Die Brückenechse in Brehms Tierleben

Brückenechse (Brehms Tierleben)

Die Brückenechse (Hatteria punctata), welche wir als Urbild einer besonderen Familie betrachten müssen und als Vertreterin einer eigenen, von allen übrigen gleichwerthigen Abtheilungen wesentlich verschiedenen Unterordnung (Rhynchocephalia) ansehen mögen, ist eine sehr große, etwas plumpe Schuppenechse. Ihr Kopf ist vierseitig, der Leib gedrungen, der Gliederbau kräftig, der etwa der Länge des Rumpfes gleichkommende Schwanz zusammengedrückt dreieckig; die Vorder-und Hinterfüße haben fünf kräftige, kurze, runde Zehen, welche kleine Spannhäute zeigen und mit kurzen Krallen bewehrt sind. Schenkelporen fehlen. An der Brust bemerkt man hinten eine Querfalte; im Nacken, längs der Rückenmitte und ebenso längs der Mitte des Schwanzes erhebt sich ein aus zusammengedrückten Dornen gebildeter, in der Schulter- und Lendengegend unterbrochener Kamm. Kleine Schuppendecken den Kopf, kleinere und größere den Leib, große, viereckige, flache, gekielte, in Querreihen angeordnete Schilder die Unterseite, kleine Schuppen den Schwanz und die Ober- und Unterseite der Zehen; die der ganzen Oberseite sind körnelig, diejenigen, welche die unregelmäßigen Hautfalten besetzen, größer als die übrigen. Ein düsteres Olivengrün bildet die Grundfarbe; kleine weiße und dazwischen stehende größere gelbe Flecken tüpfeln Seiten und Glieder; die Stacheln des Nacken und Rückenkammes sind gelb, die des Schwanzkammes braun gefärbt.

Viel auffallendere und bedeutsamere Merkmale, als die äußerlichen sind, ergeben sich bei der Zergliederung des Thieres. Das Quadratbein ist, im Gegensatze zu allen übrigen Schuppenechsen, mit dem Schädel unbeweglich vereinigt und der Antlitztheil des Schädels durch zwei über die Schläfengrube hinweggehende Knochenbrücken mit der Schläfengegend verbunden. Die Zähne sind in gewöhnlicher Weise mit ihrer Wurzel auf dem Rande der Kieferknochen befestigt, nutzen sich jedoch, mit Ausnahme der zwar ebenfalls sich verändernden, jedoch nicht verschwindenden beiden Vorderzähne, bei älteren Thieren derartig ab, daß diese, wie die Schildkröten, mit den Kieferrändern beißen müssen. Beide Aeste des Unterkiefers werden, wie bei den Schlangen, durch ein Band verbunden. Die Wirbel sind vorn und hinten eingehöhlt, wie dies bei einigen Lurchen und den Fischen der Fall ist oder bei vorweltlichen Kriechthieren, Ichthio-, Megalo-und Teleosauren, der Fall war. Die Rippen stimmen insofern mit denen der meisten Schuppenechsen überein, als einige und zwar drei Paare mit dem Brustbeine sich verbinden, sodann mehrere, hier elf Paare, falsche vorhanden sind; allein die unteren Enden der falschen Rippen vereinigen sich wiederum mit eigenen Knochenleisten, Bauchrippen, welche in der Unterhautschicht der Bauchdecken liegen und hinsichtlich ihrer Anzahl und Lage den in Querreihen angeordneten äußeren Bauchschildern entsprechen, die Anzahl der Wirbel und falschen Rippen aber um das doppelte übertreffen, auch so fest mit den Bauchschildern zusammenhängen, daß sie nur mit Hülfe des Messers davon getrennt werden können: es entspricht daher eine Querreihe von Bauchschildern unseres Thieres dem einzelnen Bauchschilde einer Schlange. Letzterer ähnelt die Brückeneidechse auch darin, daß ihr das Trommelfell und damit eine begrenzte Trommelhöhle fehlt und das Säulchen die Gehörknöchelchen vertritt. Männliche Geschlechtswerkzeuge konnte Günther nicht auffinden; die Brückeneidechse gleicht also in dieser Beziehung wiederum den Lurchen. So kann man, wie Martens sich ausdrückt, nur sagen, »daß unsere Echse ein Kriechthier ist, welches im großen und ganzen zu den Eidechsen gehört, in einigen wichtigen Bildungsmerkmalen jedoch auf der Stufe der Lurche stehen geblieben und ebenso andere Anpassungsmerkmale nach Art und Weise der Krokodile und Schlangen ausgebildet hat«.

