Tiere in den kolonialen Bildwelten der europäischen Moderne
Löwen, Elefanten, Okapis, Giraffen und Strauße – Tiere aus Kolonialgebieten bevölkerten die Bildwelten der europäischen Moderne um 1900. Sie waren Ausdruck eines sich im Zuge der Industrialisierung, Nationalstaatenbildung und imperialen Expansion wandelnden Verhältnisses europäischer Gesellschaften zu menschlichen und nicht-menschlichen Lebewesen sowie zur Natur. Während einige Wissenschaftler*innen, Großwildjäger*innen und Künstler*innen in europäische Kolonien reisten, um Tiere zu studieren, zu malen und auf Film zu bannen, oder als Jagdtrophäen, Präparate und Exponate heimzuholen, bekam ein Großteil der Bevölkerung diese vor allem in Zoologischen Gärten, Zirkussen und Museen zu Gesicht, zunehmend aber auch in der visuellen Alltagskultur, etwa in Werbebildern, Filmen oder Comics.
Diese Tierbilder vermittelten zentrale koloniale Botschaften und etablierten in ihren verschiedenen Inszenierungsweisen kategoriale Unterschiede zwischen ‚Kultur‘ und ‚Natur‘, ‚Zivilisation‘ und ‚Wildnis‘, ‚Eigenem‘ und ‚Fremdem‘. Indem Menschen aus Kolonialgebieten visuell in die Nähe von Tieren gerückt wurden, wurden sie exotisiert und dehumanisiert. Tierbildern kommt in diesem Zusammenhang bis heute eine wesentliche, bislang noch kaum erforschte Funktion in der Prägung westlich-hegemonialer Blickregimes und Denkbilder sowie der damit einhergehenden kolonial-rassistischen Gewaltausübung zu.
Der vorliegende Band bringt eine Reihe interdisziplinärer Beiträge zusammen, die sich erstmals aus kunst-, kultur- und wissenschaftshistorischer Perspektive mit jenen Tierbildern beschäftigen, die im kolonialen Kontext der Moderne entstanden sind. Die Beiträge verhandeln die Frage, wie Bilder von ‚exotischen‘ Tieren in unterschiedlichsten Medien – von der bildenden Kunst über die Illustration, die Fotografie und den Film bis hin zur Inszenierung in Museum und Zoo – spezifische koloniale Narrative verbreiteten und damit zur Popularisierung rassistischer, orientalisierender wie auch patriarchaler Vorstellungen und Sichtweisen beitrugen.
Mit Beiträgen von Chanelle Adams, Claire Brizon, K. Lee Chichester, Sarah Csernay, Ibou Coulibaly Diop, Frauke Dornberg, Chisom Duruaku, Noémie Étienne, Wolfgang Fuhrmann, Priska Gisler, Oliver Hochadel, Chonja Lee, Kristina Lowis, Christina Thomson, Étienne Wismer, Stephanie Zehnle und Joachim Zeller.
Tiere aus Kolonialgebieten bevölkerten die Bildwelten Europas um 1900 in zunehmendem Maße. Sie waren u. a. beliebte Motive in der Plakatwerbung, in Filmen und Trophäensammlungen, aber auch auf Sammelbildern und Postkarten, in der Literatur, auf Gemälden und in der Bildhauerei. Abbildungen (wobei es keine Rolle spielte ob es sich um Fotografien oder Illustrationen handelte) von Tieren waren beliebt und schürten das Fernweh der Europäer. Großwildjäger waren in Afrika mit Flinte und Kamera unterwegs und schossen Tiere (nicht nur die Big 5) um unbekannte Tiere und spektakuläre Aufnahmen zu zeigen, immer zum Schaden der Tiere, die oft als Präparate in europäischen Museen endeten.
Diese Ausgabe der TIERSTUDIEN aus dem Neofelis-Verlag mag auf den ersten Blick wie ein Katalog zu einer Ausstellung klingen, wurde jedoch durch eine Tagung („Koloniale Tiere? Tierbilder im Kontext des Kolonialismus“) inspiriert, welche am 15. und 16. Oktober 2021 am Kunstmuseum Bern stattfand. Einige der Beiträge dieser Tagung sind in erweiterter Form auch in KOLONIALE TIERE? zu lesen.
Auch wenn sich dieser Band mit der Vergangenheit befasst so sind auch heute noch Spuren dieser Kolonialzeit zu spüren. Mögen „exotische“ Tiere in der Werbung bedeutungslos geworden sein, so wird man in der Darstellung in Zoos auch heute noch (teilweise in verstärkter Weise) die koloniale Vergangenheit erkennen.
KOLONIALE TIERE? bietet historische Einblicke in die Vergangenheit, kritisch beleuchtet, lädt aber auch zum Nachdenken ein, was die Darstellung von Tieren in der heutigen Zeit bedeutet.
(Rezensionsexemplar)