06.07.2020, Deutsche Wildtier Stiftung
Wildbienen fliegen auf Hagenbecks Tierpark
Studie der Deutschen Wildtier Stiftung zeigt hohe Artenvielfalt der Wildbienen und Wespen
Seltene Wildtiere findet man in Zoologischen Gärten. Sie werden von Pflegern gehätschelt, gefüttert und von Besuchern bewundert. Andere Exoten werden gar nicht gesehen; im Tierpark Hagenbeck leben die seltensten Wildtiere völlig im Verborgenen. Selbst der Zoodirektor wusste bis vor kurzem nichts von ihrer Existenz. Doch jetzt liegen die Ergebnisse der neuesten Studie ,Die Wildbienen- und Wespenfauna des Tierparks Hagenbeck‘ vor. Die Stars der Studie sind die Wald-Pelzbiene Anthophora furcata, die Glockenblumen-Sägehornbiene Melitta haemorrhoidalis und die Belgische Stielgrabwespe Mimumesa bruxellensis. Selbst Wildbienen-Experten haben mit diesen herausragenden Funden nicht gerechnet.
Exotische Welten mitten in Hamburg! „Allein diese drei Arten zeigen, welch ein Potential Zoologische Gärten für den Erhalt der Insektenvielfalt haben können“, sagt Manuel Pützstück, Projektleiter Wildbienen der Deutschen Wildtier Stiftung. Aus vergleichbaren Untersuchungen sind in Hamburg derzeit nur zwei Gebiete mit einer höheren Artenzahl bekannt – darunter ein Naturschutzgebiet.
Über ein Jahr lang wurde die Wildbienen- und Wespenfauna auf dem Gelände des Tierparks und auf den für die Futterproduktion bewirtschafteten Wiesen untersucht. Das Ergebnis: 145 zum Teil hochbedrohte Arten leben auf den Flächen des Tierparks Hagenbeck. Allein der Nachweis der Belgischen Stielgrabwespe Mimumesa bruxellensis ist eine Sensation; es war bisher nicht bekannt, dass die kleine, schwarz-rot gefärbte Grabwespe überhaupt in Hamburg vorkommt.
Für den Tierpark Hagenbeck ist das Ergebnis ein positives Signal, das über die Grenzen Hamburgs hinausstrahlt. „Wir freuen uns sehr, dass wir mit dem gemeinsam erarbeiteten Wildbienenlehrpfad nicht nur unseren Besuchern spannende Informationen an verschiedenen Standorten im Tierpark anbieten können, sondern dass Hagenbeck eine solche Vielzahl an unterschiedlichen Wildbienen beherbergt. Mit der insektenfreundlichen Gestaltung unseres Tierparks und einer schonenden Bewirtschaftung der Wiesen zeigen wir, dass Zoologische Gärten ebenfalls einen großen Beitrag zur Erhaltung von Wildbienen und Wespen leisten können“, sagt Dr. Adriane Prahl, Tierärztin des Tierparks Hagenbeck.
06.07.2020, Universität Innsbruck
Süditalien: Neandertaler starben nicht wegen Kälte aus
Was führte zum Verschwinden der Neandertaler? Klimaschwankungen werden dafür häufig als Auslöser vermutet – für Süditalien konnte diese Ursache nun ausgeschlossen werden. Denn dort herrschte vor etwa 40.000 Jahren ein stabiles Klima vor, wie die Analyse eines in dieser Form bisher einzigartigen Tropfstein-Fundes nun belegt. Die Studie des internationalen Teams mit Innsbrucker Beteiligung erschien im Fachmagazin Nature Ecology & Evolution.
Warum die Neandertaler ausstarben und sich der Homo sapiens durchsetzen konnte, ist bis heute Gegenstand vieler wissenschaftlicher Diskussionen – und nach wie vor nicht zur Gänze geklärt. Es gibt verschiedene Hypothesen dazu, was ausschlaggebend für das langsame Verschwinden des Homo neanderthalensis war. Eine weit verbreitete Hypothese betrifft das Klima: Große klimatische Schwankungen mit intensiven Kältephasen hätten dazu beigetragen. Diese Ursache kann ein internationales ForscherInnen-Team mit Beteiligung von Prof. Christoph Spötl vom Institut für Geologie der Uni Innsbruck nun nach neuesten Erkenntnissen zumindest für einen großen Lebensraum der Neandertaler, die Region Apulien im heutigen Italien, ausschließen. „Für Süditalien können wir diese Hypothese nicht bestätigen, dort herrschten im Übergang vom Mittel- zum Jungpaläolithikum stabile Klima- und Umweltbedingungen“, erklärt Spötl, Leiter der Arbeitsgruppe für Quartärforschung. In Südeuropa verschwanden die Neandertaler vor etwa 42.000 Jahren, nachdem sie rund 3.000 Jahre mit modernen Menschen in der Region zusammengelebt hatten.
