Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

16.07.2018, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
Biber verändern das Gesicht der Arktis
Die großen Nagetiere dringen immer weiter in die Tundra Alaskas vor – mit weitreichenden Folgen für das dortige Ökosystem
Biber sind äußerst effektive Ökosystem-Ingenieure: Wenn eine Landschaft nicht ihren Vorstellungen entspricht, gestalten sie das Terrain einfach um. In gemäßigten Breiten haben sie das seit Jahrtausenden getan. Nun aber weiten sie ihr Betätigungsfeld aus und tauchen immer häufiger in der nordamerikanischen Arktis auf. Ein deutsch-amerikanisches Forscherteam hat untersucht, welche Folgen das hat. Demnach können die Tiere ganze Ökosysteme verändern und zum Auftauen des Dauerfrostbodens beitragen, schreiben die Forscher im Fachjournal Global Change Biology.
Der Nordamerikanische Biber feiert seit einigen Jahrzehnten ein äußerst erfolgreiches Comeback. Nachdem Pelzjäger ihn im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts fast ausgerottet hatten, breitet er sich nun vielerorts wieder aus. Und seine Rückkehr bleibt selten unbemerkt. Denn der bis zu 32 Kilogramm schwere Nager kann ganze Landschaften umgestalten. Er fällt Bäume und baut Staudämme, setzt Wiesen unter Wasser und legt Seen an, wo vorher keine waren. Mit all diesen Aktivitäten schafft er auch günstige Lebensbedingungen für viele andere Arten.
Dabei beschränkt er sich allerdings nicht mehr auf jene Regionen, in denen er früher zuhause war. Seit ein paar Jahren tauchen die Tiere sogar in der baumlosen Tundra im Westen und Nordwesten Alaskas und im Nordwesten Kanadas auf. Über die Gründe dafür spekulieren Biologen noch. Es könnte sein, dass sich die Biberbestände jetzt erst von den Jagdexzessen früherer Jahrhunderte erholen und einen entsprechenden Ausbreitungsdrang an den Tag legen. „Wahrscheinlich spielt aber auch der Klimawandel eine Rolle“, sagt Ingmar Nitze vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI).
Schließlich hatte der Biber lange gute Gründe, sich von der arktischen Tundra fernzuhalten. Zum einen fehlte es an Gehölzen, die er hätte fressen oder als Baumaterial für seine Dämme und Burgen hätte nutzen können. Zum anderen froren die Gewässer oft bis dicht über den Grund zu, so dass den massigen Nagern unter dem Eis nicht mehr genug freies Wasser zum Schwimmen und Manövrieren blieb. Im Zuge des Klimawandels aber hat sich die Arktis seit Ende des 19. Jahrhunderts um 1,8 Grad erwärmt. Sie ist grüner geworden, entlang der Flüsse und Seen wachsen mehr und höhere Gehölze als früher, und das Eis auf dem Wasser wird weniger. Aus Biber-Sicht sind das alles gute Nachrichten.
Werden die umtriebigen Landschaftsgestalter also in großem Stil in die Arktis vorrücken? Und was bedeutet das für die dortigen Ökosysteme? Diesen Fragen sind Ken Tape, Benjamin Jones und Christopher Arp von der University of Alaska in Fairbanks nun zusammen mit Ingmar Nitze und Guido Grosse vom AWI nachgegangen. Und zwar per Blick aus dem All. „Auf Satellitenbildern kann man die Aktivitäten von Bibern recht gut erkennen“, erklärt Ingmar Nitze. Wer die nötige Erfahrung hat, sieht schon an der Form eines Gewässers, ob es das Werk eines vierbeinigen Landschaftsarchitekten sein kann: Typische Biber-Seen liegen in kleinen Tälchen, sind etwa 100 bis 200 Meter lang und haben eine langgestreckte Form. Wenn diese Kriterien stimmen, schauen die Forscher noch einmal ein höher aufgelöstes Bild des jeweiligen Gebietes an. Sind darauf die Dämme oder Burgen der Nager zu erkennen, gibt es keinen Zweifel mehr: Hier waren Biber am Werk.
