Der Carancho, Caracara oder Traro (Polyborus Tharus, vulgaris, brasiliensis, Cheriway und Auduboni, Falco Tharus, brasiliensis, planctus und Cheriway, Caracara vulgaris) erreicht, nach Prinz von Wieds Messungen, eine Länge von siebzig bei einer Breite von einhundertfünfundzwanzig, die Fittiglänge beträgt achtunddreißig, die Schwanzlänge zwanzig Centimeter. Die Federn des Ober- und Hinterkopfes, welche zu einer Haube aufgerichtet werden können, sind dunkel bräunlichschwarz, die des Rückens schwarzbraun und weiß in die Quere gestreift, der Flügel dunkelbraun, die der hinteren großen Deck- und Schwungfedern blaß quer gestreift, Wangen, Kinn, Kehle und Unterhals weiß oder gelblichweiß, Brust- und Halsseiten in derselben Weise wie der Rücken gestreift, Bauch, Schenkel und Steiß gleichmäßig schwarzbraun, Wurzel und Spitze der Schwingen schwarzbraun, die Mitte aber weiß, mit feinen dunklen Querbinden, Punkten und dreieckigen Randflecken an der Außenfahne, die Steuerfedern endlich weiß mit sehr schmalen blaßbräunlichen Querbinden und einer breiten schwarzbraunen Spitzenbinde.
Das Auge ist grau oder röthlichbraun, der Schnabel hellbläulich, der Fuß orangegelb, die Wachshaut wie der Zügel und die nackte Umgebung des Auges bräunlichgelb. Das etwas größere Weibchen unterscheidet sich von dem Männchen unerheblich durch blassere Färbung. Bei dem jungen Vogel sind die Federn der oberen Theile hell gerandet und zugespitzt, die Scheitelfedern fahl bräunlichschwarz und alle übrigen Farben blaß und verloschen.
Durch Azara, den Prinzen von Wied, Darwin, d’Orbigny, Audubon, Schomburgk, Tschudi, Boeck, Owen, Herrmann und andere Forscher haben wir ausführliche Beschreibungen über Aufenthalt, Lebensweise und Betragen des Carancho erhalten. Unser Raubvogel bewohnt paarweise nicht selten alle ebenen Gegenden Südamerikas, am häufigsten die Steppen und dünn bestandene Waldungen. In den Urwaldungen fehlt er ebenso gut wie im Gebirge. Besonders zahlreich tritt er in sumpfigen Gegenden auf. »Man erblickt hier«, sagt der Prinz, »viele dieser schönen Raubvögel, wie sie auf den Triften umherschreiten oder mit niedrigem Fluge, stark mit den Flügeln schlagend, von einem Gebüsche zu dem anderen eilen. Auf der Erde nehmen sich die bunten und stolzen Thiere besonders schön aus. Sie gehen aufgerichtet und schreiten geschickt, da ihre hohen Fersen, ziemlich kurzen Zehen und wenig gekrümmten Klauen zum Gange ganz vorzüglich geeignet sind«. Der Federbusch gibt ihnen, nach Boeck, ein majestätisches Aussehen, und ihre Dreistigkeit entspricht der Meinung, welche man sich von ihnen bildet, wenn man sie zuerst erblickt.
