Der Steinadler in Brehms Tierleben

Steinadler (Brehms Tierleben)

Der Steinadler, gemeine, schwarze, braune, ringelschwänzige, der Stock-, Berg- und Hasen- oder Rauchfußadler (Aquila fulva und nobilis, Falco fulvus) ist der größte und stärkste, auch am gedrungensten gebaute unter den zunächst verwandten Arten, der »Adler« ohne weitere Nebenbezeichnung, der Baizvogel aller innerasiatischen Reitervölker, der Held der Fabel und das Urbild des Wappenthieres, das Sinnbild der Kraft und Stärke. Seine Länge beträgt achtzig bis fünfundneunzig Centimeter, die Breite zwei Meter und darüber, die Fittiglänge achtundfunfzig bis vierundsechzig, die Schwanzlänge einunddreißig bis sechsunddreißig Centimeter. Erstere Maße gelten für das Männchen, letztere für das größere Weibchen. Beim alten Vogel ist der Nacken, einschließlich des Hinterhalses, rostbraungelb, das übrige Gefieder in den ersten beiden Wurzeldrittheilen weiß, an der Spitze sehr gleichmäßig dunkelbraun, der Schwanz in seinem Wurzeldrittheil weiß, sodann schwarz gebändert oder gefleckt, in der Endhälfte schwarz. Die Hosen sind braun, die Unterschwanzdeckfedern weiß. Im Jugendkleide ist das Gefieder durchgehends lichter, das Lichtbraun des Nackens viel weiter, bis auf den Scheitel und die Halsseiten, verbreitert, der Flügel durch einen großen weißen Spiegel ausgezeichnet, der Schwanz nur im Enddrittheil schwarz, übrigens grauweiß, die Hose sehr licht, oft ebenfalls weiß.
Mit vorstehenden Worten ist nur die am häufigsten vorkommende Färbung beschrieben, demgemäß hinzuzufügen, daß das Kleid dieses Adlers außerordentlich abändert. Einzelne alte Vögel sind gleichmäßig dunkelbraun, andere goldbraun, andere in der Kropfgegend und am Bauche goldbraun, übrigens dunkelbraun gefärbt; einige behalten den Flügelspiegel bis ins höhere Alter, andere zeigen schön gebänderte Schwingen usw. Ob alle diese Färbungsverschiedenheiten wirklich nur einer Art zustehen oder mehreren zukommen, ist zur Zeit noch nicht entschieden.

Von dem Steinadler trennt Naumann, wie vor ihm Pallas und mit ihm mein Vater, den Goldadler, wogegen die neueren Forscher geneigt sind, beide als Altersverschiedenheiten oder Spielarten zu erklären. Nachdem ich vor kurzem, angeregt durch den Forschungseifer des Kronprinzen Rudolf von Oesterreich, in Gemeinschaft mit Eugen von Homeyer gegen achtzig der in Frage kommenden Adler untersucht und untereinander verglichen habe, muß ich den oben genannten Forschern beistimmen, will auch noch bemerken, daß ich vor Jahren unter mehreren Steinadlern einen Vogel gepflegt habe, welcher von meinem Vater auf den ersten Blick hin, wie vorher von mir, als Goldadler angesprochen wurde. Aus diesem Grunde halte ich es für richtig, beide Adler so lange als verschiedene Arten zu erklären, bis der unzweifelhafte Beweis ihrer Arteinheit erbracht sein wird. Beide Vögel sind gewißlich sehr nahe mit einander verwandt und die Unterscheidungsmerkmale um so weniger augenfällige, als nicht allein beider Jugendkleider einander zum Verwechseln ähneln, sondern auch beider Alterskleider nicht so scharf sich unterscheiden, als man nach Naumanns Angaben glauben möchte. Unsere gemeinschaftlichen Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen, und ich bin daher zur Zeit nur im Stande zu sagen, daß der Goldadler (Aquila chrysaëtos, Falco chrysaëtos) nach unserem Befund merklich kleiner und schlanker ist als der Steinadler und außerdem durch die viel breiteren Nackenfedern, den in der Mitte verlängerten, seitlich deutlich abgestumpften Schwanz und das im Wurzeltheile fast oder gänzlich dunkle Kleingefieder bestimmt abzuweichen scheint. Die Färbung des Gefieders ist durchgehends lichter, roströthlicher als bei dem Steinadler, was sich namentlich auf der Brust, an den Hosen und Unterschwanzdeckfedern zeigt. In der Achselgegend tritt ein weißer Fleck deutlich hervor, jedenfalls viel deutlicher als beim Steinadler, bei welchem vielleicht nur im höchsten Alter einige weiße Federn an der betreffenden Stelle gefunden werden. Der Schwanz ist auf bräunlich aschgrauem Grunde mit unregelmäßigen breiten, zackigen, schwarzen Querbinden gezeichnet, ohne sichtbares Weiß an der Wurzel, die Endbinde erheblich schmäler als bei dem Steinadler.

Im Norden Amerikas werden Stein- und Goldadler durch einen namentlich dem ersteren nahe stehenden Verwandten (Aquila canadensis) vertreten.

Der Steinadler bewohnt die Hochgebirge und sehr ausgedehnte Waldungen Europas und Asiens, streift auch, laut Heuglin, gelegentlich, immer aber selten, nach Nordostafrika hinüber. In unserem Vaterlande horstet er, so viel mir bekannt, gegenwärtig regelmäßig einzig und allein im bayerischen Hochgebirge sowie in den ausgedehnten Staatswaldungen des südöstlichen Theiles der Provinz Ostpreußen und denen der Provinz Pommern; das übrige Deutschland besucht er wohl einzeln dann und wann als Strichvogel, siedelt sich jedoch nur äußerst selten bleibend an. Ausnahmsweise geschieht letzteres allerdings noch heutigen Tages; bei der scharfen Aufsicht aber, welche unsere Forstbeamten führen, büßt das Adlerpaar solches Beginnen regelmäßig mit seinem Leben, mindestens mit dem Verluste seiner Eier oder Jungen. Noch vor einigen Jahrzehnten war dies anders: in den dreißiger, selbst in den vierziger Jahren durfte man den Steinadler noch mit Bestimmtheit zu den Brutvögeln Ost-, Süd- und Mitteldeutschlands zählen. Weit häufiger als innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches lebt der stolze Vogel in Oesterreich-Ungarn, insbesondere in den Alpen Steiermarks, Tirols, Kärntens und Krains, woselbst ich ihn wiederholt beobachtet habe, ebenso und keineswegs selten in den Karpathen und Siebenbürger Alpen, außerdem im größten Theile Ungarns und im ganzen Süden des Kaiserstaates. Selbst im Böhmer Walde mag dann und wann ein Steinadlerpaar horsten, wie dies noch vor anderthalb Jahrzehnten im Riesengebirge geschehen sein soll. Außerdem verbreitet sich der Vogel über die Schweiz, Südeuropa, die Atlasländer, Skandinavien (?), ganz Rußland (?), soweit es bewaldet oder felsig ist, Kleinasien, Nordpersien und Mittelasien, vom Ural an bis nach China und vom Waldgürtel Sibiriens an bis zum Himalaya. In Westeuropa, zumal Frankreich und Belgien, tritt er viel seltener auf als im Osten und Süden; in Großbritannien erscheint er wohl nur noch als Strichvogel; in der Schweiz ist er zwar nicht gerade selten, aber doch auch nicht häufig, im Süden Rußlands eine regelmäßige, in den Gebirgen Mittelasiens eine alltägliche Erscheinung. Der Goldadler dagegen scheint unser Vaterland nur während der Zeit seines jugendlichen Umherschweifens zu berühren und in Skandinavien, Polen, Rußland und Ostsibirien heimisch zu sein. Unter den in Oesterreich-Ungarn erlegten Adlern vermochten wir keinen einzigen Goldadler zu erkennen, wogegen fast alle aus den vorstehend angegebenen Ländern stammenden, welche wir eingehend untersuchen konnten, von uns als Goldadler angesehen wurden.

