Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

06.02.2020, Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT)
Wie erfolgreich ist die Restauration von Korallenriffen?
Die Krise der Korallenriffe hat zu einer Vielzahl von Versuchen geführt, geschädigte Riffe wiederherzustellen. Wie erfolgreich sind diese Bemühungen, könnten sie tatsächlich ein Massensterben von Riffen abwenden? Ein internationales Wissenschaftlerteam gibt nun erstmals im Fachjournal PLoS ONE einen umfangreichen Überblick über den Stand der Forschung und der Praxis der Riffrestauration und erarbeitet Verbesserungsvorschläge.
„Was in der Forstwirtschaft seit vielen Jahrzehnten gute Praxis ist, hat sich in der Riffrestauration noch nicht durchgesetzt: oft fehlen klar definierte Ziele, es finden vorab keine Untersuchung des Riffzustandes und danach keine länger angelegten Erfolgskontrollen statt“, erklärt Dr. Sebastian Ferse, einer der Autoren der Studie. Ferse ist Riffökologe am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen und hat langjährige Erfahrung mit der Restauration von Korallenriffen.
Die Maßnahmen reichen von lokalen Initiativen der Tourismusbranche oder Umweltschutzorganisationen über wissenschaftliche Studien bis hin zu großangelegten Programmen einiger Regierungen. Australien beispielsweise investiert derzeit aufgrund der Bleichschäden massiv in die Untersuchung verschiedenster Ansätze zur Rettung und Restauration des Great Barrier Reefs, das der Wirtschaft des Landes eine beträchtliche Summe von jährlich rund 6,4 Milliarden Dollar einbringt.
Korallen vermehren sich geschlechtlich, aber auch ungeschlechtlich. Brechen Teile von Korallen ab, können sie wieder am Meeresboden anwachsen und zu einem neuen Korallenstock werden. Vor allem bei verzweigten Korallen findet sich diese Vermehrungsstrategie, die auch von einem der häufigsten Restaurationsansätze aufgegriffen wird.
So werden den Korallen in einem intakten Riff Fragmente entnommen, die in den beschädigten Riffbereichen ausgesetzt werden. Allerdings eignet sich diese Methode nur für begrenzte lokale Schäden beispielsweise durch Schleppnetze, Stürme oder Bombenfischerei, da sie mit einem sehr hohen Arbeitsaufwand verbunden ist. Zudem werden durch die Entnahme die Mutterkolonien geschädigt.
Oft lässt man die Korallenästchen zunächst im ruhigen Flachwasser oder in Tanks an Land aufwachsen, wo sie während ihrer empfindlichen frühen Wachstumsphase vor störenden Einflüssen besser geschützt sind. Ab einer bestimmten Größe werden sie dann ausgesetzt. Laut untersuchter Studien überleben rund 60 – 70 % so einer Nachzucht zumindest die ersten Monate im Riff. „Die Zahl trügt aber“, kommentiert Ferse, „denn langfristige Kontrollen sind selten. Es kann durchaus vorkommen, dass schon nach zwei Jahren weniger als jeder zehnte Setzling am Leben ist.“
Für diese Methoden kommen fast ausschließlich verzweigte Korallen wie die der Gattung Acropora zum Einsatz, da sie sich einfach brechen lassen. In vielen Restaurationsprojekten entstehen so ausgedehnte Flächen mit Korallenmonokulturen, die arm an anderen Rifftierarten sind. Da es sich bei den Fragmenten um Klone handelt, ist die genetische Vielfalt in den Korallenplantagen sehr reduziert, die Korallen sind stressanfälliger.
Ein anderer Ansatz macht sich daher die sexuelle Vermehrung zunutze. Die Restauratoren sammeln Eier und Spermien ein, die viele Korallenarten als dichte Wolken synchron ins Wasser abgeben. In Zuchttanks werden die Eizellen befruchtet und wachsen zu Larven heran, die wiederum im Riff ausgesetzt werden. Bis aus einer Larve ein kleiner Korallenstrunk entsteht, können aber mehrere Jahre vergehen. Auch muss hier mit großen Mengen der kleinen Hoffnungsträger gearbeitet werden, da bis zu 50% der ausgesetzten Larven verenden, ohne je zum Korallenpolypen heranzuwachsen.
