Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

25.06.2018, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Hieb- und stichfest: So jagten Neandertaler vor 120.000 Jahren
In der Zeitschrift Nature Ecology & Evolution berichtet ein internationales Forscherteam über die ältesten, unzweifelhaften Jagdverletzungen der Menschheitsgeschichte. Die Spuren wurden an zwei Skeletten großer ausgestorbener Damhirsche entdeckt. Neandertaler erlegten die Tiere vor ca. 120.000 Jahren an einem kleinen See an der Fundstelle Neumark-Nord 1 in der Nähe der heutigen Stadt Halle im Osten Deutschlands.
Die Studie unter der Leitung von Prof. Dr. Sabine Gaudzinski-Windheuser vom Institut für Altertumswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) liefert neueste Erkenntnisse zur Einnischung des Neandertalers und bringt die Forschung einen bedeutenden Schritt nach vorne: Sie zeigt, wie Neandertaler ihre Beute erlangten, vor allem in Bezug auf ihre bislang viel diskutierte Jagdausrüstung, aber auch in Bezug auf ihre Jagdfertigkeit.
Die Jagdverletzung konnte in einem innovativen, experimentellen ballistischen Versuchsaufbau mit Hilfe modernster Bewegungssensorik exakt reproduziert werden. Die Ergebnisse belegen die Nutzung eines hölzernen Speers in Aufwärtsbewegung, der mit geringer Geschwindigkeit eingesetzt wurde. Dies deutet darauf hin, dass sich Neandertaler den Tieren bis auf sehr kurze Distanz näherten und den Speer als Stoß- und nicht als Wurfwaffe verwendeten. Eine solche konfrontative Art der Jagd erforderte sorgfältige Planung, Tarnung sowie ein enges Zusammenspiel zwischen den einzelnen Jägern.
Der See, an dem die Jagden stattfanden, war von geschlossenen Wäldern umgeben – eine Umwelt, die für Jäger und Sammler auch heute noch eine besondere Herausforderung darstellt. Allerdings brachten die Ausgrabungen der einzigartigen Seenlandschaft in Neumark-Nord während der letzten Warmzeit zehntausende Knochen großer Säugetiere, darunter Rot- und Damhirsche, Pferde und Wildrinder, zutage sowie tausende Steinartefakte. Diese reichen Funde zeugen vom Erfolg der Überlebensstrategien des Neandertalers in bewaldeten Umwelten.
„Unsere Vorfahren haben sicherlich bereits vor mehr als einer halben Million Jahren mit der Waffenjagd begonnen“, merkt Sabine Gaudzinski-Windheuser an. „Aber erst jetzt haben wir Nachweise zu der Handhabung von hölzernen speerartigen Objekten.“ Solche Waffen wurden im vergangenen Jahrhundert in Clacton in Großbritannien sowie an den deutschen Fundorten in Schöningen und Lehringen entdeckt. Bislang fehlten Nachweise zur Handhabung, obwohl Menschen sicherlich seit mehr als 500.000 Jahren jagen.
Beteiligt waren an der Forschungskooperation Prof. Dr. Sabine Gaudzinski-Windheuser, Professorin an der JGU und Leiterin von MONREPOS Archäologisches Forschungszentrum und Museum für menschliche Verhaltensevolution des RGZM, Elisabeth S. Noack von MONREPOS Archäologisches Forschungszentrum und Museum für menschliche Verhaltensevolution und JGU-Wissenschaftlerin, Dr. Frieder Enzmann und Arne Jacob von der JGU, Prof. Dr. Wil Roebroeks von der Archäologischen Fakultät der Universität Leiden, Dr. Eduard Pop, Mitarbeiter von MONREPOS Archäologisches Forschungszentrum und Museum für menschliche Verhaltensevolution und der Archäologischen Fakultät der Universität Leiden, sowie Prof. Prof. Dr. Jonas Buchli und Dr. Johannes Pfleging vom Institut für Robotik und Intelligente Systeme der ETH Zürich.
Veröffentlichung:
Sabine Gaudzinski-Windheuser et al.
Evidence for close-range hunting by last interglacial Neanderthals
Nature Ecology & Evolution, 25. Juni 2018
DOI: 10.1038/s41559-018-0596-1
Link: http://www.nature.com/articles/s41559-018-0596-1

26.06.2018, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau
Luchse in Gefahr
Studie legt nahe, dass Menschen den Raubkatzen im Grenzgebiet von Deutschland, Tschechien und Österreich stark zusetzen
Seit einigen Jahren breiten sich große Wildtiere wie Luchs, Wolf und Bär durch das Ansteigen bestehender Populationen und gezielter Wiederansiedlung in ganz Europa aus. Dennoch sind einige Populationen nach wie vor gefährdet. Ein Forschungsteam um den Freiburger Naturschutzbiologen Privatdozent (PD) Dr. Marco Heurich und die Landschaftsökologin PD Dr. Stephanie Kramer-Schadt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung Berlin kommt zu dem Ergebnis, dass die illegale Jagd auf Luchse, die im Grenzgebiet von Deutschland, Tschechien und Österreich wiederangesiedelt wurden, deren Bestand stark beeinflusst. Die von der Naturschutzorganisation WWF Deutschland in Auftrag gegebene Studie haben die Forschenden in der Fachzeitschrift „Biological Conservation“ veröffentlicht.