In einem Gebiet im Nordwesten Alaskas, das mit gut 18.000 Quadratkilometern fast so groß ist wie Sachsen, hat das Team auf diese Weise nach den Spuren der Nager gefahndet. Demnach haben die Tiere dort zwischen 1999 und 2014 insgesamt 56 neue Seen angelegt. Anhand der Verteilung dieser Gewässer ließ sich auch abschätzen, wie schnell und auf welchen Routen die umtriebigen Landschaftsgestalter die Arktis erobern. Die Forscher nehmen an, dass sie in ihrem Untersuchungsgebiet vor allem entlang der Küsten und der größeren Flüsse vordringen und dabei im Schnitt etwa acht Kilometer pro Jahr vorankommen. „In 20 bis 40 Jahren könnten die Tiere geeignete Gewässer im ganzen arktischen Alaska besiedelt haben“, sagt Ingmar Nitze.
Das kann eine ganze Reihe von Folgen haben. Zum einen verwandeln die Nager auch in der Arktis stabile Fließgewässer in abwechslungsreiche und dynamische Mosaike aus Seen, Flussabschnitten und Feuchtgebieten. Wie in anderen Regionen der Erde können davon wahrscheinlich viele andere Tiere und Pflanzen profitieren. Zumal die aufgestauten Biber-Seen und auch die unterhalb davon gelegenen Flussabschnitte wärmer sind als andere Gewässer der Region. Auch das verbessert für viele Arten die Lebensbedingungen. So tauchen Lachse in etlichen arktischen Flüssen zwar ab und zu auf, können sich aber wegen der zu niedrigen Temperaturen von Wasser und Sediment dort nicht fortpflanzen. Die Forscher halten es durchaus für möglich, dass sich das durch die Aktivitäten der Biber künftig ändern wird.
Allerdings hat die Sache einen Haken. Denn das wärmere Wasser der Seen hat auch Auswirkungen auf den Boden ringsum. Abgesehen von den obersten Zentimetern bleibt der normalerweise bis in Tiefen von etlichen hundert Metern dauerhaft gefroren. Mit Sorge beobachten Wissenschaftler, dass dieser sogenannte Permafrost im Zuge des Klimawandels verstärkt auftaut. Denn dabei kann der Boden vermehrt Treibhausgase freisetzen und instabil werden. Und einen solchen Effekt können offenbar auch die Biber auslösen. „Unter und neben ihren Seen wird der Permafrost verstärkt degradiert“, sagt Ingmar Nitze. Das sei allerdings kein Grund, die Nager zu bekämpfen. „Das Hauptproblem der Arktis und ihrer Böden ist der Klimawandel“, betont der Forscher. „Und nicht der Biber.“
Originalpublikation:
K. D. Tape, B. M. Jones, C. D. Arp, I. Nitze, G. Grosse: Tundra be dammed: Beaver colonization of the Arctic. Global Change Biology, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/gcb.14332

19.07.2018, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
2016 gestrandete Pottwale gehörten zwei unterschiedlichen Gruppen an
Schadstoffe und genetische Analysen verraten Herkunft und Gruppenzugehörigkeit.
Im Januar und Februar 2016 strandeten 30 junge männliche Pottwale an den Küsten Deutschlands, der Niederlanden, Großbritanniens, Dänemarks und Frankreichs, von denen 24 obduziert werden konnten. Wissenschaftler des Instituts für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) untersuchten diese gestrandeten Tiere gemeinsam mit ihren Kollegen aus den betroffenen Nachbarländern auf Schadstoffe. Sie stellten fest, dass die Tiere zu zwei Gruppen unterschiedlicher Herkunft gehörten. Die Ergebnisse der Studie veröffentlichten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heute im Fachmagazin „Scientific Reports“.
Es ist bekannt, dass sich in den Körpern einzelner Meeressäuger je nach geografischem Lebensraum und Nahrung unterschiedliche Mischungen und Konzentrationen chemischer Schadstoffe ansammeln können – es entstehen sogenannte Kontaminationsprofile. Anhand dieser Kontaminationsprofile zogen die Forscher Rückschlüsse auf die sozialen Strukturen, in denen die jungen männlichen Pottwale (Physeter macrocephalus) lebten. Sie untersuchten dafür die während der Obduktionen gewonnenen Gewebeproben der 24 in der Nordsee gestrandeten Tiere und analysierten organische Verbindungen und Spurenelementkonzentrationen in Muskeln, Leber, Nieren und Fett.
