Der Iberische Steinbock in Brehms Tierleben

Iberischer Steinbock (Brehms Tierleben)

In den ersten Novembertagen des Jahres 1856 unternahm ich in Gesellschaft meines Bruders Reinhold und eines gemeinschaftlichen Freundes, unter Leitung eines eingeborenen kundigen Jägers, eine Besteigung der Sierra Nevada in Südspanien, in der Absicht, auf Steinwild zu jagen. Die Zeit der Jagd fällt eigentlich in die Monate Juli und August, weil dann der Jäger einige Tage lang im Hochgebirge verweilen kann; wir aber kamen erst im November in die Nähe des reichen Gebirges und wollten nicht weiterziehen, ohne wenigstens versucht zu haben, ein Stück des stolzen Gewildes zu erbeuten. Es war ein gewagtes Unternehmen, in der jetzigen Jahreszeit zu Höhen von dreitausend Meter über dem Meere emporzuklettern, und es stand von vornherein zu erwarten, daß unsere Jagd erfolglos sein würde. Dies hinderte uns jedoch nicht, bis zu dem Picacho de la Veleta aufzusteigen und die hauptsächlichsten Jagdgebiete abzusuchen; Schneegestöber und eintretende Kälte zwangen uns aber leider zur Umkehr, und so kam es, daß wir nur die frischen Fährten des ersehnten Wildes, nicht aber Steinböcke selbst entdecken konnten.

Um so erfolgreicher jagte mein Bruder später auf Steinböcke in den mittleren Theilen des Landes, nachdem er sich, zum Danke für geleistete ärztliche Hülfe, der Mitwirkung der Bewohnerschaft eines Dorfes am Fuße der Sierra de Gredos versichert und in den Jagdgebieten gedachter Ortschaft werthvollere Rechte erworben hatte, als irgend jemand vor ihm. Ausgerüstet mit allen erforderlichen Mitteln, insbesondere aber mit einer vortrefflichen Beobachtungsgabe, gelang es ihm nicht allein, eine stattliche Reihe von Bergsteinböcken zu erlegen, sondern auch das Leben der Thiere so eingehend zu belauschen und zu erkunden, daß seine Angaben ebensowohl ein mustergültiges Lebensbild der in Rede stehenden Art zeichnen, wie sie unsere Kenntnis der Steinböcke überhaupt in dieser und jener Beziehung erweitern. Ich gebe im nachfolgenden Beobachtungen meines Bruders wieder und damit die erste eingehende Leibes- und Lebensbeschreibung des schönen, bis jetzt nur als Balg bekannten Wildes.