Ueber Vorkommen und Lebensweise der Brückeneidechse haben wir bisher nur dürftige Berichte erhalten. Cook ist der erste, welcher in seiner »dritten Reise« ihrer Erwähnung thut. »Es soll in Neuseeland Eidechsen von ungeheuerer Größe geben; denn sie sollen 2,6 Meter lang und ebenso dickleibig sein wie ein Mann, zuweilen auch Menschen angreifen und verzehren. Sie wohnen in Löchern unter der Erde, und man tödtet sie dadurch, daß man vor dem Eingange ihrer Höhle ein Feuer anzündet.« Polack spricht ebenfalls von diesem Thiere. »Die riesige Eidechse oder Guana«, sagt er, »lebt vorzugsweise auf der Insel Victoria; einige wenige kommen auch auf den Inseln im Plentybusen vor. Die Eingeborenen erzählen Menschenfressergeschichten von ihr; sie ist jedoch ohne Zweifel ein harmloses Geschöpf.« Dieffenbach erfuhr ein wenig mehr. »Ich erhielt Nachricht von dem Vorhandensein einer großen Eidechse, welche die Eingeborenen ›Tuatera‹ oder ›Narara‹ nennen und in hohem Grade fürchten; doch gelang es mir, obgleich ich alle ihr zugesprochenen Aufenthaltsorte nach ihr absuchte und eine bedeutende Belohnung auf ihren Fang setzte, erst wenige Tage vor meiner Abreise von Neuseeland, eine einzige zu erhalten. Sie war auf dem kleinen, in der Bucht von Plenty, ungefähr zwei Meilen von der Küste gelegenen Felseneilande Karewa gefangen worden. Aus allem, was ich erfuhr, scheint hervorzugehen, daß die Brückeneidechse vor Zeiten auf allen Inseln häufig war, in Höhlen, oft auch auf sandigen Hügeln an der Küste lebte und von den Eingeborenen ihres Fleisches halber verfolgt und getödtet wurde. Infolge dieser Nachstellungen und zweifelsohne ebenso der Einführung von Schweinen, ist das Thier so selten geworden, daß viele ältere Bewohner des Landes es nicht gesehen haben.« Die Brückeneidechse, welche Dieffenbach lebend gebracht wurde, gelangte später in das Britische Museum und gab Gray Gelegenheit, der wissenschaftlichen Welt die Art bekannt zu machen. Nach Dieffenbachs Zeit, Anfang der vierziger Jahre unseres Jahrhunderts, wurden noch einige andere Stücke todt oder lebend nach England gesendet, immerhin aber so wenige, daß Günther schon im Jahre 1867 die Befürchtung aussprechen konnte, die Brückeneidechse werde wahrscheinlich binnen kurzem zu den ausgestorbenen Thieren zu zählen sein. Später wird von Bennett mitgetheilt, daß das Thier bis zum Jahre 1851 auf einzelnen Inselchen des erwähnten Busens, insbesondere auf Rurima und Montoki, noch in namhafter Anzahl lebte. Eine Gesellschaft von Officieren fing hier binnen einer halben Stunde ungefähr vierzig im Sonnenscheine sich reckende Brückeneidechsen von acht bis sechzig Centimeter Länge. Im Jahre 1869 endlich gelangte wiederum eines dieser Kriechthiere lebend nach England, und zwar durch Vermittelung Hektors, welcher es in der Provinz Wellington in Neuseeland erbeutet hatte. Ueber dieses Stück erfahren wir, daß es Mehlwürmer und andere Kerbthiere begierig fraß, und durch Dieffenbach wissen wir, daß die gefangene Brückeneidechse im allerhöchsten Grade träge, aber auch sehr gutartig ist und ohne zu beißen oder überhaupt Widerstand zu leisten, sich behandeln läßt.

Anderweitige Mittheilungen über die Lebensweise sind mir nicht bekannt.

Unter den übrigen Echsen, bei denen das Quadratbein gelenkig mit dem Schädel verbunden ist, die Unterkieferäste durch eine feste Naht vereinigt werden und die Begattungswerkzeuge vorhanden sind, weisen wir den Eidechsen im weitesten Sinne die oberste Stelle an. Sie bilden eine besondere Gruppe innerhalb ihrer Klasse und werden daher als Unterordnung (Cionocrania oder Leptoglossa) den noch zu erwähnenden Verwandten gegenüber gestellt. Bei weitem die meisten aller Echsen gehören dieser Abtheilung an. Ihre gemeinsamen Merkmale bestehen in dem mehr oder weniger vollständigen Augenhöhlenringe und Jochbogen, dem einfachen Scheitelbeine, dem Vorhandensein des Säulchens im Inneren des Ohres und den nur vorn ausgehöhlten Wirbeln. Hierzu treten, laut Carus, folgende äußerliche Kennzeichen. An dem gestreckten und in der Regel langschwänzigen Leibe sind gewöhnlich zwei Beinpaare vorhanden; beim Verkümmern oder Verschwinden derselben bleiben Schulter- und Beckengürtel meist nachweisbar. Die Zähne sind nur bei einer einzigen Sippe verbreitert. Die Schuppen stehen in der Fünfform oder in Würfeln oder in undeutlichen Querreihen. Ein oberes und unteres Augenlid pflegt vorhanden zu sein. Die Zunge ist entweder lang, dünn und vorstreckbar oder dick, fleischig und warzenreich.

Ein sonderbarer Irrthum deutscher Forscher hat einigen großen Echsen, welche die erste Familie der Unterordnung bilden, zu dem Namen Warn-Eidechsen verholfen. Die bekanntesten Arten der Familie bewohnen Egypten und werden dort Waran genannt; dieses Wort hat man in Warner umgewandelt und dieselbe Bedeutung auch durch den wissenschaftlichen Namen Monitor festgehalten: Waran und Warner aber haben durchaus keine Beziehung zu einander; denn Waran bedeutet einfach Eidechse.

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