Dr. Joseph Schnitzler konnte mit weiteren Wissenschaftlern des ITAW zeigen, dass die Pottwale, die im Januar auf Texel in den Niederlanden, auf Helgoland und vor Büsum strandeten, aus stärker mit organischen Stoffen verschmutzten Gebieten stammten. „Wahrscheinlich stammten diese Tiere aus südlicheren Regionen und gehörten zur selben Gruppe“, erklärt Schnitzler. „Dass wir in den Proben dieser Tiere auch höhere Konzentrationen Arsen nachweisen können, unterstützt unsere Annahme. Arsen findet man vor allen im Bereich geothermisch aktiver Regionen wie den Azoren und vulkanischen Brennpunkten, wie den Kanarischen Inseln und den Kapverden.“ Bei der Gruppe von acht Bullen, die im Januar 2016 vor Dithmarschen strandeten, sowie bei zwei weiteren Tieren, die Anfang Februar vor Büsum strandeten, fanden die Forscher hingegen niedrigere Konzentrationen organischer Stoffe und Arsen, dafür aber höhere Konzentrationen an Zink und Barium. Das in den Ozeanen gelöste Zink kommt, ähnlich wie Nährstoffe, in Oberflächengewässern nur in sehr geringen Konzentrationen vor, unterhalb von 1.000 Meter Wassertiefe sind die Konzentrationen jedoch sehr hoch. Nimmt man hinzu, dass Barium ein Indikator für arktische Wassermassen ist, zeigen die Beobachtungen, dass diese Tiere aus den tieferen nordatlantischen Nahrungsgebieten rund um den norwegischen Schelfrand stammten. Genetische Analysen der Forscher deuten ebenfalls auf eine Herkunft aus dem Gebiet der Kanarischen Inseln und dem nördlichen Teil des Atlantiks hin. Sie ermöglichten es zudem, Verwandtschaften aufzudecken. „Die Kombination der toxikologischen und der genetischen Daten lässt darauf schließen, dass unter den gestrandeten Pottwalen zwei Gruppen unterschiedlicher Herkunft waren: Eine Gruppe stammt aus dem Gebiet der Kanarischen Insel und eine aus dem nördlichen Teil des Atlantiks“, erklärt Schnitzler.
Pottwale zeigen innerhalb der Gruppe der Großwale das am stärksten ausgeprägte Sozialverhalten. Außer während der Paarungszeit leben erwachsene männliche und weibliche Pottwale in den Weltmeeren getrennt. Die Gruppenstrukturen, Gruppengrößen und Heimatregionen der weiblichen Gruppen wurden bereits relativ gut untersucht. Adulte Weibchen leben mit Jungtieren beiderlei Geschlechts in stabilen Gruppenverbänden. Diese Gruppen kommen hauptsächlich in subtropischen Gewässern der niedrigen Breiten vor. Die jungen Männchen verlassen diese Gruppen ungefähr im Alter von zehn Jahren und wandern dann allmählich in höhere Breiten mit kälteren Oberflächengewässern. Untersuchungen zeigen, dass sich diese jungen Pottwale zu rein männlichen Junggesellengruppen zusammenschließen, über deren Gruppenstruktur allerdings wenig bekannt ist. Abgesehen von diesen Junggesellengruppen werden männliche Pottwale später gewöhnlich einzeln oder gelegentlich in Zweiergruppen mit ausgewachsenen Männchen gesichtet. Erst in ihren späten zwanziger Jahren kehren die geschlechtsreifen Männchen schließlich in niedrigere Breiten in die Gebiete zurück, in denen die Weibchen leben, um sich zu paaren.
Originalpublikation:
Inter-individual differences in contamination profiles as tracer of social group association in stranded sperm whales
Joseph G. Schnitzler, Marianna Pinzone, Marijke Autenrieth, Abbo van Neer,
Lonneke L. IJsseldijk, Jonathan L. Barber, Rob Deaville, Paul Jepson, Andrew Brownlow, Tobias Schaffeld, Jean-Pierre Thomé, Ralph Tiedemann, Krishna Das & Ursula Siebert
Scientific Reports, DOI:10.1038/s41598-018-29186-z

19.07.2018, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Mangaben-Affen profitieren davon, dass Schimpansen und Schweine harte Nüsse knacken können
Ein internationales Forscherteam um Karline Janmaat von der Universität Amsterdam und dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig beschreibt erstmals, dass sich Mangaben-Affen, Perlhühner und Eichhörnchen energiereiche Nussreste sichern, die Schimpansen und Flussschweine nach dem Nussknacken zurücklassen. Das belegen die Forschenden mithilfe von Daten aus Kamerafallen im Taï-Nationalpark an der Elfenbeinküste. Die Ergebnisse dokumentieren neue bisher unbekannte Interaktionen zwischen verschiedenen Arten und erweitern das vorhandene Wissen über das komplexe Miteinander von Tieren, die im Umfeld tropischer Nussbäume leben.
Um die „Nussreste-Verwertung” näher zu untersuchen, sichtete Erstautor Bryndan van Pinxteren von der Universität Amsterdam das verfügbare Videomaterial aus den Kamerafallen, wobei er sich auf die Szenen konzentrierte, in denen Mangaben, Perlhühner und Eichhörnchen die Orte aufsuchten, an denen Schimpansen zuvor Nüsse geknackt hatten. Da Mangaben nur selten von Schimpansen gejagt werden, prüfte er außerdem, ob sie ihnen häufiger zum Opfer fielen, wenn sie sich den Nussresten annäherten. Insgesamt dokumentierte van Pinxteren anhand der Kameradaten 190 Nussknackereignisse in vier verschiedenen Gebieten des Taï-Nationalparks an der Elfenbeinküste.
Nach eingehenden Analysen bestätigte sich die Vermutung der Forschenden, dass Mangaben sich über die zuvor von Schimpansen und Flussschweinen geknackten Nüssen hermachen und sich also Zugriff auf eine Nahrungsquelle verschaffen, die ihnen sonst nicht zugänglich wäre. Insbesondere die Panda oleosa-Nuss ist sehr hart und wird von Schimpansen mit schweren Steinhämmern geknackt; Mangaben können sie mit ihren Zähnen jedoch nicht öffnen. Sie besuchten aber die Nussknackstellen häufiger, kurz nachdem Schimpansen oder Flussschweine dort Nüsse geknackt hatten – vermutlich hatten die Nussknackgeräusche sie angezogen. Weißbrust-Perlhühner, Helm-Perlhühner und verschiedene Eichhörnchenarten, welche die Forschenden ebenfalls beim Fressen von Nussresten beobachtet hatten, tauchten nicht häufiger an diesen Orten auf, nachdem gerade Nüsse geknackt worden waren. Mangaben scheinen also motivierter als andere Tierarten zu sein, sich Nüsse knackenden Schimpansen und Schweinen anzunähern, um von ihren Fähigkeiten zu profitieren.
„Nachdem ich viele Monate lang beide Arten beoachtet habe, bin ich immer noch fasziniert von der rätselhaften Beziehung zwischen Mangaben-Affen und Schimpansen: Manchmal scheinen die Affen Angst vor diesen potenziellen Jägern zu haben, dann wiederum nähern sie sich ihnen auf wenige Meter an, um von ihren Fähigkeiten beim Werkzeuggebrauch zu profitieren. So, als ob sie gelernt hätten, die „Stimmung” der Schimpansen einzuschätzen,” sagt Karline Janmaat von der Universität Amsterdam und dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.
Mangaben zeigen sich wachsamer und beobachten ihre Umgebung häufiger, wenn sie sich in der Nähe der Schimpansen-Nussknackstätten befinden. Sie scheinen sich also der erhöhten Gefahr bewusst zu sein, dort von Schimpansen gejagt zu werden. Die Mangaben wägen dieses Risiko aber offenbar gegen den Gewinn an energiereicher Nahrung ab. „Die Entscheidung der Mangaben, sich den von potenziellen Raubtieren hinterlassenenen Futterresten anzunähern, könnte kontextabhängig sein. Die Affen beurteilen jeweils situationsbezogen, wann sie sicher sind, wann sie wachsam sein oder sich zurückziehen müssen”, sagt Janmaat.
„Ähnliche Entscheidungen mussten möglicherweise auch unsere frühen menschlichen Vorfahren treffen, als sie sich den Überresten von Beutetieren annäherten, die von Raubtieren zurückgelassen wurden und die sonst schwer zu beschaffen gewesen wären”, ergänzt Janmaat. „Indem wir das Verhalten der Affen untersuchen, können wir auch neue Erkenntnisse in die Entstehung unserer eigenen Fähigkeit gewinnen, Entscheidungen zu treffen.”
„Traurig ist jedoch, dass die Wälder, in denen wir das faszinierende Verhalten der Affen beobachten, mit alarmierender Geschwindigkeit verschwinden,” sagt Bryndan van Pinxteren. “Wir verlieren nicht nur diese Wälder, sondern auch unsere evolutionäre Geschichte, da alle unsere nächsten lebenden Verwandten im Regenwald beheimatet sind.”
Originalpublikation:
Bryndan O.C.M. van Pinxteren, Giulia Sirianni, Paolo Gratton, Marie-Lyne Després-Einspenner, Martijn Egas, Hjalmar Kühl, Juan Lapuente, Amelia C. Meier, Karline R.L. Janmaat
Sooty mangabeys scavenge on nuts cracked by chimpanzees and red river hogs — An investigation of inter-specific interactions around tropical nut trees
American Journal of Primatology, 19. Juli 2018, DOI: 10.1002/ajp.22895

19.07.2018, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
Waldrand oder mittendrin: Das Erbgut von Mausmakis unterscheidet sich je nach Lebensraum
Forscher untersuchen die molekularen Folgen, die die Ränder von Lebensräumen für Tierpopulationen haben können.
Der Mensch breitet sich in vielen Ländern immer weiter aus und zerstückelt in der Folge die Lebensräume verschiedener Tierarten. Diese Zerstückelung bedeutet, dass in den Lebensräumen immer mehr Randbereiche entstehen, wie beispielsweise dem Rand zwischen Wald und angrenzenden Agrarräumen oder zwischen Wald und einer angrenzenden Savanne. Professorin Dr. Ute Radespiel aus dem Institut für Zoologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) konnte mit Wissenschaftlern der Universität Toronto jetzt zeigen, dass diese veränderten Lebensräume bei den auf Madagaskar in Wäldern lebenden Mausmakis auch das Erbgut der Tiere beeinflussen. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie heute in der Fachzeitschrift Oryx.
Professorin Dr. Ute Radespiel erklärt: „Es ist schon länger bekannt, dass sogenannte Habitatränder weitreichende ökologische Effekte haben. So unterscheiden sich zum Beispiel Temperatur, Lichteinstrahlung und Feuchtigkeit zwischen Waldrand und Waldinnerem, was typischerweise zu Veränderungen in der Vegetation führt. Viele Tierarten reagieren auf diese Schwankungen und zeigen eine Vorliebe für diese Habitate oder meiden die Gebiete. Es kommt auch vor, dass verschiedene Individuen einer Art verschiedene Vorlieben entwickeln.“ Radespiel vermutete, dass Tierarten, die auf die Ränder ihrer Lebensräume positiv oder negativ reagieren, ihr Wanderverhalten entsprechend anpassen. Sei dies der Fall, könne dieses Verhalten auch das Erbgut der Tiere beeinflussen: Der übliche genetische Austausch zwischen verschiedenen Arealen des natürlichen Lebensraumes würde sich verändern, wenn sich die Tiere nicht mehr frei bewegen. Solche molekularen Randeffekte wurden bislang nicht untersucht.
Radespiels Team untersuchte daraufhin in Nordwest-Madagaskar eine Population der gefährdeten Goldbraunen Mausmakis (Microcebus ravelobensis). Sie leben am Rand und im Inneren des Waldes. Für ihre genetischen Analysen fingen die Forscherinnen und Forscher die Tiere und entnahmen an den Ohren kleine Gewebeproben. Insgesamt sammelten sie Proben von 41 Tieren, die entweder am Waldrand oder in zwei weiter innen liegenden Regionen gefangen wurden. Die Gebiete im Waldinneren waren bis zu 1,4 Kilometer vom Waldrand und dem ersten Studiengebiet entfernt. Dies ist eine Distanz, die ein Goldbrauner Mausmaki noch überwinden kann. Mit Hilfe molekularer Methoden bestimmten die Forscher unter anderem die genetischen Unterschiede zwischen den Tieren der drei Studiengebiete.
