Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

08.04.2019, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Mysteriöser Menschenaffe aus Java entlarvt
Senckenberg-Wissenschaftler haben mit einem internationalen Team eine weitere fossile Menschenaffenart in der Senckenberg Hominiden-Sammlung nachgewiesen. Die neue Art wurde bereits 1950 von Gustav Heinrich Ralph von Koenigswald, dem Begründer der paläoanthropologischen Abteilung Senckenbergs, als Meganthropus palaeojavanicus beschrieben, jedoch damals als Urmensch gedeutet. Durch Untersuchungen der anatomischen Strukturen der Zähne zeigen die Forschenden nun, dass es vor etwa einer Million Jahren im Lebensraum von Homo erectus mindestens drei weitere Hominiden auf Java gab. Die Studie erscheint heute im Fachjournal „Nature Ecology & Evolution“.
Mehr als 200 fossile Zähne und Kieferteile wurden bereits auf Java in Indonesien entdeckt. Überwiegend gehören diese homininen Überreste zu der ausgestorbenen Art Homo erectus, zu der auch die ersten von Eugène Dubois 1891 außerhalb Europas gefundenen Fossilien von Frühmenschen zugeordnet wurden. „Bekannt ist, dass Homo erectus sich auf Java zur Zeit des Pleistozäns, vor etwa einer Million Jahre, in Gesellschaft von Vorläufern des heutigen Orang-Utans befand“, erklärt PD Dr. Ottmar Kullmer vom Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt und fährt fort: „Wir konnten nun nachweisen, dass es zeitgleich sogar noch eine weitere Menschenaffenart gab.“
Gemeinsam mit dem Erstautor der Studie, Clément Zanolli von der Universität Bordeaux, hat Kullmer mit einem internationalen Team fossile Hominidenzähne, die 1941 von Gustav Heinrich Ralph von Koenigswald gefunden wurden, mit neuesten Methoden unter die Lupe genommen. „Unsere mikro-computertomographischen Untersuchungen und die Analyse des Zahnschmelzes zeigen, dass die Zähne weder zu Homo erectus noch zu Orang-Utans gehören“, erläutert Zanolli und ergänzt: „Es gibt zudem keinerlei Hinweise darauf, dass es sich um Vorfahren des heutigen Menschen handelt.“
In der Vergangenheit gab es aber immer wieder wissenschaftliche Kontroversen über den ‚mysteriösen Hominiden Meganthropus’; aber keine gesicherten Belege für dessen Existenz“, so Kullmer. Die neuen Daten zeigen nun, dass sich die Zähne in der Verteilung der Schmelzdicke, der Oberfläche und Position der Höcker des Dentins im Inneren der Zahnkronen sowohl von den Zähnen Homo erectus’, als auch von denen der Orang-Utans deutlich unterscheiden.
Das Abnutzungsmuster der Backenzähne von Meganthropus entspricht dem fossiler und heutiger Orang-Utans. Kullmer hierzu: „Wir gehen daher davon aus, dass sich die ‚wiederbenannte’ Art ähnlich wie die modernen Orang-Utans, hauptsächlich von Früchten und anderen über der Erde wachsenden Pflanzenteilen, ernährte. Homo erectus dagegen war vermutlich aufgrund seiner Fähigkeit Nahrung unterschiedlich zuzubereiten flexibler in seiner Ernährung. Ob eine einseitigere Ernährung oder gar Homo erectus selbst zum Aussterben von Meganthropus beigetragen haben, ist aber nicht belegt.“
Laut der aktuellen Studie gilt es nun als gesichert, dass es vor etwa einer Million Jahre – neben Homo erectus – mindestens drei Hominiden-Gattungen in den Wäldern der heutigen indonesischen Inseln gab und damit eine höhere Vielfalt, als bisher angenommen – „eventuell kommt sogar noch eine weitere Gattung, der als Gigantopithecus bekannte Riesenmenschenaffe, hinzu. Hier fehlt uns bisher aber der eindeutige Nachweis“, schließt der Frankfurter Paläoanthropologe.
Die Natur mit ihrer unendlichen Vielfalt an Lebensformen zu erforschen und zu verstehen, um sie als Lebensgrundlage für zukünftige Generationen erhalten und nachhaltig nutzen zu können – dafür arbeitet die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung seit nunmehr 200 Jahren. Diese integrative „Geobiodiversitätsforschung“ sowie die Vermittlung von Forschung und Wissenschaft sind die Aufgaben Senckenbergs. Drei Naturmuseen in Frankfurt, Görlitz und Dresden zeigen die Vielfalt des Lebens und die Entwicklung der Erde über Jahrmillionen. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ist ein Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Das Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt am Main wird von der Stadt Frankfurt am Main sowie vielen weiteren Partnern gefördert. Mehr Informationen unter www.senckenberg.de.
Originalpublikation:
Clément Zanolli, Ottmar Kullmer, Jay Kelley, Anne-Marie Bacon, Fabrice Demeter, Jean Dumoncel, Luca Fiorenza, Frederick E. Grine, Jean-Jacques Hublin, Nguyen Anh Tuan, Nguyen Thi Mai Huong, Lei Pan, Burkhard Schillinger, Friedemann Schrenk, Matthew M. Skinner, Xueping Ji & Roberto Macchiarelli (2019): Evidence for increased hominid diversity in the Early to Middle Pleistocene of Indonesia. Nature Ecology & Evolution.
DOI: 10.1038/s41559-019-0860-z

08.04.2019, Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Mit dem Weißen Hai auf Robbenjagd
Wissenschaftler zeichnen das Verhalten der bedrohten Jäger mit Unterwasserkameras und Bewegungssensoren auf
Der Weiße Hai ist eines der faszinierendsten Meerestiere der Erde. Viele Filme und Bücher stellen ihn jedoch als unersättlichen Räuber dar – dabei ist über sein Jagdverhalten kaum etwas bekannt. Ein internationales Team aus Wissenschaftlern, an dem auch Forscher vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell beteiligt waren, hat Weiße Haie nun bei der Robbenjagd vor der Küste Südafrikas beobachtet. Die mit Kameras und Sensoren aufgezeichneten Bewegungsmuster zeigen, dass die Tiere entgegen bisheriger Annahmen sich in Wälder aus Seetang wagen und dort Jagd auf Robben machen. Das Wissen, wie Weiße Haie auf ihre Beute reagieren und welche Rolle dabei ihre Umgebung spielt, soll künftig Unfälle mit Menschen vermeiden helfen.
Bisher haben Wissenschaftler die Jagd von Haien auf Beutetiere wie Robben oder Seeotter meist von der Wasseroberfläche aus beobachtet – was sich unter Wasser abspielte, blieb ihnen verborgen. Mithilfe neuer Unterwasserkameras und GPS-Sender lassen sich nun aber detaillierte Informationen über das Verhalten von Jäger und Beute sowie den Einfluss des Lebensraums gewinnen.
Die Wissenschaftler aus Kalifornien und Radolfzell haben die Weißen Haie im Meeresschutzgebiet rund um Dyer Island vor der Küste Südafrikas erforscht. Damit sie die Haie mit den Kameras und Sendern ausstatten konnten, haben sie die bis zu fünf Meter langen Tiere mit Ködern an ihr Boot gelockt. Während die Haie sich über die Köder hermachen, brachten die Forscher mit Stangen kleine Klemmkameras an der Rückenflosse an. Mit diesen Kameras und den integrierten Bewegungssensoren können die Wissenschaftler aufzeichnen, in welchen Lebensräumen die Haie unterwegs sind und wo sie jagen. Nach drei Tagen lösen sich die Kameras von der Rückenflosse und schwimmen an die Oberfläche, wo sie wieder eingesammelt und ausgewertet werden können.