Ohne größere Waldungen zu meiden, siedelt sich der Adler, wie ich der Kürze halber fortan sagen werde, doch mit entschiedener Vorliebe im Hochgebirge und an einer mehr oder minder schwer zu ersteigenden, am liebsten gänzlich unzugänglichen Felsen wand an. Das einmal erwählte Gebiet hält das vereinte Paar mit Zähigkeit fest, verläßt es, wenn der Wildreichthum der Gegend es gestattet, auch im Winter nicht, besucht um diese Zeit sogar regelmäßig die Horste, gleichsam als wolle es seine Anrechte auf dieselben wahren. Ungezwungen wandern oder streichen wohl nur junge Vögel, und sie sind es daher auch, welche bei uns zu Lande erlegt werden. Denn der Adler braucht viele, vielleicht sechs, möglicherweise zehn Jahre und darüber, bevor er im eigentlichen Sinne des Wortes erwachsen, das heißt fortpflanzungsfähig ist und durchstreift bis dahin die weite Welt, wahrscheinlich viel ausgedehntere Strecken als wir glauben. Seßhaft wird er erst, wenn er sich gepaart hat und an die Errichtung des eigenen Horstes denkt. Auch dann noch ist sein Gebiet ein sehr ausgedehntes, wie es der bedeutende Nahrungsbedarf des Vogels erfordert. Von dem Nistorte aus unternimmt das Paar tagtäglich Streifzüge, häufig in derselben Richtung. Es verläßt den Ort der Nachtruhe erst längere Zeit nach Sonnenaufgang und streicht nun in ziemlich bedeutender Höhe kreisend durch das Gebiet. Bergzüge werden in gewissem Sinne zur Straße, über welche der Adler meist verhältnismäßig niedrig dahinstreicht, wenn die Berge hoch sind, oft in kaum Flintenschußnähe über dem Boden. »Ich habe«, berichtet Girtanner, »den Steinadler und sein Weib oft ganze Alpengebiete so regelrecht absuchen sehen, daß ich in der That nicht begreifen könnte, wie diesen vier Adleraugen bei so überlegtem Vorgehen auch nur eine Feder hätte entgehen mögen. Von der Felsenkante in der Nähe des Horstes gleichzeitig abfliegend, senkt sich das Räuberpaar rasch in die Tiefe hinab, überfliegt die Thalmulde und zieht nun an dem unteren Theile der Gehänge des gegenüberliegenden Höhenzuges langsam in wagerechter Richtung dahin, der eine Gatte stets in einiger Entfernung vom anderen, doch in gleicher Höhe, so daß was dem ersten entgangen, dem nachfolgenden um so sicherer zu Gesicht, und was etwa von jenem aufgescheucht, diesem um so bestimmter in die Krallen kommen muß. Auf diese Weise am Ende des Gebietes angelangt, erheben sich beide, um hundert Meter und darüber aufsteigend, ziehen in dieser Höhe in entgegengesetzter Richtung zurück, erheben sich sodann wieder und suchen so in weiten Zickzacklinien den ganzen Gebirgsstock aufs sorgfältigste ab.« Wehe dem nicht allzu schnellen Wilde, welches eines der vier scharfen Augen erspäht: es ist verloren, wenn nicht ein Zufall es rettet. Ebenso wie beide Adler gemeinschaftlich jagen, verzehren sie auch gemeinsam die erlegte Beute; bei der Mahlzeit geht es jedoch keineswegs immer friedlich her: ein leckeres Gericht kann selbst unter den zärtlichsten Adlergatten Streit hervorrufen. Die Jagd währt bis gegen Mittag; dann kehrt der Räuber in die Nähe des Horstes zurück oder wählt sich einen anderen sicheren Punkt, um auszuruhen. Regelmäßig geschieht dies, wenn er im Fange glücklich war. Er sitzt dann mit gefülltem Kropfe und lässig getragenem Gefieder längere Zeit auf einer und derselben Stelle und gibt sich der Ruhe und der Verdauung hin, ohne jedoch auch jetzt seine Sicherheit aus den Augen zu verlieren. Nachdem diese Ruhe vorüber, fliegt der Adler regelmäßig zur Tränke. Es ist behauptet worden, daß ihm das Blut seiner Schlachtopfer genüge: jeder gefangene Adler beweist das Gegentheil. Er trinkt viel und bedarf des Wassers noch außerdem, um sich zu baden. Bei warmem Wetter geht selten ein Tag hin, an welchem er letzteres nicht thut. Nachdem er getrunken und sich gereinigt, tritt er einen nochmaligen Raubzug an; gegen Abend pflegt er sich in der Luft zu vergnügen; mit dem Einbruche der Dämmerung erscheint er vorsichtig und ohne jedes Geschrei auf dem Schlafplatze, welcher stets mit größter Vorsicht gewählt wird. Dies ist, mit kurzen Worten geschildert, das tägliche Leben des Vogels.

