05.08.2019, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Vom Moa bis zum Kakapo – Millionen Jahren Evolution in Neuseeland verloren oder bedroht
Neue Forschungsergebnisse, an denen auch Luis Valente vom Museum für Naturkunde Berlin beteiligt war zeigen, dass es 50 Millionen Jahre dauern würde, bis die seit der Ankunft der Menschen in Neuseeland ausgestorbene Vogelwelt wiederhergestellt wäre. Wenn Arten, die derzeit als potenziell gefährdet eingestuft werden ebenfalls aussterben würden, wären nochmals 10 Millionen Jahre erforderlich. Die langen Zeiträume zeigen die langfristigen Folgen des vom Menschen verursachten Aussterbens auf die natürliche Evolutionsdynamik der Inseln.
Die Neuseeländischen Inseln sind die Heimat vieler einzigartiger Tier- und Pflanzenarten, die nirgendwo sonst zu finden sind. Seit der Ankunft des Menschen sind jedoch durch die Einführung invasiver Arten, die Zerstörung von Lebensräumen und die Übernutzung durch Landwirtschaft viele Arten verloren gegangen. Einer der verheerendsten Aussterbewellen in Neuseeland sind mehr als 70 Vogelarten zum Opfer gefallen. Derzeit sind viele der überlebenden Arten bedroht. Während die Auswirkungen des Menschen auf die Artenzahl Neuseelands bekannt sind, gab es bisher keine Studie, die den Einfluss des Menschen auf die Evolutionsgeschichte der Inseln untersucht hat.
Alfred Russel Wallace bezeichnete die neuseeländische Fauna als „wunderbar isoliert“, und sie ist tatsächlich einzigartig. Im Gegensatz zu anderen großen Landmassen war die Fauna Neuseelands von Vögeln dominiert, und es gab keine Säugetiere außer Fledermäusen. Als die Menschen die Inseln besiedelten, fanden sie den flugunfähigen Moa, den größten Adler der Welt und das nationale Symbol des Landes – den Kiwi – vor. Nach der Ankunft der Maori und später der Europäer starben Dutzende von Vogelarten aus, darunter alle Moas. Von den Arten, die diese Aussterbewelle überlebt haben, sind viele evolutionär isoliert und derzeit gefährdet, darunter der große Nachtpapagei Kakapo und der flugunfähige Rallenvogel Takahe.
Luis Valente (Museum für Naturkunde Berlin, Naturalis Biodiversity Center und University of Groningen) und Juan Carlos Garcia Ramirez von der Massey University (Neuseeland) sammelten zusammen mit Rampal Etienne von der University of Groningen (Niederlande) Daten über ausgestorbene und lebende Vögel in Neuseeland, wobei der Schwerpunkt auf einheimischen Landvögeln und ihren nahen Verwandten lag. Sie erforschten genetische und fossile Daten, die von anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über Jahrzehnte hinweg produziert wurden und alle bekannten neuseeländischen Arten abdecken, einschließlich derjenigen, die in den letzten 800 Jahren seit der Ankunft der Menschen ausgestorben sind. Mittels Computersimulationen kann nun vorhergesagt werden wie lange es dauern würde, bis die Inseln die Anzahl der verlorenen Arten wiedererlangen würden: Mindestens 50 Millionen Jahre würde es dauern, um zu der Zahl der Arten zurückzukehren, die vor der Ankunft des Menschen vorhanden war. Wenn derzeit bedrohte Arten auch noch aussterben würden, wären weitere sechs Millionen Jahre nötig, um zur heutigen Vielfalt zurückzukehren. Wenn Arten, die derzeit als potenziell gefährdet eingestuft werden, ebenfalls aussterben würden, wären nochmals 10 Millionen Jahre erforderlich. Die überraschend langen Zeiträume veranschaulichen die Folgen des vom Menschen verursachten Aussterbens auf die langfristige, natürliche Evolutionsdynamik auf den Inseln. Glücklicherweise können die großen Vogelschutzmaßnahmen Neuseelands noch verhindern, dass Millionen von Jahren Evolutionsgeschichte weiter verloren gehen.
Die Forschung wurde unter anderem durch Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der Niederländischen Organisation für wissenschaftliche Forschung (NWO) und des Massey University Fund unterstützt.
Publiziert in: Valente L., Etienne R.S., Juan-C Garcia R. Deep macroevolutionary impact of humans on New Zealand’s unique avifauna. Current Biology, http://cell.com/current-biology/fulltext/S0960-9822(19)30785-7, DOI: 10.1016/j.cub.2019.06.058
05.08.2019, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Einflüsse von Massenaussterbeereignissen auf Ökosysteme
Aussterbeereignisse zeigen sich nicht nur allein durch Verluste in der Artenvielfalt, sondern können auch nachhaltige Konsequenzen für Sedimenteigenschaften, Bodengemeinschaften, Nährstoffkreisläufe und damit ganze Ökosysteme haben. Forschende des Museums für Naturkunde Berlin präsentieren dazu Ergebnisse in einer kürzlich veröffentlichten Studie im Fachblatt Lethaia.
Bioturbation, das heißt die Durchwühlung des Meeresbodens durch grabende Organismen, ist ein wichtiges Kennzeichen von intakten Ökosystemen. So sorgt eine umfassende Umlagerung der oberen Sedimentschichten für eine hinreichende Versorgung mit Sauerstoff, den Transport von Nährstoffen im lockerem Meeresboden und ermöglicht damit die Herausbildung von komplexen Nahrungsnetzen und vielgestaltigen Wechselbeziehungen in marinen Lebensräumen.