Tschechische Behörden haben in den 1980er Jahren 18 Luchse an der Grenze zwischen Deutschland, Tschechien und Österreich in dem Gebiet des heutigen Nationalparks Šumava wiederangesiedelt. Nachdem die Population sich zunächst positiv entwickelte, geht ihr Bestand seit einigen Jahren zurück. Die Luchse breiteten sich in einer ersten Phase nach der Wiederansiedlung entlang der Grenze nach Norden bis ins Fichtelgebirge und nach Süden bis ins Waldviertel in Österreich aus. In einer zweiten Phase von 1998 bis 2014 kam es jedoch zu einem Bestandsrückgang und die Zahl der Tiere stagniert seitdem auf niedrigem Niveau. Einige Forschungsarbeiten legten in der Vergangenheit nahe, dass die illegale Jagd auf Luchse dabei eine große Rolle spielt.
Um dies zu überprüfen, erfassten die Naturschutzbiologen in einem Computermodell Daten zur Fortpflanzung, Sterberate, Bewegungsökologie und Größe des Streifgebiets der Tiere, die sie durch Satellitentelemetrie, Fotofallen und Zufallsbeobachtungen gewannen. Außerdem errechnete das Team ein Habitatmodell, das widerspiegelt, wie geeignet das Gebiet als Lebensraum für die Luchse ist. Auf Grundlage der Daten simulierte das Modell „Computerluchse“, die sich in einer realitätsgetreuen Nachbildung der untersuchten Waldlandschaft bewegten und über die gleichen Eigenschaften wie die Tiere in freier Wildbahn verfügten. Dabei bildete das Modell das reale Straßennetz im Rechner ab, sodass die digitalen Luchse auch dem Straßenverkehr zum Opfer fallen konnten. Das Modell berücksichtigte also neben dem natürlichen Tod auch das Risiko durch den Straßenverkehr. Auf diese Weise simulierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedene Szenarien für die Entwicklung der Luchspopulation und verglichen diese mit dem beobachteten Verlauf.
Das Team stellte fest, dass in der ersten Phase von 1982 bis 1996 nur drei bis vier Prozent der Sterberate der Tiere nicht erklärbar sind und die Aussterbewahrscheinlichkeit der Population bei weniger als fünf Prozent lag. In der zweiten Phase von 1998 bis 2014 war die nicht erklärbare Sterblichkeit mit 15 bis 20 Prozent deutlich höher – dahinter stehen mit großer Wahrscheinlichkeit illegale Tötungen. „Leider liegen wir damit im internationalen Vergleich voll im Trend, was die Höhe der vom Menschen verursachten Mortalität anbetrifft“, so Stephanie Kramer-Schadt. Da Expertinnen und Experten andere Ursachen wie Krankheiten im Untersuchungsgebiet bislang nur in geringem Umfang beobachtet haben, gehen die Wissenschaftler anhand der Simulationen davon aus, dass vor allem illegale Tötungen, die Ursache für die hohe Sterblichkeit der Tiere sind. Während diese Tötungen in der ersten Phase noch ein geringes Ausmaß hatten, welches die Populationsentwicklung kaum beeinflusste, stiegen sie in der zweiten Phase stark an.
Wie die Forschenden weiterhin zeigten, hat die Aussterbewahrscheinlichkeit einen kritischen Punkt erreicht, bei dem ein weiterer geringfügiger Anstieg zum Aussterben der Population führen könnte. „Die Wahrscheinlichkeit, dass die Population wieder aussterben kann, liegt im ungünstigsten Fall bei bis zu 74 Prozent“, so Marco Heurich. Nach den Anforderungen der Weltnaturschutzunion (International Union for Conservation of Nature/IUCN) an eine lebensfähige Population ist dieses Risiko zu hoch. Simulationen, die illegale Handlungen in den Nationalparks Bayerischer Wald und Šumava ausschließen, legen den Schluss nahe, dass die Schutzgebiete erheblich zur Erhaltung der Luchspopulation beigetragen haben. Um die Luchspopulation dauerhaft zu erhalten, stelle die Verfolgung und Unterbindung illegaler Tötungen neben der Erhaltung von Lebensräumen, die nicht durch Straßen zerschnitten werden, also die wichtigste Maßnahme zum Schutz der Luchse dar.
Originalpublikation:
Heurich, M., Schultze-Naumburg, J., Piacenza, Magg, N, Červený, J., Engleder, T., Herdtfelder M., Sladova; M., Kramer-Schadt S. (2018): Illegal hunting as a major driver of the source-sink dynamics of a reintroduced lynx population in Central Europe. In: Biological Conservation.
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0006320717314003

27.06.2018, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau
Gefährliche Reptilien
Krokodilangriffe steigen in Südostasien einer Studie zufolge an, seit die Tiere unter Naturschutz stehen
Der südostasiatische Inselstaat Osttimor hat ein Problem mit Krokodilen. Von 2007 bis 2014 kam es dort zu einer starken Zunahme von Angriffen auf Menschen. Häufig enden solche Attacken tödlich. Sebastian Brackhane, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Fernerkundung und Landschaftsinformationssysteme der Universität Freiburg, hat Daten über Krokodilattacken im Zusammenhang mit einem Anstieg der Population von Leistenkrokodilen in Osttimor ausgewertet. Die Ergebnisse seiner Feldstudie hat er im „Journal of Wildlife Management“ publiziert.
Das in Südostasien und im Norden Australiens beheimatete Leistenkrokodil ist mit einer Länge von bis zu sechs Metern die größte aller Krokodilarten. Die Tiere können mehr als 900 Kilogramm schwer werden und sich, anders als die meisten anderen Krokodilarten, im Süß- und Salzwasser aufhalten. Deshalb sind sie in der Lage, längere Strecken im Meer zurückzulegen. Die Tiere verfügen über ein ausgeprägtes Territorialverhalten und sind äußerst aggressiv. Sie greifen im Wasser und in Ufernähe alles an, was sich bewegt – auch Menschen. Da sie wegen ihres Leders bis in die 1960er Jahre hinein gejagt wurden, wurde die stark dezimierte Population unter anderem im australischen Bundesstaat Northern Territory, der circa 450 Kilometer südlich von Osttimor liegt, in den 1970er Jahren unter Naturschutz gestellt.
