Der Alpensteinbock in Brehms Tierleben

Alpensteinbock (Brehms Tierleben)

Der Alpensteinbock (Capra Ibex, C. alpina, Aegoceros Ibex und Ibex alpinus) ist ein stolzes, ansehnliches und stattliches Geschöpf von 1,5 bis 1,6 Meter Leibeslänge, 80 bis 85 Centim. Höhe und 75 bis 100 Kilogramm Gewicht. Das Thier macht den Eindruck der Kraft und Ausdauer. Der Leib ist gedrungen, der Hals mittellang, der Kopf verhältnismäßig klein, aber stark an der Stirn gewölbt; die Beine sind kräftig und mittelhoch; das Gehörn, welches beide Geschlechter tragen, erlangt bei dem alten Bocke sehr bedeutende Größe und Stärke und krümmt sich einfach bogen- oder halbmondförmig schief nach rückwärts. An der Wurzel, wo die Hörner am dicksten sind, stehen sie einander sehr nahe; von hier entfernen sie sich, allmählich bis zur Spitze hin sich verdünnend, weiter von einander. Ihr Durchschnitt bildet ein längliches, hinten nur wenig eingezogenes Viereck, welches gegen die Spitze hin flacher wird. Die Wachsthumsringe treten besonders auf der Vorderfläche in starken, erhabenen, wulstartigen Knoten oder Höckern hervor, verlaufen auch auf den Seitenflächen des Hornes, erheben sich hier jedoch nicht so weit als vorn. Gegen die Wurzel und die Spitze zu nehmen sie allmählich an Höhe ab; in der Mitte des Hornes sind sie am stärksten, und hier stehen sie auch am engsten zusammen. Die Hörner können eine Länge von 80 Centim. bis 1 Meter und ein Gewicht von 10 bis 15 Kilogramm erreichen. Das Gehörn des Weibchens ähnelt mehr dem einer weiblichen Hausziege als dem des männlichen Steinbockes. Die Hörner sind verhältnismäßig klein, fast drehrund, der Quere nach gerunzelt und einfach nach rückwärts gekrümmt. Ihre Länge beträgt selbst bei erwachsenen Thieren nicht mehr als 15 bis 18 Centim. Schon im ersten Monate des Lebens sproßt bei dem jungen Steinbocke das Gehörn hervor; bei einem etwa einjährigen Bocke sind es noch kurze Stummel, welche hart über der Wurzel die erste querlaufende, knorrige Leiste zeigen; an den Hörnern der zweijährigen Böcke zeigen sich bereits zwei bis drei wulstige Erhöhungen; dreijährige Böcke haben schon Hörner von 45 Centim. Länge und eine erhebliche Anzahl von Knoten, welche nun mehr und mehr steigt und bei alten Thieren bis auf vierundzwanzig kommen kann. Einen sicheren Schluß auf das Alter des Thieres gewähren diese Knoten ebensowenig wie die wenig bemerklichen Wachsthumsringe zwischen ihnen, oder die flachen Erhebungen zu beiden Seiten des Hornes, aus deren Anzahl die Jäger die Jahre des Thieres bestimmen zu können vermeinen.

Die Behaarung ist rauh und dicht, verschieden nach der Jahreszeit, im Winter länger, gröber, krauser und matter, im Sommer kürzer, feiner, glänzender, während der rauhen Jahreszeit durchmengt mit einer dichten Grundwolle, welche mit zunehmender Wärme ausfällt, und auf der Oberseite des Leibes pelziger, d.h. kürzer und dichter als unten. Außer am Hinterhalse und Nacken, wo die Haare mähnenartig sich erheben, verlängern sie sich bei dem alten Männchen auch am Hinterkopfe, indem sie hier zugleich sich kräuseln und einen Wirbel herstellen, und ebenso am Unterkiefer, bilden hier jedoch höchstens ein kurzes Stutzbärtchen von nicht mehr als 5 Centim. Länge, welches jüngeren Böcken wie den Steinziegen gänzlich fehlt. Im übrigen ist das Haar ziemlich gleich lang. Die Färbung ist nach Alter und Jahreszeit etwas verschieden. Im Sommer herrscht die röthlichgraue, im Winter die gelblichgraue oder fahle Färbung vor. Der Rücken ist wenig dunkler als die Unterseite; ein schwach abgesetzter, hellbrauner Streifen verläuft längs seiner Mitte. Stirn, Scheitel, Nase, Rücken und Kehle sind dunkelbraun; am Kinne, vor den Augen, unter den Ohren und hinter den Nasenlöchern zeigt sich mehr rostfahle Färbung; das Ohr ist außen fahlbraun, inwendig weißlich. Ein dunkel- bis schwarzbrauner Längsseitenstreifen scheidet Ober- und Unterseite; außerdem sind Brust, Vorderhals und die Weichen dunkler als die übrigen Stellen, und an den Beinen geht die allgemeine Färbung in Schwarzbraun über. Die Mitte des Unterkörpers und die Umgebung des Afters sind weiß; der Schwanz ist oben braun, an der Spitze schwarzbraun. Auf der Rückseite der Hinterläufe verläuft ein heller, weißlich-fahler Längsstreifen. Mit zunehmendem Alter wird die Färbung gleichmäßiger.

Das Haarkleid der Steingeis entspricht im wesentlichen durchaus dem des Bockes, zeigt jedoch keinen Rückenstreifen und ist noch gleichartiger und mehr fahlgelblich-braun, im Grunde aber dunkler grau gefärbt, die Mähne kürzer und undeutlicher, von einem Barte endlich keine Spur zu sehen. Die Zicklein ähneln bis zur ersten Härung der Mutter, haben aber, wenn sie männlichen Geschlechtes sind, schon von Geburt an den dunkleren Rückenstreifen.

Bereits vor hunderten von Jahren waren die Steinböcke sehr zusammengeschmolzen, und wenn im vorigen Jahrhunderte nicht besondere Anstalten getroffen worden wären, sie zu hegen, gäbe es vielleicht keinen einzigen mehr. Nach alten Berichten bewohnten sie in früheren Zeiten alle Hochalpen der Schweiz, in vorgeschichtlicher Zeit scheinen sie sich sogar auf den Voralpen aufgehalten zu haben. Während der Herrschaft der Römer müssen sie häufig gewesen sein; denn dieses prunkliebende Volk führte nicht selten ein- bis zweihundert lebendig gefangene Steinböcke zu den Kampfspielen nach Rom. Schon im funfzehnten Jahrhunderte waren sie in der Schweiz selten geworden. Im Kanton Glarus wurde 1550 das letzte Stück geschossen, in Graubünden konnte der Vogt von Kastel dem Erzherzoge von Oesterreich im Jahre 1574 nur mit Mühe noch Böcke schaffen. In den Bergen des Bergell und Oberengadin zählten sie im sechzehnten Jahrhunderte noch nicht zu den ungewöhnlichen Thieren. Im Jahre 1612 verbot man ihre Jagd bei funfzig Kronen Geldbuße, schon einundzwanzig Jahre später bei körperlicher Strafe. Ende des vorigen Jahrhunderts traf man sie noch in den Gebirgen, welche das Bagnethal umgeben, zu Anfang dieses Jahrhunderts noch in Wallis; seitdem hat man sie auf Schweizer Gebiete ausgerottet.