Dass Aussterbeereignisse nicht nur Biodiversität selbst verringern, sondern auch solch entscheidende Ökosystemfunktion ausschalten, diskutieren Forschende des Museums für Naturkunde anhand von ca. 358 Millionen Jahre alten Spurenfossilen aus Marokko in einer kürzlich veröffentlichten Studie im Fachblatt Lethaia.
So findet sich in den Schichten des untersten Karbons Lagen, die durch das von Gliederfüßern (Trilobiten und Krebsen) verursachte Spurenfossil Cruziana dominiert werden. Diese Form erhält sich jedoch nur in hinreichend verfestigten, also nicht durchwühlten Sedimenten. „Diese eigentlich für das Frühpaläozoikum typische Erhaltungsform verschwindet mit der fortschreitenden Evolution und ökologischen Diversifizierung. Sie wird in jüngeren Sedimentabfolgen kaum beobachtet,“ erklärt Richard Hofmann, Postdoktorand am Museum für Naturkunde Berlin und Erstautor der Studie.
Einige Ausnahmen gibt es aber: Massenaussterbeereignisse können Ökosysteme nachhaltig schädigen, was sich in der fehlenden Sedimentumlagerung und folglich der Ausbreitung von früh verfestigten Meeresböden zeigt, da sie nicht durch grabende Organismen durchwühlt wurden. Für das größte Aussterben am Ende des Perms sind diese Effekte gut dokumentiert. Die Schichten aus Marokko wurden kurz nachdem sogenannten Hangenberg-Event abgelagert, welches zwar ein weniger drastisches aber dennoch globales Aussterbeereignis darstellt.
Die Spurenfossilvergesellschaftung zeigt, dass nur die Sedimentoberfläche von Generalisten besiedelt war, die lediglich flache Gräben im festen Meeresboden hinterließen. Hätte es eine diverse Bodengemeinschaft gegeben, hätten diese Spuren gar nicht angelegt werden können, oder wären durch die spätere Umlagerung nicht erhalten geblieben. Dies scheint ein wichtiges Merkmal für hinreichend große Massenaussterbereignisse zu sein.
Die weiteren Konsequenzen für das System Erde sind schwer abzuschätzen. „Man weiß nicht was passiert, wenn man auf globaler Ebene in den Meeren die Bioturbation verliert“ warnt Hofmann. „Nährstoffkreisläufe und die Versorgung mit Sauerstoff in tiefere Sedimentschichten könnten so stark eingeschränkt werden, dass Ökosysteme, ähnlich dem Verlust von Riffen, einen Großteil ihrer Komplexität verlieren“. Solche paläontologischen Studien geben wichtige Hinweise darauf, welche Folgen auch der derzeitige Artenschwund haben könnte.
Hofmann R., Gutwasser, B., Hüneke, H., Korn D. 2019: Firm evidence for a post‐extinction ichnofauna: earliest Carboniferous Cruziana reticulata assemblage from the Anti‐Atlas of Morocco. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/let.12345
06.08.2019, Georg-August-Universität Göttingen
Kleine Ackerflächen fördern die Biodiversität
Kleine Felder und vielen Arten von Nutzpflanzen fördern die Biodiversität in Agrarlandschaften. Vor allem eine Verkleinerung der Ackerflächen unter sechs Hektar führt zu einer stark erhöhten Artenvielfalt, weil auf diese Weise viele Insekten-, Vogel- und Pflanzenarten unterschiedliche Ressourcen nutzen können. Auch fördert eine Landschaft mit vielen Rändern die Lebensraum-Vernetzung. Das ist das Ergebnis einer Studie in acht Regionen in Europa und Nordamerika, an der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Göttingen beteiligt waren. Die Arbeit wurde in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA (PNAS) veröffentlicht.
Im Rahmen des EU-Projekts FarmLand untersuchten die Göttinger Wissenschaftler zusammen mit Kollegen aus Frankreich, Spanien, England und Kanada, ob sich die Artenvielfalt durch eine ökologische Aufwertung landwirtschaftlicher Flächen unabhängig vom Anteil naturnaher Lebensräume fördern lässt. Sie waren überrascht, welche große Bedeutung es hat, die Agrarlandschaften durch kleine Feldgrößen und den Anbau von mehr Kulturarten vielfältiger zu gestalten. Landschaften mit solchen heterogenen Agrarflächen beherbergen deutlich mehr Arten an Pflanzen, Bienen, Tagschmetterlingen, Schwebfliegen, Laufkäfern, Spinnen und Vögeln als Landschaften, die durch großflächige Monokulturen geprägt sind. So hat eine Verkleinerung der durchschnittlichen Feldgröße von rund fünf Hektar auf 2,8 Hektar den gleichen Effekt auf die Biodiversität wie die Erhöhung des Anteils naturnaher Lebensräume von 0,5 Prozent auf elf Prozent. Mehr Kulturartenvielfalt führte zu einem ähnlichen Ergebnis, aber nur, wenn die Agrarlandschaften auch einen höheren Anteil naturnaher Lebensräume aufwiesen.
