Der Gleitaar (Elanus melanopterus, coeruleus, caesius und minor, Falco coeruleus, melanopterus, vociferus, clamosus und soniensis, Buteo vociferus, Elanoides caesius) ist auf der Oberseite schön aschgraublau, auf der Stirne und der Unterseite weiß, auf Flügeldecken und Schultern schwarz. Ein schwarzer Fleck steht vor dem Auge und zieht sich als schmaler Strich über demselben bis zur Schläfe fort. Die Handschwingen, mit Ausnahme der letzten, an der Wurzel innen weißen, sind dunkelaschgrau, an den Spitzen schwärzlichbraun, die Armschwingen aschgrau, innen bis gegen die Spitze hin weiß, die beiden mittelsten Steuerfedern aschgrau, die übrigen weiß, außen mit graulichem Randsaume, die äußersten reinweiß. Das Auge ist prachtvoll hochroth, der Schnabel schwarz, die Wachshaut wie der Fuß orangegelb. Junge Vögel sind oben bräunlichgrau, auf der Unterseite auf lichtgelbem Grunde braungelb in die Länge gestrichelt; die meisten Federn zeigen weiße Ränder.
Das Auge ist gelb. Bei dem Männchen beträgt die Länge fünfunddreißig, die Breite achtundsiebzig, die Fittiglänge dreißig, die Schwanzlänge vierzehn Centimeter. Das Weibchen ist etwas größer.
Schon in Syrien tritt der Gleitaar nicht selten auf, in Egypten ist er gemein. Von hier aus verbreitet er sich über ganz Afrika und über Südasien, verfliegt sich auch nicht allzu selten nach Europa, woselbst er nicht allein in Spanien, Süditalien, Griechenland und Dalmatien, sondern auch wiederholt in Frankreich, mehrere Male in Deutschland, in Flandern und in Großbritannien erlegt worden ist. In seinem eigentlichen Wohngebiete liebt er Gegenden, in welchen Wald und Feld abwechseln, meidet also in Nordostafrika die großen, ausgedehnten Waldungen, in denen ihn Verreaux nistend antraf. In den Urwaldungen des Ostsudân ist er sehr selten, in den kleinen Feldgehölzen Egyptens und in den Gärten größerer Orte dagegen häufig zu finden. In Indien kommt er, nach Jerdon und anderen Beobachtern, aller Orten vor, wo die Gegend für seine Jagd sich eignet. Er lebt immer paarweise und vereinigt sich nicht mit anderen seiner Art, es sei denn, daß er Junge habe, welche des Unterrichts noch bedürftig sind. Aber ein Paar wohnt dicht neben dem anderen, und so kann es kommen, daß man zu gleicher Zeit vier bis sechs von ihnen in der Luft schweben sieht.
In seiner Lebensweise hat der Gleitaar manches mit den Bussarden, manches aber auch wieder mit den Weihen und Eulen gemein. Er ist am frühen Morgen und in den Abendstunden besonders thätig, auch in der Dämmerung, wenn andere Tagesraubvögel bereits ihre Schlafstätten aufgesucht haben, noch rege. Zu verkennen ist er nicht, mag er nun fliegend sich bewegen oder auf einer seiner beliebten Warten sitzen. Im Fluge unterscheidet er sich von den meisten Raubvögeln dadurch, daß er seine Flügel hoch hält, das heißt die Schwingenspitzen bedeutend höher trägt als den Leib; im Sitzen erkennt man ihn an seiner blendenden Färbung, welche im Strahle der südlichen Sonne auf weithin schimmert. In Egypten pflegt er auf den Hebestangen der Schöpfeimer, mit deren Hülfe die Bauern ihre Felder bewässern, zu ruhen und heißt deshalb geradezu »Schöpfeimerfalk«. In Nubien wählt er sich einen günstig gelegenen Baum zu seiner Warte und hält von hier aus Umschau. Erblickt er eine Beute oder treibt ihn der Hunger, so streicht er ab und gleitet nun fast ohne Flügelschlag in mäßiger Höhe, höchst selten aber ebenso niedrig wie die Feldweihen, über den Boden dahin, hält sich, wenn er auf demselben ein Mäuschen laufen oder eine Heuschrecke sich bewegen sieht, rüttelnd eine Zeitlang auf einer und derselben Stelle fest, legt plötzlich die Flügel an, stürzt herab und trägt im günstigen Falle die gefangene Beute seiner Warte zu, um sie dort zu verspeisen. Heuschrecken verzehrt er oft auch noch im Fluge, die Mäuse immer auf Bäumen. Ein großes Feld genügt seinen Bedürfnissen; denn auch er ist sehr anspruchslos. Seine Haupt-, ja fast seine ausschließliche Nahrung besteht in Mäusen; Heuschrecken verzehrt er nur nebenbei. Junge Nestvögel verschmäht er natürlich auch nicht, und Wüsteneidechsen nimmt er, laut Heuglin, ebenfalls auf, vergreift sich sogar an Fledermäusen, welche sonst nur noch von einzelnen Eulen erjagt werden.
