Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

06.04.2020, Universität Wien
Attraktive eingeschleppte Arten haben es leichter
Die Beliebtheit von invasiven Arten erschwert deren Kontrolle
Die äußeren Werte zählen: Ihre Attraktivität – ihr Charisma – hat einen erheblichen Einfluss auf die Einschleppung und das Image gebietsfremder Arten und kann sogar deren Eindämmung behindern. Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Czech Academy of Sciences und des deutschen Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei mit Beteiligung von Forscher*innen um Franz Essl von der Universität Wien hat den Einfluss von Charisma auf den Umgang mit gebietsfremden Arten untersucht. Die Studie wird in „Frontiers in Ecology and the Environment“ veröffentlicht.
Immer mehr Tiere und Pflanzen werden von Menschen aus ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet verschleppt – bewusst und unbewusst. Die meisten davon können sich nicht an die neuen Lebensbedingungen anpassen, manche aber etablieren sich fest. „Einige gebietsfremde Arten werden für heimische Arten zum Problem – als Räuber, Konkurrenten um Nahrung und Lebensraum oder Überträger von Krankheiten“, erklärt Franz Essl vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien, einer der Mitautor*innen der Studie. Als Zierpflanze, Aquarienbewohner oder exotisches Haustier werden charismatische Arten häufiger bewusst eingeschleppt als unscheinbare Spezies, so die Forscher*innen. „Je häufiger die Einschleppungen und je größer die Zahl der jeweils eingeführten Individuen, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Art etabliert“, sagt Essl.
Attraktive Arten werden gesellschaftlich eher akzeptiert
Die gesellschaftliche Akzeptanz von attraktiven gebietsfremden Arten mit Charisma ist höher als von unattraktiven eingeschleppten Arten. Das kann zu Akzeptanzproblemen von Naturschutzmaßnahmen führen, die die Ausbreitung einer Art eindämmen sollen: „Ein als schön oder niedlich empfundenes Äußeres kann das Management von gebietsfremden Arten erheblich erschweren, weil dann oft die öffentliche Unterstützung fehlt“, bedauert Bernd Lenzner, Mitautor der Studie und Forscher an der Universität Wien. So wurde beispielsweise in Italien das Programm zur Kontrolle des eingeschleppten Grauhörnchens – und zum Schutz des heimischen Eichhörnchens – durch Interessengruppen mithilfe niedlicher Comicfiguren verhindert.
Forscher*innen und Öffentlichkeit sind zugunsten attraktiver gebietsfremder Arten voreingenommen
Die Forschungsschwerpunkte zu gebietsfremden Arten werden weitgehend durch ihre ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen bestimmt. Und doch gibt es einen stärkeren Fokus auf Wirbeltiere als auf Wirbellose sowie auf große und charismatische Arten. „Das Interesse der Öffentlichkeit und auch der Forschung konzentriert sich überwiegend auf die charismatischen Arten. So können einseitige Wissenslücken entstehen, die dazu führen, dass Schutzmaßnahmen falsch priorisiert werden“, bemängelt Lenzner.
Deshalb sei es wichtig, sich den Einfluss von Charisma auf den Umgang mit gebietsfremden Arten bewusst zu machen und Akteur*innen zu sensibilisieren. „Bei der Planung und Umsetzung von Managementmaßnahmen ist dieser Aspekt besonders wichtig. Konflikte, insbesondere wenn sie charismatische Arten betreffen, können aus der offensichtlichen Unvereinbarkeit zweier unterschiedlicher ethischer Perspektiven entstehen: zwischen denen, die dem Schutz des Ökosystems oder der Erhaltung der heimischen Arten Priorität einräumen, und denjenigen, die sich um das Wohlergehen der betreffenden gebietsfremden Art sorgen“, unterstreicht Lenzner die Bedeutung der Ergebnisse.
