In Mittelafrika ersetzt ihn der Sperbergeier (Gyps Rüppellii, Kolbii und magnificus), wohl das schönste Mitglied der Sippe und deshalb einer kurzen Beschreibung werth. Nach eigenen Messungen beträgt die Länge 1, die Breite 2,25 Meter, die Fittiglänge 63, die Schwanzlänge 25 Centimeter. Beim alten Vogel sind mit Ausnahme der Schwingen und Schwanzfedern, alle Federn dunkel graubraun, geziert mit einem schmutzigweißen, halbmondförmigen, mehr oder minder breiten Saume am Ende, wodurch das Kleid buntscheckig wird. Die durchschimmernde nackte Haut des spärlich bekleideten Halses ist graublau, vorn und an den Seiten des Unterhalses ins Fleischrothe übergehend, die nackten Schulterflecken bläulich fleischroth gesäumt. Das Auge ist silbergrau, der Schnabel an der Wurzel gelb, an der Spitze bleifarben, die Wachshaut schwarz, der Fuß dunkel bleigrau. Beim jungen Vogel sind die kleinen Federn dunkel graubraun, bräunlichgelb geschaftet und ungesäumt, die der Halskrause dunkelbraun, gelbbraun geschaftet, die Schwingen und Schwanzfedern schwarzbraun. Das Auge ist licht röthlichbraun, der Schnabel bis auf die bläulichen Ränder schwarz wie die Wachshaut, der Fuß grünlichgrau.
Alle Gänsegeier scheinen vorzugsweise Felsenbewohner zu sein; deshalb trifft man sie am häufigsten in der Nähe von Gebirgen, welche geeignete steile Wände haben. Unseren europäischen Gänsegeier habe ich nur in der Fruschkagora auf Bäumen ruhen sehen; dagegen bäumen andere Arten, insbesondere der Sper bergeier, nicht selten und verbringen auf Bäumen auch die Nacht.
Die Lebensweise der Gänsegeier stimmt in vieler Hinsicht mit der anderer Arten der Familie überein; doch unterscheiden sie sich in anderen Stücken nicht unwesentlich von den noch zu erwähnenden altweltlichen Verwandten. Ihre Bewegungen sind leichter und zierlicher als bei diesen, und namentlich beim Herabsenken aus großer Höhe benehmen sie sich durchaus eigenthümlich, weil sie fast mit der Leichtigkeit eines Falken unter vielfachen Schwenkungen herabschweben, während sich die anderen Arten aus einer bedeutenden Höhe ohne Flügelbewegungen herabfallen lassen, bis sie fast den Boden berührt haben. Ihr Gang auf dem Boden ist so gut, daß sich ein Mensch sehr anstrengen muß, wenn er einen laufenden Geier einholen will. Noch mehr, wenngleich nicht in gutem Sinne, zeichnet die Gänsegeier ihr Wesen aus. Sie sind die heftigsten, jähzornigsten und tückischsten Arten der Familie. Ihr Verstand ist, auch im Vergleich zu den Geistesfähigkeiten anderer Geier, gering; nur die niederen Eigenschaften scheinen ausgebildet zu sein. Sie leben in großen Gesellschaften, gründen gemeinschaftlich Nistansiedelungen und vereinigen sich regelmäßig auch mit anderen Arten der Familie; aber sie sind und bleiben immer die Störenfriede, die, welche den meisten Streit erregen. Bei längerem Zusammensein mit anderen ihrer Familie wissen sie sich bald die Herrschaft zu erringen, und gegen den, welcher sie angreift, vertheidigen sie sich tolldreist.