In Salzburg und Tirol sind sie, wie neuere Untersuchungen alter Urkunden glaublich erscheinen lassen, wahrscheinlich erst um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts und vermuthlich durch die reichen Herren von Keutschbach eingebürgert worden, haben sich auch nur kurze Zeit dort gehalten. Wilddiebe gefährlichster Art stellten ihnen, weil Gehörn und Blut, »Herzknochen«, »Bocksteine« etc. als kräftige Heilmittel galten, mit solchem Eifer nach, daß sich der Jagdbesitzer des von ihnen bewohnten Gebietes im Jahre 1561 schutzbittend an seinen Fürsten, den Erzbischof von Salzburg, wendete, welcher endlich 1584 die Jagdgerechtigkeit selbst übernahm. Er und seine Nachfolger wandten verschiedene Mittel an, um die Ausrottung der edlen Thiere zu verhindern. Sie vervierfachten die Anzahl ihrer Jäger, setzten Wildhüter in kleine Hütten auf die höchsten Alpen und ließen junges Steinwild einfangen, um es in Thiergärten aufzuziehen. Achtzig bis neunzig der geschicktesten und muthigsten Jäger waren vom April bis zum Juni beschäftigt, um Steinböcke, wenn sie bei der Schneeschmelze tiefer herab in die Nähe der Sennhütten kamen, mit Garnen zu berücken. Gleichwohl konnten sie in drei Sommern nicht mehr als zwei Böcke, vier Geisen und drei Kitzen erlangen. So ging es durch das ganze Jahrhundert fort, weil die Erzbischöfe Steinböcke zu Geschenken an auswärtige Höfe benutzten. Man zahlte damals für jeden »Herzknochen« des Steinbockes einen Dukaten, für ein gefundenes Horn zwei Reichsthaler, für eine Gemskugel zwei Gulden. Deshalb waren 1666 im Zillerthale kaum noch Steinböcke und bloß noch etwa sechzig Gemsen übrig. Von nun an durfte niemand mehr einen Steinbock schießen, falls er nicht einen vom Erzbischof eigenhändig unterzeichneten Befehl aufzuweisen hatte. Man gab den Alpenbesitzern jährlich hundert Thaler, damit sie kein Vieh mehr auf die obersten Weiden führten, wo sich die Steinböcke aufhielten. Bis zum Jahre 1694 hatte sich das stolze Wild auf zweiundsiebzig Böcke, dreiundachtzig Geisen und vierundzwanzig Junge vermehrt. Als nun aber die Wilddiebereien wieder zunahmen, ließ man die Thiere von neuem einfangen, um sie zu versetzen oder zu verschenken. Im Jahre 1706 wurden fünf Böcke und sieben Geisen gefangen, und seitdem sah man keine mehr.

Ein neuerer ungenannter Berichterstatter, dessen Darstellung eine sorgfältige, an Ort und Stelle vorgenommene Quellenforschung nicht verkennen läßt, glaubt übrigens, daß die Bischöfe selbst der Vermehrung des Steinwildes hinderlich waren und schließlich den Befehl zum Abschießen desselben gaben. Nachdem nämlich Erzbischof Guidobald, Graf von Thun, welcher in den Jahren 1654 bis 1668 den Krummstab führte, durch seinen Leibarzt Oswald Krems berichtet worden war, daß die Heil kraft einzelner Bestandtheile des Steinwildes eine außerordentliche sei, ließ der Kirchenfürst in der Hofapotheke zu Salzburg eine förmliche Niederlage von allerlei Steinbocksarzeneien errichten und dieselben theuer verkaufen. Sein Nachfolger Max Gandolph, Graf von Kühnberg, hegte das Wild waidmännisch, ohne es kaufmännisch zu verwerthen, und der ihm folgende Bischof Graf Johann Ernst von Thun, welcher von 1687 bis 1709 auf dem Stuhle saß, trat nicht allein in seines Vorgängers Fußstapfen, sondern verschärfte die Jagdgesetze in unmenschlicher Weise, so daß unter seiner Regierung jeder ergriffene Wildfrevler den Verlust der Hand oder Galerenstrafe zu gewärtigen hatte. Unter seiner Regierung erreichte der Steinwildstand Tirols und Salzburgs seinen Höhepunkt, indem im Jahre 1699 im Floitenthale über dritthalbhundert Stück gezählt wurden. Sieben Jahre später waren die Steinböcke verschwunden, und das Volk flüsterte sich zu, daß die ewige Gerechtigkeit handelnd eingegriffen habe, um die Fürstbischöfe für ihre grausame Strenge zu bestrafen. Der wirkliche Sachverhalt war ein anderer Fürstbischof Johann Ernst selbst befahl das Steinwild auszurotten, nachdem man ihn überzeugt hatte, daß durch die ungeheuerlichen Gesetze, Todschlag und Meuchelmord, ja förmliche Schlachten zwischen Wildhütern und Wilddieben in erschrecklicher Weise sich häuften. Fortan hielt man in diesem Gebiete nur noch in den Thiergärten Steinwild.

Wie in den bisher erwähnten Theilen der Alpen nehmen sie auch auf den südlichen Zügen des Gebirges so jählings ab, daß schon im Jahre 1821 Zummstein bei der damaligen piemontesischen Regierung auf das wärmste für sie sich verwendete. In der That erwirkte er ein strenges Verbot, das edle Wild fernerhin zu jagen. Diesem Verbote haben wir es zu danken, daß der Steinbock noch nicht gänzlich ausgestorben ist und wenigstens auf einem, wenn auch sehr beschränkten Gebiete noch ständig vorkommt. Tschudi behauptet noch im Jahre 1865, in der mir vorliegenden siebenten Auflage seines »Thierlebens der Alpenwelt«, daß seit einigen Jahren die stolzen Thiere wieder in ziemlich zahlreichen Stücken am Monterosa erschienen seien, wo man zum letztenmale in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts etwa vierzig Stück bei einander, dann aber funfzig Jahre lang kein einziges gesehen hatte. »An den Aiguilles Rouges und Dents des Bouquetins schoß man dann vor dreißig Jahren, wie man glaubte, die letzten Steinböcke, und als man einige Jahre später auf der Seite gegen Arolla hin sieben solcher Thiere durch eine Lawine verschüttet fand, hielt man sie nun für völlig ausgerottet. Heute sieht man, ohne Zweifel infolge des in Piemont sechzehn Jahre lang streng ausgeübten Jagdverbotes am südlichen Monterosagebirge und in dessen Verzweigungen als Seltenheit wieder eine Familie von zehn bis achtzehn Stück bei einander.« Letztere Angabe Tschudis ist nicht begründet; vielmehr steht es nach übereinstimmenden, bereits mehrere Jahre vor dem Erscheinen der genannten Auflage des Tschudischen Werkes veröffentlichten Nachrichten und mir durch besondere Güte des Grafen Wilczek gewordenen neueren Mittheilungen unzweifelhaft fest, daß gegenwärtig am Monterosa keine ständigen Trupps, sondern höchstens dann und wann noch versprengte Stücke unseres Wildes gesehen werden. »Ich stellte«, sagt King in seinem im Jahre 1858 erschienenen Werke über die italienischen Thäler der Penninischen Alpen, »viele Nachforschungen an und zwar an den verschiedensten Oertlichkeiten, bei Leuten, welche ich für vertrauenswürdig halten durfte, und sie alle wußten nichts mehr von dem Vorkommen des Steinbockes auf dem Monterosa und irgend einem Gebiete desselben seit Menschengedenken. Als ich die Val Tournanche erwähnte, lachten sie nur. Ueber das Val de Lys konnte mir niemand besser Auskunft geben als Baron Peccoz und die Albesinis, die Nimrode des Val Macugnaga; der eine wie die anderen aber versicherten einstimmig, daß der Steinbock hier nirgends mehr sich finde. Sein ausschließliches Gebiet bilde vielmehr die Grajische Kette der Alpen und zwar der hohe Schnee- und Eisgürtel der Thäler Cogne, Savaranche, Grisanche und vielleicht Dignes, also die zwischen Piemont und Savoyen gelegenen Gebirgszüge, eine Alpenwelt im allergroßartigsten Stile. Ein Hauptstand von ihnen sei der Pik von Grivola, von welchem alle in diesem Jahrhunderte erbeuteten Stücke herrühren sollen«. Ein Berichterstatter der »Jagdzeitung«, vermuthlich Baron Peccoz selbst, welcher im Lysthale größere Güter besitzt und daselbst jedes Jahr im Hochsommer fleißig der Gemsjagd obliegt, gibt im Jahre 1864 genau dieselben Oertlichkeiten wie King als die zeitige Heimat des Steinwildes an. »Dasselbe«, sagt er, »lebt gegenwärtig nur noch im Cognethale, Val d’Aosta, in Piemont, achtzehn Gehstunden vom Monterosa entfernt. Dort allein findet es einen für den Jäger unzugänglichen Aufenthalt, und ist ihm deshalb noch eine ferne Zukunft gesichert. Der Hauptstand von Steinwild beschränkt sich auf die Nebenthäler von Cogne sowie die Gombe de Lila, Lauzon, Granval, la Rossa, la Grivola, Pointe de l’Oeille, sodann auf die Gletscher von Champorcher, welche zunächst an Cogne grenzen. Im Val Locana und Cerisole kommt es nur als Wechselwild vor, und in Savoyen gibt es, obgleich viele das Gegentheil behaupten wollen, gar kein Steinwild mehr.« Daß sich die Verhältnisse in den letzten zehn Jahren nicht geändert haben, geht aus Mittheilungen des Grafen Wilczek hervor, welcher, vom Könige von Italien eingeladen, im Jahre 1874 im Val Cogne auf Steinböcke jagte. »Das Steinwild«, so schreibt mir dieser ausgezeichnete Beobachter, Gebirgskenner und Jäger, »lebt nur noch in drei Thälern, welche vom Aostathale in südwestlicher Richtung streichen (also im Val Cogne, Savaranche und Grisanche). Am Südabhange des Montblanc treibt sich bloß eine alte Geis umher, welche den Schweizern bis jetzt noch entkommen ist; am Monterosa und nördlich und östlich vom Aostathale ist das Steinwild vollständig ausgerottet worden.« Nach diesen jeden Zweifel ausschließenden Feststellungen meiner Gewährsmänner sind Tschudi’s Angaben zu berichtigen. Versprengte Stücke werden, nach Wilczeks Erfahrungen, nicht allzuselten und zuweilen weit von ihren Standorten angetroffen: so begegnete ein Gemsjäger im Jahre 1874 einem gewaltigen Bocke in den Gebirgen um Nauders, an der Tiroler und Schweizer Grenze. Ein Umstand absonderlichster Art deutet darauf hin, daß ähnliche Streifereien alter, einsiedlerisch lebender Steinböcke öfter vorkommen, als bisher festgestellt werden konnte. In allen Theilen der an das Wohngebiet des Thieres grenzenden Hochalpen nämlich vernimmt man von Zeit zu Zeit aus dem Munde unerschrockener und wahrheitsliebender Jäger oder Bergsteiger, daß sie, und zwar regelmäßig auf den gefährlichsten Stellen dem Teufel in höchsteigener Person begegnet seien, daß er ihnen den Weg vertreten oder sie in die Tiefe zu stürzen versucht, endlich aber von ihnen abgelassen habe, und dergleichen mehr. Forscht man genauer nach, so entpuppt sich aus der Erscheinung allmählich ein gewaltiger Steinbock, welchem von dem geträumten Wahngebilde des Aberglaubens zuletzt nur die feurigen Augen noch bleiben. Wie bestimmt der Steinbock mit dem Teufel in Beziehung gebracht wird, geht auch daraus hervor, daß man im Jagdgehege des Cognethales einen alten Steinbock allgemein »einen großen Teufel« (un grand diable), einen als Stück bekannten aber »den großen Teufel« (le grand diable) nennt.

