Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

27.02.2023, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei
Bitterstoffe verderben Eichenwickler-Raupen den Appetit
Forschungsteam entschlüsselt molekulare Grundlagen des Kampfes zwischen Stieleichen und ihren Fressfeinden
Wehrlos? Von wegen! Bäume verfügen über ein ganzes Arsenal an Möglichkeiten, Schädlinge, die sie befallen, im Zaum zu halten. Im Laufe der Evolution haben zum Beispiel manche Stieleichen (Quercus robur) die Fähigkeit entwickelt, bei Befall durch Eichenwickler, deren Raupen die Bäume kahlfressen können, flüchtige Signalstoffe abzugeben. Diese chemischen Substanzen halten die weiblichen Eichenwickler-Falter davon ab, den Wirtsbaum zu finden und Eier zu legen. Dies ist jedoch nicht die einzige Abwehrstrategie. Eichenblätter enthalten eine Vielzahl von sekundären Pflanzenstoffen, sogenannte Phytochemikalien, die für den Baum nicht lebensnotwendig sind, aber eine wichtige Rolle bei den Pflanzen-Insekten-Interaktionen spielen. Einige dieser niedermolekularen Verbindungen können den Eichenwickler-Raupen förmlich den Appetit verderben und ihr Wachstum beeinträchtigen.
Forschende des Thünen-Instituts für Forstgenetik in Großhansdorf und des Helmholtz Zentrums München haben nun das „Gesamtpaket“ dieser chemischen Substanzen, die im Stoffwechsel der Bäume gebildet werden – das sogenannte Metabolom – näher untersucht. Dafür haben sie Eichen, die von Eichenwickler-Raupen stark in Mitleidenschaft gezogen werden, mit solchen verglichen, die einen Befall relativ gut tolerieren. Lassen sich zwischen den anfälligen und den toleranten Bäumen Unterschiede im Blatt-Metabolom finden? „Tolerante Eichen investieren mehr Ressourcen in die Synthese von bitteren Polyphenolen. Diese machen als sogenannte Antifeedantien die Blätter für die Raupen schwerer verdaulich“, sagt Dr. Hilke Schröder vom Thünen-Institut für Forstgenetik. Das Forschungsteam hat sich auch den Speichel und den Kot der Raupen näher angeschaut, um herauszufinden, was mit den Blattbestandteilen während und nach der Verdauung geschieht. Die Forschenden fanden heraus, dass pflanzliche Sekundärmetabolite (z. B. Flavonoide; eine zu den Polyphenolen gehörende Gruppe) länger erhalten bleiben und nicht so schnell abgebaut werden wie die Verbindungen aus dem Primärstoffwechsel (z. B. Kohlenhydrate). Darüber hinaus weisen die Stoffwechselreaktionen auf unterschiedliche Abbauwege hin, die die Larven für die Blätter der toleranten bzw. anfälligen Eichen nutzen.
Von Interesse waren auch die Mikroorganismen im Darm der Insekten (das sogenannte Mikrobiom), da die Darmflora eine entscheidende Rolle bei der Verdauung spielt. Die Forschenden fütterten Eichenwickler über mehrere Generationen hinweg mit Blättern, die entweder nur von anfälligen oder nur von toleranten Eichen stammten. Interessanterweise blieb die Zusammensetzung der Mikroorganismen im Darm relativ konstant, unabhängig von der Art der Blätter, die den Raupen als Futter dienten. Das deutet darauf hin, dass die Darmflora relativ stabil ist und sich nur wenig an das verfügbare Futter anpasst. Dennoch waren die Eichenwickler-Raupen in der Lage, die ungünstigen Eigenschaften der pflanzlichen Abwehrstoffe zu minimieren – wenn auch unter Einbußen ihrer Wachstumsgeschwindigkeit und ihrer Fitness.