Durch den Schutz wuchs die Population der vormals vom Aussterben bedrohten Art wieder an. Damit ging allerdings auch ein Anstieg der Krokodilangriffe auf Menschen einher. Jedoch gab es bisher zu der tatsächlichen Anzahl der Attacken in Osttimor, ähnlich wie in vielen anderen Staaten Südostasiens und Ozeaniens, keine belastbaren Daten. Brackhane hat in seiner Feldstudie mit lokalen Fischern und Dorfältesten über Vorfälle mit Krokodilen gesprochen und sich so eine Datengrundlage erarbeitet. Seit der Unabhängigkeit Osttimors von Indonesien 2002 gab es demzufolge mindestens 130 Angriffe – mit einer hohen Dunkelziffer muss jedoch gerechnet werden.
„Die geographische Beschaffenheit der Vulkaninsel bietet nur einen begrenzten Lebensraum, um eine größere Population tragen zu können. Deshalb haben wir uns gefragt, woher die vielen Krokodile in Osttimor kommen“, sagt Brackhane. Befragungen von Arbeitern auf einer Ölplattform auf hoher See zwischen Osttimor und dem Northern Territory ergaben, dass Leistenkrokodile häufig in der Nähe der Plattform gesichtet wurden. Die Forscher entwickelten deshalb die Hypothese, dass die Tiere womöglich von Australien nach Osttimor einwandern. „Wir nehmen an, dass die Lebensräume im Northern Territory ihre maximale Tragfähigkeit vielerorts erreicht haben und junge Salzwasserkrokodile über das Meer nach Osttimor gelangen, um neue Lebensräume zu erschließen“, so Brackhane. Die Herkunft der Leistenkrokodile auf Osttimor ist in einem weiteren Schritt noch eindeutig durch eine DNA-Analyse zu klären.
Klar ist aber, so Brackhane, dass ganz Südostasien und Ozeanien ein Problem mit Leistenkrokodilen haben, seit deren Bestände sich unter Naturschutz wieder sehr gut erholt haben. In Osttimor stehen die Tiere noch unter einem besonderen Schutz: Die Bewohnerinnen und Bewohner glauben, die Insel sei aus einem Krokodil entstanden. Die Jagd auf „Großvater Krokodil“ ist streng verboten.
Originalpublikation:
Sebastian Brackhane, Grahame Webb, Flaminio M.E. Xavier, Marcal Gusmao, Peter Pechacek (2018): When Conservation Becomes Dangerous:
Human-Crocodile Conflict in Timor-Leste. In: The Journal of Wildlife Management. doi: 10.1002/jwmg.21497

27.06.2018, Universität Konstanz
Entschlüsselung des Genoms europäischer Höhlenfische
Plant and Animal SMRT Grant 2018 für Forschungsprojekt unter Beteiligung von Konstanzer Fischökologin Dr. Jasminca Behrmann-Godel
Der erste europäische Höhlenfisch wurde 2015 vom Höhlentaucher Joachim Kreiselmaier in Süddeutschland entdeckt – eine wissenschaftliche Sensation. Er ist der einzige bekannte Höhlenfisch in Europa und der am nördlichsten lebende überhaupt. Seitdem haben Forscher aus Konstanz, Oldenburg und Berlin erfolgreich die ersten genetischen Analysen durchgeführt. In einem nächsten Schritt wird nun die komplette Genomsequenzierung des Höhlenfisches durchgeführt und dessen Erbgut in vergleichenden Studien weiter erforscht. Das Forschungsprojekt wurde aktuell mit dem Plant and Animal SMRT Grant 2018 ausgezeichnet. Damit verbunden ist eine Unterstützung durch das kalifornische Unternehmen Pacific Biosciences (PacBio) und das Unternehmen GENEWIZ aus New Jersey, USA.
Mit dem Plant and Animal SMRT Grant 2018 ist für PD Dr. Jasminca Behrmann-Godel vom Limnologischen Institut der Universität Konstanz und Kollegen die Möglichkeit verbunden, das Genom des Höhlenfischs zu assemblieren. Eine Genomassemblierung erfolgt aus vielen einzelnen Sequenzabschnitten, die anhand kürzerer Stücke des Erbgutes generiert werden. Diese werden zur Sequenz des kompletten Genoms zusammengesetzt. Um dieses Verfahren erfolgreich durchzuführen, bekommen Prof. Dr. Arne Nolte, Institut für Biologie und Umweltwissenschaften der Universität Oldenburg, und Assistant Professor Fritz Sedlazeck vom Human Genome Sequencing Center des Baylor College of Medicine in Houston (USA) Zugang zu neuester Genomsequenzierungstechnologie von PacBio sowie bioinformatischen Support von GENEWIZ.
Die Forscher werden unter anderem von einer DNS-Sequenzierungsmethode profitieren, die eine möglichst vollständige und akkurate Assemblierung des Genoms gewährleisten wird. Laut Mitteilung von GENEWIZ zeichnet sich diese Sequenzierung durch „lange Sequenzen und eine gleichmäßige Repräsentation aller Bereiche des Genoms aus, was wiederum zu höchster Genauigkeit und Kontiguität führt“. Auf diese Weise „kann das Erbgut des Höhlenfischs sehr schnell assembliert und analysiert werden. Bislang war das für die meisten Spezies undenkbar“, erklärt Arne Nolte.
