(Erstveröffentlichung am 31. Januar 2018)
Ein lehrreiches Beispiel zu Gunsten der oben mitgetheilten Angabe, daß Haushunde vollständig verwildern können, ist der Dingo oder Warragal (Canis Dingo, C. australasiae), der sogenannte Wildhund Neuhollands, welchen, in Anbetracht seiner Lebensweise, auch ich früher für eine der ursprünglichen Arten wilder Hunde gehalten habe, gegenwärtig aber, nachdem ich verschiedene Stücke der fraglichen Art gesehen, nur für einen verwilderten Schäferhund erklären kann. Die Thatsache, daß der Dingo das einzige eigentliche Raubthier Australiens, also kein Beutethier ist, hat diese Ansicht nicht hervorgerufen, sondern höchstens unterstützen können. Gegengründe von einiger Erheblichkeit liegen nach den bereits mitgetheilten nicht vor. Das Wie und Wann der Verwilderung läßt sich freilich nicht bestimmen, erscheint aber auch ziemlich gleichgültig für die Entscheidung der Frage, gegenüber dem allgemeinen Gepräge des Thieres, dem Habitus, wie die Thierkundigen sagen. Dieses Gepräge aber ist das eines Haushundes, nicht eines Wildhundes.
Der Dingo erreicht ungefähr die Größe eines mittleren Schäferhundes. Seine Gestalt ist gedrungen, der Kopf groß und plump, stumpfnasig und abgestutzt, das aufrechtstehende Ohr an der Wurzel breit, an der Spitze abgerundet, der Schwanz, welcher bis über die Ferse herabreicht, buschig, die Gliederung stämmig, da die Beine nur eine geringe Höhe haben, das Fell ziemlich gleichmäßig, weder allzu dicht noch auch dünn und an keinem Theile des Leibes verlängert. Bei den meisten Stücken, welche ich gesehen habe, spielt die Färbung von einem unbestimmten blaßgelblichen Roth mehr oder weniger ins Graue, auch wohl ins Schwärzliche. Kinn, Kehle, Unterseite und Schwanz pflegen heller, die Haare der Oberseite meist dunkler zu sein, weil die an der Wurzel lichteren Haare dunklere Spitzen zeigen. Obgleich gedachte Färbung vorherrscht, kommen doch z.B. auch schwarz gefärbte Dingos vor, einzelne haben weiße Pfoten usw.
Noch heutigen Tages findet sich der Dingo fast in allen dichteren Wäldern Australiens, in den mit Buschwerk ausgekleideten Schluchten, in den Hainen der parkähnlichen Steppen und in letzteren selbst. Er reicht über das ganze Festland und ist überall ziemlich häufig. Man hält ihn, und wohl mit Recht, für den schlimmsten Feind, welchen die herdenzüchtigen Ansiedler überhaupt besitzen, und hat, um seinen Räubereien zu steuern, schon mehrmals Kriegszüge gegen ihn unternommen.
In seiner Lebensweise und in seinem Betragen ähnelt der Dingo mehr unserem Fuchse als dem Wolfe. Wie dieser liegt er da, wo es unsicher ist, den ganzen Tag in seinem Schlupfwinkel verborgen und streift dann erst zur Nachtzeit umher, räuberisch fast alle australischen Bodenthiere bedrohend. An den Fuchs erinnert er auch dadurch, daß er nur selten in großen Gesellschaften jagt. Gewöhnlich sieht man Trupps von fünf bis sechs Stück, meist eine Mutter mit ihren Kindern; doch kommt es vor, daß sich bei einem Aase viele Dingos versammeln: manche Ansiedler wollen bei solchen Gelegenheiten schon ihrer achtzig bis hundert vereinigt gesehen haben. Man behauptet, daß die Familien sehr treu zusammenhalten, ein eigenes Gebiet haben und niemals in das einer anderen Meute eintreten, aber ebensowenig leiden, daß diese ihre Grenzen überschreitet.
