04.03.2019, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
Kleines Tier, großer Fund
Forscher-Team der TiHo entdeckt im Mittelmeer eine neue Tierart.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Institut für Tierökologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) entdeckten im Mittelmeer an der Grenze zwischen Italien und Frankreich eine neue Tierart: Polyplacotoma mediterranea. Die Tiere besitzen einen vielverzweigten Körper und können etwa einen Zentimeter lang werden. Sie gehören zum Stamm der Plattentiere. Das sind strukturell sehr einfach aufgebaute vielzellige Tiere, von denen bislang nur zwei Gattungen mit je einer Art bekannt waren. Forscherinnen und Forscher aus dem Team von Professor Dr. Bernd Schierwater, der das Institut für Tierökologie der TiHo leitet, untersuchten die neue Tierart. Sie stellten fest, dass sich Polyplacotoma mediterranea in seiner Gestalt und seinem Erbgut deutlich von den beiden bekannten Plattentierarten unterscheidet und ordneten das Tier daher der neuen Gattung Polyplacotoma zu. Ihre Erkenntnisse veröffentlichten sie heute im Fachmagazin Current Biology.
Plattentiere sind vielzellige Tiere, die weder einen Kopf noch einen Rumpf oder einen Schwanz besitzen. Symmetrisch aufgebaut sind sie ebenfalls nicht. Ihr Lebensraum erstreckt sich von der Südküste Australiens bis hinauf zur Atlantikküste Frankreichs. Plattentiere sind nur wenige Millimeter groß und ernähren sich von Biofilmen, die sie von harten Unterlagen wie Muschelschalen, Steinen oder Korallen ablösen. Da sie keine Organe, keine Muskelzellen und kein Nervensystem ausbilden, obwohl sie entsprechende Erbanlagen besitzen, sind sie interessante Forschungsobjekte für verschiedene biologische Fragestellungen.
Tier, Pflanze oder Pilz?
Erste Hinweise, zu welcher Gruppe von Lebewesen Polyplacotoma mediterranea gehört, erkannten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter dem Lichtmikroskop. „Die einzelnen Verästelungen erinnern an ein Pilzgeflecht, bewegen sich jedoch wie bei einem Tier“, berichtet Schierwater. Um festzustellen, wo das Lebewesen systematisch einzuordnen ist, analysierte das Forscher-Team seine mitochondriale DNA. Mitochondrien sind die energieproduzierenden Strukturen einer Zelle und besitzen ihr eigenes Erbgut. Anhand dieses Erbgutes lässt sich die Abstammung eines Lebewesens gut untersuchen. Das Ergebnis: Polyplacotoma mediterranea ist ein Plattentier (Placozoon).
Vielgestaltig statt rund
Trichoplax adhaerens und Hoilungia hongkongensis – so heißen die beiden anderen Plattentierarten – besitzen eine klare Polarität. „Das heißt, ihr kompakter scheibenförmiger Körper kann in ein Oben und ein Unten eingeteilt werden“, erklärt Schierwater. Die neue Art besitzt hingegen keine kompakte Scheibenform und ist stark verzweigt. „Wir sammelten das Lebewesen in einer Zone mit ungewöhnlich starker Brandung. Es scheint sich an diese Umgebung angepasst zu haben, indem es seinen Körper in lange Verzweigungen auszieht. Diese verankern sich in kleinen Hohlräumen und Ritzen des Gesteins und geben dem Tier Halt“, vermutet Schierwater.
Verwandtschaftsbeziehungen
Auch genetisch unterscheidet sich Polyplacotoma mediterranea von den bekannten Plattentierarten. „Wir konnten unter anderem feststellen, dass das Erbgut in den Mitochondrien seiner Zellen nur halb so groß ist wie das anderer Plattentiere“, berichtet Hans-Jürgen Osigus, Doktorand in Schierwaters Arbeitsgruppe und Erstautor der Studie. „Zudem zeigt es Merkmale eines sehr ursprünglichen Erbgutes.“ Aufgrund dieser Unterschiede schufen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für die neue Tierart die neue Gattung Polyplacotoma. Darüber hinaus sehen Schierwater und Osigus die Chance, mithilfe der neuen Tierart mehr über die frühe Evolution der Vielzeller zu erfahren.
Neue Rätsel
Die Entdeckung der TiHo-Forscher wirft wichtige neue Fragen auf. „Wir wissen beispielsweise noch nichts über den Lebenszyklus des Tieres oder wie es sich ernährt“, erläutert Osigus. Normalerweise nehmen Plattentiere Nahrung auf, indem sie eine große temporäre Verdauungshöhle zwischen Körperscheibe und Untergrund ausbilden. Aufgrund seiner verzweigten Körperform ist dies für Polyplacotoma mediterranea nicht ohne Weiteres möglich. Darüber hinaus ist es schwierig, das Tier im Labor zu untersuchen: „Es ist sehr fragil, nimmt die übliche Nahrung nicht auf und vermehrt sich bei uns nur sehr langsam – selbst, wenn wir versuchen, die Kulturbedingungen so natürlich wie möglich zu gestalten“, berichtet Osigus.
Originalpublikation:
Polyplacotoma mediterranea is a new ramified placozoan species
Hans-Jürgen Osigus, Sarah Rolfes, Rebecca Herzog, Kai Kamm, Bernd Schierwater (2019)
Current Biology, DOI: 10.1016/j.cub.2019.01.068
04.03.2019, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
Wie neue Arten im Meer entstehen
Wie kann eine neue Art entstehen, wenn Tiere nah beieinander leben und sich weiterhin miteinander fortpflanzen können? Dieser grundlegenden Frage der Evolutionsbiologie ist ein Team des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel und des Smithsonian Tropical Research Institute in Panama am Beispiel karibischer Riffbarsche nachgegangen. Dabei entdeckten sie bisher unbekannte Wege, wie natürliche Selektion auf die Evolution von Genen für visuelle Wahrnehmung und für die Ausprägung von Farbmustern wirkt. Die Studie erscheint heute in der Fachzeitschrift Nature Ecology and Evolution.
Zwei Faktoren sind wichtig, damit sich eine neue Art entwickelt: eine Eigenschaft wie eine Farbe, die für eine Art einzigartig ist, und eine Vorliebe für die Ausprägung dieser Eigenschaft bei der Partnerwahl. Vorstellbar ist beispielsweise ein Szenario bei dem Individuen einer blauen Fischart blaue Partner bevorzugen und Individuen einer roten Art rote Partner. Wenn sich die beiden Arten untereinander vermischen, nimmt man jedoch allgemein an, dass der Prozess der sexuellen Rekombination die Kopplung zwischen Farb- und Paarungsvorlieben zerstört. Das würde zu roten Individuen mit einer Präferenz für blaue Partner und umgekehrt führen. Dies ist einer der Gründe, warum die Forschung lange vermutete, dass sich neue Arten nur in absoluter Isolation und ohne Kreuzung entwickeln können.