Für Jasminca Behrmann-Godel spielt die Entschlüsselung des Genoms „eine zentrale Rolle beim genetischen Vergleich zwischen Höhlenfischen und an der Oberfläche lebenden Artgenossen“. Sie und ihre Kollegen sind dabei besonders an genetischen Veränderungen interessiert, die für verschiedene morphologische Anpassungen des europäischen Höhlenfischs verantwortlich sind, zum Beispiel für seine degenerierten Augen, größeren Nasenlöcher und die verringerte Pigmentierung.
Aber es geht nicht nur darum, die verschiedenen genetischen Abweichungen zu identifizieren, die den Höhlenfisch von seinen an der Oberfläche lebenden Verwandten unterscheiden, oder darum, die evolutionär bedingten Veränderungen an seinem Sinnessystem nachzuvollziehen. Fritz Sedlazeck freut sich auch darauf, das Erbgut des ersten europäischen Höhlenfischs mit dem mexikanischen Höhlenfisch Astyanax mexicanus vergleichen zu können: „Das Ergebnis dieser Studie wird es uns ermöglichen, die initialen Schritte zu verstehen, welche zur Evolution der Höhlenfische geführt haben.“
Der jüngst entdeckte Höhlenfisch, eine Schmerle der Gattung Barbatula, kommt in den unterirdischen Karstsystemen der Donau-Aach-Region in Süddeutschland vor. Aus der Betrachtung der lokalen geologischen Geschichte und den ersten genetischen Analysen schlussfolgerten Jasminca Behrmann-Godel und ihre Forscherkollegen, dass diese spezielle Spezies sich innerhalb von 20.000 Jahren von an der Oberfläche lebenden Artgenossen abgrenzte und zum Höhlenbewohner wurde. Diese Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Current Biology im April 2017 veröffentlicht.
Damit PacBio und GENEWIZ das Genom des europäischen Höhlenfischs in den Vereinigten Staaten assemblieren können, wird Arne Nolte DNS-Proben von Fischen, die Joachim Kreiselmaier aus den Höhlen des Donau-Aach-Systems geholt hat und die anschließend von Jasminca Behrmann-Godel vom Limnologischen Institut der Universität Konstanz betreut wurden, in die USA schicken.
Faktenübersicht:
– Forschungspartner der Konstanzer Fischökologin PD Dr. Jasminca Behrmann-Godel, die gemeinsam den ersten bekannten europäischen Höhlenfisch erforschen, erhalten den Plant and Animal SMRT Grant 2018.
– Die Preisträger sind Prof. Dr. Arne Nolte vom Institut für Biologie und Umweltwissenschaften der Universität Oldenburg und Assistant Professor Fritz Sedlazeck vom Human Genome Sequencing Center des Baylor College of Medicine in Houston (USA).
– Der im Förderpreis enthaltene Zugang zur neusten Genomsequenzierungstechnologie wird von dem kalifornischen Unternehmen Pacific Biosciences, der Support von dem in New Jersey, USA, ansässigen Unternehmen GENEWIZ bereitgestellt.
– Der Zugriff auf ein vollständiges Genom wird Dr. Behrmann-Godel und ihre Kollegen in die Lage versetzen, das Erbgut des europäischen Höhlenfischs sowohl mit dem seiner an der Oberfläche lebenden Verwandten als auch mit dem anderer bekannter Höhlenfische, wie dem mexikanischen Höhlenfisch, zu vergleichen.

28.06.2018, Deutsches Zentrum für Infektionsforschung
Wissenschaftler alarmieren: 2018 wird ein „Zecken-Jahr“
In diesem Sommer wird es besonders viele Zecken geben und damit eine höhere Gefahr, an Hirnhautentzündung oder Borreliose zu erkranken – denn diese Krankheiten werden durch Zecken übertragen. Ein „Zecken-Jahr“ prognostizieren DZIF-Wissenschaftler in München. Sie haben ein Modell mitentwickelt, mit dem sie die Zeckendichte bereits im Winter für den jeweils kommenden Sommer voraussagen können.
Ein Sommerspaziergang durch den Wald oder auch durch den Garten kann unangenehme Folgen haben. Denn auf Büschen, Sträuchern und Gräsern sitzen Zecken, meist der Gemeine Holzbock, Ixodes ricinus, der geduldig darauf wartet, dass ein Wirbeltier, zum Beispiel auch ein Mensch, vorbeikommt und ihn mitnimmt. Hat er seinen Platz auf der Haut gefunden, dann sticht er zu und saugt Blut, bis er fast platzt. Zusammen mit seinem Speichel gibt er einen Teil des Blutes allerdings zurück und dies in einigen Fällen zusammen mit unangenehmer Fracht. So ist der Gemeine Holzbock der Hauptüberträger der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), einer viralen Hirnhautentzündung, die tödlich enden kann. Auch die Borreliose wird von dieser Zeckenart übertragen. Während es für die FSME keine Heilung, aber eine vorbeugende Impfung gibt, gibt es für die Borreliose keinen Impfstoff, aber eine Behandlungsmöglichkeit mit Antibiotika. In jedem Fall ist ratsam, auf Zecken achtzugeben, insbesondere in FSME-Risikogebieten. Dort sind mehr Zecken mit Viren infiziert als anderswo. In welchen Regionen Deutschlands das der Fall ist, erfährt man auf der Website des Robert-Koch-Instituts.