Ihre Nahrung besteht aus thierischen Stoffen aller Art. In den Steppen jagen sie nach Art unserer Bussarde auf Mäuse, kleine Vögel, Lurche, Schnecken und Kerbthiere; am Meeresgestade lesen sie das auf, was die Flut an den Strand warf. Der Prinz fand die Ueberreste von Kerbthieren und besonders Heuschrecken, deren es in den brasilischen Triften sehr viele gibt, in ihrem Magen; Boeck sah sie häufig in Gesellschaft der den Boden aufwühlenden Schweine, mit denen sie gemeinschaftlich Maden und Würmer verzehrten; Azara lernte sie als Verfolger des amerikanischen Straußes, der Lämmer und Hirschkälber kennen. »Ist eine Schafherde«, berichtet er, »nicht von einem guten Hunde bewacht, so kann es vorkommen, daß der Carancho über die neugeborenen Lämmer herfällt, sie bei lebendigem Leibe anfrißt und ihnen die Därme aus der Leibeshöhle herausreißt. Traut sich einer nicht, über einen Raub Meister zu werden, so ruft er vier oder fünf andere herbei, und dann wird er zu einem gefährlichen Räuber.« Auf dem Aase ist er ein regelmäßiger Gast. »Wenn ein Thier«, sagt Darwin, »auf der Ebene stirbt, so beginnt der Gallinazo das Fest, und der Carancho pickt die Knochen rein. Längs der Straßen in den Wüstenebenen Patagoniens sieht man oft eine erhebliche Anzahl der Vögel, um die Leichen von Thieren zu verzehren, welche aus Hunger oder Durst gestorben waren.« Dem Landvolke ist der Caracara sehr verhaßt, weil er das zum Trocknen bestimmte Fleisch mit der größten Frechheit wegstiehlt, zur Abwechselung aber auch sehr gern junge Hühner raubt oder andere schwache, ja selbst stärkere Hausthiere belästigt. Nach Darwin soll er ebenso Eier stehlen. Oft sieht man ihn auf dem Rücken der Pferde und Maulthiere stehen und hier die Schmarotzer zusammenlesen oder den Grind von den Wunden aufhacken, wobei das arme Thier mit gesenktem Ohr und gewölbtem Rücken ruhig dasteht, weil es sich des Vogels doch nicht erwehren kann. Daß sich der Carancho, falls er kann, ohne Umstände an menschlichen Leichnamen sättigt, unterliegt kaum einen Zweifel; man kann dies aus dem Betragen der Vögel schließen, wenn man sich auf einer jener öden Ebenen zum Schlafe hinlegt. »Beim Munterwerden«, sagt Darwin, »bemerkt man auf jedem benachbarten Hügel einen oder mehrere dieser Vögel und sieht sich von ihnen geduldig mit üblem Auge bewacht.« Jagdgesellschaften, welche mit Hunden und Pferden ausziehen, werden während des Tages immer von einigen Caranchos begleitet, und oft nehmen diese dem Schützen den erlegten Vogel vor dem Auge weg. Auch anderen Räubern fliegen sie nach, in der Absicht, ihnen eine eben gefangene Beute abzujagen. Sie verfolgen die großen Störche, welche ein Stück Fleisch verschlungen haben, und quälen sie so lange, bis jene dasselbe wieder von sich und ihnen zur Beute geben. Dagegen werden sie wieder von allerlei Vögeln geneckt, geärgert und gequält. Selbst seine nächsten Verwandten zanken sich beständig mit ihm herum. »Wenn der Carancho«, erzählt Darwin, »ruhig auf einem Baumaste oder auf der Erde sitzt, so fliegt der Chimango oft lange um ihn herum, auf- und niederstoßend, und versucht, so oft er seinem Verwandten nahe gekommen ist, diesem einen Schnabelhieb zu versetzen, welchen letzterer seinerseits nach Kräften abzuwehren versucht.« Läuse bevölkern sein Gefieder in solcher Menge, daß man kaum im Stande ist, einen getödteten Vogel abzuziehen.
Beim Schreien legt der Carancho den Kopf ganz auf den Rücken und schnarrt »Traaa«, erhebt ihn wieder und ruft »Rooo« mit einer krächzenden, heiseren Stimme, ähnlich dem Geknarr, welches entsteht, wenn Holz an Holz heftig angeschlagen oder gerieben wird. Dieser Schrei ist auf weithin hörbar, aber höchst unangenehm.
Der Carancho ist vom frühen Morgen bis gegen Sonnenuntergang ununterbrochen thätig und viel in Bewegung. Gegen Abend vereinigt er sich mit anderen seiner Art und seinen treuen Genossen, den Aasgeiern, auf gewissen Schlafplätzen, am liebsten auf einzeln stehenden, alten Bäumen in der Steppe, wo er die untersten Aeste in Besitz nimmt. Zu solchen Bäumen kommt er aus einer Entfernung von fünf bis sechs englischen Meilen herbei. In Ermangelung derselben bäumt er auf niederen Büschen auf oder setzt sich endlich auf passende Felsen und bezüglich Termitenhügel nieder.
