ohne Rang: | Stirnwaffenträger (Pecora) |
Familie: | Hornträger (Bovidae) |
Unterfamilie: | Antilopinae |
Tribus: | Ziegenartige (Caprini) |
Gattung: | Ovibos |
Art: | Moschusochse (Ovibos moschatus) |
Moschusochsen besitzen eine stämmige Gestalt mit dicken, vor Kälte schützenden Fettpolstern. Auffällig sind der Buckel über der Schulter und der im Verhältnis zum übrigen Körper große Kopf. Ausgewachsene Tiere tragen außerdem eine ausgeprägte Mähne, die vom Widerrist bis zum Hornansatz reicht. Die männlichen Tiere wiegen 300–400 kg, sind 2,50 m lang und erreichen eine Schulterhöhe von ca. 1,50 m. Die Kühe wiegen 200–300 kg, werden 2,30 m lang und bis zu 1,30 m hoch.
Die bei beiden Geschlechtern kräftig ausgebildeten Hörner sind mit nach oben gerichteten Spitzen gebogen. Die Hornbasen an der Stirn der Männchen sind als elastische Wülste verdickt und verbreitert, die der Weibchen dagegen dichter beieinander. Die Hörner werden als Waffe gegen Raubtiere und von männlichen Tieren während der Brunft eingesetzt. Sie fangen schon beim vier- bis sechswöchigen Kalb zu wachsen an, doch ist die Hornbildung erst um das sechste Lebensjahr abgeschlossen. Etwa gleich lang dauert es auch, bis die Weibchen ihr Endgewicht erreicht haben, während bei den Männchen das Wachstum erst ein Jahr später endet.
Das Auge des Moschusochsen ist an die besonderen Bedingungen des arktischen Lebensraums gut angepasst: Große Pupille und hochempfindliche Netzhaut gewähren einerseits ausreichende Sehfähigkeit, wenn die Sonne während der Wintermonate unter dem Horizont bleibt und als einzige Lichtquelle Mond und Sterne dienen. Andererseits kann sich die Pupille zu einem horizontalen Schlitz verengen oder ganz verschließen und so vor Schneeblindheit schützen. Außerdem schützen Pigmentkörperchen die Netzhaut vor blendendem, von Schnee reflektiertem Sonnenlicht.
Die Hufe sind breit, rund und scharfkantig. Mit den größeren Vorderhufen sind die Moschusochsen in der Lage, Schnee wegzukratzen oder Eis aufzubrechen.
Das lange, dichte Fell der Moschusochsen ist aus mehreren unterschiedlichen Haararten zusammengesetzt und reicht fast bis zu den Hufen hinunter. Vor allem das sehr dichte Winterfell lässt die Tiere massig erscheinen. Gegen Ende des Winters ist dieses Haar ausgeblichen und die Fellfarbe überwiegend gelbbraun statt dunkel- bis schwarzbraun. Am Sattel und an den Füßen kommen auch hellbeige bis gelbbraune Haarfarben vor; Scrotum und Euter sind graubeige. Einzelne Tiere und auch manche Populationen haben helle Haare auch im Gesicht. Ältere Tiere sind generell etwas heller gefärbt.
Unmittelbar auf der Haut liegt ein dichtes, 5 cm langes Unterfell aus feiner Wolle. Es bedeckt das ganze Tier außer an Hufen, Hörnern und einer kleinen Stelle zwischen Nüstern und Lippen; sein Wechsel erfolgt in den Monaten Mai bis Juli. Darüber liegt eine Schicht grober Schutz- oder Grannenhaare, die wesentlich länger (45 bis 62 cm) sind und vor allem Hinterteil, Bauch, Flanken und Kehle bedecken. Das längste Schutzhaar wird an der Kehle getragen – daher der Name Umimmaq.
Die Haut besitzt keine Talgdrüsen, weshalb die Haare Wasser und Regen nicht abweisen können. Die an eine überwiegend trockene Umgebung gewöhnten Tiere sind besonders gefährdet: Nässe führt bei ihnen nicht selten zu tödlich endenden Erkältungskrankheiten.
Kälber haben bei der Geburt zimtfarbenes Deckhaar und ein Unterfell aus dunkler Wolle, das sie gemeinsam mit den isolierenden Fettdepots vor der Kälte schützt. Das längere Deckhaar erscheint erstmals am Ende des ersten Lebensjahres.
Wie erwähnt verlieren die Moschusochsen zur Mitte des Sommers ihre Unterwolle. Da ihr Wechsel nicht gleichzeitig mit den Grannenhaaren erfolgt und die feinen Wollhaare an den Grannen haften bleiben, wirken die Tiere eine Zeitlang sehr zottig.
Die Unterwolle der Moschusochsen zählt zu den feinsten natürlichen Fasern. Bezogen auf ihr Gewicht ist sie achtmal wärmer als Schafswolle und so weich wie die Unterwolle der Kaschmirziegen. In Alaska hat man deshalb Versuche unternommen, Moschusochsen als Wollelieferanten zu domestizieren. Aus dem Fell der halbzahmen Tiere wird die Unterwolle von Hand herausgekämmt und zu hochwertigen Schals und Pullovern verarbeitet. Ein domestizierter Moschusochse liefert durchschnittlich 2,5 kg Wolle im Jahr, woraus Wollgarn von rund 18 km Länge mit einem Handelswert von ca. 8.200 US-Dollar hergestellt wird. Die Wolle ist unter der Inuktitut-Bezeichnung Qiviut im Handel.