„Die Ergebnisse zeigen, dass die Art der Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Betriebe einen wesentlichen, bisher unterschätzten Beitrag zur Erhaltung und Förderung der Artenvielfalt in unseren Agrarlandschaften leisten kann“, sagt Prof. Dr. Teja Tscharntke, Leiter der Abteilung Agrarökologie, der die Studie zusammen mit den Göttinger Agrarökologen Dr. Annika Haß, Dr. Aliette Bosem Baillod, Dr. Yann Clough und Dr. Peter Batary mit erstellt hat. „Kleine Felder und wechselnde Bepflanzung können erheblich zur Bekämpfung der dramatischen Biodiversitätskrise bei Insekten und Vögeln beitragen. Leider steht dagegen die aktuelle Intensivierung in der Landwirtschaft mit immer größeren Äckern und großflächigeren Monokulturen“, so Tscharntke.
Originalpublikation:
Clélia Sirami et.al. Increasing crop heterogeneity enhances multitrophic diversity across agricultural regions. PNAS 2019. doi/10.1073/pnas.1906419116
06.08.2019, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Gorillas als Nussknacker
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der Washington University in St. Louis haben im Rahmen einer Langzeitstudie eine Population von westlichen Flachlandgorillas im Loango Nationalpark, Gabun, dabei beobachtet, wie sie mit ihren Zähnen die harten Schalen von Coula edulis-Nüssen aufbrechen. Indem sie Daten aus Freilandbeobachtungen und aus mechanischen Tests an Nussschalen miteinander kombinierten, belegten die Forscher: um Zugang zu dieser energiereichen Nahrungsquelle zu erhalten, ist das Gebiss der Gorillas einer extrem starken Beanspruchung ausgesetzt.
Trotz ihrer beeindruckenden Körpergröße sind Gorillas dafür bekannt, dass sie sich vegetarisch ernähren und dabei fast ausschließlich Blätter und Obst zu sich nehmen. Ihre Backenzähne sind im Vergleich zu denen anderer Menschenaffenarten größer und besitzen höhere Höcker mit schärferen Scherkanten, was als Anpassung an das langanhaltende Kauen faserigen Pflanzenmaterials gilt. Andererseits sind ihre Zähne nicht gut für den Verzehr von harter und spröder Nahrung geeignet, wie zum Beispiel von Nüssen, die von einer verholzten Schale umschlossen sind. Die hohen Scherkanten ihrer Backenzähne können dadurch beschädigt werden. „Ich war erstaunt, als wir die Gorillas zum ersten Mal dabei beobachteten, wie sie Nüsse fraßen“, sagt Martha Robbins, Seniorautorin der Studie. „Wir können es nicht nur sehen, sondern auch hören, wenn die Nussschale unter der unglaublichen Stärke des Bisses nachgibt. Gorillas haben offensichtlich große, kräftige Kiefer; trotzdem hatten wir dieses Verhalten eigentlich nicht erwartet, weil ihre Zähne dafür nicht gut geeignet sind.“
Die Nüsse von Coula edulis sind von einer harten, verholzten Schale umgeben. Um sie zu knacken, muss ein Gewicht von etwa 270 Kilogramm auf die Schale einwirken, was einer Kraft von 2.648 Newton entspricht. Für die drei Monate, in denen die Nüsse übers Jahr verfügbar sind, konzentriert sich die Ernährung der Gorillas im Loango Nationalpark in Gabun auf diese energiereichen Nusskerne. Sie verbringen dabei bis zu drei Stunden täglich, um sich zu dem weichen Kern durchzubeißen. Das ist überraschend, denn Tiere, die sehr harte Nahrung zu sich nehmen, haben in der Regel starke, abgerundete Backenzähne, die wie Mörser und Stößel wirken und spröde Nahrung sehr effizient aufknacken. Wie bei anderen Laubfressern haben Gorillazähne hohe Zahnhöcker mit zusätzlichen Kanten zum Zerschneiden von zäher Nahrung. Unter der gewaltigen Beißkraft, die zum Knacken von Nüssen erforderlich ist, können scharfkantige Zähne leicht brechen und nutzen sich schneller ab. Dass Gorillas in Loango regelmäßig ihre Zähne aufs Spiel setzen und bis an ihre mechanische Belastungsgrenze bringen, hat die Forscher überrascht. Während andere Primaten, wie Schimpansen, ihre Zähne schützen, indem sie zum Nüsse knacken Werkzeug benutzen, scheinen Gorillas im Loango Nationalpark hingegen rohe Gewalt anzuwenden, um die verholzten Schalen der Coula edulis-Nüsse zu durchbrechen. Dass sie dies Jahr für Jahr tun zeigt: Gorillazähne sind wohl stärker als bisher angenommen.
Die Studie lässt außerdem darauf schließen, dass westliche Flachlandgorillas eine viel größere Nahrungspalette haben, als bisher angenommen. Da andere Gorillapopulationen keine Nüsse knacken, obwohl diese in ihrem Lebensraum ebenfalls vorkommen, könnte es sich dabei um ein kulturelles Verhalten handeln, das Gorillas bei anderen Gruppenmitgliedern beobachten und das von ihnen erlernen. „Dass wir das Nüsse essen in Loango beobachten, aber nicht in anderen Wäldern Zentralafrikas, in denen auch Nüsse vorkommen, verdeutlicht noch einmal mehr, wie wichtig die Erforschung und der Schutz von Gorillas in ihrem gesamten natürlichen Verbreitungsgebiet ist“, sagt Robbins.