Angeschossen wehren sie sich mit Muth und Ingrimm, gehen wie bissige Hunde auf den Mann, springen über einen halben Meter hoch vom Boden auf und schnellen ihren langen Hals unter vernehmlichem Schnabelklappen stets nach dem Gesichte ihres Gegners. Anfänglich flüchten die, welche durch den Schuß flugunfähig wurden, im raschen Laufe, wobei sie sich mit den Flügeln nachhelfen, vor dem Menschen; ist dieser ihnen aber nahe gekommen, so drehen sie sich blitzschnell um, fauchen wie eine Eule und rollen wüthend die Augen. Hat man sie glücklich gepackt, so krallen sie sich noch mit den Klauen fest und wissen diese, trotz ihrer Stumpfheit, nachdrücklich zu gebrauchen. »Auf einer meiner Jagden in der Sierra de Guadarrama«, schreibt mein Bruder, »beobachtete ich, daß zwei Gänsegeier, plötzlich in hoher Luft über einander herfielen, sich in einander verkrallten und nunmehr, einen Klumpen bildend, zum Fliegen selbstverständlich unfähig, wirbelnd zur Erde herabsausten. Nicht einmal der Sturz auf den Boden änderte ihre Wuth; sie setzten auch hier den Kampf fort und schienen die Außenwelt so vollständig vergessen zu haben, daß sich ein in ihrer Nähe befindlicher Schäfer verleiten ließ, sie fangen zu wollen. Wirklich brachten sie erst mehrere wohlgezielte Hiebe mittels eines langen Stockes zur Besinnung und zur Ueberzeugung, daß es doch wohl besser sei, für jetzt den Zweikampf aufzuschieben. Dieses thaten sie denn endlich auch und eilten nach verschiedenen Richtungen hin auseinander.«
Beim Wegräumen eines Aases fressen sie vorzugsweise die Leibeshöhlen der todten Thiere aus. Einige Bisse schneiden ein rundes Loch in die Bauchwand, und in dieses nun stecken sie den langen Hals so tief hinein, als sie können. Die edleren Eingeweide werden hinabgewürgt, ohne daß sie den Kopf aus der Höhle hervorziehen, die Gedärme aber erst an das Tageslicht gefördert, durch heftige Bewegungen nach rückwärts herausgezerrt, dann mit einem Bisse durchschnitten und nun stückweise hinabgeschlungen. Es versteht sich ganz von selbst, daß bei derartiger Arbeit Kopf und Hals mit Blut und Schleim überkleistert werden und die Gänsegeier nach dem Schmause ein wahrhaft abschreckendes Bild gewähren. Ob auch sie über kranke und bezüglich verendende Thiere herfallen, lasse ich dahingestellt; die Araber klagen sie derartiger Uebelthaten an, und auch die Hirten der südungarischen Gebirge erzählen dasselbe.
Nach meinen Beobachtungen erscheinen sie erst in den Vormittagsstunden in ihrem Jagdgebiete und fallen vorzugsweise um die Mittagszeit auf das Aas. Während ihrer Brutzeit scheinen sie sich mehr anstrengen zu müssen; wenigstens schreibt mir Lázár, welcher sie zur Zeit beobachtete, daß sie sich, einer nach dem anderen, bald nach Sonnenuntergang erheben und zunächst ihren Felsenvorsprung wohl eine Stunde lang umkreisen. »Sie steigen nun immer höher und ziehen stets sich erweiternde Kreise, bis sie sich einzeln in der Ferne verlieren. Gegen Mittag kommen sie wieder zurück, ebenfalls einzeln, sammeln sich bald in der Nähe ihrer Ansiedelung und umfliegen nun wieder eine Zeitlang die Felsenwand. Dann läßt sich einer nach dem anderen auf die Felsenkanten und Vorsprünge nieder und verträumt ein paar Stunden in träger Ruhe. Nachmittags, zwischen zwei und drei Uhr, fliegen sie unter lautem Geräusche nochmals empor, umschweben einige Male ihre Wohnung und ziehen dann zum zweiten Male auf Aas aus, niemals jedoch auf längere Zeit. Schon mehrere Stunden vor Sonnenuntergang sind sie wieder an ihren Wohnsitzen angelangt.«
Ueber das Brutgeschäft des fahlen Gänsegeiers haben neuerdings Baldamus, Krüper, Simpson, Heuglin und mein Bruder berichtet. Die Beobachtungen des letzteren enthalten im wesentlichen alles, was bisher festgestellt wurde. »Die Brutzeit des Gänsegeiers fällt in Spanien in die letzte Hälfte des Februar oder in den Anfang des März. Der Horst wird gewöhnlich in einer Felsenhöhle oder wenigstens unter einem überhängenden Felsen errichtet und besteht aus einer niedrigen Schicht nicht sehr starker Reiser. In diesen Horst legt das Weibchen ein weißes Ei von der Größe eines Gänseeies, mit dicker Schale, welches es mit dem Männchen gemeinschaftlich bebrütet und zwar so, daß das Männchen in der Regel während