Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

Vor zwei Wochen gab es einige Probleme mit dem Blog. Diese sind inzwischen gelöst, allerdings wurde im Rahmen der Problemlösung auch eine (auf den ersten Blick unwichtige) Email-Adresse gelöscht. Im Nachhinein hat sich dann festgestellt, dass diese Adresse jene ist, die ich benutze um interessante Pressemitteilungen zu bekommen. Leider habe ich das erst später bemerkt, weshalb es letzte Woche keine wissenschaftlichen Pressemitteilungen gab. Und vermutlich sind mir (und den Lesern dieses Blogs) dadurch einige neue wissenschaftliche Kenntnisse entgangen.

04.07.2022, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Jüngste fossile Riesenschildkröte Europas entdeckt
Ein internationales Team aus Wissenschaftlern, unter ihnen die Senckenberger Uwe Fritz und Christian Kehlmaier, hat in der Höhle Zubbio di Cozzo San Pietro auf Sizilien – einer Begräbnisstätte aus der Kupfer-/Bronzezeit – einen erstaunlichen Fund gemacht: Knochen einer Riesenschildkröte. Die Skelettfragmente wurden auf eine Zeit von 12.500 Jahre vor heute datiert. Sie stammen somit nicht aus dem zeitlichen Kontext der weiteren Funde in der Höhle. Es gab Riesenschildkröten in Europa demnach wesentlich länger als bisher bekannt war. Die Tiere waren Zeitgenossen moderner Menschen, die womöglich zu ihrem Verschwinden beigetragen haben.
Die Fundstätte Zubbio di Cozzo San Pietro ist ein prähistorischer Bestattungsbereich, in dem die Schildkröten-Knochen in eine jüngere Fundschicht geraten sind. „Es war ein Glücksfall, dass sich unter den Funden ein intakter Oberschenkelknochen befand“, so Prof. Dr. Uwe Fritz von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden und weiter: „Aufgrund ihrer Stabilität gehören Oberschenkelknochen zu den am häufigsten und am besten erhaltenen Fundstücken großer fossiler Schildkröten. Sie sind ein wichtiger Anhaltspunkt um welche Art es sich handelt.“
Vergleiche des Oberschenkelknochens mit anderen Landschildkröten-Arten erlaubten, die Größe des Tieres zu ermitteln. Die sizilianische Art hatte eine Panzerlänge von 50 bis 60 Zentimetern. Sie war damit bis zu drei Mal so groß wie die heute noch auf Sizilien vorkommenden Griechischen Landschildkröten (Testudo hermanni), aber deutlich kleiner als beispielsweise die heute noch lebenden Riesenschildkröten von Galapagos. Außerdem unterscheidet sich die sizilianische Riesenschildkröte in der Form des Oberschenkelknochens sehr stark von allen heute noch lebenden Landschildkröten und von den meisten fossilen Arten. Sehr ähnliche Knochen sind allerdings von anderen Riesenschildkröten aus dem Mittelmeergebiet bekannt, die schon früher ausgestorben sind.