Der Bergsteinbock, wie ich das Thier, seinen spanischen Namen »Cabramontés« frei übersetzend, genannt wissen möchte, der Pyrenäensteinbock älterer Forscher ( Capra pyrenaica, C. hispanica, Ibex oder Aegoceros pyrenaicus und hispanicus), erreicht vollkommen die Größe des Alpensteinbocks, unterscheidet sich jedoch von ihm sehr wesentlich durch die Gestalt und Bildung der Hörner. Der ausgewachsene Bock ist 1,45 bis 1,6 Meter lang, wovon auf den Schwanz ohne Büschel 12 Centim. zu rechnen sind, und am Widerriste 75 Centim., am Kreuze dagegen 78 Centim. hoch; die Ziege erreicht höchstens drei Viertheile der angegebenen Länge und bleibt in der Höhe um durchschnittlich 10 Centim. hinter dem Bocke zurück. Die Gehörne des letzteren stehen an der Wurzel so dicht zusammen, daß vorn ein Zwischenraum von höchstens 4, hinten von nur 1 Centim. bleibt, steigen anfangs steil aufwärts, nur wenig nach außen sich wendend, biegen sich vom ersten Drittheil ihrer Länge an scharf nach außen, wenden sich, leierförmig aus einander tretend, fortan zugleich nach hinten, erreichen mit Beginn des letzten Drittheils ihren weitesten Abstand von einander, kehren nunmehr die Spitzen wieder gegen einander und richten sie ebenso etwas aufwärts. Ihr Querschnitt ist im allgemeinen birnenförmig gestaltet, da sie, schief von vorn gesehen, abgerundet und an der gegenüberstehenden Seite beinahe scharfkantig zusammengedrückt sind; außer der hinteren, vorder- und hinterseits aus sanft abgeflachten Bogen hervorgehenden, wulstig erscheinenden Kante zeigen sie jedoch noch eine zweite, welche vorn, gerade über der Stirne, entspringt, mit jener, gegen die Spitze hin zusammenlaufend, in gleichmäßig abnehmendem Abstande längs des ganzen Hornes verläuft und mit diesem derartig sich dreht, daß sie im ersten Drittheil der Gehörnlänge nach vorn, im letzten nach außen gewendet ist, während die stärkere und schärfere Hinterkante ebenso mehr und mehr nach vorn und oben sich kehrt. Nach der Spitze zu verlieren sich die Kanten allmählich, und das Horn erscheint rundlich, obgleich die Neigung, ein an der Wurzel abgerundetes Dreieck zu bilden, auch jetzt noch wahrnehmbar bleibt. Die Wachsthums- oder Jahresringe sind als Querwülste deutlich erkennbar, ohne jedoch eine so bestimmte Gliederung wie beim Alpensteinbocke zu bilden. Länge und Dicke der Hörner nehmen beim Bocke mit den Jahren merklich zu, wogegen das bei weitem schwächere, an Stärke dem unserer Hausziege etwa gleichkommende, ungefähr 15 Centim. lange, einfach nach hinten gekrümmte, bis zu zwei Dritttheilen seiner Länge mit vielen und dicht stehenden, schmalen Wülsten bedeckte Gehörn der Ziege, falls dieselbe erst ein gewisses Alter erreicht hat, kaum noch sich verändert. »Ich besitze«, schreibt mir mein Bruder, »das Gehörn eines alten Bergsteinbockes, dessen Stangen bei 76 Centim. Länge, 22 Centim. Umfang an der Wurzel und doch nur elf Jahresringe zeigen, zweifle jedoch nicht, daß die Hörner, der Krümmung nach gemessen, bis zu einem Meter an Länge erreichen können.«

Beschaffenheit und Färbung des im Winter ungemein dichten, im Sommer dünnen Haarkleides ändern nicht allein nach Jahreszeit, Alter und Geschlecht, sondern, wie bei allen Felsenthieren, auch nach der Oertlichkeit nicht unwesentlich ab. Nachdem im Mai der Haarwechsel eingetreten und das wollige Kleid in dichten Flocken und Büscheln ausgefallen ist, wachsen, wie üblich, zunächst die von der Wurzel bis zur Spitze gleichgefärbten Grannen hervor und erreichen bis Ende August eine Länge von 2 Centim., wogegen ein mähnenartiger, hinter den Hörnern beginnender und bis zu den ersten Rückenwirbeln sich fortsetzender Haarstreifen ebenso wie der Bart und die Schwanzquaste einem ähnlichen Wechsel nicht unterworfen ist, vielmehr durch theilweises Nachwachsen der Haare ergänzt wird. Es haben deshalb diese Haarwucherungen jahraus jahrein annähernd dieselbe Länge, jener eine solche von 8 bis 9, der Bart von 9, der Schwanzbüschel von 12 Centim., sind jedoch merklich weniger dicht als im Winter. Ein schönes, nur auf Nasenrücken, Stirn und Hinterkopf dunkelndes, hier oft mit Schwarz gemischtes Hellbraun ist jetzt die vorherrschende Färbung des Thieres; ein dreieckiger, mit der Spitze dem Rücken zugekehrter Fleck, ein die Ober- und Unterseite trennender Flankenstreifen und die Vorderseite der Läufe sind schwarz, Oberlippe, Backen, Halsseiten, Innenfläche der Schenkel hellgrau, die übrigen Untertheile weiß. Im Spätherbste beginnt die Wucherung des kurzen, dichten, weichen weißgrauen Wollhaares und gleichzeitig die Umfärbung der inzwischen reichlicher nachgewachsenen Grannen, welche im Winter zwischen 3 bis 4 Centim. an Länge erreicht haben, dann sehr dicht stehen und an der Wurzel hellgrau, in den übrigen zwei Drittheilen ihrer Länge dunkel gefärbt sind. Im vollendeten Winterkleide herrschen ein in das Braune spielendes Schwarz und Grau vor, erstere Färbung auf Nasenrücken, Stirn und Vorderhalse, letztere zwischen Auge und Ohr an den Kiefergelenken, den Halsseiten bis zu den Schulterblättern und auf den Seiten bis zur Mitte des Hinterschenkels; doch mischt sich an allen genannten Theilen Schwarz oder Schwarzbraun ein, weil viele Grannen in schwarze Spitzen endigen. Die Begrenzung der Farbenfelder ist folgende: Nasenrücken bis zur Oberlippe, Stirn, Unterkiefer, Bart, ganze Vorderseite des Halses, Brust, Seiten des Bauches, Hinterkopf, Hinterhals und Rücken sind schwarz, Vorderseite der Läufe bis zu den Hufen herab und ein am Hinterkopfe beginnender, die im Sommer wie im Winter gleichgefärbte Mähne in sich fassender, in gerader Linie längs des Rückgrats bis zur Schwanzspitze verlaufender, 3 bis 4 Centim. breiter Streifen, ein auf den Schulterblättern von ihm sich abzweigender, bis zu den Vorderläufen sich erstreckender, mit jenem ein Kreuz bildender Querstreifen kohlschwarz, Oberlippe, Backen vom oberen Augenlide bis zum Kieferwinkel, Seiten, vom Schulterblatte an beginnend, hellgrau, ein die Seiten unten und hinten einfassender Streifen und die Hinterschenkel schwarzbraun, letztere durch einzelne graue Haare gesprenkelt, ein auf dem Brustbeine beginnender, 3 Centim. breiter Streifen endlich, welcher sich auf dem Bauche ausbreitet und zuletzt diesen wie die innere Fläche der Hinterschenkel bedeckt, sowie seine Fortsetzung nach oben hin, wo er den schwarzen Schwanz beiderseitig saumartig einfaßt und dem langen Büschel desselben einzelne, mit ihm gleich gefärbte Haare einmischt, reinweiß von Farbe.