„In diesem Jahr ist das Risiko insgesamt besonders hoch“, ist Privatdozent Dr. Gerhard Dobler sicher. „Wir werden die höchste Zahl an Zecken in den letzten zehn Jahren haben.“ Seit 2009 erforscht der DZIF-Wissenschaftler mit seinem Team am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr die Ausbreitung und Aktivität des FSME-Virus in Deutschland. Über einen Zeitraum von neun Jahren dokumentierten die Forscher die Zeckenzahlen an einem Infektionsherd in Süddeutschland. Hierfür sammelten sie akribisch monatlich die Nymphen des Gemeinen Holzbocks – ein Entwicklungsstadium der Zecken vor dem Erwachsenwerden. Kleiner als ein Millimeter sind diese Jungtiere nur als schwarze Punkte erkennbar und werden oft übersehen. Das macht sie besonders gefährlich, denn bereits in diesem Entwicklungsstadium können sie Krankheiten übertragen. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass der ausgewählte Infektionsherd in Süddeutschland Modellcharakter hat. „Wenn wir hier viele Zecken haben, dann haben wir diese hohen Zahlen auch anderswo im süddeutschen Raum“, erklärt Dobler.
Komplexes Vorhersagemodell bestätigt
„Mithilfe der Zeckendaten aus unserem Modell-Herd und anhand von bestimmten Umgebungsparametern konnten die Kollegen der Veterinärmedizinischen Universität in Wien ein Modell entwickeln, das uns schon im Winter auf die Zecken im Sommer vorbereitet“, erklärt Dobler. In das Modell der Münchner und Wiener fließen zum einen die Zahl der Bucheckern zwei Jahre vor dem aktuellen Sommer, sowie die jährliche Durchschnittstemperatur und die Wintertemperatur im Jahr davor ein. Je mehr Bucheckern es zwei Jahre vor dem fraglichen Sommer gibt, umso mehr Wild und Nagetiere haben Futter und dienen wiederum als Überträger der Zecken, die dann ebenfalls vermehrt auftauchen. Die Zusammenhänge konnten Dobler und Kollegen in ihrem komplexen Modell erfolgreich einsetzen und bereits bestätigen. Für den Sommer 2017 hatten sie 187 Zecken pro standardisierter Fläche vorhergesagt und 180 gefunden. Fast eine Punktlandung. Für 2018 wurde mit 443 Zecken die höchste je gefundene Zeckenzahl vorausgesagt und Dobler weiß mittlerweile, dass sich auch diese Voraussage genau erfüllen wird. „Wir haben die höchste Zahl von Zecken, die wir seit Beginn der Untersuchungen gesammelt haben – gut für die Zecken, schlecht für uns.“
Dem Infektionsrisiko vorbeugen
Mehr Zecken bedeutet immer auch ein erhöhtes Risiko zu erkranken. Borreliose kann deutschlandweit von Zecken übertragen werden und ist in etwa jeder vierten Zecke zu finden – unabhängig von der Region. Hier hilft zur Vorbeugung nur Wachsamkeit nach Waldspaziergängen und Aufenthalten im Freien. Je schneller die Zecke entfernt wird, umso geringer ist die Gefahr an Borreliose zu erkranken. Um der Gefahr einer Hirnhautentzündung vorzubeugen, kann und sollte man sich impfen lassen, so der Appell der Wissenschaftler. Insbesondere im süddeutschen Raum, wo die Dichte an Viren-infizierten Zecken höher ist.
Zecke in Seide gekleidet
Zecken sammeln und kartieren ist das eine. Doch das Münchner Team stößt immer wieder auch auf Funde, die weit in die Geschichte zurückreichen. Einer dieser spannenden Entdeckungen aus der jüngsten Zeit soll hier zumindest erwähnt werden: Der Fund einer Zecke, die sich in einem Spinnennetz verfangen hat und von der Spinnenseide zu Tode ummantelt wurde. Dieses Drama ereignete sich vor etwa 100 Millionen Jahren. Und wurde eingeschlossen und für die Nachwelt festgehalten in Bernstein.
Publikation
Katharina Brugger, Melanie Walter, Lidia Chitimia Dobler, Gerhard Dobler, Franz Rubel:
Forecasting next seasons´s Ixodes Ricinus nymphal density: the example of southern Germany 2018
Exp Appl Acarol 30. Mai 2018. Doi: 10.1007/s10493-018-0267-6

28.06.2018, Forschungsverbund Berlin e.V.
Gepardenmännchen: Häuslebauer und Mietnomaden
Berliner ForscherInnen des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) haben das Raumnutzungsverhalten von Geparden aufgeklärt. Die Ergebnisse zeigen, dass Geparden-Männchen zwei Raumnutzungstaktiken verfolgen, die in verschiedenen Lebensabschnitten angewendet werden. Ihre Langzeitstudie mit Bewegungsdaten von über 160 frei lebenden Geparden in Namibia wurde jetzt in der Fachzeitschrift ECOSPHERE veröffentlicht.
Der Gepard ist die seltenste größere Katzenart in Afrika. ForscherInnen des Leibniz-IZW fanden jetzt heraus, dass es bei Geparden-Männchen zwei Raumnutzungstaktiken gibt: die einen ziehen rastlos umher und legen dabei enorme Strecken zurück, andere leben vergleichsweise engräumig und besetzen kleine Territorien. Die Flächenansprüche der Weibchen liegen zwischen den Größen dieser beiden Streifgebietsformen der Männchen. Zum Überleben brauchen Geparden also meist riesige Flächen mit annähernd natürlichen Bedingungen. Die neuen Erkenntnisse über das Raumnutzungsverhalten ermöglichen die Entwicklung verbesserter Schutzmaßnahmen dieser hochspezialisierten Katzenart.
Säugetiere haben im Laufe der Evolution eine Vielzahl an Sozialsystemen entwickelt. Das reicht vom Einzelgängertum bis hin zu hochkomplexen sozialen Systemen, in denen Gruppen aus vielen Weibchen und Männchen bestehen. Geparde passen in keines der bisher beschriebenen Sozialsysteme. Wie sie organisiert sind, wurde bisher kontrovers diskutiert. Einer Forschungsgruppe des Leibniz-IZW gelang es nun, das Rätsel zu lösen.