Der leitende Wissenschaftler der Veröffentlichung Prof. Dr. Massimo Delfino von der Universität Turin erläutert: „Wir ziehen daher die Schlussfolgerung, dass diese Arten aus dem Mittelmeergebiet eine heute komplett erloschene Evolutionslinie darstellen. Sie unterscheiden sich so stark von allen anderen Landschildkröten, dass sie als eigene Gattung Solitudo betrachtet werden können. Die neu entdeckte sizilianische Art Solitudo sicula ist der Vertreter dieser Gattung, der am längsten überlebt hat und vielleicht auch von altsteinzeitlichen Menschen gejagt und gegessen wurde.“ Ob die Jagd durch den Menschen zum Aussterben der sizilianischen Riesenschildkröte beigetragen hat oder nicht, ist derzeit aber noch nicht bekannt. Fritz ergänzt: „Wenn ich mir die globalen Muster von Aussterbeereignissen anschaue, liegt aber die Vermutung nahe, dass der Mensch eine Rolle spielte. Der Kollaps relativ großer und leicht zu jagender Arten fand häufig parallel zur Ausbreitung des modernen Menschen statt – Sizilien wird hier keine Ausnahme sein!“
Originalpublikation:
The last of the large-sized tortoises of the Mediterranean Islands. Pietro Valenti, Evangelos Vlachos, Christian Kehlmaier, Uwe Fritz, Georgios L. Georgalis, Àngel Hernández Luján, Roberto Miccichè, Luca Sineo und Massimo Delfino. In: Zoological Journal of the Linnean Society https://doi.org/10.1093/zoolinnean/zlac044

05.07.2022, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Unsere vielfältigen Vorfahren
Wo die Ursprünge der frühesten Angehörigen der Gattung Mensch (Homo) liegen und wie diese verbreitet waren, wird in der Paläoanthropologie nach wie vor heftig diskutiert. Ein Team von Wissenschaftler*innen, unter ihnen die beiden Senckenberger PD Dr. Ottmar Kullmer und Prof. Dr. Friedemann Schrenk, hat mittels Mikro-Computertomographie 23 Backenzähne aus Südafrika, mit einem Alter von 2,5 bis 1,4 Millionen Jahren, untersucht. In ihrer Studie zeigen sie, dass höchstens sieben der bislang den Frühmenschen zugerechneten Zähne aus Südafrika tatsächlich zur Gattung Homo gehören. Die anderen Fossilien stammen von den beiden Vormenschen-Gattungen Australopithecus oder Paranthropus.
Die korrekte Identifizierung der frühesten Angehörigen unserer Gattung ist entscheidend, um zu verstehen, wann, wo und wie die Gattung Homo auf dem afrikanischen Kontinent entstanden ist. Das Fehlen einer einheitlichen Definition von Homo führte bislang zu endlosen wissenschaftlichen Debatten. In Südafrika wurden Fossilien von mehreren Fundorten (Sterkfontein, Swartkrans, Kromdraai, Drimolen) mit einem Alter von 2,5 bis 1,4 Millionen Jahren bislang der Gattung Homo zugeordnet. Einige dieser Funde wurden aber auch früher schon als potenzielle Mitglieder der Gattungen Australopithecus und/oder Paranthropus angesehen. Die Unsicherheiten einer präzisen Zuordnung verhinderten aber eine verlässliche Bewertung der Biodiversität der Homininen-Gattungen im südlichen Afrika und der evolutionären Beziehungen zwischen Homo, Australopithecus und Paranthropus. Auch der Ursprung der Gattung Homo blieb letztendlich ungelöst.
Ein internationales Forschungsteam um Clément Zanolli von der Universität Bordeaux mit Beteiligung von Wissenschaftlern des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums Frankfurt hat nun eine umfassende Revision der Zahnreste aus Südafrika, die dem frühen Homo zugeschrieben werden, veröffentlicht. Die Studie basiert auf sogenannten geometrisch-morphometrischen Vermessungen der Zahnschmelz-Dentin-Grenze, einer inneren Struktur der Zähne, deren Ausprägung sich als zuverlässig zur Unterscheidung von Homininen-Arten erwiesen hat.
„Von den 23 angeblichen Homo-Exemplaren werden nur vier statistisch als Homo klassifiziert. Drei weitere Fossilien, die zwar etwas ursprünglichere Strukturmerkmale in den Zähnen aufweisen, gehören möglicherweise ebenfalls zur Gattung Mensch. Bei allen anderen fossilen Zähnen handelt es sich wahrscheinlich eher um Australopithecus oder Paranthropus“, berichtet Zanolli.