Bislang einzigartiges Klimaarchiv für Europa entdeckt
Tropfsteine schließen bei ihrer Entstehung verschiedene Elemente wie Kohlenstoff, Sauerstoff, aber auch Spuren von Uran ein und zeichnen somit die Klima- und Umweltbedingungen über viele tausende Jahre auf. Sie sind daher ein wertvolles und ab einem gewissen Zeitraum auch einzigartiges „Fenster“ in die Klima-Vergangenheit am Festland. In der Höhle Pozzo Cucù in der Region Apulien gelang dem Geologen Andrea Columbu von der Universität Bologna ein spezieller Fund: Ein etwa 70 Zentimeter langer Stalagmit, der über einen Zeitraum von 106.000 bis 27.000 Jahre in die Vergangenheit kontinuierlich abgelagert wurde. „Mir ist in Europa kein anderes Beispiel bekannt, wo ein Tropfstein über so einen langen Zeitraum durchgehend gewachsen ist“, sagt Spötl. „Dieser hervorragend erhaltene Stalagmit erlaubte uns daher, detailliert in diese für die Menschheitsgeschichte sehr interessante Phase zu blicken und dafür robuste Klimadaten vorzulegen.“ Dazu verwendete das Team modernste Methoden wie Uran-Thorium-Analysen und die Bestimmung von Sauerstoffisotopen. Während die Daten für die ersten 50.000 Jahre des Stalagmitwachstums große Klimaschwankungen wie etwa in den Alpen oder auch in Grönland zeigen, ergaben die Analysen der Forscherinnen und Forscher für den jüngeren Abschnitt des Tropfsteines ein anderes Bild: „Apulien war im Übergang vom Mittel- zum Jungpaläolithikum, als moderne Menschen und Neandertaler gleichzeitig dort lebten, von keinen starken Klimaschwankungen betroffen. Mit anderen Worten: Das Klima spielte in dieser Region keine Schlüsselrolle für das Aussterben der Neandertaler, hier müssen andere Faktoren als Ursache gefunden werden“, verdeutlicht Christoph Spötl.
Originalpublikation:
Columbu Andrea, Chiarini Veronica, Spötl Christoph, Benazzi Stefano, Hellstrom John, Cheng Hai and De Waele Jo. Speleothem record attests to stable environmental conditions during Neanderthal – modern human turnover in southern Italy. Nat Ecol Evol (2020) https://doi.org/10.1038/s41559-020-1243-1
07.07.2020, Universität des Saarlandes
Tierisches Erbe: Auch der Mensch richtet seine Ohren auf interessante Geräusche
Hunde, Katzen oder einige Affenarten bewegen heftig ihre Ohren, um sie auf Geräusche zu richten. Dass auch der Mensch dazu in der Lage ist, war bisher unbekannt. Nun hat ein Forscherteam aus dem Saarland erstmals gezeigt, dass Menschen unbewusst winzige Ohrbewegungen machen, die genau in die Richtung gehen, in die sie ihre Aufmerksamkeit lenken. Sie konnten dies unter anderem anhand von elektrischen Impulsen des rudimentären motorischen Systems des Ohres nachweisen. Die zugehörige Publikation ist im Journal „eLife“ erschienen.