Geparden-Männchen leben einzeln oder in kleinen Gruppen von zwei oder drei Männchen (Koalitionen). Weibchen hingegen sind einzelgängerisch – außer wenn sie Jungtiere bei sich haben. Im südlichen Afrika leben Geparde meist außerhalb von Schutzgebieten, wo sie häufig mit den Rinder-Farmern in Konflikt geraten. „Durch die Konflikte mit Farmern sind Geparde scheu geworden. Es ist daher kaum möglich, sie direkt zu beobachten. Für unsere Studie haben wir die Geparde deshalb mit GPS-Halsbändern ausgestattet“, erklärt Bettina Wachter, Projektleiterin am Leibniz-IZW.
Die ForscherInnen versahen 164 Geparden-Männchen und Weibchen mit GPS-Halsbändern. Das Ergebnis: sowohl Einzeltiere wie Kleingruppen ausgewachsener Männchen nutzen große Streifgebiete von bis zu 1.600 km2 (im Vergleich: die doppelte Fläche Hamburgs) oder verteidigen „kleine“ Territorien von etwa 380 km2 (etwas größer als die Fläche des Stadtgebietes von München). Weibchen hingegen nutzen mittelgroße Streifgebiete von etwa 650 km2. „Territoriale Einzelmännchen oder Koalitionen markieren ihre Reviere durch Duftmarken an prominenten Landmarken, wie großen Bäumen oder Termitenhügeln. Revierlose Einzelmännchen oder Koalitionen hingegen streifen umher und besuchen diese Markierungsstellen, schnüffeln daran und holen sich so Informationen zum Besitzstand des Territoriums“, sagt Jörg Melzheimer, Erstautor der Studie und Ökologe am Leibniz-IZW.
Die revierlosen, herumstreifenden Einzelmännchen oder Koalitionen versuchen über kurz oder lang ein Territorium zu übernehmen, was ihnen gelingen kann, wenn ihre Gruppengröße die des oder der Territoriums-Besitzer übersteigt. Solche Übernahmeangriffe enden oft mit dem Tod der einen oder anderen Seite. Können die herumstreifenden Einzelmännchen oder Koalitionen ein Territorium übernehmen, erhöht sich innerhalb von wenigen Monaten ihr Körpergewicht. „Die hohe Risikobereitschaft der Männchen, eines der kleinen Territorien zu übernehmen, deutet darauf hin, dass es sich um eine wichtige Ressource handelt. Wir vermuten, dass es um eine erhöhte Begegnungswahrscheinlichkeit mit den Weibchen geht, da diese regelmäßig die Markierungsbäume verschiedener Territorien besuchen“ erklärt Wachter. Unter den Geparden sind also junge Einzelmännchen oder Koalitionen Mietnomaden, die eine Gelegenheit suchen, um ein Territorium zu übernehmen, während ältere Einzelmännchen oder Koalitionen Territorienbesitzer sind. Wie im richtigen Leben gilt auch hier: nicht alle Mietnomaden haben die Chance, ein Territorium zu bekommen. Wenn das aber gelungen ist, dann handelt es sich meist um Männchen fortgeschrittenen Alters.
„Das Verstehen des Sozialsystems der Geparde ist nicht nur von akademischen Interesse. Wenn wir wissen, welche Ansprüche und Bedürfnisse Männchen und Weibchen an ihren Lebensraum haben, wie und wo sie sich begegnen und wo sie besonders häufig vorkommen, können diese Daten wichtige Informationen liefern, die wir zur Minimierung des Farmer-Geparden-Konfliktes einsetzen können“, erklärt Melzheimer.
Publikation:
Melzheimer J, Streif S, Wasiolka B, Fischer M, Thalwitzer S, Heinrich S, Weigold K, Hofer H, Wachter B (2018): Queuing, take-overs, and becoming a fat cat: Long-term data reveal two distinct male spatial tactics at different life-history stages in Namibian cheetahs. ECOSPHERE. http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ecs2.2308/full

28.06.2018, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Alpha-Männchen-Übernahme: Schimpansen verwenden neue Geste
Um effektiv miteinander zu kommunizieren, kombinieren nicht-menschliche Primaten – ähnlich wie der Mensch – Gestik, Mimik und Lautäußerungen. Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie untersuchten nun eine Geste, das “Blattzerreißen”, bei dem Schimpansen trockene Blätter zerbröseln. Sie beobachteten dieses Verhalten nach fast zwei Jahren Pause erstmals wieder, als in einer Schimpansengruppe im Taï-Nationalpark, Elfenbeinküste, gerade ein neues Alpha-Männchen die Führung übernahm. Interessanterweise wird das Blattzerreißen nur von erwachsenen Männchen praktiziert und folgt unmittelbar auf einen lauten Ruf, der sich akustisch von anderen, ähnlichen Rufen unterscheidet.
„Das Blattzerreißen ist ein besonderes Verhalten und ein seltenes Beispiel für den Werkzeuggebrauch in einem kommunikativen Kontext. Wir vermuten, dass es sich dabei um ein kulturelles Verhalten handelt, dessen Bedeutung sich in verschiedenen Schimpansengruppen unterscheidet“, erklärt Ammie Kalan, die Erstautorin der Studie. Da das Blattzerreißen relativ selten vorkommt, ist nur wenig darüber bekannt. „Ursprünglich hatten wir nur drei Männchen beim Blattzerreißen beobachtet, wissen aber inzwischen, dass alle erwachsenen Schimpansenmännchen der Südgruppe im Taï-Wald diese Geste anwenden“, erklärt Kalan.