Heute leben Moschusochsen in größerer Zahl in Grönland, Kanada, Sibirien und Alaska sowie als kleinere Herden in Norwegen und Schweden. Allerdings ist nur ihr Vorkommen im Norden Kanadas und im Nordosten von Grönland natürlichen Ursprungs. In Alaska wurden die Moschusochsenbestände um die Wende zum 20. Jahrhundert ausgerottet. Eine Wiederansiedlung gelang, nachdem grönländische Moschusochsen in den 1930er Jahren auf der vor der Westküste Alaskas gelegenen Insel Nunivak ausgesetzt wurden und sich von dort wieder entlang des arktischen Festlands verbreiteten.
Wiederansiedlungen in anderen Regionen Grönlands, in Sibirien und in Norwegen verliefen ebenfalls erfolgreich. Im norwegischen Dovrefjell-Nationalpark bedurfte es allerdings 20 Jahre dauernder Versuche, bis 1947 die Wiederansiedlung einer Moschusherde gelang. Aktuell (2011) leben im Dovrefjell-Nationalpark etwa 300 Tiere. Heute in Schweden lebende Tiere entstammen einer aus einem Bullen, zwei Kühen und zwei Kälbern bestehenden Herde, die 1971 von Norwegen hierher wechselte. Auch auf der im Nordpolarmeer gelegenen russischen Wrangelinsel, die 2004 von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt wurde, konnten Moschusochsen erfolgreich ausgesetzt werden; sie bilden inzwischen eine Herde von etwa 100 Tieren. Ebenso gelang die Ansiedlung auf der Taimyr-Halbinsel. Ansiedlungsversuche auf Island sind dagegen bislang gescheitert.
Moschusochsen bevorzugen als Lebensraum niederschlagsarme Tundren. Sie tolerieren große Kälte, sind aber empfindlich gegen anhaltende Feuchtigkeit. Überwiegend halten sie sich in tiefer gelegenen Ebenen und Flusstälern auf, in denen sich während des Sommers Schmelzwasser und die geringen Niederschläge auf dem Permafrostboden sammeln und eine für arktische Verhältnisse saftige Vegetation wachsen lassen. Sie ernähren sich von Holzgewächsen wie Birken und Weiden, von denen sie die Blätter abstreifen, und von Kräutern wie Sauergräsern, Süßgräsern, Flechten und Moosen.
Männliche Tiere weisen nur während einer Zeit von zwei Monaten im Jahr eine positive Nahrungsbilanz (Gewichtszunahme) auf, und während weiterer vier Monate ist ihre Nahrungsbilanz neutral (keine Gewichtsveränderung). Weibliche Tiere haben während fünf Monaten im Jahr eine positive Nahrungsbilanz und während der verbleibenden sieben Monate eine negative Nahrungsbilanz. Beide Geschlechter zehren während des langen arktischen Winters von ihren Fettreserven. Die Weibchen nutzen darüber hinaus ihre Fettreserven in den Zeiten, in denen sie ihre Kälber säugen.
Gelingt es einem Tier wegen schlechter Weide- und Wetterbedingungen nicht, eine für den Winter ausreichende Fettreserve aufzubauen, droht der Hungertod, meist im Spätwinter und zu Frühjahrsbeginn.
Von der Anwesenheit der Moschusochsen profitieren eine Reihe anderer Tierarten: Schneeammern und Spornammern etwa polstern ihre Nester mit der überall in der Tundra zu findenden weichen Moschusochsenwolle aus; im Winter fressen Eishasen und Schneehühner von den von Moschusochsen frei gescharrten Pflanzen. In der Nähe von Moschusochsen beobachtet man nicht selten auch Polarfüchse, doch gibt es dafür bisher keine Erklärung.
Weibliche Moschusochsen werden im Alter von etwa vier Jahren fortpflanzungsfähig. Männliche Tiere erreichen ihre sexuelle Reife nach sechs Jahren. Nur in Lebensräumen mit außergewöhnlich guten Bedingungen, wie sie beispielsweise im norwegischen Dovrefjell gegeben sind, werden die Tiere früher geschlechtsreif.
Die Paarungszeit liegt in den Sommermonaten Juli und August. Die Kuh ist 7 bis 9 Monate trächtig und gebiert meist nur ein Kalb, das bei der Geburt etwa 10 bis 14 kg wiegt. Jährliche Geburten sind möglich; das hängt jedoch von den Bedingungen des Lebensraums ab.
Bei der Geburt verfügt das Kalb über einen Vorrat an braunem Fettgewebe, das der Wärmeproduktion dient. Der Biogeograf Chris Lavers, University of Nottingham (Großbritannien), berichtet, dass es einem Moschusochsenkalb möglich ist, diesen Brennstoffvorrat so zu nutzen, dass 13 Mal so viel Wärme freigesetzt wird wie bei einem Menschen im Ruhezustand.