der Vormittags- und ersten Nachmittagsstunden dem Brutgeschäfte obliegt, das Weibchen dagegen den übrigen Theil des Tages im Neste verweilt. Auf Bäumen horstet der Gänsegeier nie. An einem günstigen Brutplatze findet man immer mehrere Horste in einer Entfernung von etwa hundert bis zweihundert Schritt von einander. Zu bemerken ist, daß die Nistgesellschaften an solchen Felswänden keineswegs ausschließlich aus Geiern bestehen, sondern daß die Geier ruhig neben und unter sich auch den Geieradler und Habichtsadler dulden, ja selbst dem Schwarzstorch gestatten, unmittelbar neben ihrem Horste sich anzusiedeln und zu nisten. Auf den Eiern sitzen sie ziemlich fest, kommen erst auf lautes Anrufen aus der Höhle hervor, stellen sich auf den Rand derselben und sehen sich neugierig nach dem Störer um, trippeln auch wohl, wenn dieser sich gut verborgen hatte, nach dem Neste zurück und verlassen letzteres überhaupt nur, wenn sie sich wirklich von der ihnen drohenden Gefahr überzeugt haben. Bei meinen Jagden in der Nähe des Escorial machte ich mir oft das Vergnügen, die brütenden Geier vom Neste aufzurufen. Sie erschienen auf jedesmaligen Anruf, schauten sich sorgfältig nach allen Seiten um und zogen sich dann, wenn sie mich nicht gewahren konnten, wieder in das Nest zurück. Ein nach ihnen abgefeuerter Schuß scheucht freilich die ganze brütende Gesellschaft auf, und jeder einzelne sucht mit raschen Flügelschlägen das weite. Dann währt es lange Zeit, ehe sie sich wieder sehen lassen; man späht vergeblich nach allen Seiten hin, die Gegend erscheint mit einem Male wie ausgestorben, und von den gewaltigen Vögeln ist auch nicht das geringste mehr zu entdecken. Erst nach ungefähr einer halben Stunde erscheint einer nach dem anderen. Jeder streicht mehrere Male am Nistplatze vorbei, hält sorgfältig Umschau und schießt dann plötzlich, aber mit einer gewissen Heimlichkeit, nach dem Horste hernieder, verweilt noch eine Zeitlang vorn auf dem Felsenrande, späht nochmals vorsichtig und mißtrauisch in die Runde und schleicht sich nun erst wieder in das Innere seiner Felsenburg zurück. Man hat vielfach behauptet, daß diese Geier den das Nest bedrohenden Jäger muthig angreifen; diese Angabe entbehrt jedoch nach meinen Beobachtungen jeder Begründung. Noch ist es mir unbekannt, wie viele Tage der Bebrütung erforderlich sind, um das große Ei zu zeitigen; ich weiß nur, daß gegen Ende des März bereits einzelne der Jungen ausgeschlüpft sind. Bezeichnend für diese Vögel, welche niemals Wohlgerüche verbreiten, ist, daß nicht blos das ausgeschlüpfte Junge, sondern schon das sich im Ei entwickelnde, ja selbst Dotter und Eiweiß heftig nach Moschus stinken. Das Ausblasen eines solchen Eies erfordert in der That die ganze Gleichmüthigkeit eines begeisterten Naturforschers, und selbst dieser muß gewaltsam ankämpfen, um des aufsteigenden Ekels sich zu erwehren. Das Junge, welches einem kleinen Wollklumpen gleicht, wird von beiden Alten mit vieler Liebe behandelt und sorgfältig geatzt, zuerst mit den durch die Verwesung bereits gänzlich zersetzten Fleischtheilen eines Aases, später mit kräftigerer Nahrung, freilich immer mit solcher, welche derselben Quelle entstammt. Dank der reichlichen Fütterung wächst das Junge rasch heran, braucht aber immerhin drei Monate, bevor es flugfähig wird.«
Zu unserer nicht geringen Ueberraschung bemerkten wir, Eugen von Homeyer und ich, während der Jagdreise des Kronprinzen Rudolf von Oesterreich in der Fruschkagora, unter den in den herrlichen Waldungen häufig brütenden Kuttengeiern auch Gänsegeier und erfuhren durch Erlegung eines Weibchens am Horste, daß da, wo Felsenwände gänzlich fehlen, auch dieser Geier sich entschließt, seinen großen Horst auf Bäumen zu errichten, mindestens den eines Kuttengeiers zu beziehen. Erwähnenswerth scheint mir die Thatsache, daß das Weibchen in noch nicht ausgefärbtem Kleide horstet. Graf Chotek, Grundherr der Fruschkagora, ein erfahrener Vogelkenner, hatte den Gänsegeier bisher noch niemals auf dem ihm wohlbekannten Horstplatze des Kuttengeiers bemerkt und war geneigt, anzunehmen, daß die kurz vorher gekämpften Schlachten in Serbien und Bulgarien wohl Veranlassung zu dem Vorrücken des Gänsegeiers gegeben haben dürften.
