Die Sonnenralle in Brehms Tierleben

Sonnenralle (Brehms Tierleben)

Kopf und Nacken der Sonnenralle (Eurypyga solaris, helias und phalenoides, Helias oder Heliornis solaris) sind schwarz, ein Augenbrauenstreifen und ein zweites Band, welches vom Schnabelwinkel nach dem Hinterhalse verläuft, Kinn und Kehle weiß, die Federn des Rückens, der Schultern und die Oberarmfedern auf schwarzem Grunde roströthlich quer gestreift, die Bürzel- und oberen Schwanzdeckfedern schwarz und weiß, die Halsfedern braun und schwarz gebändert, die der Untertheile gilblich oder bräunlichweiß, die Schwingen hellgrau, weiß und schwarz gemarmelt und braun gebändert, die Schwanzfedern ähnlich gezeichnet und durch die schwarze, nach der Wurzel zu braun gesäumte, breite Endbinde noch besonders geziert. Eine genauere Beschreibung des Gefieders läßt sich, ohne sehr weitschweifig zu werden, wegen der Mannigfaltigkeit der Zeichnung und Färbung nicht geben. Das Auge sieht roth, der Schnabel wachsgelb, der Fuß strohgelb aus. Die Länge beträgt ungefähr zweiundvierzig Centimeter.

Erst durch die neueren Reisenden haben wir einiges über das Freileben der Sonnenralle erfahren, durch die Thiergärten zu London und Amsterdam auch das Gefangenleben genauer kennen gelernt. Der Vogel, welcher nicht ganz mit Unrecht mit einem großgefiederten Schmetterlinge verglichen wurde, lebt im nördlichen Südamerika von Guayana bis Peru und von Ecuador bis zur Provinz Goyas in Mittelbrasilien, an der Meeresküste oder an Flußufern, besonders häufig am Orinoko, Amazonenstrome und den Flüssen Guayanas.

»Das reizende, grau, gelb, grün, schwarz, weiß und braun gemischte Gefieder«, sagt Schomburgk, »macht die Sonnenralle zu einem der schönsten dieser an glänzenden Vögeln so reichen Gegend, namentlich wenn sie Flügel und Schwanz, gleich einem Truthahne, ausbreitet und in den Sonnenstrahlen spiegeln und schillern läßt. Sie kommt in den Wäldern an sonnigen Stellen, besonders aber an den Ufern der Flüsse, doch immer nur einzeln, seltener paarweise vor. Ihre Nahrung bilden Fliegen und andere Kerbthiere, welche sie mit solcher Gewandtheit verfolgt, daß sie ihr selten entfliehen. Immer in Bewegung und den Kopf nach allen Seiten wendend, sucht sie auf dem Boden und auf den Blättern des niedrigen Gesträuches ihre Beute. Hat ihr scharfes Auge ein Kerbthier entdeckt, dann zügelt sie augenblicklich ihren Schritt, schreitet langsam heran und dehnt plötzlich den Hals zu solcher Länge aus, daß sie schnell das ihre Nähe kaum ahnende Thier ergreift und verschluckt«. Nach Bates soll der Vogel am Amazonenstrome häufig sein, aber nicht oft bemerkt werden, weil es schwierig ist, ihn in dem buntfarbigen Gelaube zu entdecken und man nur durch seinen Lockton, ein sanftes, langgetragenes Pfeifen, zu ihm hingeleitet wird. Auch Weddell sagt, daß man ihn nicht oft zu sehen bekäme, aber nicht, weil er selten, sondern weil er sehr scheu wäre. Wer seine Stimme nachzuahmen versteht, lockt ihn bis tief ins Innere der Wälder. Am häufigsten begegnet man ihm, nach Goudot, in der Dämmerung; denn erst um diese Zeit wird er lebendig. Diese Angabe steht mit den vorher angegebenen Berichten im Widerspruche, erscheint mir jedoch begründet.

Castelnau schildert die Sonnenralle als wild und bösartig, in Wesen und Sitten also den Reihern ähnlich. Wenn man sich ihr naht, lüftet sie die Flügel und legt sich zur Vertheidigung aus, springt auch wohl wie eine Katze auf die Maus gegen den Feind los. Trotzdem muß sie sich leicht fangen und zähmen lassen, da man sie in allen Niederlassungen der Indianer und auch auf den Höfen der in ihrer Heimat angesessenen Europäer gezähmt findet und als besonderen Liebling hochachtet. Am Amazonenstrome nennt man sie »Pavaone« oder Pfau und gebraucht dieses Wort auch als Rufnamen; denn einen solchen erhält die gefangene, weil sie ihrem Gebieter wie ein Hund folgen lernt. Plaza sah in Saraycou eine, welche zweiundzwanzig Jahre in der Gefangenschaft gelebt hatte, und Schomburgk und Bates berichten übereinstimmend, daß man gerade der leichten Zähmbarkeit und Ausdauer halber diesen Vogel so gern hält. Die meisten gefangenen laufen frei umher, mischen sich nach Belieben unter das Geflügel des Hofes, verkehren ohne Furcht mit den Hunden, unterscheiden aber sehr wohl zwischen fremden Thieren und ziehen sich auch vor unbekannten Leuten scheu zurück. Mit Vergnügen sieht man, wie sie in Flur und Zimmer, vor und auf dem Hause ihrer Kerbthierjagd obliegen. Bates versichert, daß sie sich zum Spielzeuge der Kinder hergeben, wenn man sie ruft, antworten und herbeikommen, um das ihnen durch das Rufen angezeigte Futter aus der Hand zu nehmen.

