Der Marabu in Brehms Tierleben

Marabu (Brehms Tierleben)

Während meines Aufenthaltes in Afrika bin ich mit der dort lebenden Art, dem Marabu (Leptoptilus crumenifer, Rueppellii und Argala, Cico nia crumenifera, vetula, Argala und Marabou, Mycteria crumenifera), »Abu sëin« oder Vater des Schlauches, Schlauchträger, der Araber, bekannt geworden. Sein Kopf ist röthlich fleischfarben, nur spärlich mit kurzen, haarigen Federn bekleidet, die Haut in der Regel grindig, der Hals nackt. Das Gefieder ist auf dem Mantel dunkelgrün, metallisch glänzend, auf der ganzen Unterseite und im Nacken weiß; die Schwingen und Steuerfedern sind schwarz und glanzlos, die großen Deckfedern der Flügel auf der Außenfahne weiß gerandet. Das Auge ist braun, der Schnabel schmutzig weißgelb, der Fuß schwarz, in der Regel aber mit Koth weiß übertüncht. Die Länge beträgt einhundertundsechzig, die Breite dreihundert, die Fittiglänge dreiundsiebzig, die Schwanzlänge vierundzwanzig Centimeter.

In den von mir durchreisten Ländern begegnet man dem Marabu zuerst ungefähr unter dem funfzehnten Grade nördlicher Breite, von hier aus aber nicht selten längs der beiden Hauptströme des Landes und regelmäßig in der Nähe aller größeren Ortschaften, in denen Markt gehalten und wenigstens an gewissen Tagen in der Woche Vieh geschlachtet wird. In den nördlichen Theilen seines Verbreitungsgebietes erscheint er nach der Brutzeit im Mai und zieht im September und Oktober wieder weg, den weiter unten im Süden gelegenen Waldungen zu, um daselbst zu brüten. Schon im December scheint er das Fortpflanzungsgeschäft beendigt zu haben; wenigstens bemerkten wir um die Mitte dieses Monates an einer größeren Lache eine ganz ungewöhnliche Anzahl der gefräßigen Vögel. Das Nest habe ich nie gefunden, auch von den Eingeborenen nichts sicheres darüber erfahren können. Der einzige Reisende, welcher es gesehen hat, Livingstone, berichtet auch nur, daß es auf dem Seitenaste eines Affenbrodbaumes erbaut gewesen sei, aus einem Haufen von dürren Aesten bestanden und Junge enthalten habe, welche beim Ab- und Zufliegen der Alten ein unangenehmes »Tschuk tschuk« vernehmen ließen. Ein angeblich von dem Vogel herrührendes, vierundneunzig Millimeter langes, fünfundvierzig Millimeter dickes, weißes, glanzloses Ei erhielt Heuglin von einem seiner Jäger.