Wenn Kinder ihre „Ohren spitzen“ sollen, so ist das eine Aufforderung, jetzt ganz aufmerksam zu sein. Niemand denkt ernsthaft daran, dass sie dabei tatsächlich ihre Ohren aufrichten könnten. Dass sie das dennoch tun, haben nun Forscher und Forscherinnen der „Systems Neuroscience & Neurotechnology Unit“ (SNNU) gezeigt. Das Team um Institutsleiter Prof. Daniel Strauss wies nach, dass die Muskeln rund um das Ohr aktiv werden, sobald neuartige, auffällige oder aufgabenrelevante Reize wahrgenommen werden. „Dabei spiegelt die elektrische Aktivität der Ohrmuskeln die Richtung wider, in die der Mensch seine Aufmerksamkeit beim Hören richtet“, sagt der Neurowissenschaftler und Informatiker. „Der Mensch hat höchstwahrscheinlich ein rudimentäres Orientierungssystem beibehalten, das die Bewegung seiner Ohrmuscheln zu kontrollieren versucht, und das als ‚neurales Fossil‘ im Gehirn seit etwa 25 Millionen Jahren fortbesteht“, erläutert Strauss. Warum das Ausrichten der Ohren in der Primatenkette verloren gegangen ist, sei bisher nicht vollständig geklärt.
Die Steuersignale für die winzigen, im Allgemeinen nicht sichtbaren Ohrbewegungen konnten die Wissenschaftler mittels Oberflächen-Elektromyogrammen nachweisen: Dabei zeichnen Sensoren, die auf die Haut geklebt werden, die elektrische Aktivität der Muskeln auf, die die Ohrmuschel bewegen oder ihre Form verändern. Untersucht wurden zwei Arten von Aufmerksamkeit: Zur Beurteilung der reflexiven Aufmerksamkeit, die automatisch durch unerwartete Geräusche auftritt, wurden die Teilnehmer durch neuartige Geräusche von verschiedenen seitlichen Positionen überrascht, während sie damit beschäftigt waren, einen eintönigen Text zu lesen. Um die zielorientierte Aufmerksamkeit zu testen, wie sie beispielsweise beim aktiven Zuhören auftritt, sollten die Probanden eine Kurzgeschichte von einem seitlichen Sprecher anhören und eine „konkurrierende“ Geschichte auf der gegenüberliegenden Seite ignorieren. Beide Versuchsanordnungen kamen zu dem Ergebnis, dass die Bewegungen der rudimentären Muskeln im menschlichen Ohr die Richtung der Geräusche anzeigen, auf die eine Person achtet.
Um die winzigen Ohrbewegungen näher zu charakterisieren, wurden zusätzlich spezielle, hochauflösende Videoaufzeichnungen der Versuchspersonen während der Experimente gemacht. Anschließend wurden die subtilen Ohrbewegungen per Computer in den Videos vergrößert und damit sichtbar gemacht. Je nach Art des Reizes gelang es den Wissenschaftlern auf diese Weise, unterschiedliche Aufwärtsbewegungen des Ohres sowie unterschiedlich starke Rückwärtsbewegungen der Seitenkante der Ohrmuschel zu beobachten.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass es mit dem Elektromyogramm der Ohrmuskeln eine einfache Methode zur Erfassung der auditorischen Aufmerksamkeit gibt. Sie kann nicht nur in der Grundlagenforschung eingesetzt werden, sondern es ergeben sich auch interessante Anwendungen“, erklärt Prof. Daniel Strauss. Eine dringend benötigte praktische Anwendung sei beispielsweise die Entwicklung besserer Hörgeräte: „Diese könnten die Geräusche, die der Träger zu hören versucht, verstärken, während sie die Geräusche, die er zu ignorieren versucht, unterdrücken. Damit würde die Funktion der Geräte quasi der Hörintention des Nutzers folgen.“ Ein solches Hörgerät könnte die elektrische Aktivität der Ohrmuskeln blitzschnell erfassen und deuten. Ein Miniatur-Bordcomputer könnte die Richtung abschätzen, in die sich die Ohren zu orientieren versuchen, und die Verstärkung der Richtmikrofone entsprechend anpassen.
Die Studie wurde von Forschern und Forscherinnen der „Systems Neuroscience & Neurotechnology Unit“ (SNNU) erstellt, die sowohl zur Medizinischen Fakultät der Universität des Saarlandes als auch zur Ingenieurwissenschaftlichen Fakultät der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes gehört. Externe Kooperationspartner sind Dr. Ronny Hannemann von der Hörgerätefirma Sivantos GmbH sowie der Psychologe Prof. Dr. Steven A. Hackley von der University of Missouri-Columbia, der im Jahr 2015 die Existenz dieses rudimentären Systems zur Ohrenausrichtung beim Menschen postulierte.