Die Färbung der Ziege ist wenig veränderlich, jedoch ebenfalls im Sommer heller, im Winter dunkler. Rehfarben oder Hellbraun herrscht vor; schwarz sind die Vorderseiten der Läufe, von den Hand- und Fersengelenken an bis zu den Hufen herab, schwarz mit grau gemischt die Hinterseiten derselben. Auch ein Streifen längs des Brustbeines von 3 Centim. Breite und doppelter Länge hat schwarze Färbung. Die Zicklein gleichen der Mutter, ihre Hauptfärbung ist jedoch nicht hell-, sondern dunkelkastanienbraun, die der Läufe schwarzbraun.

Von der vorstehend beschriebenen Art glaubte Schimper den auf den süd- und ostspanischen Gebirgen lebenden Steinbock unter dem Namen Capra hispanica unterscheiden zu dürfen; die Merkmale des einen und anderen Thieres sind aber so übereinstimmende, daß sich die Trennung schwerlich aufrecht erhalten läßt. Die Steinböcke der Sierra de Gredos wie die der Serrania de Ronda und der Sierra Nevada in Andalusien, der Sierra de Segura in Murcia, der Sierra de Cuenca und dem Monte Carroche in Valencia haben dasselbe Gehörn wie der Bergsteinbock, sind jedoch in der Regel etwas kleiner und heller gefärbt; insbesondere ist das Schwarz nicht so ausgedehnt wie bei diesem. Auf so unbestimmte und ungewichtige, wahrscheinlich auch nur für das Sommerkleid geltende Merkmale läßt sich keine Art begründen, und ich habe deshalb kein Bedenken getragen, beide in Spanien lebende Steinböcke zu vereinigen.