Die Aktivitäten der Menschen rund um den Globus haben in den letzten Jahrzehnten zu einer rasant steigenden Einführung von Arten außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets geführt. Tausende Pflanzen und Tiere sind nun in Regionen ansässig, die sie ohne die Hilfe des Menschen nie erreicht hätten. Um effizient die Bekämpfung von problematischen gebietsfremden Arten durchführen zu können, ist es unerlässlich die Bedeutung von Charisma zu verstehen.
Originalpublikation:
Publikation in „Frontiers in Ecology and the Environment“:
Jaric I, Courchamp F, Correira RA, Crowley SL, Essl F, Fischer A, Gonzalez-Moreno P, Kalinkat G, Lambin X, Lenzner B, et al. (2020) The role of species charisma in biological invasions. Frontiers in Ecology and the Environment,
DOI: 10.1002/fee.2195
https://esajournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/fee.2195

07.04.2020, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Panzerpuzzle: Weiteres Teil der Schildkrötenevolution hinzugefügt
Der Ursprung von Schildkröten gilt als eine der am häufigsten geführten Debatten innerhalb der Evolutionsbiologie. In einer kürzlich im Fachjournal „Nature Scientific Reports“ veröffentlichten Studie hat Senckenberger Ingmar Werneburg mit einem internationalen Team von Forschenden bestehende Hypothesen widerlegt und neues Licht auf die Evolution der Schädelarchitektur geworfen. Die Ergebnisse zeigen eine enge Verknüpfung der Evolution des Schädels und des hochflexiblen Halses bei den Panzerträgern.
Neben ihren Panzern gehören die flexiblen Hälse und kleinen Köpfe zu den charakteristischen Merkmalen von Schildkröten. „Auch wenn Schildkröten zu den Reptilien zählen, unterscheidet sich ihr Schädel stark von dem anderer Kriechtiere – dies erschwert, zusammen mit dem einzigartigen Panzerskelett, die Beurteilung ihres stammesgeschichtlichen Ursprungs“, erklärt PD Dr. Ingmar Werneburg vom ‚Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment (SHEP)‘ an der Universität Tübingen.
Fossilien lassen darauf schließen, dass eine Reihe von Modifikationen während der Evolution der Schildkröten dazu geführt hat, dass sich der zunächst in sich bewegliche Schädel zu einer unbeweglichen Struktur umbildete. Dabei schlossen sich auch die Schläfenfenster in der Wangenregion und formten so den sogenannten anapsiden Schädel, wie er sonst bei keinen anderen lebenden Reptilien vorhanden ist.
Gleichzeitig entwickelte sich eine einzigartige, mit einem Seilzug vergleichbare Anordnung der Kiefermuskulatur. „Bislang wurde vermutet, dass diese Modifikationen bei Schildkröten zu einer Steigerung der Beißkraft geführt haben und es sich bei dieser Entwicklung um eine funktionelle Anpassung an ein verändertes Fressverhalten handelte“, ergänzt Werneburg.
Diese Hypothese wurde nun erstmals unter biomechanischen Gesichtspunkten von dem internationalen Forschungsteam um Werneburg getestet. Der Tübinger Wissenschaftler hierzu: „Unsere Untersuchungen ergaben, dass die Beißkraft durch diese Änderungen erstaunlicherweise nicht gesteigert wird, weder durch die Unbeweglichkeit des Schädels noch durch die Neuanordnung der Kiefermuskulatur.“ Die Analysen zeigten jedoch, dass die evolutionären Neuerungen zu einer optimierten Schädelstruktur geführt haben. Diese hält stärkeren Belastungen stand und kommt dabei mit weniger Knochenmaterial aus.