Allerdings hängt die Dynamik dieses Prozesses auch von der genauen Anzahl und Lage der Gene, die den Eigenschaften der Arten und den Paarungsvorlieben zugrunde liegen, ab. Entscheidend ist auch die Stärke der natürlichen Selektion, die auf diese Gene einwirkt, und wie häufig sich zwei verwandte Arten kreuzen können. In einer neuen Studie, die heute in der Zeitschrift Nature Ecology and Evolution veröffentlicht wurde, hat Oscar Puebla, Professor am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, in Zusammenarbeit mit Kolleginnen an Kollegen am Smithsonian Tropical Research Institute (STRI), herausgefunden, dass natürliche Selektion Gene für Farbmuster und Paarungspräferenzen koppeln kann, so dass sie auch bei Kreuzung mit eng verwandten Arten nicht neu kombiniert werden.
„Die erste Herausforderung unserer Studie bestand darin, eine Tiergruppe zu finden, in der sich erst vor kurzer Zeit neue Arten entwickelt haben, die aber deutliche Charakteristika aufweisen“, sagt Puebla. Genau so eine Gruppe bilden die Hamletbarsche. Mehrere eng verwandte Arten von Ihnen leben an Riffen in der gesamten Karibik. Die einzelnen Arten sind nach wie vor genetisch sehr ähnlich. Der Hauptunterschied zwischen ihnen ist das jeweilige Farbmuster, und es ist die Paarungspräferenz für verschiedene Farbmuster, die die Arten getrennt hält.
Eine zweite Schwierigkeit bestand darin, die Gene zu identifizieren, die den Unterschieden zwischen den Arten und den Paarungspräferenzen zugrunde liegen. Die Autorinnen und Autoren der Studie sequenzierten dafür das gesamte Genom der Hamletbarsche. Anschließend untersuchten sie an 110 Individuen aus drei Arten jeweils aus Panama, Belize und Honduras, worin sich das Genom bei jedem der Individuen unterschied. Alle drei untersuchten Arten leben zusammen in denselben Riffen.
„Dieser umfassende Datensatz ermöglichte es uns, vier eng begrenzte Regionen des Genoms zu identifizieren, die bei allen Arten deutliche Unterschiede aufzeigten, während der Rest des Genoms bei allen Arten kaum Differenzierung zeigte“, erklärt Kosmas Hench, Doktorand am GEOMAR und Erstautor der Studie. Passend zur Biologie der Hamletbarsche beinhalten diese vier Regionen Gene, welche die visuelle Wahrnehmung und Farbmuster der Fische beeinflussen.
Obwohl sich die Arten untereinander noch paaren, zeigten die Daten, dass die Konstellationen der und Seh- und Farbmustergene sich nicht verändern. Die entsprechenden Gene sind also gekoppelt und so vor sexueller Rekombination geschützt. Das Besondere ist, dass sich die Gene im Fall der Hamletbarsche auf drei verschiedenen Chromosomen befinden. Bisher kannte man solche Gen-Koppelungen nur, wenn die Gen-Sätze auf einem Chromosom sehr nahe beieinander liegen. So konnte das Team zeigen, wie die Selektion zur Entstehung neuer Formen in einer sehr frühen Phase der Artenbildung beitragen kann.
„Viele eng verwandte Korallenrifffische unterscheiden sich nur durch wenig mehr als Farbe und Muster“, sagt Owen McMillan, Co-Autor und akademischer Dekan bei STRI. „Ich gehe davon aus, dass die Entdeckungen, die bei den Hamletbarschen gemacht wurden, auch auf andere Lebensformen zutreffen und letztendlich die bemerkenswerte Vielfalt der Fische an Korallenriffen auf der ganzen Welt erklären können.“
Originalpublikation:
Hench, K., M. Vargas, M. P. Höppner, W. O. McMillan, O. Puebla (2019): Inter-chromosomal coupling between vision and pigmentation genes during genomic divergence. Nature Ecology and Evolution. https://doi.org/10.1038/s41559-019-0814-5
04.03.2019, Max-Planck-Institut für Biogeochemie
Auftreten der ersten Tiere wahrscheinlich später als bisher vermutet
Wann genau die ersten Tiere die Erde besiedelten, war lange unsicher. Die bisherigen Erkenntnisse, basierend auf Fossilien, spezifischen Biomarker-Molekülen und genetischen Analysen, waren zu widersprüchlich. Dr. Christian Hallmann und Dr. Benjamin Nettersheim vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie machten nun zusammen mit internationalen Kollegen eine Entdeckung, die ein zusammenhängendes Bild ergibt. Sie fanden starke Hinweise dafür, dass sich Schwämme, die erdgeschichtlich zu den frühesten Vertretern des Tierreichs gehören, erst deutlich später entwickelten als bislang vermutet wurde.
Tiere sind die am weitesten entwickelten Lebensformen auf unserem Planeten. Sie existieren erst seit einigen hundert Millionen Jahren, also seit weniger als einem Fünftel der gesamten Erdgeschichte. Davor waren die Ozeane ausschließlich mit Mikroorganismen wie Bakterien und Mikroalgen besiedelt. Wann und wie die ersten tierischen Organismen entstanden, sind zentrale Fragen in der naturwissenschaftlichen Forschung.
Bereits im Jahr 2009 fanden Forscher in 645 Millionen Jahre alten Gesteinen altertümliche Fettmole-küle, die vermutlich aus Meeresschwämmen stammten. Da Schwämme zu den ältesten und einfachsten Vertretern der Tierwelt gehören, bedeutete dieser Fund, dass es sich um die ältesten Nachweise tierischer Organismen handeln könnte. Dr. Benjamin Nettersheim, Erstautor einer neuen Studie, die heute im Fachjournal Nature Ecology & Evolution veröffentlicht wurde, ist anderer Meinung: „Die ersten eindeutigen Versteinerungen ganzer Schwämme sind 100 Millionen Jahre jünger als die vermeintlichen Schwamm-Moleküle. Diese zeitliche Lücke ist einfach zu groß.“ begründet er seine Zweifel, die er vor kurzem bereits in einem News-Artikel in derselben Zeitschrift beschrieben hatte.
Ein Team um Gruppenleiter Dr. Christian Hallmann und Dr. Nettersheim, beide vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena, konnte nun die besagten Fettmoleküle überraschenderweise auch in räuberischen Algen nachweisen. Rhizaria, so der Gruppenname dieser einzelligen Algen, sind erdgeschichtlich sehr alt. Ihre Vorfahren reichen 770 Millionen Jahre zurück, sie sind also viel älter als die Schwamm-Fossilien. Die Wissenschaftler vermuten daher, dass Rhizaria, und nicht Schwämme, die Quelle für die bereits 2009 entdeckten Fettmoleküle in den uralten Gesteinen sind. Ein weiterer Grund kommt hinzu: „Wenn Schwämme der Ursprung der alten Fettmoleküle wären, so hätten sie gehäuft und so ziemlich überall vorkommen müssen, auch in Sauerstoff-armen Gewässern, in denen die am Meeresboden heimischen Schwämme kaum überleben.“ bezweifelt Dr. Nettersheim.