Jagd in Wäldern aus Seetang
In den Gewässern um Dyer Island gibt es viele Wälder aus Seetang. Die Haie dort zeigen ein anderes Jagdverhalten als ihre Artgenossen in Gebieten ohne Tangwälder: Sie jagen hier nicht nur wie sonst in der Dämmerung, sondern auch bei Tageslicht. Außerdem erscheinen sie seltener an der Wasseroberfläche.
Bislang haben die Forscher vermutetet, dass die Unterwasserwälder für die Haie eine Barriere sind und Robben damit einen Zufluchtsort bieten. Die Auswertung der Unterwasservideos korrigiert jedoch dieses Bild: Die Haie vor Dyer Island schwimmen sehr wohl in die Tangwälder hinein und machen dort Jagd auf Kap-Pelzrobben. „Es könnte sein, dass die Haie individuell unterschiedliche Jagdstrategien besitzen. Vielleicht haben sie aber auch lokal unterschiedliche Jagdtraditionen entwickelt. In diesem Fall wären unsere Ergebnisse der erste Nachweis für lokale Traditionen bei Fischen“, erklärt Martin Wikelski, Direktor am Max-Planck-Institut für Ornithologie. Die Wissenschaftler wollen die Haie nun über die gesamte Lebenszeit hinweg verfolgen, um noch mehr über das Verhalten der Tiere zu lernen.
Beobachtung von Meerestieren mit Icarus
Die extra entwickelten kleinen Kameras und Sensoren sind Teil des Icarus-Projekts unter der Leitung von Martin Wikelski. Mit Icarus wollen Wissenschaftler Tiere rund um den Globus auf ihren Wanderungen verfolgen. Mit diesen Daten können die Wissenschaftler beispielsweise die Verbreitung von Krankheiten durch Tiere oder auch den Klimawandel untersuchen. Mithilfe von Icarus können die Forscher auch Fische wie zum Beispiel die Wanderung der Lachse aufzeichnen und die Kameras nach der Ablösung im Meer ausfindig machen, um die aufgenommen Videos auszuwerten. „Der erfolgreiche Einsatz dieser Kameras an den Haien zeigt, dass wir Icarus auch zur Erforschung der Wanderungen von Meerestieren nutzen können“, sagt Wikelski.
Auch in den Ozeanen schwindet die Biodiversität. Obwohl nicht genau bekannt ist, wie viele Weiße Haie es weltweit gibt, sind die Tiere als gefährdet eingestuft. Die Bestände erholen sich nur langsam, da Tiere erst Jahre nach der Geburt geschlechtsreif werden. Weiße Haie dürfen zwar nicht kommerziell gefischt werden, das Töten einzelner Tiere zur Prävention vor Angriffen ist dagegen in manchen Ländern erlaubt. „Zum Schutz der Haie ist es deswegen wichtig, ihr Verhalten besser zu verstehen, um so die ungewollte Begegnung von Hai und Mensch möglichst zu vermeiden“, sagt Wikelski.
Originalpublikation:
Originalveröffentlichung
Jewell OJD*, Gleiss AC, Jorgensen SJ, Andrzejaczek S, Moxley JH, Beatty SJ, Wikelski M, Block BA & Chapple TK
Cryptic habitat use of white sharks in kelp forest revealed by Animal-borne video.
Biology Letters; 5 April, 2019

08.04.2019, Ludwig-Maximilians-Universität München
Verhaltensökologie – Charakterunterschiede machen flexibel
Mutige Kohlmeisen brüten früher, wenn sie sich bedroht fühlen, ängstliche dagegen warten mit der Nachzucht. Diese Charakterunterschiede helfen, für die Population lebenswichtige Variationen zu erhalten, wie LMU-Biologen zeigen.
Vögel reagieren auf Umweltveränderungen flexibel, um den optimalen Zeitpunkt für die Aufzucht von Jungen zu nutzen. In warmen Jahren beginnen sie früh mit Nestbau und Brut, in kalten später. Die natürliche Selektion begünstigt die Fähigkeit von Tieren, ihr Verhalten derart anzupassen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass es innerhalb einer Population Variationen gibt, eine sogenannte phänotypische Plastizität. Der LMU-Biologe Niels Dingemanse hat mit seiner Doktorandin Robin Abbey-Lee nun am Beispiel von Kohlmeisen gezeigt, dass dies durch Charakterunterschiede aufrechterhalten wird. Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin Nature Communications.
Nicht nur die Temperatur, auch die Gefahr, die durch Greifvögel für den Nachwuchs ausgeht, beeinflusst den optimalen Zeitpunkt der Brut. Der europäische Sperber (Accipiter nisus) beispielsweise jagt bevorzugt Sperlingsvögel wie die Kohlmeise (Parus major). Seine eigenen Küken zieht er dann auf, wenn der Nachwuchs seiner Beute flügge wird, das Nahrungsangebot also besonders groß ist. Kohlmeisenweibchen reagieren darauf, indem sie ihren Brutzeitpunkt verschieben, um Zeiten mit dem höchsten Jagddruck auszuweichen. Sobald sie Sperber rufen hören, erhöhen Kohlmeisen ihre Wachsamkeit, singen etwa weniger. „In früheren Studien haben wir allerdings entdeckt, dass nicht alle Vögel diese Reaktion in gleichem Ausmaß zeigen“, sagt Dingemanse. „Es gibt auch bei Kohlmeisen unterschiedliche „Persönlichkeiten“, einige sind explorativer, mutiger und aggressiver.“
In ihrer neuen Studie haben die Wissenschaftler untersucht, ob diese Charakterunterschiede die Variation des Brutzeitpunkts beeinflussen. Dazu haben sie während der Brutzeit – von April bis Juni –insgesamt zwölf von Kohlmeisen besiedelte Areale mit Rufen von Vögeln beschallt: eine Hälfte mit Sperberrufen, die andere mit den Rufen von harmlosen Amseln.
Dabei zeigte sich, dass die Anpassung des Brutzeitpunkts auch vom Charakter der Kohlmeisen abhing. Mutige Vögel, die ihre Umgebung schnell erkunden, brüten normalerweise spät. Als Reaktion auf die vermeintliche Bedrohung durch Sperber begannen sie jedoch früher mit der Nachzucht. Ängstlichere Vögel dagegen zeigten ein umgekehrtes Verhalten. Der Fortpflanzungserfolg war dabei für beide gleich groß. Aus diesen Ergebnissen schließen die Wissenschaftler, dass die Variation der Persönlichkeit dazu beiträgt, die Flexibilität des Brutzeitpunkts in der Gesamtpopulation aufrecht zu erhalten. „Dadurch bleiben die Populationen auch gegenüber anthropogenen Veränderungen der Umwelt wie dem Klimawandel widerstandsfähiger“, sagt Dingemanse.
