Die Graugans, Wild-, Stamm-, März- oder Heckgans (Anser cinereus, vulgaris, sylvestris, ferus und palustris, Anas anser), welcher wir unsere Hausgans verdanken, ist auf dem Rücken bräunlichgrau, auf der Unterseite gilblichgrau, infolge einzelner schwarzer Federn spärlich und unregelmäßig gefleckt; die kleinen Flügeldeckfedern sind rein aschgrau, die Bürzel-, Bauch- und Unterschwanzdeckfedern weiß gefärbt, alle übrigen der Oberseite fahlgrau, die der Brust- und Bauchseiten vor dem hell fahlgrauen Spitzensaume dunkel fahlgrau, die Schwingen und Steuerfedern schwarzgrau, weiß geschaftet, letztere auch weiß an der Spitze. Das Auge ist lichtbraun, der Schnabel an der Wurzel blaß fleischroth, am Spitzennagel wachsgelb, der Fuß blaß fleischroth. Die Länge beträgt achtundneunzig, die Breite einhundertundsiebzig, die Fittiglänge siebenundvierzig, die Schwanzlänge sechzehn Centimeter.
Die Graugans ist die einzige von den bei uns vorkommenden Arten, welche in Deutschland brütet; denn sie gehört mehr den gemäßigten Strichen als dem hohen Norden an. In Lappland habe ich sie allerdings noch unter dem siebzigsten, am unteren Ob noch unter dem neunundsechzigsten Grade der nördlichen Breite, hier wie dort aber wahrscheinlich an der nördlichen Grenze ihres Verbreitungsgebietes bemerkt. Von Norwegen an erstreckt sich letzteres in östlicher Richtung durch ganz Europa und Asien bis zum äußersten Osten dieses Erdtheiles; nach Süden hin bildet ungefähr der fünfundvierzigste Grad die Grenze des Brutkreises. Gelegentlich ihres Zuges besucht sie alle Länder Südeuropas und ebenso Nordchina und Nordindien, streicht auch zuweilen bis in die Mitte des letzteren Landes und andererseits vielleicht bis nach Nordwestafrika hinab; doch ist sie in den südlicheren Theilen ihres Zuggebietes allerorten seltener als die verwandten Arten, obwohl diese während des Sommers den höheren Norden bewohnen. In Deutschland erscheint sie zu Ende des Februar oder im Anfange des März, also schon vor der eigentlichen Schneeschmelze, in Familien oder kleinen Gesellschaften, verkündet durch fröhliches Schreien ihre Ankunft, läßt sich am Brutorte nieder und beweist hier durch ihr Betragen, daß sie bereits heimisch ist, wenn sie ankommt. Sobald zu Ende des Juli die Mauser vollendet ist, denkt sie an die Abreise, zieht aber, anfänglich wenigstens, sehr gemächlich ihres Weges dahin, gleichsam nur, um der nach ihr erscheinenden Saatgans Platz zu machen. Auf der Reise selbst vereinigt sie sich selten zu zahlreicheren Scharen; in den meisten Fällen halten sich nur die Eltern mit ihren erwachsenen Kindern zusammen.
In früheren Jahren brüteten die Graugänse an allen größeren stehenden Gewässern unseres Vaterlandes; gegenwärtig trifft man noch einzelne Paare in den ausgedehnten Brüchen Nord- und Ostdeutschlands, die meisten wohl in Pommern und Ostpreußen an. Sümpfe, welche hier und da mit ausgedehnten Wasserflächen abwechseln oder solche umschließen, einen moorigen Boden haben und schwer zugängliche, mit Gras, Rohr und Gesträuch bewachsene Inseln umgeben, werden bevorzugt. Auf jenen Inseln versammeln sich bei ihrer Ankunft die Paare, um auszuruhen, und auf ihnen findet man später die Nester.