Der Adler ist nur im Sitzen und im Fliegen schön und majestätisch, im Laufen dagegen so unbehülflich und ungeschickt, daß er zum Lachen reizt. Wenn er sich sehr langsam auf dem Boden fortbewegt, trägt er sich fast wagerecht und setzt dann gemächlich ein Bein um das andere vor; wenn er sich aber beeilt, sei es, daß er flugunfähig entrinnen will oder sonst in Erregung geräth, hüpft er, unter Zuhülfenahme seiner Flügel in großen, wundersamen Sprüngen dahin, keineswegs langsam zwar, im Gegentheile so rasch, daß man sich anstrengen muß, um ihn einzuholen, aber so unregelmäßig und täppisch, daß man den stolzen Vogel bedauern möchte. Um vom flachen Boden aufzufliegen, nimmt er, in ähnlicher Weise hüpfend, stets einen Anlauf und schlägt langsam und kräftig mit den Flügeln; hat er sich jedoch erst in eine gewisse Höhe aufgeschwungen, so schwebt er oft Viertelstunden lang, ohne einen einzigen Flügelschlag zu thun und nur wenig sich senkend, rasch dahin, steigt, indem er sich gegen den Wind dreht, wieder zu der etwa verlorenen Höhe empor und hilft nur ausnahmsweise durch einige langsame Flügelschläge nach. Wie von dem fliegenden Geier werden die Fittige so weit gebreitet, daß die Spitzen der einzelnen Schwungfedern sich nicht mehr berühren, wogegen die Schwanzfedern stets einander überdecken. Das Flugbild des Vogels erhält durch den gerade abgeschnittenen Schwanz etwas so bezeichnendes, daß man den Steinadler niemals mit einem Geier verwechseln kann; geübte Beobachter unterscheiden ihn sogar von dem Goldadler, dessen gestrecktere, schlankere Gestalt und längerer, minder gerade abgeschnittener Schwanz eben im Fluge besonders zur Geltung kommen soll. Beim Herabstürzen und Ergreifen des Raubes verfährt dieser wie jener Adler verschieden. Der in hoher Luft kreisende Räuber, welcher eine Beute erspäht, senkt sich gewöhnlich erst in Schraubenlinien hernieder, um den Gegenstand genauer ins Auge zu fassen, legt, wenn dies geschehen, plötzlich seine Flügel an, stürzt mit weit vorgestreckten, geöffneten Fängen, vernehmlich sausend, schief zum Boden herab, auf das betreffende Thier los und schlägt ihm beide Fänge in den Leib. Ist das Opfer wehrlos, so greift er ohne weiteres zu; ist es fähig, ihn zu gefährden, verfehlt er nie, einen Fang um den Kopf zu schlagen, um so gleichzeitig zu blenden und zu entwaffnen. Mein Vater hat an seinem gefangenen Goldadler die Art und Weise des Angriffes oft gesehen und ausgezeichnet beschrieben; seine Schilderung will ich daher, wenn auch nur im Auszuge, wiedergeben. »Beim Ergreifen der Beute«, sagt er, »schlägt er die Nägel so heftig ein, daß man es deutlich hört und die Zehen wie krampfhaft zusammengezogen aussehen. Katzen schlägt er den einen Fang um den Hals, benimmt ihnen so alle Luft und frißt sie an, noch ehe sie todt sind. Gewöhnlich greift er so, daß die Zehen des einen Fanges den Kopf einschließen. Bei einer Katze, welche ich ihm bot, hatte er mit einem Nagel das Auge durchbohrt, und die Vorderzehen lagen so um die untere Kinnlade, daß die Katze den Rachen keine Linie breit öffnen konnte. Die Nägel des anderen Fußes waren tief in die Brust eingedrückt. Um sich im Gleichgewichte zu halten, breitete der Adler die Flügel weit aus und gebrauchte sie und den Schwanz als Stützen; dabei waren seine Augen blutroth und größer als gewöhnlich, alle Federn am ganzen Körper glatt angelegt, der Rachen geöffnet und die Zunge vorgestreckt. Man bemerkte bei ihm aber nicht nur auffallende Wuth, sondern auch ungewöhnliche Kraftanstrengung, bei der Katze das ohnmächtige Streben, ihren überlegenen Feind loszuwerden. Sie wand sich wie ein Wurm, streckte aber alle vier Füße von sich und konnte weder die Nägel noch die Zähne gebrauchen. Wenn sie zu schreien anfing, faßte der Adler mit dem einen Fange weiter und schlug ihn an einer anderen Stelle der Brust ein, den zweiten Fang hielt er beinahe unbeweglich um den Rachen geschlagen. Den Schnabel gebrauchte er gar nicht, und so kam es, daß die Katze erst nach Verlauf von dreiviertel Stunden todt war. So lange hatte der Adler mit eingeschlagenen Nägeln und ausgebreiteten Flügeln auf ihr gestanden. Jetzt ließ er sie liegen und schwang sich auf die Sitzstange. Dieses lange Leiden der Katze machte auf mich einen solchen Eindruck, daß ich ihm nie wieder eine lebend gab.« Andere Opfer hauchen unter der gewaltigen Kralle des Räubers viel eher ihr Leben aus, weil sie weit weniger als die Katze fähig sind, Widerstand zu leisten. Aber der Adler wagt sich auch an noch stärkere Thiere; man hat beobachtet, daß er selbst den bissigen Fuchs nicht verschont. »Wehe dem armen Meister Reineke«, schildert Girtanner, wohl durchaus richtig, »welchem seine Nachtjagd schlecht ausgefallen, und der, noch auf Brodreisen begriffen, in Sicht eines über ihm kreisenden Adlerpaares ein unbesorgt spielendes Steinhühnervolk auf dem Bauche kriechend überfallen wollte und dabei seine Aufmerksamkeit zu sehr auf seine erhoffte Beute richtete, wenn plötzlich mit eingezogenen Schwingen, aber weit geöffneten Fängen der König der Lüfte pfeilschnell seitwärts heransaust. Den einen Fang schlägt er dem unvorsichtigen Schelme im nächsten Augenblicke in die fletschende Schnauze und macht so auch die schärfsten Zähne unschädlich, den anderen begräbt er im Leibe seines Opfers, drückt dasselbe, durch Flügelschläge im Gleichgewichte sich haltend, mit aller Gewalt nieder und beginnt nun, grausam genug, seinen Raub zu zerfleischen, noch ehe dieser sein Leben ausgehaucht.« Daß solcher Kampf nicht immer siegreich endet, haben wir oben (Bd. I, S. 672) gesehen; daß er überhaupt stattfindet, dürfte zweifellos sein und beweist schlagend den Muth, das Selbstbewußtsein des mächtigen Vogels. Man übertreibt nicht, wenn man behauptet, daß sich letzteres deutlich ausdrückt, wenn der Adler mit kühn blitzendem Auge, gesträubten Nackenfedern und halbgelüfteten Schwingen auf seiner Beute steht und, wie gewöhnlich, ein förmliches Siegesgeschrei ausstößt. Er ist in solcher Stellung ein überwältigendes Bild stolzer Schönheit und markiger Kraft, dessen Eindruck sich niemand entziehen kann. Vollbewußtsein seiner Stärke verleitet ihn zuweilen, sogar an dem Herrn der Erde sich zu vergreifen. Es ist keine Fabel, wenn erzählt wird, daß er auf kleine Kinder gestoßen und sie, falls er es vermochte, davon getragen hat; man kennt sogar verbürgte Fälle, daß er, ohne durch gerechtfertigte Abwehr oder Vertheidigung seines Horstes gezwungen zu sein, erwachsene Menschen anfiel. Nordmann erzählt hierfür ein ergötzliches Beispiel. »Ich erhielt«, sagt er, »einen Steinadler, dessen Gefangennahme mit folgenden ungewöhnlichen Umständen verknüpft war. Der hungrige und tollkühne Vogel stürzte mitten in einem Dorfe auf ein großes umhergehendes Schwein, dessen lautes Schreien die Dorfbewohner in Bewegung setzte. Ein herbeieilender Bauer verjagte den Adler, welcher seine schwere Beute nur ungern fahren ließ, von dem fetten Schweinerücken sich erhebend, sogleich auf einen Kater stieß und sich, mit demselben beladen, auf einen Zaun setzte. Das verwundete Schwein und der blutende Kater stimmten einen herzzerreißenden Zweifang an. Der Bauer wollte nun zwar auch die Katze retten, getraute sich aber nicht, dem grimmigen Vogel unbewaffnet nahe zu treten, und eilte in seine Wohnung nach einem geladenen Gewehre. Als aber der Adler seinen Mahlzeitstörer zum dritten Male wieder erblickte, ließ er die Katze fallen, packte und klammerte sich mit seinen Fängen an den Bauer, und nun schrieen alle drei, der überrumpelte Jäger, das fette Schwein und der alte Kater, um Hülfe. Andere Bauern eilten herbei, packten den Adler mit den Händen und brachten den Missethäter gebunden zu einem Freunde von mir.«