Wo ein Riff zerstört ist, sammelt sich Korallenschutt auf dem Meeresboden an, der durch Wellen und Strömungen hin- und her bewegt wird. Korallenstücke und Larven können sich aber nur auf stabilem Untergrund ansiedeln. „Was Plattformen für die Besiedlung angeht, haben Küstenmanager jede Menge Fantasie bewiesen“, so Ferse. „Da ist nicht selten unter dem Deckmantel des Naturschutzes einfach Müllentsorgung betrieben worden.“ Autoreifen, Betonklötze, Eisenbahnwagons und sogar Flugzeuge sind nur einige Beispiele. Unter Wasser kann die Korrosion zur Freisetzung von Giften führen, Teile des Schrotts lösen sich, driften durchs Riff und richten weiteren Schaden an.
Die Studie zeigt aber auch: trotz aller Einwände können Korallenpflanzungen mit Larven oder Fragmenten bei lokalen Riffschäden durchaus Erfolg haben. So konnte sich etwa vor der Küste Floridas – dort, wo ein Schiff auf Grund gelaufen war – das Riff durch gezielte Restauration innerhalb von 10 bis 15 Jahren regenerieren. Wichtige Voraussetzung ist, dass die Stressfaktoren bekannt sind und ausgeschaltet werden können. Der Boden muss zur Ansiedlung der Korallenableger konsolidiert werden, am besten mit Naturmaterialien wie Steinen.
„Wir sind aber nicht in der Lage, ein Korallenriff durch Restaurationsansätze nachzubauen. Wir geben lediglich eine Starthilfe, um das Riff auf Kurs zu bringen. Letztendlich muss es sich selbst regenerieren“, meint Sebastian Ferse. „Dabei stellen uns ausgedehnte Schäden durch Klimawandel und Korallenbleiche oder durch die Eutrophierung und Sedimentbelastung ganzer Küstenabschnitte vor neue Herausforderungen.“
An innovativen Ansätzen, die sich großflächig zum Einsatz bringen lassen, wird zurzeit intensiv geforscht. Im Gespräch sind beispielsweise autonome Unterwasservehikel, die über weite Areale Larven aussäen, oder gezielte Züchtungen von Korallenarten, die gegen Meereserwärmung und Bleiche widerstandsfähiger sind.“
Hinweis an die Medien: Auf dem 14. Internationalen Korallenriffsymposium (ICRS), das vom 5. bis 10. Juli in Bremen stattfindet, widmet sich ein Themenbereich der Riffrestauration. Dr. Sebastian Ferse wird die „Open Session (13A) – Interventions and Restoration” moderieren.
Originalpublikation:
Boström-Einarsson L., R.C. Babcock, E. Bayraktarov, D. Ceccarelli, N. Cook, S.C.A. Ferse, B. Hancock, P. Harrison, M. Hein, E. Shaver, A. Smith, D. Suggett, P.J. Stewart-Sinclair, T. Vardi & I.M. McLeod (2020): Coral restoration – A systematic review of current methods, successes, failures and future directions. PLoS ONE 15(1):e0226631. doi:10.1371/journal.pone.0226631.

06.02.2020, Ruhr-Universität Bochum
Fossilfund: Millionen Jahre alter Schnappschuss eines missglückten Fressversuchs
Anhand eines 152 Millionen Jahre alten Fossils aus Süddeutschland konnten Forscher neue Erkenntnisse über die Speisekarte von Flugsauriern gewinnen. In einer Versteinerung aus dem Solnhofener Plattenkalk fanden sie einen Flugsaurierzahn, der im Weichgewebe eines Kopffüßers (umgangssprachlich: Tintenfisch) steckt,– der erste Beleg, dass Flugsaurier neben Fischen auch diese Meerestiere gejagt haben. Ein Team um Dr. René Hoffmann vom Institut für Geologie, Mineralogie und Geophysik der Ruhr-Universität Bochum berichtet über den Fund in der Zeitschrift Scientific Reports vom 27. Januar 2020.
Die Bedingungen, unter denen die Fossilien im Solnhofener Steinbruch entstanden, sind selten. Sauerstoffarmut am Meeresboden, erhöhter Salzgehalt und ruhige Wasserbedingungen führten dazu, dass Weichteile phosphatisiert wurden und somit erhalten blieben. Unter UV-Licht leuchten die erhaltenen Weichteile weiß. So konnte René Hoffmann zeigen, dass der abgebrochene Zahn des Flugsauriers nicht zufällig mit dem Kopffüßer zusammen versteinert worden war, sondern in dessen Weichgewebe steckt.