Die Säugezeit beträgt bis zu 15 Monate, obwohl die Kälber bereits eine Woche nach der Geburt zu grasen beginnen.
Während des Sommers umfasst eine Herde 5 bis 15, im Winter bis zu 100 Tiere. Der Natur-Essayist und Fotograf Barry Lopez erklärt, dass es problematisch ist, aus einzelnen Beobachtungen auf die Herdenzusammensetzung und typische Verhaltensmuster zu schließen. Er hebt bei den Moschusochsen als einzigartig unter den Wiederkäuern hervor, dass sie besonders engen Körperkontakt zueinander halten und selbst während der Flucht Schulter an Schulter und Flanke an Flanke galoppieren. Die Herden verhalten sich jedoch nicht nur während der Flucht synchron. Auch die Fress- und Ruhephasen, die jeweils 100 bis 150 Minuten dauern, werden von der gesamten Herde eingehalten.
Anders als Rentiere und insbesondere Karibus unternehmen Moschusochsen keine großen Wanderungen, sondern durchziehen täglich langsam ihr Revier und legen dabei durchschnittlich etwa 2 km zurück. Bullen wie Kühe beeinflussen die Bewegung der Herde und ihr Verhalten. So ergaben z. B. Beobachtungen in Norwegen, dass dort stets eine ältere Kuh die sich möglichst gradlinig bewegenden Tiere anführt.
Auch liegen die Sommer- und Winterreviere häufig nur wenige Kilometer auseinander. Im norwegischen Dovrefjell, wo für die Tiere besonders gute Lebensbedingungen herrschen, halten sie sich das ganze Jahr über in einem Gebiet auf, das nur etwa 8 mal 13 km misst.
Die natürlichen Feinde der Moschusochsen sind Polarwölfe, gelegentlich auch Eis- und Braunbären (bzw. Grizzlybären). Bei Angriffen fliehen die Tiere zunächst an einen etwas erhöhten oder flach mit Schnee bedeckten Ort und wenden sich dann in einer phalanxförmigen Aufstellung mit dem Gesicht dem Angreifer zu. Werden sie z. B. durch Wölfe eingekreist, ist diese Phalanx kreisförmig; die Jungtiere stehen geschützt innerhalb dieses Kreises. Einzelne Tiere – Bullen, Kühe, aber auch Halbwüchsige – brechen dann immer wieder aus dem Kreis aus und attackieren die Angreifer. Wölfe sind bei ihrem Angriff nur erfolgreich, wenn es ihnen gelingt, ein solches attackierendes Tier von der Herde abzudrängen, oder wenn sie durch eine Lücke in der Phalanx ein Kalb ergreifen können.
Während der Brunftzeit kommt es unter den Bullen zu beeindruckenden Rangkämpfen. Zu den Drohgebärden vor dem eigentlichen Kampf gehören neben herausforderndem Brüllen das Reiben der Voraugendrüsen am Boden oder am Vorderbein und während eines langsamen und steifbeinigen Parallelschritts das seitliche Zeigen von Hörnern und Kopf. Beim eigentlichen Kampf galoppieren die Bullen frontal aufeinander zu und prallen mit den Stirnen voll Wucht aufeinander. Dies kann sich bis zu zwanzigmal wiederholen. Der Aufprall ist dabei so heftig, dass einer der beiden Kämpfer nicht selten auf die Hinterkeulen zurücksinkt oder beide Tiere sich aneinander hoch richten. Zum Kampfverhalten gehört es auch, dass die Widersacher einander in die Seiten stechen und sich so gelegentlich sogar tödlich verletzen.
Verlierer sondern sich in der Regel von der Herde ab und leben in der Folge einzelgängerisch oder schließen sich mit anderen männlichen Tieren zusammen. In der Herde werden sie nur noch geduldet, wenn sie sich gegenüber dem Leitbullen unterwürfig verhalten.
Die Werbung um die Weibchen beginnt im Juni. Der Leitbulle folgt dann seinen Weibchen, beriecht sie ausgiebig und beginnt mit angehobenem Kopf zu flehmen. Die Werbung wird bis August immer intensiver. Zur Paarung bleibt die Kuh stehen, während der Bulle aufreitet und ihre Flanken mit den Vorderläufen umklammert.
Als am nächsten verwandte Tierart galt nach bisherigem Wissensstand der nordtibetische Takin. Als weitere Verwandte wurden der Serau, die Gämse, die Schneeziege und der Mähnenspringer angesehen. Die nahe Verwandtschaft zwischen dem Takin und dem Moschusochsen wurde von Wissenschaftlern seit 1850 vermutet, da sich beide Tiere in Körperbau und Verhalten ähneln. Genetische Untersuchungen der Wissenschaftlerin Pam Groves bestätigen dies jedoch nicht. Ihre Untersuchungen legen stattdessen nahe, dass der nächste Verwandte der Goral ist, eine kleine Ziegenart aus Asien, die sich vom Moschusochsen äußerlich deutlich unterscheidet.