eines Genom-Abschnitts um das Gen CYP17A1, das für die Produktion männlicher Sexualhormone (Androgene) zuständig ist. „Durch die Triplikation entstehen zusätzliche Steuersequenzen für das Gen – und in den Ovotestes der Maulwurf-Weibchen werden verstärkt männliche Geschlechtshormone hergestellt, vor allem mehr Testosteron“, sagt Real.
Wilde Maulwürfe und transgene Mäuse
Eine Herausforderung der Studie war es, dass sich die sehr territorialen Maulwürfe nicht im Labor halten lassen. „Wir mussten sämtliche Untersuchungen an wildlebenden Maulwürfen vornehmen“, sagt Lupiáñez. Er und Real waren monatelang in Südspanien unterwegs und sammelten Proben für ihre Experimente. „Diese Schwierigkeit war allerdings zugleich eine Stärke unserer Studie. Unsere Ergebnisse gelten nicht nur für Labortiere, sondern auch für freilebende Tiere.“
Die beiden Genomveränderungen tragen tatsächlich zur besonderen Sexualität von Maulwurf-Weibchen bei. Dies wies die Forschungsgruppe nach, indem sie die genetischen Veränderungen aus den Maulwürfen im Mausmodell nachahmte. Die weiblichen Mäuse hatten erhöhte Androgenspiegel, die so hoch waren wie bei normalen Mäuse-Männchen. Sie waren außerdem deutlich kräftiger als unveränderte Artgenossinnen.
Evolution bedient sich im genetischen Werkzeugkasten
Bei Maulwürfen sind die Geschlechter nicht klar voneinander abgegrenzt, vielmehr bewegen sich die Weibchen auf einem Spektrum zwischen typisch weiblicher und typisch männlicher Ausprägung, sie sind also intersexuell.
„Unsere Befunde sind ein gutes Beispiel dafür, wie bedeutend die dreidimensionale Organisation des Genoms für die Evolution ist“, sagt Lupiáñez. „Die Natur bedient sich aus dem vorhandenen Werkzeugkasten der Entwicklungsgene und ordnet sie nur neu an, um ein Merkmal wie die Intersexualität zu erzeugen. Andere Organsysteme und die Entwicklung werden dabei nicht beeinträchtigt.“
„Historisch gesehen hat der Begriff Intersexualität erhebliche Kontroversen ausgelöst“, sagt Mundlos. „Es gab und gibt die Tendenz, intersexuelle Phänotypen als krankhafte Zustände zu charakterisieren. Unsere Studie zeigt, wie komplex die sexuelle Entwicklung ist und dass die Natur ein großes Spektrum an Zwischentypen hervorbringen kann.“
Originalpublikation:
Real, Francisca M. et al. (2020): „The mole genome reveals regulatory rearrangements associated with adaptive intersexuality“. Science. DOI: https://science.sciencemag.org/cgi/doi/10.1126/science.aaz2582

08.10.2020, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Forscher rekonstruieren Käfer aus der Kreidezeit
Ein internationales Forscherteam unter Federführung der Universität Bonn und der Palacky University (Tschechien) hat vier neu gefundene Exemplare der fossilen Käfer Mysteriomorphidae mithilfe der Computertomographie untersucht und weitestgehend rekonstruieren können. Die Ergebnisse lassen Rückschlüsse auf die Evolution der Arten während der Kreidezeit zu. Die Studie ist in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“ erschienen.
In einer Bernsteinlagerstätte in Myanmar fanden Forscher vor etwa einem Jahr fossile Exemplare von Käfern und beschrieben dadurch eine neue Käferfamilie, die vor etwa 99 Millionen Jahren lebte. Allerdings konnten die Wissenschaftler die Gestalt der Insekten in der Bernsteinprobe nicht vollständig beschreiben –in der Folge erhielten die Käfer den geheimnisvollen Namen Mysteriomorphidae. Ein internationales Forscherteam unter Federführung der Universität Bonn und der Palacky University (Tschechien) hat nun vier neu gefundene Exemplare der Mysteriomorphidae mithilfe der Computertomographie untersucht und weitestgehend rekonstruieren können. Die Ergebnisse lassen Rückschlüsse auf die Evolution der Arten während der Kreidezeit zu. Die Studie ist in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“ erschienen.