Nature Communications 2019
Originalpublikation:
Adaptive individual variation in phenological responses to perceived predation levels
Robin N. Abbey-Lee& Niels J. Dingemanse
Nature Communications 2019
Doi: 10.1038/s41467-019-09138-5

08.04.2019, Karl-Franzens-Universität Graz
Smart City für Bienen: Universität Graz entwickelt High-Tech-Bienenstock
Was nach Science-Fiction klingt, soll mit neuartig entwickelter Technologie im Bienenstock bald Wirklichkeit werden: Die Bienen werden frühzeitig vor Gefahren in ihrer Umgebung gewarnt. Sie erhalten Informationen über einen bevorstehenden Wetterumschwung, der ihre Brut gefährden würde. Und sie werden ganz gezielt zu Blüten gelenkt, um die Bestäubung zu übernehmen. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Universität Graz will eine „Smart City“ für Bienen entwickeln, um die Insekten bei der Bewältigung nachteiliger Umwelteinflüsse zu unterstützen. Das EU-Projekt HIVEOPOLIS mit einem Volumen von sieben Millionen Euro ist kürzlich gestartet und für fünf Jahre anberaumt.
Die Kommunikation zwischen Tieren und Robotern funktioniert bereits ausgezeichnet. Mit dieser Pionierleistung hat das Team rund um Thomas Schmickl, Professor für Zoologie an der Universität Graz und Leiter des Artificial Life Lab, weltweit für Furore gesorgt. In einem jüngst durchgeführten Versuch kommunizierten Bienen und Zebrafische via Roboter erfolgreich miteinander, und das sogar über die hunderte Kilometer lange Distanz zwischen Graz und Lausanne.
Nun wollen die WissenschafterInnen ihre Technik in den Bienenstock integrieren. „Unser Ziel ist es, den Insekten Technologien zur Verfügung zu stellen, die ihnen helfen, auf Veränderungen der Umwelt rechtzeitig zu reagieren“, erklärt Schmickl. Denn die Lebensräume der Honigbienen sind stark bedroht, führen zu einem massiven Sterben und zu einer folgenschweren Störung ganzer Ökosysteme.
Mit Hilfe von Sensoren soll etwa die Temperatur in der Wabe reguliert und damit die Aufzucht der Nachkommen optimiert werden. Digitale Landkarten sollen Hinweise auf Pestizide bei potenziellen Nahrungsquellen liefern und eine Warnung an den Stock senden. Roboter werden den Bienentanz – der übrigens vom an der Universität Graz tätigen Nobelpreisträger Karl von Frisch entschlüsselt wurde – imitieren und so das Bienenvolk benachrichtigen. „Wir wollen darauf Einfluss nehmen, wohin die Insekten ihre Bestäubungsflüge machen“, schildert Schmickl. Die Möglichkeiten zu einer solchen Schwarm-Kontrolle haben sie bereits im vorangegangenen Großprojekt ASSISI erforscht.
HIVEOPOLIS – also „Bienenstadt“ – wird bis 2024 gemeinsam mit fünf Partner-Hochschulen – École polytechnique fédérale de Lausanne, Freie Universität Brüssel, Freie Universität Berlin, Humboldt-Universität Berlin, lettische Landwirtschaftliche Universität – und dem bulgarischen Unternehmen Bee Smart Technologies OOD umgesetzt. Interessensgruppen wie ImkerInnen, LandwirtInnen, ProgrammiererInnen, UmweltschützerInnen und PädagogInnen sollen in die Forschung eingebunden werden und bei der Entwicklung eines smarten Bienenstocks mitarbeiten.

09.04.2019, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Pflanzenvielfalt erhöht Insektenvielfalt
Je mehr Pflanzenarten in Wiesen und Wäldern leben, desto mehr Insektenarten finden dort Lebensraum. Mehr Pflanzenarten erhöhen aber nicht nur die Zahl der Insektenarten, sondern auch die Zahl ihrer Individuen. Gleichzeitig wird die tierische Vielfalt nicht nur von der pflanzlichen Artenvielfalt bestimmt, sondern auch von der pflanzlichen Strukturvielfalt. Dies sind Ergebnisse einer internationalen Zusammenarbeit unter Führung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), die in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht worden sind. Sie haben Konsequenzen für die insektenfreundliche Bewirtschaftung von Wiesen und Wäldern.
„Unsere Ergebnisse verdeutlichen, dass Entwicklungen wie das aktuell beobachtete Insektensterben zusammenhängen können mit der Art und Weise, wie wir Menschen die von uns genutzten Ökosysteme bewirtschaften“, sagt Erstautor Prof. Andreas Schuldt von der Universität Göttingen – vormals tätig am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv). Gemeinsam mit den Co-Autoren hat Schuldt umfangreiche Daten zur Pflanzen- und Insektendiversität aus zwei der weltweit größten Biodiversitätsexperimente ausgewertet: dem Jena Experiment und BEF-China. Im ersten Experiment wurde die Zahl der Pflanzenarten auf einer Wiese verändert, im zweiten die Zahl der Baumarten in einem Wald – jeweils mit dem Ziel, die Auswirkungen pflanzlicher Diversität auf andere Lebewesen und das Funktionieren der Ökosysteme zu untersuchen.
Die Daten zeigen, dass Rückgänge in der Vielfalt von Pflanzenarten – zum Beispiel verursacht durch intensive Nutzung land- und forstwirtschaftlicher Flächen – zu einer verringerten Zahl von Insekten (Individuen) führen kann, was wiederum die Zahl der Insektenarten sinken lässt. „Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass nicht der reine Verlust an Pflanzenarten entscheidend ist, sondern auch der damit verbundene Verlust an Strukturvielfalt“, so der Jena-Experiment-Sprecher Prof. Nico Eisenhauer vom Forschungszentrum iDiv und der Universität Leipzig. „Diese Ergebnisse zeigen, dass wir durch strukturfördernde Maßnahmen wie angepasste Mahdtermine und die Erhaltung alter Bäume einen wesentlichen Beitrag zum Biodiversitätsschutz leisten können“, ergänzt BEF-China-Sprecher Prof. Helge Bruelheide von der Universität Halle und iDiv.
Der Vergleich von Daten aus ganz unterschiedlichen Lebensräumen zeigt dabei die Relevanz der Forschungsergebnisse für wichtige von uns Menschen genutzte Ökosysteme. Ermöglicht wurde die Studie durch umfangreiche Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG).
Originalpublikation:
Schuldt A, Ebeling A, Kunz M, Staab M, Guimarães-Steinicke C, Bachmann D, Buchmann N, Durka W, Fichtner A, Fornoff F, Härdtle W, Hertzog L, Klein AM, Roscher C, Schaller J, von Oheimb G, Weigelt A, Weisser W, Wirth C, Zhang J, Bruelheide H, Eisenhauer N (2019) Multiple plant diversity components drive consumer communities across ecosystems. Nature Communications DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-019-09448-8

08.04.2019, Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie
Optimal bewirtet: Wie ein Bakterium einen ganzen Plattwurm versorgt
Im Sandboden warmer Küstengewässer lebt Paracatenula – ein kleiner Wurm, der weder Mund noch Darm besitzt. Trotzdem fehlt es ihm an nichts dank Riegeria, dem Bakterium, das den Großteil des Körpers des winzigen Wurms ausfüllt. Riegeria umsorgt seinen Wirt rundum – es ist Landwirt, Quartiermeister und Koch in einem. Ein internationales Forscherteam um Harald Gruber-Vodicka und Oliver Jäckle vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen hat nun herausgefunden, wie die Bakterien den Wurm mit Nahrung versorgen. Ihre Ergebnisse veröffentlichen sie in der Fachzeitschrift PNAS.