Ich will schon an dieser Stelle bemerken, daß wir die Erhaltung des Steinbocks in unserer Zeit niemand anderem verdanken als dem Könige von Italien, Victor Emanuel, welcher, wie Lessona und Salvadori, die Herausgeber der vortrefflichen italienischen Uebersetzung der ersten Auflage dieses Werkes, bemerken, vom Antritte seiner Regierung an die größte Sorgfalt an den Tag legte, um der Ausrottung des edlen Wildes entgegenzutreten und seine Vermehrung zu fördern. Nach der oben angegebenen Mittheilung der »Jagdzeitung« haben im Jahre 1858 die Gemeinden Cogne, Val Savaranche, Champorcher und Bomboset ihr Jagdrecht als ausschließliches Eigenthum dem Könige überlassen, welcher nunmehr und nachdem er im Jahre 1863 auch die Gems- und Steinbockjagd von der Gemeinde Courmajeur im Val d’Aosta an der Gebirgskette des Montblanc von Col de Ferrex bis zum Col de la Seigne erworben hatte, einen Standort des Steinwildes schaffen und denselben allen Raubschützen und Bubenjägern wenigstens ziemlich unzugänglich machen konnte. Wie Tuckott, ein Mitglied des englischen Alpenvereins, gelegentlich mittheilt, trifft der Gebirgsreisende in jedem Thale des Jagdgebietes Seiner Majestät auf Warnungstafeln, welche die Jagd verbieten. In jedem Hauptorte von Cogne, Campiglia, Cerisole und Savaranche wohnen je zwei Jagdaufseher, welche unter einem in Cogne seßhaften Oberjäger stehen und das Gehege auf das strengste überwachen. Infolge dieser Maßnahmen hat sich der Stand in erfreulicher Weise vermehrt, und läßt sich, laut Wilczek, die Anzahl des gegenwärtig vorhandenen Steinwildes auf drei-bis fünfhundert Stück annehmen.

Ob der Steinbock in früheren Zeiten eine über die Alpen hinausgehende Verbreitung gehabt hat, beziehentlich noch heutigen Tages auf anderen Gebirgen vorkommt, vermag ich mit Bestimmtheit nicht anzugeben, vielmehr nur das nachstehende zu sagen. Mehrere jagd- und thierkundige Siebenbürger haben mir versichert, daß das edle Wild in früheren Zeiten auch auf den Transsylvanischen Alpen gelebt habe, aber schon zu Ende des vorigen Jahrhunderts daselbst ausgerottet worden sei. Noch jetzt finde man hier und da Gehörne von ihm auf, welche die Bauern der höheren Gebirgsthäler bisher zwar aufbewahrt, jedoch wenig beachtet hätten. Bemerkenswerther als diese Angabe scheint mir eine Mittheilung meines Bruders Reinhold, welcher den Alpensteinbock oder wenigstens eine ihm durchaus ähnliche Art als Bewohner des westlichen Theiles der Pyrenäen aufführt, und zwar gestützt auf einen im Museum zu Madrid stehenden Bock, welcher aus den Pyrenäen stammen soll, und die Aussage eines in Deutschland erzogenen gebildeten Franzosen, Herrn von Coutouly, welcher auf das bestimmteste versichert, in den Pyrenäen frisch erlegte Steinböcke mit nach hinten gebogenen, wulstigen Hörnern gesehen zu haben. Coutouly, ein eifriger Gemsjäger, nahm einmal an einer von meinem Bruder geleiteten Jagd auf Bergsteinwild theil und wunderte sich nicht wenig, in den erlegten Böcken der Sierra de Gredos von dem Steinwilde des Hauptstockes der Pyrenäen gänzlich verschiedene Thiere zu erblicken, hob auch, unbefragt, sofort den bezeichnenden Unterschied des Gehörnes hervor.

