Tierstudien 22: Kohabitation, Koexistenz, Konvivialität (Rezension)

In dieser Ausgabe von Tierstudien geht es um Praktiken, Theorien und Visionen des Zusammenlebens der Arten. Dabei sollen das Miteinander- oder Beieinanderwohnen von Menschen und anderen Tieren und die Koexistenz unterschiedlicher Spezies in kulturellen Räumen im Fokus stehen. Alle Tiere richten sich auf ihre Art in der Welt ein und sind auf ihre Weise in ihr zuhause. Dies geschieht immer in relationalen Zusammenhängen. Sie lassen sich an Orten nieder, die nie ganz unbesetzt sind, oder arrangieren sich in Räumen, die ihnen zugewiesen wurden. Das soziale Zusammenleben wird dann jeweils im gemeinsamen Wohnen organisiert.
Es stehen vor allem domestizierte Tiere, verwilderte Haustiere und Kulturfolger*innen wie beispielsweise Hunde, Pferde und Tauben im Zentrum der Aufmerksamkeit der einzelnen Beiträge, aber auch Tiere in Zoos. Diese Tiere leben mit Menschen gezwungenermaßen oder freiwillig auf problematische oder auch auf gelingende Art und Weise in geteilten Räumen zusammen. Auch wenn die Stadt oft als ausschließlich menschlicher Raum imaginiert wird, waren Tiere immer schon Teil eines gemeinsam konstituierten urbanen Umfelds. Das wird zunehmend in der Stadt- und Freiraumplanung und in Architekturprojekten berücksichtigt. Auch künstlerische Projekte entwerfen kreative Möglichkeiten eines solidarischeren Zusammenlebens der Arten und in wissenschaftlichen Diskursen spielt eine gerechte Koexistenz von Menschen und anderen Tieren vermehrt eine Rolle.
Für die Diskussion des Zusammenlebens der Arten werden drei unterschiedliche Begrifflichkeiten produktiv gemacht: Während ‚Kohabitation‘ vor allem das gemeinsame Wohnen meint, bezeichnet ‚Koexistenz‘ das Nebeneinanderbestehen verschiedener Arten im gleichen Lebensraum unter Ausschluss von Konkurrenz. ‚Konvivialität‘ hingegen wird als freundliche Form des Miteinanders und der Gemeinschaftlichkeit verstanden, als eine ethische Praxis in Multispeziesgesellschaften, Orte und Räume auf aufmerksame und bedeutungsvolle Weise miteinander zu teilen.
Mit wissenschaftlichen Beiträgen von Fahim Amir, Thomas E. Hauck, Stefanie Hennecke, Anne Hölck, Kerstin Jürgens, Susanne Karr, Kurt Kotrschal, Markus Kurth, Matthias Lewy, Elisabeth Luggauer, Christina Katharina May, Sarah Mönkeberg, Tamara Nili-Freudenschuß, Sarah Oechslin, Michael K. Schulz, Helena Simonett, Janne Thomsen, Annette Voigt, Kerstin Weich und Ulf Wendler.

Die von Jessica Ullrich herausgegebene interdisziplinäre Fachzeitschrift Tierstudien ist die erste (und meines Wissens einzige) deutschsprachige „Zeitschrift“ zum Thema „Animal Studies“. Zu den Forschungsfelder gehören zum Beispiel die kritische Analyse von bildender Kunst, Film, Literatur und Populärkultur im Hinblick auf die kulturellen und sozialen Bedeutungsschichten von Mensch-Tier-Beziehungen. Besonderes Augenmerk liegt auf der Beziehung zwischen Mensch und Tier (aber auch Tier und Tier) in Hinsicht auf Kultur und Wissenschaft.
Die Zeitschrift erscheint halbjährlich seit 2012 und ist beim neofelis-verlag erhältlich.
Ausgabe 22 befasst sich mit Kohabitation, Koexistenz und Konvivalität:
Kohabitation: Das Zusammenleben verschiedener Arten (z. B. Haustier und Mensch)
Koexistenz: Das Nebenherleben verschiedener Arten im selben Lebensraum
Konvivialität: Eine Form des Zusammenlebens, die sich als freundliche Form des Miteinander und Gemeinschaftlichkeit versteht.
Die Autoren bieten Beispiele dieser Thematik auf unterschiedliche Weise und quer durch viele Bereiche der Animal studies. So führen geschichtliche Exkursionen in die Nutztierhaltung zu Pestzeiten oder in Posen 1900 – 1925. Susanne Kerr stellt Überlegungen zu Laura Jean McKays noch nicht auf deutsch erschienenen Roman „The Animals in that Country“.
Besonders beeindruckend finde ich die künstlerisch umgesetzten Beiträge zum Thema. Besonders interessant finde ich dabei den Ansatz von L.A. Watson mit ihrem ROADSIDE MEMORIAL PROJECT, Straßenschilder“, die als Mahnmal für getötete (kleine) Tiere dienen und den Autofahrer einen anderen Blickwinkel auf den Straßenrand vermitteln sollen.

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