Die Entdeckung, dass einige Gorillas regelmäßig Nüsse mit ihren Zähnen knacken, könnte auch Auswirkungen darauf haben, wie Forscher zukünftig die fossilen Überreste unserer menschlichen Vorfahren interpretieren. Obwohl ihre Zähne scheinbar nur für eine blattreiche Ernährungsweise geeignet sind, zeigt die Studie, dass westliche Flachlandgorillas durchaus in der Lage sind, regelmäßig Nüsse zu knacken. Auch für die Rekonstruktion der Ernährung unserer menschlichen Vorfahren anhand der Beschaffenheit ihrer Zähne könnten diese neuen Erkenntnisse relevant sein.
Originalpublikation:
Adam van Casteren, Edward Wright, Kornelius Kupczik, Martha Robbins
Unexpected hard‐object feeding in Western lowland gorillas
American Journal of Physical Anthropology, 02 August 2019
http://dx.doi.org/10.1002/ajpa.23911
07.08.2019, Universität Hamburg
Artenvielfalt schwindet schneller als bislang angenommen
Die Zerstörung wichtiger Lebensräume für Pflanzen und Tiere weltweit schreitet noch schneller und in größerem Ausmaß voran als bislang angenommen. Das zeigt die neue Untersuchung eines internationalen Forschungsteams, an dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Hamburg beteiligt sind. Die Forschenden haben Prognosen für 33 artenreiche und gleichzeitig besonders bedrohte Gebiete weltweit erstellt, für die sogenannten „Hotspots“ der Biodiversität.
„Alle Hotspots zusammen entsprechen nur 2,5 Prozent der Erdoberfläche, beherbergen aber über 50 Prozent aller Pflanzen- und Wirbeltierarten der Erde“, erklärt Livia Rasche vom Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) an der Universität Hamburg. Erstmals berücksichtigte die Hauptautorin der Studie die Auswirkungen der beiden wichtigsten Faktoren: Landwirtschaft und Klimawandel. Die Ergebnisse erschienen jetzt in der Fachzeitschrift „Conservation Letters“.
„Unsere Studie zeigt für die kommenden 30 Jahre, dass die Folgen der Ausbreitung landwirtschaftlicher Fläche gravierend sind, weil sie die natürlichen Lebensräume unmittelbar zerstören“, sagt Rasche. So verlieren neun bis dreizehn der 33 Hotspots ihre gesamte unberührte Vegetation. Der Klimawandel hingegen wirkt nur in zwei bis sechs Hotspots auf mehr als die Hälfte der Fläche signifikant. Klimaänderungen beeinträchtigen die Artenvielfalt also eher langfristig, während die Landwirtschaft kurzfristig große Zerstörung anrichten kann.
„Stark gefährdet sind unter anderem Bereiche auf den Philippinen, den Karibischen Inseln, Madagaskar, im tropischen Afrika und im Amazonas-Regenwald, wo besonders viele Pflanzenarten heimisch sind. Dort wächst die Bevölkerung rasant und benötigt immer größere Flächen für die Landwirtschaft“, sagt Prof. Jan Christian Habel von der Universität Salzburg, der ebenfalls Hauptautor der Studie ist. Gleichzeitig stehen nur wenige artenreiche Gebiete unter Naturschutz.
Die Ergebnisse zeigen zudem, dass gerade jene Hotspots besonders unter Druck stehen, in denen ohnehin nur noch wenig intakte Pflanzenwelt vorhanden ist. „In mindestens neun Hotspots sind alle der nur dort vorkommenden Arten vom Aussterben bedroht“, so Rasche.
„Die Lage ist viel ernster als bisher angenommen und Schutzmaßnahmen sind dringend nötig“, schlussfolgert Habel. Die Regierungen der Welt sollten sich deshalb zu einem nachhaltigen Landmanagement verpflichten. „Dies muss so umgesetzt werden, dass die Versorgung der Menschen, der Klimawandel und die biologische Vielfalt gemeinsam berücksichtigt werden“, ergänzt Rasche.
Fachartikel:
Habel J C, Rasche L, Schneider U A, Engler J O, Schmid E., Rödder D, Meyer S T, Trapp N, Sos del Diego R, Eggermont H, Lens L, Stork N E (2019): Final countdown for biodiversity hotspots, Conservation Letters, https://doi.org/10.1111/conl.12668
08.08.2019, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Rückgang großer Süßwassertierarten um 88 Prozent
Seen und Flüsse bedecken nur etwa ein Prozent der Erdoberfläche, beherbergen aber ein Drittel aller Wirbeltierarten weltweit. Doch das Leben in den Binnengewässern ist stark bedroht. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und internationale Kolleginnen und Kollegen haben nun erstmals die globale Bestandsentwicklung der größten Wirbeltierarten in Binnengewässern quantifiziert: Von 1970 bis 2012 sind die weltweiten Bestände der Süßwasser-Megafauna um 88 Prozent zurückgegangen – der Verlust ist damit doppelt so hoch wie bei Wirbeltieren an Land oder im Meer. Besonders betroffen sind große Fischarten.
Zur Süßwasser-Megafauna zählen alle Süßwassertierarten, die 30 Kilogramm oder mehr wiegen, wie zum Beispiel Flussdelfinarten, Bieber, Krokodile, Riesenschildkröten und Störe. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler trugen vorhandene Bestandsdaten von 126 Süßwasser-Megafauna-Arten weltweit sowie historische und aktuelle geographische Verbreitungsdaten von 44 Arten in Europa und den USA zusammen.