Das Steinwild bildet Rudel von verschiedener Stärke, zu denen sich die alten Böcke jedoch nur während der Paarungszeit gesellen, wogegen sie in den übrigen Monaten des Jahres ein einsiedlerisches Leben führen. »Im Sommer«, so schreibt mir Graf Wilczek, »halten sie sich regelmäßig in den großartigsten und erhabensten, an furchtbaren Klüften und Abstürzen reichen, den Menschen also unzugänglichen Felsenwildnissen auf, und zwar meist die Schattenseite der Berge erwählend, wogegen sie im Winter tiefer ins Gebirge herabzusteigen pflegen.« Die Ziegen und Jungen leben zu allen Jahreszeiten in einem niedrigeren Gürtel als die Böcke, bei denen der Trieb nach der Höhe so ausgeprägt ist, daß sie nur Mangel an Nahrung und die größte Kälte zwingen kann, überhaupt in tiefere Gelände herabzusteigen. Stechende Hitze ist dem Alpensteinwilde weit mehr zuwider als eine bedeutende Kälte, gegen welche es in hohem Grade unempfindlich zu sein scheint. Nach Berthoud von Berghem, dessen Angaben in die meisten Lebensbeschreibungen des Thieres übergegangen sind und noch heute Gültigkeit beanspruchen, nehmen alle über sechs Jahre alten Böcke die höchsten Plätze des Gebirges ein, sondern sich immer mehr ab und werden zuletzt gegen die strengste Kälte so unempfindlich, daß sie oft ganz oben, gegen den Sturm gewendet, wie Bildsäulen sich aufstellen und dabei nicht selten die Spitzen der Ohren erfrieren. Wie die Gemsen weiden auch die Steinböcke des Nachts in den höchsten Wäldern, im Sommer jedoch niemals weiter als eine Viertelstunde unter der Spitze einer freien Höhe. Mit Sonnenaufgang beginnen sie weidend aufwärts zu klettern und lagern sich endlich an den wärmsten und höchsten, nach Osten oder Süden gelegenen Plätzen; nachmittags steigen sie wieder weidend in die Tiefe herab, um womöglich in den Waldungen die Nacht zuzubringen. Wie Tuckott von einem Jagdaufseher des Königs Victor Emanuel erfuhr, sieht man Steinböcke am häufigsten vor sechs Uhr morgens und nach vier Uhr nachmittags; in der Zwischenzeit ruhen sie. Bei ihren Weidegängen halten sie nicht allein ihre Wechsel ein, sondern lagern sich auch regelmäßig auf bestimmten Stellen, am liebsten auf Felsenvorsprüngen, welche ihnen den Rücken decken und freie Umschau gewähren. Erfahrene Jäger versichern, Steinböcke tagelang nach einander auf einer und derselben Stelle wahrgenommen zu haben, und diese Angaben werden durch das Betragen gefangener nur bestätigt. »Gelegentlich meiner Beobachtungen des Steinwildes«, so bemerkt Herr Mützel, welcher, um die Schönbrunner Gefangenen zu zeichnen, zehn Tage nacheinander jedesmal mehrere Stunden in dem von ihnen bewohnten Gehege sich aufhielt, »ist mir die Ordnungsliebe der kleinen Herde aufgefallen. Die Thiere scheinen sich gewissen selbstgegebenen Gesetzen unterzuordnen und diese streng zu befolgen. Bei den Schönbrunner Gefangenen äußerte sich der Ordnungstrieb darin, daß fast jedes einzelne der älteren Stücke seinen bestimmten Ruheplatz sowie seine Stelle an der Heuraufe behauptete. An der hohen Umfassungsmauer, welche vormittags von der brennenden Sonne getroffen wird, ruhen dieselben Böcke und eine leicht kenntliche Geis immer auf demselben Platze. Sie standen öfters auf, um ein Maul voll Heu zu nehmen oder mit den Besuchern zu verkehren, und es kam dann vor, daß eines der jüngeren Thiere auf dem schon eingedrückten muldenförmigen Lager sich wohl sein ließ: sobald jedoch der alte Herr wieder nahte, erhob sich der Eindringling, um jenem sein Recht einzuräumen. Dies geschah bestimmt nicht aus augenblicklicher Furcht vor dem älteren; denn dicht neben oder vor ihm that sich der jüngere Bock wieder nieder, ohne den Nachbar weiter zu beachten oder von diesem belästigt zu werden. So hatten auch zwei Geisen mit ihren Kitzchen ihre festen Ruheplätze auf einem vor dem Schaugitter errichteten Steinhaufen; beide lagen immer auf denselben Steinen. An der Raufe behaupteten die beiden älteren Böcke den rechten und linken Flügel, wogegen die jüngeren und die Weibchen den Zwischenraum einnahmen. In der Körperhaltung beim Liegen spricht sich eine rege Wachsamkeit aus; denn fast immer werden die Hinterläufe, zum schnellen Erheben geschickt, dicht unter den Leib gezogen, und nur ein einziges Mal sah ich einen Bock mit gestreckten Hinterläufen ruhen. Von den Vorderläufen wird fast stets der eine nach vorn hin ausgestreckt, während der andere umgeschlagen ist; ausnahmsweise kommt es vor, daß auch beide Vorderläufe ausgestreckt werden. Im höchsten Grade auffallend war mir die Stellung der alten schlummernden Böcke. Wenn sie es sich bequem machten, setzten sie die Nasenspitze dicht vor die Brust auf den Boden und ließen nun den Kopf mit den schweren Hörnern nach vorn sinken, so daß dann Nasenrücken, Stirn und unterer Theil der Hörner fast auf dem Erdboden lagen. Bei einem ungewohnten Geräusche erhoben sie den Kopf für einen Augenblick, ließen ihn jedoch bald wieder in die frühere Lage zurücksinken. Es erschien mir diese Stellung so eigenthümlich, daß ich täglich mehrmals das Gehege besuchte, um mich von der stetigen Wiederkehr derselben von neuem zu überzeugen.«

Kein anderer Wiederkäuer scheint in so hohem Grade befähigt zu sein, die schroffsten Gebirge zu besteigen, wie die Wildziegen insgemein und der Steinbock insbesondere. »Die geschwinde des springens und die weyte der sprung von einem felsen zu den anderen«, sagt schon der alte Geßner, »ist yemants müglich zu glauben, er habe es dann gesähen; dann wo es yenen mit seinem gespaltnen und spitzigen klawen behafften mag, so ist ihm kein spitz zu hoch, den er nit etlich schrit überspringet, auch selten kein fels so weyt von dem anderen, den es nit mit seinem sprung erreiche.« Alle Beobachter stimmen dieser Schilderung bei. Jede Bewegung des Steinwildes ist rasch, kräftig und dabei doch leicht. Der Steinbock läuft schnell und anhaltend, klettert mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit und zieht mit unglaublicher, weil geradezu unverständlicher Sicherheit und Schnelligkeit an Felswänden hin, wo nur er Fuß fassen kann. Eine Unebenheit der Wand, welche das menschliche Auge selbst in der Nähe kaum wahrnimmt, genügt ihm, sicher auf ihr zu fußen; eine Felsspalte, ein kleines Loch etc. werden ihm zu Stufen einer gangbaren Treppe. Seine Hufe setzt er so fest und sicher auf, daß er auf dem kleinsten Raume sich erhalten kann. Graf Wilczek bestätigt diese Angaben. »Der starke Steinbock«, sagt er, »ist das schönste Jagdthier, welches ich je gesehen. Er hat die würdevolle Hauptbewegung des Hirsches; das fast unverhältnismäßig große Gehörn beschreibt bei der kleinsten Kopfbewegung einen weiten Bogen. Seine Sprungkraft ist fabelhaft. Ich sah eine Gemse und einen Steinbock denselben Wechsel annehmen. Die Gemse mußte im Zickzack springen, wie ein Vogel, welcher hin- und herflattert: der Steinbock kam in gerader Linie herab wie ein Stein, welcher fällt, alle Hindernisse spielend überwindend. An fast senkrechten Felsenwänden muß die Gemse flüchtig durchspringen; der Steinbock dagegen hat so gelenkige Hufe, daß er, langsam weiter ziehend, viele Klaftern weit an solchen Stellen hinschreiten kann: ich sah ihn beim Haften an Felswänden seine Schalen so weit spreizen, daß der Fuß eine um das dreifache verbreitete Fläche bildete.« Gefangene Steinböcke setzen nicht minder in Erstaunen wie die freilebenden. Schinz beobachtete, daß sie mit der größten Sicherheit den Platz erreichen, nach welchem sie gezielt haben. Ein ganz junger Steinbock in Bern sprang einem großen Manne ohne Anlauf auf den Kopf und hielt sich daselbst mit seinen vier Hufen fest. Einen anderen sah man mit allen vier Füßen auf der Spitze eines Pfahles, einen dritten auf der scharfen Kante eines Thürflügels stehen und eine senkrechte Mauer hinaufsteigen, ohne andere Stützpunkte als die Vorsprünge der Mauersteine, welche durch den abgefallenen Mörtel sichtbar waren, zu benutzen. Gleichlaufend mit der Mauer sprang er mit drei Sätzen auf dieselbe. Er stellte sich dem Ziele, welches er erreichen wollte, gerade gegenüber und maß es mit dem Auge, durchlief sodann mit kleinen Schritten einen gleichen Raum, kam mehrmals auf dieselbe Stelle zurück, schaukelte sich auf seinen Beinen, als wenn er deren Schnellkraft versuchen wollte, sprang und war in drei Sätzen oben. Aehnliche Kraftstücke führten die gefangenen Steinböcke der kaiserlichen Menagerie in Schönbrunn zu wiederholten Malen aus, indem sie die durch zwei in einem sehr stumpfen Winkel zusammenstoßende Mauern gebildete Ecke benutzten, um die über drei Meter hohe Wand zu erklimmen. Sie sprangen von der einen Mauer gegen die andere, wandten sich bei jedem Satze und erreichten so, anscheinend ohne Anstrengung, die Höhe mit wenigen Sätzen. Beim Springen scheinen sie die Felsen oder die Mauer kaum zu berühren und ihren Körper wie einen Ball in die Höhe zu schnellen. Wahrhaft bewunderungswürdig ist auch die Sicherheit, mit welcher der Steinbock über Abgründe und Felsenklüfte setzt. Spielend schwingt er sich von einer Klippe zur anderen, und ohne Besinnen springt er aus bedeutenden Höhen herab in die Tiefe. Die alten kindlichen Berichterstatter ersannen wunderliche Märchen, um diese auffallenden Fähigkeiten der Steinböcke zu erklären, und manche dieser Märchen haben sich Jahrhunderte fortgesponnen, werden auch heute noch von Unbewanderten auf Treu und Glauben hingenommen. So meint Geßner, daß das Thier seine gewaltigen Hörner hauptsächlich dazu benutze, um sich aus bedeutenden Höhen auf sie zu stürzen, sie aber auch anwende, um herabrollende, ihm Verderben drohende Steine aufzufangen. Wenn der Steinbock merke, daß er sterben müsse, steige er auf des Gebirges höchsten Kamm, stütze sich mit den Hörnern auf einen Felsen, gehe in Kreisen rings um denselben herum, und treibe dieses Spiel fort, bis daß die Hörner ganz abgeschliffen wären: dann falle er um und verende.