Demgemäß erstreckt sich das Verbreitungsgebiet des Bergsteinbocks von der Küste des Golfs von Biscaya bis zum Mittelmeere und von den Pyrenäen bis zur Serrania de Ronda. Außer den oben genannten Gebirgen bewohnt er die Sierra Morena, die Montes de Toledo, die Pyrenäen und alle höheren Gebirgszüge Nord- und Mittelspaniens, in besonderer Häufigkeit namentlich die Sierra de Gredos, wogegen er auf den Gebirgen der kantabrischen Küste gänzlich zu fehlen scheint. »Die Sierra de Gredos«, so schildert mein Bruder, »wird durch die höchste Erhebung der Cordillera Carpeto gebildet, jenes Gebirgszuges, welcher sich von Moncayo an durch Kastilien und Estremadura zieht, die Wasserscheide zwischen Duero und Tajo herstellt, Altkastilien von Neukastilien trennt, als Sierra des Estrella in Portugal eintritt und als Sierra de Cintra am Gestade des Atlantischen Weltmeeres endet. Der höchste Berg dieses langen Gebirgszuges, der Almanzor, welcher zu 2650 Meter aufsteigt, nebst Umgebung ist der Lieblingsaufenthalt unseres Steinwildes. Im Winter mag es, zumal auf der Südseite des Gebirges, nach Estremadura hin, etwas tiefer herabsteigen; im Sommer aber wird man es in der nächsten Umgebung des Almanzor niemals vermissen und in der Regel in starken Rudeln, namentlich solchen, welche aus alten Böcken bestehen, mit Sicherheit beobachten können.

»Das Bergsteinwild lebt während des größten Theiles vom Jahre nach dem Geschlechte getrennt; nur gegen die Paarzeit hin vereinigen sich Böcke und Ziegen. Beide bilden Rudel, nicht selten aber auch förmliche Herden, welche aus ein- bis anderthalbhundert Stück bestehen können. Ich selbst konnte einmal hundertundfünfunddreißig Böcke genau zählen. Es mag sein, daß solche Herden fast alle auf der Gredos lebenden Böcke in sich vereinigen; doch habe ich gelegentlich eines Treibens auch einmal vierundsiebzig Ziegen, welche gewöhnlich in kleinen Trupps über das ganze Gebirge zerstreut zu sein pflegen, zusammen gesehen und gezählt. Unbekümmert um Schnee und Kälte in dem von ihnen erwählten Gebiete bewohnen die Böcke in der Regel ausschließlich den oberen und höchsten Theil des Gebirges, wogegen die Ziegen schon im Spätherbste die nach Süden gelegenen Wände aufsuchen und in strengen Wintern bis in die Nähe der Dörfer hinabsteigen. Das Rudel wie die Herde wird stets von dem stärksten und, was wohl gleichbedeutend, von dem ältesten und erfahrensten Stücke geleitet. Langsamen Schrittes sieht man das Bergsteinwild an den steilen Wänden und auf den Graten eines Gebirgszuges dahinziehen, unter allen Umständen vorsichtig nach jeder Seite hin äugend und spähend und ebenso fort und fort windend. Das Leitthier schreitet dem Rudel voran und sichert, bleibt darauf, nachdem es eine Entfernung von zehn bis zwölf Schritten zurückgelegt hat, seinerseits stehen, das Rudel, welches sich nunmehr in Bewegung setzt, erwartend, worauf es wie vorher weiter zieht. Wenn ein Trupp von Bergsteinziegen weidet, stellen sich stets mehrere Stücke so auf, daß sie als Wachen dienen können und sichern und winden beständig. Bemerkt eine Wachtgeis etwas verdächtiges, oder führt ihr der Wind die Witterung eines Feindes zu, so stößt sie ein pfeifendes Schnauben aus, stürzt sich von ihrem Auslugpunkte herab, und wird, wie der ihr folgende Trupp, sofort flüchtig, entweder trabend oder in Galopp fallend, je nachdem die Gefahr ferner oder näher ist. Nach kurzer Zeit unterbricht das Rudel seine Flucht, um die Ursache der Störung genauer zu erkunden. Führte diese das Erscheinen eines Menschen herbei, so geht der Trupp oder die Herde rascheren Schrittes weiter und wechselt dann meist bis auf eine halbe, oft bis auf eine volle Gehstunde; war es ein Wolf oder Hund, welcher schreckte, so erklettert das Bergsteinwild einfach eine steile Wand und nimmt hier Stellung auf Oertlichkeiten, welche den genannten Verfolgern vollkommen unzugänglich sind. Unglaublich scheint es, daß das Bergsteinwild beinahe senkrechte Wände, an denen man auch nicht den geringsten Anhaltepunkt wahrzunehmen vermag, nicht allein mit der größten Sicherheit, sondern auch mit überraschender Leichtigkeit und Schnelle zu ersteigen im Stande ist, und daß schon die kleinsten Zicklein, ebensogut wie die alten Ziegen, mit ihren scharfkantigen Hufen an solchen Felsen förmlich sich ankleben können.