Originalpublikation:
Bertić M, Orgel F, Gschwendtner S, Schloter M, Moritz F, Schmitt-Kopplin P, Zimmer I, Fladung M, Schnitzler J-P, Schroeder H, Ghirardo A (2023): European oak metabolites shape digestion and fitness of the herbivore Tortrix viridana. Functional Ecology. DOI:10.1111/1365-2435.14299

7.02.2023 11:23
Studie belegt Kollision von Finnwal mit Schiff – Lebens- und Leidensgeschichte von Ausstellungsobjekt rekonstruiert
Mareen Gerisch Presse und Kommunikation
Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels
Finnis imposanter Schädel mit der mächtigen Schulterpartie ist im Foyer des Museums der Natur Hamburg nicht zu übersehen. Wer genau hinschaut, erkennt am Schulterblatt des Finnwals allerlei ungewöhnlich knubbelige Verwachsungen. Jetzt belegt eine im Fachjournal PLOS ONE veröffentlichten Studie des Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB), dass Finni die Kollision mit einem großen Schiff mit schweren Knochenbrüchen überlebte und viele Jahre unter posttraumatischen Haltungsschäden und Arthrose litt. Die Analyse ist die erste detaillierte Rekonstruktion einer historischen Wal-Schiff-Kollision in den Meeren der Südhalbkugel, die in die 1940er Jahre zurückreicht.

Mit der Lebens- und Leidensgeschichte des ausgewachsenen Finnwals von knapp 20 Metern Länge wird mehr als nur ein Einzelschicksal rekonstruiert. Schiffsunfälle haben sich im 20. Jahrhundert zu einer großen Bedrohung für Wale entwickelt, da die Größe und Geschwindigkeit der Schiffe und auch der Verkehr insgesamt stark zugenommen haben. Finnwale gehören zu denjenigen Arten, die am häufigsten von Schiffen angefahren und schwer verletzt werden. Anhand des Skeletts von Finni konnten jetzt die Folgen eines solchen Zusammenstoßes erstmals dreidimensional rekonstruiert werden.
Die Studie beschreibt zudem das Schicksal eines Wales, der als eines der letzten Opfer in die Geschichte des deutschen Walfangs eingehen dürfte. Finni wurde nämlich 1952 von der Flotte des griechischen Reeders Aristoteles Onassis im Südpolarmeer erlegt, in einer Zeit, in der unter deutscher Flagge eigentlich gar kein Wal mehr gejagt werden durfte. Der Hamburger Biologe Kurt Schubert war jedoch mit an Bord und sicherte das Skelett für das damalige Zoologische Museum in Hamburg – heute Museum der Natur Hamburg. Hier waren die Knochen über Jahrzehnte in der wissenschaftlichen Sammlung gut verwahrt, bevor sie vor einigen Jahren im Rahmen eines Forschungsprojektes zur Gesundheit mariner Säugetiere erstmals wissenschaftlich untersucht wurden.
Für die Analyse der Knochenveränderungen haben die Autoren ein 3D-Modell der Oberflächen jedes einzelnen Knochens erstellt und das Skelett dann virtuell wieder zusammengesetzt. Damit wurden alle Abweichungen von der natürlichen Symmetrie des Körpers vermessbar. Die Diagnose: Finni litt unter anderem an Arthrose. Einige Rippen und einige Wirbelfortsätze zeigen verheilte Knochenbrüche. Das rechte Schulterblatt war geradezu zertrümmert, bevor es in einem langen und schmerzhaften Heilungsprozess schließlich versetzt und verkürzt wieder zusammenwuchs.
Die verbogenen Wirbelfortsätze deuten auf einen dauerhaften Haltungsschaden hin, der sich aus einem langanhaltenden Schonverhalten entwickelt hat und letztlich das Tier für viele Jahre in seiner Beweglichkeit stark eingeschränkt haben muss. Die Autoren vermuten, dass das gebrochene Schulterblatt die Bewegung insbesondere des rechten Arms stark beeinträchtigte. „Da der Wal seine Arme nur schwer schonen kann, denn ohne sie kann er nicht steuern oder tauchen, konnte das gebrochene Schulterblatt nur sehr langsam heilen. Wir können also davon ausgehen, dass der Zeitpunkt der Kollision viele Jahre vor dem Abschuss des Finnwals im Jahr 1952 liegen muss. Somit wissen wir, dass der Zusammenstoß mit dem Schiff in den 1940er Jahren stattfand“, sagt Prof. Dr. Thomas Kaiser, Sektionsleiter Mammalogie & Paläoanthropologie am Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB), Museum der Natur Hamburg.