Die neuen Ergebnisse klären auch frühere Widersprüche. „Generell gab es drei verschieden Beweislinien für das Auftreten der ersten Tiere“, sagt Dr. Nettersheim, „sie alle ergaben unterschiedliche Zeiten und wir wussten nicht, welcher wir vertrauen sollten“. Eine Methode um herauszufinden, wann ein Organismus in der Erdgeschichte erstmalig auftrat, vergleicht dessen genetische Unterschiede mit modernen Vertretern derselben Art. Dadurch kann die Evolutionsdauer ermittelt werden. „Bei diesen sogenannten molekularen Uhren ist jedoch die Kalibrierung problematisch, was eine große Unsicherheit bei der zeitlichen Abschätzung mit sich bringt, in unserem Fall eine Zeitspanne von vor 1300 bis 615 Millionen Jahren.“ erklärt Nettersheim weiter. Die zweite Beweislinie stützt sich auf die vermeintlich von Schwämmen stammenden Fettmoleküle in den 645 Millionen Jahre alten Gesteinsproben; die dritte Beweislinie beruft sich auf die konkret gesicherten, aber noch jüngeren Fossilien der Schwämme.
Mit der neuen Erkenntnis, dass die Fettmoleküle ihren Ursprung wohl eher in Rhizaria haben als in den Schwämmen, entfällt die zweite Beweislinie. Die ältesten Tiervorfahren werden daher auf etwa 560 Millionen Jahre datiert. Unterstützt wird dies durch eine weitere unabhängige Tatsache: Aus derselben Zeit entstammen auch die ältesten Fossilien der Ediacara-Fauna. In einigen dieser großen und komplexen Fossilien konnten Forscher, darunter auch Mitglieder der Hallmann-Gruppe, vor kurzem Reste von Cholesterol-Molekülen nachweisen. Cholesterole sind Moleküle, die charakteristischerweise von Tieren produziert werden.
„Geologisch gesehen liegt unsere Datierung unmittelbar vor dem Beginn der kambrischen Explosion komplexer Lebensformen vor 540–550 Millionen Jahren. Wir bekommen damit erstmals eine zusammenhängende Abfolge von Ereignissen in der Entwicklung der ersten Tiere und deren weitere Evolution und Ausbreitung.“ sagt Dr. Hallmann. Anhand der korrigierten Zeitachse können die Wissenschaftler nun beginnen, die Umweltbedingungen an diesem so wichtigen evolutionären Übergang zu entschlüsseln, der die Grundlage für das gesamte komplexe moderne Leben bildet.
Originalpublikation:
Nettersheim, B.J. et al. (2019) Putative sponge biomarkers in Rhizaria question an early rise of animals. Nature Ecology & Evolution, http://dx.doi.org/10.1038/s41559-019-0806-5.
Zusätzliche Informationen:
Nettersheim, B.J. and Botting, J.P. (2018) Searching for sponge origins. Nature Ecology & Evolution 2: 1685–1686, https://doi.org/10.1038/s41559-018-0702-4.
04.03.2019, Max-Planck-Institut für molekulare Genetik
Genom von Social-Media-Katze Lil BUB entschlüsselt
Gemeinsame Pressemitteilung des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin, Berlin, des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik, Berlin, und der Universität von Pennsylvania, USA
Ihr Aussehen hat Lil BUB im Internet Millionen Follower beschert. Jetzt berichten zwei Molekularbiologen aus Deutschland und eine Molekularbiologin aus den USA, dass eine Kombination von zwei seltenen genetischen Veränderungen die einzigartige Erscheinung der berühmten Katze verursacht. Die Ergebnisse des über Crowdfunding finanzierten Projekts „LilBUBome“ sind auf dem Preprint-Server bioRxiv verfügbar.
Lil BUB sieht außergewöhnlich aus. Die Katze war von Geburt an sehr klein, bereits im Alter von sieben Monaten endete ihr Wachstum. Ihre Schnauze ist verkürzt, ihre Zunge hängt heraus und an jeder Pfote hat sie zusätzliche Zehen. Außerdem wurde bei ihr die „Marmorknochen-Krankheit“ (infantile maligne Osteopetrose) festgestellt, eine seltene Erkrankung bei der die Knochendichte mit zunehmendem Alter immer weiter zunimmt. Gerade wegen dieser Eigenheiten finden Millionen Follower im Internet Lil BUB niedlich. Die Bekanntheit benutzt Lil BUB, um Geld für Tierheime und Tierschutzorganisationen zu sammeln und Katzen in Not zu helfen.
Jetzt haben drei Genetikerinnen und Genetiker aus Deutschland und den USA Lil BUBs Genom untersucht und die Ergebnisse veröffentlicht. Die Analyse ergab, dass die Katze zwei unterschiedliche seltene Veränderungen in ihrer DNA trägt. Eine ist für die Entwicklung der zusätzlichen Zehen (Polydaktylie) verantwortlich, die andere für die Knochenerkrankung (Osteopetrose), aus der auch ihre geringe Größe und kurze Schnauze resultiert.
Crowdfunding ermöglichte die Sequenzierung des Genoms
Die Molekularbiologinnen und –biologen Dr. Darío G. Lupiáñez (Berliner Institut für Medizinische Systembiologie am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, Berlin), Dr. Daniel Ibrahim (Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, Berlin) und Dr. Orsolya Symmons (University of Pennsylvania, Philadelphia, USA) stießen zufällig im Internet auf eines der Videos der Katze. „Eigentlich begann das Projekt damit, dass Daniel mir zurief: Das musst Du Dir ansehen!“, erinnert sich Lupiáñez. Die Forschenden vermuteten, dass Lil BUBs außergewöhnliche Erscheinung durch ähnliche genetische Veränderungen verursacht sein könnte wie bei den Patientinnen und Patienten sowie Mäusen, mit denen sie sich beschäftigen.
„Unsere Neugier war geweckt, wir wollten ihr Genom untersuchen“, sagt Ibrahim. „Entwicklungsprozesse wie die Knochenbildung sind bei Säugetieren konserviert. Das heißt, sie verlaufen bei allen Arten sehr ähnlich. Die Mutationen zu identifizieren, die BUBs Phänotyp, also ihrem Aussehen zugrunde liegen, könnte uns daher helfen, diese seltenen Erkrankungen auch beim Menschen besser zu verstehen.“ Lil BUBs Besitzer Mike Bridavsky war von der Idee begeistert und stellte den Forschenden eine Blutprobe für die Untersuchung zur Verfügung. Anschließend wendeten sich die drei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die Öffentlichkeit und sammelten im Rahmen eines Crowdfunding-Projekts namens „LilBUBome“ mehr als 7.000 Euro.
Die Forschenden begannen mit einem Projekt, das sie als „lebend und organisch“ bezeichnen. Sie wollten nicht nur Lil BUBs Genom analysieren, sondern auch die Möglichkeiten moderner Genetik zeigen. Um Lil BUBs Follower und die Öffentlichkeit dafür zu begeistern, beschloss das Team, die benötigten Mittel über Crowdfunding einzuwerben. Das „LilBUBome“ Projekt war geboren. Über 45 Tage wurden mehr als 7.000 Euro gespendet.