Kleine Lebewesen, die in Bernstein eingeschlossen sind, können Wissenschaftlern wichtige Informationen über Zeiten liefern, die teilweise viele Millionen von Jahren zurückliegen. Im Januar 2019 sammelte der spanische Paläontologe Dr. David Peris, einer der beiden Hauptautoren der Studie, bei einer wissenschaftlichen Reise nach China mehrere Bernsteinproben aus dem nördlichen Staat Kachin in Myanmar – und fand in ihnen Käferexemplare aus derselben Gruppe wie die Mysteriomorphidae.
Einige der neu gefundenen Exemplare wiesen einen sehr guten Erhaltungszustand auf – eine gute Voraussetzung für David Peris und seine Kollegen, um eine virtuelle Rekonstruktion eines der Käfer mithilfe der Computertomographie (CT-Scan) durchzuführen. Die in der Paläontologie verwendete Technik bietet Forschern die Möglichkeit, viele kleine Merkmale der Fossilien zu untersuchen, sogar innere Strukturen wie Genitalien, sofern sie erhalten sind.
Während David Peris und seine Kollegen mit dem Studium und der Beschreibung der Morphologie, also der äußeren Gestalt der Käfer begannen, beschrieb auch eine andere Forschergruppe die neue Familie der Mysteriomorphidae anhand weiterer Exemplare. Diese stammten ebenfalls aus der Bernsteinlagerstätte in Myanmar. „Die erste Studie ließ jedoch noch Fragen zur Klassifizierung der Fossilien offen. Wir nutzten die Gelegenheit, um diesen Fragen mit neuen Technologien nachzugehen“, erklärt David Peris, der seit zwei Jahren am Institut für Geowissenschaften und Meteorologie der Universität Bonn forscht.
„Wir haben anhand der rekonstruierten Merkmale die Familienzugehörigkeit der Käfer besser definiert und festgestellt, dass sie sehr eng mit den Elateridae, einer heutigen Familie, verwandt sind“, sagt Dr. Robin Kundrata von der Palacky University, der zweite Hauptautor der Studie und ebenfalls Experte für diese Käfergruppe. Die Wissenschaftler entdeckten wichtige gemeinsame Merkmale beider Käferlinien an den Mundwerkzeugen, der Brust und am Hinterleib.
Analyse der Evolution von Käfern
Abgesehen von der Morphologie analysierten die Forscher auch die Evolutionsgeschichte der Käfer. Frühere Modelle hatten nahegelegt, dass die Käfer eine niedrige Aussterberate über ihre lange Evolutionsgeschichte hinweg hatten – auch während der Kreidezeit. Die Forscher lieferten jetzt allerdings eine Liste von fossilen Käfergruppen, die wie die Mysteriomorphidae aus den kreidezeitlichen Bernsteinfunden stammten und das Ende der Kreidezeit nicht überlebt hatten.
Hintergrund: In der Kreidezeit breiteten sich blühende Pflanzen über die ganze Welt aus und ersetzten gleichzeitig die alten Pflanzen in der sich verändernden Umgebung. Diese Ausbreitung der Pflanzen war für viele Tiere mit neuen Möglichkeiten und auch mit der Entwicklung neuer Lebewesen verbunden, zum Beispiel den Bestäubern von Blumen. Dennoch war in den meisten bisherigen Theorien nicht beschrieben worden, dass die Tierarten, die zuvor gut an die alten Arten angepasst waren, unter dem Druck standen, sich an die neuen Ressourcen anzupassen und unter Umständen ausstarben. „Unsere Ergebnisse unterstützen die Hypothese, dass Käfer, aber vielleicht auch einige andere Insektengruppen, während der Zeit der Pflanzenrevolution einen Rückgang ihrer Vielfalt erlitten“, betont David Peris.