„Die Ergebnisse sind erschreckend und bestätigen die Befürchtungen von Expertinnen und Experten, die sich mit der Erforschung und dem Schutz der Süßwasserfauna beschäftigen“, stellt Sonja Jähnig fest, Leiterin der Studie und Expertin für den Einfluss des globalen Wandels auf Fließgewässerökosysteme am IGB. Im untersuchten Zeitraum sind die Bestände großer Süßwassertierarten um 88 Prozent zurückgegangen, vor allem in den Regionen Orientalis (um 99 Prozent) und Paläarktis (um 97 Prozent) – erstere umfasst Süd- und Südostasien sowie das südliche China, letztere Europa, Nordafrika und den größten Teil Asiens. Große Fischarten wie Störe, Lachsfische und Riesenwelse sind besonders betroffen: sie führen mit 94 Prozent die traurige Spitze an, vor Reptilien mit 72 Prozent Rückgang.
Zwei Hauptrisiken: Übernutzung und Verlust freifließender Flüsse
Die Übernutzung der Bestände für den Fleisch- und Kaviarkonsum und die Verwendung von Stör- oder Reptilienhaut für Luxusartikel und Medizinprodukte ist der Hauptgrund für die Gefährdung. Gefolgt von der Zerstörung des Lebensraumes: „Der Rückgang von großen Fischarten wie dem Stör liegt auch an der zunehmenden Verbauung von Fließgewässern, durch die der Zugang zu Laich- und Futtergründen versperrt wird. Trotzdem sind weltweit weitere 3700 große Staudammprojekte in Planung beziehungsweise im Bau, die diese Situation noch verschärfen werden. Mehr als 800 dieser geplanten Staudämme befinden sich in genau den Gebieten mit der größten Artenvielfalt an Süßwasser-Megafauna, darunter die Amazonas-, Kongo-, Mekong und Ganges-Flusseinzugsgebiete“, so Fengzhi He, Erstautor der Studie und Experte für Biodiversitätsmuster und den Schutz von Süßwasser-Megafauna am IGB.
Erfolgreicher Schutz: Stör, Biber und der Irawadidelfin
Doch es gibt auch erfolgreiche Schutzbemühungen: Dank gezielter Schutzmaßnahmen sind die Bestände von 13 Süßwasser-Megafauna-Arten in den USA stabil oder wachsen sogar. Das gilt beispielsweise für den Grünen Stör (Acipenser medirostris) und den Amerikanischen Biber (Castor canadensis). In Asien ist die Population des Irawadidelfins (Orcaella brevirostris) zum ersten Mal in zwanzig Jahren gewachsen. In Europa scheinen effiziente und großangelegte Schutzstrategien schwieriger umsetzbar, vielleicht aufgrund politischer Grenzen und länderspezifischer Unterschiede im Umweltbewusstsein. Trotzdem hat sich beispielsweise der Europäische Biber (Castor fiber) mittlerweile wieder in vielen Regionen angesiedelt, in denen er lange als ausgerottet galt. In Deutschland engagiert sich das IGB mit internationalen Partnern dafür, die beiden einst heimischen Störarten Europäischer Stör (Acipenser sturio) und Atlantischer Stör (Acipenser oxyrinchus) wieder in europäischen Gewässern anzusiedeln.
Verbesserungspotenzial: Monitoring und Schutz aquatischer Biodiversität
Ungeachtet der starken Bedrohung sind die derzeitigen Schutzmaßnahmen für viele Süßwassertierarten unzureichend. „Laut der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN gilt über die Hälfte aller bewerteten Megafauna-Arten im Süßwasser als vom Aussterben bedroht. Dennoch erhalten diese Arten weniger Aufmerksamkeit von Forschung und Naturschutz als die Megafauna in terrestrischen oder marinen Ökosystemen“, mahnt Jähnig. Die nun aufgezeigte globale Bestandsentwicklung der Süßwasser-Megafauna unterstreicht die Dringlichkeit von Schutzmaßnahmen für die biologische Vielfalt in Binnengewässern. Es ist wichtig das Monitoring der Bestände und die Verbreitung von Süßwasserarten in Regionen wie Südostasien, Afrika und Südamerika zu verbessern. Denn natürlich geben Veränderungen der Bestandsgrößen und der geografischen Verteilung viel früher Auskunft über den Zustand von Ökosystemen und ihren Lebewesen als das Aussterben von Arten.
Originalpublikation:
He F, Zarfl C, Bremerich V, David JNW, Hogan Z, Kalinkat G, Tockner K & Jähnig SC (2019) The global decline in freshwater megafauna populations. Global Change Biology. DOI: 10.1111/gcb.14753
08.08.2019, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
Grenzen der Anpassung bei Steinkorallen
Korallen sind seit Jahrmillionen grandiose Baumeister der Meere. Mit ihren Skeletten aus Kalk schaffen sie vielfältige Riffstrukturen. Dass die mit dem Klimawandel zunehmende Ozeanversauerung das Wachstum der Korallen beeinträchtigt, ist bekannt. Die Frage, ob und wie Korallen sich an Veränderungen anpassen können, haben Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel und der University of California Santa Cruz jetzt zu einem Teil beantwortet und dabei wichtige weitere Einblicke in die Regulierungsprozesse der Kalkbildung erhalten. Die Ergebnisse wurden heute in der internationalen Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.