Die Stimme des Steinbockes ähnelt dem Pfeifen der Gemse, ist aber gedehnter. Erschreckt läßt er ein kurzes Niesen, erzürnt ein geräuschvolles Blasen durch die Nasenlöcher vernehmen; in der Jugend meckert er. Unter den Sinnen steht das Gesicht oben an. Das Auge des Steinwildes ist nach Wilczeks Erfahrungen viel schärfer, die Witterung dagegen weit geringer als bei dem Gemswilde, das Gehör vortrefflich. Die geistigen Begabungen dürften mit denen der Ziegen insgesammt auf derselben Stufe stehen, wie auch das Wesen im allgemeinen mit dem Auftreten und Gebaren der Hausziegen übereinstimmt. Ein hoher Grad von Verstand läßt sich nicht in Abrede stellen. Der Steinbock beweist seine Klugheit durch die Wahl seiner Aufenthaltsorte und Wechsel, durch berechnende Vorsicht an Stelle der plumpen Scheu anderer Wiederkäuer, sorgfältiges Ueberlegen seiner beabsichtigten Handlungen, geschicktes Ausweichen von Gefahren und leichtes Sichfügen in veränderte Umstände. Nach Art der Ziegen gefällt er sich in der Jugend in neckischen, noch im Alter selbst in muthwilligen Streichen, tritt aber immer selbstbewußt auf und bekundet erforderlichenfalls hohen Muth, Rauf- und Kampflust, welche ihm keineswegs schlecht ansteht. Gefährlichen Thieren weicht er aus, schwächere behandelt er übermüthig oder beachtet sie kaum. Mit den Gemsen will er, wie behauptet wird, nichts zu thun haben und hält sich, unbedrängt, fern von ihnen; Hausziegen dagegen sucht er, vielleicht in richtiger Erkenntnis der zwischen beiden bestehenden Verwandtschaft, förmlich auf, paart sich auch freiwillig mit ihnen.

In stillen, vom Menschen wenig besuchten Hochthälern äst sich das Steinwild in den Vor- und Nachmittagsstunden, in Gebieten dagegen, wo es Störung befürchtet, nur in der Früh- und Abenddämmerung, vielleicht auch des Nachts. Leckere Alpenkräuter, Gräser, Baumknospen, Blätter und Zweigspitzen, insbesondere Fenchel- und Wermutarten, Thymian, die Knospen und Zweige der Zwergweiden, Birken, Alpenrosen, des Ginsters und im Winter nebenbei auch dürre Gräser und Flechten bilden seine Aesung. Salz liebt es außerordentlich, erscheint daher regelmäßig auf salzhaltigen Stellen und beleckt diese mit solcher Gier, daß es zuweilen die ihm sonst eigene Vorsicht vergißt. Ein auf weithin vernehmbares, eigenthümliches Grunzen drückt das hohe Wohlbehagen aus, welches dieser Genuß ihnen bereitet.

Die Brunstzeit fällt in den Januar. Starke Böcke kämpfen mit ihren gewaltigen Hörnern muthvoll und ausdauernd, rennen wie Ziegenböcke auf einander los, springen auf die Hinterbeine, versuchen den Stoß seitwärts zu richten und prallen endlich mit den Gehörnen so heftig zusammen, daß man das Dröhnen des Kampfes auf weithin im Gebirge wiederhallen hört. An steilen Gehängen mögen diese Kämpfe zuweilen gefährlich werden. Fünf Monate nach der Paarung, meist in der letzten Woche des Juni oder im Anfange des Juli, wirft die Ziege ein oder zwei Junge, an Größe etwa einem neugeborenen Zicklein gleich, leckt sie trocken und läuft bald darauf mit ihnen davon. Das Steinzicklein, ein äußerst niedliches, munteres, wie Schinz sagt, »schmeichelhaftes« Geschöpf, kommt mit seinem, wolligem Haar bedeckt zur Welt und kleidet sich erst vom Herbste an in ein aus steiferen, längeren Grannen bestehendes Gewand. Bereits wenige Stunden nach der Geburt erweist es sich fast als ebenso kühner Bergsteiger wie seine Mutter. Diese liebt es außerordentlich, leckt es rein, leitet es, meckert ihm freundlich zu, ruft es zu sich, hält sich, so lange sie es säugt, mit ihm in den Felsenhöhlen verborgen und verläßt es nie, außer wenn der Mensch ihr gar zu gefährlich scheint, und sie das eigene Leben retten muß, ohne welches auch das ihres Kindes verloren sein würde. Bei drohender Gefahr eilt sie an fürchterlichen Gehängen hin und sucht in dem wüsten Geklüfte ihre Rettung. Das Zicklein aber verbirgt sich äußerst geschickt hinter Steinen und in Felsenlöchern, liegt dort mäuschenstill, ohne sich zu rühren, und äugt und lauscht und wittert scharf nach allen Seiten hin. Sein graues Haarkleid ähnelt den Felswänden und Steinen derart, daß auch das schärfste Falkenauge nicht im Stande ist, es wahrzunehmen oder vom Felsen zu unterscheiden, und dieser vertritt daher einstweilen Mutterstelle. Sobald die Gefahr vorüber ist, findet die gerettete Steinziege sicher den Weg zu ihrem Kinde wieder; bleibt sie aber zu lange aus, so kommt das Steinzicklein aus seinem Schlupfwinkel hervor, ruft nach der Alten und verbirgt sich dann schnell wieder. Wird die Mutter getödtet, so flieht es anfangs furchtsam und entsetzt, kehrt aber bald und immer wieder um und hält lange und fest an der Gegend, wo es seine treue Beschützerin verloren, kümmerlich sein Leben fristend. Wurde die Mutter nur verwundet, so soll der junge Steinbock, wenn jene zu ihm zurückkommt, zwar freudig auf sie zulaufen, aber, sobald er den Geruch des Blutes wahrnimmt, ängstlich von ihr fliehen und durch keine Liebkosungen der Alten zu bewegen sein, wieder zu ihr zurückzukehren.

Bei Gefahr vertheidigt die Steinbockziege ihr Junges nach besten Kräften. Der berühmte Steinbockjäger Fournier aus dem Wallis sah einmal sechs Steinziegen mit ihren Jungen weiden. Als ein Adler über ihnen kreiste, sammelten sich die Mütter mit den Zicklein unter einem überragenden Felsblocke und richteten die Hörner nach dem Raubvogel, je nachdem der Schatten des Adlers auf dem Boden dessen Stellung bezeichnete, nach der bedrohten Seite sich wendend. Der Jäger beobachtete lange diesen anziehenden Kampf und verscheuchte zuletzt den Adler.

Mit ihren nächsten Verwandten, unseren Hausziegen, paaren sich die Steinböcke ohne sonderliche Umstände und erzeugen Blendlinge, welche wiederum fruchtbar sind. Solche Vermischungen kommen selbst während des Freilebens der Thiere vor: zwei Hausziegen im Cognethale, welche den Winter im Gebirge zugebracht hatten, kehrten, wie Schinz mittheilt, im darauffolgenden Frühjahre trächtig zu ihrem Herrn zurück und warfen bald unverkennbare Steinbocksbastarde. Echte Steinböcke paarten sich in Schönbrunn wie in Hellbronn wiederholt mit passend ausgewählten Hausziegen und erzeugten starke und kräftige Nachkommen, welche in der Regel dem Steinbocke mehr glichen als der Ziege, obgleich sie im Gehörn mit dem Ziegenbocke noch große Aehnlichkeit hatten. Ihre Färbung war sehr veränderlich; bald ähnelten sie dem Vater, bald wiederum der Mutter. Die aus der Kreuzung des Steinwildes mit der Hausziege hervorgegangenen Blendlinge wurden wiederum mit Steinböcken gepaart, und so erhielt man Dreiviertelblut, welches noch größere Aehnlichkeit mit dem Steinwilde zeigte, bis man durch nochmalige Vermischung der nunmehr gewonnenen Zucht unechter Steinböcke Thiere erzielte, welche kaum noch von der Urart zu unterscheiden waren.