Originalpublikation:
David Peris*, Robin Kundrata*, Xavier Delclòs, Bastian Mähler, Michael A. Ivie, Jes Rust & Conrad C. Labandeira: Unlocking the mystery of the mid-Cretaceous Mysteriomorphidae (Coleoptera: Elateroidea) and modalities in transiting from gymnosperms to angiosperms. Scientific Reports; DOI: 10.1038/s41598-020-73724-7 *Equal Contribution

08.10.2020, Karlsruher Institut für Technologie
Artenverlust betrifft Lebensgrundlagen des Menschen
Der aktuelle Artenverlust wirkt sich direkt auf das Leben der Menschen aus, was unter anderem Ernährung, Wasserversorgung, Baustoffe und Energieträger betrifft. Dies belegt das Jena Experiment, eines der größten Experimente zur Biodiversität, an dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) mitgewirkt haben. In der Zeitschrift Nature Ecology & Evolution legt das Jena Konsortium nun dar, dass sich Ökosystemfunktionen nicht allein anhand der Eigenschaften der Pflanzen vorhersagen lassen, sondern dass vielmehr die gesamte Komplexität der biotischen und abiotischen Interaktionen zu berücksichtigen ist. (DOI: 10.1038/s41559-020-01316-9)
Der aktuelle Artenverlust wirkt sich direkt auf das Leben der Menschen aus, was unter anderem Ernährung, Wasserversorgung, Baustoffe und Energieträger betrifft. Dies belegt das Jena Experiment, eines der größten Experimente zur Biodiversität, an dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) mitgewirkt haben. In der Zeitschrift Nature Ecology & Evolution legt das Jena Konsortium nun dar, dass sich Ökosystemfunktionen nicht allein anhand der Eigenschaften der Pflanzen vorhersagen lassen, sondern dass vielmehr die gesamte Komplexität der biotischen und abiotischen Interaktionen zu berücksichtigen ist. (DOI: 10.1038/s41559-020-01316-9)
Die Biodiversität auf der Erde, zu der die Vielfalt der Arten, die genetische Vielfalt innerhalb der Arten und die Vielfalt der Ökosysteme gehören, gewährleistet die Lebensgrundlagen aller Lebewesen und damit auch der Menschen. Denn von der Biodiversität hängen fundamentale Prozesse wie das Pflanzenwachstum und die Stabilität von Stoffkreisläufen ab. Die biologische Vielfalt nimmt aber weltweit kontinuierlich ab. Laut Forscherinnen und Forscher habe dieser Verlust mittlerweile ein besorgniserregendes Ausmaß erreicht. Deshalb befassen sich zahlreiche wissenschaftliche Studien und Experimente mit der Bedeutung der Biodiversität für das Funktionieren von Ökosystemen und ihrem Nutzen für den Menschen.
Artenverlust hat direkte Konsequenzen für die Menschheit
Eines der größten und am längsten laufenden Projekte zur Biodiversität ist das Jena Experiment, von 2002 bis 2019 gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG; Forschungsgruppen FOR 456 und FOR 1451) und koordiniert an der Universität Jena. In dem Experiment haben Forscherinnen und Forscher von verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen Effekte der Biodiversität im Grünland untersucht. Anhand einer umfassenden Quantifizierung von Zyklen wichtiger chemischer Elemente sowie der Untersuchung von über- und unterirdischen Prozessen haben sie die zugrunde liegenden Mechanismen aufgedeckt. Professor Wolfgang Wilcke, Leiter der Arbeitsgruppe Geomorphologie und Bodenkunde am Institut für Geographie und Geoökologie (IFGG) des KIT, und Dr. Sophia Leimer, Wissenschaftlerin in derselben Gruppe am IFGG, haben an dem Experiment mitgewirkt und den Zusammenhang zwischen pflanzlicher Diversität und dem Stickstoff- und Phosphor-Kreislauf erforscht.
„Die Arbeiten des Jena Experiments belegen, dass der aktuelle Artenverlust direkte Konsequenzen für die Menschheit hat“, sagt Wilcke. „Denn dadurch brechen scheinbar selbstverständliche Beiträge der Natur für uns Menschen weg.“ Als Beispiele nennt der Geoökologe die Produktion von Biomasse für Nahrungsmittel, Textilien, Baustoffe und Energieträger sowie die Wasser- und Nährstoffkreisläufe. Deren Veränderung habe schwerwiegende Folgen wie Hochwasser, Dürre oder Grundwasserkontamination. „Um diese Entwicklung aufzuhalten und die Artenvielfalt zu schützen, bedarf es weiterer Forschung sowie praktischer Maßnahmen auf allen Ebenen – vom einzelnen Konsumenten über nationale Regierungen bis hin zu internationalen Gremien“, so Wilcke.