Die Nachkommen der Graugans, unsere Hausgänse, haben wenig von dem Wesen und den Eigenthümlichkeiten ihrer Stammeltern verloren; letztere tragen sich aber, wie alle wilden Thiere, stolzer, bewegen sich rascher und machen so einen etwas verschiedenen Eindruck auf den Beobachter. Sie gehen sehr rasch und zierlich, viel leichter und behender als die Hausgans, schwimmen gut, tauchen bei großer Gefahr in gewisse Tiefen, benehmen sich jedoch auf dem Wasser minder gewandt als auf dem Lande. Der Flug ist recht gut, zwar nicht so leicht und schön wie der verwandter Arten, aber doch ausdauernd und immerhin rasch genug. Beim Aufstehen verursacht der heftige Flügelschlag ein polterndes Getöse, beim Niederlassen vernimmt man ein ähnliches Geräusch, zu welchem sich das Rauschen des Wassers gesellt, wenn die Gans auf dessen Spiegel sich niederläßt. Wenn ein Paar kürzere Entfernungen durchmessen will, erhebt es sich selten in bedeutendere Höhen, wie es sonst regelmäßig geschieht; das Weibchen pflegt dann dem Männchen vorauszufliegen, während letzteres bei der Wanderung ebensogut wie jenes die Spitze der Keilordnung einnimmt. Die Lockstimme ist ein lautes »Gahkahkakgak«, welches oft rasch nacheinander wiederholt wird und, wenn sich die Geschlechter gegenseitig antworten, in »Gihkgack« übergeht; die Unterhaltungslaute klingen wie »Tattattattattat«, die Ausrufe hoher Freude wie »Täng«; im Schreck hört man das langgezogene »Kähkahkak, kahkak, kakakakahkak«; im Zorne zischen beide: alles genau ebenso, wie wir es von der Hausgans zu hören gewohnt sind. Das Gebaren beweist den scharfen Verstand der Graugans. Vorsichtig und mißtrauisch zeigt sie sich stets; nur am Brutplatze hält sie bei Ankunft eines Menschen länger aus als sonst, und die Liebe zur Brut läßt sie selbst augenscheinliche Gefahren vergessen; in der Regel aber unterscheidet sie den Schützen doch sehr wohl von dem Hirten oder Bauer, oder den gefährlichen Mann von dem ungefährlichen Weibe. Verfolgung macht sie bald ungemein vorsichtig, und eine schlimme Erfahrung wird nie wieder vergessen. Eigentlich gesellig kann man sie nicht nennen. »Niemals«, sagt Naumann, »ist uns ein Beispiel vorgekommen, daß eine Graugans mit anderen Gänsearten geflogen wäre, ja der Saatgans scheint sie ganz besonders abhold; denn wenn diese im September in der Gegend anlangen, wo Graugänse brüten, machen ihnen letztere sogleich Platz und verschwinden dann von da. Nur die Hausgänse dürfen sich ihrer Zuneigung erfreuen, indem sie auf den Weideplätzen sich diesen oft nähern, ja einzeln sich nicht selten unter sie mischen. Von solchen ist manchmal vorgekommen, daß sie sich mit der zahmen Herde nach dem Dorfe treiben ließen und erst entflohen, als sie eben in dasselbe eintreten sollten, und da sie immer wieder kamen, das Eintreiben zwar ohne Erfolg, doch mehrere Tage nacheinander wiederholt versucht werden konnte. Ebenso hat es sich ereignet, daß ein einzelnes Männchen der wilden in der Herde der zahmen eine Liebelei anknüpfte, Gehör fand, seine Geliebte öfter besuchte und endlich sich mit ihr begattete.« So wenig nun die Graugans mit fremdem Geflügel sich befaßt, so treu halten die Familien zusammen. Bis zum Frühjahre trennen diese sich nicht, wandern zuweilen noch auf dem Rückzuge zusammen und vereinzeln sich erst, wenn die Alten von neuem zur Brut schreiten.