Die Forschenden animierten zudem das digitalisierte Modell und visualisierten so das Szenario einer plausiblen Schiff-Wal-Kollision und deren Folgen für den Wal. In Anbetracht der Größe des Tiers erlaubt es nur ein virtuelles Modell des Skeletts die Kollision und den räumlichen sowie zeitlichen Ablauf der Verletzungen im Verhältnis zum Schiffsrumpf zu rekonstruieren“, so Hannah Viola Daume, die die Studie als Abschlussarbeit maßgeblich mitgestaltet hat.
In der Studie wurden daher verschiedene Techniken der 3D-Oberflächenmodellierung eingesetzt, um ein virtuelles Modell des gesamten Finnwal-Skeletts zu erstellen. „Das digitale Modell eignet sich perfekt zur Visualisierung“, sagt Kaiser. Ein verkleinerter 3D-Ausdruck macht das riesige Skelett zudem für die Öffentlichkeit erlebbar, denn Platz für das montierte Original wird es wohl erst im Museumsneubau in der Hamburger HafenCity geben.
Originalpublikation:
https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0281316

28.02.2023 14:40
In der Aasfresserfalle. Bernstein aus der Kreide konserviert Eidechsen-Kadaver mit nekrophagen Insekten – ohne Ameisen
Judith Jördens Senckenberg Pressestelle
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Ein internationales Wissen- schaftler*innen-Team um Mónica Solórzano Kraemer vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt hat eine Reihe hervorragend erhaltener kreidezeitlicher Bernsteine untersucht, in denen Eidechsen-Kadaver gemeinsam mit aasfressenden Insekten eingeschlossen sind. Die Ergebnisse ihrer jetzt im Fachjournal „Nature Scientific Reports“ erschienenen Studie zeigen: Die in einem frühen Stadium der Zersetzung konservierten Reptilien hatten typische nekrophage Fliegen angelockt – aber keine Ameisen. Die heute als „Gesundheitspolizei des Waldes“ bekannten Insekten spielten offenbar vor 99 Millionen Jahren als Aasfresser noch keine Rolle.

Stirbt ein Lebewesen in der Natur, ist eine Vielzahl verschiedener Organismen an der Zersetzung des Kadavers beteiligt. Die Untersuchung der komplexen Abfolge aasfressender Insekten und Larven, die sich von einem toten Organismus in verschiedenen Stadien seiner Verwesung ernähren – sogenannte Destruenten – ist ein Kerngebiet der forensischen Wissenschaft. Als Fossilien aber sind Kadaver gemeinsam mit ihren Destruenten praktisch nicht überliefert, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen. Das Wissen über die Entwicklung nekrophager Insekten ist entsprechend eingeschränkt. Einige seltene Beispiele hat Dr. Mónica Solórzano Kraemer gemeinsam mit Forschenden vom CN-Instituto Geológico y Minero de España CSIC, Valencia, den Universitäten von Barcelona und Yangon, dem Natural History Museum Los Angeles und der Peretti Museum Foundation nun untersucht: in Bernstein eingeschlossene Eidechsen, die zusammen mit aasfressenden Fliegen vor 99 Millionen Jahren im Baumharz konserviert wurden. Die Inklusen haben einen spezifischen Moment im Prozess von Verfall und Verwertung gleichsam „eingefroren“ und lassen Schlüsse auf den Stand der Entwicklung und die Rolle früher nekrophager Insekten während der Kreidezeit zu.

„Wir haben drei herausragende Bernsteine aus Myanmar untersucht, in denen jeweils eine Eidechse gemeinsam mit einer Vielzahl aasfressender Insekten in derselben versteinerten Harzschicht eingeschlossen ist“, berichtet Solórzano Kraemer und fährt fort: „Solche Inklusen sind ausgesprochen rar. Vermutlich, da die Reptilien sich aufgrund ihrer Körpergröße oft wieder aus dem klebrigen Harz befreien konnten. Ein Einschluss mit Aasfressern in derselben Harzschicht ist besonders selten. Oft befinden sich scheinbar gemeinsam in Bernstein konservierte Lebewesen tatsächlich in unterschiedlichen, benachbarten Schichten – die räumlich Nähe suggeriert eine biologische Beziehung, die so gar nicht bestanden haben muss.“ Zusammen mit den Eidechsen- Kadavern in einer Harzschicht eingeschlossen fanden die Forschenden eine große Zahl nekrophager Fliegen aus den Familien der Buckelfliegen (Phoridae) und Tanzfliegen (Empidoidea).