»Wähnt sich die Herde vollkommen sicher, so legt sich ein Theil derselben mit ausgestreckten Läufen behaglich nieder, um auszuruhen und wiederzukäuen, während ein anderer Theil die Spitzen der Gräser und die saftigsten Mitteltriebe anderer Alpenpflanzen, insbesondere aber die Blüten der niederen Ginsterbüsche ( Spartium scoparium und Sp. horridum) abäst und zwei oder drei Stück als Wachtthiere dienen. Brennt die Sonne gar zu stark, so lagert sich das Rudel im Schatten vorspringender Felsen oder tritt in Höhlen ein, niemals jedoch, ohne durch ausgestellte Wachtgeisen für Sicherung genügend gesorgt zu haben.

»Die Böcke sind immer weniger achtsam und vorsichtig als die Geisen. Sehr alte zumal bleiben öfters hinter dem Rudel oder der Herde zurück und lassen zuweilen einen gegen den Wind sich anschleichenden Menschen bis in ihre nächste Nähe kommen. Anstatt sogleich die Flucht zu ergreifen, wie die Ziegen fast stets thun, springen sie auf einen Felsen oder höheren Steinblock, äugen den Feind einige Minuten an und bieten so dem Jäger oft ein sicheres Ziel. Ich selbst habe unter solchen Umständen einmal einen sehr starken Bock erlegt. Auch auf seinen Wanderungen ist ein von der Herde getrennter Bock weit weniger scheu, als wenn er letztere begleitet. Ein durch die Treiber in weiter Entfernung von uns angestellten Schützen aufgeregter Bergsteinbock ging langsam auf meinen Nebenmann zu, wurde von diesem zweimal gefehlt, hierauf für kurze Zeit flüchtig, fiel, nachdem er einige hundert Schritte rasch zurückgelegt hatte, wieder in seinen ruhigen Gang, gelangte hinter meinen, nach vorn hin gut verbauten, auf der Rückseite aber offenen Stand, staunte mich, der ich nichts ahnte, wenigstens fünfzehn Minuten lang an und zog dann ruhig weiter. So erzählten mir meine Jagdgenossen nach beendigtem Treiben zu meinem großen Verdrusse.

»Harmlosen Thieren gegenüber bekundet das Bergsteinwild weder Furcht noch Zuneigung. Doch sieht man in der Sierra de Gredos im Hochsommer, wenn die Ziegenherden der Dörfler am Fuße des Gebirges bis in das Gebiet der Steinböcke emporsteigen, zuweilen beide Thierarten friedlich neben einander weiden.

»Anfangs November tritt die Brunstzeit ein. Nunmehr gesellen sich die Böcke zu den Ziegen, und es beginnen gleichzeitig die heftigsten Kämpfe zwischen ersteren, zumal zwischen sehr alten Herren, jedenfalls als fesselndes Schauspiel für die jungen Thiere, welche ruhige Zuschauer bleiben. Schon im December trennen sich beide Geschlechter wieder; jedoch halten sich auch dann noch meist einige junge, d.+h. ein- bis dreijährige Böcke zu der Ziegenherde. Ende April oder anfangs Mai, also zwanzig- bis vierundzwanzig Wochen nach der Paarung, setzt die Ziege ein Junges, welches wenige Stunden nach seiner Geburt der Mutter auf ihren Pfaden leicht und sicher folgt und von ihr sorgsam gepflegt und gehütet wird. Nur auf der Südseite des Gebirges und hier an den sonnigsten Wänden nehmen jetzt die Ziegen ihren Stand, und, anstatt kahle Abhänge aufzusuchen, wählen sie die mit Ginstergebüsch bewachsenen Lehnen und Schluchten und verbringen auf und in ihnen den größten Theil des Spätfrühlings und Frühsommers. Werden sie aufgeschreckt, so laufen die Zickelchen neben der Mutter her; können diese bei hitziger Verfolgung der alten Geisen nicht nachkommen, so ducken sie sich unter einem dichten Strauche, hinter einem schützenden Felsblocke, in einer Felsenspalte etc. und verharren hier bis zur Rückkehr der Alten. Schneefelder übersteigen die Bergsteinziegen überhaupt sehr ungern, vermeiden sie aber, wenn sie Zicklein führen, fast ängstlich.