Der Gleitaar ist ein ebenso anmuthiges wie liebenswürdiges Thier. In Egypten vertraut er den Menschen, weil er ihnen hier wirklich vertrauen darf. Er schwebt ungescheut zwischen den arbeitenden Bauern auf und nieder und legt seinen Horst ohne Sorge auf Orangebäumen an, welche der Gärtner allwöchentlich besucht, um die Früchte abzunehmen. Doch wird auch er vorsichtig, wenn er den mordlustigen Europäer kennen gelernt hat, und scheut sich dann wohl, in Schußnähe zu kommen. Gegen sein Weibchen benimmt er sich sehr zärtlich; um harmlose Vögel bekümmert er sich nicht; starke Raubvögel hingegen verfolgt er eifrig und unter viel Geschrei. Seine Stimme hat Aehnlichkeit mit der unseres Baumfalken; die einzelnen Töne sind aber länger gezogen, fast pfeifend und auf weithin vernehmbar.
Die Brutzeit fällt in Egypten in unsere Frühlingsmonate, im Sudân in den Anfang der Regenzeit. Ich habe mehrere Gleitaarhorste gefunden, den ersten am vierten März auf einem Citronenbaume mit drei flaumigen Jungen, einen zweiten mit drei Eiern am dreizehnten März auf einem Christusdorne, einen dritten mit fünf Jungen am achtzehnten März. Die Eier sind auf grauweißem Grunde höchst unregelmäßig kirschbraun gefleckt und gestrichelt, so daß das Weiß kaum durchschimmert. Ihre Länge beträgt vierzig, ihr Durchmesser an der dicksten Stelle einunddreißig Millimeter. Jerdon behauptet, daß die Eier rein weiß wären, sie mögen also mannigfachen Veränderungen unterworfen sein. Alle Horste, welche ich bestieg, standen auf niedrigen, dichtwipfeligen Bäumen, höchstens sechs Meter über dem Boden, waren flach, aus seinem Reisig erbaut und innen mit Würzelchen und Grashalmen ausgefüttert, wenn sie Junge enthielten, mit Mäusegewölle und Mäusehaaren bedeckt, ja förmlich ausgepolstert.
Jung aus dem Neste genommen, werden die Gleitaare ebenso zahm wie unser Thurm- oder Baumfalk, aber auch alt eingefangene und selbst solche, welche verwundet in die Gewalt des Menschen kamen, zeigen sich bald zutraulich, bedienen sich dem Gebieter gegenüber ihrer scharfen Waffen nicht, und öffnen nur zuweilen drohend den Schnabel, ohne jedoch zu beißen. Das Futter nehmen sie schon nach wenigen Tagen ihrem Wärter aus der Hand. Im Zimmer gewöhnen sie sich rasch ein, scheinen sich überhaupt wenig nach ihrer Freiheit zu sehnen. Mit anderen Vögeln vertragen sie sich aber nicht. Wir erfuhren, daß einer von unseren Pfleglingen einen Sporenkiebitz, welchen wir zu ihm brachten, schon am zweiten Tage des Zusammenseins abwürgte und auffraß. Die Haltung gefangener Gleitaare fordert übrigens einige Vorsicht. Wenn man sie ausschließlich mit rohem Fleische füttert, gehen sie bald zu Grunde; sie bedürfen, wie die Eulen, einer Nahrung, welche ihnen gestattet, Gewölle zu bilden.