Von Anfang an informierte das Team mithilfe eines eigens dafür eingerichteten Blogs und Social Media die Öffentlichkeit über die Fortschritte der Arbeit und die dabei auftretenden Probleme. Dabei lief das Projekt parallel zu den eigentlichen Arbeiten, bei denen die drei Forschenden seltene Erkrankungen beim Menschen und die Regulation von Genen erforschen.
Hinweise auf Lil BUBs Herkunft
Noch bevor sie das Genom sequenzierten, machten Lupiáñez, Ibrahim und Symmons eine vorbereitende Analyse. Sie stellten fest, dass die zusätzlichen Zehen der Katze durch eine bereits bekannte genetische Variante verursacht werden, die die Regulation des sogenannten Sonic Hedgehog-Gens kontrolliert. Eine identische Variante dieses Gens haben auch die Katzen des Schriftstellers Ernest Hemingway. Sie sind dafür berühmt, dass sie sechs Zehen an ihren Vorderpfoten haben. Etwa fünfzig Nachkommen dieser Katzen leben immer noch im Ernest Hemingway Museum in Key West, Florida. „Das ist sehr aufschlussreich. Lil BUB ist eine Waise, sie wurde als verwildertes Kätzchen im ländlichen Indiana gefunden. Aber obwohl wir keinerlei Informationen über ihre Herkunft haben, gibt uns die in ihrem Genom enthaltene Information Hinweise zu ihrer möglichen Herkunft und zu ihrer entfernten Verwandtschaft“, sagt Symmons.
Die genetische Veränderung zu finden, die Lil Bubs Osteopetrose verursacht, dauerte etwas länger: Eine erste Auswertung ihres Erbmaterials ergab etwa sechs Millionen möglicher Unterschiede zwischen Lil BUBs Genom und dem Katzen-Referenzgenom. Normalerweise hätten die Forschenden in einem zweiten Schritt Lil BUBs Genom mit dem ihrer gesunden Verwandten verglichen – doch das war in diesem Fall nicht möglich. „Aber wir hatten das große Glück, mit Genetikerinnen und Genetikern zusammenzuarbeiten, die auf Erkrankungen des Skelettsystems beim Menschen spezialisiert sind“, sagt Ibrahim. „Sie haben uns dabei geholfen, die immense Menge an Varianten auf eine überschaubare Zahl an potenziell krankheitsverursachenden Veränderungen zu verringern. Diese konnten wir dann einzeln untersuchen.“ Bei der Analyse dieser Daten fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heraus, dass eine einzelne Base in einem Gen fehlte, welches bereits zuvor bei Menschen und Mäusen mit Osteopetrose in Verbindung gebracht worden war.
Ein fehlender Buchstabe ändert den Leserahmen für gesamtes Gen
Genome bestehen aus vier unterschiedlichen Nukleinbasen, die im Allgemeinen mit den Buchstaben A (Adenin), G (Guanin), C (Cytosin) und T (Thymin) bezeichnet werden. In der Zelle werden diese Buchstaben in Dreiergruppen, den sogenannten Tripletts, gelesen und übersetzt. In Lil BUBs Fall wurde durch die Deletion in dem Triplett C-A-T das „A“ entfernt. Dadurch verschiebt sich der Leserahmen für alle nachfolgenden Nukleinbasen um eine Position. Ein Beispiel: Der Satz „Ich mag nur ein Eis.“ würde bei einer Deletion des „m“ zu „Ich agn ure ine is“ werden und keinen Sinn mehr ergeben. Bei Lil BUB betrifft die Leseraster-Verschiebung ein Gen namens RANK/TNFRSF11A, das für die ordnungsgemäße Funktion der Osteoklasten erforderlich ist. Dies ist eine der zwei Zelltypen, die für den lebenslangen Umbau der Knochen erforderlich sind. Durch die Mutation entsteht ein Ungleichgewicht zwischen Knochenbildung und Knochenabbau, so dass letztlich zu viel und zu dichtes Knochengewebe gebildet wird. Menschliche Patientinnen und Patienten sowie Mäuse mit einer vergleichbaren Veränderung dieses Gens zeigen Symptome, die denen von Lil BUB sehr stark ähneln.
Um die Ergebnisse zu überprüfen, verglich das Team sie mit Daten aus dem 99 Lives Consortium, einer Datenbank, die genomische Informationen von über 100 Katzen enthält. Sie konnten bestätigen, dass die gefundene Veränderung bei keiner der anderen Katzen nachgewiesen worden war. „Auf der Basis dieser Informationen können wir mit großer Sicherheit sagen, dass die von uns gefundene Mutation tatsächlich die Ursache für Lil BUBs Osteopetrose ist“, sagt Lupiáñez. „Allerdings könnten weitere genetische Veränderungen zu bestimmten Aspekten ihres Phänotyps beitragen. Vielleicht haben wir diese bei unserer Analyse übersehen“, sagt Symmons. „Daher würden wir uns über jedes zusätzliche Paar Augen freuen, das sich Lil BUBs Genom ansieht. Wir hoffen sehr, dass weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit unterschiedlichem Erfahrungsschatz und Expertise mit an diesem gemeinschaftlichen Projekt teilnehmen werden.“ Um dies zu ermöglichen, haben die Forschenden ihre Ergebnisse auf der Pre-Print-Plattform BioRxiv veröffentlicht und damit allgemein zugänglich gemacht. Im nächsten Schritt wollen sie ihre Arbeit einem Peer-Review-Prozess unterziehen und in einem Open-Access-Journal veröffentlichen.
Förderung der genetischen (Allgemein-)Bildung
Open Science – offene Wissenschaft – ist zentraler Gedanke des Projekts. Das Lil BUB-Team war von Anfang an der Auffassung, dass sich dieses Projekt besonders gut eignet, um ihre Wissenschaft zu vermitteln und zu diskutieren. „Wir wollten zeigen, wie genomische Informationen dabei helfen können, die Ursachen von seltenen Erkrankungen aufzuklären, aber auch welche Grenzen diese Methoden bieten“, sagt Ibrahim. „Wir sind bereits von Lehrerinnen und Lehrern bzw. Dozentinnen und Dozenten angesprochen worden, die dieses Projekt als praktisches Beispiel für den Genetik-Unterricht nutzen möchten“, ergänzt Symmons. Und Lupiáñez fügt hinzu: „Das ganze Projekt hat uns riesigen Spaß gemacht. Wir haben unwahrscheinlich viele Menschen erreicht, die normalerweise kaum Kontakt zur Genetik haben. Wenn einige von ihnen nun etwas mehr über die Sequenzierung von Genomen wissen, haben wir auf jeden Fall unser Ziel erreicht.“
Originalpublikation:
Mike Bridavsky, Heiner Kuhl, Arthur Woodruf, Uwe Kornak, Bernd Timmermann, Norbert Mages, 99 Lives Consortium, Darío G Lupiáñez, Orsolya Symmons, Daniel M Ibrahim.