»Auch das Bergsteinwild soll seit fünfundzwanzig Jahren in der Sierra de Gredos bedeutend abgenommen haben, und in der That kann dies kaum anders sein, da der Spanier von einer Hegezeit keine Vorstellung hat, außerdem gerade in unserem Gebirge jeder Hirt ein Gewehr führt und während seines monatelangen Aufenthaltes in den Höhen bei Tag und Nacht dem edlen Wilde nachschleicht. Wollte und könnte man streng verbieten, Geisen während der Frühlingsmonate zu erlegen, so würde sich gerade das Steinwild, welches außer dem Menschen wenige Feinde hat, in kürzester Frist wieder bedeutend vermehren. Bartgeier, Stein- und Kaiseradler nehmen wohl öfters ein Zicklein weg, getrauen sich aber, nach Aussage der von mir befragten Hirten, niemals an alte Böcke oder Geisen. Diesen wird außer dem Menschen höchstens der Wolf gefährlich; aber auch er schadet, weil er kaum jemals in bedeutendere Höhen emporsteigt, eigentlich nur im Winter, wenn ein Rudel Bergsteinwild in die Tiefe herabgezogen ist, bei hohem Schnee von Isegrimm in einiger Entfernung von den rettenden Felsenwänden überrascht und durch den Schnee an erfolgreicher Flucht verhindert wird; denn unter solchen Umständen bleiben die Steinböcke nicht selten ermattet liegen oder stecken und fallen dann dem gierigen Räuber leicht zur Beute.

»Der spanische Jäger erlegt das Bergsteinwild entweder auf der Birsche oder auf dem Anstande. Bekleidet mit Hanfschuhen, welche selbst da noch Sicherheit des Ganges gewähren, wo sogar der Alpenschuh versagen würde, klimmt er, oft auf den wildesten Pfaden, zu den Gebirgskämmen empor, sucht, unter genauester Beobachtung des Windes, eine gewisse Höhe zu gewinnen, kriecht, auf Händen und Knien rutschend, bis zur oberen Kante der Felsenwand vor, legt sich hier, nachdem er den Hut abgenommen, platt nieder und sieht in die grausigen Abgründe hinab. Erblickt er kein Wild, so ahmt er den schnaubenden Pfiff desselben nach, um etwa verborgen liegende Stücke aufzuregen, lockt auch, wenn er wohl versteckt ist, nicht selten einzelne Böcke mit demselben Pfiffe bis auf zwanzig Schritte an sich heran, zielt auf die sich ihm schußgerecht bietende Beute lange und sorgsam und gibt dann seinen Schuß ab. Zu solcher Jagd sind jedoch die Lungen und Beine eines eingeborenen Gebirglers unerläßliche Bedingung, für jeden anderen Jäger ist sie zu anstrengend.