Verschiedene Ursachen wirken zusammen, daß das Steinwild auch da, wo es sorgsam gehegt wird, nur langsam sich vermehrt. Mit Ausnahme des Menschen hat es von ihm gefährlich werdenden Feinden wenig zu leiden. Große Raubvögel, namentlich der Steinadler und vielleicht auch der Bartgeier, bedrohen, wie aus vorstehend mitgetheilter Beobachtung Fourniers hervorgeht, junge Zicklein, jagen aber, dank der Wachsamkeit ihrer Mütter, wohl nur in seltenen Fällen mit Erfolg auf sie; älteres Steinwild mag unter Umständen durch Luchs, Wolf und Bär gefährdet sein: meines Wissens liegen jedoch keine bestimmten Beobachtungen über Angriffe seitens der genannten Raubthiere vor. Verderblicher als alle genannten Feinde zusammengenommen erweist sich die Unwirtsamkeit des Aufenthaltsortes im Winter und im Frühlinge. Wie Wilczek im Val Savaranche erfuhr, verlieren durch Lawinenstürze alljährlich verhältnismäßig viele Steinböcke ihr Leben, und zwar meist starke Böcke, welche der Gefahr mit kühlerem Muthe in das Auge zu sehen scheinen als die jüngeren, furchtsameren und vorsichtigeren. Die alte Geis soll immer nur ein Jahr um das andere ein Kitzchen bringen und nicht bloß so lange dieses säugt, sondern so lange sie überhaupt mit ihm geht, nicht beschlagen werden. Der schlimmste Feind auch des Steinwildes aber ist und bleibt der Mensch, und zwar der Raubschütze und Bubenjäger in Bauerngestalt. Jenen locken weniger der durch Verwerthung des Wildes zu erzielende Gewinn als die Gefährlichkeit der noch heutigen Tages mit harten Strafen verbotenen Jagd; diesen bewegt einzig und allein der schnöde Vortheil. Wahrscheinlich gibt es kein beschwerlicheres und gefahrbringenderes Unternehmen als die Steinwildjagd, wie sie von den unberechtigten Raubschützen betrieben wird. Alles, was von den Gefahren der Gemsjagd gesagt werden kann, gilt auch, wie Schinz treffend hervorhebt, und in noch höherem Grade von der Steinbockjagd. Wegen der Seltenheit seines Wildes muß sich der Jäger gefaßt machen, acht bis vierzehn Tage, fern von allen menschlichen Wohnungen, also meist unter freiem Himmel im Hochgebirge zu verleben; Frost und Schnee, Hunger und Durst, Nebel und Sturm zu ertragen, bei eisigem Winde oft mehrere Nächte nach einander auf harten Felsen ohne alles Obdach zuzubringen und sehr oft nach langen Prüfungen seines Muthes leer nach Hause zu kehren; er muß selbst im günstigsten Falle mit der mühsam erworbenen Beute alle begangenen Pfade vermeiden, um jeder Begegnung mit Jagdaufsehern auszuweichen; er muß schwindelfrei die furchtbarsten Pfade wandeln können und im Tragen schwerer Lasten geübt, um überhaupt im Stande zu sein, den Lohn seiner Anstrengungen heim zu bringen. So geschieht es nur zu oft, daß er anstatt eines erlegten Wildes Noth und Elend in seine ärmliche Hütte bringt, ganz abgesehen davon, daß er jeden Tag Gefahr läuft, durch Abstürzen oder durch die Kugel des Jagdberechtigten gefällt, in grausiger Tiefe zu zerschellen und Adlern und Geiern zur Speise zu werden. Der von solchen Raubschützen glücklich erlegte Steinbock wird, wie Tschudi berichtet, auf der Stelle ausgeweidet, um die schwere Last zu vermindern, sodann an den Läufen und mit dem schweren Gehörn festgebunden und über die Stirn gelegt; denn nur so ist es einem Manne, welcher außerdem noch Gewehr und Jagdranzen zu tragen hat, möglich, mit seiner sechzig bis achtzig Kilogramm schweren Bürde den Rückweg anzutreten.

So verwerflich dieses wie alles Raubschützenthum auch erscheinen mag, mit der nichtswürdigen Bubenjägerei, welche die Bauern betreiben, läßt es sich nie vergleichen. Noch heutigen Tages ist es möglich, junge lebende Steinböcke für einen verhältnismäßig geringen Preis zu erhalten: ich selbst habe einen solchen um die Summe von fünfhundert Franken gekauft; aber es ist dies nur möglich, weil die italienischen und Schweizer Raubschützen noch immer nicht gänzlich von dem Jagdgebiete des Königs von Italien ausgeschlossen werden können. Mit Ausnahme der wenigen Steinböcke, welche Victor Emanuel an Thiergärten verschenkte, werden alle, welche gegenwärtig auf den Markt kommen, von italienischen Bubenjägern auf dem Jagdgebiete des Königs gestohlen, und zwar immer als nur wenige Stunden alte Zicklein, welche man erbeutet, indem man schonungslos die Mutter des Thierchens wegschießt. Daß die Jagdaufseher des Königs gegenüber solchem Gesindel, welches außerdem ihr eigenes Leben fortwährend bedroht, unbedenklich zu der Kugelbüchse greifen, läßt sich, wenn auch nicht immer rechtfertigen, so doch entschuldigen, mindestens begreifen.

Rechtmäßige Jagden werden gegenwärtig ausschließlich von Victor Emanuel ausgeführt. Ich danke meinem Gönner und Freunde Wilczek, dem einzigen, welcher jemals die Ehre hatte, von dem hohen Jagdherrn eingeladen zu werden, die nachstehenden Mittheilungen über diese Jagden. Der König verwendet, seitdem er das Jagdrecht der oben namentlich aufgezählten Gemeinden erworben, verhältnismäßig bedeutende Summen auf die Hege des edlen Wildes und bringt alljährlich im Juli und August, d.h. sobald der Schnee auf den Gletschern geschmolzen ist, mehrere Wochen im Gebirge zu, hier zwischen drei-und viertausend Meter über dem Meere gelegene Jagdhütten oder selbst ein offenes, nicht einmal dem Regen genügend widerstehendes Zelt bewohnend. Von solcher Herberge ausreitet er auf für ihn eigens hergerichteten, jedoch noch immer ungemein wilden Pfaden oft fünf bis sechs Stunden weit bis zu seinem Stande, nachdem seine Jäger am Tage zuvor durch das Fernrohr ausgekundschaftet haben, ob Steinwild in der Kluft steht. In solchen Fällen werden ein- bis zweihundert Treiber aufgeboten, um das scheue Wild gegen die Stände zu treiben. In letzteren, roh aufgeführten Steinthürmen mit Schießlöchern, muß der vom Kopfe bis zum Fuße in Grau gekleidete Schütze vollständig verborgen sein und regungslos verharren, um dem scharfsichtigen Wilde unbemerkt zu bleiben; wird er von ihm gesehen, so ist der Anstand auch trotz der vielen Treiber vergeblich. Da das Steinwild nur nach Verwundung oder in höchster Bedrängnis Gletscher annimmt, dienen solche oft als Seitenwand eines Treibens und werden ebensowenig wie für Wild unzugängliche Felswände durch Treiber verwahrt. Letztere gehen langsam vorwärts, Moränen, Halden und einigermaßen zugängliche Wände als Pfade benutzend, und treiben das Steinwild vor sich her. Dieses bewegt sich nur mit äußerster Vorsicht, beobachtet alles, was vorgeht, auf das genaueste, durchspäht die Gegend mit reger Aufmerksamkeit und verweilt, wenn nicht getrieben, zuweilen stundenlang äugend und windend auf einer und derselben Stelle, schreitet überhaupt nur mißtrauisch und zögernd weiter vor. Ungünstiger Wind hindert die Jagd weniger, braucht mindestens nicht in demselben Grade berücksichtigt zu werden wie bei der Gemsjagd; auch darf man ein und dasselbe Gebiet mehrmals nach einander treiben, da die starken Böcke, welche entkamen, an dem folgenden und zweitfolgenden Tage ihren alten Standplatz gewiß wieder aufsuchen. Der gegenwärtige Wildstand gestattet alljährlich funfzig Böcke abzuschießen; Geisen gelten selbstverständlich als unverletzlich. Außer auf diesen Treibjagden erlegt man das Wild auch wohl auf dem Anstande in der Nähe oft begangener Wechsel oder an den oben erwähnten Salzlecken. Der König geht seinem Gefolge in Ertragung von allerlei Beschwerden und Mühsalen mit dem besten Beispiele voran und bethätigt eine geradezu bewunderungswürdige Ausdauer.