Es ist höchst wahrscheinlich, daß mindestens der größte Theil der Unthaten, welche man dem Geieradler aufgebürdet hat, auf Rechnung des kühnen Adlers zu setzen sind. In Spanien wußte man uns von seiner Frechheit viel zu erzählen, und ein Steinadler übernahm es, vor unseren Augen die Wahrheit der Erzählungen zu bestätigen. Er erhob dicht vor dem Hause, in welchem wir uns befanden, einen fetten Puter und trug denselben so eilig als möglich davon. Der Truthahn wurde ihm glücklich wieder abgejagt, war aber mehr todt als lebendig, und ich begriff nun wohl die Berechtigung des mir bisher auffallend gewesenen Gebarens der Hühner aller Gebirgsbewohner. Diese waren durch die Angriffe des Stein- und des Habichtsadlers so in Furcht gesetzt worden, daß sie beim Erscheinen des kleinsten Raubvogels, z.B. eines Thurmfalken, wie sinnlos in das Innere der spanischen Bauernhäuser gestürzt kamen und hier im Zimmer ihres Herrn ängstlich Zuflucht suchten. In allen Gebirgen, welche er bewohnt, ist das Kleinvieh stets im höchsten Grade gefährdet. Denn trotz der schärfsten Achtsamkeit der Hirten stürzt er sich, wenn der Hunger ihn treibt, auf Lämmer und Zicklein hernieder und trägt sie angesichts des viehhütenden Knaben in die Lüfte. In der Schweiz wie im Süden Europas ist den Viehbesitzern kein Vogel verhaßter, keiner auch schädigt den Bestand der Herden in empfindlicherer Weise als er. Daß er nicht nur die Lämmer unserer Hausschafe, sondern auch die weit größeren der riesigen Wildschafe schlägt, habe ich oben (Bd. III, S. 352) bereits berichtet; daß er unter dem Wildstande des Gebirges schlimmer haust als ein strenger Winter, dürfte kaum in Abrede gestellt werden können.

Viel zu weitläufig würde es sein, wenn ich alle die Thiere aufzählen wollte, auf welche der Adler jagt. Unter unseren deutschen Vögeln sind nur die Raubvögel, die Schwalben und die schnellen Singvögel vor ihm sicher, unter den Säugern, abgesehen von den großen Raubthieren, nur Wiederkäuer, Ein- und Vielhufer. Daß er die Jungen der ersteren und letzteren nicht verschont, haben wir eben gesehen; daß er kleine Thiere nicht verschmäht, ist durch hinlängliche Beobachtung festgestellt worden. Auch für unseren Adler gilt das, was ich im Eingange über die schmarotzenden Bewohner des Adlerhorstes sagte. In seinem Neste siedeln sich namentlich Sperlinge an, und sie wohnen dem Anscheine nach unbehelligt; an gutem Willen, sie abzuwürgen, fehlt es dem Adler aber nicht. Dies beweist eine Beobachtung Radde’s, welcher den Steinadler Lerchen fangen sah. »Die Kalanderlerchen«, sagt er, »verfolgten ihn, sobald er aufflog. Ließ er sich nun auf der nächsten Erhöhung nieder, so setzten sich die kleinen Vögel auf den Boden und waren gar nicht scheu. Plötzlich aber sprang der Adler in die Menge von ihnen hinein, griff blitzschnell zu, und hielt gewöhnlich eine von ihnen als Beute fest.« Aus meines Vaters Beobachtungen geht hervor, daß der Adler sich auch nicht scheut, einen Igel anzugreifen, so unangenehm ihm das Stachelkleid desselben sein mag. Ebensowenig als letzteres den Igel, schützt die eisenharte Schale die Schildkröte vor seinen Angriffen. »Die von Plinius erwähnte Sage«, bemerkt von der Mühle, »daß Aeschylos durch eine von einem Adler auf seinen kahlen Kopf geworfene Schildkröte erschlagen worden sei, entbehrt durchaus nicht der Wahrscheinlichkeit. Denn häufig ergreift dieser Adler eine Landschildkröte, erhebt sich mit ihr in die Luft, läßt sie auf einen Felsen fallen und wiederholt dies so oft, bis sie zerschellt, worauf er sich daneben hinsetzt und sie verzehrt.« Viele Thiere, welche durch ihren Aufenthalt Schutz genießen, werden ihm dennoch zur Beute, weil er sie so lange jagt, bis sie ermattet sich ihm hingeben. So ängstigt er Schwimmvögel, welche sich bei seinem Erscheinen durch Tauchen zu retten suchen, bis sie nicht mehr tauchen können und nimmt sie dann ohne Umstände weg. Ungeachtet des nicht wegzuleugnenden Stolzes, welcher ihn bei allen seinen Handlungen beseelt, verschmäht er nicht, zu schmarotzen, läßt andere Räuber, beispielsweise den Wanderfalken, für sich arbeiten und zwingt sie, die eben gewonnene Beute ihm abzulassen. Zuweilen nimmt er selbst dem Jäger erlegtes Wild vor den Augen weg. In unzugänglichen Felsen in der Nähe von Astros in Griechenland hauste ein Steinadlerpaar, welches von der Mühle vier Jahre nach einander beobachtete. Unweit des genannten Ortes befindet sich ein großer Sumpf, in dessen Mitte ein See liegt, welch letzterer im Winter von unzähligen Scharen allerlei Wassergeflügels bewohnt wird. »Dorthin«, so erzählt der genannte, »begab ich mich im Winter oftmals auf die Jagd. Dabei ereignete es sich öfters, daß ein von mir erlegtes Stück weit im Teiche liegen blieb und von meinen Hunden nicht geholt wurde, daher diesen Adlern als Beute anheim fiel. Dies hatten sie sich gemerkt, und zwar so, daß sie jedesmal, wenn ein Schuß an diesem Sumpfe fiel, ihre Felsen verließen, über dem See kreisten und mit unglaublicher Kühnheit mir oft das erjagte Wild vor den Augen wegtrugen, ohne daß ich sie erlegen konnte.« Schon aus diesen Angaben geht hervor, daß der Adler keineswegs immer selbst erworbene Beute erhebt; ich will aber noch ausdrücklich hervorheben, daß er auch auf dem Aase regelmäßig sich einstellt. Allerdings bevorzugt er erst vor kurzem verendete Thiere solchen, welche bereits in Fäulnis übergegangen sind, darf jedoch in dieser Beziehung durchaus nicht als Kostverächter bezeichnet werden. Unter besonderen Umständen, vielleicht bei großem Hunger, verschlingt er sogar Pflanzenstoffe: Reichenow hat Kartoffeln in seinem Magen gefunden.