Einer der bekanntesten Überreste aus Südafrika ist der Unterkiefer mit der Katalognummer SK 15 aus der Höhle von Swartkrans. Er wurde jahrzehntelang der Urmenschen-Art Homo ergaster zugeschrieben und erweist sich nun stattdessen als wahrscheinlich mit den Nussknackermenschen (Paranthropus) verwandt. Der niedrige und robuste Unterkieferkorpus sowie die Form des Kinnbereichs stimmen mit Paranthropus überein.
Geochemische Analysen und Elementkartierungen an zwei mutmaßlichen frühen Homo-Exemplaren aus Südafrika, die Aussagen zu Ernährung und Lebensweise erlauben, unterstreichen die Ergebnisse der geometrisch-morphometrischen Zahnanalysen. Sie belegen die Zugehörigkeit der Fossilien zu den Gattungen Australopithecus und Paranthropus. „Die Ergebnisse verdeutlichen, wie wichtig neue Untersuchungsmethoden mit modernen bildgebenden Verfahren sind, für einen detaillierten Vergleich von fossilen Zähnen und für die korrekte Zuordnung von Fossilien und die Identifikation von Homininen-Gattung und -Arten“, sagt Clément Zanolli.
Eine falsche Zuordnung zur Gattung Homo, obwohl es sich in Wirklichkeit um Australopithecus oder Paranthropus handelt, würde die Interpretationen paläoökologischer Aspekte, wie beispielsweise das Ernährungsverhalten, oder auch die Biodiversität der Homininen, deren Anpassungen und ihre evolutionären Beziehungen, völlig verfälschen“, ergänzt Paläoanthropologe und Mitautor der Studie Ottmar Kullmer vom Senckenberg Forschungsinstitut Frankfurt.
Originalpublikation:
Zanolli C., Davies T.W., Joannes-Boyaud R., Beaudet A., Bruxelles L., de Beer F., Hoffman J., Hublin J.J., Jakata K., Kgasi L., Kullmer O., Macchiarelli R., Pan L., Schrenk F., Santos F., Stratford D., Tawane M., Thackeray F., Xing S., Zipfel B. & Skinner M.M. (2022) Novel dental data challenge the ubiquitous presence of Homo in the Cradle of Humankind. Proceedings of the National Academy of Sciences USA.

05.07.2022, Veterinärmedizinische Universität Wien
Evolution der Gehirngröße: Fische zeigen fundamentale Unterschiede zwischen Wirbeltiergruppen auf
Eine soeben veröffentlichte Studie des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni testet einige gängige Hypothesen zum evolutionären Nutzen großer Gehirne. Demnach ist die Lebensdauer von Fischen mit großen Gehirnen kürzer als die von Arten mit kleinen Gehirnen. Und Fische mit kleineren Gehirnen investieren eher in Brutpflege als solche mit großen Gehirnen. Beide Erkenntnisse stehen in starkem Kontrast zu Ergebnissen von Studien an Vögeln und Säugetieren. Vor diesem Hintergrund betonen die Wissenschaftler, wie wichtig es ist, Hypothesen umfassend zu testen und sich dabei nicht auf einige Tierarten zu beschränken.
Die Gehirngröße variiert im Tierreich erheblich. Da die Entwicklung und Erhaltung eines großen Gehirns aufwändig ist, stellt sich aus evolutionärer Sicht die Frage, warum einige Organismen mehr in ihr Gehirn investieren als andere. Typischerweise werden die Unterschiede der Gehirngröße mit Kompromissen erklärt: Die Vorteile eines größeren Gehirns, wie beispielsweise verbesserte kognitive Fähigkeiten, werden gegen potenzielle Kosten, wie beispielsweise einen erhöhten Energiebedarf, abgewogen. In diesem Rahmen wurden von der Wissenschaft mehrere Hypothesen formuliert, die unterschiedliche Schwerpunkte auf ökologische, verhaltensbezogene oder physiologische Aspekte von Kompromissen bei der Entwicklung der Gehirngröße legen. Allerdings beziehen sich diese Hypothesen zu einem großen Teil auf Säugetiere und Vögel, weshalb unklar ist, inwieweit die jeweiligen Argumente allgemein gültig sind.