Ehe die Ansiedler regelrecht gegen diesen Erzfeind ihrer Herden zu Felde zogen, verloren sie durch ihn erstaunlich viele Schafe. Man versichert, daß in einer einzigen Schäferei binnen drei Monaten nicht weniger als zwölfhundert Stück Schafe und Lämmer von den Dingos geraubt wurden. Größer noch als die Verluste, welche ein Einfall des Raubthieres unmittelbar zur Folge hat, sind die mittelbaren, weil die Schafe beim Erscheinen des Räubers wie unsinnig davon rennen, blind in die Steppe hinausjagen und dann entweder anderen Dingos oder dem Durste zum Opfer fallen. Außer den Schafen frißt der »Wildhund« Kängurus aller Art und andere größere und kleinere Buschthiere. Er greift jedes lebende, eingeborene Thier Australiens mit unbeschreiblicher Gier und Wuth an, fürchtet sich überhaupt nur vor Haushunden. Hirten- oder Jagdhunde und Dingos leben in ewiger Feindschaft und verfolgen sich gegenseitig mit wirklich beispiellosem Hasse. Wenn mehrere Haushunde einen Dingo sehen, fallen sie über ihn her und reißen ihn in Stücke; das Umgekehrte ist der Fall, wenn ein verirrter Haushund von Dingos gefunden wird. Doch kommt es vor, daß sich zur Paarungszeit eine Dingohündin zu den Schäferhunden gesellt und mit diesen sich verträgt. »Als ich eines Morgens aus meinem Zelte trat«, sagt »ein alter Buschmann« in seinen »Forschergängen durch den Wald«, »sah ich eine Dingohündin mit unseren Hunden spielen. Sobald sie mich wahrnahm, ging sie davon. Einer unserer Hunde folgte ihr aber, blieb drei Tage lang aus, und kam sodann zurück, an allen Gliedern zerrissen, wahrscheinlich weil er die Eifersucht der berechtigteren Liebhaber erregt haben mochte.«
Nicht selten kreuzt sich der Dingo mit zahmen Hündinnen. Diese bringen infolge dessen ein Gewölfe, welches größer und wilder zu sein pflegt als alle übrigen Haushunde. Die Dingohündin wölft sechs bis acht Junge, gewöhnlich in einer Höhle oder unter Baumwurzeln. Bei Gefahr schafft sie ihre Jungen in Sicherheit. Ein Gewölfe von Dingos wurde einst in einer Felsenspalte aufgefunden; da aber die Mutter nicht zugegen war, merkte sich der Entdecker den Ort, in der Absicht, bald zurückzukehren, um der ganzen Familie auf einmal den Garaus zu machen. Als er nach einiger Zeit zurückkam, fand er zu seinem großen Aerger die Höhle verlassen; die Alte mochte die Spur des fremden Besuchers gewittert und somit den Besuch unschädlich gemacht haben. An Dingos, welche in der Gefangenschaft wölften, beobachtete man, daß Mutter und Junge sich ganz nach Art des Haushundes betragen. Im Breslauer Thiergarten, woselbst eine Dingohündin fünf Junge warf, von denen drei gediehen und groß und zahm wurden, durfte man beide Alten in demselben Käfige lassen, da der Dingohund niemals Miene machte, der säugenden Hündin beschwerlich zu fallen. Von den Jungen hatten vier Stück ganz die Färbung der Eltern, während das fünfte schwarz aussah.
Vor dem Menschen nimmt der Dingo regelmäßig Reißaus, wenn dazu noch Zeit ist. Er zeigt auf der Flucht alle List und Schlauheit des Fuchses und versteht es meisterhaft, jede Gelegenheit zu benutzen; wird er aber von seinen Feinden hart verfolgt, und glaubt er nicht mehr entrinnen zu können, so dreht er sich mit einer wilden Wuth um und wehrt sich mit der Raserei der Verzweiflung; doch sucht er auch dann noch immer sobald als möglich davonzukommen.
Von der Zähigkeit seines Lebens erzählt Bennett geradezu unglaubliche Dinge. Ein Dingo war von seinen Feinden überrascht und so geschlagen worden, daß man meinte, alle seine Knochen müßten zerbrochen sein; deshalb ließ man ihn liegen. Kaum aber hatten sich die Männer von dem anscheinend leblosen Körper entfernt, als sie zu ihrer Ueberraschung das Thier sich erheben, schütteln und so eilig als möglich nach dem Walde begeben sahen. Ein anderer, anscheinend todter Dingo war schon in eine Hütte getragen worden, wo er abgehäutet werden sollte; der Arbeiter hatte ihm bereits das Fell von der halben Seite des Gesichts abgezogen, da sprang er plötzlich auf und versuchte nach dem Manne der Wissenschaft zu beißen.