Ob auf einer Expedition in der Antarktis, in der Raumfahrt oder auch nur beim Camping – wenn wir unser Essen nicht aus der Umgebung bekommen, müssen wir Proviant einpacken. ForscherInnen aus Bremen haben nun einen faszinierenden Rundum-Versorger in Form eines symbiotischen Bakteriums im sandigen Meeresboden der Insel Elba im Mittelmeer entdeckt. Das Bakterium lebt im Inneren seines Wirts, ein winziger Plattwurm, und liefert ihm alles, was er braucht. Es macht das so gut, dass der Wurm keinen Mund und keinen Darm mehr braucht. Es serviert die Speisen sogar in handlichen Portionen.
Passt perfekt: seit 500 Millionen Jahren ein Paar
Die Bakterien und der Wurm sind schon seit mindestens 500 Millionen Jahren ein Paar. Im Laufe dieser Jahre hat der Symbiont sein Genom auf das Allernötigste reduziert. Dennoch ist er in der Lage, den Wurm mit allem zu versorgen, was dieser zum Leben braucht. „Die Proviantpakete des Bakteriums enthalten auf jeden Fall Fette und Eiweiße, vermutlich auch Zucker und Fettsäuren ebenso wie Vitamine und eine Reihe anderer Stoffe zur Energie- und Nahrungsversorgung“, so Harald Gruber-Vodicka vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen, Initiator und Leiter der Studie. „Das kennen wir von keiner anderen Symbiose, dass ein einziges Bakterium trotz eines so reduzierten Genoms so viele verschiedene Stoffe selbstständig produzieren und seinem Partner bereitstellen kann.“
Während Pflanzen Licht als Energiequelle zur Herstellung von Biomasse nutzen, verwenden die Symbionten chemische Energie in einem Prozess namens Chemosynthese. Sie nutzen die Energie aus Schwefelwasserstoff – jener Verbindung, die den Geruch von faulen Eiern hervorruft – im umgebenden Sediment, um Kohlendioxid in organische Verbindungen umzuwandeln. Diese dienen dann dem Wirt als Nahrung.
Nachhaltig ernten in der Paracatenula-Symbiose
Besonders überrascht waren die ForscherInnen davon, wie die Symbionten die Nahrung an den Wurm bringen. „In allen bisher bekannten chemosynthetischen Symbiosen verdaut der Wirt die Bakterien, um an deren Inhalt zu kommen“, erklärt Erstautor Oliver Jäckle vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen, der die Studie im Zuge seiner Doktorarbeit durchführte. „Manche chemosynthetische Symbionten besitzen zusätzlich sogenannte Transporter-Proteine, die die Lieferung der Nahrung an den Wirt übernehmen. Bei Paracatenula und seinen riesigen Symbionten fanden wir aber kaum Verdau oder Transporter-Proteine. Alles deutete auf einen anderen Mechanismus hin.“ Erst kurz vor Abschluss seiner Dissertation konnten Jäckle und Gruber-Vodicka das Rätsel mithilfe ihres Kollegen Niko Leisch und seiner Arbeit am Elektronenmikroskop lösen: Die Bakterien liefern dem Wurm viele kleine, tröpfchenartige Vesikel. „Es ist ein bisschen wie bei einem Obstgarten“, beschreibt Gruber-Vodicka diese Beobachtung. „Die Bakterien tragen kontinuierlich Früchte, die der Wurm erntet. Bei anderen Symbiosen geht es eher zu wie bei der Maisernte – wie ein Feld werden die Bakterien dort komplett abgeerntet, der Wurm verdaut die meisten Bakterienzellen. Das zeigt deutlich, wie bildgebende Analysen für das tiefe Verständnis der wechselseitigen Beziehung von Bakterien und Tieren entscheidend sein können.“
Neue Einblicke dank interdisziplinärer Arbeitsweise
Die vorliegende Arbeit liefert einen bisher nicht dagewesenen tiefgreifenden Einblick, wie eine Symbiose mit einem mund- und darmlosen Wirten funktioniert. Neben den bildgebenden Verfahren trugen insbesondere die weitgreifenden Vergleiche mit ähnlichen Symbiosen, beispielsweise bei Muscheln oder Röhrenwürmern, zu einem detaillierten Verständnis dieser besonderen Symbiose bei. „Durch unsere interdisziplinäre Arbeit, die Genomik mit biochemischen und elektronenmikroskopischen Untersuchungen als auch physiologischen Experimenten kombiniert, konnten wir aus verschiedenen Blickwinkeln auf diese Symbiose schauen“, schwärmt Jäckle. Mit diesem Wissen und viel Geduld ist es Jäckle gelungen, Paracatenula seit mittlerweile drei Jahren im Labor zu halten und zu vermehren.
Ausgehend von diesen spannenden Ergebnissen wollen Jäckle, Gruber-Vodicka und ihre KollegInnen nun das Genom des Wurms nutzen, um seine Rolle genauer zu untersuchen. „Der Wurm hat keine Mittel zur Ausscheidung, scheint aber auch keine Art von Zellmüll zu haben. Alles, was die Bakterien liefern, wird offenbar vom Wurm auf die eine oder andere Weise genutzt“, so Gruber-Vodicka. Zudem kommt Paracatenula nicht nur im Mittelmeer vor, sondern konnte bereits von den Bremer ForscherInnen an mehreren Standorten weltweit gesammelt werden. Derzeit vergleich sie, wie Symbionten verschiedener Wirtsarten die Nahrungsbereitstellung lösen, aber auch, wie sich diese Prozesse in den Linien der Paracatenula entwickelt haben, die sich vor zehn bis hundert Millionen Jahren in verschiedene Arten aufgeteilt haben.
Originalpublikation:
Oliver Jäckle, Brandon K. B. Seah, Målin Tietjen, Nikolaus Leisch, Manuel Liebeke, Manuel Kleiner, Jasmine S. Berg, und Harald R. Gruber-Vodicka: Chemosynthetic symbiont with a drastically reduced genome serves as primary energy storage in the marine flatworm Paracatenula. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.1818995116

10.04.2019, Max-Planck-Institut für Ornithologie
Beim Grillkuckuck beeinträchtigt die Elternschaft das Sexualleben nur wenig
Beim Grillkuckuck sind die Geschlechterrollen vertauscht, nur die Männchen kümmern sich um die Aufzucht der Jungtiere. Trotz des enormen Aufwands während dieser Zeit haben sie jedoch durchaus noch Gelegenheiten zur Fremdvaterschaft, wie ein Team von Wissenschaftler*innen herausfand, geleitet vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen. Auch wenn Väter nur halb so viel Erfolg haben beim Zeugen von Jungen in fremden Nestern als Männchen, die gerade ‚frei‘ sind und kein Gelege versorgen, scheint die Jungenaufzucht für die Väter weniger kostspielig zu sein als bislang angenommen.
Der Afrikanische Grillkuckuck ist im Gegensatz zu unserem heimischen Kuckuck kein Brutparasit, sondern zieht seine Jungtiere selbst auf. Die Weibchen der Art sind viel größer und schwerer als die Männchen. Sie singen und verteidigen ein großes Revier, in dem sie sich mit bis zu fünf Männchen gleichzeitig verpaaren. Die kleineren Männchen hingegen singen kaum, dafür brüten sie die Eier aus und ziehen die Jungen groß – alleine, ohne die Hilfe der Weibchen. Das ist bemerkenswert, da die Aufzucht von Nesthockern als besonders energie- und zeitaufwändig gilt. Außerdem befindet sich durchschnittlich in jedem zweiten Gelege ein Kuckucks-Kuckuckkind, das mit dem fütternden Männchen also gar nicht verwandt ist.