Die gefangene und getödtete oder wenigstens halb erwürgte Beute wird vor dem Verzehren von dem Adler erst oberflächlich gerupft; nachdem dies geschehen, fängt er beim Kopfe zu fressen an, zertrümmert die Knochen desselben und verspeist auch sie mit, falls ihm ersteres gelang. Bei größeren Vögeln läßt er nur den Schnabel liegen. Nach dem Kopfe wird der Hals verzehrt, sodann der übrige Körper. Die mit Unrath gefüllten Gedärme verschmäht, alles übrige, welches er zerbeißen kann, verschluckt und verdaut er. Da er wie Habichte und Edelfalken nur kleine Stücke verschlingt, bringt er mit dem Kröpfen einer halben Krähe etwa zwanzig Minuten zu. Er frißt mit größter Vorsicht, sieht sich von Zeit zu Zeit um und lauscht nach allen Seiten hin. Bei dem geringsten Geräusche hält er inne, blickt lange nach der Gegend, von welcher es herkam, und fängt erst dann wieder zu fressen an, wenn alles ruhig geworden ist. Nach der Mahlzeit putzt er sich den Schnabel sehr sorgfältig. Haare und Federn sind auch ihm dringendes Bedürfnis; sie scheinen zur Reinigung seines Magens unentbehrlich zu sein. Nach vollendeter Verdauung ballen sie sich zu einem Klumpen zusammen, und diesen, das Gewölle, speit er aus, gewöhnlich alle fünf bis acht Tage einmal. Entzieht man ihm Haare oder Federn, so würgt er Heu oder Stroh hinab. Knochen, welche er sehr gern mit verschlingt, werden vollständig verdaut.