Link zur Publikation:
Daniel J. Strauss, Farah I. Corona-Strauss, Andreas Schroeer, Philipp Flotho, Ronny Hannemann, Steven A. Hackley: „Vestigial auriculomotor activity indicates the direction of auditory attention in humans”. DOI: 10.7554/eLife.54536 https://elifesciences.org/articles/54536
eLife-Digest: https://elifesciences.org/digests/54536/perk-up-your-ears
08.07.2020, Deutsche Wildtier Stiftung
Ein kleines Huhn hofft auf die große Politik
Deutsche Wildtier Stiftung: Um das Ruder für die letzten Rebhühner noch herumzureißen, bedarf es der Europäischen Union
Frau Merkel kann das Rebhuhn retten; seit dem 1. Juli hat Deutschland die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union inne. Das heißt: Der Erfolg des „European Green Deal“ und einer ehrgeizigen Biodiversitätsstrategie 2030 liegen zu einem guten Stück auch in deutscher Hand. Artenschützer sind gespannt, denn: „In der Umweltpolitik ist gerade die Zeit der großen Worte und Versprechen“, sagt Dr. Andreas Kinser, stellvertretender Leiter Natur- und Artenschutz der Deutschen Wildtier Stiftung. „Wir hoffen sehr, dass am Ende nicht nur heiße Luft produziert wird, denn es geht um das Überleben unzähliger Arten, vor allem Insekten und Feldvögel.“
Ein markantes Beispiel für den Niedergang der Artenvielfalt in unseren Feldfluren ist das Rebhuhn. Intensive Landwirtschaft lässt kaum Raum für Insekten, die die Juli-Küken jedoch zum Überleben brauchen. Versteckmöglichkeiten zum Schutz vor Fressfeinden sind in ausgeräumten Agrarlandschaften ebenfalls kaum vorhanden. Ornithologen aus der Schweiz schockierten letzte Woche Vogelfreunde europaweit: Bei ihnen gilt das Rebhuhn jetzt als ausgestorben. „In Deutschland gibt es zwar noch Rebhühner, aber der Populationszustand ist absolut besorgniserregend“, sagt Eckhard Gottschalk von der Universität Göttingen, Projektleiter des EU-weiten Rebhuhn-Rettungsprojektes PARTRIDGE (siehe Infobox unten). Das „altmodische“ Rebhuhn kommt in intensiv genutzten Agrarlandschaften nicht auf die Beine, es benötigt Vielfalt in der Feldflur, die es vor einigen Jahrzehnten noch gab und die heute kaum noch vorhanden ist. „Seit den 1970er Jahren beobachten wir einen rapiden Rückgang der Hühner“, sagt Gottschalk. Schätzungen gehen bundesweit von durchschnittlich nur noch einem einzigen Rebhuhn-Paar auf einer Fläche von etwa 700 Fußballfeldern aus. Gottschalk: „Und auch in Niedersachsen geht’s bergab.“ Dabei gehört Niedersachsen neben Nordrhein-Westfalen zu den Regionen, die einst viele Rebhühner hatten. Doch auch dort gingen in den letzten zehn Jahren 70 Prozent der Rebhuhn-Population verloren.
„Um das Ruder für die letzten Rebhühner noch herumzureißen, bedarf es keiner geringeren Institution als der Europäischen Union“, meint Artenschützer Andreas Kinser. „Wie in unserer Agrarlandschaft gewirtschaftet wird, ist auch ein Abbild der Europäischen Agrarpolitik. Sie hat die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft im Auge, aber noch immer viel zu wenig Natur- und Artenschutz.“ Derzeit diskutiert die EU über die Zukunft der Agrarförderung, die 35 % des EU-Haushaltes in Anspruch nimmt. Kinser weiter: „Damit das Rebhuhn und viele andere Arten in unseren Feldfluren erhalten bleiben, brauchen wir einen Paradigmenwechsel: Weg von Subventionen per Gießkanne und hin zur gezielten Honorierung von Naturschutzleistungen.“Denn am Ende helfen den Rebhuhn-Küken keine Versprechen, sondern ausreichend Insekten, um in den ersten Lebenswochen nicht zu verhungern.