Wissenschaftler*innen des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Seewiesen, der Universität Dodoma in Tansania und der Universität Zürich wollten nun wissen, wie stark die alleinige Brutfürsorge Männchen dabei einschränkt, Jungtiere in fremden Nestern zu zeugen. Sie haben herausgefunden, dass die Männchen während der zirka sechs Wochen dauernden Zeit der intensiven Brutpflege immer noch ihre Gelegenheiten hatten, zusätzlichen Nachwuchs außerhalb ihres Nestes zu zeugen, wenn auch deutlich seltener. Während des Brütens sank ihre Chance für eine Fremdvaterschaft im Vergleich zu ihrer „versorgungsfreien Zeit“ um 17 Prozent, in der Zeit intensiver Fütterung der Nestlinge gar um 48 Prozent und in der Zeit der Versorgung bereits flügge gewordener Jungtiere um 26 Prozent.
„Wir konnten auch zeigen, dass mit zunehmender Distanz zum eigenen Nest die Wahrscheinlichkeit für eine Fremdvaterschaft abnimmt, jenseits von 400 Metern außerhalb des eigenen Reviers geht sie recht schnell gegen Null“, sagt Wolfgang Goymann, Leiter der Studie. Die Aufzucht der Jungtiere bedeutet für die Männchen also zwar ein eingeschränktes Sexualleben, nie jedoch eine komplette Auszeit.
Die Weibchen hingegen haben während der gesamten, bis zu vier Monate dauernden Brutsaison ein durchgehend hohes Fortpflanzungspotential. Da Heuschrecken, Gottesanbeterinnen und Frösche, die Nahrung der Grillkuckucke, zur Brutzeit der Vögel im Übermaß vorhanden sind, ist die Fortpflanzungsrate der Weibchen vor allem von der Anzahl der Männchen begrenzt, denen sie Eier ins Nest legen können. Auch ist der Nahrungsüberfluss sicherlich ein Grund dafür, dass ein Elternteil allein die Jungen in einem verhältnismäßig kleinen Revier versorgen kann.
Das Männchen, dem ein Weibchen gerade ein Gelege bereitet, bewacht zwar seine Partnerin, um seine genetische Vaterschaft zu sichern, aber spätestens nach dem zweiten Ei muss er zu brüten beginnen und kann dem Weibchen nicht mehr folgen. Entsprechend haben Vaterschaftsanalysen ergeben, dass es oft die letzten Eier im Gelege sind, die von anderen Vätern stammen.
„Die hohe Wahrscheinlichkeit, sich Fremdvaterschaften in anderer Männchen Gelege sichern zu können, hat die Evolution der alleinigen Brutfürsorge durch die Männchen sicher begünstigt, denn die Einbußen für das Sexualleben sind nicht so groß, wie man bisher angenommen hat.“, fasst Goymann zusammen.
Originalpublikation:
Safari I, Goymann W, Kokko H (2019) Male-only care and cuckoldry in black coucals: does parenting hamper sex life? Proceedings of the Royal Society B (DOI: 10.1098/rspb.2018.2789)

10.04.2019, Universität Zürich
Auffällige Affen haben kleine Hoden
Gut bestückt oder gut geschmückt, aber beides geht nicht. Wie Evolutionsbiologen der Universität Zürich erstmals zeigen, haben Affenmännchen entweder grosse Hoden oder sind auffällig geschmückt. Um beide Merkmale auszubilden, fehlt die Energie.
Die meisten Primatenmännchen sind starker Konkurrenz ausgesetzt, wenn es darum geht, sich mit Weibchen zu paaren und ihr Erbgut an die nächste Generation weiterzugeben. Bei vielen Affenarten investieren die Männchen daher in verschiedene Geschlechtsmerkmale. Grosse Eckzähne, die sie als Waffe einsetzen, oder eine kräftige Statur verschaffen ihnen im direkten Kampf mit Konkurrenten Zugang zu möglichen Partnerinnen. Ausgeprägter sexueller Schmuck wie Mähnen, Bärte, Wangenwülste oder stark gerötete Hautstellen können die Kontrahenten einschüchtern und die Weibchen von ihrer Männlichkeit überzeugen. Paaren sich trotzdem auch Rivalen mit ihren Partnerinnen, führt die Spermienkonkurrenz zu einem starken Selektionsdruck auf die Spermienproduktion. Affenmännchen bauchen also auch grosse Hoden, um sexuell erfolgreich zu sein.
Ausgeprägter Körperschmuck führt zu kleinen Hoden
All diese männlichen Merkmale sind energetisch kostspielig. Wie verteilen also die Tiere ihre limitierten Ressourcen unter den Geschlechtsmerkmalen, um ihren Fortpflanzungserfolg zu maximieren? Dieser Frage ist Stefan Lüpold, Evolutionsbiologe an der Universität Zürich (UZH), zusammen mit seinen Kollegen Leigh Simmons und Cyril Grueter von der University of Western Australia nachgegangen. Dazu haben sie die Sexualmerkmale von über 100 Affenarten und dem Menschen miteinander verglichen. Einzeln betrachtet sind, wie erwartet, alle Merkmale stärker ausgebildet, je grösser die Konkurrenz zwischen den Männchen ist. Werden sie jedoch gemeinsam verglichen, kommt der Zielkonflikt zum Vorschein: «Ein aufwändiger Schmuck geht auf Kosten von Hodengrösse und Spermienproduktion. Oder anders formuliert: Die auffälligsten Männchen haben die kleinsten Hoden», sagt Lüpold.
Limitierte Ressourcen bestimmen Ausprägung
Die neue Studie hat erstmals alle Sexualmerkmale gleichzeitig untersucht. Dabei offenbarten sich die Feinheiten, wie Primatenmännchen in ihren Fortpflanzungserfolg investieren: «Grosse Hoden kommen mit grossen Waffen einher, aber weniger Ornamenten.» Die Forscher sehen verschiedene Gründe für diesen Zusammenhang. Zentral dürfte der energetische Aufwand sein, um die verschiedenen Merkmale auszubilden und über die Dauer der Geschlechtsreife aufrechtzuerhalten. «Alles zu haben, ist schlicht schwierig», sagt Lüpold.
em>Originalpublikation:
Stefan Lüpold, Leigh W. Simmons, and Cyril C. Grueter. Sexual ornaments but not weapons trade off against testes size in primates. Proceedings of the Royal Society B. 10, April, 2019. DOI: 10.1098/rspb.2018.2542

10.04.2019, Julius Kühn-Institut, Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen
Braunschweig will Wildbienenhauptstadt Deutschlands werden
Die Stadt Braunschweig und das Julius Kühn-Institut (JKI) starten das Vorreiterprojekt „Bienenstadt Braunschweig“, bei dem über 16 Hektar im gesamten Stadtgebiet wildbienengerecht umgestaltet werden. Das JKI-Institut für Bienenschutz begleitet die Maßnahmen wissenschaftlich. In Gänze investieren Bund, Land Niedersachsen und die Stadt selbst knapp 6 Mio. Euro in das Vorhaben.
