Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

03.08.2020, Eberhard Karls Universität Tübingen
Ein Riesenkranich aus dem Allgäu
Forschungsteam beschreibt rund elf Millionen Jahre alten Vogelschädel von der Fundstelle Hammerschmiede als frühesten Nachweis eines großen Kranichs in Europa
Den Schädel eines sehr großen Kranichs haben Frankfurter und Tübinger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der mehr als elf Millionen Jahre alten Fossilienfundstelle Hammerschmiede im Allgäu, Bayern, entdeckt und beschrieben. Es handelt sich um den frühesten Nachweis eines solch großen Kranichs in Europa. Insgesamt ähnele das Fossil dem Schädel des heutigen, sehr langschnäbeligen Sibirischen Kranichs, berichten Dr. Gerald Mayr vom Forschungsinstitut Senckenberg Frankfurt sowie Thomas Lechner und Professorin Madelaine Böhme vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen. Die Fundstelle Hammerschiede hatte Ende letzten Jahres durch die Entdeckung des zweibeinigen Menschenaffen Danuvius guggenmosi mit dem Spitznamen ‚Udo‘ Schlagzeilen gemacht. Der neu entdeckte Kranich dürfte der größte Vogel zu dessen Lebzeiten gewesen sein.
Unter den zahlreichen Überresten von Tieren aus der Fundstelle Hammerschmiede stammen viele Fossilien von Vögeln. Erst kürzlich hatte dasselbe Forschungsteam Fossilfunde von tropischen Schlangenhalsvögeln beschrieben. Heute kommt in Europa nur eine einzige Kranichart vor, der Eurasische Kranich. „Fossilfunde zeigen, dass es in der Vergangenheit viel mehr Kranicharten gegeben haben muss“, sagt der Studienleiter Gerald Mayr. „Allerdings stammen die meisten Belege aus dem Mittelmeergebiet, während Nachweise aus Mitteleuropa sehr spärlich sind.“ Weltweit gibt es heute 15 Kranicharten.
Hinweise auf einen Lebensraum am Süßwasser
Der neue Fund aus der Hammerschmiede ist ein Schädel einer ungewöhnlich großen Art, deren Gesamthöhe den größten heutigen Kranichen, dem asiatischen Saruskranich und dem afrikanischen Klunkerkranich, entspricht. „Beide Arten erreichen mit 1,75 Meter Körperhöhe die Größe eines erwachsenen Menschen und haben Flügelspannweiten von 2,6 bis 2,8 Metern“, sagt Mayr. Damit sei der Hammerschmiede-Kranich, der vor rund elf Millionen Jahren lebte und noch keinen wissenschaftlichen Namen hat, um 75 Prozent grö-ßer als sein Zeitgenosse ‚Udo‘, das Skelett des männlichen Danuvius. Der neu entdeckte Kranich stehe möglicherweise am Beginn der Evolution der Echten Kraniche. „Um eine sicherere stammesgeschichtliche Einordnung vornehmen zu können, benötigen wir weitere Funde aus dem Skelettapparat“, ergänzt Mayr.
Der Schnabel des Fossils ist deutlich länger als der heutiger europäischer Kraniche. Lang-schnäbelige Kraniche, wie der heutige Sibirische Kranich, sind vorwiegend Vegetarier. Sie ernähren sich von Wurzeln und Rhizomen von Wasserpflanzen, die sie mit den Schnäbeln ausgraben. „Der Schnabel des Hammerschmiede-Kranichs deutet darauf hin, dass er am offenen Süßwasser lebte. Solche Lebensräume waren damals vor Ort vorherrschend“, sagt der Grabungsleiter Thomas Lechner. Er hofft, auch in diesem Jahr wieder Ausgrabungen an der Fundstelle durchführen zu können. „Der Fund ist ein weiterer Beleg für die im internationalen Maßstab herausragende Bedeutung der Fundstelle Hammerschmiede für die Wissenschaft“, ergänzt Madelaine Böhme, die Leiterin des Forschungsprojekts.