Bisherige Hypothesen sind nur zum Teil allgemein gültig
In ihrer soeben im „Journal of Evolutionary Biology“ veröffentlichten Studie testeten die beiden Forscher deshalb nun drei der prominentesten Hypothesen – die Hypothesen „teures Gewebe“ („expensive tissue“), „soziales Gehirn“ („social brain“) und „kognitiver Puffer“ („cognitive buffer“) – anhand von Fischen. Basis der Analyse war ein umfassender Datensatz, der aus einer öffentlich zugänglichen Ressource („FishBase“: www.fishbase.se) stammt. In Übereinstimmung mit den Vorhersagen der „teuren Gewebe“- und der „sozialen Gehirn“-Hypothese sind zumindest bei einigen Fischgruppen größere Gehirne mit verringerter Fruchtbarkeit und erhöhter Sozialität verbunden.
Andere Hypothesen konnte die Studie jedoch nicht verifizieren, wie Studien-Erstautor Stefan Fischer vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni erklärt: „Entgegen den gängigen Hypothesen ist die Lebensdauer bei Fischen mit großen Gehirnen verkürzt. Außerdem haben Arten, welche elterliche Fürsorge übernehmen, tendenziell kleinere Gehirne.“ Somit ist bei Fischen die Brutpflege indirekt proportional zur Gehirngröße – laut den Forschern eine überraschende Erkenntnis.
Grundlegende Hypothesen sollten anhand unterschiedlicher Taxa geprüft werden
Die Conclusio der Studie: Einige potenzielle Kosten (reduzierte Fruchtbarkeit) und Vorteile (erhöhte Sozialität) großer Gehirne scheinen für Wirbeltiere nahezu universell zu sein, während andere eher abstammungsspezifische Auswirkungen haben. Die Forschungsarbeit unterstreicht damit laut Studien-Letztautor Arne Jungwirth vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni die Notwendigkeit einer taxonomisch vielfältigen Herangehensweise an alle grundlegenden Fragen der Evolutionsbiologie: „Unsere Arbeit zeigt deutlich, dass es notwendig ist, selbst vermeintlich gut etablierte Hypothesen anhand möglichst vieler verschiedener Taxa, also Gruppen von Tieren, zu testen – das Leben ist vielfältiger und faszinierender, als es unsere Theorien glauben machen.“
Originalpublikation:
Der Artikel „The costs and benefits of larger brains in fishes“ von Stefan Fischer und Arne Jungwirth wurde im „Journal of Evolutionary Biology“ veröffentlicht.
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/jeb.14026

06.07.2022, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Beim Sex gestorben: Rätsel zu Froschfossilien der Geiseltalsammlung geklärt
Es waren nicht die äußeren Umstände, die dazu führten, dass Hunderte Frösche vor 45 Millionen Jahren in einem Sumpf des Geiseltals in Mitteldeutschland starben. Stattdessen ertranken die Tiere aller Wahrscheinlichkeit nach bei der Paarung, wie ein Team des University College Cork (UCC) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) herausgefunden hat. Eine andere Erklärung sei unwahrscheinlich, da die Tierfossilien keine sichtbaren Verletzungen aufweisen, wie das Team in der Fachzeitschrift „Papers in Palaeontology“ schreibt.
Vor etwa 45 Millionen Jahren – im mittleren Eozän – war die Erde viel wärmer und das Gebiet des Geiseltals, ein ehemaliges Braunkohlerevier im Süden Sachsen-Anhalts, war ein sumpfiger subtropischer Wald. „Hier lebten unter anderen kleine Vorfahren der Pferde, bissige Landkrokodile und Riesenschlangen, Eidechsen, Laufvögel sowie viele Frösche und Kröten“, sagt der Kustos der Geiseltalsammlung Dr. Oliver Wings vom Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen der MLU. In deren Bestand befinden sich auch mehrere hundert Froschfossilien. Frühere Studien haben die Vermutung nahegelegt, dass die teilweise an Land lebenden Geiseltalfrösche durch das Austrocknen von Seen oder durch Sauerstoffmangel im Wasser starben. „Bis jetzt gab es jedoch keinen eindeutigen Befund, der auf nur eine Lösung hingedeutet hat“, so Wings weiter.