Im Sudân habe ich den Marabu sehr oft, bei Chartum tagtäglich beobachtet. Ganz abgesehen von seiner Größe fällt er auch durch seinen sonderbaren Anstand auf. In den Thiergärten erwirbt er sich regelmäßig einen Spitznamen: man nennt ihn den »Geheimen Rath«; er erinnert, wie Vierthaler sagt, aber auch wirklich an einen durch vierjährige Dienste krummgebückten, in schwarzblauen Frack und enge weiße Beinkleider eingezwängten Hofmann mit feuerrother Perücke, welcher sich scheu und ängstlich fortwährend nach dem strengen Gebieter umschaut, der gnädigsten Befehle harrend; er erinnert, füge ich hinzu, an einen ungeschickten Menschen, welcher zum ersten Male in einen Frack gesteckt wird und dieses Kleidungsstück nicht mit dem nöthigen Anstande trägt. Wir nannten ihn in Afrika scherzhafter Weise nur den »Vogel Frack«; denn der Vergleich mit ihm und einem befrackten Menschen drängt sich fortwährend wieder auf. Das Benehmen des Marabu steht mit seiner Gestalt und Haltung, welche unwillkürlich zum Lachen herausfordern, im Einklange. In jeder seiner Bewegungen spricht sich unverwüstliche Ruhe aus. Sein Gang, ja jeder Schritt, jeder Blick scheint berechnet, genau abgemessen zu sein. Wenn er sich verfolgt wähnt, schaut er sich ernsthaft um, mißt die Entfernung zwischen sich und seinem Feinde und regelt nach ihr seine Schritte. Geht der Jäger langsam, so thut er es ebenfalls, beschleunigt jener seine Schritte, so schreitet auch er weiter aus, bleibt jener stehen, so thut es auch er. Auf einer weiten Ebene, welche ihm gestattet, jede beliebige Entfernung zwischen sich und seinem Feinde zu behaupten, läßt er es selten zum Schusse kommen, fliegt aber auch nicht auf, sondern bewegt sich immer in einer sich gleich bleibenden Entfernung von drei- bis vierhundert Schritten vor dem Jäger dahin. Er ist erstaunlich klug und lernt nach den ersten Schüssen, welche auf ihn oder andere seiner Art abgefeuert wurden, auf das genaueste abschätzen, wie weit das Jagdgewehr des Schützen trägt; er unterscheidet diesen aber auch sofort von anderen Menschen, da ihn alles auffallende zur Vorsicht mahnt. Bei meiner Ankunft in Chartum lebte er mit den Metzgern, welche in einem vor der Stadt liegenden Schlachthause ihr Handwerk trieben, im besten Einvernehmen, fand sich ohne Furcht vor dem Hause oder in ihm selbst ein, erbettelte sich die Abfälle oder belästigte die Leute so lange, bis sie ihm etwas zuwarfen. Keiner der Schlächter dachte daran, ihn zu verfolgen; man ließ sich möglichst viel von ihm gefallen und erlaubte sich höchstens, ihm durch einen Steinwurf anzuzeigen, wenn er zu unverschämt wurde. Jedenfalls hatte der Vogel bis zu unserer Zeit keine Nachstellungen erfahren; denn auch die damals in Chartum lebenden Europäer ließen ihn unbehelligt, weil sie seinen Werth nicht kannten, wenigstens nicht wußten, daß er Erzeuger köstlicher Federn war. Bei unserem ersten Jagdausfluge fiel ein Marabu dem Forschungseifer zum Opfer, und von der Stunde an änderten die Genossen ihr Benehmen. Sie kamen allerdings nach wie vor noch zum Schlachthause, stellten aber fortan regelmäßig Wachen aus und entflohen, sowie ein weißes Gesicht oder ein weiß gekleideter Mensch nur von weitem sich sehen ließ. Es wurde uns schwer, so viele zu erlegen, wie wir für unsere Sammlungen nothwendigerweise bedurften, und an ein Sammeln von Marabufedern war nicht zu denken. Nach der gehaltenen Mahlzeit entfernten sich die Marabus von dem Schlachtplatze, flogen nach dem Nile hin, fischten dort noch ein wenig und erhoben sich hierauf in der Regel, um während der heißesten Stunden des Tages in ungemessener Höhe zu kreisen, vielleicht auch, um sicheren Ruheplätzen zuzufliegen, von denen aus sie gegen Abend wiederum zurückzukehren pflegten. Der Flug ist wahrhaft prachtvoll, majestätisch, dem der Geier ähnlicher als dem unseres Storches; der Hals wird dabei ausgestreckt, aber, vielleicht des schweren Schnabels wegen, etwas nach unten gesenkt, die Flügelspitzen, wie bei einzelnen Geiern und Adlern, etwas in die Höhe gehoben, der Flügel überhaupt selten bewegt.

Wahrscheinlich gibt es keinen Vogel, welcher an Gefräßigkeit dem Marabu gleich käme. Seine natürliche Nahrung besteht in allen denkbaren Wirbelthieren, von der Größe einer Ratte oder eines jungen Krokodiles an bis zur kleinsten Maus herab; er frißt jedoch auch Muscheln, Spinnenthiere, Kerfe und mit Vorliebe Aas. Wir zogen aus seinem Kropfe ganze Rinderohren und ganze Rinderbeine sammt den Hufen hervor, auch Knochen von einer Größe, daß sie ein anderer Vogel gar nicht hätte verschlingen können, beobachteten, daß er blutgetränkte Erde oder blutbefleckte Fetzen hinunterschlang, bemerkten wiederholt, daß flügellahm geschossene im Laufen gleich noch einen guten Bissen aufnahmen. Einmal sah ich zehn bis zwölf Marabus im Weißen Flusse Fische fangen. Sie besitzen darin viel Geschicklichkeit, schließen einen Kreis und treiben sich Fische gegenseitig zu. Einer von ihnen hatte das Glück, einen großen Fisch zu erhaschen, welcher alsbald hinabgewürgt, einstweilen aber noch im Kropfsacke aufbewahrt wurde. Der Fisch zappelte in dem Kropfe herum und dehnte ihn fußlang aus. Sofort stürzten sich alle Marabus auf den glücklichen Fänger los und schnappten so ernstlich nach dessen Kropfe, daß er sich genöthigt sah, die Flucht zu ergreifen, um den Fangversuchen ein Ziel zu setzen. Mit Geiern und Hunden liegt der Marabu stets im Streite. Er fällt mit den Geiern regelmäßig auf das Aas und weiß seinen Platz zu behaupten. Ein Ohrengeier, welcher die Speise zerreißen, namentlich die Höhlen aufbrechen muß, steht seinen Mann; aber den Marabu vertreibt er nicht; denn dieser weiß sich zu vertheidigen und theilt mit seinem Keilschnabel nach rechts und links so kräftige Hiebe aus, daß er sich unter allen Umständen seinen Antheil sichert. Von seiner Gefräßigkeit gab er mir einen Beweis, welcher mich mit Entsetzen erfüllte. Mein brauner Diener hatte einem Vogel dieser Art durch einen Schuß beide Flügelknochen und einen Fuß zerschmettert, aber versäumt, das verstümmelte Thier sogleich zu tödten, und brachte es noch lebend in unsere Wohnung. Hier wurden gerade Geier abgebalgt und das Fleisch von den Beinen und Flügeln, die Hälse usw. lagen in Haufen umher. Tomboldo, der Jäger, warf den Marabu einem der Abbälger zu, der Vogel brach natürlich sofort zusammen, lag kläglich da, begann aber dennoch sofort Massen des Fleisches zu verschlingen. Ich tödtete ihn augenblicklich.