Crowdfunded whole-genome sequencing of the celebrity cat Lil BUB identifies causal mutations for her osteopetrosis and polydactyly.
BioRxiv, 22.02.2019, doi:10.1101/556761
04.03.2019, Forschungsverbund Berlin e.V.
Stachelige Nachbarschaft
Ein Wissenschaftsteam weist Diphtherie-ähnlichen Krankheitserreger erstmals bei Igeln nach
Igel sind als Kulturfolger häufig in der Nähe von Menschen anzutreffen. Diese Nähe ist für beide Seiten nicht nur nützlich, sondern birgt auch Gefahren. Straßenverkehr, Rasenmäher und Krankheitserreger bedrohen die stacheligen Insektenfresser. Einige dieser Krankheitserreger sind auch auf den Menschen übertragbar. Ein sorgsamer Umgang mit Wildtieren und das Einhalten von Hygienemaßnahmen minimiert jedoch die Ansteckungsgefahr.
Eine neue Studie, die unter Federführung des Nationalen Konsiliarlabors für Diphtherie (KL-Diphtherie) in Zusammenarbeit von fünf Landeslaboren und dem Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) entstand, konnte nun Corynebacterium ulcerans – einen engen Verwandten des Diphtherie-Erregers – auch bei Igeln nachweisen. Die Studie ist in der Fachzeitschrift „Emerging Microbes & Infections“ erschienen.
Diphtherie ist eine bakterielle Infektionskrankheit der oberen Atemwege des Menschen. Sie wird durch das Corynebacterium diphtheriae ausgelöst, das Träger eines entsprechenden Toxin-Gens sein kann. In Ländern mit gutem Impfschutz – so wie in Deutschland – sind Diphtherie-Fälle sehr selten, jedoch werden in den letzten Jahren Haut- oder Wundinfektionen mit C. diphtheriae häufiger bei Fernreisenden festgestellt. In Deutschland nehmen Infektionen mit dem erstmals auch bei Igeln nachgewiesenen Corynebacterium ulcerans zu, ein enger Verwandter des klassischen Diphtherie-Erregers und häufiger Träger des Toxin-Gens. Aktuelle Informationen des Konsiliarlabors für Diphtherie zeigen, dass C. ulcerans bei verschiedenen Tierarten vorkommt und hierbei sowohl Erkrankungen wie Lymphknotenabszesse, Wund- oder Atemwegsinfektionen als auch asymptomatische Kolonisationen hervorrufen kann. „Sind Haustiere wie Hunde und Katzen betroffen, gibt es eindeutige Belege für einen Austausch dieser Bakterien zwischen Tieren und ihren Besitzern“, sagen die Initiatoren der Studie Anja Berger und Andreas Sing vom KL-Diphtherie. Die Fallzahlen sind gering, dennoch sei bei C. ulcerans insbesondere durch die Tier-Mensch-Übertragung Vorsicht geboten. Bei einigen heimischen Wildtieren, wie Füchsen, Wildschweinen und Rehen, wurde das Bakterium schon mehrfach nachgewiesen, in der aktuellen Studie nun auch bei erkrankten Igeln.
„Die Ergebnisse sollen ein größeres Bewusstsein und die Verantwortung für unsere Nachbarschaft wecken“, erklärt Kristin Mühldorfer, Wissenschaftlerin in der Abteilung Wildtierkrankheiten des Leibniz-IZW. Wildtiere können auf Menschen übertragbare Krankheitserreger und Parasiten beherbergen oder selbst durch Infektionserreger von Mensch und Haustieren gefährdet sein. Ein sorgsamer Umgang bei der Pflege und allgemeine Hygienemaßnahmen sind nach Tierkontakten ratsam, wie das gründliche Waschen der Hände mit warmem Wasser und Seife oder einer Händedesinfektion. „In erster Linie sollten sich aber Personen des Infektionsrisikos bewusst sein, die direkt mit den Wildtieren arbeiten – also Tierärzte, Mitarbeiter von Igelstationen oder Tierheimen“, so die Autoren der Studie. Zum Schutz vor der Diphtherie ist ein ausreichender und regelmäßig aufgefrischter Impfschutz wichtig.
Der respektvolle Umgang und Abstand zu Wildtieren ermöglichen ein sicheres Zusammenleben auch bei engen Mensch-Tier-Kontakten. Geschwächte, kranke oder verletzte Wildtiere sollten grundsätzlich nur von erfahrenen Personen angefasst und gepflegt werden, die ausreichende Kenntnisse und erforderliche Genehmigungen besitzen. Bei Verdacht einer bakteriellen Infektion besteht auf Nachfrage die Möglichkeit, Wildtierproben in den beteiligten Landeslaboren oder dem Leibniz-IZW untersuchen zu lassen. Bestätigte Corynebacterium Isolate können nach Absprache am KL-Diphtherie in Oberschleißheim charakterisiert werden.
Originalpublikation:
Berger A, Dangel A, Peters M, Mühldorfer K, Braune S, Eisenberg T, Szentiks CA, Rau J, Konrad R, Hörmansdorfer S, Ackermann N, Sing A (2019): Tox-positive Corynebacterium ulcerans in hedgehogs, Germany, Emerging Microbes & Infections, 8:1, 211-217, DOI: 10.1080/22221751.2018.1562312
06.03.2019, Ludwig-Maximilians-Universität München
Bedrohte Wildbienen – Verhungern im ländlichen Raum
Um die einheimischen Wildbienen ist es nicht gut bestellt – mehr als die Hälfte aller Arten ist gefährdet. LMU-Wissenschaftler haben untersucht, welche besonders anfällig sind. Spätfliegende Bienen auf dem Land sind besonders betroffen.
Wildbienen sind als Blütenbestäuber ökologisch unverzichtbar und damit von enormem ökonomischen Nutzen. Doch von den über 500 Wildbienenarten in Deutschland sind mehr als die Hälfte bedroht oder lokal schon ausgestorben. Die LMU-Biologin Susanne Renner, Inhaberin des Lehrstuhls für Systematische Biologie und Mykologie sowie Direktorin des Botanischen Gartens München-Nymphenburg, hat nun mit ihrem Team anhand von Veränderungen der Roten Liste untersucht, welche Faktoren den Rückgang der Wildbienen verursachen. Ihre Ergebnisse, über die sie im Fachmagazin Proceedings of the Royal Society B berichten, legen nahe, dass die Bienen in landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebieten vor allem im Spätsommer zu wenig Nahrung finden.