Gemeinsam mit den Paläontologen Prof. Dr. Maria McNamara und Daniel Falk vom University College Cork untersuchte Wings die fossilen Frösche deshalb noch einmal – so konnte das Team mehrere Möglichkeiten ausschließen. „Soweit wir wissen, waren die fossilen Frösche gesund, als sie starben. Die Knochen weisen keine Spuren von Raubtieren oder Aasfressern auf. Es gibt auch keine Hinweise darauf, dass sie bei Überschwemmungen angeschwemmt wurden oder starben, weil der Sumpf austrocknete“, sagt Erstautor Daniel Falk. Außerdem handele es sich bei den meisten fossilen Fröschen aus dem Geiseltal um Arten, die ihr Leben an Land verbrachten und nur zur Eiablage ins Wasser zurückkehrten. „Nach dem Ausschlussverfahren ist die einzig sinnvolle Erklärung, dass sie während der Paarung gestorben sind“, so Falk.
Dieses Phänomen ist auch bei heutigen Fröschen weit verbreitet. „Weibliche Frösche sind einem höheren Risiko des Ertrinkens ausgesetzt, da sie oft von mehreren Männchen untergetaucht werden. Das geschieht häufig bei Arten, die sich während der kurzen, explosiven Brutzeit in Paarungsgemeinschaften zusammenfinden“, erklärt Prof. Dr. Maria McNamara. Besonders interessant sei, dass fossile Frösche von anderen Fundorten ebenfalls diese Merkmale aufweisen. Das deute darauf hin, dass das Paarungsverhalten moderner Frösche sehr alt ist und seit mindestens 45 Millionen Jahren besteht.
Das Geiseltal in Mitteldeutschland ist ein besonderer Ort für die paläontologische Forschung: Mehr als 50.000 Fossilien von Urzeittieren und -pflanzen wurden seit Anfang des 20. Jahrhunderts dort gefunden. „Das Geiseltal besaß im Eozän einzigartige geologische Erhaltungsbedingungen. Mit seinen Tausenden Fossilien liefert es uns bis heute immer wieder neue Erkenntnisse zur Lebensweise und Evolution von Pflanzen und Tieren über mehrere Millionen Jahre hinweg“, so Wings abschließend.
Originalpublikation:
Studie: Falk D., Wings O., McNamara M. The skeletal taphonomy of anurans from the Eocene Geiseltal Konservat-Lagerstätte, Germany: insights into the controls on fossil anuran preservation. Papers in Palaeontology (2022) doi: 10.1002/spp2.1453
https://doi.org/10.1002/spp2.1453

07.07.2022, Universität Hamburg
Studie weist erstmals Erholung der Finnwal-Bestände in der Antarktis nach
Finnwale wurden in der Antarktis durch industriellen Walfang nahezu ausgerottet. Nun konnte ein Forschungsteam um Dr. Helena Herr von der Universität Hamburg erstmals systematisch zeigen, dass sich die Bestände erholen. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin „Scientific Reports“ veröffentlicht.
Die Finnwale der Südhemisphäre bilden die Unterart Balaenoptera physalus quoyi. Sie werden durchschnittlich 22 Meter lang, wiegen um die 70 Tonnen und ernähren sich hauptsächlich von Krill und kleinen Schwarmfischen. In der Antarktis wurde die Population im 20. Jahrhundert durch Jagd auf ein bis zwei Prozent ihrer ursprünglichen Größe dezimiert. 1976 wurde die Fangquote für Finnwale auf null gesetzt, doch die Tiere kehrten nur vereinzelt in ihre angestammten Nahrungsgebieten zurück.