Unter den untersuchten Bernstein-Fossilien sticht ein gut fünf Zentimeter langes Exemplar hervor, das neben einer Eidechse der heute ausgestorbenen Art Oculudentavis naga in insgesamt 13 Harzschichten über 130 tierische und pflanzliche Inklusen enthält. „Das Besondere ist, dass die Schicht, in der die Eidechse eingeschlossen ist, ein ‚offenes Fenster‘ erkennen lässt, einen kleinen Bereich am Hals, in dem der Kadaver nur unzureichend von Harz bedeckt ist“, erzählt Solórzano Kraemer und weiter: „So konnte sich vermutlich Verwesungsgeruch verbreiten, der verschiedene nekrophage und räuberische Fliegen in großer Zahl anlockte, die dann wiederum im Harz kleben blieben und konserviert wurden. Eine ‚Aasfresserfalle‘ – diesen Terminus schlagen wir in unserer Studie für diese Art einer Konservierungsfalle vor.“
Wie Versuche belegen, sind verschiedene Fliegenfamilien auch heute typische Destruenten, die Eidechsen-Kadaver in einem frühen Stadium der Verwesung aufsuchen – genauso allerdings auch Ameisen. In den untersuchten Bernsteinen sind diese jedoch gänzlich abwesend. „Heute haben Ameisen eine zentrale Rolle bei der Aasbeseitigung in tropischen Wäldern – allein schon aufgrund ihrer schieren Masse. Die globale Biomasse aller Ameisen übersteigt die der Säugetiere oder Vögel“, erklärt Solórzano Kraemer und schließt: „Ameisen sind in fossilen Ablagerungen aus der Kreide generell selten. Dass sie in den von uns untersuchten Bernsteinen gänzlich fehlen, legt nah, dass das Aufspüren und Zerlegen von Aas zu dieser Zeit noch nicht zu ihren Nahrungsstrategien gehörte. Diese Fähigkeiten haben Ameisen offenbar erst später entwickelt.“
Originalpublikation:
Solórzano‐Kraemer, M.M., Peñalver, E., Herbert, M.C.M. et al. Necrophagy by insects in Oculudentavis and other lizard body fossils preserved in Cretaceous amber. Sci Rep 13, 2907 (2023). https://doi.org/10.1038/s41598- 023-29612-x

28.02.2023, Universität Wien
„Jurassic Shark“ – Hai aus der Jurazeit bereits hochentwickelt
Molekularbiologischer Stammbaum liefert neue Einblicke in die Evolution von Knorpelfischen
Knorpelfische haben sich im Laufe der Evolution wesentlich stärker verändert als bisher angenommen. Beweise für diese These lieferten molekularbiologische Daten zu fossilen Überresten von Protospinax annectans, einem bereits hochentwickelten Hai aus dem späten Jura. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie einer internationalen Forschungsgruppe um den Paläobiologen Patrick L. Jambura am Department für Paläontologie der Universität Wien, die kürzlich im Fachjournal Diversity veröffentlich wurde.
Knorpelfische wie Haie und Rochen sind evolutionär eine sehr alte Tiergruppe, die bereits vor den Dinosauriern vor über 400 Millionen Jahren auf der Erde gelebt und bisher alle fünf Faunenwechsel durch Massenaussterben überstanden hat. Ihre fossilen Überreste sind weltweit zahlreich zu finden – allerdings bleiben meist nur die Zähne erhalten, während das knorpelige Skelett gemeinsam mit dem restlichen Körper verwest.
Ein einzigartiges Fenster zur Vergangenheit
Im Solnhofener Archipel, einer sogenannten Konservat-Lagerstätte in Bayern, sind aufgrund der speziellen Lagerungsbedingungen jedoch Skelettreste und sogar Abdrücke von Haut und Muskeln der jurazeitlichen Knorpelfische erhalten geblieben. Diesen Umstand nutzte das Forschungsteam, um sich die bisher unklare Rolle der bereits ausgestorbenen Art Protospinax annectans in der Evolution von Haien und Rochen auch mit Hilfe moderner molekularbiologischer Methoden näher anzuschauen.