Sogleich nach der Ankunft im Frühjahre wählen sich die verbundenen Paare passende Stellen zur Anlage ihres Nestes oder beginnen die zweijährigen Jungen ihre Werbungen um die Gattin, während die noch nicht fortpflanzungsfähigen gesellschaftlich an anderen Stellen des Sumpfes sich umhertreiben. Ein Paar brütet in nicht allzugroßer Entfernung von dem anderen, behält aber doch ein gewisses Gebiet inne und duldet keine Ueberschreitung desselben. Der Gansert umgeht die Gans in stolzer Haltung, schreit, nickt mit dem Kopfe, folgt ihr überall auf dem Fuße nach, scheint eifersüchtig ihre Schritte zu bewachen, bekämpft muthig jedes unbeweibte Männchen, welches eine Tändelei mit der rechtmäßigen Gattin versucht, und ist sorgsam für die Sicherheit derselben bedacht. Zwei Gegner packen sich mit den Schnäbeln an den Hälsen und schlagen mit den Flügeln so heftig auf einander los, daß man den Schall auf weithin vernimmt. »Die Weibchen stehen gewöhnlich dicht daneben und schwatzen unter Verneigung des ausgestreckten Halses eifrig drein, wobei sich jedoch nicht deuten läßt, ob ihr hastiges und wiederholtes ›Taahtahtat, tahtat, tatatat‹ den Kämpfern zureden oder sie abmahnen oder beschwichtigen soll.« Nachdem die Paarung wiederholt vollzogen worden, beschäftigt sich die Gans, für deren Sicherung der sie auf Schritt und Tritt begleitende, nicht aber auch ihr helfende Gansert Sorge trägt, eifrig mit dem Herbeitragen verschiedener Neststoffe. Zuerst werden die zunächst liegenden zusammengelesen, später zum oberen Ausbaue andere sorgsam gewählt und oft von fernher zugetragen. Dicke Stengel, Halme, Blätter von Schilf, Rohr, Binsen usw. bilden den unordentlich und locker geschichteten Unterbau, feinere Stoffe und eine dicke Dunenlage die Auskleidung der Mulde. Aeltere Weibchen legen sieben bis vierzehn, jüngere fünf bis sechs etwa neun Centimeter lange, sechs Centimeter dicke, denen der Hausgans gleichende, glattschalige, glanzlose, etwas grobkörnige Eier von grünlichweißer oder trübgilblicher Färbung. In den Nestern älterer Paare findet man bereits im Anfange des März das erste Ei und um die Mitte des Monates, spätestens zu Ende desselben, die Mutter brütend. Sowie sie sich dazu anschickt, rupft sie sich alle Dunen aus, bekleidet mit ihnen den inneren Rand des Nestes und bedeckt auch, so oft sie sich entfernt, sorgsam die Eier. Am achtundzwanzigsten Tage der Bebrütung entschlüpfen die Jungen, werden noch etwa einen Tag lang im Neste festgehalten, dann auf das Wasser geführt und zum Futtersuchen angeleitet. Teichlinsen, Wassergräser und dergleichen bilden ihre erste Nahrung; später werden Wiesen und Felder besucht. Abends kehrt alt und jung noch zum Neste zurück; nach ungefähr zwei Wochen wird dieses für die inzwischen heranwachsenden Jungen zu klein, und letztere nehmen nun hier oder da, dicht neben der Mutter hingekauert, ihre Schlafstelle ein. Die Wachsamkeit des Ganserts steigert sich, nachdem die Jungen ausgeschlüpft sind. Die Mutter geht oder schwimmt der Familie voran, die zusammengedrängten Jungen folgen, der Vater deckt gewissermaßen den Rückzug. Bei Gefahr gibt er zuerst das Zeichen zur Flucht. »Es gewährt dem Naturfreunde«, schildert Naumann, »in der That ein hohes Vergnügen, an einem schönen Maiabende, wohl versteckt, solche Gänsefamilien zu belauschen, wenn bei Sonnenuntergange eine wie die andere an verschiedenen Stellen, doch