Bedeutung der Biodiversität kann nur mit interdisziplinärer Forschung aufgeklärt werden
In einer Serie von drei Publikationen in der Zeitschrift Nature Ecology & Evolution hat das Jena Konsortium zwischen 2018 und 2020 wichtige Ergebnisse publiziert: Je mehr Ökosystemfunktionen, wie einen geschlossener Nährstoffkreislauf, und daraus resultierende Ökosystemleistungen (zum Beispiel Biomasseproduktion) erreicht werden sollen, desto mehr Pflanzenarten bräuchte man, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Gemeinsam mit dem BioDIV Experiment in den USA fand das Jena-Konsortium außerdem heraus, dass die Ergebnisse der künstlichen Experimente, in denen Pflanzenartenmischungen in der Regel zufällig zusammengesetzt wurden, beständig sind und sich auf die natürliche Welt übertragen lassen.
In der neuesten Publikation kommt das Jena Experiment zu dem Schluss, dass sich Ökosystemfunktionen und -leistungen nicht allein aus den Eigenschaften der Pflanzen vorhersagen lassen. Vielmehr ist die gesamte Komplexität der biotischen und abiotischen Interaktionen eines Ökosystems zu berücksichtigen, das heißt alle Wechselwirkungen in der belebten und der unbelebten Natur.
Publikationen
Meyer, S.T., R. Ptacnik, H. Hillebrand, H. Bessler, N. Buchmann, A. Ebeling, N. Eisenhauer, C. Engels, M. Fischer, S. Halle, A.-M. Klein, Y. Oelmann, C. Roscher, T. Rottstock, C. Scherber, S. Scheu, B. Schmid, E.-D. Schulze, V.M. Temperton, T. Tscharntke, W. Voigt, A. Weigelt, W. Wilcke und W.W. Weisser (2018): Biodiversity-multifunctionality relationships depend on identity and number of measured functions. Nat Ecol Evol 2, 44-49, online veröffentlicht am 27.11.2017, DOI: 10.1038/s41559-017-0391-4
Jochum, M., M. Fischer, F. Isbell, C. Roscher, F. van der Plas, S. Boch, G. Boenisch, N. Buchmann, J.A. Catford, J. Cavender-Bares, A. Ebeling, N. Eisenhauer, G. Gleixner, N. Hölzel, J. Kattge, V.H. Klaus, T. Kleinebecker, M. Lange, G. Le Provost, S.T. Meyer, R. Molina-Venegas, L. Mommer, Y. Oelmann, C. Penone, D. Prati, P.B. Reich, A. Rindisbacher, D. Schäfer, S. Scheu, B. Schmid, D. Tilman, T. Tscharntke, A. Vogel, C. Wagg, A. Weigelt, W.W. Weisser, W. Wilcke und P. Manning (2020): The results of biodiversity-ecosystem functioning experiments are realistic. Nat Ecol Evol, online veröffentlicht am 24.08.2020, DOI: 10.1038/s41559-020-1280-9
van der Plas, F., T. Schröder-Georgi, A. Weigelt, K. Barry, S.T.Meyer, A. Alzate, R.L. Barnard, N. Buchmann, H. de Kroon, A. Ebeling, N. Eisenhauer, C. Engels, M. Fischer, G. Gleixner, A. Hildebrandt, E. Koller-France, S. Leimer, A. Milcu, L. Mommer, P.A. Niklaus, Y. Oelmann, C. Roscher, C. Scherber, M. Scherer-Lorenzen, S. Scheu, B. Schmid, E.-D. Schulze, V. Temperton, T. Tscharntke, W. Voigt, W.W. Weisser, W. Wilcke und C. Wirth (2020): Plant traits alone are poor predictors of ecosystem properties and long-term ecosystem functioning. Nat Ecol Evol, online veröffentlicht am 05.10.2020, DOI: 10.1038/s41559-020-01316-9
Zur neuesten Publikation: https://www.nature.com/articles/s41559-020-01316-9

09.10.2020, NABU
Deutschland wählt den Vogel des Jahres 2021
Zum 50. Jubiläum der Aktion: NABU und LBV rufen zur ersten öffentlichen Wahl des „Vogel des Jahres“ auf
Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und der Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) rufen erstmals die Bevölkerung in Deutschland dazu auf, den „Vogel des Jahres 2021“ selbst zu wählen. Ab sofort kann jeder und jede unter www.vogeldesjahres.de seinen Lieblingsvogel nominieren. Die erste öffentliche Wahl zum 50. Jubiläum der Aktion „Vogel des Jahres“ verläuft in zwei Phasen. Bis zum 15. Dezember werden aus insgesamt 307 Vogelarten die Top-Ten-Kandidaten ermittelt. Hierbei stehen alle in Deutschland brütenden sowie die wichtigsten Gastvogelarten des Landes zur Auswahl. Die zehn von der Bevölkerung meist nominierten Vogelarten gehen dann ab dem 18. Januar ins finale Rennen um den Titel. Am 19. März 2021 verkünden NABU und LBV den ersten öffentlich gewählten Vogel des Jahres.