Die zusammengehörigen Paare leben während des ganzen Jahres im engsten Verbande. Man erkennt sie auch dann, wenn Gesellschaften von ihnen sich vereinigt haben, an ihrem treuen Zusammenhalten. Die Brutzeit ist verschieden, je nach den Gegenden, welche der Carancho bewohnt. In Paraguay horstet er im Herbste, in Mittelamerika während der Frühlingsmonate. Der Horst, ein großer flacher Bau aus Reisig, dessen Nestmulde mit seinen Wurzeln, Gras und Moos ausgelegt ist, wurde ebensowohl auf sehr hohen, als auf niederen Bäumen gefunden. Die Eier, drei, höchstens vier, oft nur zwei an der Zahl, sind birnförmig, jedoch auffallend gestreckt, ungefähr fünfundvierzig Millimeter lang und an der dicksten Stelle fünfunddreißig Millimeter breit, sehr verschiedenartig gefärbt und gezeichnet, meist aber auf gilblichem Grunde braun und blutroth gefleckt. Die Jungen kommen in einem weißen Dunenkleide zur Welt, werden von ihren Eltern mit größter Sorgfalt erzogen und so lange sie der Hülfe bedürftig sind, in jeder Hinsicht unterstützt, bald aber verstoßen oder wenigstens mit Gleichgültigkeit behandelt.
Audubon berichtet von dem Gefangenleben eines dem Neste entnommen Caranchopaares. Das Männchen zeigte sich oft herrschsüchtig gegen seine Schwester und ließ selten eine Gelegenheit vorübergehen, sie durch wiederholte und heftige Schläge zu quälen, wobei dann laute Schreie ausgestoßen wurden. Zuweilen wurde die Mißhandlung so arg, daß sich das beklagenswerthe Weibchen minutenlang auf den Rücken legte und zu ihrer Vertheidigung die Fänge vorstreckte. Auch das Weibchen schrie laut und unangenehm, aber nur das Männchen warf beim Schreien den Kopf zurück. Ihrem Pfleger gegenüber zeigten sich die Caranchos keineswegs freundlich gesinnt. Wenn man sie mit der Hand ergriff, wehrten sie sich mit Schnabel und Klauen so ernsthaft, daß man sie freigeben mußte. Sie fraßen todte wie lebende Thiere, Ratten, Mäuse, Hühner verschiedener Arten und zeigten sich ebenso geschickt, wie Falken und Adler, wenn es galt, eine Beute mit den Klauen wegzutragen. Beim Kröpfen hielten sie ihre Nahrung mit den Klauen fest und würgten die abgerissenen Stücke sammt Muskeln, Haaren und Federn ohne weiteres hinab. Sie fraßen viel auf einmal, konnten aber auch bequem tagelang hungern. Wasser war ihnen Bedürfnis; sie tranken sehr frühzeitig. Im zweiten Frühjahre ging ihr Kleid in das der Alten über, die volle Schönheit der letzteren erhielten sie aber erst später. Nach meinen Beobachtungen fällt der Vogel durch seine hoch aufgerichtete Stellung auf, im übrigen besitzt er durchaus nichts anziehendes. Stundenlang sitzt er regungslos auf einer und derselben Stelle, ohne eines seiner Glieder zu rühren; höchstens die Haube bewegt er langsam auf und nieder. Im Käfige wählt er sich den höchsten Ast zum Sitzpunkte, meidet aber auch den ebenen Boden durchaus nicht, sondern ergeht sich zuweilen gern, indem er längere Zeit auf- und abwandelt. Fleisch ist seine gewöhnliche und anscheinend auch seine liebste Speise; indeß verschmäht er auch Pflanzenstoffe keineswegs: so scheinen ihm namentlich Kartoffeln sehr wohl zu behagen. Seine laut schallende, absonderliche, jedoch keineswegs angenehme Stimme läßt er unter Umständen bis zum Ueberdrusse erschallen.