Artenbestimmung
Flugsaurierexperte Dr. Jordan Bestwick von der University of Leicester rekonstruierte, dass der Zahn einem nahezu ausgewachsenen Flugsaurier der Art Rhamphorhynchus muensteri gehört haben muss. Die Forscher vermuten, dass das Tier über der Wasseroberfläche jagte, den Kopffüßer schnappte, der sich daraufhin zur Wehr setzte und befreien konnte – dabei brach dem Flugsaurier ein Zahn ab.
Der achtarmige Kopffüßer gehört zur Art Plesioteuthis subovata, wie Dr. Dirk Fuchs von der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie bestimmte. Aufgrund der Anzahl an Armen ist Plesioteuthis innerhalb der Kopffüßer am nächsten mit dem heute noch lebenden Octopus verwandt. Von dieser Art sind bislang nur drei Fossilfunde bekannt. Ob der in der Versteinerung erhaltene Kopffüßer unmittelbar nach der Attacke durch den Flugsaurier starb oder noch weiterlebte, können die Forscher nicht sagen. „Der Zahn steckt an einer Stelle, an der keine lebensnotwendigen Organe sitzen“, erklärt René Hoffmann. „Es kann also sein, dass er durchaus eine Weile so weitergelebt hat.“
Fossilfund eines Hobbysammlers
Auf das Fossil aufmerksam geworden war René Hoffman in der Zeitschrift „Der Steinkern“. Dort war ein kleines Bild des Fundes abgedruckt, das der Hobbysammler und Fossilpräparator Udo Resch entdeckt hatte. Gemeinsam mit Guido und Roman Berndt hatte er es sorgfältig präpariert. Nach der Kontaktaufnahme durch René Hoffmann stellte Guido Berndt das Fundstück für wissenschaftliche Analysen zur Verfügung. Es wird künftig im Paläontologischen Institut und Museum der Universität Zürich ausgestellt.
Originalpublikation:
René Hoffmann, Jordan Bestwick, Guido Berndt, Roman Berndt, Dirk Fuchs, Christian Klug: Pterosaurs ate soft-bodied cephalopods (Coleoidea), in: Scientific Reports, 2020, DOI: 10.1038/s41598-020-57731-2

05.02.2020, Universität Heidelberg
Prähistorisches Skelett in Südmexiko entdeckt
Ein prähistorisches menschliches Skelett, das in Südmexiko geborgen werden konnte, ist mindestens 10.000 Jahre alt und stammt wahrscheinlich aus der letzten Eiszeit. Die sterblichen Überreste der etwa 30 Jahre alten Frau hat ein internationales Forscherteam unter Federführung von Geowissenschaftlern der Universität Heidelberg untersucht. Der fossile Fund, dessen Alter mithilfe der Uran-Thorium-Datierung bestimmt werden konnte, liefert wichtige Erkenntnisse für die frühe Besiedlungsgeschichte des amerikanischen Kontinents.
Prähistorisches Skelett in Südmexiko entdeckt
Sterbliche Überreste der Frau liefern wichtige Hinweise auf die Besiedlung des amerikanischen Kontinents
Ein prähistorisches menschliches Skelett, das auf der Halbinsel Yucatán in Südmexiko geborgen werden konnte, ist mindestens 10.000 Jahre alt und stammt wahrscheinlich aus der letzten Eiszeit, dem späten Pleistozän. Die sterblichen Überreste der etwa 30 Jahre alten Frau hat ein internationales Forscherteam unter Federführung von Geowissenschaftlern der Universität Heidelberg untersucht. Der fossile Fund, dessen Alter mithilfe der Uran-Thorium-Datierung bestimmt werden konnte, liefert wichtige Erkenntnisse für die frühe Besiedlungsgeschichte des amerikanischen Kontinents.
Entdeckt wurde das Skelett nahe der Stadt Tulúm in der Chan-Hol-Höhle, die vor rund 8.000 Jahren infolge der globalen Erwärmung und dem Anstieg des Meeresspiegels nach der letzten Eiszeit mit Wasser geflutet wurde. Neun weitere prähistorische Skelette waren zuvor in diesem komplizierten Höhlensystem nahe der Küste im östlichen Teil der Halbinsel gefunden worden. Nach Angaben von Prof. Dr. Wolfgang Stinnesbeck, dem Leiter des Forschungsteams, sind alle zehn Skelette zwar nicht immer vollständig, aber gut erhalten. Sie bieten wertvolle archäologische, paläontologische und klimatische Informationen über den amerikanischen Kontinent und seine ersten Bewohner, die Paläoindianer. Zu den Besonderheiten der Tulúm-Skelette gehört, dass sie rundköpfige – mesozephale – Schädelmerkmale aufweisen und sich damit von der langköpfigen – dolikozephalen – Morphologie der Paläoindianer aus Zentralmexiko und Nordamerika unterscheiden, so Prof. Stinnesbeck, der am Institut für Geowissenschaften der Universität Heidelberg lehrt und forscht.