Die gefangenen Sonnenrallen, welche ich in den Thiergärten zu London und Amsterdam sah, machen einen durchaus eigenartigen Eindruck auf den Beschauer. In mancher Hinsicht erinnern sie allerdings an die Reihervögel, im allgemeinen aber mehr an die Rallen; doch gleichen sie weder den einen noch den anderen. Bei ruhigem Gange tragen sie den Leib wagerecht, den Hals zusammengezogen und die Flügel etwas gelüftet, bei schnellerem Laufe legen sie das Gefieder so glatt an, wie es ihnen möglich. Der Gang ist schleichend und äußerst bedächtig, der Flug weich und sonderbar flatternd, dem eines langsamen Schmetterlinges wirklich nicht unähnlich, dem eines bei Tage aufgescheuchten Ziegenmelkers ebenfalls vergleichbar. Die Schwingen und das Steuer scheinen für die Last des Leibes viel zu groß zu sein, daher die Weichheit der Bewegung. Keiner der mir bekannten Reisenden spricht sich ausführlich über den Flug aus; demungeachtet glaube ich, nach dem, was ich beobachtet habe, mit Sicherheit schließen zu können, daß die Sonnenralle nicht im Stande ist, in hoher Luft dahin zu fliegen, daß jeder heftige Luftzug sie auf den Boden herabschleudern muß.

Ueber die Fortpflanzung berichtet zuerst Goudot. Das Nest steht stets über der Erde, auf Bäumen, in einer Höhe von zwei Meter über dem Boden. Zwei Eier, welche auf blaß mennigrothem Grunde mit mehr oder weniger großen Flecken und einzelnen Punkten von dunkelbrauner Färbung gezeichnet sind, bilden das Gelege. Die Jungen verlassen das Nest im August. Zur allgemeinen Freude der Naturkundigen gaben die gefangenen des Londoner Gartens im Jahre 1865 Gelegenheit, genaueres festzustellen. Ein Paar dieser Vögel wurde im September 1862 gekauft und gewöhnte sich leicht an die veränderten Verhältnisse. Im Mai des erstgenannten Jahres zeigte es Lust zum Brüten, indem es Stöcke, Wurzeln, Gras und andere Stoffe umhertrug. Dabei sah man beide häufig rund um das Trinkbecken gehen, augenscheinlich in der Absicht, hier Neststoffe zu suchen, oder gefundene einzuweichen. Dies brachte Bartlett auf den Gedanken, ihnen Lehm und Schlamm zu geben. Sie bemächtigten sich sofort dieser Stoffe, erwählten einen Baumstrunk von ungefähr drei Meter Höhe über dem Boden, auf welchem ein altes, künstliches Strohnest befestigt war, und trugen nun den mit Stroh, Wurzeln und Gras vermischten Lehm dahin, pflasterten das Innere des Nestes aus und erhöhten seine Seitenwände. Eines Morgens brachte der Wärter die Bruchstücke eines Eies, welche er am Boden unter dem Neste gefunden hatte und der Sonnenralle zuschrieb. Bartlett fand zu seiner Ueberraschung, daß sie den Eiern eines Teichhuhnes oder der Waldschnepfe ähnlich waren, und glaubte, weil ein Purpurhuhn mit jenem in demselben Käfige lebte, die Richtigkeit der Aussage des Wärters bezweifeln zu können, nahm jedoch das Purpurhuhn weg und überließ die Sonnenrallen sich selbst. Zu Anfange des Juni lenkte der Wärter die Aufmerksamkeit seines Vorgesetzten auf ein anderes Ei, welches im Neste lag; Bartlett besichtigte dasselbe und sah, daß es mit jenen Splittern durchaus übereinstimmte. Beide Alten zeigten sich sehr besorgt um das Ei und brüteten abwechselnd siebenundzwanzig Tage lang. Am neunten Juni schlüpfte das Junge aus; am folgenden Tage wurde es besichtigt und eine Zeichnung von ihm genommen. Es blieb im Neste sitzen und wurde abwechselnd von beiden Eltern mit Kerbthieren und kleinen lebenden Fischen geatzt, und zwar ganz in derselben Weise wie junge Ibisse. Am zweiten Tage seines Lebens war es so weit flügge, daß es bis auf den Boden herabflattern konnte, und nunmehr blieb es hier, ohne jemals ins Nest zurückzukehren. Sein Wachsthum geschah so schnell, daß es bereits nach zwei Monaten von den alten nicht mehr unterschieden werden konnte. Im August begannen die alten Vögel das Nest wieder herzurichten, indem sie eine frische Schicht von Schlamm und Lehm auftrugen; zu Ende des August legten sie ein anderes Ei. Diesmal unterzog sich das Männchen dem Geschäfte der Bebrütung mit größerer Sorgfalt und regerem Eifer als seine Gattin, welche immer noch mit der Ernährung des ersten Jungen zu thun hatte. Am achtundzwanzigsten September entschlüpfte das zweite Junge. Doch schienen nunmehr beide Alten dem er sten größere Sorgfalt als dem Nachgeborenen zuzuwenden, so daß der Wärter, fürchtend, der kleine Bursche möge unter der Vernachlässigung leiden, zu Hülfe kommen mußte. Das Nestjunge gewöhnte sich auch bald an den menschlichen Pflegevater, und es gelang, dasselbe ebenfalls groß zu ziehen. Aus der von Bartlett gegebenen Abbildung ersieht man, daß das Dunenkleid auf der Oberseite braunrostfarben und gelblichweiß längs und quer gestreift und gefleckt, auf der Unterseite hingegen, bis auf wenige weiße und braune mondförmige Flecke, einfarbig ist.

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