09.07.2020, WWF World Wide Fund For Nature
Wale, Lemuren & Feldhamster sehen Rot
Globaler Arten-Gau: WWF zum Update der Roten Liste
Die Weltnaturschutzunion IUCN hat ein Update für die Internationale Rote Liste der bedrohten Arten vorgelegt. Insgesamt sind mit der Aktualisierung nun 120.372 Tier- und Pflanzenarten wissenschaftlich auf der Roten Liste erfasst. Über ein Viertel davon in den höchsten Gefährdungskategorien. Christoph Heinrich, Vorstand Naturschutz beim WWF Deutschland, sprach angesichts der neuen Zahlen von dem „größten Artensterben seit Verschwinden der Dinosaurier“ und warnte vor den dramatischen Folgen für den Menschen. Laut IUCN gelten Feldhamster nun weltweit als vom Aussterben bedroht. Gleiches gilt für den Atlantischen Nordkaper, einen Glattwal, und mehrere Lemuren-Arten, darunter Madame Berthes Mausmaki, die mit 10 Zentimetern Länge kleinste Primatenart der Welt. Damit gelten laut IUCN nun 98% aller Lemurenarten als bedroht.
„Wir Menschen spielen beim weltweiten Arten-Gau eine gefährliche Doppelrolle. Einerseits zerstören wir Lebensräume von Arten und feuern damit das Artensterben an. Auf der anderen Seite ist Artenvielfalt die Grundlage für funktionierende Ökosysteme, von denen wir Menschen am Ende selbst abhängen“, so Heinrich. „Eine intakte und vielfältige Natur gibt uns Nahrung, sauberes Wasser und andere Rohstoffe, reguliert das Klima und fungiert als Bollwerk gegen Krankheiten und Pandemien. Die Naturzerstörung geht vor allem zu Lasten von Milliarden von Menschen im globalen Süden, ihr Leben hängt oft unmittelbar von der Nutzung natürlicher Ressourcen ab.“
Der globale Arten-Gau spielt sich dabei nicht nur in fernen Regenwäldern oder Meeresregionen ab, sondern auch vor der eigenen Haustür: Der Überlebenskampf des Feldhamsters steht dabei laut WWF stellvertretend für den tausender heimischer Tiere und Pflanzen, die unter den Folgen der intensiven Landwirtschaft leiden. Ohne einen ökologischen Neustart in der nationalen und europäischen Landwirtschaftspolitik drohe der Artenkollaps auf deutschen Feldern und Wiesen.
In Hinblick auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft sagte Heinrich: „Die Bundesregierung muss sich auch vor der eigenen Haustür konsequent für den Naturschutz einsetzen. Deutschland muss im Rahmen seiner EU-Ratspräsidentschaft dafür sorgen, dass 30 Prozent der Land- und Meeresfläche der EU innerhalb des kommenden Jahrzehnts einen Schutzstatus erhalten und 15 Prozent der EU-Fläche an zerstörter Natur wiederhergestellt werden.“ Auf dem UN-Biodiversitätsgipfel 2021 habe die EU zudem die Chance, dieses Ziel zu einem globalen Maßstab zu machen, so der WWF-Vorstand.
09.07.2020, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Zum Kannibalen geboren: Gene für Fressverhalten bei chinesischen Barschen identifiziert
Einige chinesische Barscharten (Sinipercidae) sind reine Fischfresser, die sich ausschließlich von lebenden Jungfischen – auch ihrer eigenen Art – ernähren. Ein Forschungsteam unter Leitung der chinesischen Huazhong Agricultural University (HZAU) und dem Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) hat das Erbgut von vier chinesischen Barscharten entschlüsselt und so auch Gene für das angeborene kannibalistische Fressverhalten identifiziert. Die Kenntnis der Zusammenhänge zwischen Erbgut und Fressverhalten ist u.a. interessant für eine nachhaltige Aquakultur.
Die meisten Fischlarven fressen leicht verdauliches, kleines Zooplankton. Nicht so einige Arten der chinesischen Barsche. Diese sind schon nach dem Schlupf reine Fischfresser und ernähren sich von Jungfischen anderer Fischarten und von Artgenossen. Dieser Kannibalismus führt zu einer hohen Sterblichkeitsrate der Jungfische und zu wirtschaftlichen Einbußen in der Aquakultur.