Für die Forscher ist das ein Hinweis darauf, dass seinerzeit zwei morphologisch unterschiedliche paläoindianische Gruppen in Amerika gelebt haben müssen. Möglicherweise erreichten sie den amerikanischen Kontinent von verschiedenen Ursprungsorten aus. Oder aber eine kleine Gruppe von frühen Siedlern lebte isoliert auf der Halbinsel Yucatán und entwickelte in kurzer Zeit eine andere Schädelmorphologie. Nach den Worten von Prof. Dr. Silvia Gonzalez und Dr. Sam Rennie von der Liverpool John Moores University (Großbritannien) scheint die frühe Besiedlung Amerikas damit komplexer und zudem bereits zu einem früheren Zeitpunkt erfolgt zu sein als bislang angenommen.
Die Frau, deren Skelett von den beiden mexikanischen Tauchern Vicente Fito und Iván Hernández gefunden wurde und nun dokumentiert werden konnte, war bei ihrem Tod etwa 30 Jahre alt. Ihr Schädel weist mehrere Verletzungen auf, die möglicherweise jedoch nicht die Todesursache bildeten. Die Wissenschaftler fanden außerdem Hinweise auf eine Infektion, vermutlich hervorgerufen durch Bakterien der Treponema-Gruppe, die eine starke Veränderung der Schädelknochen verursacht hat. Wie auch bei den anderen Tulúm-Skeletten konnte bei den Zähnen der Frau Karies festgestellt werden, was auf eine Ernährung mit hohem Zuckergehalt hinweisen könnte. Demgegenüber fanden sich bei den meisten Skeletten der Paläoindianer aus Zentralmexiko und Nordamerika abgenutzte Zähne ohne Karies; dies deutet auf eine harte Nahrung hin.
Um das genaue Alter des Fundes herauszufinden, nutzten die Wissenschaftler eine physikalische Methode der Altersbestimmung, die auf dem radioaktiven Zerfall von Uran und seiner Umwandlung in Thorium basiert. Datiert wurden die Uran-Thorium-Isotopen in einer Kalkkruste, die auf den Fingerknochen des Skeletts in der ursprünglich trockenen Chan-Hol-Höhle gewachsen war. Damit konnten Prof. Dr. Norbert Frank und seine Forschungsgruppe vom Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg dem Skelett ein Mindestalter von 9.900 Jahren zuweisen. Allerdings war der Körper zu diesem Zeitpunkt schon skelettiert, so dass der prähistorische Fund noch älter sein muss.
Bereits im Jahr 2017 hatten Wolfgang Stinnesbeck und sein Team ein menschliches Skelett aus der Chan-Hol-Höhle dokumentiert. Diese Knochenfunde wurden auf ein Alter von mindestens 13.000 Jahre datiert, basierend auf einem Tropfstein, der auf dem Hüftknochen gewachsen war. Sie sind für die Forscher ein Beleg für die unerwartet frühe Besiedelung Südmexikos. An den aktuellen Untersuchungen, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wurden, waren Wissenschaftler aus Deutschland, Großbritannien und Mexiko beteiligt. Die Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „PLOS ONE“ veröffentlicht.
Originalpublikation:
W. Stinnesbeck, S.R. Rennie, J. Avilés Olguín, S.R. Stinnesbeck, S. González, N. Frank, S. Warken, N. Schorndorf, T. Krengel, A. Velázquez Morlet und A.H. González González: New evidence for an early settlement of the Yucatán Peninsula, Mexico: The Chan Hol 3 woman and her meaning for the Peopling of the Americas. In: PlosOne (2020), DOI: 10.1371/journal.pone.0227984

07.02.2020, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)
Biodiversität rechnet sich
Wenn Landwirte die Artenvielfalt auf ihren Wiesen und Weiden fördern, können sie höhere Umsätze erzielen. Zu diesem Schluss kommt ein interdisziplinäres Forschungsteam aus den Agrarwissenschaften, der Ökologie und der Ökonomie an der ETH Zürich und weiteren Universitäten.