Originalpublikation:
Gerald Mayr, Thomas Lechner, Madelaine Böhme: A skull of a very large crane from the late Miocene of Southern Germany, with notes on the phylogenetic interrelationships of extant Gruinae. Journal of Ornithology, https://doi.org/10.1007/s10336-020-01799-0

04.08.2020, Universität Wien
Zwischen Hai und Rochen: Der evolutionäre Vorteil der Meerengel
Meerengel sind Haifische, gleichen mit ihrem eigentümlich flachen Körper aber eher Rochen. Den Ursprung dieser Körperform hat jetzt ein internationales Forschungsteam um Faviel A. López-Romero und Jürgen Kriwet vom Institut für Paläontologie untersucht. Die Ergebnisse veranschaulichen, wie diese Haie sich zu hochspezialisierten, ausschließlich am Boden lebenden Lauerjägern entwickelten und tragen so auch zu einem besseren Verständnis ihrer Bedrohung durch Umweltveränderungen bei. Die Studie erscheint in der Zeitschrift Scientific Reports.
Das allgemeine Bild eines Hais ist das eines schnellen und großen Ozeanräubers. Einige Arten stellen dieses Bild aber in Frage – zum Beispiel die Meerengel. Sie haben sich an ein Leben am Grund der Ozeane angepasst, wo sie ihrer Beute auflauern. Um sich am bzw. im Boden verstecken zu können, hat sich der Körper der Meerengel im Lauf ihrer Evolution abgeflacht, wodurch sie sehr stark Rochen ähneln, die mit den Haien eng verwandt sind.
Abgeflachter Körper weist auf erfolgreichen Lebensstil hin
Die ältesten bekannten, vollständigen Fossilien von Meerengeln sind ca. 160 Millionen Jahre alt und zeigen, dass der abgeflachte Körper schon früh in ihrer Evolution etabliert war. Das deutet auch darauf hin, dass bereits diese ausgestorbenen Meerengel einen ähnlichen Lebensstil wie ihre heutigen Nachkommen besaßen – und dass dieser Lebensstil offensichtlich sehr erfolgreich war.
Meerengel sind heute auf der ganzen Welt von den gemäßigten bis zu den tropischen Meeren verbreitet. Die meisten Arten sind bedroht. Um die Muster und Prozesse zu verstehen, die zu ihrer heutigen geringen Vielfalt führten und die möglichen Konsequenzen aus ihrer besonderen Anatomie, haben die Forscher*innen die Körperformen der Meerengel seit ihren Ursprüngen mit modernen Methoden untersucht.
Heutige Arten ähneln sich sehr
Hierfür wurden die Schädel von ausgestorbenen Arten aus dem späten Jura (vor ca. 160 Millionen Jahren) und heutiger Arten mit Hilfe von Röntgen- und CT-Aufnahmen sowie präparierten Schädeln quantitativ unter Verwendung geometrisch-morphometrischer Methoden analysiert. So konnte die Evolution von Körperformen unabhängig von der Körpergröße vergleichend erklärt werden.
Die Ergebnisse zeigen, dass frühe Meerengel in ihrer äußeren Form unterschiedlich waren, wogegen heutige Arten eine vergleichbar geringere Formvariation zeigen. „Viele der lebenden Arten sind anhand ihrer Skelettanatomie und Form schwer zu identifizieren, was bei der Artzuordnung problematisch sein könnte“, erläutert Faviel A. López-Romero.
Meerengel sind gut angepasst, reagieren aber nur langsam auf Umweltveränderungen
Es zeigte sich, dass bei heutigen Arten die einzelnen Bereiche des Schädels enger voneinander abhängig sind als bei ihren ausgestorbenen Verwandten. Das führte zu einer verringerten Variabilität des Erscheinungsbildes im Lauf der Evolution von Meerengeln. „Der Effekt, dass verschiedene Bereiche des Schädels in einzelne, stark voneinander abhängige Module integriert werden, kann zu einer begrenzten Fähigkeit führen, sich in verschiedenen Formen zu entwickeln, erhöht aber gleichzeitig die Fähigkeit, sich erfolgreich an spezielle Umweltbegebenheiten anzupassen“, erklärt Jürgen Kriwet.
Im Fall der Meerengel führte eine zunehmende geographische Isolation zur Entwicklung unterschiedlicher Arten mit sehr ähnlichen Anpassungen. „Die modulare Integration führt aber auch dazu, dass solche Tiere nicht mehr schnell auf Umweltveränderungen reagieren können und sich ihr Aussterberisiko dadurch erhöht“, so Jürgen Kriwet abschließend.
Publikation in Scientific Reports:
Evolutionary trends of the conserved neurocranium shape in angel sharks (Squatiniformes, Elasmobranchii). López-Romero, F. A., Stumpf, S., Pfaff, C., Marramà, G., Johanson, Z. & Kriwet, J. in: Scientific Reports.