Die Ergebnisse
Die Wissenschaftler fanden Hinweise auf unerwartet große genetische Unterschiede. „Trotz der geringen geographischen Distanz zwischen den Gebieten scheinen die Tiere zwischen den Gebieten nicht oder nur sehr selten zu wandern. Wir vermuten, dass die Tiere dazu tendieren, in ihrem bekannten Habitattyp, Waldrand oder Waldinneres, zu bleiben“, sagt Radespiel. „Diese Studie gibt damit erste Hinweise auf molekulare Auswirkungen von Habitaträndern auf einer kleinen räumlichen Skala. Falls sich diese Befunde in einer größeren Studie bestätigen, hätte dies weitreichende Konsequenzen für unser Verständnis von Evolutionsprozessen“, so Radespiel weiter, „zum Beispiel würde das bedeuten, dass Tierarten sich lokal stärker als bisher angenommen anpassen könnten. Wenn Tiere sich wegen ihrer lokalen Präferenzen in Habitatfragmenten nicht frei bewegen, führt dies auch zu einer zusätzlichen Unterteilung von bereits kleinen Populationen, die dadurch vermutlich noch anfälliger werden für zufällige oder menschliche Störungen.“ Das wiederum hätte zur Folge, dass Naturschutzbemühungen neu durchdacht werden müssten.
Originalpublikation:
Molecular edge effects in the Endangered golden-brown mouse lemur Microcebus ravelobensis
Ute Radespiel, Jennifer Schulte, Ryan Burke, Shawn Lehman
Oryx, DOI: 10.1017/S0030605318000029

20.07.2018, Georg-August-Universität Göttingen
Wissenschaftler der Universität Göttingen erforschen Ernährung von Dinosauriern
Forscherinnen und Forscher der Universitäten Leeds und Göttingen haben die Ernährung von pflanzenfressenden Dinosauriern untersucht. Dafür bauten sie Pflanzen unter ähnlichen atmosphärischen Bedingungen wie vor etwa 150 Millionen Jahren an. Die Annahme, dass Pflanzen, die in einer Atmosphäre mit hohem Kohlenstoffdioxid-Gehalt wachsen, zwangsläufig nährstoffärmer sind, wurde durch die Studie nicht bestätigt. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Palaeontology erschienen.
„Natürlich beschäftigen wir uns normalerweise mit Kühen oder Ziegen, also Tieren, über die wir sehr viel wissen“, sagt Prof. Dr. Jürgen Hummel aus dem Department für Nutztierwissenschaften und gemeinsam mit Dr. A. Reza Sharifi Mitautor der Studie. „Szenarien dazu zu entwickeln, wie die Ernährung von Dinosauriern ausgesehen haben könnte, war aber sehr spannend. Wir mussten die eine oder andere für Säugetiere eigentlich gesicherte Erkenntnis noch einmal überdenken.“ Die Forscherinnen und Forscher züchteten Pflanzen wie Schachtelhalm und Ginkgo in einer Atmosphäre, in der viel Kohlenstoffdioxid vorhanden ist. Damit ahmten sie die Lebenswelt der damals lebenden Sauropoden-Dinosaurier, der vermutlich größten Tiere überhaupt, nach. Die Verdauung der Pflanzenblätter im Magen der Dinosaurier simulierte das Team mit einem künstlichen Verdauungssystem im Göttinger Labor.
Aus den Ergebnissen lässt sich ableiten, dass viele der Pflanzen, die Dinosaurier fraßen, einen höheren Nährstoffgehalt hatten als manchmal angenommen. „Fazit unserer Untersuchung mit sechs Pflanzenarten war, dass sich – entgegen unserer Erwartung – in unserer Stichprobe nur in einem Fall ein eindeutig negativer Effekt des CO2-Gehalts in der Atmosphäre auf die Futterqualität ergab“, so Hummel. Die Art, wie Dinosaurier fraßen, lasse Rückschlüsse auf die Art, wie Dinosaurier lebten, zu, so die Autorinnen und Autoren. „Die Menge und Qualität des Futters spielt bei der Erklärung des Gigantismus von Sauropoden eine wichtige Rolle.“
Originalpublikation:
Diets of giants: the nutritional value of sauropod diet during the Mesozoic. Fiona L. Gill et al. Palaeontology (2018). Doi: https://doi.org/10.1111/pala.12385

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