„Protospinax trug Merkmale, die sich heute sowohl bei Rochen als auch bei Haien finden“, erklärt Studien-Erstautor Patrick L. Jambura. Die Fossilien von Protospinax sind 150 Millionen Jahre alt. Als 1,5 m langer, flacher Knorpelfisch mit ausgebreiteten Brustflossen und zwei prominenten Stacheln vor jeder Rückenflosse stellte die phylogenetische Stellung von Protspinax die Forscher*innen schon seit der Erstbeschreibung 1918 vor ein Rätsel. „Besonders interessant ist“, so Jambura weiter, „ob Protospinax als ‚missing link‘ einen Übergang zwischen Haien und Rochen darstellt – eine Hypothese, die in letzten 25 Jahren unter den Expert*innen großen Anklang gefunden hat.“ Alternativ dazu könnte Protospinax allerdings auch ein sehr ursprünglicher Hai, ein Vorfahre von Rochen und Haien oder aber ein Ahne einer bestimmten Gruppe von Haien, denen heute z.B. der Weiße Hai angehört, gewesen sein – alles spannende Ideen, deren Plausibilität nun von den Wissenschafter*innen geklärt werden konnte.
Ein Rätsel gelöst – ein Rätsel geblieben
Unter Einbeziehung der neuesten Funde rekonstruierten Jambura und sein internationales Team anhand genetischer Daten (mitochondrialer DNA) den Stammbaum von noch heute lebenden Haien und Rochen und betteten fossile Gruppen – darunter auch Protospinax annectans – mittels morphologischer Daten ein. Das Ergebnis der Analyse verblüffte: Protospinax war weder ein „missing link“ noch ein Rochen noch ein ursprünglicher Hai – sondern ein hochentwickelter Hai.
„Wir tendieren dazu, die Evolution wie eine hierarchische Leiter zu betrachten, in dem ältere Gruppen am Anfang dieses Systems stehen. Tatsächlich ist die Evolution aber auch für diese urtümlichen Vertreter nie stehen geblieben, sondern auch sie entwickelten sich Tag für Tag über Veränderungen in ihrer DNA weiter, um sich einer sich ständig ändernden Umwelt anzupassen und bis heute zu überleben“, so Paläobiologe Jambura.
Auch wenn Knorpelfische bis heute als Gruppe überlebt haben, verschwanden die meisten Arten im Laufe der Evolution, so auch Protospinax. Warum Protospinax an der Grenze zwischen Jura und Kreidezeit ausstarb und es heute keine vergleichbare Hai-Art mehr gibt –während die ökologisch ähnlich angepassten Rochen relativ unverändert bis heute existieren – bleibt zum jetzigen Zeitpunkt ein Mysterium.
Originalpublikation:
Patrick L. Jambura, Eduardo Villalobos-Segura, Julia Türtscher, Arnaud Begat, Manuel Andreas Staggl, Sebastian Stumpf, René Kindlimann, Stefanie Klug, Frederic Lacombat, Burkhard Pohl, John G. Maisey, Gavin J. P. Naylor and Jürgen Kriwet: Systematics and Phylogenetic Interrelationships of the Enigmatic Late Jurassic Shark Protospinax annectans Woodward, 1918 with Comments on the Shark–Ray Sister Group Relationship. In: Diversity, 2023.
DOI: 10.3390/d15030311
https://www.mdpi.com/1424-2818/15/3/311

28.02.2023, Deutsche Wildtier Stiftung
Wer Abwurfstangen sammelt, stört Wildtiere und schädigt den Wald
Im Spätwinter brauchen Rothirsche Ruhe
Jedes Jahr werfen Rothirsche vor dem Frühjahr ihr Geweih ab, um Platz für ein neues zu machen. In etwa 150 Tagen wächst ihnen dann ein meist etwas größerer Kopfschmuck, der vor allem dem Imponiergehabe und dem Kampf rivalisierender Männchen während der Paarungszeit dient. Fünf bis sechs Kilogramm bringt ein durchschnittliches Hirschgeweih auf die Waage. Das schnelle Knochenwachstum ist eine Meisterleistung der Natur – und verlangt dem Organismus der Tiere einiges ab. Und das in der Zeit, in denen die Energiereserven zur Neige gehen und das Nahrungsangebot noch immer winterlich knapp ist. „Für den Rothirsch ist wie für alle anderen Pflanzenfresser im Februar und März Kräftesparen angesagt“, sagt Dr. Andreas Kinser, Leiter Natur- und Artenschutz der Deutschen Wildtier Stiftung. Jede Störung, die die Tiere in dieser Zeit aufscheucht, bedeutet einen unnötigen Energieverlust. „Um Wald und Wild zu schonen, bitten wir dringend darum, die Rückzugsräume der Tiere gerade im Spätwinter zu achten und im Wald auf den ausgewiesenen Wegen zu bleiben“, sagt Kinser.