Der Adler horstet frühzeitig im Jahre, gewöhnlich schon Mitte oder Ende März. Sein Horst steht im Gebirge, wenn auch nicht ausnahmslos so doch vorzugsweise in großen, oben gedeckten Nischen oder auf breiten Gesimsen an möglichst unersteiglichen Felswänden, in ausgedehnten Waldungen dagegen auf den Wipfelzweigen der höchsten Bäume, ist daher je nach dem Standorte verschieden. Wenn er auf einem Baume angelegt wurde, besteht er regelmäßig aus einem massigen Unterbaue von starken Knüppeln, welche der Adler entweder vom Boden aufhebt oder, indem er sich aus großer Höhe herab auf dürre Aeste stürzt und sie im rechten Augenblicke mit den Fängen packt, von den Bäumen abbricht. Dünnere Zweige bilden den Oberbau, feinere Reiser und Flechten die Ausfütterung der sehr flachen Mulde. Ein solcher Horst hat 1,30 bis 2 Meter, die Mulde 70 bis 80 Centimeter im Durchmesser, wächst aber, da er lange Zeit nach einander benutzt wird, von Jahr zu Jahr, wenn auch nicht an Umfang, so doch an Höhe, und stellt so bisweilen ein wahrhaft riesiges Bauwerk dar. Auf einer sicheren Unterlage, wie sie Felsnischen darbieten, macht der Adler weniger Umstände. Zwar trägt er auch hier in der Regel große Knüppel zusammen, um aus ihnen den Unterbau zu bilden, und stellt dann den Oberbau in ähnlicher Weise her; unter Umständen aber genügen ihm auch schwache Reiser. So untersuchte Girtanner in Graubünden einen Adlerhorst, welcher aus nichts anderem als einem ungeheueren Haufen dünner Föhren- und Lärchenreiser bestand und eine Höhe von einem, eine Länge von drei und eine Breite von zwei Meter zeigte. Die betreffende Felsnische, offenbar entstanden durch das Herausstürzen eines großen Blockes, war von oben und von den Seiten so geschützt, daß der Horst kaum einer Kugel, geschweige denn einem menschlichen Fuße nahbar gewesen wäre; denn vorn hatte der Adler nur zu beiden Seiten eine Stelle frei gelassen, auf welcher er fußen konnte; der vordere Rand des Horsthaufens überragte denjenigen des Bodens der Nische, und es blieb für das Gelege, den brütenden Adler und die Brut nur im hinteren Winkel der Horststätte eine sehr vertiefte Stelle frei. »Mit dem gewaltigen Reiserhaufen«, sagt unser Gewährsmann, »hat der junge Adler eigentlich nichts zu schaffen, wohl aber schützt derselbe in erster Linie das Gelege, welches hinter ihm liegt, einigermaßen vor Sturm und Wetter, gegen Kälte und vor Schaden durch Windstöße, erweist dieselbe Wohlthat auch dem brütenden Adler, welcher wohl trotzdem bei der frühen Brutzeit der Kälte, dem Schnee und allem Unwetter ausgesetzt sein mag, und bewahrt später die Jungen in Abwesenheit ihrer Eltern vor dem Sturze in die Tiefe, da sie den hohen, stacheligen Wall wohl nicht so bald zu überschreiten versuchen dürften.« Die Eier sind verhältnismäßig klein, sehr rundlich, rauhschalig und auf weißlichem oder grünlichgrauem Grunde unregelmäßig mit größeren und kleineren graulichen und bräunlichen Flecken und Punkten, welche oft zusammenlaufen, gezeichnet. Man findet ihrer zwei bis drei im Horste, selten aber mehr als zwei Junge, oft nur ein einziges. Das Weibchen brütet ungefähr fünf Wochen. Die aus dem Eie geschlüpften Jungen, welche bereits in den ersten Tagen des Mai das Licht der Welt erblicken, sind wie andere Raubvögel dicht mit graulichweißem Wollflaume bedeckt, wachsen ziemlich langsam heran und werden kaum vor der Mitte, meist erst zu Ende des Juli flugfähig. Anfänglich sitzen sie fast regungslos auf ihren Fußwurzeln, und nur der manchmal sich bewegende Kopf verräth, daß sie leben; später erheben sie sich dann und wann, nesteln sehr viel im Gefieder, welches beim Heranwachsen unbehagliches Jucken zu verursachen scheint, breiten von Zeit zu Zeit die noch stummelhaften Fittige, stellen, indem sie letztere bewegen, gewissermaßen Flugversuche an, erheben sich endlich auf die Zehen, trippeln ab und zu nach dem vorderen Rande und schauen neugierig in die ungeheure Tiefe hinab oder nach den ersehnten Eltern in die blaue Luft hinauf, bis sie endlich das Nest verlassen und sich selbst zu letzterer aufschwingen können. Beide Eltern widmen sich ihnen mit hingebender Zärtlichkeit, und namentlich die Mutter zeigt sich treu besorgt, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. So lange sie noch klein sind, verläßt sie kaum das Nest, hudert sie, um sie zu erwärmen, trägt, wie Girtanner selbst gesehen hat, tagtäglich frische Lärchenzweige in das Nest, um die vom Kothe der Jungen beschmutzten und benetzten, welche vorher weggeschafft wurden, zu ersetzen und so den Kleinen stets ein trockenes Lager zu bereiten, und schleppt endlich mit dem Männchen im Uebermaße Beute herbei, um sie vor jedem Mangel zu schützen. In der frühesten Jugend erhalten sie nur solche Atzung, welche bereits im Kropfe der Mutter vorverdaut ist; später zerlegt ihnen diese die gefangene Beute; endlich tragen beide Eltern unzerfleischten Raub in den Horst und überlassen es den Jungen, ihre Mahlzeit zu halten, so gut sie vermögen, um sie allgemach an Selbständigkeit zu gewöhnen. Damit hängt zusammen, daß beide Eltern eines Adlerpaares, mindestens das Weibchen, anfänglich sehr viel im Horste sich aufhalten, wogegen sie später, im Einklange mit der zunehmenden Entwickelung ihrer Jungen, länger und auf weiterhin sich entfernen und zuletzt, wenn sie die Brut mit Nahrung versorgt wissen, sich oft tagelang nicht mehr zu Hause sehen lassen. Gegen das Ende der Brutzeit hin ähnelt der Adlerhorst einer Schlachtbank oder einer förmlichen Luderstätte. Denn so sorgfältig die Alten auch auf Erneuerung der Niststoffe bedacht sind, so gleichgültig lassen sie die Nestvögel zwischen den faulenden, im Horste liegenden Fleischüberresten und dem in Masse herbeigezogenen und dort entstehenden Ungeziefer sitzen. Wie groß die Anzahl der Opfer ist, welche ihr Leben lassen müssen, um das zweier junger Adler zu erhalten, geht aus einer Angabe Bechsteins hervor, laut welcher man in der Nähe eines Horstes die Ueberbleibsel von vierzig Hasen und dreihundert Enten gefunden haben soll. Diese Schätzung ist vielleicht übertrieben: schlimm genug aber haust das Adlerpaar unter den Thieren der Umgegend, und zwar einer Umgegend im weiteren Sinne des Wortes; denn man hat beobachtet, daß es Reiher zwanzig bis dreißig Kilometer weit dem Horste zuschleppte. In einem Horste, zu welchem sich der Jäger Ragg am zweiten Juli 1877 hinabseilen ließ, lagen ein noch unberührtes und ein zu drei Viertheilen verzehrtes Gemskitz, die Reste eines Fuchses, eines Murmelthieres und von nicht weniger als fünf Alpenhasen. Dem kleineren Herdenvieh wird der Adler während der Brutzeit zu einer wahren Geisel, dem Hirten zur schlimmsten Plage; kein Wunder daher, daß der Herdenbesitzer alles aufbietet, des so furchtbaren Räubers sich zu erwehren.

Die Jagd des Steinadlers verlangt in den meisten Fällen einen guten Bergsteiger und sehr sicheren Büchsenschützen; denn der Vogel ist einzig und allein da, wo er noch niemals Nachstellungen erfuhr, so vertrauensselig, daß er unterlaufen und ohne sonderliche Anstrengungen beschlichen werden kann, weitaus in den meisten Fällen dagegen, und zwar schon in früher Jugend, ungemein vorsichtig und scheu. Mit zunehmendem Alter steigert sich sein Mißtrauen ebenso sehr, als sein Verständnis zunimmt. Auch er unterscheidet den ihm unschädlichen Menschen von dem Jäger, raubt beispielsweise ungescheut in der Nähe des Hirten und flieht schon aus weiter Ferne den bewaffneten Mann, nimmt jedoch in der Regel das gewisse für das ungewisse und entzieht sich weitaus in den meisten Fällen rechtzeitig jeder ihm drohenden Gefahr. Selbst am Horste setzt er die ihm eigene Vorsicht selten aus den Augen, und wenn er vollends erfahren mußte, daß sein Gatte dem mörderischen Blei erlag, ist ihm gar nicht mehr beizukommen. Am leichtesten gelingt es, auf ausgelegtem Luder seiner habhaft zu werden; doch darf man sich längeres Warten in der benachbarten, wohl verdeckten Hütte nicht verdrießen lassen. Gefallenes Wild bevorzugt er allem übrigen Aase, und wenn man in der Nähe eines solchen einen lebenden Uhu aufstellt und sich nebenbei in einen wohl verdeckten Hinterhalt legt, darf man mit ziemlicher Sicherheit auf günstige Jagd rechnen. So erzählte mir Kronprinz Rudolf von Oesterreich, einer der eifrigsten und glücklichsten Steinadlerjäger, dessen Erfahrung in dieser Beziehung die manches alten, ergrauten Waidmannes bei weitem übertrifft. Leichter als von dem Jäger läßt sich der Adler durch Fallen berücken; ein richtig geköderter Schwanenhals führt ziemlich sicher zum Ziele; auch ein Schlaggarn leistet gute Dienste. Die Chinesen zum Beispiel gebrauchen nur das letztere, um sich unseres Vogels zu bemächtigen.