Nachdem bei einzelnen Expeditionen in den 2000er-Jahren wieder mehr Tiere gesichtet wurden, hat das Forschungsteam um Dr. Helena Herr, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Biologie sowie am Centrum für Erdsystemwissenschaften und Nachhaltigkeit der Universität Hamburg, die Vorkommen nun erstmals systematisch untersucht. Bei zwei Expeditionen in die Antarktis 2018 und 2019 konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nachweisen, dass die Finnwale wieder in großer Zahl in den Nahrungsgründen zu finden sind. Mithilfe von Drohnenflügen, Beobachtungen vom Schiff und vor allem sogenannter schiffsgestützter Helikoptersurveys wurden erstmals wieder Ansammlungen von fressenden Finnwalen dokumentiert, zweimal waren es bis zu 150 Tiere.
„Diese hohe Tierdichte und das Wiederauftreten sogenannter Fressaggregationen, die seit Beginn des Walfangs nicht mehr beobachtet wurden, deuten auf eine Populationserholung hin“, erklärt Dr. Helena Herr, die auch Gastwissenschaftlerin am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) ist. Aus Sicht der Forschenden zeigt das Verbot der Waljagd damit Erfolg. Und auch auf das Ökosystem hat die Erholung der Bestände positive Auswirkungen: Die Ausscheidungen der Finnwale sorgen in den oberen Wasserschichten für mehr Nährstoffe, insbesondere Eisen, was wiederum anderen Lebewesen zugutekommt.
Der Effekt, der als „Whale Pump“ bezeichnet wird, könnte auch im Kampf gegen den Klimawandel relevant sein: „Die Kleinstlebewesen, die von dem reicheren Nährstoffangebot profitieren, nehmen viel CO2 auf und leisten so einen wichtigen Beitrag zum Abbau von Kohlenstoff in der Atmosphäre“, so Herr. Die CO2-Bindung eines der weltweit bedeutendsten Meeresgebiete könnte durch die größeren Walpopulationen also gesteigert werden.
Die Studie ist eine Kooperation der Universität Hamburg mit dem AWI sowie der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, dem Helmholtz-Institut für Funktionelle Marine Biodiversität Oldenburg und der BBC. 2018 wurde die Forschung im Rahmen einer Expedition des Forschungsschiffs „Polarstern“ unter Leitung der AWI-Biologin Prof. Bettina Meyer durchgeführt, 2019 war es eine Expedition der BBC auf der „Pelagic Australis“. Die BBC hatte bereits die erste Fahr begleitet und vom Helikopter sowie mithilfe von Drohnen Filmaufnahmen erstellte. Es sind die weltweit ersten Filmdokumentationen von Finnwal-Aggregationen.
Originalpublikation:
Herr, Helena; Viquerat, Sacha; Devas, Fredi; Lees, Abigail; Wells, Lucy; Gregory, Bertie; Giffords, Ted; Beecham, Dan; Meyer, Bettina (2022): Return of large fin whale feeding aggregations to historical whaling grounds in the Southern Ocean. Scientific Reports. DOI: https://doi.org/10.1038/s41598-022-13798-7

07.07.2022, Veterinärmedizinische Universität Wien
Genanalysen zeigen extreme Bedrohung des Gepards
Mit nur noch 7.100 in freier Wildbahn lebenden Tieren zählt der Gepard zu den gefährdeten Säugetierarten, einzelne Unterarten sind sogar akut vom Aussterben bedroht. Doch es ist nicht die geringe Zahl der Individuen allein. Eine soeben veröffentlichte internationale, vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Vetmeduni geleitete Genanalyse zeigt, dass die genomweite Heterozygotie (Mischerbigkeit) extrem gering ist. Gleichzeitig bestätigt die Studie die Einteilung der ostafrikanischen und der südafrikanischen Geparde in zwei eigenständige Unterarten.