Jung eingefangene Steinböcke gedeihen, wenn man ihnen eine Ziege als Amme gibt, in der Regel gut, werden auch bald zahm, verlieren diese Eigenschaft jedoch mit zunehmendem Alter. Sie haben viel von dem Wesen unserer Hausziege, bekunden aber vom Anfange an größere Selbständigkeit als diese und gefallen sich schon in den ersten Wochen ihres Lebens in den kühnsten und verwegensten Kletterversuchen. Neugierig, neckisch und muthwillig wie junge Zicklein sind auch sie und anfänglich so spiellustig und drollig, daß man seine wahre Freude an ihnen haben muß. Mit ihrer Amme befreunden sie sich schon nach wenigen Tagen, mit ihrem Pfleger nach geraumer Zeit, unterscheiden diesen bestimmt von anderen Leuten und legen Freude an den Tag, wenn sie denselben nach längerer Abwesenheit wieder zu sehen bekommen. Ihre Anhänglichkeit an die Pflegemutter beweisen sie durch kindlichen Gehorsam; denn sie kehren stets zurück, wenn die Ziege meckernd sie herbeiruft, so gern sie auch möglichst ungebunden sich umhertreiben und dabei Höhen erklimmen, welche der Pflegemutter bedenklich zu sein scheinen. Gegen Liebkosungen höchst empfänglich, lassen sie sich doch nicht das geringste gefallen und stellen sich bald auch ihrem Wärter trotzig zur Wehre, den Kopf mit dem kurzen Gehörn in unendlich komischer Weise herausfordernd bewegend. Lammfromm halten sie still, wenn man sie zwischen den Hörnern kraut, muthwillig aber vergelten sie solche Wohlthaten nicht selten durch einen scherzhaft gemeinten, jedoch nicht unempfindlichen Stoß. Je älter sie werden, um so selbstbewußter und übermüthiger zeigen sie sich. Schon mit halberwachsenen Steinböcken ist nicht gut zu scherzen, erwachsene aber rennen, sobald sie erzürnt wurden, den stärksten Mann über den Haufen und sind im Stande, geradezu lebensgefährliche Verletzungen beizubringen.

Auch alt eingefangene Steinböcke lassen sich bis zu einem gewissen Grade zähmen. Graf Wilczek erfuhr aus Victor Emanuels eigenem Munde, daß sie, ebensowenig wie Bergsteinböcke, es aushalten, wenn sie von einem starken Manne über die Schultern gelegt und mit aller Vorsicht getragen, ohne besondere Schwierigkeit dagegen befördert werden können, wenn man eine Bahre für sie herrichtet, sie auf derselben in aufrechter Stellung behutsam fesselt und sie solcherart in die Tiefe schleppt. Im ersteren Falle verenden sie regelmäßig nach wenigen Stunden, meist bereits auf den Schultern des Mannes, unter Anwendung der beschriebenen Vorsichtsmaßregeln gelangen sie weitaus in den meisten Fällen wohlbehalten an ihrem Bestimmungsorte an. Ein in dieser Weise in den Zwinger des Königs von Italien gebrachter Bock nahm eine halbe Stunde nach seiner Ankunft Brod aus der Hand seines hohen Pflegers und Beschützers an.

In Schönbrunn pflegt man gegenwärtig Steinböcke und deren mit Hausziegen erzielten Blendlinge, in der Absicht die östlichen Alpen wiederum mit Steinwild zu bevölkern. Daß solches Vorhaben nicht so leicht ist, als man glaubt, beweisen Versuche, welche man, laut Schinz, in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts in Bern anstellte. Hier wies man den Steinböcken und ihren Blendlingen einen Theil der Stadtwälle an, nährte sie entsprechend und erhielt in erwünschter Weise Nachzucht. Wie die Steinböcke selbst vergaßen auch die Bastarde bald die ihnen erwiesenen Wohlthaten und gaben zuletzt dem Menschen gegenüber weder Liebe noch Furcht zu erkennen. Ein Bastardbock vergnügte sich auf den Wällen die Schildwachen anzugreifen und bekundete dabei eine Beharrlichkeit, welche ihn bald sehr verhaßt machte. Einmal unterbrach er die Beobachtungen des auf seiner Warte arbeitenden Sternkundigen und riß ihm den Rockärmel auf; später gefiel er sich, an den Luftwandelungen der guten Bürger theilzunehmen und die Leute in die Flucht zu jagen; schließlich fiel es ihm ein, auf die Dächer der Gebäude zu steigen und hier die Ziegeln zu zertrümmern. Zahlreiche Klagen wurden laut, und die hochwohlweise Behörde sah sich genöthigt, denselben Rechnung zu tragen: der neckische Bock wurde feierlich verbannt und mit seinen Ziegen auf einem Berge bei Unterseen ausgesetzt. Die Ziegen fanden die Höhe bald nach Wunsch, der Bock aber meinte den bewohnten Gürtel des Gebirges der Nähe der Gletscher vorziehen zu müssen. Zunächst besuchte er die Alpenhütten, befreundete sich hier inniger mit den Ziegen, als den Sennen lieb war, und wurde zuletzt ein so regelmäßiger und zudringlicher Gast, daß er sich nicht mehr vertreiben ließ, sondern von seinem Gehörn den ausgiebigsten Gebrauch machte. Den Sennen stieß er zu Boden, sobald dieser versuchte, sich ihm zu widersetzen, und einmal spielte er dem Manne so arg mit, daß er ihn wahrscheinlich getödtet haben würde, wäre nicht die besorgte Sennerin zu Hülfe geeilt und hätte den Bock geschickt und derb beim Barte, seiner empfindlichsten und fast auch einzigen schwachen Stelle, ergriffen. Solche Gewaltthätigkeiten und Unfug anderer Art machten endlich seine Fortschaffung gebieterisch nothwendig. Vier starke Männer wurden beordert, ihn weiter hinauf in das Gebirge bis auf die Höhe des Saxetenthales zu bringen. Man fesselte den Wildling an einem starken Seile; mehr als einmal aber warf er sein gesammtes Geleite zu Boden. Nunmehr übernahm ein kräftiger Gemsenjäger die Aufsicht über die beabsichtigte Steinbockszucht. Doch auch er hatte seine liebe Noth; denn der Bock schien von Dankbarkeit durchaus keinen Begriff zu haben. Einmal forderte er seinen Hüter zu einem Zweikampfe heraus, welchen dieser wohl oder übel annehmen mußte, weil sich der Vorfall hart am Rande eines Abgrundes zutrug, und der Bock die entschiedenste Lust bezeigte, seinen Herrn und Gebieter in die Tiefe zu stürzen. Eine volle Stunde lang mußte der Mann mit dem Thiere ringen, bevor es ihm gelang, sich seiner zu erwehren. Abgesehen von derartigen Ritterthaten verübte der Bock auch anderweitigen Unfug. Nach wie vor war er der Schrecken der Sennen, welche er, von den Höhen bis zu den Hütten herabkommend, geradezu überfiel und mißhandelte. Nach eigenem Behagen stieg er in die Tiefe hinab, und wenn ihn der Gemsjäger von neuem glücklich zu den ihm angewiesenen Höhen emporgebracht hatte, war er gewöhnlich schneller wieder unten als jener, stieß mit seinen mächtigen Hörnern die Thüren in den Ställen ein, in denen er Ziegen gewittert, besprang dieselben und verfolgte selbst die Sennerinnen in Küche und Milchkeller. Die Hoffnung, daß das Thier nach Beendigung der Brunstzeit wieder zu seiner alten Gesellschaft, welche währenddem ruhig auf den höheren Alpen weidete, zurückkehren würde, erwies sich als eitel; denn wenige Tage, nachdem er einer über ihn verhängten Haft entlassen und auf seine Höhen zurückgebracht war, erschien er plötzlich zu Wilderswyl, hinter einer Herde von Ziegen einherrennend, welche, von ihm gejagt, in voller Eile in das Dorf gelaufen kam. Entsprechend seiner ungebändigten Urkraft hatte unser Bock binnen kurzem mit den Hausziegen der Alpen eine zahlreiche Nachkommenschaft erzeugt und dieser viele von seinen Tugenden vererbt. Seine Sprößlinge liebten wie er das Erhabene, erkletterten die höchsten Spitzen, verführten die sittsamen Hausziegen zu ähnlichen Streichen und verwandelten schließlich die Milch der frommen Denkungsart der Geisen und ihrer Herren und Herrinnen in gährend Drachengift. Von neuem wurde die höhenbewohnende Menschheit klagbar, und eine nochmalige Versetzung des Bockes war die Folge. Man wies ihm die Grinselalpe an; aber auch hier verharrte er in seinem Sinne, band mit allen Hunden, selbst den größten an und warf sie, wenn sie sich stellten, mit kühnem Schwunge seines Gehörnes übermüthig über seinen Kopf weg, stellte sich herausfordernd auf den Pfad der höhenklimmenden Gebirgswanderer und verursachte Schrecken und Entsetzen, wo und wann er sich zeigte. So sah sich endlich die Behörde genöthigt, gegen ihn einzuschreiten; ein hochnothpeinliches Halsgericht wurde über ihn verhängt und der freiheitsdurstige, urkräftige Gesell vom Leben zu Tode gebracht. Eine der Bastardziegen, welche treuinnig mit ihm zusammengehalten hatte, blieb verhältnismäßig sanft und fromm bis an ihr Ende; die Nachkommen aber, welche er in unrechtmäßiger Ehe mit Hausziegen erzeugt hatte, zeichneten sich bei Zunahme des Alters gleichfalls durch besondere Wildheit aus. So lange sie noch jung waren, belustigten sie die Sennen durch ihre muthwilligen Sprünge und Geberden; als sie jedoch älter und kräftiger wurden, fielen sie den Eignern zur Last und wurden sämmtlich geschlachtet. So endete die Berner Steinbockszucht, ohne daß der beabsichtigte Zweck durch sie erreicht werden konnte.