Jung aufgezogene Adler werden bald zahm und menschenfreundlich, gewöhnen sich so an ihren Gebieter, daß sie ihn vermissen, wenn er längere Zeit nicht bei ihnen war, ihn mit fröhlichem Geschrei begrüßen, wenn er wieder zu ihnen kommt, und ihm nie gefährlich werden. Mit ihresgleichen, auch mit anderen großen Raubvögeln, vertragen sie sich in der Regel gut, aber doch wohl nur dann, wenn sie sich überzeugt haben, daß sie ihren Mitgefangenen nichts anhaben können. Zu trauen ist ihnen ebensowenig wie allen übrigen Raubvögeln. Mehrere Junge namentlich dürfen ohne strenge Beaufsichtigung nicht in einem engen Raume zusammengehalten werden, weil ihnen noch genügende Erkenntnis fehlt und einer aus reinem Unverstande über den anderen herfällt, denselben vielleicht erst nach längeren Kämpfen meistert und dann mit aller Gemüthsruhe verzehrt. Bei alten hat man solche Vorkommnisse weniger zu fürchten, und wenn der Raum groß genug ist, kann man ihnen auch kleinere Raubvögel gesellen, deren Gewandtheit sie vor etwa aufkeimenden räuberischen Gelüsten schützt. Die für sie geeignetsten Genossen sind offenbar die Geier, deren Tölpelhaftigkeit ihnen gestattet, sich stets rechtzeitig eines Futterbrockens zu bemächtigen, und deren achtunggebietende Stärke sie von Hause aus vor Uebergriffen bewahrt. Wind und Wetter fechten sie wenig an; doch verlangen auch sie, wenn sie sich auf die Dauer wohlbefinden sollen, einen geschützten Raum, nach welchem sie sich zurückziehen können, wenn es ihnen beliebt. Zwar sieht man sie selbst bei der strengsten Kälte oder im heftigsten Winde auf den höchsten Zweigen ihres Fluggebauers sitzen, bemerkt aber ebenso, daß sie zuweilen sich förmlich verkriechen, offenbar nur, um vor ungünstigen Witterungseinflüssen sich zu schützen. Wie unbehaglich ihnen naßkalte Witterung oder Regen ist, geht aus ihrem Betragen klar hervor. Während sie bei Sonnenschein sich bewegen, oft und viel schreien, sitzen sie bei Regenwetter lange Zeit auf einer und derselben Stelle, ohne sich zu rühren, und sehen dann ungemein verdrossen aus. An die Nahrung stellen sie geringe Ansprüche. Jede Fleischsorte ist ihnen recht, und Haare und Federn gehören wenigstens nicht zu ihren unabweislichen Bedürfnissen. Dagegen verlangen sie unter allen Umständen viel und reines Wasser, um nach Belieben trinken, und noch mehr, um sich baden zu können. Denn sie sind sehr reinlich, dulden ebensowenig an ihrem Gefieder wie an ihrem Schnabel irgend welchen Schmutz und putzen sich fortwährend. Bei einigermaßen genügender Pflege halten sie viele Jahre in der Gefangenschaft aus. »In der kaiserlichen Hofburg zu Wien«, erzählt Fitzinger, »wo nach einer alten Sitte der Regenten aus dem Hause Habsburg durch mehrere Jahrhunderte hindurch lebende Adler in der Gefangenschaft gehalten und sorgfältig gepflegt wurden, lebte ein Goldadler vom Jahre 1615 bis 1719, und in Schönbrunn starb im Jahre 1809 ein Adler derselben Art, welcher fast volle achtzig Jahre in der Gefangenschaft zugebracht hatte.«

Schon Pallas und nach ihm Eversmann haben uns berichtet, daß Stein- und Goldadler von den Baschkiren und anderen innerasiatischen Völkerschaften zur Jagd abgetragen werden. Auf unserer Reise nach Sibirien und Turkestan habe ich die riesigen Baizvögel selbst gesehen und von den Kirgisen, welche sich mit Vorliebe ihrer bedienen, das nachstehende über Abtragung und Verwendung erfahren. Alle kirgisischen Jäger, welche sich des Steinadlers als Baizvogel bedienen, entnehmen denselben so jung als möglich dem Horste und ziehen ihn mit größter Sorgfalt auf. Der junge Adler wird nur aus und auf der Hand des Falkners gekröpft, um sich von frühester Kindheit auf an seinen Pfleger zu gewöhnen, später, jedoch nicht bevor er vollständig ausgefiedert, nach dem Kröpfen auch jedesmal sorgfältig behäubt. Eine besondere Abtragung hält der Kirgise nicht für nothwendig, begnügt sich vielmehr, den Vogel auf die Faust und an den Anruf zu gewöhnen; vererbte Gewohnheit muß das fehlende ergänzen. Nachdem der Adler vollkommen flugbar geworden, zieht der Falkner mit ihm in die Steppe hinaus, um ihn zunächst auf schwaches Wild, namentlich Bobaks und Zisel, zu werfen. Da der schwere Vogel die durch einen starken Handschuh geschützte Faust bald ermüdet, hat der Reiter entweder vorn am Sattelknopfe oder im Steigbügel eine Stütze angebracht, auf welcher er seinen Vorderarm ruhen läßt. Dank der Fertigkeit aller Kirgisen, auch auf den schwierigsten Wegen zu reiten, erklimmt der berittene Falkner mit seinem Baizvogel stets eine Höhe, welche weitere Umschau gewährt, enthäubt den Vogel, wenn er für ihn geeignetes Wild erspäht hat, und wirft ihn in die Luft. Der Adler stellt sich im Anfange meist ziemlich ungeschickt an, erwirbt sich aber bald die nöthige Fertigkeit, um ein Steppenmurmelthier zu schlagen, bevor es seinen Bau erreicht. Versteht er solche Jagd, so wird er nunmehr auf den Fuchs verwendet. Letzteren scheuchen die Gehülfen des Jägers aus seinem Verstecke, verfolgen ihn zu Pferde und versuchen, ihn so zu treiben, daß er in der Nähe des Falkners vorüber kommen muß. Im geeigneten Augenblicke wirft letzterer seinen Baizvogel. Dieser erhebt sich, beschreibt ein oder zwei Kreise, stürzt sich dann in schiefer Richtung von oben auf den Fuchs herab und schlägt ihm die Fänge in den Hinterleib. Der Fuchs duckt sich augenblicklich nieder, um seinem Gegner einen tödtlichen Biß zu versetzen; dieser aber nimmt den Augenblick wahr und greift jenen im Gesichte an, seine Fänge womöglich in die Augen schlagend. Reineke versucht auch jetzt noch, seiner Haut sich zu wehren, und vereitelt, indem er sich mit dem Adler plötzlich zu Boden wirft und auf dem Rücken wälzt, auch wohl noch einen zweiten oder dritten Angriff; die Reiter aber sind ihm stets auf den Fersen und lähmen, wenn nicht seine Kraft so doch seinen Muth. Auch erkennt der Adler sehr bald, mit welchem gefährlichen Gegner er es zu thun hat, löst in demselben Augenblicke, in welchem der Fuchs sich auf den Rücken drehen will, seine Fänge, erhebt sich in die Luft und schwebt als drohende Gewitterwolke wiederum über dem armen Schelme, bereit, den furchtbaren Fang nochmals um sein Haupt zu schlagen. So wiederholt angegriffen und fortwährend bedroht, ermattet der Fuchs schneller als man annehmen möchte und läßt sich endlich ziemlich widerstandslos festhalten, bis die nacheilenden, durch jauchzenden Zuruf den Adler anfeuernden Jäger herbei kommen und jenen durch einen geschickten Schlag mit der Keule von seinen Leiden befreien. Wenn der Adler auch die Fuchsjagd genügend versteht, wirft ihn der Falkner auf den Wolf, welcher ebenso wie sein Verwandter aufgescheucht wurde. Nicht jeder Adler wagt es, dieses unverhältnismäßig stärkere Raubthier anzugreifen; ein in der Fuchsjagd wohl erfahrener Baizvogel aber thut dies unabänderlich, obwohl stets mit der größten Vorsicht, so genau auch die Art und Weise seines Angriffes der bisher geübten entspricht. Den Wolf ernstlich zu gefährden, wie es hinsichtlich des Fuchses sehr oft der Fall ist, würde für den Adler unmöglich sein; die nachjagenden Reiter aber beeifern sich jetzt mehr als je, rechtzeitig zu Hülfe zu kommen, und daher ist auch der von einem Adler angegriffene Wolf regelmäßig verloren. Ein Adler, welcher Isegrim, den verhaßten, schlägt, und dann ohne weiteres auch auf Antilopen und anderes Wild verwendet werden kann, ist den Kirgisen nicht feil; schon ein Baizvogel, welcher mäßigen Ansprüchen genügt, hat in seinen Augen den Werth von drei bis vier Stuten. Mit zwei Adlern zugleich kann man nicht jagen, weil die Eifersucht beide so erregt, daß sie sich gegen einander kehren und auf Leben und Tod bekämpfen.

Viel allgemeiner als der lebende, findet der todte Adler Verwendung. Schon unter unseren Tyrolern und den mit ihnen demselben Volksstamme angehörigen Oberbayern gelten einzelne Theile des Adlers als kostbarer Schmuck. Obenan stehen die »Adlerflaumen« oder Unterschwanzdeckfedern, welche gerne mit zwei bis fünf Gulden bezahlt werden; nächstdem werden die Krallen geschätzt. Man liebt es, an der meist aus Silber bestehenden Uhrkette die Haken des Edelhirsches, die Fangzähne des Fuchses, die Krallen des Habichtes und Uhus, als höchste Zierde aber die Klauen des Adlers zu tragen. Besonders begehrt ist die Hinterkralle, minder eine oder die andere der beiden größeren und stärkeren Vorderzehen, am wenigsten die schwache der kleinsten Zehe. Für die erstere zahlt der Gebirgsbewohner gern bis zwölf Mark unseres Geldes, und demgemäß steigert sich im Gebirge der Preis eines erlegten Steinadlers meist bis auf sechzig, ja selbst bis auf achtzig Mark. Unter den Chinesen dienen Kopf und Fänge als geschätzte Arzneimittel, die Schwingen zur Herstellung von Fächern und zur Befiederung der Pfeile. Auch bei den Burjäten stehen Schwingen und Steuerfedern hoch im Preise, und von den Mongolen werden sie als Opfergaben den Göttern dargebracht. Hiermit scheint ein Vorurtheil dieser Leute zusammenzuhängen. Man tödtet, wie Radde mittheilt, den Adler nicht gern; geschieht es aber, daß einer verletzt oder gefangen wird, so muß er so rasch wie möglich todt geschlagen werden, widrigenfalls man sich den Zorn der bösen Geister zuziehen würde.

Es ist beachtenswerth, daß unter Indianern Amerikas ähnliche Anschauungen herrschen. »Sie nehmen«, so erzählt der Prinz von Wied, »den großen Adler gern aus dem Horste, um ihn aufzuziehen, und sammeln alsdann seine Schwanzfedern, welche bei ihnen einen hohen Werth haben: eine einzelne Feder wird für den Werth eines Dollars verkauft. Die Federn sind bei allen indianischen Völkerschaften von Nordamerika Zeichen ihrer Heldenthaten, und bei den meisten derselben steckt man eine solche Feder für die Erlegung eines Feindes auf. Mit Zinnober rothgefärbte Adlerfedern, an deren Spitze die Schwanzklapper einer Klapperschlange befestigt wird, haben eine Bedeutung, welche nur in indianischen Augen ehrenvoll ist: sie bezeichnen nämlich die höchst ausgezeichnete und verdienstvolle That eines Pferdediebstahles. Die Indianer verzieren ferner ihre großen Federhauben damit, indem die Federn aufrecht in einer langen Reihe auf einem rothen Tuchstreifen befestigt werden, an welchem oben eine Federmütze angebracht ist. Hat man diese Mütze aufgesetzt, so hängt der rothe Tuchstreifen mit den kammartig aufrecht stehenden Adlerfedern bis zur Erde über den Rücken hinab. Die Mandan-Indianer nennen diesen, bei den größten Festlichkeiten gebräuchlichen Putz ›Mahehsi-akub-haschka‹, und bloß ausgezeichnete Krieger dürfen ihn tragen; auch ist er sehr kostbar, und nur gegen ein schönes Pferd würde der Besitzer einen solchen vertauschen. Ich muß hier nur bemerken, daß man in den meist idealisch zusammengesetzten Bildern des Malers Catlin bei der Bisamjagd der Indianer jene große Federhaube abgebildet sieht. Dies ist gänzlich unrichtig. Der Indianer geht ohne allen Putz zur Jagd wie zum Kriege; nur seinen Talisman wird er nie vergessen. Die große Federhaube wird auch wohl von einem berühmten Anführer in einer großen Schlacht oder einem vorherzusehenden Gefechte getragen, doch nur in seltenen Fällen, und nie auf der Jagd. Auch an ihren Waffen befestigen die Indianer öfters Adlerfedern, oder sie tragen sie in den Haaren, und der Flügel dient ihnen als Fächer.«

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