Oft bleiben die Zimmer der Insektenhotels leer, obwohl diese Nisthilfen für Insekten mit besten Absichten aufgestellt wurden. Auch wohlmeinend ausgebrachte Blühmischungen erfüllen ihren Zweck nicht immer, nämlich bedrohten Insektenarten eine neue Heimat, Schutz und Nahrung zu bieten. „Leider werden etliche Maßnahmen – ohne es zu wissen – an den Bedürfnissen der Insekten vorbei geplant“, weiß Henri Greil, Wissenschaftler am Julius Kühn-Institut (JKI) Braunschweig. Der Fachbereich Stadtgrün und Sport und das JKI-Fachinstitut für Bienenschutz sind die Wegbereiter eines neuen einzigartigen Projekts, das bundesweit Schule machen dürfte. „Ziel ist es, Braunschweig in ein Refugium für verschiedene Wildbienenarten zu verwandeln, in dem sie Nahrung und Lebensraum finden“, sagt der Erste Stadtrat Christian Geiger, der auch für den Fachbereich Stadtgrün und Sport zuständig ist. Das Projekt „Bienenstadt Braunschweig“ wird aus Mitteln des Niedersächsischen Umweltministeriums sowie des Bundesumweltministeriums umgesetzt. Insgesamt wurden etwa 4,6 Millionen Euro Fördermittel von der Stadt eingeworben. Die Stadt steuert Eigenmittel von anteilig 1,2 Mio. bei.
Auf dem Weg Braunschweigs zur „Bienenstadt“ sollen auf einer Fläche von rund 100.000 Quadratmetern artenreiche Wiesen entstehen. Das entspricht einer Größe von rund 14 üblichen Fußballfeldern. Auf ca. 30.000 Quadratmetern sind mehrjährige Blühstreifen, sowie artenreiche Staudenpflanzungen geplant. Weiterhin vorgesehen sind sechs Streuobstwiesen und die Pflanzung von 500 Kopfweiden sowie 650 weiterer Bäume als Klimaschutzmaßnahmen. Das Geld aus dem Förderbescheid des Bundesumweltministeriums „Integrierter Klimaschutz mit urbanem Grün“ soll mehrfach nützlich sein. Denn die Begrünung von 7.000 Quadratmetern Dachfläche und 7.500 Quadratmetern Fassaden städtischer Gebäude soll nicht nur das Stadtklima verbessern, sondern gleichzeitig den Bedürfnissen der Wildbienen Rechnung tragen.
Bei allen angestrebten Maßnahmen wollen die Experten konsequent durch die „Wildbienenbrille“ auf die Stadt und ihre vorhandenen Grünflächen, wie z. B. das straßenbegleitende Grün blicken, um herauszufinden, welche Pflanzenarten für welche Wildbienenarten attraktiv sind. „In Deutschland leben über 560 Wildbienenarten mit unterschiedlichen Ansprüchen. Daher ist es wichtig, die jeweils richtigen Nahrungspflanzen in Kombination mit den bevorzugten Nistmöglichkeiten anzubieten. Zudem muss das Netz der Blühflächen eng genug gewebt sein, sodass sich die Arten innerhalb der Stadt verbreiten und auch ins Umland gelangen können, erklärt Henri Greil vom JKI die Vorgehensweise. „Soweit uns bekannt ist, wird ein derartig ganzheitlicher Ansatz erstmalig in einer deutschen Großstadt verfolgt“, sagt Michael Loose. „Jeder bringt seine Kompetenzen ein und wir wollen natürlich auch zur Nachahmung anregen“, ergänzt der Fachbereichsleiter für Stadtgrün und Sport.
Um das Ziel der „Bienenstadt Braunschweig“ zu erreichen, werden weitere Partner gesucht, die ihre Flächen wildbienenfreundlich gestalten oder das Projekt unterstützen möchten. Unter anderem will die Wohnungsgesellschaft Nibelungen-Wohnbau-GmbH mit Maßnahmen auf eigenen Flächen das Gesamtkonzept ergänzen und das inhabergeführte Braunschweiger Familien-Unternehmen BIHOPHAR das Projekt unterstützen. Die Förderung der Wildbienen soll einen Dominoeffekt für andere Bestäuber wie Schmetterlinge und Schwebfliegen auslösen. Auch andere Tiere wie z. B. Vögel und Fledermäuse profitieren direkt oder indirekt von einem blühenden Pflanzenumfeld. Nicht zuletzt steigt für die Bürgerinnen und Bürger die Lebensqualität in ihrer Bienenstadt Braunschweig.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist das Projekt ebenfalls wegweisend. Es wird daher von Partnern aus ganz Deutschland fachlich begleitet, etwa vom Tübinger Wildbienen-Experten Dr. Paul Westrich, der im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) die „Rote Liste der Wildbienen Deutschlands“ erstellt hat. Darüber hinaus sind die Kreisgruppe des BUND und Ortsgruppe des NABU durch regelmäßige Arbeitstreffen mit dem Fachbereich Stadtgrün und Sport und dem JKI in der „Projektgruppe Biodiversität“ eingebunden.
Hintergrundinfo:
Das JKI und die Stadt Braunschweig haben vor kurzem eine Kooperationsvereinbarung abgeschlossen.
Die Kompetenzen der Partner:
Institut für Bienenschutz des Julius Kühn-Instituts, Standort Braunschweig: Artspezifische, wildbienengerechte Konzeption sowie die Erhebung und Auswertung von Daten zur Wildbienenfauna
Fachbereich Stadtgrün und Sport der Stadt Braunschweig: Planung und Umsetzung der oben genannten Maßnahmen, sowie deren Pflege.
Die Klimaschutzmaßnahmen werden durch das Institut für Geoökologie der TU Braunschweig wissenschaftlich begleitet.
Details zur Förderung:
Teilmaßnahmen innerhalb der Förderbescheide
1) „Förderung der biologischen Vielfalt in der Stadt Braunschweig“ mit Mitteln des Niedersächsischen Umweltministeriums (rund 3,4 Mio. Euro).
2) Das Bundesumweltministerium fördert über den Förderbescheid „Braunschweig – integrierter Klimaschutz mit urbanem Grün. Makroklimatische Regulierung durch Pflanzen“ im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative (NKI) (rund 2,4 Mio. Euro).
3) Eigenmittel der Stadt Braunschweig (etwa 1,2 Mio. Euro)

11.04.2019, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Papua haben mehrere Denisovaner-Vorfahren
Als der moderne Mensch Afrika verließ, vermischte er sich mit dem Neandertaler und dem Denisova-Menschen. Ein Forschungsteam hat nun DNA-Fragmente untersucht, die diese ausgestorbenen Homininen an moderne Menschen weitergegeben haben, deren Nachfahren heute auf den Inseln Südostasiens und in Papua-Neuguinea leben. Dabei stellten sie fest, dass nicht nur eine, sondern zwei verschiedene Denisovaner-Linien – die sich schon vor Hundertausenden von Jahren voneinander getrennt hatten – Erbgut an die Vorfahren der Papua weitergegeben haben. Eine der beiden Denisova-Linien unterscheidet sich von der anderen so sehr, dass es sich bei ihr sogar um eine völlig neue Urmenschen-Gruppe handeln könnte.
Diese Ergebnisse basieren auf einer Studie unter der Leitung von Murray Cox von der Massey University in Neuseeland und wurden durch die Probennahme unter der Leitung von Herawati Sudoyo vom Eijkman Institute for Molecular Biology in Jakarta, Indonesien, ermöglicht. Die Daten wurden dann von einem internationalen Forschungsteam, dem auch Mark Stoneking vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig angehörte, gesammelt und ausgewertet. Wie schon frühere Studien, die Belege für eine dritte Denisova-Linie in den Genomen heute lebender Sibirier, Amerikanischer Ureinwohner und Ostasiaten gefunden haben, deuten auch die Ergebnisse der aktuellen Studie darauf hin, dass sich moderne Menschen mit mehreren Denisovaner-Populationen vermischt haben, die über eine lange Zeit hinweg geografisch isoliert voneinander gelebt haben.