Ueber die Steinbockszucht in Hellbronn bei Salzburg theilt mir Zeller, ein in der Nähe wohnender Waidmann, nachstehendes mit. »Unter großen Kosten ließ sich der verstorbene Erzherzog Ludwig Steinböcke aus Savoyen kommen und setzte dieselben zunächst in besagtem Gehege aus. Anfangs wollten die Thiere hier nicht heimisch werden und gingen bald zu Grunde oder wurden theilweise blind; erst späterhin, als man geeignetes Futter reichte und sie ihrer Natur angemessen behandelte, begannen sie heimisch zu werden. Einer der alten Böcke war so bösartig, daß Fremde nur in Begleitung des Försters den Theil des Parkes betreten durften, welcher dem Steinwilde als Tummelplatz diente; derselbe Bock brach sich später einen Lauf, lebte aber noch lange und hinterließ viele muntere, gesunde Nachkommen, welche theils von wirklichen Steinziegen, theils von gewöhnlichen Gebirgs- und zwar sogenannten Gemsgeisen herrührten. Ein Paar dieser oder der in Hellbronn gezüchteten Steinböcke wurde auf Befehl des Kaisers von Oesterreich in dem Leibgehege von Ebensee ausgesetzt, zwei andere in dem Gehege Hintersee freigelassen. Dort wie hier hielten sie sich gut und schlossen bald Freundschaft mit den auf den Alpen weidenden Ziegen, gesellten sich beim Abtriebe von der Alm im Herbste denselben zu und gingen mit ihnen in den Stall. Nach diesen Wahrnehmungen überließ man den Bauern die edlen Thiere; aber noch gegenwärtig begegnet man in der Umgegend von Ebensee wie von Abtenau Nachkommen jener Steinböcke. Von den im kaiserlichen Reviere von Ebensee freigelassenen Steinböcken trieb es einer ganz ähnlich wie der vorerwähnte in der Schweiz; die übrigen wurden von Zeit zu Zeit noch öfter gesehen, zumal wenn sie die zahmen Ziegen besuchten, bis sie endlich verschwanden, wahrscheinlich weil sie ein Opfer der Wildschützen geworden waren.«

Durch Graf Wilczek, welcher die Güte gehabt hat, meine, durch ihn so wesentlich bereicherte Schilderung des Alpensteinwildes im Vordruck zu überlesen, erfahre ich zu meiner Freude, daß die Versuche, gewisse Alpen des Salzkammergutes wiederum mit den edlen Thieren zu bevölkern, doch nicht gänzlich gescheitert sind. Vor wenigen Wochen (August 1875) schoß der Erzherzog Kronprinz Rudolf in der Nähe der Lambathseen unweit Ebensees einen starken Gemsbock an, welcher in einem sogenannten Kahr oder Karr, einen bis auf die mündende Thalschlucht mit hohen Felsenwänden umgebenen Gebirgskessel, Rettung suchte. Um dem allbeliebten Thronerben eine Freude zu bereiten, entschloß sich einer der verwegensten Bergsteiger der Gegend, dem kranken Wilde in den bisher noch nicht von Menschen betretenen Kessel nachzusteigen. Auf halsbrechenden Pfaden oder vielmehr Unpfaden erreicht der kühne Mann endlich die grausige Tiefe und sieht plötzlich vor sich zwei mächtige »Teufel« in Gestalt riesiger Steinböcke, gefolgt von einer alten Geis nebst Kitzchen und zwei Stück Steinwild mittleren Alters. Einige von den im Jahre 1867 ausgesetzten Steinböcken hatten hier, in dem menschenleersten Theile des Gebirges, ihren Stand genommen und nicht allein sich erhalten, sondern auch fortgepflanzt. Kronprinz Rudolf selbst theilte diese erfreuliche Thatsache meinem Gewährsmanne mit. Nach dieser Wahrnehmung liegt kein Grund mehr vor, an dem endlichen Gelingen der bisher mit so vielen Kosten verbundenen Versuche zu zweifeln. Die wesentlichen Bedingungen für gutes Gedeihen des edlen Wildes sind vorhanden, einige Steinböcke zur Reinhaltung des Blutes aus den Gehegen des Königs von Italien zu erlangen, und somit dürfen wir hoffen, in nicht allzu langer Zeit das Steinwild wiederum unter die Bewohnerschaft der östlichen Alpen zu zählen.

In den ersten Novembertagen des Jahres 1856 unternahm ich in Gesellschaft meines Bruders Reinhold und eines gemeinschaftlichen Freundes, unter Leitung eines eingeborenen kundigen Jägers, eine Besteigung der Sierra Nevada in Südspanien, in der Absicht, auf Steinwild zu jagen. Die Zeit der Jagd fällt eigentlich in die Monate Juli und August, weil dann der Jäger einige Tage lang im Hochgebirge verweilen kann; wir aber kamen erst im November in die Nähe des reichen Gebirges und wollten nicht weiterziehen, ohne wenigstens versucht zu haben, ein Stück des stolzen Gewildes zu erbeuten. Es war ein gewagtes Unternehmen, in der jetzigen Jahreszeit zu Höhen von dreitausend Meter über dem Meere emporzuklettern, und es stand von vornherein zu erwarten, daß unsere Jagd erfolglos sein würde. Dies hinderte uns jedoch nicht, bis zu dem Picacho de la Veleta aufzusteigen und die hauptsächlichsten Jagdgebiete abzusuchen; Schneegestöber und eintretende Kälte zwangen uns aber leider zur Umkehr, und so kam es, daß wir nur die frischen Fährten des ersehnten Wildes, nicht aber Steinböcke selbst entdecken konnten.

Um so erfolgreicher jagte mein Bruder später auf Steinböcke in den mittleren Theilen des Landes, nachdem er sich, zum Danke für geleistete ärztliche Hülfe, der Mitwirkung der Bewohnerschaft eines Dorfes am Fuße der Sierra de Gredos versichert und in den Jagdgebieten gedachter Ortschaft werthvollere Rechte erworben hatte, als irgend jemand vor ihm. Ausgerüstet mit allen erforderlichen Mitteln, insbesondere aber mit einer vortrefflichen Beobachtungsgabe, gelang es ihm nicht allein, eine stattliche Reihe von Bergsteinböcken zu erlegen, sondern auch das Leben der Thiere so eingehend zu belauschen und zu erkunden, daß seine Angaben ebensowohl ein mustergültiges Lebensbild der in Rede stehenden Art zeichnen, wie sie unsere Kenntnis der Steinböcke überhaupt in dieser und jener Beziehung erweitern. Ich gebe im nachfolgenden Beobachtungen meines Bruders wieder und damit die erste eingehende Leibes- und Lebensbeschreibung des schönen, bis jetzt nur als Balg bekannten Wildes.

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