In dieser Studie untersuchen die Forscher erstmals den Zusammenhang zwischen der Geste selbst und akustischen Veränderungen in dem lauten Ruf, den Schimpansenmännchen im Anschluss an das Blattknipsen ausstoßen. Darüber hinaus handelt es sich auch um die einzige Studie, die demonstriert, wie hochgradig komplex Schimpansenkommunikation ist. Die Autoren unternahmen umfangreiche akustische Analysen der Rufe und beobachteten die Tiere beim Blattzerreißen. So konnten sie nachweisen, dass sich die Rufe, die der Geste folgten, akustisch deutlich von anderen, ähnlichen Rufen unterschieden: sie waren länger, bestanden aus mehr Einzelrufen und Baumwurzelschlägen, und sie hatten niedrigere Frequenzen. Während der Alpha-Übernahme kam es auch bei anderen lauten Rufen zu Variationen; doch die akustischen Veränderungen unterschieden sich von denen, die bei den auf das Blattzerreißen folgenden Rufen beobachtet wurden.
„Wir können uns nicht sicher sein, welche Mechanismen hier im Spiel sind, da das Blattzerreißen nicht zur selben Zeit wie der laute Ruf stattfindet, sondern unmittelbar davor“, erklärt Kalan. „Wir denken aber, dass das Verhalten in dieser Schimpansengruppe erneut aufgetreten sein könnte, als die Männchen der Gruppe sich in einer außergewöhnlichen Konkurrenzsituation zueinander befanden, die mit erhöhter Erregung und Aggressivität einherging.“
Die Autoren weisen in ihrem Artikel auch darauf hin, dass die Schimpansenmännchen in dieser Zeit der Hierarchie-Instabilität sozial frustriert und gestresst schienen. Das gestische Zerreißen von Blättern könnte dazu beigetragen haben, diesen Effekt abzumildern. „Oft gehen die lauten Rufe der männlichen Taï-Schimpansen mit dem Trommeln auf Baumwurzeln und Baumstämme einher und sind wichtige Bestandteile männlichen Dominanzverhaltens. So demonstrieren die Tiere Stimmgewalt und Körperstärke und senden damit möglicherweise wichtige Signale aus, die der Regulierung des Wettbewerbs zwischen Männchen während einer Hierarchie-Instabilität dienen. So ist es im Nachhinein auch nicht verwunderlich, dass das Blattzerreißen genau zu diesem Zeitpunkt wieder in der Gruppe auftauchte“, erklärt Kalan.
Dieses Phänomen sollte, so die Autoren, auch in anderen Schimpansengruppen weiter untersucht werden, um herausfinden, welche Mechanismen dem Verhalten zugrunde liegen könnten. „Diese Studie erweitert unser Verständnis der komplexen und vielschichtigen Natur der Kommunikation freilebender Schimpansen. Das ist insbesondere der Fall, wenn man bedenkt, dass die Kombination von Signalen, wie Gesten und Lauten, auf dem Weg zu mehr kommunikativer Flexibilität ein wichtiges Werkzeug ist“, sagt Kalan.
Originalveröffentlichung:
Ammie Kalan and Christophe Boesch: Re-emergence of the leaf clip gesture during an alpha takeover affects variation in male chimpanzee loud calls. PeerJ, 28. Juni 2018

Position der Nieren (blau) und Hoden (orange) bei Elefant, Robbe und Pferd. (Lehmann & Eberhardt /Senckenberg)

Position der Nieren (blau) und Hoden (orange) bei Elefant, Robbe und Pferd.
(Lehmann & Eberhardt /Senckenberg)

28.06.2018, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Die Evolution des Hodens – Molekulare Rudimente lösen Rätsel um Hodenposition bei Säugetieren
Wale ohne Beine, Menschenaffen ohne lange Schwänze – im Laufe der Evolution kommt es immer wieder zum Verlust von anatomischen Merkmalen. Beweise für deren einstiges Vorhandensein liefern Fossilien. Wie sich allerdings Weichteile evolutionär entwickelt haben, ist ungleich schwerer herauszufinden, da diese nur äußerst selten in Fossilien erhalten sind. Ein interdisziplinäres Forscherteam hat nun am Beispiel des Hodens eine neue Methode entwickelt, um die evolutionäre Entwicklung von Weichteilen zu untersuchen. Die Studie erscheint in der Fachzeitschrift „PLoS Biology“.
Um der Evolution von Weichteilstrukturen auf die Spur zu kommen, benötigt man eine genaue Kenntnis evolutionärer Beziehungen zwischen verschiedenen Arten. Sind diese Beziehungen nicht vollständig bekannt, bleibt die evolutionäre Entstehung von Weichteilstrukturen unklar. Dr. Michael Hiller, vom MPI-CBG, MPI-PKS und dem Zentrum für Systembiologie Dresden, erklärt: „Statt Weichteile direkt zu untersuchen, haben wir die Evolution von Genen verfolgt, die für ihre Bildung notwendig sind“.