»Ich habe auf der Sierra de Gredos die Treibjagd eingeführt und dadurch ausgezeichnete Erfolge erzielt. Unter sorgfältigster Wahrnahme des Windes besetze ich mit den von mir eingeladenen Schützen den Kamm eines Thalkessels; wir kriechen auf allen Vieren nach dem am äußersten Rande der Felsenwände errichteten Stande und vermeiden nach Möglichkeit, daß das etwa im Thalkessel oder an den Wänden sich nähernde Bergsteinwild das geringste, was seine Aufmerksamkeit erregen könnte, wahrzunehmen vermag. Die Treiber haben inzwischen auf weiten Umwegen und geräuschlos alle entfernteren Höhen rings um die an unseren Kessel grenzenden Thäler und Schluchten besetzt und beginnen rechtzeitig, durch Schreien und Hinabrollen von Steinen alles in ihnen sich aufhaltende Wild aufzuregen und in Bewegung zu bringen. Bis auf die Pässe, welche nach dem von uns Jägern besetzten Kessel führen, sind den Bergsteinböcken alle übrigen verlegt worden: sie müssen uns also kommen. Nach und nach wird es lebendig auf den gegenüberliegenden Kämmen; es erscheinen, oft stehen bleibend und auf das von den Treibern verursachte Gelärm lauschend, stärkere oder schwächere Rudel des Wildes; sie steigen endlich langsamen Schrittes in unseren Kessel herab oder ziehen eben so längs den Wänden auf uns zu. Oft beobachtet man, bevor man zum Schusse kommt, mehr als eine Stunde lang das Wild, und gerade darin liegt der Hauptreiz dieser Jagd. In der Regel nähert sich die Herde so langsam dem Stande des Schützen, daß dieser Zeit findet, mit aller Ruhe zu zielen, um dem nichts ahnenden Opfer das tödtliche Blei ins Herz zu senden. In das Herz aber will der Bergsteinbock getroffen sein, sonst ist er, in den meisten Fällen wenigstens, für den Jäger verloren. Sein Leben ist ein so zähes und seine Kraft eine so ausgibige, daß er, wenn auch schwer verwundet, fast regelmäßig noch eine steile Wand ersteigt, sich hier auf einen vorspringenden Felsen oder in irgend einer Höhle lagert und auf diesem für Menschen unzugänglichen Sterbebette verendet. Oft bleibt das Rudel nach dem ersten Schusse ruhig stehen, als sei nichts vorgefallen, und läßt dem Jäger, vorausgesetzt, daß es diesen weder eräugen noch erwinden kann, hinlänglich Zeit, noch einen zweiten Schuß abzugeben. Ist alles zweckentsprechend angeordnet und läßt keiner der Schützen das Wild ungekränkt an sich vorbeiziehen, so können mehrere Jäger nach einander zum Schuß kommen. Jedenfalls ist diese Jagdart die bequemste und sicherste von allen, zumal auf der Sierra de Gredos, wo meine Jäger die zu besetzenden Pässe genau kennen und das Treiben zu leiten verstehen. Fünf bis sieben Tage pflege ich allsommerlich auf diese Jagd zu verwenden, und jedesmal bietet sie mir einen neuen Genuß. Vor Ende Juni ist übrigens kein spanischer Treiber zu bewegen, die Schneefelder um den Almanzor abzusuchen, und schon in den letzten Tagen des August geht die Jagd zu Ende, weil dann bereits wieder Schneestürme sich einstellen, welche in jenen einsamen, aller Unterkunft baren Gebirgen auch den abgehärteten, wettergestählten Jäger auf das äußerste gefährden.

»Für den eingeborenen Schützen ist der Gewinn der Jagd nicht unbedeutend. Jener weidet das erlegte Bergsteinwild sofort nach dem Schusse aus, füllt die Leibeshöhlen mit wohlriechenden Kräutern an und schleppt dann die schwere Last, auf oft halsbrechenden Wegen, in die Tiefe, zunächst bis zu einer passend gelegenen Meierei, von wo aus die Beute auf Maulthieren weiter geführt wird. Das Wildpret ist sehr beliebt und steht deshalb überall hoch im Preise; aber auch Haut und Gehörn bezahlt man recht gut.

»Der Fang unseres Wildes ist Sache des Zufalls. Besonders geübte Jäger machen sich tiefen Schnee zu Nutze, um Bergsteinwild, nachdem sie die Pässe besetzt haben, mit Hunden zu hetzen. Da kommt es denn vor, daß Bergsteinböcke lebend gefangen werden. Im vergangenen Winter erbeutete man bei einer derartigen Jagd sieben Stück. Auch im Sommer suchen verwegene Gebirgsleute Bergsteinwild zu berücken. So bin ich selbst einmal Zeuge gewesen, daß ein Jäger unter dem Winde unbemerkbar bis an eine Höhle, in welcher ein starker Bock Schutz gegen die Hitze gesucht hatte, sich heranschlich und hier, anstatt zu schießen, versuchte, das Thier lebend zu fangen, indem er diesem den engen Ausweg vertrat. Gedachter Versuch mißglückte aber: denn kaum gelang es dem kühnen Jäger, sich so fest zu halten, daß er von dem herausstürmenden Bocke nicht in den Abgrund gestürzt wurde. Alt eingefangene Bergsteinböcke in Gefangenschaft zu erhalten, scheint übrigens unmöglich zu sein. Jenen sieben Stücken band man nach dem Fange die Läufe zusammen, um sie so nach dem Dorfe hinabschaffen zu können. Fünf von ihnen starben nach etwa zweistündigem Marsche bereits unterwegs, hauptsächlich wohl infolge der sie quälenden Angst und Furcht; die beiden übrigen langten zwar lebend im Dorfe an, rasten sich aber in dem ihnen angewiesenen Stalle binnen wenigen Stunden zu Tode.«

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