Leif Miller, NABU-Bundesgeschäftsführer: „Die Bürgerinnen und Bürger können erstmals die Wahl zum Vogel des Jahres selbst in die Hand nehmen. Ob Rotkehlchen, Weißstorch oder Eisvogel – viele Menschen in Deutschland haben einen Lieblingsvogel oder möchten etwas für den Schutz einer bestimmten Art tun. Wir rufen alle dazu auf, sich an dieser Wahl zu beteiligen, denn unsere bedrohte Vogelwelt braucht dringend mehr Aufmerksamkeit.“
Dr. Norbert Schäffer, LBV-Vorsitzender: „Der Vogel des Jahres ist seit einem halben Jahrhundert eine Erfolgsgeschichte von NABU und LBV. Besonders in Zeiten, in denen Menschen die Natur vor der eigenen Haustüre wieder entdecken, steigt das Interesse an der heimischen Vogelwelt und Artenvielfalt. Ganz Deutschland ist nun eingeladen, bei der Wahl zum Vogel des Jahres mitzumachen. Hierfür braucht es keine besonderen Vorkenntnisse, nur den einen Vogel, der einem am Herzen liegt. Wir sind gespannt auf Ihre Vorschläge.“
Rund 45 Prozent der heimischen Brutvogelarten stehen auf der „Roten Liste gefährdeter Arten“, sieben weitere Prozent auf der entsprechenden Vorwarnliste. Besorgniserregend ist vor allem die Situation von Kiebitz, Rebhuhn und Feldlerche sowie vieler anderer Vogelarten in der Agrarlandschaft. Deutschland verzeichnet seit 1980 bei den Feldvögeln eine Bestandsabnahme von 34 Prozent. Mehr als zehn Millionen Vogelbrutpaare sind damit bereits von den Wiesen und Feldern Deutschlands verschwunden.
Lars Lachmann, NABU-Vogelschutzexperte, zu den Gründen: „Die Intensivierung der Landwirtschaft schreitet ungebremst voran. Immer mächtigere Maschinen auf immer größeren Feldern lassen den Vögeln immer weniger Lebensraum. In den riesigen leergeräumten Monokultur-Landschaften finden sie keine Nahrung mehr, selbst Feld- und Wegränder werden immer kleiner. Wir brauchen dringend eine andere Form der Landwirtschaft, um die Feldvögel zu retten.“ Auch viele weitere Vogelarten kämpfen mit Problemen. So verliert der Mauersegler zum Beispiel bei der unbedachten Renovierung von Gebäuden seine Brutplätze und die Klimaerwärmung lässt den Lebensraum des Alpenschneehuhns schrumpfen.
Auf der Aktionsseite www.vogeldesjahres.de stehen 307 Vogelarten zur Wahl. Zudem gibt es dort ein Live-Ranking zur Wahl. Wer seinen Vogelkandidaten noch mehr unterstützen möchte, kann mithilfe der Aktionsplattform online oder offline Wahlkampf betreiben. Der „Vogel des Jahres“ wurde in Deutschland erstmals im Jahr 1971 und bislang aus einem Gremium aus Fachleuten von NABU und LBV gekürt.