Für ihre Untersuchungen haben sich die Forscher die Evolution des Hodens bei Säugetieren vorgenommen. Während der Embryo-Entwicklung entstehen die Hoden in der Bauchhöhle nahe der Nieren, wandern aber bei fast allen Säugetieren mit zunehmenden Alter in den Unterbauch oder sogar in einen Hodensack. Eine Ausnahme bilden hier einige afrikanische Arten wie beispielsweise Elefanten, Rüsselspringer, Seekühe oder Borstenigel – bei diesen Spezies bleibt der Hoden an der ursprünglichen Position und es erfolgt kein Hodenabstieg. „Bisher war ungeklärt, ob bei diesen afrikanischen Arten der Prozess des Hodenabstiegs verloren ging oder ob alle anderen Arten diese Eigenschaft im Laufe der Evolution erlangt haben“, erläutert Dr. Heiko Stuckas von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden. Dr. Thomas Lehmann vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt ergänzt: „Die Entwicklung ist auch deshalb umstritten, weil nicht vollständig verstanden ist, wie die afrikanischen Arten mit anderen Säugetieren verwandt sind.“
Um die Evolution des Hodenabstiegs zu klären, wurde die DNA von 71 Säugetieren analysiert. „Wir konnten feststellen, dass die besagten afrikanischen Säugetiere nicht-funktionelle Überbleibsel von zwei Genen besitzen, welche bei den anderen Säugetieren für den Hodenabstieg benötigt werden“, erklärt Erstautor der Studie Dr. Virag Sharma von den Dresdnern Max-Planck-Instituten. Diese ‚molekularen Rudimente’ deuten darauf hin, dass der Prozess des Hodenabstiegs auch bei den Vorfahren der afrikanischen Säugetiere stattfand und im Laufe der Evolution dann verloren ging. „Wichtig ist, dass diese Schlussfolgerung unabhängig von laufenden Kontroversen über die evolutionären Beziehungen zwischen bestimmten Säugetieren Bestand hat“, resümiert Stuckas.
Hiller, der die Studie geleitet hat, gibt einen Ausblick: „Da immer mehr DNA-Sequenzen von verschiedenen Arten verfügbar sind, bietet die Suche nach solchen ‚molekularen Rudimenten’ neue Möglichkeiten um Fragestellungen zur Evolution anatomischer Merkmale zu lösen!“
Publikation
Virag Sharma, Thomas Lehmann, Heiko Stuckas,
Liane Funke & Michael Hiller (2018): Loss of RXFP2 and INSL3 genes in Afrotheria shows that testicular descent is the ancestral condition in placental mammals. PloS Biology.

29.06.2018, Universität Rostock
Können Meeresbewohner länger ohne Sauerstoff leben?
Geht der Ostsee die Luft aus? Inna Sokolova, Professorin für Meeresbiologie an der Universität Rostock, gebürtige Westukrainerin, die in St. Petersburg studierte, an der Russischen Akademie der Wissenschaften promovierte, sich in den USA habilitierte und auch an einer Universität in Kanada als Wissenschaftlerin arbeitete, verweist auf ein alarmierendes Szenario.
„Die Todeszonen in den Tiefen der Küstenmeere steigen jährlich weltweit durchschnittlich um etwa ein Prozent“. Den Grund für diese dramatische Entwicklung beschreibt die Rostocker Wissenschaftlerin so: „Besonders steigende Temperaturen und Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor, die sich von den Feldern den Weg in die Ostsee bahnen, überlasten das Ökosystem und führen zu Sauerstoffmangel“. Sokolova: „Die Ostsee und auch ihre Küstenbereiche sind in Not“.
Aktuell erforscht Professorin Sokolova, wie einzelne Meeresbewohner länger ohne Sauerstoff und mit erhöhten Temperaturen des Ostseewassers leben können. Konkret werden verschiedene Muschelarten untersucht, die unterschiedliche Toleranzen zum Sauerstoffmangel haben. Hintergrund: Die Sauerstoffkonzentration im Wasser verliert sich mit zunehmender Erwärmung der Erde. Doch Sauerstoff ist für die Meeresbewohner wie Fische, Muscheln und weitere wirbellose Tiere überlebenswichtig.
Um zu begreifen, welchen Einfluss die sich verändernden Bedingungen in der Ostsee auf die Meeresbewohner haben, untersuchen die Rostocker Forscher den Einfluss der Sauerstoffkonzentration auf den Stoffwechsel bei den verschiedenen Tieren und dessen Konsequenzen für Wachstum und wichtige ökologische Aktivitäten wie Bioturbation, also das Durchwühlen und Durchmischen von Böden oder Sedimenten durch Lebewesen. „Wir wollen herausfinden, ob die Mitochondrien, die Kraftwerke der Zellen, die für die Energieproduktion zuständig sind, trotz Sauerstoffmangel dazu beitragen, dass die Tiere eine Überlebens-Chance bei Sauerstoffmangel haben“, sagt die Professorin. Die Ergebnisse aus Rostock könnten die Politik dann zum Handeln anregen.
Gleich mehrere Stressfaktoren belasten die Ostsee. Die steigenden Kohlendioxidwerte in der Luft lassen das Meereswasser immer saurer werden. Durch den Klimawandel erwärmt sich das Wasser. „Das Problem ist unsichtbar, aber sehr dringend“, sagt Inna Sokolova. Wenn die Temperatur steige und mehr Nährstoffe ins Wasser geleitet werden, blühen die Algen und sterben ab. Bakterien fressen dann organische Stoffe und verzehren dabei Sauerstoff.
In ihrer aktuellen Forschungsarbeit geht Inna Sokolova auch der Frage nach, wie mehrere Stressfaktoren, beispielsweise CO2, Temperaturschwankungen, Versauerung, Sauerstoffmangel und Wasserverschmutzung sich gegenseitig beeinflussen und welche Auswirkungen das auf die Meerestiere hat. Wie diese Stressfaktoren miteinander interagieren, darüber gibt es noch keine umfangreichen Forschungen.
Sokolova beobachtet, dass die Ostsee eines der Gebiete ist, die sich schneller erwärmen als viele andere Meere. Als Ursache benennt sie unter anderem auch die geografische Lage der Ostsee und ihre Tiefe. Ihre Forschung erstreckt sich über die Ökosysteme von der Atlantik- und Pazifikküste der USA, der Nordsee, dem arktischen Weißmeer und jetzt besonders auf die Ostsee. Dass es auch hier den Muscheln schlecht geht, beunruhigt sie. „Diese Tiere sind im Ökosystem die Ingenieure“.

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