Da Rothirsche ihre Geweihe meist im Verborgenen verlieren, sind Stangensammler oft abseits der Waldwege unterwegs – und scheuchen das ruhebedürftige Wild auf. „Wenn die Vegetation noch immer in der Winterruhe ist, weichen Rothirsche zwangsläufig auf Knospen und Baumrinde aus, um die verlorene Energie wieder aufzufüllen“, erklärt Kinser. „Würden wir den Wildtieren in der für sie schwierigsten Zeit des Jahres das Leben nicht noch schwerer machen, würde daher auch der Wald profitieren.“ Aus juristischer Sicht ist die Sache sowieso eindeutig: Abwurfstangen dürfen nur mit ausdrücklicher Zustimmung des zuständigen Jägers gesammelt werden, liegt die nicht vor, erfüllt das Sammeln den Tatbestand der Wilderei. Statt also für ein hübsches Deko-Objekt Tiere zu stören und sich strafbar zu machen, überlassen vernünftige Menschen die verlorenen Geweihe von Rothirsch und auch Reh denen, die wirklich davon profitieren: den kleinen Waldbewohnern wie Mäusen und Eichhörnchen. Ihnen dienen die Abwurfstangen als wertvoller Mineralstoff- und Vitaminlieferant.

01.03.2023, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau
Der Mulchzeitpunkt von Waldwiesen beeinflusst die Insektenvielfalt
Forschende der Universität Freiburg haben die Auswirkungen verschiedener Zeitpunkte des Mulchens, einer Bewirtschaftungsmethode, auf Insektenlarven und blütenbesuchende Insekten untersucht
Das Mulchen ist eine mögliche Form der Bewirtschaftung von Waldwiesen und ist wichtig für deren Erhalt. Dabei wird die Wiese geschnitten, das Schnittgut gleichzeitig gehäckselt und es verbleibt auf der Wiese. Trotz dieser Bedeutung wurden die Auswirkungen der Methode auf die dort lebenden Insekten bislang wenig erforscht. Darum hat sich Dr. Maria M. Georgi aus dem Team von Prof. Dr. Alexandra-Maria Klein, Leiterin der Professur für Naturschutz und Landschaftsökologie der Universität Freiburg, zusammen mit Kolleg*innen eingehend damit befasst. Das Ergebnis: Fast alle untersuchten Zeitpunkte des Mulchens wirken sich negativ auf die Insektenlarven und blütenbesuchenden Insekten aus, die auf den Waldwiesen zu finden sind. „Die Pflege ist wichtig für den Erhalt der Waldwiesen. Daher schlagen wir vor, für einen besseren Schutz der dort lebenden Insekten künftig alternative Formen des Mulchens zu verwenden, falls keine Möglichkeit für andere Pflegeformen, zum Beispiel Mähen der Wiesen, vorhanden ist“, so Georgi.
Wiesen sind wichtig für den Wald, Mulchen ist wichtig für die Wiesen
Waldwiesen werden oft bewirtschaftet, um Wildtiere anzulocken. Das verringert den Verbiss von Jungpflanzen, also das Abbeißen von Blättern oder Zweigen, in den umliegenden Wäldern. Um die Waldwiesen zu erhalten, ist es notwendig, diese zu bewirtschaften. Ansonsten würde sich der Wald zunehmend ausbreiten, und die Wiesen verschwinden. Eine im Vergleich zu anderen Methoden günstige und weniger arbeitsintensive Form der Bewirtschaftung ist das Mulchen. Dabei wird die Wiese geschnitten, das Schnittgut gleichzeitig gehäckselt und es verbleibt auf der Wiese. Während die Auswirkungen des Mähens auf die Pflanzen- und Insektenvielfalt intensiv erforscht wurden, ist für das Mulchen bislang das Gegenteil der Fall.