Überraschenderweise haben die Forscher Hinweise auf eine zusätzliche Vermischung zwischen den Papua und einer der beiden Denisovaner-Gruppen entdeckt, die also tatsächlich in Neuguinea oder den angrenzenden Inseln gelebt haben muss. Darüber hinaus könnten die Denisova-Menschen sogar bis vor etwa 30.000 Jahren in der Gegend gelebt haben, waren also möglicherweise eine der letzte überlebenden Urmenschengruppen. „Früher dachte man, dass die Denisovaner auf dem asiatischen Festland und weit im Norden gelebt haben“, sagt Cox. „Unsere Arbeit zeigt stattdessen, dass das Zentrum archaischer Vielfalt nicht in Europa oder im vereisten Norden lag, sondern im tropischen Asien.“ Stoneking fügt dem hinzu: „Außerdem scheint diese archaische Vielfalt auf den südostasiatischen Inseln und in Neuguinea viel länger Bestand gehabt zu haben als anderswo auf der Welt.“
Klar war bereits, dass die Inseln Südostasiens und Neuguinea besondere Orte waren, da sich bei den heute dort lebenden Menschen mehr Urmenschen-DNA im Genom findet als anderswo auf der Erde. Die Region wird auch als besonders wichtig für die frühe Entwicklung des Homo sapiens außerhalb Afrikas betrachtet. Doch die Geschichte blieb bisher lückenhaft.
Getrennte Denisovaner-Linien
Um diese Lücken zu schließen, hat das Team Abschnitte archaischer DNA aus 161 neu sequenzierten Genomen identifiziert, die 14 Inselgruppen im südostasiatischen Raum und Neuguinea umfassen. Die Analyse zeigt, dass große Teile des Erbguts nicht für eine einzige Vermischung von Denosivaner-Genen mit dem Erbgut der damals in der Region lebenden Menschen sprechen. Stattdessen besitzen heute lebende Papua Hunderte von Genvarianten aus zwei Denisovaner-Linien, die sich stark voneinander unterscheiden. Die Forscher schätzen, dass sich beide Gruppen von Denisova-Menschen bereits seit etwa 350.000 Jahren getrennt voneinander entwickelt hatten.
Die neuen Ergebnisse zeigen, wie wenig erforscht dieser Teil der Welt bisher war. Viele der Studienteilnehmer leben in Indonesien, einem Land von der Größe Europas, das gemessen an der Bevölkerungszahl das viertgrößte Land der Welt ist. Und doch wird erst in der aktuellen Studie über die ersten indonesischen Genomsequenzen berichtet – abgesehen von einer Handvoll Genomsequenzen, die 2016 im Rahmen einer globalen Studie zur genomischen Vielfalt erhoben wurden. Generell fokussieren die meisten Studien über frühe Urmenschen auf Europa und das nördliche Eurasien, da Erbgut aus alten Knochen bei kalten Temperaturen am besten überdauert.
Fehlende Daten verzerren wissenschaftliche Erkenntnisse
iese fehlende globale Präsenz in alten und modernen Genomdaten ist bekannt. „Wie stark diese Verzerrung wissenschaftliche Interpretationen – wie etwa hier die geografische Verteilung früher Urmenschenpopulationen – beeinflussen kann, ist vielen Menschen möglicherweise nicht klar“, sagt Cox.
So faszinierend die neuen Erkenntnisse auch sein mögen, so besteht ihr Hauptziel darin, diese neuen Genomdaten zu nutzen, um die Gesundheitsversorgung der Menschen auf den Inseln Südostasiens zu verbessern. Diese erste Erhebung von Genomdaten in der Region liefert grundlegende Informationen, die notwendig waren, um diese Arbeit in Gang zu setzen.
Originalpublikation:
Jacobs et al.
Multiple deeply divergent Denisovan ancestries in Papuans
Cell, 11. April 2019
https://doi.org/10.1016/j.cell.2019.02.035

12.04.2019, NABU
Der NABU ruft wieder zur bundesweiten Vogelzählung auf
Miller: Stunde der Gartenvögel wird zeigen, wie es um die Vogelbestände in Gärten und Parks steht
Wer fliegt und piept in Deutschlands Gärten und Parks? Das soll die 15. Stunde der Gartenvögel zeigen. Der NABU ruft gemeinsam mit der NAJU und dem Landesbund für Vogelschutz (LBV) vom 10. bis zum 12. Mai dazu auf, eine Stunde lang Vögel zu beobachten, zu zählen und zu melden.
„Wir wollen wissen: Stemmen sich unsere Gartenvögel weiter gegen den Abwärtstrend der Vogelbestände in der offenen Landschaft?“, so NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. „Seit 1980 ist mehr als jeder zweite Feldvogel in der EU verschwunden. Bei den Vögeln, die in Gärten und Parks vorkommen, sah es zumindest bisher deutlich besser aus.“ Allerdings gibt es auch bei diesen Arten Sorgenkinder. Das betrifft vor allem Gebäudebrüter und Insekten fressende Vögel wie Mauersegler und Mehlschwalben. „Diese finden durch das Insektensterben immer weniger Nahrung und durch Gebäudesanierungen auch immer weniger Wohnraum“, so NABU-Vogelschutzexperte Lars Lachmann. Seit der ersten Vogelzählung 2005 sind beide Arten um etwa die Hälfte zurückgegangen. Das zeigt die Auswertung aus 15 Jahren Stunde der Gartenvögel, die jetzt als Broschüre erschienen ist. Unter www.NABU.de/15-jahre-sdg kann man sie downloaden.
Wer schon vor der „Stunde der Gartenvögel“ spielerisch das Erkennen von Arten üben will, kann dies mit dem neuen Online-Learning-Tool NABU Vogeltrainer unter www.vogeltrainer.de machen. Hier werden 15 häufige Gartenvögel vorgestellt.
Im vergangenen Jahr hatten fast 57.000 Vogelfreunde bei der Stunde der Gartenvögel mitgemacht und Ergebnisse aus über 37.000 Gärten gemeldet. Gemeinsam mit der Schwesteraktion, der „Stunde der Wintervögel“ handelt es sich damit um Deutschlands größte wissenschaftliche Mitmach-Aktion.
Und so funktioniert es: Von einem ruhigen Plätzchen im Garten oder vom Zimmerfenster aus wird von jeder Vogelart die höchste Anzahl notiert, die im Laufe einer Stunde entdeckt wird. Die Beobachtungen können online unter www.stundedergartenvoegel.de und mit der kostenlosen NABU Vogelführer App gemeldet werden. Meldeschluss ist der 20. Mai. Eine kostenlose Rufnummer zum Melden ist am 11. und 12. Mai, jeweils von 10 bis 18 Uhr: 0800-1157115 – geschaltet.
Aktuelle Zwischenstände und erste Ergebnisse sind ab dem ersten Zähltag auf www.stundedergartenvoegel.de abrufbar und können mit vergangenen Jahren verglichen werden.