Korallen faszinieren Laien und Experten: kleine Polypen, die im Laufe ihres Lebens dem Meerwasser Kalk entziehen und daraus ihre mitunter riesigen Skelette aufbauen. Doch der Klimawandel mit steigenden Wassertemperaturen und zunehmender Versauerung der Meere verändert die Lebenswelt der Korallen in einem beispiellosen Tempo. Ob sie mit diesen Veränderungen Schritt halten und sich anpassen können, ist bislang eine offene Frage. Jetzt liefern Forscher und Forscherinnen des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel und der University of California mit einer Studie über Steinkorallen der Art Porites astreoides, die natürlich bei niedrigem pH-Wert und hohen gelösten Kohlenstoff-Gehalt leben, einen Teil der Antwort. Mitfinanziert wurden diese Arbeiten durch den österreichischen Wissenschaftsfond FWF (Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung). Die Ergebnisse erschienen heute in der internationalen Fachzeitschrift Nature Communications.
Korallen haben in Millionen von Jahren große Umweltveränderungen erlebt und bewältigt. Ihre Skelette sind, wie Baumringe, ein Umweltarchiv, das es der Forschung erlaubt, Einblicke in vergangene Zeiten zu erhalten. Aus kleinsten Unterschieden in der chemischen Zusammensetzung von Korallenskeletten können Rückschlüsse auf ehemals herrschende Umweltbedingungen gewonnen werden. Allerdings sind immer noch viele Details zu den Kontrollprozessen des Skelettaufbaus der Korallen offen.
Um mehr über diese Prozesse zu erfahren, nutzten die Forscherinnen und Forscher ein natürliches Labor vor der mexikanischen Ostküste. Aus nahezu kreisrunden Löchern im Meeresboden, sogenannten Ojos, tritt dort Grundwasser aus. Dieses hat zuvor im Untergrund der Halbinsel Yucatan Kalk gelöst. Es ist im Verhältnis zum normalen Meerwasser saurer, enthält aber mehr gelösten Kohlenstoff und ähnelt damit dem Meerwasser der Zukunft.
Trotz dieser eigentlich ungünstigen Bedingungen hat sich hier die Steinkoralle Porites astreoides angesiedelt. Sie wächst jedoch langsamer als ihre Verwandten außerhalb der Ojos. „Anders als bei Korallen, die in Laborexperimenten nur einige Wochen bis Monate solch einer sauren Umgebung ausgesetzt werden, leben die von uns beprobten Korallen von Beginn an unter derartigen Bedingungen“, sagt Prof. Dr. Adina Paytan von der University of California Santa Cruz, Co-Autorin der Studie.
Für die Studie wurden Proben von Korallen genommen, die in unterschiedlichem Abstand zu den Ojos leben. Damit konnten die Forschenden Korallen der gleichen Art bei unterschiedlich starker Veränderung der Meerwasserzusammensetzung untersuchen.
Aus früheren Studien ist bekannt, dass das Verhältnis von Bor- und Kohlenstoff-Isotopen im Korallenkalk Aufschluss über chemische Eigenschaften der kalkbildenden Flüssigkeit zum Zeitpunkt der Skelettbildung gibt. „Kiel ist einer der wenigen Standorte, an denen wir über die notwendige Analytik verfügen, um diese Verhältnisse hochauflösend und simultan messen zu können“, erklärt Dr. Jan Fietzke, Physiker am GEOMAR und Co-Autor der Studie, „Wir erfassen damit zwei wichtige Parameter der Korallenkalzifizierung.“
Die Untersuchungen ergaben eine nahezu gleichbleibende chemische Zusammensetzung aller Proben. „Daraus können wir schließen, dass jeder Polyp für die Skelettbildung eine kalzifizierende Flüssigkeit erzeugt, die weitestgehend unabhängig von den sie umgebenden Meerwasserbedingungen ist“, erklärt die GEOMAR-Meeresbiologin Dr. Marlene Wall, Erstautorin der Studie, „doch auch kleine Veränderung in den beiden untersuchten Parameter können Auswirkung auf Kalzifizierung haben.“ Auf den chemischen Daten basierende Modellrechnungen für das Korallenwachstum bilden den im Feld gemessen Rückgang des Wachstums ab. In einer Umgebung mit niedrigerem pH-Wert müssen die Korallen an den Ojos mehr Aufwand betreiben, um ihren pH-Wert auf das beobachtete Niveau anzuheben. Dieser Prozess kostet sie wahrscheinlich mehr Energie.
Da die Korallen ihre Energiereserven auf viele wichtige Funktionen wie Nahrungserwerb, Verdauung oder Krankheitsabwehr verteilen müssen, wachsen sie insgesamt langsamer. Weitere Einflüsse, wie die Kalzium-Konzentration in der kalkbildenden Flüssigkeit oder die Rolle von Korallen-Symbionten, bieten allerdings noch Potenzial für weitere Forschungen. „Die Studie hat somit auch gezeigt, dass wir längst noch nicht alle Zusammenhänge zwischen den Veränderungen des Meerwassers und dem Korallenwachstum verstehen“, fasst Dr. Wall zusammen.
Originalpublikation:
Wall, M, J. Fietzke , E. D. Crook, A. Paytan (2019) Using B isotopes and B/Ca in corals from low saturation springs to constrain calcification mechanisms. Nature Communication, http://dx.doi.org/10.1038/s41467-019-11519-9
08.08.2019, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Seltene Antilopen und schwarze Katzen
Mit Videofallen hat eine Würzburger Forschungsgruppe auf dem Kilimandscharo zahlreiche große Säugetiere dokumentiert. Für die Artenvielfalt in dieser Tiergruppe sind die geschützten Bereiche des Berges enorm wichtig.