DOI: 10.1038/s41598-020-69525-7

06.08.2020, Deutsche Wildtier Stiftung
Cool down, Wildsau
Wie viel Wildtiere an heißen Tagen trinken müssen, hängt davon ab, ob sie schwitzen können
Die Hitzewelle rollt! Und wenn der Mensch schwitzt, muss er viel trinken. Es heißt, zwei Liter am Tag seien bei Temperaturen über 30 Grad die Mindestration, um den Wasserhaushalt des Körpers wieder aufzufüllen. Bei Wildtieren sieht das anders aus: Wildschwein, Feldhase, Rothirsch, Igel oder Reh haben ein anderes Trinkverhalten. Die Deutsche Wildtier Stiftung stellt ihnen die Trinker im Tierreich vor.
Feldhase: seine Klimaanlage sind die langen Ohren
Feldhasen nutzen wie Elefanten ihre großen Ohren als Klimaanlage: Wird es sehr heiß, werden die Ohren stark durchblutet, das Blut kühlt dort ab und das spart Schweiß. Deswegen sind die Ohren auch bei Hasenarten in heißen Gegenden viel größer als bei Hasenarten in kalten Regionen. Feldhasen decken zusätzlich einen großen Teil ihres Flüssigkeitsbedarfes über die Nahrung, denn auch Pflanzen wie z.B. Kräuter spenden Flüssigkeit.
Igel: er kann eine Schale Wasser gut gebrauchen
Der Igel flüchtet vor großer Hitze in kühle, schattige Verstecke. Er nimmt einen großen Teil der Flüssigkeit über Nahrung auf, trinkt aber auch gerne Wasser! Achtung: „Bitte nur Wasser hinstellen, keine Kuhmilch – die ist für viele Igel nicht verdaulich“, sagt Eva Goris von der Deutschen Wildtier Stiftung.
Wildschweine: können gar nicht stark schwitzen
Schwitzen wie ein Schwein? Dieser Vergleich passt nicht, denn: Wildschweine haben fast keine Schweißdrüsen. Eva Goris, Pressesprecherin der Deutschen Wildtier Stiftung sagt: „Wildschweine können nicht effektiv schwitzen und sorgen darum von außen her für Kühlung.“ Statt einer Extraration Wasser brauchen sie an heißen Tagen erfrischende Bäder; und wo die besten Schlammbäder im Wald zu finden sind, wissen die Schweine.
Vögel: sparen Wasser beim Wasser lassen
Vögel schwitzen nicht; sie hecheln, um überschüssige Wärme nach außen abzugeben. Außerdem beherrschen sie einen chemischen Wasserspartrick: „Vögel scheiden Abbauprodukte des Körpers als Harnsäure aus, denn diese kann viel leichter konzentriert und mit wenig Wasser ausgeschieden werden. Säugetiere scheiden stattdessen Harnstoff aus, dieser verbraucht viel mehr Wasser. Die konzentrierte Harnsäure sieht man dann als weißen Klacks im Vogelkot. Wegen solcher körpereigenen Sparmechanismen kommen Vögel mit sehr wenig Wasser aus!
Rothirsch & Reh: saftreiche Pflanzenteile in der Morgendämmerung
Rothirsch und Reh futtern saftreiche Pflanzenteile, gerne in der Morgendämmerung. Zudem wissen sie, wo Wasserquellen sind, die auch bei Hitze nicht versiegen und nutzen diese für ein kühles Bad. „Dafür unternehmen Rothirsche teils weite Wanderungen“, sagt Goris. Ist die Quelle dann gefunden, wird ausgeruht.
Maulwurf: lebt ohnehin im feuchten Bau
Das Tier des Jahres 2020 ist großer Hitze nicht ausgesetzt: In seinem Bau bleibt es kühl. Seine Nahrung – möglichst viele Regenwürmer – ist wasserreich und die Luft im Bau sehr feucht, sodass Maulwürfe überhaupt selten etwas trinken müssen.

06.08.2020, Universität Zürich
Langer Hals half Saurier bei Unterwasserjagd
Sein Hals bestand aus dreizehn extrem verlängerten Wirbeln und war dreimal so lang wie sein Rumpf: Der Giraffenhalssaurier Tanystropheus lebte vor 242 Millionen Jahren und hat mit seinem bizarren Körperbau schon viele Paläontologen ins Grübeln gebracht. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Universität Zürich zeigt nun, dass das Reptil im Wasser lebte und überraschend anpassungsfähig war.
Seit über 150 Jahren rätseln Paläontologen über die Lebensweise von Tanystropheus und die Funktion seines merkwürdig überdimensionierten Halses. Einige behaupten, dass das Tier hauptsächlich im Wasser lebte, andere sehen in ihm ein Landtier. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Universität Zürich hat nun den Schädel von Tanystropheus in einem bisher unbekanntem Detailreichtum rekonstruiert und konnte so neue Erkenntnisse über seine Lebensweise und Entwicklung gewinnen. Die Wissenschaftler nutzten dafür das sogenannte SRμCT-Verfahren (synchrotron radiation micro-computed tomography), eine extrem leistungsfähige Form der Computertomografie.
Beute wird aus dem Hinterhalt angegriffen
In der fast vollständigen 3D-Rekonstruktion, welche die Forschenden mithilfe von Scans eines stark zertrümmerten Fossils erstellten, zeigt sich, dass der Schädel von Tanystropheus mehrere deutliche Anpassungen an das Leben im Wasser aufweist. Die Nasenlöcher befinden sich auf der Oberseite der Schnauze, ähnlich wie bei heutigen Krokodilen. Die Zähne sind lang und gebogen, perfekt angepasst, um glitschige Beute wie Fische und Tintenfische zu fangen. Im Gegensatz dazu fehlen an Gliedmassen und Schwanz sichtbare hydrodynamische Anpassungen, was darauf schliessen lässt, dass Tanystropheus kein besonders effizienter Schwimmer war. «Wahrscheinlich jagte er, indem er langsam durchs trübe Wasser schwamm und sich seiner Beute heimlich näherte», sagt Erstautor und UZH-Paläontologe Stephen Spiekman. «Sein kleiner Kopf und der sehr lange Hals halfen ihm, möglichst lange verborgen zu bleiben.»
Grosse und kleine Art existierten nebeneinander
Überreste von Tanystropheus wurden vor allem auf dem Monte San Giorgio an der Grenze zwischen der Schweiz und Italien gefunden – einem Ort, der aufgrund seiner Fossilien zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde. Von diesem Fundort sind zwei Arten von Tanystropheus-Fossilien bekannt: eine kleine und eine grosse. Sie wurden bisher als Jungtiere und Erwachsene derselben Art betrachtet.
Die aktuelle Studie widerlegt diese Interpretation nun aber. Denn der neu rekonstruierte Schädel, der von einem grossen Expemplar stammt, unterscheidet sich deutlich von den bereits bekannten kleineren Schädeln – vor allem im Gebiss. Um festzustellen, ob die kleinen Fossilien tatsächlich von Jungtieren stammten, untersuchten die Forschenden Querschnitte von Knochen der kleineren Tanystropheus-Art. Dabei stiessen sie auf zahlreiche Wachstumsringe. Diese bilden sich, wenn das Knochenwachstum drastisch verlangsamt wird. «Aufgrund der Anzahl und Verteilung der Wachstumsringe schliessen wir, dass es sich beim kleineren Typ nicht um junge, sondern um ausgewachsene Tiere handelte», sagt Letztautor Torsten Scheyer. «Die kleinen Fossilien sind also eine separate, kleinere Art von Tanystropheus.»
Spezialisierung auf unterschiedliche Nahrungsquellen
Laut den Spiekman haben sich diese beiden eng verwandten Arten evolutionär ausdifferenziert, um in derselben Umgebung unterschiedliche Nahrungsquellen zu nutzen: «Die kleinen Arten ernährten sich wahrscheinlich von kleinen Schalentieren wie Krabben, während die grossen Arten Jagd auf Fische und Tintenfische machten.» Für den Paläontologen ist dies ein bemerkenswerter Befund: «Wir gingen davon aus, dass der bizarre Hals von Tanystropheus ähnlich wie bei der Giraffe auf eine spezifische Aufgabe zugeschnitten war. Tatsächlich liess er offenbar aber unterschiedliche Lebensweisen zu.»
Originalpublikation:
Spiekman Stephan N.F. et al. Aquatic Habits and Niche Partitioning in the Extraordinarily Long-Necked Triassic Reptile Tanystropheus, Current Biology. 6 August 2020. DOI: 10.1016/j.cub.2020.07.025

06.08.2020, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Prominenter Name für neue Weberknechtgattung Thunbergia
Jochen Martens beschreibt neue Weberknechtgattung und benennt sie nach der schwedischen Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg
Der Mainzer Zoologe Prof. Dr. Jochen Martens hat eine völlig neue Weberknechtgattung beschrieben und zu Ehren der schwedischen Umweltaktivistin Greta Thunberg mit dem Namen Thunbergia benannt. Zu der Gattung gehört eine neue Weberknechtart, die den Namen Thunbergia gretae erhält, sowie weitere drei bereits bekannte Arten, die neu zugeordnet werden. Zwei der Arten stammen aus Mittelchina, eine aus Japan und Sibirien; auch die neue Art kommt aus China. Alle zeichnen sich durch besondere Merkmale aus, die nur ihnen zu eigen sind. Die Namensgebung für eine neue Art steht immer ihrem Entdecker zu, hat aber nach international festgelegten Regeln der Nomenklatur zu erfolgen.
In der Würdigung des Namens hebt Jochen Martens hervor, dass den Aufrufen von Greta Thunberg zu mehr Klimaschutz hohe Priorität zukomme und die Bedrohung der Flora und Fauna der Erde durch den Klimawandel noch immer nicht ausreichend beachtet werde. In China sind durch jahrhundertelange Waldabholzung bis in die jüngste Neuzeit bereits hohe Anteile der Spinnentier- und Insektenfauna unwiderruflich verloren gegangen, vor allem von solchen Gruppen, die am Boden leben und eine Beschattung ihres Waldlebensraumes benötigen. „Der Klimawandel verschärft die Situation zunehmend“, so der Zoologe.
Weberknechte gehören wie die Webspinnen zur großen Gruppe der Spinnentiere. Eiförmiger Körper und lange Beine sind wichtige Merkmale. Weberknechte sind nahezu auf der ganzen Welt verbreitet, aber in geringerer Artenzahl als Webspinnen. Martens hat nahezu 200 neue Weberknechtarten entdeckt und beschrieben. Er sammelte sie zumeist selbst, hauptsächlich in Europa und auf seinen Forschungsreisen in Asien. Bei der neuen Gattung Thunbergia fallen zwei Merkmale besonders auf: Die Pedipalpen, Tastorgane im Kopfbereich der Tiere, sind bei den Männchen zu kräftigen Zangen umgebildet und außerdem unterscheiden sich die Fortpflanzungsorgane von denen anderer Weberknechtarten.
Jochen Martens ist nicht nur Experte für die Weberknechtarten im eurasiatischen Raum, sondern auch Vogelkundler und Spezialist für Vogelstimmen. Seine Sammlung umfasst rund 10.000 Einzelaufnahmen von Vogellauten, die er in Europa und Asien aufgenommen hat.
Originalpublikation:
Jochen Martens
A harvestman with elaborate palpal pliers, Thunbergia gretae n. gen. n. sp. from China (Opiliones: Sclerosomatidae: Gagrellinae)
Zoologischer Anzeiger, 22. Juni 2020
DOI: 10.1016/j.jcz.2020.03.010
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0044523120300607

06.08.2020, Universität Wien
Ein pelziger Exote auf dem Vormarsch: Die südamerikanische Nutria wird sich in Europa zukünftig noch weiter ausbreiten
Vom Menschen eingeführte invasive Arten verursachen in Europa jährlich enorme Schäden und können sich negativ auf die Biodiversität auswirken. Viele dieser Arten befinden sich noch in Ausbreitung, die durch den Klimawandel beschleunigt werden kann. Nun zeigt eine Studie von Biolog*innen der Universität Wien, dass im Falle der Nutria in den nächsten Jahren europaweit mit einer deutlichen Ausbreitung zu rechnen ist. Die Studie ist in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „NeoBiota“ erschienen.
Wer dieser Tage bei einem Spaziergang an einem Gewässer – etwa entlang der Leitha, March, Mur, aber auch am Neusiedler See oder im Rheindelta – meint, einen Biber gesichtet zu haben, sollte nochmals genau hinschauen, denn es könnte sich auch um eine Nutria handeln – ein nicht ganz bibergroßes, aus Südamerika stammendes Nagetier, das vor allem wegen seines Felles auf vielen anderen Kontinenten eingeführt wurde. Auch in Europa wurde die Nutria häufig in Zuchtfarmen gehalten und vor allem nach dem Zusammenbruch des Pelztiermarktes kam es zu zahlreichen Freisetzungen in die Natur. Heute ist die Nutria in vielen Ländern Europas weit verbreitet, etwa in Deutschland, Frankreich, Italien und Tschechien – nicht ohne Konsequenzen.
Ein Nager mit Konfliktpotential
Der wassergebundene Pflanzenfresser bewohnt die Ufer von Flüssen, Seen, Teichen und Sümpfen. Je nach Gegebenheiten werden Höhlensysteme angelegt oder Schilfnester gebaut. Die possierlichen Tiere gelten als anpassungsfähig und siedeln sich auch im urbanen Raum an. Dort erfreuen sie sich wenig scheu der Fütterung durch Tierfreunde, was oft zu einer starken Zunahme der Bestände führt. „Bei hohen Populationsdichten entstehen beträchtliche Schäden an Uferbefestigungen und in der Landwirtschaft, etwa auf Maisfeldern. Auch natürliche Lebensräume und seltene Pflanzenarten können geschädigt werden“, erläutert Anna Schertler, Autorin der Studie. Außerdem sind Nutrias potentielle Überträger diverser Krankheiten, etwa der Toxoplasmose. Daher ist die Nutria seit 2015 durch die EU-Verordnung zu invasiven Arten erfasst, mit dem Ziel, eine weitere Ausbreitung in Europa zu verhindern.
Klimawandel und die Zukunft der Nutria
Inwieweit Europa generell für die Nutria geeignet ist, wurde im Rahmen der nun veröffentlichten Studie untersucht. Die Wissenschafter*innen trugen für ganz Europa die Vorkommensdaten der letzten Jahrzehnte zusammen und identifizierten klimatische Bedingungen, bei denen die Art sich besonders gut halten kann. „Es zeigte sich, dass die derzeit bekannten Vorkommen nicht einmal die Hälfte der potentiell geeigneten Fläche in Europa abdecken und dass somit in den nächsten Jahren mit einer weiteren deutlichen Ausbreitung zu rechnen ist“, so Franz Essl, Mitautor der Studie. „Im Zuge des Klimawandels und milderer Winter werden auch nördlichere Regionen zunehmend nutriafreundlicher. Wie die Art auf trockenere und heißere Bedingungen im Süden reagieren wird, sollte aber noch genauer erforscht werden“, führt Anna Schertler weiter aus.
Klar ist somit, dass Nutrias langfristig in Europa bleiben werden. Es ist daher sinnvoll, sich auf eine Reduktion der Populationsdichten und somit einhergehender Ausbreitung und Schäden zu konzentrieren. Vor allem in urbanen Gebieten ist Aufklärungsarbeit gefragt, um Wildtierfütterungen und die Folgeschäden davon zu vermeiden. „Auch sind viele länderübergreifende Vorkommen, etwa entlang von Grenzflüssen, zu finden. Hier ist eine koordinierte internationale Zusammenarbeit essentiell“, so Anna Schertler.
Wer dieser Tage bei oben erwähntem Spaziergang auf den pelzigen Exoten treffen sollte: Solche Beobachtungen können auf Melde-Plattformen, wie etwa „NaturaList“, vermerkt werden. So leistet man einen wertvollen Beitrag für die weitere Erforschung der Verbreitung der Nutria in Europa.
Publikation in NeoBiota:
Schertler A, Rabitsch W, Moser D, Wessely J, Essl F (2020): The potential current distribution of the coypu (Myocastor coypus) in Europe and climate change induced shifts in the near future. NeoBiota
DOI: 10.3897/neobiota.58.33118

06.08.2020, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Evolutionäres Geheimnis um „lebendes Fossil“ gelüftet
Erstmals hat ein internationales Team von Wissenschaftler*innen, zu dem auch Dr. Stefan Prost vom LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik gehört, das Genom der Brückenechse entschlüsselt. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht. Sie ermöglichen es nicht nur, die Brückenechse besser in der evolutionären Entwicklung der Arten zu verorten. Sie geben auch Einblick in die genomischen Grundlagen ihrer Langlebigkeit und Krankheitsresilienz. Das Projekt wurde in enger Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftler*innen und lokalen Māori-Gemeinschaften durchgeführt.
„Wenn wir einen Baum des Lebens betrachten, bei dem sich die Arten im Laufe der Zeit unterscheiden und sich in Gruppen wie Reptilien, Vögel und Säugetiere aufspalten, können wir endlich mit einiger Sicherheit erkennen, welchen Platz die Brückenechse einnimmt“, erläutert Prof. Neil Gemmell, Genetiker an der Anatomieabteilung der neuseeländischen Universität von Otago und Leiter der Studie. Da Brückenechsen, auch Tuatara genannt, als Art keine nahen Verwandten aufweisen, war ihre Position auf dem von Gemmell beschriebenen Evolutions-Baum lange umstritten. Einige Forscher*innen vermuteten Verwandtschaftslinien zu Vögeln, Krokodilen und Schildkröten. Die neuen Forschungsergebnisse ordnen Brückenechsen hingegen in einen Zweig ein, den sie zunächst mit Echsen und Schlangen teilten und von dem sie sich dann vor rund 250 Millionen Jahren abspalteten, um eine eigenständige Ordnung zu bilden. In der Evolution ist dies eine gewaltige Zeitspanne; Primaten sind zum Beispiel erst vor etwa 65 Millionen Jahren entstanden, und Hominiden, von denen der Mensch abstammt, erst vor etwa sechs Millionen Jahren.
„Diese Entwicklung wissenschaftlich präzise nachweisen zu können, ist aufregend – doch noch weitreichendere Erkenntnisse versprechen wir uns von dem besonderen genetischen Code der Brückenechse, den wir aufdecken konnten. Damit lassen sich ihre einzigartigen Eigenschaften erforschen, und wir können hoffentlich zum notwendigen Schutz der Art beitragen“, so Gemmell.
Das Genom der Brückenechse ist um 67 Prozent größer als das des Menschen. Sein neu erforschter Aufbau gibt Einblick in die Frage, wie Brückenechsen eine Langlebigkeit von 100 Jahren und mehr erreichen können. „So ergab unsere Analyse, dass sie mehr derjenigen Gene besitzen, die den Körper vor den Auswirkungen des Alterns beschützen, als jede andere bisher untersuchte Wirbeltierart“, berichtet Dr. Stefan Prost, Wissenschaftler am LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik und der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. Zudem scheinen Brückenechsen auch wenig anfällig für Krankheiten zu sein. Daher bildet die Untersuchung der genetischen Faktoren, die sie schützen könnten, einen weiteren Schwerpunkt der Studie. Weiterhin wurden genetische Aspekte unter anderem der Temperaturregulierung und des Sehvermögens erforscht.
Mit dem sequenzierten Genom verfügt die internationale Wissenschaftsgemeinschaft nun über eine Blaupause, um die vielen einzigartigen biologischen Merkmale der Brückenechsen zu untersuchen. Darüber hinaus tragen die Ergebnisse dazu bei, die Evolution der sogenannten Amnioten zu verstehen, einer Gruppe, der Vögel, Reptilien und Säugetiere angehören. „Auch das Verständnis unserer eigenen Biologie und Gesundheit könnte durch die neuen Forschungsgrundlagen verbessert werden“, mutmaßt Gemmell.
Eine Besonderheit des Forschungsprojekts, das sich über die vergangenen acht Jahre erstreckte und an dem über 60 Forscher*innen beteiligt waren, ist die Zusammenarbeit mit lokalen Māori-Gemeinschaften in Neuseeland. „Dieses Projekt lief über mehrere Jahre, da es technisch sehr anspruchsvoll war. Zudem stellen Brückenechsen für Māori geschütztes Kulturgut, ein sogenanntes Toanga, dar, und sie sind stark vom Aussterben bedroht. Daher war es wichtig, alle Aspekte genau abzustimmen. Wir hoffen, dass diese Veröffentlichung zum Schutz der Brückenechsen beiträgt und darüber hinaus als Bespiel für andere Wissenschaftler*innen dient, wie wichtig und zuträglich es ist, mit lokalen Gemeinschaften zu arbeiten. Denn nur zusammen können wir voneinander lernen und so unsere Natur besser verstehen, um einen Grundstein für ihren Schutz zu legen“, so Prost.
Originalpublikation:
Neil J. Gemmell et al. (2020):
“The tuatara genome reveals ancient features of amniote evolution”
https://doi.org/10.1038/s41586-020-2561-9

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