Gegenwärtig gelten alle Mittel, um den Dingo auszurotten. Jedermanns Hand ist über ihm. Man schießt ihn, fängt ihn in Fallen und vergiftet ihn mit Strychnin. Ein kleines Stück Fleisch, in welches eine Messerspitze dieses fürchterlichen Giftes gebracht worden ist, hängt man an einem Busche auf, so daß es ein paar Fuß über der Erde schwebt; später findet man regelmäßig in nächster Nähe den armen Schelm, welcher seine Freßlust so schwer büßen mußte. Mit dem Gewehre erlegt man ihn nur zufällig; er ist zu scheu und listig, als daß er öfters vor das Rohr kommen sollte, und weiß auch auf Treibjagden trefflich sich durchzustehlen.
Gewöhnlich hat man unseren Hund für unzähmbar gehalten. In der Gesellschaft der Eingeborenen Australiens findet man ab und zu Dingos, welche aber nur in einem halbwilden Zustande leben. Ihre Anhänglichkeit an den Menschen ist kaum nennenswerth. Der Dingo bleibt bei ihm, weil er ein bequemeres Leben führen kann; von Treue, Wachsamkeit, Eigenthumsrecht weiß er nicht mehr als sein Herr. Doch ist es zuweilen vorgekommen, daß man Dingos fast ebenso zahm gemacht hat, wie die Haushunde es sind. Viele Dingos, welche man bei uns zu Lande in der Gefangenschaft hielt, blieben wild und bösartig, und ihre Wolfsnatur brach bei jeder Gelegenheit durch, so daß sich ihre Wärter beständig vor ihnen zu hüten hatten. Auch gegen Thiere, die man zu ihnen brachte, zeigten sie sich unfreundlich und unduldsam. Nur mit Mühe vermochte man den Zähnen eines nach England gebrachten Dingo einen friedlichen Esel zu entreißen, und im Pariser Thiergarten sprang einer wüthend gegen die Eisengitter der Bären, Jaguare und Panther. Ein in England geborener war schon in der frühesten Jugend mismuthig und scheu, verkroch sich in den dunkelsten Winkel des Zimmers und schwieg, wenn Menschen, gleichviel ob Bekannte oder Fremde, zugegen waren, stieß aber, allein gelassen, ein schwermüthiges Geheul aus. Den ihn pflegenden Wärter lernte er kennen, zeigte sich aber niemals gegen denselben hündisch schwanzwedelnd oder freundlich. Gegen Fremde war er mürrisch und scheu, und oft und gern biß er so recht heimtückisch nach Vorübergehenden. Nach jedem Angriffe zog er sich in einen Winkel seines Käfigs zurück und blickte von hier aus mit boshaft funkelnden Augen sein Opfer an. Bei guter Laune gab er Proben von seiner Behendigkeit und Kraft. Gegen Haushunde war er stets äußerst unliebenswürdig, und niemals zeigte er die geringste Lust, mit ihnen in ein zärtliches Verhältnis zu treten.
Ich bin der Meinung, daß man auf alle diese Angaben kein größeres Gewicht legen darf, als sie verdienen. Wie schon wiederholt bemerkt, kommt alles darauf an, wie ein gefangenes Thier in frühester Jugend behandelt wurde. Der Dingo ist ein kluger Hund, und seine Zähmung muß gelingen, wenn nicht im ersten, so im zweiten oder dritten Geschlechte. Wäre er minder unansehnlich, man würde, glaube ich, seine vortreffliche Nase schon längst zu Jagdzwecken zu verwenden und ihn wirklich zu zähmen versucht haben. Wie falsch es ist, von einem oder einigen Stücken, welche man beobachtete, auf alle derselben Art zu schließen, beweisen die Dingos des Breslauer Thiergartens. Einer von ihnen ist zahm geworden wie ein Hund, der andere wild geblieben; einer hat, was wohl zu beachten, im Laufe der Zeit vollständig bellen gelernt und wendet diese neuerworbene Sprache durchaus regelrecht an, beispielsweise wenn eine Thüre in der Nähe seines Käfigs geöffnet wird, der andere da gegen heult noch heutigen Tages mit langgezogenen lachenden Lauten wie ein Schakal, und auch jener, welcher bellen kann, begleitet ihn im Zweisang stets heulend. Schlegel, dem ich diese Angaben verdanke, ist mit mir der Ansicht, daß sich aus den Nachkommen dieser Dingo’s höchst wahrscheinlich sehr brauchbare Gehülfen des Menschen würden gewinnen lassen.