alle fast zu gleicher Zeit aus dem Schilfe hervorgeschlichen kommen, sich auf den freien Wasserspiegel wagen, sachte dem einladenden Ufer zuschwimmen, und wie dann der Familienvater in hoher Besorgnis für die Sicherheit der Seinen die Wachsamkeit verdoppelt, wenn er irgend Verdacht schöpft, endlich glücklich auf dem Weideplatze angelangt, selbst kaum mitzuschmausen sich getraut, und wenn nun gar seine Besorgnis nicht grundlos, er zuerst mit leisen Tönen warnt, bei wirklich eintretender Gefahr aber leider zuerst unter kläglichem Geschreie die Flucht ergreift. Dagegen benimmt sich in solchen Fällen die Mutter viel muthvoller und ist eher auf die Rettung ihrer Kinder als auf die eigene bedacht, indem sie durch wiederholtes ängstliches Schreien die Jungen zu bewegen sucht, sich zu verkriechen, oder wenn sie nicht weit vom Wasser sind, auf letzteres zuzulaufen, sich hineinzustürzen und unterzutauchen, ehe sie sich selbst auf die Flucht begibt. Aber sie fliegt nie weit weg und ist, sobald die Gefahr entfernt, wieder da, um die Ihrigen von neuem zu versammeln; dann erst kommt der Vater wieder zu seiner Familie. Wenn die Alte mit den Jungen ohne den vorsichtigen Familienwächter, der freilich nur zufällig einmal fehlen kann, in schon etwas hohem Getreide steckt, man sich ungesehen an sie schleicht und nun plötzlich auf sie zuläuft, erhebt sie sich mit gräßlichem Schreien und umschwärmt den Ort des Entsetzens in weitem Kreise, worauf die Jungen zur Stelle in Ackerfurchen oder sonstige Vertiefungen sich niederdrücken und ganz still liegen, so daß man nicht selten eines nach dem anderen wegnehmen kann, ohne daß die übrigen wegzulaufen wagen, während sie, wenn die ergriffenen schreien, geradewegs dem Wasser zurennen. Hier tauchen die Jungen, so lange sie noch nicht fliegen können, recht fertig und suchen sich dadurch immer zu retten; sie können zwar nicht lange unter dem Wasser aushalten, wiederholen es aber desto öfter. In den ersten vier Wochen des Lebens der Jungen sind die vorsichtigen und schlauen Alten immerwährend in ängstlicher Besorgnis, erblicken überall Gefahr, suchen ihr auszuweichen oder die Jungen zu entfernen, thun aber in der Wahl der Mittel oft Mißgriffe. Ihr Betragen ist hierbei häufig voller Widersprüche und Räthsel, im Ausführen ihres Vorhabens voller Starrsinn. Junge, welche auf einem einsamen kleinen Teiche ausgebrütet wurden, werden von den Alten, welche sie dort nicht sicher glauben, gewöhnlich schon in den ersten Tagen ihres Lebens, meist in der Dämmerung, des Morgens oder Abends, einem größeren Gewässer zugeführt. Merkwürdig genug kann man diese sonst so scheuen Geschöpfe hierbei oft wie zahme Gänse dicht vor sich hintreiben. Die Angst der Alten, welche es nicht wagt, von den Jungen sich zu entfernen, ist unbeschreiblich. Fährt man unter sie, oder fängt man gar ein Junges, so stürzt sie schreiend herbei, fliegt dem Kinderräuber beinahe an den Kopf und verfolgt ihn noch eine weite Strecke, kehrt dann zurück, um die versprengten wieder zu sammeln, und eilt endlich mit ihnen dem Ziele zu. Oft bewirken solche Störungen, wenn sie der Reisegesellschaft nicht fern vom Auswanderungsorte begegnen, auch das Gegentheil, weil sie sich genöthigt sieht, wieder umzukehren; allein mögen sie auch noch so oft wiederkehren, so sind sie doch nicht im Stande, die Alte von ihrem Vorhaben abzubringen, selbst wenn mehrere Junge dabei zu Grunde gehen sollten. Man hat mehrmals sämmtliche Jungen einer solchen wandernden Familie eingefangen und sie auf denselben Teich, den sie eben verlassen hatten, zurückgetragen, und dennoch fand man sie am nächsten Abende oder Morgen, ja zuweilen noch in derselben Stunde, auf dem nämlichen Wege und immer wieder, so oft man dies auch wiederholte. Andere Alte denken ganz entgegengesetzt und führen ihre Kleinen umgekehrt von der großen Gesellschaft hinweg auf einen abgelegeneren kleinen Teich, suchen also die Einsamkeit. Von so entgegengesetzten Ansichten führen sie eine wie die andere mit gleich zäher Beharrlichkeit aus. Andere begreift man vollends nicht, wenn sie, um ihren Aufenthalt mit den Kleinen an einen entfernten Ort zu verlegen, noch viel weitere Fußreisen wagen. Die auf dem Badezer Teiche, in Anhalt, nistenden Graugänse kamen mehr als einmal auf den tollen Einfall, nach zehn Kilometer entfernten Teichen zu wandern, als ihre Jungen kaum zwei Wochen alt waren, ungeachtet die Richtung des langen und beschwerlichen Weges über freies Feld, quer über ein paar Landstraßen, mehrere Feldwege, das Nuthethal, mit mehreren Dörfern und Mühlen besetzt, durchschneidend, und nahe an der Stadt Zerbst vorüberführt. Höchst wahrscheinlich erreichte niemals der zehnte Theil von allen solchen oder kaum ein paar Familien das Ziel einer so unsinnigen Reise. Wenn man die Alten von den Jungen wegschießt, ehe diese Federn erhalten, müssen viele von ihnen umkommen. Es schlagen sich zwar die verwaisten zu den Jungen anderer Alten, welche diese leiden wollen; da jedoch dies nur wenige thun, so versammelt oft eine mitleidige Alte eine sehr zahlreiche Familie um sich. Wir sahen einst eine so gutmüthige Familienmutter von sechzig und einigen Jungen umgeben, welche sie führte, als ob alle ihre leiblichen Kinder gewesen wären. Finden sie keine Familie, welche sie aufnimmt, so halten sie zwar geschwisterlich zusammen; da sie aber mütterliche Sorge und väterlichen Schutz entbehren, gehen die meisten sehr bald zu Grunde.« Jemehr die Jungen herangewachsen, um so weniger ängstlich besorgt um sie zeigt sich der Familienvater. Sobald die Mauser beginnt, welche bei ihm stets ein bis zwei Wochen früher als bei seiner Gattin eintritt, entzieht er sich der Familie und verbirgt sich später, wenn er nicht fliegen kann, im Schilfe. Wenn auch die Familienmutter in diese Verlegenheit kommt, sind die Jungen bereits flugbar und fähig, den Führer entbehren zu können.
Jung eingefangene Graugänse werden bald zahm; selbst alte, welche in die Gewalt des Menschen geriethen, gewöhnen sich an den Verlust ihrer Freiheit und erkennen in dem Menschen einen ihm wohlwollenden Pfleger. Doch verleugnen auch solche, welche man durch Hausgänse erbrüten und erziehen ließ, ihr Wesen nie. Sobald sie sich erwachsen fühlen, regt sich in ihnen das Gefühl der Freiheit: sie beginnen zu fliegen und ziehen, wenn man sie nicht gewaltsam zurückhält, im Herbste mit anderen Wildgänsen nach Süden. Zuweilen geschieht es, daß einzelne zurückkommen, das Gehöft, in welchem sie groß wurden, wieder aufsuchen; sie aber gehören doch zu den Ausnahmen. Von vier im Hause erbrüteten und erwachsenen Wildgänsen, welche Boje beobachtete, entzogen sich nach und nach drei der Obhut ihrer Pfleger; eine aber kehrte im nächsten Frühlinge und in der Folge dreizehn Jahre lang alllenzlich zu dem Gute zurück, auf welchem man sie aufgezogen hatte, bis sie endlich ausblieb, also wohl ihren Tod gefunden haben mußte. Sie stellte sich in den dreizehn Jahren nie früher als den ersten, nie später als den vierten April, also mehrere Wochen später als die übrigen Gänse ein, zeigte sich auf dem Hofe sehr zahm, außerhalb desselben ebenso scheu wie die wilden ihresgleichen, kam in den ersten Wochen nach ihrer Rückkunft gewöhnlich morgens und abends, um sich ihr Futter zu holen, blieb auch wohl eine halbe bis eine ganze Stunde, flog dann jedoch immer wieder zurück und sofort dem nahen See zu, so daß man auf die Vermuthung gerieth, sie möge dort ihr Nest haben. Von der Zeit an, in welcher die wilden Gänse Junge auszubringen pflegen, blieb sie länger auf dem Hofe, und später hielt sie sich beständig dort auf. Abends zehn Uhr erhob sie sich regelmäßig und flog stets in derselben Richtung davon, dem See zu. Kurz ehe sie aufflog, ließ sie erst einzelne Rufe vernehmen; die Laute folgten sich immer schneller, bis sie sich erhoben hatte, verstummten aber, sobald sie einmal ordentlich im Fluge war. Einstmals, als sie im April zurückkehrte, erschien eine zweite Gans mit ihr. Beide kreisten hoch in der Luft; die erstere ließ sich auf dem Rasen nieder, die wilde folgte mit allen Anzeichen von Furcht, erhob sich aber unter heftigem Geschreie sofort wieder und flog davon. Wo jene während des Sommers die Nächte zubrachte, ist nicht ermittelt worden. Sie flog jeden Abend dem See zu; man fand sie aber am frühen Morgen oft schon um drei Uhr auf dem Rasen des Hofes sitzen. Ihr Wegfliegen war jedesmal mit Geschrei verbunden, ihr Kommen nie. Im Herbste, gegen die Zugzeit hin, ward sie unruhig, flog oft und mit anhaltendem Schreien auf, blieb auch weniger lange auf dem Hofe, bis sie zuletzt nicht mehr gesehen ward und erst im nächsten Frühjahre zurückkehrte.
Alte Graugänse fallen den größeren Adlern und Edelfalken nicht selten, Füchsen und Wölfen zuweilen zur Beute. Vor dem Menschen nehmen sie sich stets sehr in Acht, und ihre Jagd erfordert deshalb einen ausgelernten Jäger. Stellt man sich unter ihren Flugstraßen, welche sie regelmäßig einhalten, verdeckt an, im Röhrichte z.B., so erlegt man sie leicht; ebenso gelingt in vielen Fällen eine nächtliche Jagd mit Treibern und vorgestellten Schützen. Hier und da verfolgt man sie auch wohl, sehr unwaidmännisch, nach Art der Lappen während der Zeit, in welcher sie flugunfähig sind, vom Boote aus, zwingt sie zu beständigem Untertauchen, bis sie, ermattet, nicht mehr tauchen können, und schlägt sie dann mit Stangen todt oder gibt ihnen einen Gnadenschuß. Das Wildpret der alten Wildgänse ist hart und zähe, das der jungen dagegen außerordentlich schmackhaft, ehrbare Jagd also in jeder Hinsicht gerechtfertigt. Die Federn werden hochgeschätzt und wohl mit Recht für besser gehalten als die der Hausgans; namentlich die Dunen gelten als vorzüglich. Bei Hervorhebung des Schadens, welchen die Graugans durch Auflesen von Getreidekörnern, Ausklauben der Aehren, Abweiden der Saat, Abpflücken von Kraut und dergleichen bringen soll, scheint eher Mißgunst als Gerechtigkeit maßgebend zu sein.
Drei nahe verwandte Wildgänse, die Saat-, Acker-und Rothfußgans, sind vielfach verkannt, mit einander verwechselt oder verschmolzen worden, unterscheiden sich jedoch im Leben so bestimmt, daß ihre Artselbständigkeit nicht bezweifelt werden kann.