Wildbienen – zu denen auch die Hummeln gehören – sammeln wie Honigbienen Nektar und Blütenstaub und spielen deshalb eine wesentliche Rolle bei der Bestäubung von Blütenpflanzen – dabei sind einige Arten sogar effektiver als Honigbienen. Hummeln etwa besuchen im gleichen Zeitraum rund drei- bis fünfmal mehr Blüten. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) gibt den monetären Wert der Insektenbestäubung in Europa auf über 14 Milliarden Euro pro Jahr an, manche Pflanzen wie Tomaten oder Glockenblumen werden ausschließlich von Wildbienen bestäubt. Aber wie aktuelle Studien (https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0006320718313636) zeigen, nimmt die Zahl der Insekten weltweit dramatisch ab – und das gilt auch für die Bienen. „Allgemein scheint die Artenvielfalt von Bienen aufgrund der intensiven Landwirtschaft und des verstärkten Einsatzes von Pestiziden, die sich beide negativ auf Nahrungsquellen und Nistmöglichkeiten auswirken, rückläufig zu sein“, sagt Renner. „Wir wollten herausfinden, welche Eigenschaften bestimmte Arten besonders anfällig dafür machen, lokal auszusterben.“
Für ihre Untersuchung nutzten die Wissenschaftler Veränderungen des in der sogenannten Roten Liste festgehaltenen Gefährdungsstatus einheimischer Wildbienenarten, der in Deutschland seit mehr als 40 Jahren erfasst wird. „Auf der Basis dieser Daten haben wir untersucht, welche artspezifischen Eigenschaften – etwa Habitatwahl, Pollen-Spezialisierung, Körpergröße, Nistplatzwahl, Dauer der Flugaktivität und Zeitpunkt des Auftretens während der Saison – statistisch den Gefährdungsstatus beziehungsweise das Aussterben einer Art voraussagen“, sagt Renner.
Insgesamt konnten die Wissenschaftler 445 der 561 in Deutschland bekannten Bienenarten in ihre Analyse einbeziehen und somit 79 Prozent der deutschen Bienenfauna abdecken. Dabei zeigte sich zu ihrer Überraschung, dass die Spezialisierung auf bestimmte Blüten entgegen ihrer Erwartung keinen Effekt hatte. „Zwei Faktoren allerdings waren extrem stark mit einer Gefährdung korreliert: Die Habitatpräferenz –, also die Spezialisierung auf einen Lebensraum – und eine Flugzeit erst im Spätsommer“, sagt Michaela Hofmann, Doktorandin in Renners Team und Erstautorin des Papers. Das Bienenvorkommen in den Städten ist vergleichsweise stabil, und auch die Bienen, die im Frühling ausfliegen, wie etwa die gehörnte Mauerbiene (Osmia cornuta), gelten als nicht gefährdet. Im Gegensatz dazu erhöhten enge Lebensraumpräferenzen, eine kurze Flugzeit und das Auftreten erst im Spätsommer das Aussterberisiko. „Den Spätfliegern – dazu gehört beispielsweise die Zahntrost-Sägehornbiene (Melitta tricincta) – vor allem auf dem Land geht es unserer Interpretation nach nicht gut, weil es dort dann nicht mehr genug Nahrung gibt. Landwirtschaftlich intensiv genutzte Flächen sind im Spätsommer von Blüten ausgeräumt, während es im Frühling wenigstens noch Massenpflanzen wie Raps und blühende Obstplantagen gibt“, sagt Renner. Dieser Faktor ist für die Wissenschaftler der wahrscheinlichste Grund für den Rückgang der Wildbienenarten in Deutschland.
Die Förderung umweltfreundlicher Anbaumethoden, wie sie im Volksbegehren Artenvielfalt gefordert werden, könnte auch spätfliegenden Bienenarten zugutekommen, sagt Renner. Helfen würden nach Ansicht der Wissenschaftler beispielsweise eine seltenere Mahd, die Anlage von Blühstreifen oder das Stehenlassen von Ackerrandstreifen mit Ackerunkräutern. In Bayern kommen derzeit an einem Runden Tisch Initiatoren und Kritiker des Volksbegehrens zusammen, um an einem Kompromiss für den Gesetzesentwurf zu arbeiten. „Aber auch Hobbygärtner können jetzt schon Bienen helfen, indem sie auf vielfältige Hausgärten ohne Pestizide und Mähroboter setzen“, sagt Renner.
Proceedings of the Royal Society B 2019
Originalpublikation:
Narrow habitat breadth and late-summer emergence increases extinction vulnerability in Central European bees
Michaela M. Hofmann, Constantin M. Zohner, and Susanne S. Renner
Proceedings of the Royal Society B 2019
https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rspb.2019.0316
06.03.2019, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau
Nahrungsnetze der Insekten
Biologische Vielfalt stabilisiert die Interaktionen zwischen den Arten
Der Rückgang der biologischen Vielfalt und der damit einhergehende Verlust von Pflanzenarten haben viele Auswirkungen auf unsere Ökosysteme. Das wurde bisher durch Studien im so genannten Offenland, also in nicht überbauten oder von Gehölzvegetation dominierten Gebieten, gezeigt. Jetzt konnte ein Team von Biologinnen und Biologen der Universität Freiburg nachweisen, dass der Verlust von Baumarten in Wäldern Insektenlebensgemeinschaften und deren Interaktionen untereinander und mit Pflanzen destabilisiert. Somit ist die Baumdiversität in Wäldern wichtig, um die Nahrungsnetze von Insekten zu stärken. Ihre Ergebnisse präsentieren sie in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „Proceedings of the Royal Society B“.
Die Forschenden um Dr. Felix Fornoff, Dr. Michael Staab und Prof. Dr. Alexandra-Maria Klein von der Professur für Naturschutz und Landschaftsökologie untersuchten Blattläuse und Zikaden, die sich vom Saft verschiedener Bäume ernähren. Zudem schauten sich die Biologen die so genannte Trophobiose, eine Interaktion zwischen Blattläusen und Zikaden mit Ameisen, genauer an. Bei der Trophobiose scheiden Blattläuse und Zikaden für die Ameisen Honigtau, eine Art Zuckerwasser, aus. Im Gegenzug beschützen diese sie vor Feinden. Alle Beteiligten haben somit einen Vorteil und gehen eine Symbiose ein.
In einem 50 Hektar großen Waldexperiment in China stehen auf 600 Versuchsparzellen Baumarten in Monokultur und in Mischungen mit bis zu 16 unterschiedlichen Arten. In diesem Aufbau haben die Freiburger Forscherinnen und Forscher über 10.000 Bäume und mehrere 100.000 Blätter auf diese Blattlaus/Zikaden-Ameisen Interaktionen untersucht. Sie konnten zeigen, dass mit zunehmender Vielfalt der Baumarten mehr Blattlaus- und Zikadenarten sowie Ameisenarten vorkommen. Demnach ist die Baumartenvielfalt ausschlaggebend für die Vielfalt der mit den Bäumen assoziierten Insektenarten. Weiterhin konnte das Team um Fornoff, Staab and Klein durch die Analyse der Nahrungsnetze zeigen, dass mit zunehmender Baumartenvielfalt jede Blattlaus- und Zikadenart mit mehr Baumarten interagiert und auch jede Ameisenart mehr Arten als Partner für ihre Symbiose nutzt. Die Vielfalt an Interaktionspartnern bezeichnen die Forscher als Redundanz im Nahrungsnetz. Das bedeutet, dass die Nahrung der Blattläuse und Zikaden sowie der Ameisen bei sich ändernden Umweltbedingungen in diversen Baumbeständen nicht verloren geht.