Mehr Infos und Teilnahme an der Abstimmung: www.vogeldesjahres.de

09.10.2020, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Ein Frosch erobert Galápagos: Invasive Froschart im Nahrungsnetz der Inselgruppe untersucht
Dresden, 09.10.2020. Senckenberg-Wissenschaftler Raffael Ernst hat zusammen mit Kolleg*innen der „Charles Darwin Foundation“ und einem internationalen Team die Rolle des Knickzehenlaubfroschs Scinax quinquefasciatus im Nahrungsnetz des Galápagosarchipels untersucht. Der Frosch wurde Ende der 1990er-Jahre auf die Inselgruppe eingeschleppt und breitet sich seitdem dort aus. Die Wissenschaftler*innen zeigen in ihrer heute im Fachjournal „NeoBiota“ erschienenen Studie, dass die eingeschleppten Frösche keine natürlichen Feinde haben, die den Bestand maßgeblich verringern könnten. Das Team empfiehlt daher die Auswirkungen auf die endemische Insel-Fauna weiterhin zu beobachten.
„Ich habe große Mühe auf mich genommen, und ich finde die Annahme bestätigt, dass Frösche, Kröten und Molche auf den meisten ozeanischen Inseln fehlen“ – so stellte es Charles Darwin im bekannten Werk „On the Origin of Species“ fest. Lange Zeit galt die Beobachtung des berühmten Naturforschers auch für die mit ihm so eng verbundenen Galápagosinseln. „Erst die Ankunft des Knickzehenlaubfroschs Scinax quinquefasciatus in den Jahren 1997 oder 1998 auf der Inselgruppe änderte dies“, erklärt Dr. habil. Raffael Ernst von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden und fährt fort: „In unserer Studie haben wir die Interaktionen dieses Neuankömmlings mit der heimischen, überwiegend endemischen Fauna auf Galapagos untersucht.“
Ernst und seine Kolleg*innen wollten wissen, wie sich der eingewanderte etwa 33 bis 38 Millimeter große Frosch im Nahrungsnetz der Inselfauna verhält. „Sozusagen eine Studie zum Fressen und Gefressen werden“, ergänzt Ernst. Zu diesem Zweck untersuchten die Forschende 228 Frosch-Mägen, die sie während einer Expedition im Jahr 2017 gesammelt hatten. „Insgesamt konnten wir elf verschiedene Gruppen von Wirbellosen in den Mägen der Frösche identifizieren. Mit 60 Prozent machen Schmetterlinge den größten Anteil der Beutetiere aus, darüber hinaus fanden wir unter anderem Schaben-, Spinnentier- und Heuschrecken-Überreste“, erläutert Ernst und fügt hinzu: „Die Frösche haben keine besonderen Nahrungspräferenzen – sie fressen einfach was lokal am häufigsten vorhanden ist.“
In einem zweiten Schritt schaute das Team auf wessen Speiseplan der Frosch stehen könnte und wurden beim endemisch auf den Inseln lebenden Schwimmkäfer Thermonectus basillarus galapagoensis fündig. „Die Larven der Käfer ernähren sich auch von den Kaulquappen der Frösche. Wir wollten wissen, ob dies zu einer natürlichen Regulierung der Froschbestände führen könnte“, so Ernst. Hierfür führten die Wissenschaftler*innen kontrollierte Räuber-Beute-Experimente durch. Diese zeigen, dass die Käferlarven in der Regel bereits „gesättigt“ sind bevor die angebotenen Kaulquappen vollständig gefressen wurden. „Dieses Ergebnis zeigt uns, dass die Käfer die Bestände des invasiven Froschs nicht nachhaltig eindämmen können. Dessen Ausbreitung und die Auswirkung auf das Ökosystem sollte demnach weiterhin sorgfältig beobachtet werden“, schließt Ernst.
Originalpublikation:
Moretta-Urdiales MM, Ernst R, Pontón-Cevallos J, Bermúdez R, Jäger H (2020) Eat and be eaten: trophic interactions of the introduced frog Scinax quinquefasciatus in anthropogenic environments in Galápagos. NeoBiota, doi: 10.3897/neobiota.61.53256

09.10.2020, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Eine Million Datensätze zur Erforschung mariner Mikrofossilien am Naturkundemuseum Berlin
Eine aktuelle Studie in der renommierten Fachzeitschrift Science nutzt eine Datenbank für marine Mikrofossilien mit fast einer Million Datensätzen, die vom Museum für Naturkunde in Berlin erstellt und betrieben wird. Diese Studie ist ein Beispiel dafür, wie das Forschungsmuseum seine Infrastruktur global in die aktuelle Forschung einbringt, die zunehmend durch Analysen großer Datenmengen vorangetrieben wird.
