Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

16.09.2019, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Vogelbilder helfen Algorithmus beim Lernen
Informatiker der Friedrich-Schiller-Universität Jena haben in den vergangenen vier Jahren einen Algorithmus zur sogenannten fein-granularen Objekterkennung entwickelt – ihr Ergebnis legten sie jetzt vor. Als Trainingsplattform wählten sie dafür ein Anwendungsgebiet aus der Natur, nämlich einen internationalen Datensatz mit 200 nordamerikanischen Vogelarten.
Objekte, die sich nur in wenigen Details unterscheiden, erkennen und bestimmen zu können – das ist eine große Herausforderung für die Künstliche Intelligenz (KI). Denn Computersysteme mit dieser Fähigkeit unterstützen den Menschen in vielen Bereichen erheblich. Beispielsweise können sie Biologen die Arbeit erleichtern, indem sie verschiedene Arten einer Klasse in der Tier- und Pflanzenwelt – etwa bei Insekten oder Blumen – automatisch identifizieren. Mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) haben Informatiker der Friedrich-Schiller-Universität Jena in den vergangenen vier Jahren zu diesem Zweck einen solchen Algorithmus zur sogenannten fein-granularen Objekterkennung entwickelt – ihr Ergebnis legten sie jetzt vor. Als Trainingsplattform wählten sie dafür ebenfalls ein Anwendungsgebiet aus der Natur, nämlich einen internationalen Datensatz mit 200 nordamerikanischen Vogelarten.
Maschine lernt selbst
„Grundsätzlich benötigen wir für diese Grundlagenforschung einfach eine hohe Anzahl an geeigneten Fotos, um den Algorithmus zu trainieren – denn er lernt selbst“, erklärt Prof. Dr. Joachim Denzler von der Universität Jena die Wahl der Vogeldatenbank. Der Professor für Digitale Bildverarbeitung hatte das Projekt gemeinsam mit seinen Kollegen Dr. Eric Rodner und Dr. Marcel Simon begonnen. „Deshalb sind wir auf solche Datensätze angewiesen. Unser Modell ist dann aber sehr flexibel einsetzbar – es kann zum Beispiel, wenn es entsprechend ausgerichtet wurde, auch verschiedene Automarken anhand des Designs erkennen.“
Das Modell der Jenaer Informatiker konzentriert sich bei der Identifikation auf einzelne Teile der Objekte. Das heißt, es versucht zunächst herauszufinden, wie sich ein Objekt beschreiben lässt. „Dazu teilt es beispielsweise einen Vogel in verschiedene Bereiche ein – also etwa Kopf, Flügel, Füße – und modelliert daraus dann ein Gesamtbild“, erklärt Dimitri Korsch von der Universität Jena, der aktuell gemeinsam mit seinem Kollegen Christoph Theiß an dem Projekt arbeitet. „Um das fehlerfrei zu lernen, muss es immer wieder mit neuen Bildern gefüttert werden, bei denen etwa Vögel unterschiedlicher Größe und in unterschiedlicher Position abgebildet sind. Hat das System verstanden, wie ein Vogel aussieht, dann geht es an die Feinabstimmung.“ Um die Art zweifelsfrei identifizieren zu können, müssen für die einzelnen Bereiche Zusatzinformationen extrahiert werden, wie etwa eine auffällige Musterung des Gefieders oder eine besondere Farbe am Schnabel. „Die Maschine versucht dann, die Teile des Vogels zu detektieren, die für seine Klassifizierung relevant sind“, ergänzt Denzler. „Auch hierfür benötigt sie ein langes Training durch viele verschiedene Abbildungen der entsprechenden Arten.“
Transparente KI
Mit ihrer Methode erreichen die Jenaer Experten eine Erkennungsrate von rund 90 Prozent – ein hervorragender Wert, der bereits Kollegen weltweit auf das Jenaer Modell aufmerksam gemacht hat. Zumal ihr Modell – im Gegensatz zu anderen Systemen dieser Art – nicht einfach nur auswendig lernt und das zu bestimmende Objekt dank riesiger Rechenleistung in kurzer Zeit mit anderen Bildern abgleicht, sondern durch das kontinuierliche Training und den damit verbundenen Lerneffekt tatsächlich verstanden hat, wie es die Vögel unterscheiden kann. Informatiker sprechen dabei vom sogenannten „deep learning“.
Außerdem weist der Algorithmus eine weitere Stärke auf: „Unsere Künstliche Intelligenz ist sehr transparent“, erklärt Denzler. „Wir können jederzeit beobachten, wie sie ihre Entscheidungen trifft und dabei nachvollziehen, wo Fehlerquellen sitzen.“ Bei Einsätzen in der Medizin, etwa bei der Tumorbestimmung, sei das sehr wichtig.
Vogelbestimmung mit Webseite
Als praktisches Nebenprodukt haben die Jenaer Informatiker eine Webseite entwickelt, die auf dem von ihnen entwickelten Algorithmus basiert. Mit ihr können Nutzerinnen und Nutzer, die das Programm heruntergeladen haben, mittels Abbildungen einzelne Vogelarten aus dem Datensatz bestimmen. Sie müssen nur ein Foto des gesuchten Vogels hochladen, der dann zur näheren Bestimmung mit den 200 nordamerikanischen und weiteren 30 einheimischen Vogelarten verglichen wird. Interessierte können sich die Webseite hier genauer anschauen und nutzen: https://birds.inf-cv.uni-jena.de/.