Die in „Molecular Ecology“ veröffentlichte Studie präsentiert die bisher umfassendste genomweite Analyse der Phylogeographie und Erhaltungsgenomik von Geparden (Acinonyx jubatus) und stellt Proben aus fast der gesamten aktuellen und früheren Verbreitung zusammen. Die Wissenschafter:innen weisen nach, dass ihre Phylogeographie – also die phylogenetische und geographische Herkunft einzelner genetischer Linien – komplexer ist als bisher angenommen, und dass sich ostafrikanische Geparden (A. j. raineyi) genetisch von südafrikanischen Individuen (A. j. jubatus) unterscheiden – was ihre Anerkennung als eigenständige Unterart rechtfertigt.
Hohe Inzucht und geringe Mischerbigkeit bei bedrohten Unterarten
Studien-Letztautorin Pamela Burger vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Vetmeduni erläutert die grundlegenden neuen Erkenntnisse: „Wir fanden eine starke genetische Differenzierung zwischen allen klassisch anerkannten Unterarten und widerlegen damit frühere Annahmen, dass Geparden eine nur geringe Differenzierung aufweisen. Die stärkste Differenzierung beobachteten wir zwischen der asiatischen und allen afrikanischen Unterarten.“
Bei den vom Aussterben bedrohten iranischen (A. j. venaticus) und nordwestafrikanischen (A. j. hecki) Unterarten stellten die Wissenschafter:innen eine hohe Inzucht fest. Insgesamt ergibt sich daraus laut Stefan Prost (FIWI) das folgende Bild: „Zusammen mit Schneeleoparden weisen Geparden die niedrigste genomweite Heterozygotie von allen Großkatzen auf. Das unterstreicht den kritischen Erhaltungszustand des Gepards.“
Wichtige Erkenntnisse für den Schutz des Gepards
Laut den Forscher:innen können die neu gewonnenen Informationen zur Phylogeographie von Geparden dabei unterstützen, im Artenschutz evidenzbasierte Entscheidungen zu treffen und so besser zum Schutz der stark gefährdeten Großkatze beizutragen. Dies ist besonders relevant angesichts laufender und geplanter Umsiedlungen von Geparden über Unterartengrenzen hinweg und der zunehmenden Bedrohung durch illegalen Handel. Einzelne Unterarten wie die, nur noch im Iran vorkommende Unterart A. j. venaticus, sind mit weniger als 50 Individuen vertreten und brauchen schnelle und effiziente Schutzmassnahmen.
Geparden halten Ökosystem in Balance
Spitzenprädatoren wie der Gepard nehmen in Ökosystemen eine wichtige Funktion ein. An der Spitze der Nahrungspyramide stehend tragen sie wesentlich dazu bei, ihren Lebensraum in Balance zu halten. Durch Biodiversitätsverlust und globale Umweltveränderungen sind viele große Fleischfresser allerdings vom Aussterben bedroht. Das kann weitreichende Auswirkungen auf Ökosysteme haben, etwa eine unkontrollierte Zunahme von Pflanzenfressern, die sich wiederum negativ auf die Regenerationsfähigkeit der Pflanzenwelt auswirkt. Der Gepard steuert auf eine ungewisse Zukunft zu. Von Lebensraumverlust, Mensch-Wildtier-Konflikten und illegalem Handel bedroht, leben nur noch etwa 7.100 Individuen in der Natur.
Originalpublikation:
Der Artikel „Genomic Analyses Show Extremely Perilous Conservation Status of African and Asiatic cheetahs (Acinonyx jubatus)“ von Stefan Prost, Ana Paula Machado, Julia Zumbroich, Lisa Preier, Sarita Mahtani-Williams, Rene Meissner, Katerina Guschanski, Jaelle C. Brealey, Carlos Rodríguez Fernandes, Paul Vercammen, Luke T. B. Hunter, Alexei V. Abramov, Martin Plasil, Petr Horin, Lena Godsall-Bottriell, Paul Bottriell, Desire Lee Dalton, Antoinette Kotze und Pamela Anna Burger wurde in „Molecular Ecology“ veröffentlicht.