Für kleine Vogelexperten hat die NAJU die „Schulstunde der Gartenvögel“ (6. bis 10. Mai) ins Leben gerufen. Ein NAJU-Aktionspaket versorgt teilnehmende Gruppen und Klassen mit Zählkarten, einem „Vogelbüchlein für die Hosentasche“ für jedes Kind, einem NAJU-Poster, auf dem Kinder die häufigsten Vogelarten in Deutschlands Gärten und ihre Besonderheiten kennenlernen, sowie einem Begleitheft. Weitere Informationen unter www.NAJU.de/sdg.
Infos zur Aktion: www.stundedergartenvoegel.de

12.04.2019, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Kaninchen gefährden Pflanzenvielfalt auf Teneriffa
Inseln tragen wegen der vielen nur dort heimischen Arten überproportional zur globalen Biodiversität bei. Diese Arten sind aber auch besonders vom Aussterben bedroht. Eine Studie von Biogeographen der Goethe-Universität zeigt nun erstmals auf der Skala einer ganzen, sehr vielfältigen Insel, nämlich Teneriffa, dass diese Arten von eingewanderten Pflanzenfressern bevorzugt werden.
Teneriffa ist die artenreichste Insel des Atlantiks. Eine weitläufige Annahme ist, dass die dort heimischen (endemischen) Pflanzenarten besonders von eingewanderten Pflanzenfressern, insbesondere Kaninchen, bevorzugt werden. Diese Pflanzenarten haben sich nämlich unter Bedingungen entwickelt, wo es noch keine großen Pflanzen fressenden Säugetiere gab. Deshalb verfügen sie auch nicht über Mechanismen, sich gegen Fraßfeinde zu wehren.
Das internationale Forschungsteam von Prof. Severin Irl vom Institut für Physische Geographie der Goethe-Universität hat nun erstmals die gesamte und sehr vielfältige Kanareninsel Teneriffa beprobt und bestätigt, dass endemische Arten stärker von Kaninchen gefressen werden als nicht-endemische: Zwei Drittel aller endemischen Arten sind von Fraßschäden betroffen. „Wir haben außerdem festgestellt, dass manche Ökosysteme stärker betroffen sind als andere“, fasst Prof. Severin Irl die Ergebnisse zusammen. Wider Erwarten ist die Kaninchendichte ein schlechter Indikator für Fraßschäden.
„Wir gehen davon aus, dass diese Ergebnisse auch für andere Inseln weltweit gelten, da Teneriffa durch seine Vielfältigkeit und seiner Vielzahl an Ökosystemen und Habitaten als Modelsystem für Inseln gelten kann“, so Irl. Zum Erhalt der kostbaren Biodiversität empfehlen Irl und seine Ko-Autoren von der Universität La Laguna auf Teneriffa, dem El Teide Nationalpark auf Teneriffa und der dortigen Naturschutzbehörde, den Kaninchenbestand auf der Insel stark einzudämmen.
Originalpublikation:
Cubas J, Irl SDH, Villafuerte R, Bello-Rodríguez V, Rodríguez-Luengo JL, del Arco M, Martín-Esquivel JL, González-Mancebo JM. 2019 Endemic plant species are more palatable to introduced herbivores than non-endemics. Proc. R. Soc. B 286: 20190136.
http://dx.doi.org/10.1098/rspb.2019.0136

11.04.2019, Universität Zürich
Zusammenspiel von Nütz- und Schädling beeinflusst die Pflanzenevolution
Wird Rübsenkohl von Hummeln bestäubt, führt dies zur Evolution von attraktiveren Blüten. Diese Entwicklung wird beeinträchtigt, wenn gleichzeitig Raupen den Kohl befallen. Die Hummeln bestäuben die Pflanzen nun weniger gut, so dass diese sich vermehrt selbst bestäuben. Wie stark sich die Effekte von Nütz- und Schädling gegenseitig beeinflussen, zeigen Forscher der Universität Zürich in einem Evolutionsexperiment im Gewächshaus.
Pflanzen interagieren in der Natur mit verschiedensten Organismen, was sich laufend auf die Evolution bestimmter Merkmale auswirkt. Während Bestäuber Blüteneigenschaften und Fortpflanzung beeinflussen, verändern Frassinsekten die pflanzlichen Abwehrmechanismen. Wie sich diese Interaktionen gegenseitig beeinflussen, und wie rasch sich Pflanzen anpassen, wenn die Zusammensetzung der Interaktionspartner ändert, haben Pflanzenforscher der Universität Zürich (UZH) nun untersucht.
«Experimentelle Evolution» in Echtzeit
In einem zwei Jahre dauernden Gewächshausversuch konnten Florian Schiestl, UZH-Professor am Institut für Systematische und Evolutionäre Botanik, und Doktorand Sergio Ramos zeigen, dass die Effekte von Bestäuberinsekten und jene von Pflanzenfressern in starker Wechselbeziehung miteinander stehen. Für ihre Studie verwendeten sie Rübsenkohl (Brassica rapa), ein naher Verwandter des Raps, sowie Hummeln und Schmetterlingsraupen als Interaktionspartner. Über sechs Generationen behandelten sie die Pflanzen in vier verschiedenen Gruppen: mit Hummeln allein bzw. zusammen mit Raupen sowie von Hand bestäubt ohne bzw. mit Raupenfrass.
Balance zwischen Anziehung und Verteidigung
Nach dieser «experimentellen Evolution» zeigte sich, dass die von Hummeln bestäubten Pflanzen ohne Raupenfrass am attraktivsten für die Bestäuber waren – sie dufteten stärker und hatten grössere Blüten. «Diese Pflanzen hatten sich während des Experiments an die Vorlieben der Hummeln angepasst», sagt Sergio Ramos. Pflanzen, die mit Hummeln und Raupen behandelt wurden, waren dagegen weniger attraktiv. Sie hatten höhere Konzentrationen von giftigen Abwehrstoffen, weniger Blütenduft und tendenziell kleinere Blüten. «Die Raupen beeinträchtigten die Evolution attraktiverer Blüten, da die Pflanzen mehr Ressourcen in ihre Verteidigung investierten», so Ramos.
Kombinierter Einfluss auf die Fortpflanzung
Die starke Wechselwirkung zwischen den Effekten von Hummeln und Raupen zeigte sich auch in den Fortpflanzungseigenschaften: Im Zuge der Evolution entwickelten von Hummeln bestäubte Pflanzen etwa die Tendenz zur spontanen Selbstbestäubung – allerdings nur, wenn sie gleichzeitig von Schmetterlingsraupen befallen waren. Pflanzen mit Raupenfrass bilden weniger attraktive Blüten, was sich auf das Verhalten der Hummeln auswirkt: Sie bestäuben diese Blüten weniger gut.
Mechanismen der Evolution besser verstehen
Die Studie zeigt, wie bedeutend interaktive Effekte für die Entwicklung der Vielfalt sind. Ändert sich die Zusammensetzung der Interaktionspartner – etwa durch Habitatverlust, Klimawandel oder Bestäuberrückgang – kann dies einen raschen evolutiven Wandel der Pflanzen bewirken. «Die vom Menschen verursachten Umweltveränderungen beeinflussen das evolutionäre Schicksal einer Vielzahl von Organismen – mit Folgen für Ökosystemstabilität, Biodiversitätsverlust und Ernährungssicherheit», sagt Florian Schiestl. Noch nie sei das Verständnis für diese Mechanismen so relevant gewesen wie heute, so der Forscher.
Originalpublikation:
Sergio E. Ramos, Florian P. Schiestl. Rapid plant evolution driven by the interaction of pollination and herbivory. Science. April 11, 2019. DOI: 10.1126/science.aav6962

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