Untersuchung von vier Zeitpunkten des Mulchens
Durchgeführt wurde die Studie an 24 Standorten im nördlichen Schwarzwald. Im Fokus standen Insektenlarven und blütenbesuchende Insekten. Untersucht haben die Forschenden, wie sich das Mulchen auf diese Insekten zu verschiedenen Zeitpunkten auswirkt. Als Kontrollgruppe dienten sechs Standorte, an denen nicht gemulcht wurde. Dem gegenüber standen jeweils sechs Wiesen, die entweder im Juni oder im September gemulcht wurden sowie weitere sechs Wiesen, bei denen im Juni und im September gemulcht wurde. Bei den Insektenlarven machten Pflanzenwespen 45 Prozent und Schmetterlinge 44 Prozent der untersuchten Population aus. Bei den blütenbesuchenden Insekten dominierten Schwebfliegen mit einem Anteil von 80 Prozent.
Mulchen im September schützt blütenbesuchende Insekten
Bei den Insektenlarven wirkten sich alle drei untersuchten Zeitpunkte des Mulchens im Vergleich zu der Kontrollgruppe negativ auf deren Anzahl aus. Bei den blütenbesuchenden Insekten zeigte sich ein ähnliches Bild. Auch hier wirkten sich das Mulchen im Juni sowie das Mulchen, das im Juni und zusätzlich im September stattfand, negativ auf die gezählten Insekten aus. Keine Auswirkungen hatte hier jedoch das Mulchen im September. „Um blütenbesuchende Insekten zu schützen, können wir auf Basis unserer Ergebnisse empfehlen, das Mulchen im September durchzuführen“, folgert Georgi.
Auswirkungen auf den Insektenschutz
In einer im November 2022 veröffentlichten Studie untersuchten die Forschenden außerdem die Auswirkungen der Zeitpunkte des Mulchens auf Nester von solitär lebenden, in kleinen oberirdischen Hohlräumen nistenden Bienen und Wespen. Für deren Schutz ist es am besten, nur im Juni zu mulchen. Zusammengenommen lassen sich auf Basis beider Untersuchungen daher keine generellen Empfehlungen in Bezug auf die Zeitpunkte des Mulchens geben. Waldwiesen zu bewahren ist für den Erhalt der biologischen Vielfalt und die Bewirtschaftung des umliegenden Waldes wichtig und somit auch das Bewirtschaften der Wiesen. „Bei einer Bewirtschaftung, die auf den Erhalt der biologischen Vielfalt abzielt, sollte ein Gleichgewicht zwischen Vegetations- und Insektenvielfalt gefunden werden“, so Georgi. Insektenfreundliche Mulchgeräte oder alternative Zeitpunkte könnten Möglichkeiten sein, beide Ziele besser miteinander zu vereinen.
Originalpublikation: Georgi, M. M., Gärtner, S. M., Förschler, M. I., Buse, J., Fornoff, F., Ssymank, A., Oelmann, Y., Klein, A.-M. (2023): Mulching time of forest meadows influences insect diversity. In: Insect Conservation and Diversity: 1-11.
https://doi.org/10.1111/icad.12629

03.03.2023, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
Zahnwale verwenden unterschiedliche Stimmlagen
Delfine, Schwertwal und Pottwale und andere Zahnwale jagen, kommunizieren und orientieren sich mit Hilfe ihrer Stimme. Eine aktuelle Studie im Fachmagazin Science beschreibt drei unterschiedliche Stimmlagen und die Anatomie, die es möglichst macht, die Töne unter Wasser zu erzeugen. Zahnwale erzeugen die lautesten Töne im Tierreich.
Delfine, Schwertwal und Pottwale gehören zu den Zahnwalen. Um zu kommunizieren, zu jagen und sich zu orientieren, erzeugen sie Geräusche. Wie die Tiere die Geräusche tausend Meter unter Wasser, wo der Druck hundert Mal höher ist als an der Oberfläche, erzeugen, war bisher nicht bekannt. Professorin Dr. Ursula Siebert, Leiterin des Instituts für Terrestrische und Aquatischen Wildtierforschung der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo), Professor Coen Elemans, Stimmforscher am Fachbereich Biologie der Universität Süddänemark, und Professor Peter Madsen, Walbiologe am Fachbereich Biologie der Universität Aarhus in Dänemark, veröffentlichten im Fachmagazin Science eine Studie über unterschiedliche Stimmlage und die dafür nötige Anatomie. Um die Technik zu entwickeln und die Daten für ihre Studie zu sammeln, benötigte das Team zehn Jahre.