„Wir kombinierten unsere neuen Erkenntnisse mit dem bereits vorhandenen paläontologischen und anatomischen Wissen, wodurch ein neues Szenario vorstellbar wird“, erläutert Werneburg. Entscheidend in diesem Szenario sei eine enge Verknüpfung der Evolution des Schädels und des hochflexiblen Halses: „Wir nehmen an, dass der Schädel moderner Schildkröten das Resultat eines komplexen Prozesses ist, der seit der Entstehung des Panzers abläuft.“ Einerseits ermöglicht die Halsbewegung eine allgemeine Steigerung der Mobilität der Tiere, die so ein Gegenstück zu dem ansonsten starren Körper bietet. Andererseits dient die Möglichkeit, den Hals einzuziehen, als zusätzlicher Schutzmechanismus in Gefahrensituationen.
Die Modifikationen am Schildkrötenschädel könnten zudem nicht nur zu einer vorteilhafteren Belastungsverteilung geführt, sondern gleichzeitig den Weg für die Entstehung neuer Arten ermöglicht haben: „Das evolutionäre Potential für eine neuartige Schädelarchitektur und längere flexiblere Hälse ermöglichte die Entwicklung einer größeren Diversität der Schildkröten während und nach dem Jura“, schließt Werneburg.
Originalpublikation:
Ferreira, G.S., Lautenschlager, S., Evers, S.W. et al. Feeding biomechanics suggests progressive correlation of skull architecture and neck evolution in turtles. Sci Rep 10, 5505 (2020). https://doi.org/10.1038/s41598-020-62179-5

09.04.2020, NABU
Mysteriöses Blaumeisensterben in Deutschland – Tote Blaumeisen beim NABU melden
Seit Kurzem erhält der NABU vermehrt Meldungen zu krank wirkenden Blaumeisen, die schnell versterben. Die Tiere sind offenbar von einer bislang nicht identifizierten, aber vermutlich sehr ansteckenden Krankheit betroffen. Um mehr über die Ursachen und die Verbreitung dieser Krankheit zu erfahren, ruft der NABU jetzt dazu auf, kranke und tote Meisen unter www.NABU.de/meisensterben zu melden.
„Erste Fälle wurden uns bereits Mitte März aus Rheinhessen in Rheinland-Pfalz gemeldet. Inzwischen ist die Zahl der toten Blaumeisen auf über 150 gestiegen. Betroffen ist bisher vor allem der Streifen vom Westerwald in Rheinland-Pfalz über Mittelhessen bis ins westliche Thüringen“, so NABU-Vogelschutzexperte Marius Adrion.
Neben Blaumeisen erkranken in einzelnen Fällen auch Kohlmeisen oder andere kleine Singvögel. Die Tiere fallen dadurch auf, dass sie nicht mehr auf ihre Umwelt reagieren, apathisch und aufgeplustert auf dem Boden sitzen und nicht vor Menschen fliehen. Oft wirken die Vögel als hätten sie Atemprobleme. Augen, Schnabel und Teile des Federkleids sind häufig verklebt.
Zum neuen Phänomen passt keine der bisher bekannten Vogelkrankheiten. Die meisten Tiere wurden, oft auch in größerer Zahl, in der Nähe von Vogelfütterungen gefunden. Der NABU rät daher dazu, die Fütterung und das Bereitstellen von Tränken sofort einzustellen, wenn mehr als ein kranker Vogel an einer Futterstelle beobachtet wird.
Ab sofort können unter www.NABU.de/meisensterben kranke und tote Meisen gemeldet und Fotos übermittelt werden. „Entscheidend ist jetzt, den Krankheitserreger schnell zu identifizieren. Daher müssen tote Tiere von Experten untersucht werden“, so Adrion. Wer also einen gerade erst gestorbenen Vogel findet, sollte diesen – unter Einhaltung der notwendigen Hygienemaßnahmen und ohne den Vogel zu berühren – luftdicht verpacken und im Eisfach aufbewahren. Nach den Oster-Feiertagen sollten die Tiere zur Untersuchung an das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNI) in Hamburg oder – nach vorheriger Rücksprache – an das zuständige Kreisveterinäramt geschickt werden.

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