32 Gene machen den Unterschied zum Kannibalen:
Die Forschenden haben die Genomsequenzen von verschiedenen Arten der chinesischen Barsche verglichen und konnten so die Evolution von 20.000 Genen über einen Zeitraum von 65 Millionen Jahren nachvollziehen. Sie konnten viele Gene mit artspezifischen Eigenschaften in Verbindung bringen. „Für 32 dieser evolvierenden Gene konnten wir eine unterschiedliche Genexpression bei den an anderes Futter gewöhnbaren Barscharten und den reinen Fischfressern experimentell nachweisen“, erklärt Ling Li, eine der Erstautorinnen der Studie und Gastwissenschaftlerin von der HZAU am IGB.
Schnelle evolutionäre Anpassung im räuberischen Verhalten:
Chinesische Barsche sind aggressive Räuber. Bei der umfassenden Genomanalyse identifizierten die Forschenden sogenannte Kandidatengene, die mit besonders hohem Aggressionsverhalten und Affektverhalten in Verbindung stehen. „Unsere Genomanalysen zeigen die schnelle evolutionäre Entwicklung der chinesischen Barsche. Sie haben sich rasch an veränderte Umweltbedingungen angepasst, insbesondere in Bezug auf das Fressverhalten. Einige chinesische Barscharten sind heutzutage durch ihre genetische Veranlagung aggressivere Räuber als andere“, sagt Prof. Xu-Fang Liang von der HZAU.
„Die Erforschung der Zusammenhänge zwischen Erbgut und Fressverhalten ist eine wichtige Grundlage für die nachhaltige Aquakultur dieser Fische. Fischzüchterinnen und Fischzüchter werden zukünftig gezielt die Fische für die Zucht auswählen können, bei denen das Erbgut ein weniger räuberisches Verhalten anzeigt – und so Verluste reduzieren“, fasst Dr. Heiner Kuhl, leitender Bioinformatiker des Projekts vom IGB, zusammen.
Originalpublikation:
He, S., Li, L., Lv, L. et al. Mandarin fish (Sinipercidae) genomes provide insights into innate predatory feeding. Commun Biol 3, 361 (2020). https://doi.org/10.1038/s42003-020-1094-y
09.07.2020, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Seidenstraße: Auch Hirten hielten Katzen als Haustiere
Hauskatzen, wie wir sie heute kennen, haben kasachische Hirten schon vor über 1.000 Jahren als Haustiere begleitet. Das belegen Analysen eines fast vollständigen Katzenskeletts, das bei einer Ausgrabung an der einstigen Seidenstraße gefunden wurde. Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), der Korkyt-Ata Kyzylorda State University in Kasachstan, der Universität Tübingen und der Hochschule der Wirtschaftswissenschaft in Russland hat das Leben der Katze rekonstruiert und liefert so erstaunliche Einblicke in das damalige Verhältnis von Menschen zu Haustieren. Die Studie erscheint in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“.
Er hatte kein einfaches Leben – der Kater, den das Team um Dr. Ashleigh Haruda vom Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen der MLU untersuchte. „Die Katze hat sich im Laufe ihres Lebens mehrere Knochenbrüche zugezogen“, so Haruda. Und trotzdem erreichte das Tier bei einer sehr konservativen Schätzung ein Mindestalter von einem Jahr. Für Haruda und ihre Kollegen ist das ein klares Indiz dafür, dass Menschen sich um diese Katze gekümmert haben.
Während eines Forschungsaufenthalts in Kasachstan erforschte die Wissenschaftlerin die Funde einer Ausgrabung in Dzhankent, einer frühmittelalterlichen Siedlung im Süden des Landes, die vor allem von den Oghusen-Nomaden, einem türkischen Stamm, bevölkert wurde. Dabei stieß sie auf ein sehr gut erhaltenes Skelett einer Katze. Das allein sei schon eine Besonderheit, denn normalerweise würde man bei Ausgrabungen nur einzelne Knochen von Tieren finden, die keine systematischen Rückschlüsse auf ihr Leben erlauben, sagt sie. Anders sei das bei Menschen, von denen häufig nahezu komplette Skelette gefunden werden. „Ein menschliches Skelett ist dagegen wie eine Biographie dieser Person. Die Knochen geben sehr viele Informationen darüber, wie die Person gelebt und was sie erlebt hat“, so Haruda. In diesem Fall hatten die Forscherinnen und Forscher aber Glück: Der Kater wurde offenbar nach seinem Tod begraben und deshalb sind von dem Tier noch der komplette Schädel inklusive Unterkiefer, Teile des Oberkörpers, der Beine und vier Wirbelknochen erhalten.