Viele Bauern verbinden Artenvielfalt im Grasland mit unergiebigen Erträgen und finanziellen Einbussen. «Biodiversität gilt oft als nicht rentabel, aber wir zeigen: doch, sie kann sich rechnen», sagt Nina Buchmann, Professorin für Graslandwissenschaften der ETH Zürich. In einer interdisziplinären Studie an der Schnittstelle zwischen Agrarwissenschaften, Ökologie und Ökonomie haben Buchmann und ihre Kolleginnen und Kollegen die ökonomischen Mehrwerte der Artenvielfalt in einem Grasland-​Experiment für verschiedene Bewirtschaftungsintensitäten quantifiziert. Die Arbeit erschien soeben in der Fachzeitschrift Nature Communications.
Umsatz deutlich gesteigert
«Wir zeigen, dass die Artenvielfalt ein ökonomisch relevanter Produktionsfaktor ist», sagt Robert Finger, ETH-​Professor für Agrarökonomie und Agrarpolitik. Wachsen auf der Wiese 16 Pflanzenarten statt nur eine, bleibt die Futterqualität des Heus zwar mehr oder weniger gleich, aber der Ertrag wird grösser. Deshalb steigt auch das erzielbare Einkommen aus dem Milchverkauf. «Diese Umsatzsteigerung ist vergleichbar mit dem Unterschied der Erträge zwischen extensiv und intensiv genutzten Wiesen», sagt Sergei Schaub, der Erstautor der Studie und Doktorand in den Gruppen von Finger und Buchmann.
Im Schweizer Grasland wird besonders auf so genannten ökologischen Ausgleichsflächen auf eine erhöhte Artenvielfalt geachtet. Das sind aber oft magere Standorte, deren Erträge sich nicht mit denen von gutem Wiesland vergleichen lassen. Die Forschenden haben aber Daten aus dem langjährigen Jena-​Experiment nutzen können, in dem unter anderem die unterschiedlichen Bewirtschaftungsweisen am gleichen Standort verglichen werden.
«Unsere Resultate zeigen, dass sich der Artenreichtum auf allen Wiesen ökonomisch positiv auswirkt, egal, ob sie nur einmal oder viermal im Jahr gemäht und gedüngt werden», sagt Schaub. Bei intensiverer Bewirtschaftung sei es allerdings schwierig, die Artenvielfalt hoch zu halten, weil nur wenige Pflanzenarten das Düngen und häufige Mähen ertragen. Finger fügt hinzu, dass Schweizer Bauern im Vergleich zu ihren Berufskollegen aus anderen Ländern diesen ökonomischen Effekt bereits gut nutzten. Im Allgemeinen seien die Futterwiesen hierzulande schon relativ artenreich, da es auch lokal angepasste Saatgutmischungen gebe.
Artenreichtum als Risikoversicherung
In dieser Deutlichkeit hätten die Forschenden ihre Resultate nicht erwartet. Dabei haben sie einen weiteren wichtigen ökonomischen Faktor noch gar nicht eingerechnet: «Die Biodiversität ist auch eine Art Risikoversicherung», sagt Buchmann. Artenreiche Grasländer könnten Extremereignisse wie Dürren oder Überschwemmungen besser wegstecken, weil verschiedene Pflanzenarten unterschiedlich auf solche Umwelteinflüsse reagierten und etwaige Ausfälle teilweise kompensierten. «Die Erträge werden über die Zeit stabiler.» Dies hat das Forschungsteam kürzlich in anderen Studien zeigen können.
Die Forschenden sehen in ihren Ergebnissen einen klaren Hinweis, dass es sich für Landwirte lohnt, stärker auf eine grössere Pflanzenvielfalt in ihren Wiesen und Weiden zu achten. «Artenreiches Grasland zu erhalten oder wiederherzustellen, kann zu einer Win-​Win-Situation führen», merken die Forschenden am Schluss ihres Fachbeitrags an, da dadurch nicht nur die Erträge und der Betriebsumsatz steigen, sondern gleichzeitig auch wichtige Ökosystemdienstleistungen wie etwa die Bestäubung oder die Wasserqualität gestärkt und gefördert werden.
Originalpublikation:
Schaub S, Finger R, Leiber F, Probst S, Kreuzer M, Weigelt A, Buchmann N and Scherer-​Lorenzen M. Plant diversity effects on forage quality, yield and revenues of semi-​natural grasslands. Nat. Comm. (2020). doi 10.1038/s41467-​020-14541-4

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