Die Menschheit verändert die Ökosysteme der Erde dramatisch: durch Landnutzung und Zerstörung der Habitate, Jagd und Fischerei, Umweltverschmutzung und Klimawandel. In vielen Teilen der Welt verändert sich daher auch die Zusammensetzung der Arten und es entstehen neue, noch nie dagewesene Artengemeinschaften. Doch sind diese neuen biologischen Gemeinschaften stabil? Oder werden sie bald zerfallen, wodurch möglicherweise die Funktion der Ökosysteme oder das Überleben der Arten selbst gefährdet wird?
Um diese Fragen zu beantworten, untersuchten Forschende aus Australien und Deutschland die Entstehung neuer Zusammensetzungen von Arten in Ökosystemen und ihre Stabilität anhand der fossilen Aufzeichnungen von Meeresplankton. Eine nahezu ununterbrochene Abfolge von fossilen Zusammensetzungen über Millionen von Jahren blieb erhalten. Diese Fossilien wurden über viele Jahrzehnten erforscht und die Ergebnisse in hunderten wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht. Glücklicherweise brauchte das Forschungsteam diese umfangreiche Literatur nicht selbst zu synthetisieren. Stattdessen stützten sie sich auf eine einzigartige Datenbank, die dies bereits getan hat: die NSB-Datenbank für marine Mikrofossilien, die vom Museum für Naturkunde in Berlin erstellt und betrieben wird. Diese Datenbank synthetisiert die Vorkommen von tausenden fossilen Arten aus hunderten von Tiefseesedimentabschnitten – insgesamt fast eine Million Datensätze.
Die Ergebnisse der Studie, die kürzlich in der renommierten Zeitschrift Science veröffentlicht wurden, waren aufschlussreich. Neuartige Zusammensetzungen von Arten sind in der geologischen Vergangenheit nur selten aufgetaucht, aber wenn, dann hatten sie die Tendenz, sich rasch in andere ungewöhnliche Kombinationen umzuwandeln. Neuartige Zusammensetzungen von Arten waren auch mit einem merklich höheren Risiko des Artensterbens verbunden. Dies deutet darauf hin, dass die heute auftretenden neuartigen Kombinationen auch zu weiteren neuartigen Kombinationen von Arten führen können, wodurch die darin enthaltenen Arten möglicherweise einem höheren Risiko des Aussterbens ausgesetzt sind.
Diese Studie ist ein Beispiel dafür, wie das Museum für Naturkunde Berlin Ressourcen und eine moderne Forschungsinfrastruktur in die weltweite, aktuelle Forschung einbringt, die zunehmend durch Analysen großer Datenmengen vorangetrieben wird. „Der NSB-Datensatz bot den idealen Rahmen, nicht nur, um unsere Vorstellungen über die Entstehung neuartiger Artkombinationen zu testen, sondern auch, um verschiedene Ansätze zu erforschen, wie wir diese überhaupt identifizieren können“, sagte John Pandolfi vom ARC Centre of Excellence for Coral Reef Studies und der University of Queensland, der die Studie leitete. „Der NSB-Datensatz ist einzigartig und stellt nach wie vor die wichtigste Ressource für die Durchführung von Langzeitstudien über das Plankton des globalen Ozeans dar.“
Das Museum für Naturkunde Berlin beherbergt viele andere große wissenschaftliche Datenbanksysteme, die in einem breiten Spektrum der Forschung eingesetzt werden, oder trägt zu diesen bei. Die NSB-Datenbank wird zum Beispiel von Forschenden weltweit für Studien über Ökologie, Evolution und Klimawandel genutzt. Über Internetverknüpfungen trägt sie wesentliche Informationen zur Erforschung der Taxonomie von für Mikrofossilien und Biodiversitäts-Referenzdatenbanken bei.
Weitere Informationen über die Datenbank finden Sie hier: nsb-mfn-berlin.de
Science paper: https://science.sciencemag.org/content/370/6513/220

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