In Tansania lebt eine sehr scheue Antilopenart, die es sonst nirgendwo auf der Welt gibt. Laut Roter Liste ist sie als gefährdet einzustufen. Erst im Jahr 2003 gelang es Forschern, erstmals ein Foto von einer dieser Antilopen zu machen. Wie häufig sie am Kilimandscharo vorkommt, war bis jetzt nicht dokumentiert. Ihr Name: Abbott-Ducker (Cephalophus spadix).
Nun gibt es aber zahlreiche Videos, auf denen die Antilopen zu sehen sind. Aufgenommen wurden die Filmsequenzen von einer Forschungsgruppe der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU), die seit Jahren am Kilimandscharo in Sachen Biodiversität forscht. Bei den aktuellen Arbeiten ging es unter anderem um die Frage, wie die Artenvielfalt von größeren Säugetieren durch Klimaveränderungen und Aktivitäten des Menschen beeinflusst wird.
„Wir haben den Abbott-Ducker mit unseren Videofallen an elf Standorten in Höhen von 1920 bis 3849 Metern insgesamt 105 Mal erwischt“, sagt Doktorandin Friederike Gebert vom Biozentrum der JMU. „Sogar ein Video von einem Paarungsversuch ist dabei“, freut sich die Wissenschaftlerin. Und das ist nicht die einzige Besonderheit, die nun auf Film gebannt ist.
Zehntausende Videosequenzen ausgewertet
Insgesamt hatte das Team um Professor Ingolf Steffan-Dewenter und Dr. Marcell Peters am Kilimandscharo auf 66 Untersuchungsflächen jeweils fünf Kamerafallen installiert – von der Savanne im Tiefland über die Waldregionen in den mittleren Höhenstufen bis hin zur Buschlandschaft auf bis zu 4550 Meter Höhe. Die Kameras blieben jeweils zwei Wochen vor Ort, dann wurden sie abgeholt und ausgewertet.
80.000 Filmschnipsel hatte Friederike Gebert zu sichten, auf gut 1.600 davon waren tatsächlich auch Säugetiere zu sehen. Darunter fanden sich insgesamt 33 Wildtierarten – neben dem Abbott-Ducker zum Beispiel Busch- und Stachelschweine, Kleinkudus oder Steppenpaviane. Auch Servalkatzen sind dokumentiert. Diese gelb-schwarz gemusterten Raubtiere sind in etwa so groß wie Luchse, aber zierlicher gebaut. Die Videos zeigen auch eine ganz besondere Serval-Variante: ein Tier, dessen Fell komplett schwarz ist.
Schutzgebiete sind wichtig für Biodiversität
Die Ergebnisse der Forschungsgruppe sind ab 14. August 2019 im „Journal of Animal Ecology“ veröffentlicht. „Alles in allem konnten wir zeigen, dass der Artenreichtum bei großen Säugetieren in den mittleren Höhen des Berges, also in den Waldregionen, am größten ist“, sagt Friederike Gebert. Je mehr Pflanzenbiomasse und potenzielle Beutetiere es gibt, umso größer fällt die Biodiversität aus.
„Bei den großen Säugetieren ist die Biodiversität vor allem in Naturschutzgebieten hoch, während sie in nicht geschützten Arealen um 53 Prozent abfällt – und das, obwohl viele der nicht geschützten Flächen noch einen natürlichen Bewuchs besitzen“, sagt Professor Steffan-Dewenter. „Damit unterstreicht unsere Studie, wie wichtig Schutzgebiete für die Aufrechterhaltung der Artenvielfalt bei großen Säugetieren in tropischen Bergregionen sind.“ Die Schutzgebiete am Kilimandscharo zu erhalten und weitere auszuweisen, sei aus Sicht der Wissenschaft ein sehr wünschenswertes Ziel.
Kooperationspartner und Förderer
Diese Ergebnisse sind in einer Kooperation der Universität Würzburg mit der Nelson Mandela African Institution of Science and Technology (Arusha, Tansania) und dem College of African Wildlife Management (Mweka, Tansania) entstanden.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat die Arbeiten im Rahmen der DFG-Forschergruppe 1246 (Kilimanjaro Ecosystems Under Global Change: Linking biodiversity, biotic interactions and biogeochemical ecosystem processes – Sprecher: Prof. Dr. Ingolf Steffan-Dewenter) gefördert. Finanzielle Unterstützung kam auch vom Deutschen Akademischen Austauschdienst, DAAD.
Originalpublikation:
“Primary productivity and habitat protection predict elevational species richness and community biomass of large mammals on Mt. Kilimanjaro”, Friederike Gebert, Henry K. Njovu, Anna C. Treydte, Ingolf Steffan-Dewenter, Marcell K. Peters, Journal of Animal Ecology, 14. August 2019, DOI: 10.1111/1365-2656.13074
08.08.2019, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Stachellose Bienen lassen sich durch Koffein nicht austricksen
Koffeinhaltiger Nektar und Pollen regt stachellose Bienen nicht – wie Honigbienen – zu mehr Sammeltätigkeit an
In Europa kennen wir vor allem die Westliche Honigbiene (Apis mellifera), die einen Stachel zu ihrer Verteidigung besitzt. Stachellose Bienen kommen vorwiegend in den Tropen und Subtropen vor. Als hochsoziale Arten leben sie ebenfalls als Volk in einem Bienenstock und sammeln Honig. Während jedoch Westliche Honigbienen auf koffeinhaltigen Nektar und Pollen reagieren und in ihrer Sammeltätigkeit angeregt werden, ist Koffein für die stachellosen Bienen offenbar uninteressant. „Wir haben stachellose Bienen in Brasilien untersucht, aber keinen Effekt gefunden, wenn wir ihnen koffeinhaltiges Futter angeboten haben“, teilt Dr. Christoph Grüter von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) mit. „In unserer Studie ließen sich die Tiere durch Koffein nicht austricksen.“ Manche Pflanzen fügen nämlich ihrem Nektar Koffein oder andere sekundäre Pflanzenstoffe zu, um die Bestäuber zu manipulieren. Westliche Honigbienen und Hummeln fallen darauf herein: Sie sind aktiver und erhöhen so die Befruchtung, sammeln aber unter Umständen minderwertiges Futter, was ihnen selbst oder der Kolonie schadet.
Auswirkung von Koffein bei stachellosen Bienen zum ersten Mal untersucht
Koffein ist ein Inhaltsstoff in verschiedenen Pflanzen wie Kaffee, Tee oder Zitruspflanzen und hat bekanntermaßen eine anregende Wirkung auf das Nervensystem – auch bei Honigbienen. Wenn sie Koffein erhalten, steigt ihre Motivation und ihre Sammeltätigkeit: Sie trinken mehr Nektar, ihre Lernleistung wird verbessert, die Blüten werden häufiger aufgesucht und andere Bienen werden zu der Futterquelle geschickt. Dies kann sich längerfristig negativ auf die Kolonie auswirken. Manche Pflanzen nutzen nämlich Inhaltsstoffe wie Koffein, um Insekten anzuziehen und dadurch ihre Bestäubung zu fördern, während sie selbst möglichst wenig Energie in Nektar und Pollen investieren. Dann kann zum Beispiel eine Honigbiene, die Koffein gefunden hat, ihre Nestgenossinnen über den Schwänzeltanz zu dieser Futterquelle führen, die ihnen jedoch im Vergleich zu anderen Pflanzen weit weniger Zucker liefert, also von schlechterer Qualität ist.
Christoph Grüter und sein Team haben erstmals untersucht, ob auch stachellose Bienen auf Koffein reagieren. Für die Studie, die in Kooperation mit der Goethe-Universität Frankfurt und der Universität von São Paulo erfolgte, haben sie die Art Plebeia droryana ausgewählt, eine kleine Biene von der Größe einer Gartenameise, die im Süden Brasiliens heimisch ist. In Mittel- und Südamerika kommen über 400 völlig unterschiedliche Arten stachelloser Bienen vor. P. droryana ist ein typischer Bestäuber von Kaffee. „Kaffeepflanzen können zwar auch ohne Bestäubung Samen ausbilden, die Bestäubung erhöht allerdings den Ertrag“, erklärt Tianfei Peng, Doktorand in der Gruppe von Grüter und Erstautor der Studie. „Weil Kaffeebüsche Pollen und Nektar produzieren, werden sie von den Bienen recht gerne aufgesucht.“ Der Pollen wird an den Hinterbeinen der Insekten zurück ins Nest transportiert und Nektar wird im Sozialmagen gespeichert – wie bei Honigbienen auch.
Nicht Koffein, aber Zucker macht den Unterschied
Zunächst hat das Biologenteam stachellose Bienen auf einer ehemaligen Kaffeeplantage in der Nähe von São Paulo darauf trainiert, Zuckerlösung von einem Futterspender aufzunehmen. Dann wurde den Insekten eine Zuckerlösung mit und ohne Koffein angeboten, wobei die Konzentration der Stimulanz dem natürlichen Koffeingehalt von brasilianischen Kaffeepflanzen angepasst war. Ein Teil der kleinen, nur drei Millimeter langen Tiere wurde mit Farbe markiert, um sie wiederzuerkennen und ihr Verhalten zu verfolgen: Wie häufig kommen sie zur Futterquelle zurück? Wie schnell sammeln sie das Futter? Werden die Nestgenossinnen informiert? Stachellose Bienen verfügen zwar nicht über den Schwänzeltanz, aber sie können auf eine andere Art, die noch nicht genau bekannt ist kommunizieren, möglicherweise über Pheromonspuren oder Vibrationsgeräusche.
„Wir konnten bei keiner Messung einen Effekt von Koffein feststellen“, fasst Grüter die Ergebnisse zusammen. „Die Bienen kamen gleichermaßen zu den Futterspendern, auch wenn sie kein Koffein vorfanden.“ Weshalb sich stachellose Bienen von Koffein nicht verführen lassen, liegt vielleicht an der Anpassung: P. droryana könnte im Laufe der Zeit eine Toleranz gegenüber Koffein entwickelt haben. Immerhin wird in Brasilien seit fast 300 Jahren Kaffee kultiviert. Oder aber es bestehen physiologische Unterschiede zwischen stachellosen Bienen und anderen Gruppen.
Während Koffein also die Sammeltätigkeit nicht beeinflusst, zeigte sich ein anderer Effekt: Wurden den Tieren Lösungen mit unterschiedlich hoher Zuckerkonzentration angeboten, dann wählten mehr Bienen die Zuckerlösung mit der höheren Konzentration – also das höherwertige Futter. Als nächstes, so Grüter, wäre es interessant zu erforschen, wie sich stachellose Bienen in einer Region ohne Kaffeetradition verhalten, beispielsweise in Australien.
Originalpublikation:
Tianfei Peng et al.
Resource profitability, but not caffeine, affects individual and collective foraging in the stingless bee Plebeia droryana
Journal of Experimental Biology, 13. Mai 2019
DOI: 10.1242/jeb.195503