Die Stimmlagen
Wie Menschen haben Zahnwale mindestens drei Stimmlagen: Vocal Fry, eine Bruststimme und Falsett. Vocal Fry beschreibt eine tiefe, knarrende Stimme. Im amerikanischen Englisch wird sie häufig verwendet. Kate Perry oder Kim Kardashian sind Beispiele dafür. Sie Bruststimme ist mit unserer Sprechstimme vergleichbar. Falsett erzeugt eine höhere Frequenz wie die männliche Kopfstimme. Sie ist auch mit der weiblichen Sopran- oder Altstimme zu vergleichen.
„Die Vocal-Fry-Stimmlage setzen die Wale ein, wenn sie jagen“, erklärt Siebert. Die Tiere erzeugen Geräusche, deren Schall von den Beutetieren abprallt und als Echo zu den Walen zurückkehrt. Mit Hilfe dieser Echoortung können sie ihre Beute in bis zu zweitausend Metern Tiefe in völliger Dunkelheit orten, verfolgen und fangen. Sie stoßen dafür kurze kräftige Ultraschall-Töne mit einer Geschwindigkeit von bis zu 700 Tönen pro Sekunde aus. Schall verbreitet sich im Wasser fünfmal schneller aus als in der Luft. „Für die Vocal-Fry-Töne müssen sie die Stimmlippen nur kurz öffnen, sodass sie nur sehr wenig Luft für diesen Ton benötigen – für die Echoortung und die Jagd ideal“, so Siebert. Bei tiefen Tauchgängen wird die Luft in den Lungen der Wale durch den hohen Druck unter Wasser zusammengepresst.
Die Anatomie
Vor bereits 40 Jahren wurden entdeckt, dass Zahnwale, Töne nicht wie andere Säugetiere mit dem Kehlkopf, sondern mit sogenannten Schalllippen in der Nase erzeugen. Was genau dabei passiert beschreibt das Forschungsteam in der aktuellen Studie. Sie nutzten dafür Hochgeschwindigkeitsvideos, die sie mit Endoskopen, also kleinen Kameras, aufzeichneten. Ihre Messungen machte sie mit trainierten Delfinen und Tieren in freier Wildbahn, die sie von kleinen Booten aus mit kleinen Sendern versehen hatten. „Physikalisch funktioniert ihr System genauso wie der Kehlkopf bei Säugetieren oder der Stimmkopf bei Vögeln“, erklärt Siebert, „auch sie nutzen Luft, um Töne zu erzeugen.“ Die Töne entstehen statt in der Luftröhre aber in der Nase. Das ermöglicht es den Walen, einen höheren Druck zu erzeugen: Er kann bis zu fünfmal so hoch sein wie der Druck, den ein Trompeter mit seinem Instrument erzeugen kann. „Eines der Rätsel, das wir lösen mussten, war, wie es ihnen gelingt, in tausend Metern Tiefe einen ausreichenden Luftstrom zu erzeugen. Der Druck ist dort so groß, dass die Luft in den Lungen der Wale auf ein Prozent des Volumens, das sie an der Oberfläche haben würde, zusammengepresst wird. Die verbliebene Luft sammelt sich in einem kleinen Muskelsack im Maul. Herauskommen dabei schließlich die lautesten Töne, die Tiere überhaupt erzeugen können“, so Siebert.
Wenn die Tiere tiefer als hundert Meter tauchen, kollabieren ihre Lungen, um die Druckfall- oder Taucherkrankheit zu vermeiden. Die Luft aus den Lungen steht den Zahnwalen also nicht mehr zur Verfügung steht. Um Töne zu erzeugen, nutzen sie die im Muskelsack gesammelte Luft: Der Wal öffnet für etwa eine Millisekunde ein Ventil, wodurch ein Luftstoß mit sehr hohem Druck an den vibrierenden Schalllippen in der Nase entlangströmt. Wenn die Lippen wieder zusammenschlagen, entsteht der Klicklaut. Diese Schallwellen breiten sich dann zur Vorderseite des Walkopfes aus.
Die Originalpublikation
Toothed whales use distinct vocal registers for echolocation and communication
PeterT. Madsen, Ursula Sierbert, Coen P. H. Elemans
Science, DOI: 10.1126/science.adc9570

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