Baldamus nahm an der unteren Donau einen jungen Gänsegeier aus dem Horste. Der Vogel hatte die Größe eines starken Hahns und war überall mit dichtem, schmutzigweißem, wolligem Flaume bedeckt, verbreitete schon einen höchst empfindlichen Geruch und bekundete unstillbaren Hunger. Er fraß sofort nach seiner Gefangennahme zwei Steindrosseln, einen Kukuk, am anderen Morgen einen Milan, einen halbgroßen Karpfen und die Eingeweide verschiedener Vögel. Drei Wochen später verzehrte er binnen vierundzwanzig Stunden zwei Kalbseingeweide, Gekröse, Herz, Lunge, Leber usw., verschlang daneben noch alles, was in seinen Bereich kam, auch Holz und Erdstückchen, und erhielt außerdem noch manchen Bissen von den Reisenden des Dampfschiffes. Wenn man ihm ein ganzes Thier vorlegte, so suchte er schon jetzt die Bauchhöhle zu öffnen und verfuhr, wenn man ihm dabei geholfen hatte, ganz nach Art seiner Väter. Später ließ er den übrigen Körper der Vögel stets so lange unberührt, bis er die Bauchhöhle geleert hatte. »In seinem Heißhunger war er stets so ungestüm, daß er, sobald er mich ohne Futter in den großen Hühnerstall kommen sah, wüthend auf mich losstürzte, ein ununterbrochenes Geschrei hören ließ, den Kopf heftig schüttelte und sobald er mich erreichen konnte, in die Füße und Kleider kniff. Bald wußte er mich sehr wohl von anderen zu unterscheiden und wendete sich auch, wenn ich mit mehreren Leuten eintrat, stets an mich.«
Es ist eine Ausnahme, wenn ein Gänsegeier zahm wird. »Man sagt nicht zu viel«, meint mein Bruder, »wenn man behauptet, daß er immer in gewissem Grade gefährlich bleibe. Nur ein einziges Mal habe ich in dem Hofe eines Wirtshauses zu Bayonne einen wirklich gezähmten Gänsegeier gesehen. Er hing freilich an einer langen, dünnen Kette und war in seinen Bewegungen hierdurch wesentlich gehindert. Dieser Vogel kam auf den Ruf seines Pflegers von der Stange herab geflogen, näherte sich vertraulich dem Manne und duldete sogar, daß dieser ihn zwischen die Beine nahm und ihm Kopf und Hals und Rücken streichelte. Mit den im Wirtshause befindlichen Hunden lebte er ebenfalls in größter Einigkeit.« Auch Lázár, welcher den Gänsegeier einen tückischen, traurigen Gesellen nennt, der mit heimtückischen Blödsinnigen eine gewisse Aehnlichkeit habe, kannte zwei ausnahmsweise zahme Vögel dieser Art. Der eine, welcher verwundet worden war, folgte seinem Herrn fliegend bis auf das Feld hinaus, unternahm selbständig kleine Ausflüge und blieb zuweilen einen oder zwei Tage aus, kam aber immer wieder zu seinem Pfleger zurück. Ein Fleischer hielt einen anderen Gänsegeier mehrere Jahre langlebend auf seinem Hofe. Dieser Geier lebte in größter Freundschaft mit einem alten Fleischerhunde. Als letzterer starb, wurde der Leichnam dem Geier vorgeworfen; dieser aber rührte seinen alten Freund, obgleich er hungrig war, nicht an, wurde traurig, verschmähte fortan alle Nahrung und lag am achten Tag verendet neben dem todten Hunde.
In Egypten wird der Gänsegeier nicht selten gefangen, weil man die Federn in vielfacher Weise benutzt. Namentlich die Schwung- und Steuerfedern finden mancherlei Verwendung zu Schmuck- und Wirtschaftsgegenständen. Auf Kreta und Arabien soll der Balg an Kürschner verkauft, von diesen gegerbt und zu einem geschätzten Pelzwerke zubereitet werden.