Originalpublikation:
Fornoff, F., Klein, A.-M., Blüthgen, N., Staab, M. (2019): Tree diversity increases robustness of multi-trophic interactions. In: Proceedings of the Royal Society B, 20182399. doi: 10.1098/rspb.2018.2399
06.03.2019, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Staub beeinflusst Zahnverschleiß und Kauleistung bei Schimpansen
Vorübergehend höhere Staubanteile in der Nahrung können den Verdauungstrakt von Schimpansen belasten. Zu diesem Schluss kommt ein internationales Forschungsteam unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA) in Leipzig. Eine aktuelle Studie belegt, dass Schleifpartikel, die von staubbeladenen Winden mitgeführt werden, den Zahnabrieb und die Überlebensfähigkeit der Tiere beeinflussen.
Für ihre Studie sammelten die Forschenden den Kot von im Taï Nationalpark an der Elfenbeinküste lebenden Schimpansen und analysierten die Kauleistung der Tiere während der Trocken- und Regenzeiten. Dabei stellten sie fest, dass erhöhte Staubbelastungen in Trockenzeiten zu einer verminderten Kauleistung führen. Das Forschungsteam untersuchte dann, wie sich Staub auf die Oberflächenstruktur der Zähne von Schimpansen auswirkt und konnte belegen, dass das Verspeisen von staubbedeckter Nahrung feine, mikrometergroße Furchen und Täler an den Backenzähnen erzeugt. Gleichzeitig zerkauen die Tiere die Nahrung weniger, sodass größere Partikel erhalten bleiben und diese dann auch als größere Partikel im Kot ausgeschieden werden, als es gewöhnlich der Fall ist.
Darüber hinaus fand das Leipziger Forschungsteam Hinweise darauf, dass die auf dem westafrikanischen Subkontinent periodisch vorkommenden Staubwinde, die Schleifpartikel mit sich führen, eine ökologische Belastung für die lokale Umwelt darstellen. Die Taï-Schimpansen sind eine der wenigen Tierarten auf dem afrikanischen Kontinent, bei denen die Forschenden die Staubbelastung der Nahrung messen und einen direkten Zusammenhang zum Zahnabrieb der Tiere herstellen konnten.
Weiterhin analysierten die Forschenden den Zusammenhang zwischen Zahnverschleiß und Nahrungszusammensetzung mithilfe von Langzeitbeobachtungsdaten aus der Datenbank des Taï-Schimpansenprojektes. Beim Sichten der Daten zur Fressdauer der Tiere aus den Jahren 1993 bis 2009 stellten sie fest, dass erwachsene Schimpansen sich von 48 verschiedenen pflanzlichen und sieben tierischen Quellen ernährten, häufig von Früchten und Samen, Nüssen und Blättern; sowie weniger häufig von Insekten, Pflanzenmark und kleinen Säugetieren. Während der Trockenzeit fressen Schimpansen über einen längeren Zeitraum hinweg vorwiegend Samen und Nüsse, nehmen aber weniger Insekten zu sich. Im Vergleich zu Männchen verbrachten Weibchen mehr Zeit mit dem Verspeisen von Früchten, Samen, Blättern, Insekten und Pflanzenmark, und weniger mit Nüssen, Samen und kleinen Säugetieren.
„Ein besseres Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Ernährung auf der einen und des Zahnverschleißes auf der anderen Seite ist ein wichtiger erster Schritt, wenn es um die Rekonstruktion der Lebensumstände bereits ausgestorbener Menschenvorfahren geht“, sagt Ellen Schulz-Kornas, die die Studie am ehemaligen Max-Planck-Weizmann-Zentrum für Integrative Archäologie und Anthropologie am MPI-EVA in Leipzig leitete. „Wenn wir die Ergebnisse der Studie auf größere Zeitspannen in der Menschheitsgeschichte übertragen, könnte Staub auch bei bereits ausgestorbenen Arten der Auslöser für eine verminderte Kauleistung gewesen sein und das Verdauungssystem belastet haben“, betont Schulz-Kornas. „Dies könnte gerade auch in solchen Lebensräumen, die saisonalen Schwankungen ausgesetzt sind und eher zu einem trockenen Klima neigen – wie es zum Bespiel für die frühen Menschenvorfahren vor zwischen 3,2 und 1,3 Millionen Jahren im südlichen Afrika der Fall gewesen ist – besonders wichtig sein“, sagt Schulz-Kornas.
Originalpublikation:
Ellen Schulz‐Kornas, Julia Stuhlträger, Marcus Clauss, Roman M. Wittig, Kornelius Kupczik
Dust affects chewing efficiency and tooth wear in forest dwelling Western chimpanzees (Pan troglodytes verus)
American Journal of Physical Anthropology, 01. März 2019
https://doi.org/10.1002/ajpa.23808
06.03.2019, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Neue exotische Mückenart siedelt sich in Hessen an
Nach der Asiatischen Tigermücke und der Asiatischen Buschmücke hat sich nun auch eine dritte exotische Mückenart in Hessen angesiedelt. Aedes koreicus habe in Wiesbaden eine Population etabliert, berichten Wissenschaftler*innen der Senckenberg Gesellschaft und der Goethe-Universität im Fachmagazin „Parasitology Research“. Erstmals wurde 2015 eine einzelne Mücke dieser Art in Bayern nachgewiesen. Bei der im Rahmen des bundesweiten Stechmücken-Monitorings in Hessen entdeckten Population könnte es sich um Vorboten einer flächendeckenden Ausbreitung der exotischen Mückenart in Deutschland handeln.
Als Prof. Dr. Sven Klimpel, Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum und Goethe-Universität, und sein Team ihre im Rahmen eines wissenschaftlichen Monitorings gefangenen Stechmücken untersuchten, staunten sie nicht schlecht, als darunter gleich vier Exemplare der Art Aedes koreicus waren. Von dieser exotischen Mückenart wurde nämlich in Deutschland bislang erstmals ein Individuum 2015 nahe Augsburg nachgewiesen.
Gefangen wurden die eingewanderten Aedes koreicus-Mücken vom Team um Klimpel im Jahr 2017 in Wiesbaden, also zwei Jahre später und 400 Kilometer weiter nordwestlich als der Erstfund in Bayern. „Darüber hinaus konnten wir bei Beprobungen im Mai und Juli 2018 an derselben Stelle erneut Larven und Puppen dieser Mückenart nachweisen. Es ist daher wahrscheinlich, dass in Hessen eine ganze Population überwintert hat und diese Mücke langsam anfängt, sich in Deutschland auszubreiten“, erklärt Klimpel.
Aedes koreicus ist ein Newcomer in Europa und wurde erstmals 2008 in Belgien gemeldet. Mittlerweile geht das Europäische Seuchenzentrum davon aus, dass sich die Art in Belgien, Italien, der Schweiz und in Ungarn etabliert hat. „Eine weitere Ausbreitung in Deutschland wäre demnach neu, liegt aber nahe, denn das Ausbreitungspotential und die klimatischen Vorlieben ähneln denen der bereits in Deutschland heimischen Asiatischen Tigermücke und Asiatischen Buschmücke“, so Dr. Antje Steinbrink, Wissenschaftlerin am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum und der Goethe-Universität.