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/mec.16577

07.07.2022, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Mottenmännchen: Mondsüchtig für die Liebe
Forschende unter Leitung der Universität Würzburg und mit Beteiligung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) haben erstmals gezeigt, dass der Mond eine Schlüsselrolle für das Fortpflanzungsverhalten männlicher Nachtfalter spielt: Wenn der Mond am Horizont erscheint, finden sie besser und schneller Weibchen. Glücklicherweise lassen sich die Mottenmännchen durch geringe Lichtverschmutzung nicht ablenken.
Im Rahmen des allgemeinen Insektenrückgangs sind auch die Nachtfalter weniger geworden. Sie sind wichtige nächtliche Bestäuber. Ein möglicher Grund für den Insektenschwund ist die Lichtverschmutzung, von der vor allem nachtaktive Arten betroffen sind, die sich an den Gestirnen orientieren und durch künstliche Lichtquellen abgelenkt werden können.
„Nachtaktive Insekten haben sich unter natürlichen nächtlichen Lichtverhältnissen entwickelt und können daher schwaches Licht, einschließlich Sternenlicht, zur Orientierung nutzen. Mistkäfer zum Beispiel können sich an der Milchstraße orientieren und auch Polarisationsmuster des Mondlichts wahrnehmen“, erläutert IGB-Forscher Dr. Franz Hölker, ein Mitautor der Studie.
Deshalb untersuchte das Forschungsteam das Fortpflanzungsverhalten von Mottenmännchen der Art Ligusterschwärmer (Sphinx ligustri) unter verschiedenen Lichtbedingungen in einer dunklen, von Lichtverschmutzung weitgehend verschonten Nachtlandschaft. Sie kombinierten Verhaltensexperimente mit detaillierten Lichtmessungen mit einer All-Sky-Kamera. „Damit ist es möglich, die nächtliche Lichtumgebung komplett zu erfassen und natürliche Lichtquellen beispielsweise von „Skyglow“ – eine Art indirekter Lichtverschmutzung – zu unterscheiden“, so Physiker und Mitautor Dr. Andreas Jechow. Das Team konnte so erstmalig zeigen, dass männliche Motten den Mond als Orientierung nutzen, um Weibchen zu finden.
Der Mond als Kompass:
Bei den Verhaltensexperimenten fanden die freigelassenen männlichen Falter die Weibchen in den Käfigen mit höherer Wahrscheinlichkeit und deutlich schneller, wenn der Mond über dem Horizont stand. Dabei spielte es keine Rolle, ob der Mond durch Wolken verdeckt war. Auch die Mondphase war kein Einflussfaktor. Allerdings spielte die Position des Mondes eine Rolle für die Flugrichtung: Je südlicher der Mond stand, desto eher flogen die Männchen mit den Weibchen zu den nach Süden ausgerichteten Käfigen – sie nutzen ihn quasi als Kompass.
Mottenmännchen lassen sich von geringer Lichtverschmutzung nicht beirren:
Entfernte künstliche Lichtquellen – wie etwa eine Lichtglocke am Horizont – lockten die Männchen nicht an. „Sobald der Mond über dem Horizont erscheint und sich von der allgemeinen Beleuchtung durch Lichtverschmutzung in Horizontnähe abhebt, fliegen die männlichen Falter dorthin und nicht weg“, sagt die Leiterin der Studie Dr. Jaqueline Degen von der Universität Würzburg. „Wir müssen noch herausfinden, wie das bei stärkerer Lichtverschmutzung durch eine oder mehrere starke Lichtquellen aussieht. Aber tatsächlich ist das jetzt erst mal eine gute Nachricht.“
Originalpublikation:
Storms, M., Jakhar, A., Mitesser, O. et al. The rising moon promotes mate finding in moths. Commun Biol 5, 393 (2022). https://doi.org/10.1038/s42003-022-03331-x

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