17.09.2019, Forschungsverbund Berlin e.V.
Nicht auf die Frisur, sondern auf den Inhalt kommt es: an den Haaren ist zu erkennen, ob Wildtiere „gestresst“ waren
Wissenschaftler um Alexandre Azevedo und Katarina Jewgenow vom Leibniz-IZW wiesen nun bei wildlebenden Mangusten in Portugal den Einbau des „Stress“-Hormons Cortisol in Haaren nach und bestimmten Normalwerte für Cortisol bei diesen kleinen Raubtieren. Alter, Geschlecht und Lagerzeit der Proben spiegelten sich in den Cortisolwerten wider, nicht jedoch Jahreszeit oder Reproduktionsstatus der Weibchen. Jetzt kann untersucht werden, ob verschiedene Lebensräume und veränderte Lebensumstände, etwa die Rückkehr der Iberischen Luchse als Nahrungskonkurrenten, die Mangusten in besonderer Weise belasten. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der wissenschaftlichen Zeitschrift „PLoS ONE“ publiziert.
Natürliche Feinde, Nahrungskonkurrenten, aber auch Lichtverschmutzung, Lärm oder Straßenverkehr belasten Wildtiere. Über Hormone wie das Cortisol lässt sich ihr Stresspegel im Blut prinzipiell nachweisen. „Doch allein das Einfangen der Tiere und die Blutabnahme erzeugt erheblichen Stress. Zudem erhalten wir über das Blut ohnehin nur eine Momentaufnahme“, sagt Prof. Katarina Jewgenow, Leiterin der Abteilung Reproduktionsbiologie am Leibniz-IZW. Auch im Kot lassen sich die Abbauprodukte des Cortisol nachweisen, mit einem Zeitfenster für den Rückblick auf die vergangenen 24 bis 48 Stunden. Als Langzeitarchiv für Belastungen, wie sie über den Cortisolpegel abgebildet werden, eignet sich nur ein Material: Tierhaare.
Im Rahmen seiner Dissertation untersuchte Leibniz-IZW Doktorand Alexandre Azevedo 294 Haarproben von ägyptischen Mangusten (Herpestes ichneumon) aus sieben Distrikten Portugals, wo die kleinen Raubtiere als eingewanderte „invasive“ Art bejagt werden. Die Haarabschnitte erlegter Mangusten wurden zunächst mit Alkohol gereinigt, pulverisiert und mit Methanol extrahiert. Die HPLC-Analyse der Extrakte aller Proben bestätigte, dass Cortisol im Haar der Mangusten während des Wachstums eingebaut wird. Nun konnten die WissenschaftlerInnen untersuchen, ob es auch als Biomarker für Belastungen („Stress“) geeignet ist.
Die ägyptische Manguste, zur Pharaonenzeit als heiliges Tier verehrt und deshalb auch „Pharaonenratte“ genannt, ist heute in Portugal weit verbreitet, weil sie dort über lange Zeit keine Nahrungskonkurrenten hatte. „Konkreter Anlass für unsere Studie ist die Wiederauswilderung des iberischen Luchses in Portugal“, erklärt Jewgenow. „Seine bevorzugten Beutetiere sind Kaninchen. Damit wird er jetzt zum direkten Nahrungskonkurrenten der Manguste. Die IZW-Forscher wollen in einer weiteren Studie nun untersuchen, inwieweit dies die Mangustenpopulationen unter Stress setzt. Nur fehlte es bislang an einer geeigneten Methode.“
Die Raubtierfamilie der Mangusten stammt ursprünglich aus Afrika, wo sie in trockenen Busch- und Grassavannen südlich der Sahara leben. Kleine Populationen verteilten sich entlang des Nils bis hin zum Mittelmeer. Von den 34 bekannten Arten sind 17 Arten reine Insektenfresser. Die ägyptische Manguste gehört zu den größten Mangustenarten und ist ein ausgesprochener Fleischliebhaber: Kaninchen sind ihre Hauptbeute, aber auch Mäuse, Echsen, Frösche und Würmer stehen auf dem Speiseplan. Außerdem gehört sie zu den Mangustenarten, die es sogar mit Schlangen aufnehmen. Deshalb wurden mehrere Mangustenarten, darunter auch die ägyptische Manguste, in verschiedenen Ländern zur „Schädlings“bekämpfung eingeführt. Ob sie deswegen bereits in der Antike nach Portugal und Spanien gebracht wurde, ist umstritten.
Originalpublikation:
Azevedo A, Bailey L, Bandeira V, Dehnhard M, Fonseca C, de Sousa L, et al. (2019) Age, sex and storage time influence hair cortisol levels in a wild mammal population. PLoS ONE 14(8): e0221124.
https://doi.org/10.1371/journal.pone.0221124