Gemeinsam mit einem internationalen Team von Archäologen und Spezialisten für die Analyse antiker DNA untersuchte Haruda das Skelett des Katers und konnte so erstaunliche Details über dessen Leben zutage fördern. Hierfür fertigte das Team zunächst 3D-Aufnahmen und Röntgenaufnahmen der Knochen an. „Dieser Kater hat eine ganz Reihe von Knochenbrüchen erlitten, aber überlebt“, so Haruda. Mit Hilfe von Isotopenanalysen von Knochenproben erhielt das Team zudem Hinweise auf die Ernährung des Katers. Im Vergleich zu den Hunden, die bei der Ausgrabung gefunden wurden, und auch zu anderen Katzen aus der Zeit hatte dieser Kater eine sehr proteinreiche Ernährung. „Da das Tier gegen Ende seines Lebens fast alle Zähne verloren hatte, muss es von Menschen gefüttert worden sein.“
Abschließende DNA-Analysen erwiesen zudem, dass es sich bei dem Tier äußerst wahrscheinlich um eine Hauskatze der Art Felis catus L. handelt und nicht um eine naheverwandte wilde Steppenkatze. Dass Katzen in dieser Region schon um das 8. Jahrhundert nach Christus als Haustiere gehalten wurden, ist laut Haruda bemerkenswert: „Die Oghusen sind ein Volk von Hirten gewesen, die sich Tiere eigentlich nur halten, wenn sie für ihr Leben unerlässlich waren. Hunde können beispielsweise auf die Herde aufpassen. Katzen hatten damals für sie keinen offensichtlichen Nutzen“, sagt die Forscherin. Dass die Menschen damals trotzdem in so „exotisches“ Tier hielten und es pflegten, deute auf einen kulturellen Wandel hin, den man für Zentralasien erst deutlich später vermutete. Die Region galt in dieser Zeit als relativ zurückhaltend, was Veränderungen in Bezug auf Landwirtschaft und Tierhaltung angeht.
Die Siedlung Dhzankent, in der die Überreste der Katze gefunden wurden, befand sich an der Seidenstraße, einem alten Netz von bedeutenden Karawanenstraßen, die Zentral- und Ostasien über Land mit dem Mittelmeerraum verbanden. Laut Haruda sei der Fund zudem ein Indiz für einen kulturellen Austausch zwischen den Regionen hin, die an der Seidenstraße lagen.
Die Studie wurde finanziert durch die Wenner-Gren-Stiftung, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Universität Leicester und die Max-Planck-Gesellschaft.
Originalpublikation:
Haruda A. et al. The earliest domestic cat on the Silk Road. Scientific Reports (2020). doi: 10.1038/s41598-020-67798-6
https://www.nature.com/articles/s41598-020-67798-6
10.07.2020, Deutsche Wildtier Stiftung
Feldhamster weltweit vom Aussterben bedroht
Deutsche Wildtier Stiftung: Aktuelle Einstufung der IUCN lässt keine Ausflüchte mehr zu
Die Weltnaturschutzunion (IUCN) dokumentiert es schwarz auf weiß: Der Feldhamster (Cricetus cricetus) ist weltweit vom Aussterben bedroht. „Das muss jetzt für alle Länder mit noch vorhandenen Feldhamsterpopulationen ein Weckruf sein“, sagt Christian Kemnade, Artenschützer der Deutschen Wildtier Stiftung. „Uns war klar, dass sich in den nächsten Jahren entscheidet, ob wir die Art in Deutschland retten können. Aber wir hatten gehofft, dass wenigstens in Osteuropa noch einige stabile Populationen existieren.“
Feldhamster aufzuspüren ist sehr schwierig. Selbst in Deutschland bedeutet das Kartieren von Feldhamsterbauen für Artenschützer einen großen Aufwand. „In unserem bundesweiten Schutzprojekt Feldhamsterland gehen wir systematisch mit Freiwilligen über die oft riesigen Ackerschläge und dokumentieren die Feldhamsterbaue“, erklärt Christian Kemnade. „Der Feldhamster kommt mit den gravierenden Veränderungen in seinem Lebensraum nicht klar. Er braucht eine Landwirtschaft, die ihm Vielfalt auf dem Acker bietet.“ Nur ein Beispiel: „In Deutschland stehen auf der Hälfte aller Ackerflächen Winterweizen und Mais; aber das ist viel zu einseitig.“ Denn wenn alles zum gleichen Zeitpunkt geerntet wird – meist ab Ende Juli – liegt der Acker blank. „Gerade, wenn das Weibchen seinen zweiten Wurf hat, finden die Hamster keine Deckung mehr und auch nichts mehr zu futtern“, sagt Kemnade.
Die alarmierende Klarheit schafft auch Chancen. Denn jetzt realisieren auch diejenigen Länder, die dem Schutz des Feldhamsters bisher keine Bedeutung gaben, dass grenzübergreifend etwas für den Ackerbewohner getan werden muss. „Im bundesweiten Projekt „Feldhamsterland“, das von der Deutschen Wildtier Stiftung koordiniert wird, sollen die Situation der verbleibenden Hamsterbestände in Deutschland auf wissenschaftlicher Basis eingeschätzt und gemeinsam mit Landwirten Schutzmaßnahmen ergriffen werden. „Unser Fokus liegt auf Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Hessen, Rheinland-Pfalz und Bayern, da es hier noch Chancen gibt, die bestehenden Populationen zu retten“, erläutert Kemnade. Auch im internationalen Feldhamsterschutz gibt es eine gut vernetzte Community. Über die „International Hamster Workgroup“ tauscht sich die Deutsche Wildtier Stiftung regelmäßig mit internationalen Feldhamsterschützern aus. 2021 soll ein Treffen in Deutschland stattfinden.
10.07.2020, Universität Leipzig
Virologe der Universität Leipzig: Haustiere können sich doch mit Coronavirus infizieren
Was noch vor drei Monaten als unwahrscheinlich galt, ist jetzt Realität: Auch Haustiere können sich mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren. Weltweit gibt es dafür mittlerweile Beispiele. Allerdings sind die Fallzahlen sehr gering, und nur Hunde, Katzen, Nerze und Frettchen sind nach bisherigen Erkenntnissen betroffen. Experimentell seien unter anderem Hunde und Katzen infiziert worden, sagt Prof. Dr. Dr. Thomas Vahlenkamp (56), Direktor des Instituts für Virologie der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig. Während Hunde keine Symptome zeigten, hätten Katzen – ähnlich wie infizierte Menschen – Atemwegsbeschwerden und teilweise Durchfall bekommen.
„Das Coronavirus scheint sich bei Katzen vermehren zu können“, erklärt Vahlenkamp. Ähnliche Erfahrungen hätten Betreiber von Nerzfarmen in den Niederlanden und Dänemark gemacht, wo die Tiere Atemwegsbeschwerden gezeigt haben und teilweise daran starben. „Infektionen sind möglich, treten aber sehr selten auf, und sie standen immer im Zusammenhang mit einem humanen Fall“, berichtet der Experte. Wenn also Hunde- oder Katzenbesitzer mit dem neuen Coronavirus infiziert sind, besteht auch für ihre Haustiere eine Infektionsgefahr. Weltweit sei aber kein Fall bekannt, bei dem umgekehrt ein infiziertes Tier einen Menschen angesteckt habe. Wer mehrere Hunde und Katzen hält, sollte allerdings wissen, dass sich die Tiere auch untereinander anstecken können.
„Das soll aber nicht zu Verunsicherung bei Hunde- und Katzenbesitzern führen“, sagt Vahlenkamp. Die Zahl der Fälle sei äußerst gering. So habe es unter anderem in Frankreich, Spanien, Belgien, Deutschland, China und den USA einzelne solcher Infektionen gegeben. Auch im Zoo in New York haben sich Tiger infiziert – möglicherweise bei Besuchern oder Tierpflegern. Daraufhin hätten Forscher am Harbin Veterinary Research Institute in China die experimentellen Untersuchungen vorgenommen.
Wenn Hunde- und Katzenhalter auf Nummer sicher gehen möchten, können sie ihr Tier auf COVID-19 testen lassen, müssen den Test allerdings selbst finanzieren. Auch das Institut für Virologie der Universität Leipzig bietet solche Tests an.