Die Jagd bleibt stets schwierig, weil die außerordentliche Scheu der Vögel dem Jäger sein Handwerk verleidet. Nicht einmal auf den Schlafplätzen kann man mit Sicherheit darauf rechnen, diese klugen Vögel zu überlisten. Einige, welche wir beunruhigt hatten, flogen während der ganzen Nacht über den Schlafbäumen hin und her, ohne sich wieder zu setzen, und diejenigen, welche bei den Schlachthäusern einmal geängstigt wurden, konnten uns Jäger zur Verzweiflung bringen. Leichter noch gelingt der Fang, wenn auch bloß den Eingeborenen, an welche die Marabus gewöhnt sind. Man bindet ein Schafbein an einen dünnen, aber festen, langen Faden und wirft es unter die übrigen Abfälle. Der Marabu schlingt es hinab und wird wie an einer Angel gefangen, noch ehe er Zeit hat, den eingewürgten Knochen wieder von sich zu geben.

Auf diese Weise gelangten mehrere Kropfstörche in meinen Besitz, und ich habe die gefangenen, trotz ihrer ungeheueren Gefräßigkeit, stets gern gehalten, weil sie bald ungemein zahm und zutraulich wurden. Wenn wir Vögel abbalgten, standen sie ernsthaft zuschauend nebenan und lauerten auf jeden Bissen, welcher ihnen zugeworfen wurde, fingen denselben höchst geschickt, beinahe unfehlbar aus der Luft und zeigten sich gegen den Pfleger sehr dankbar. Der erste, welchen ich besaß, kam mir entgegen, nickte mit dem Kopfe, klapperte wie ein Storch laut mit dem Schnabel, um mir seine Freude auszudrücken, und umtanzte mich unter den lustigsten Geberden. Seine Anhänglichkeit verlor sich übrigens zum Theile, nachdem er einen Gefährten erhalten hatte, und als ich ihn nach einer zweimonatlichen Reise wiedersah, kannte er mich nicht mehr. In unseren Thiergärten fehlt der Marabu nicht, weil er mehr als jeder andere Vogel seiner Größe als Schaustück gilt. Man darf ihn unter allerlei Geflügel halten, ohne für dasselbe besorgt sein zu müssen; denn er erwirbt sich nämlich schon in den ersten Tagen eine so unbedingte Oberherrschaft auf dem Futterplatze, daß groß und klein sich vorsichtig vor ihm zurückzieht und ihn seinen Hunger zuerst stillen läßt. Hat er jedoch einmal gefressen, dann ist er das gutmüthigste Vieh unter der Sonne und fängt, ungereizt, mit keinem anderen Geschöpfe Händel an. Aber man darf den kräftigen Vogel auch mit anderen, gefährlicheren Thieren zusammenbringen, ohne für ihn fürchten zu müssen. Ein zahmer Marabu, welcher auf unserem Hofe in Chartum umherlief, hatte sich in kürzester Zeit die Achtung aller übrigen Thiere zu erringen gewußt und überzeugte sogar unsere junge, necklustige Löwin, welche aus reinem Uebermuthe einen Angriff auf ihn versuchte, daß mit ihm nicht zu spaßen. Unmittelbar nach geschehenem Angriffe drehte er sich gegen die Löwin, schritt muthig auf sie zu und versetzte ihr mit dem gewaltigen Keilschnabel so fühlbare Hiebe, daß Bachída für gut fand, eiligst den Rückzug anzutreten, und schließlich, verfolgt von dem kühnen Vogel, an einer Wand emporkletterte, um sich nur zu retten.

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