So könnte Protodontopteryx ruthae ausgesehen haben. Im Wasser schwimmen zwei der kürzlich beschriebenen Riesenpinguine. (Derek Orley, CC-BY-NC)

18.09.2019, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Ein Miniatur-Pseudozahnvogel aus der Riesenpinguin-Fundstelle
Senckenberg-Wissenschaftler Gerald Mayr hat gemeinsam mit neuseeländischen Forschenden eine neue Art der Pseudozahnvögel beschrieben. Das Fossil ist mit 61 Millionen Jahren der bisher älteste und gleichzeitig kleinste Vertreter dieser Vogelgruppe, deren Individuen Flügelspannweiten von mehr als 5 Metern erreichten. Der Vogel stammt von einer Fundstelle in Neuseeland und ist der älteste Nachweis eines Pseudozahnvogels von der Südhalbkugel. Das Fossil war nur etwa so groß wie eine Möwe. Anders als bisher bekannte Arten war die neue Art vermutlich kein Langstrecken-Segler und ernährte sich wahrscheinlich von Fisch.
Zackenartige Fortsätze an den Schnabelrändern sind das charakteristische Merkmal der Pseudozahnvögel. Statt im Kiefer verwurzelter Zähne wuchsen bei diesen langschnäbeligen Vögeln hohle, verschieden lange Knochenspitzen aus den Schnabelrändern, die beim Ergreifen von Beute halfen.
„Diese außergewöhnlichen Seevögel lebten über einen Zeitraum von etwa 55 Millionen Jahren bis zum Ende des Pliozäns vor etwa 2,5 Millionen Jahren“, erklärt Dr. Gerald Mayr vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum in Frankfurt. Fossilfunde in jüngeren geologischen Schichten sind gut bekannt, und neben dem ungewöhnlichen Schnabel sind Pseudozahnvögel durch extrem lange und dünne Flügelknochen gekennzeichnet. Über die frühe Evolution dieser Vögel war bisher allerdings nur sehr wenig bekannt und alle bisherigen Funde zeigten denselben hochspezialisierten Bauplan.
Mayr hat nun gemeinsam mit Prof. Paul Scofield und Dr. Vanesa De Pietri vom Canterbury-Museum aus Neuseeland eine neue Art der Pseudozahnvögel von einer Fundstelle entlang des Waipara-Flusses in Nord-Canterbury (Neuseeland) beschrieben. Diese Meeresablagerungen aus der Zeit des Paläozäns sind berühmt für die ältesten Pinguinfossilien, unter anderem stammt von dort ein kürzlich entdeckter Riesenpinguin.
„Das neue Fossil des Pseudozahnvogels hat die typischen Pseudozähne, aber im Rest des Skelettes unterscheidet es sich dramatisch von seinen hochspezialisierten jüngeren Verwandten“, erläutert der Frankfurter Ornithologe und fährt fort: „Das von uns als Protodontopteryx ruthae beschriebene, nahezu vollständige Skelett ist zudem deutlich kleiner, als alle bisher bekannten Vertreter der Pseudozahnvögel. Während die miozäne Art Pelagornis chilensis eine Flügelspannweite von mehr als 5 Metern hatte und damit ein idealer Segelflieger war, ist die neu entdeckte Art nur etwa so groß wie eine mittelgroße Möwe.“
Zudem unterscheidet sich das – vor einem Jahr durch den neuseeländischen Fossiliensammler Leigh Love geborgene und nach dessen Ehefrau Ruth benannte – Fossil durch deutlich kürzere und breitere „Pseudozähne“ von seinen Verwandten. Daher gehen die Forschenden davon aus, dass sich der kleine Seevogel nicht wie die erdgeschichtlich jüngeren Pseudozahnvögel von Tintenfischen ernährte, sondern dass überwiegend Fisch auf seinem Speiseplan stand.
„Das neu entdeckte Fossil ist das älteste bekannte und stammesgeschichtlich ursprünglichste Fossil. Obwohl die meisten bisherigen Funde von der Nordhalbkugel stammen, gehen wir daher davon aus, dass diese Seevögel ihren Ursprung auf der Südhalbkugel hatten“, schließt Mayr.
Originalpublikation:
Oldest, Smallest And Phylogenetically Most Basal Pelagornithid, From The Early Paleocene Of New Zealand, Sheds Light On The Evolutionary History Of The Largest Flying Birds, Papers in Palaeontology, 2019. By Gerald Mayr, Vanesa L. De Pietri, Leigh Love, Al Mannering and R Paul Scofield. DOI: 10.1002/spp2.1284

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