Aedes koreicus stammt wie die anderen exotischen Mücken aus Ostasien und ist eigentlich in Korea, Japan, China und Teilen Russlands zu Hause. Die Mückenart profitiert davon, dass ihre Eier – wie auch bei der Asiatischen Tigermücke und den Buschmücken – in Europa den Winter überstehen können. Außerdem fühlt sie sich in urbaner Umgebung, in der es eine Vielzahl von Wasserlachen gibt, besonders wohl.
Für den Menschen gefährlich sind die kleinen, tagaktiven Blutsauger, weil sie potentielle Krankheitsüberträger sind. Steinbrink dazu: „Aedes koreicus kann nachgewiesenermaßen das Virus der Japanischen Enzephalitis übertragen und Laborversuche haben belegt, dass die Mücken das Chikungunya-Virus verbreiten können. Darüber hinaus können die Mücken Menschen mit Fadenwürmern (Dirofilarien) infizieren“.
Nicht zuletzt deswegen werden die Wissenschaftler*innnen, die neue Population genau im Auge behalten. Noch wäre allerdings eine weitergehende Option denkbar. „Durch den weltweiten Handel und Verkehr werden immer wieder einzelne exotische Mücken nach Deutschland eingeführt. Wenn sich bislang nur eine kleine Population einer neuen Mückenart in Deutschland angesiedelt hat, kann man diese gegebenenfalls zurückdrängen. Haben sich die Mücken erst großflächig ausgebreitet, ist diese Chance jedoch vertan“, sagt Klimpel.
Originalpublikation:
Steinbrink, A., Zotzmann, S., Cunze, S., Klimpel, S.(2019): Aedes koreicus – a new member of the genus Aedes establishing in Germany. Parasitology Research, doi: 10.1007/s00436-019-06232-x
06.03.2019, Forschungsverbund Berlin e.V.
Nahrung spielt wichtige Rolle für Influenza-A-Infektionen bei afrikanischen Säugetieren
Obwohl Influenzaviren weit verbreitet sind, weiß man überraschend wenig über Infektionen bei wild lebenden Säugetieren. Eine neue Studie unter der Leitung von Alex D. Greenwood und Gábor Á. Czirják vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) in Berlin brachte nun neue Erkenntnisse darüber, in welchen Kontexten Wildtiere Influenza-Viren ausgesetzt sind.
Die WissenschaftlerInnen konnten zeigen, dass Säugetiere besonders häufig mit diversen Influenza-A-Virustypen in Kontakt kommen, wenn Vögel einen Großteil ihrer Nahrung ausmachen. Verwandtschaften zwischen Arten oder das Sozialverhalten innerhalb einer Art spielten erstaunlich kleine Rollen, zeigen sie in der im „The Journal of Infectious Diseases” publizierten Studie.
Um die Auslöser und Ausbreitung von Influenza-A-Infektionen bei wilden Säugetieren besser zu verstehen, hat das Leibniz-IZW gemeinsam mit KollegInnen in Hannover, den Niederlanden und Namibia die neue Studie aufgesetzt. Die WissenschaftlerInnen untersuchten 111 Serumproben von unterschiedlichen Säugetierarten in Namibia und identifizierten die unterschiedlichen Stränge der Influenza-A-Viren, mit denen die Tiere in Kontakt gekommen waren. „Wir konnten sehr häufig viele verschiedene Virustypen nachweisen, wobei eine klare Tendenz zu erkennen war: Pflanzenfresser waren weitaus seltener und mit weniger verschiedenen Virusstämmen infiziert als Fleischfresser“, erklärt Gábor Á. Czirják, Wissenschaftler am Leibniz-IZW. Für die Tests nutzen sie einen Virenchip, den das Erasmus Medical Centre in Rotterdam, einer der Projektpartner, speziell für diesen Zweck entwickelt hatte.
Das Forscherteam hat drei Hypothesen getestet, wonach entweder Verwandtschaften zwischen Spezies, das Sozialverhalten der Tierarten oder die Zusammensetzung der Nahrung mit der Häufigkeit und Variabilität der Viren zusammenhängen. Es bestand Grund zur Annahme, dass eng verwandte Tierarten ähnliche Reaktionen auf den Kontakt mit den Viren zeigten, da Rezeptoren und die Physiologie der Tiere vergleichbar sind. Die Daten zeigten jedoch, dass dies statistisch keine signifikanten Auswirkungen auf das tatsächliche Vorkommen von Influenza-A-Viren hat. Ebenso erwarteten die WissenschaftlerInnen, dass besonders soziale Tiere – die beispielsweise in größeren Herden oder Gruppen zusammenleben – häufiger infiziert seien, da sich die Viren leichter verbreiten können als bei einzelgängerischen Tieren. Viele soziale Pflanzenfresser zeigten jedoch kaum Infektionen, womit auch dieser Faktor ausgeschlossen werden konnte. „Der gemeinsame Nenner für Häufigkeit und Diversität der Virentypen war eine vogelreiche Nahrung“, schließt Sanatana Soilemetzidou, Doktorandin und Erstautorin der Studie. „Insbesondere bei Tieren wie dem Schakal und dem Karakal, die sich hauptsächlich von Vögeln ernähren, konnten wir häufig viele verschiedene Influenza-A-Viren auffinden.“
Influenza-A-Viren gehören zu den wichtigsten und am besten erforschten Krankheitserregern bei Menschen und Haustieren. Die Viren treten typischerweise bei Wasservögeln auf und werden häufig von Vögeln auf Säugetiere und Menschen übertragen. Bei dieser Übertragung kommt es oft zu einer Veränderung des Virus, indem es sich auf den neuen Wirt anpasst. „Aus diesem Grund ist es erstaunlich, wie wenig bisher darüber bekannt war, welche Influenza-A-Stämme wilde Säugetierarten infizieren und warum“, sagt Alex Greenwood, Leiter der Leibniz-IZW-Abteilung Wildtierkrankheiten. „Wenn sich Virusstämme, die von Vögeln auf wilde Säugetiere übergehen, an diese neue Wirtsumgebung anpassen, könnte dieser Prozess ein Sprungbrett für die Infektion von Haus- und Nutztieren sowie des Menschen sein.“
Die Studie wurde in Namibia durchgeführt, einem Land mit hohem Artenreichtum im Bereich der Säugetiere und einer Wasservogelpopulation, in denen Influenzaviren regelmäßig nachgewiesen werden. Darüber hinaus treffen wilde und gehaltene Tiere auf den großen Farmen häufig aufeinander. Nicht zuletzt führen mehrere Vogelzugrouten durch das Land, weshalb die hier gewonnenen Erkenntnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit über das Land, möglicherweise auch über Afrika, hinaus übertragbar sind. Das Leibniz-IZW führt mehrere Langzeit-Forschungsprojekte in Namibia durch.
Originalpublikation:
Soilemetzidou S, de Bruin E, Franz M, Aschenborn OHK, Rimmelzwaan GF, van Beek R, Koopmans M, Greenwood AD, Czirják GