Der Mississippi-Alligator in Brehms Tierleben

Mississippi-Alligator (Brehms Tierleben)

Der Alligator oder Hechtkaiman (Alligator mississippiensis, lucius und Cuvieri, Crocodilus mississippiensis, lucius und Cuvieri, Champsa lucius) kennzeichnet sich, laut Strauch, durch die breite, flache, parabolische, auf der Oberfläche fast glatte, der eines Hechtes sehr ähnliche Schnauze, die knöcherne Nasenscheidewand, welche auch äußerlich als ziemlich breite, beide Nasenlöcher trennende Längsleiste erscheint, sowie die Genickbeschilderung, welche aus zwei nebeneinander liegenden, und die Nackenbeschilderung, welche aus sechs paarweise in drei aufeinander folgenden Querreihen gelagerten Schildern besteht, in allen Altersstufen so scharf, daß er mit den übrigen Arten seiner Sippe nicht verwechselt werden kann. Seine Länge kann bis gegen fünf Meter betragen; die Färbung der Oberseite ist gewöhnlich ein schmutziges Oelgrün, welches hier und da dunklere Flecke zeigt, die der Unterseite ein unreines Lichtgelb.

Das Verbreitungsgebiet des Hechtkaimans beschränkt sich auf die südlichen Vereinigten Staaten Nordamerikas und reicht nach Norden hin bis zum fünfunddreißigsten Grade. In fast allen Flüssen, Bächen, Seen und Sümpfen von Südkarolina, Georgia, Florida, Alabama, Mississippi und Louisiana ist er sehr gemein; weiter nach Norden hin wird er seltener, bis er allmählich verschwindet. In den gedachten Flüssen sieht man, laut Audubon, dessen Schilderung ich nachstehendem zu Grunde lege, an den schlammigen Ufern und auf den großen treibenden Baumstämmen die Alligatoren sich sonnen oder den Strom nach Nahrung durchschwimmen. In Louisiana sind alle Sümpfe, Buchten, Flüsse, Teiche, Seen voll von diesen Thieren; man bemerkt sie überall, wo sie Wasser genug haben, um in ihm Nahrung zu finden und sich in ihm zu verbergen, so bis an die Mündung des Flusses Arkansas hinab, östlich bis Nordkarolina und westlich allerorten. Auf dem Rothen Flusse waren sie, bevor derselbe mit Dampfbooten befahren wurde, so überaus häufig, daß man sie zu hunderten längs der Ufer oder auf den ungeheueren Flößen von Treibholz bemerkte. Die kleinen lagen oder saßen auf dem Rücken der größeren, und zuweilen hörte man von ihnen ein Gebrüll, wie von tausend wüthenden Stieren, welche einen Kampf beginnen wollten. Sie waren, wie überhaupt in Nordamerika, so wenig menschenscheu, daß sie sich kaum um das Getreibe auf dem Flusse oder am Ufer bekümmerten, daß sie, wenn man nicht nach ihnen feuerte oder sie absichtlich verscheuchte, Boote in einer Entfernung von wenigen Meter an sich vorüberfahren ließen, ohne dieselben im geringsten zu beachten. Nur in brackigen Wässern zeigten oder zeigen sie sich seltener.

Auf dem Lande bewegt sich der Alligator gewöhnlich langsam und verdrossen. Sein Gang ist ein mühsames Gezappel; ein Bein um das andere wird schwerfällig vorwärts bewegt, der wuchtige Leib kommt fast in Berührung mit der Erde, und der lange Schwanz schleppt im Schlamme nach.

So entsteigt er dem Wasser, so kriecht er auf Feldern oder in Wäldern umher, um einen anderen Nahrung versprechenden Wohnort oder einen tauglichen Platz für seine Eier zu suchen. Wie langsam er sich bewegt, geht aus folgender Beobachtung hervor. Audubon traf am Morgen einen etwa vier Meter langen Alligator etwa dreißig Schritte von einem Teiche entfernt, anscheinend im Begriffe, einem anderen, im Gesichtskreise liegenden Gewässer zuzuwandern. Mit Beginn der Abenddämmerung hatte das Thier etwa sechshundert Schritte zurückgelegt; weiter war es nicht gekommen. Auf dem Lande zeigen sie sich, wahrscheinlich ihrer Unbehülflichkeit halber, erbärmlich feig. Bemerken sie bei ihren Wanderungen von einem Gewässer zum anderen einen Feind, so ducken sie sich, so gut sie können, auf den Boden nieder, die Schnauze dicht gegen denselben auflegend, und verharren regungslos in derselben Lage, welche sie einmal annehmen, nur mit den leicht beweglichen Augen den Gegner beobachtend. Nähert man sich ihnen, so suchen sie nicht zu entfliehen, greifen auch ebensowenig an, sondern erheben sich bloß auf die Beine und fauchen, als ob sie ein Schmiedegebläse im Leibe hätten. Wer sie jetzt todtschlagen will, läuft nicht die mindeste Gefahr, vorausgesetzt, daß er sich von ihrem Schwanze in angemessener Entfernung hält; denn in ihm besitzt das Thier seine größte Stärke, gewissermaßen auch seine beste Waffe. Ein Mensch, welcher einen kräftigen Schlag mit dem Schwanze erhält, kann dadurch getödtet werden.

Im Wasser, seinem eigentlichen Elemente, ist der Alligator lebhafter und kühner. Zuweilen kommt es vor, daß er hier selbst dem Menschen zu Leibe geht. In der Regel aber meidet er diesen ängstlich, am sichersten dann, wenn er ihm gegenüber tritt. In Nordamerika waten die Rinderhirten, wenn sie an ein mit Alligatoren besetztes Gewässer kommen, mit Knüppeln bewaffnet in dasselbe, um einen Weg für ihr Vieh zu bahnen oder um die gefräßigen Kriechthiere abzuhalten, demselben beim Trinken lästig zu fallen, und wenn sie gerade auf den Kopf des Alligators zugehen, haben sie auch nichts zu fürchten, können den Kopf sogar, ohne Gefahr zu laufen, mit ihrem Knüppel bearbeiten, bis die Echse weicht. Zuweilen sieht man Menschen, Maulthiere und Alligatoren dicht neben einander im Wasser, das Vieh ängstlich bemüht, den Krokodilen zu entgehen, die Hirten beschäftigt, letztere durch Prügel in Furcht zu setzen und die Alligatoren mit lüsternen Augen die ihnen sonst genehme Beute betrachtend, aber aus Scheu vor den ihnen unangenehmen Prügel sich in angemessener Entfernung haltend.

Schafe und Ziegen, welche ans Wasser kommen, um zu trinken, Hunde, Hirsche und Pferde, welche dasselbe durchschwimmen, laufen Gefahr, von den Alligatoren ertränkt und nachträglich verzehrt zu werden; die eigentliche Nahrung der Kaimans aber sind Fische. Bei den alljährlich stattfindenden Ueberschwemmungen der dortigen Flüsse füllen sich die großen, seichten Seen und Moräste zu beiden Seiten derselben nicht bloß mit Wasser, sondern auch mit Fischen an, auf welche nun die Alligatoren jagen. Nach dem Zurücktreten des hohen Wassers werden alle diese Seen verbindenden Wasseradern trocken gelegt und die Fische den tieferen Stellen zugetrieben; hier nun verfolgen sie die Krokodile, von einer Vertiefung oder, wie man in Amerika sagt, von einem Alligatorloche zum anderen wandernd. Nach Sonnenuntergang hört man das Geräusch, welches die Raubthiere mit ihrem Schwanze verursachen, auf weite Entfernung, und wenn man zur Stelle kommt, sieht man, wie sie durch die Bewegungen die Flut aufrühren und die Fische so in Angst versetzen, daß sie zu hunderten über die Wasserfläche emporspringen, in der Absicht, ihrem grimmigsten Gegner zu entgehen, oft aber auch durch die Schwanzschläge dem zahnstarrenden Rachen zugeführt werden. Audubon belustigte sich zuweilen, den in einem Loche gerade versammelten Alligatoren eine mit Luft gefüllte Rindsblase zuzuwerfen. Ein Kaiman näherte sich derselben, peitschte sie nach sich zu oder suchte sie mit den Zähnen zu fassen: die Blase glitt aus; andere versuchten die anscheinende Beute geschickter zu fassen: und so geschah es, daß sie zuweilen förmlich Fangball mit derselben spielten. Manchmal wirft man ihnen auch eine zugestöpselte Flasche zu, welche leichter gefaßt werden kann: dann hört man, wie das Glas zwischen den Zähnen knirscht und zerbricht und wünscht dem überall mit scheelen Augen angesehenen Krokodile schadenfroh eine gesegnete Mahlzeit.

Während der Begattungszeit im Frühjahre fürchtet man die Alligatoren. Der Paarungstrieb erregt sie. Die Männchen liefern sich zu Wasser und zu Lande fürchterliche Zweikämpfe, werden dadurch erbittert und scheuen sich jetzt wenig oder nicht mehr vor dem Menschen, vielleicht auch deshalb nicht, weil in dieser Zeit alle Niederungen überschwemmt sind und es ihnen schwer fällt, die nunmehr vereinzelten Fische zu fangen. Geraume Zeit später legt das befruchtete Weibchen seine verhältnismäßig kleinen, weißen, mit einer harten, kalkigen Schale bedeckten Eier ab, deren Anzahl zuweilen hundert übersteigen kann; nach den übereinstimmenden Angaben Audubons, Lützelbergers und Lyells, in besondere Nester, welche es sich erbaut. Es wählt dazu eine passende, meist funfzig bis sechzig Schritte vom Wasser entfernte Stelle im dichten Gesträuche oder Röhricht, trägt Blätter, Stöcke und dergleichen im Rachen herbei, legt die Eier ab und deckt sie sorgsam wieder zu. Fortan soll es beständig in der Nähe des Nestes auf Wache liegen und grimmig über jedes Wesen, welches sich den Eiern nähert, herfallen. Die Wärme, welche sich durch Gährung der Pflanzenstoffe entwickelt, zeitigt die Eier; die jungen Alligatoren arbeiten sich höchst geschickt durch die sie zunächst bedeckenden Pflanzen, werden von der Mutter empfangen und nunmehr dem Wasser zugeführt, gewöhnlich zunächst in kleine abgesonderte Tümpel, um sie vor dem Männchen und vor den größeren Sumpfvögeln zu sichern.

Die Zählebigkeit des Alligators erschwert seine Jagd; denn auch ihn tödtet rasch nur eine Kugel, welche das Hirn oder das Herz durchbohrt. Oefter als das Feuergewehr wendet man große Netze an, mit denen man die Tümpel oder Alligatorenlöcher ausfischt, die Gefangenen werden dann auf das Ufer herausgezogen und mit Aexten todtgeschlagen. Einzelne Neger besitzen große Uebung darin, Kaimans mit Schlingen zu fangen, werfen ihnen, wenn sie in der Nähe des Ufers schwimmen, ein Seil über den Kopf und ziehen sie daran ebenfalls aus dem Wasser heraus. Angeschossene Alligatoren bringen unter den übrigen Mitbewohnern eines Loches so große Aufregung und Furcht hervor, daß diese in der Regel auswandern oder sich doch mehrere Tage lang versteckt halten, während diejenigen, welche durch einen Kugelschuß augenblicklich getödtet werden, die Beachtung ihrer Gefährten in ungleich geringerem Grade auf sich ziehen. Am Rothen Flusse wurden in früheren Jahren tausende erlegt, weil Schuhe, Stiefel und Sättel von Alligatorhaut Mode geworden waren. Wandernde Indianer beschäftigten sich eine Zeitlang ausschließlich mit der Jagd dieser Thiere und würden sie ausgerottet haben, hätte man nicht in Erfahrung gebracht, daß die Häute nicht hinreichend stark und dick seien, um Feuchtigkeit genügend abzuhalten. Gegenwärtig benutzt man noch das Fett der Erlegten zum Einschmieren von Maschinen. An eine Verwerthung der Drüsen, welche ebenso stark nach Moschus duften wie die der Krokodile, scheint man bisher noch nicht gedacht zu haben.

Diese Art der Krokodilfamilie ist es, welche man in Thiergärten und Thierschaubuden sieht. Es kommen alljährlich mehrere hundert Stück lebende Alligatoren auf den europäischen Thiermarkt, und sie alle finden Abnehmer, die kleinen, eben dem Eie entschlüpften solche in Liebhabern, welche sie ihrem Aquarium einverleiben und soweit zähmen, daß sie zuletzt das ihnen vorgehaltene Futter artig aus der Hand nehmen, die großen in den Thierschaubudenbesitzern, welche sie so lange mit sich führen, bis sie der Mißhandlung, dem Hunger und der Kälte erliegen. Alt gefangene Kaimans verschmähen gewöhnlich das Futter, solche von anderthalb Meter Länge hingegen fressen bald, vorausgesetzt, daß man ihnen einen größeren Raum, am besten einen kleinen Teich im Garten, zur Wohnung anweist. Um sie ans Fressen zu gewöhnen, muß man ihnen anfänglich lebende Beute vorwerfen, zum Fliegen unfähige Sperlinge, welche man aufs Wasser schleudert, lebende Tauben, Hühner und dergleichen; später nehmen sie dann auch rohes Fleisch an, welches man mittels eines Bindfadens in Bewegung setzt, und schließlich sperren sie schon, wenn man ihnen Nahrung zeigt, den Rachen auf und lassen sich »die gebratenen Tauben ins Maul fliegen«. Bei sorgfältiger Behandlung halten sie auch im Freien die Gefangenschaft jahrelang aus; dazu gehört aber, daß sie sich im Winter hinlänglich gegen Einwirkungen der Kälte schützen, wo möglich im Schlamme vergraben und Winterschlaf halten können; im entgegengesetzten Falle überleben sie nicht einmal den ersten Winter. Uebrigens glaube ich kaum, jemandem rathen zu dürfen, mit der Haltung von Alligatoren sich zu befassen. Die kleinen, jungen sind zwar recht niedlich, aber jede Eidechse bereitet ihrem Pfleger mehr Vergnügen als sie, und die älteren kühlen durch ihre Langweiligkeit bald auch den eifrigsten Liebhaber ab.

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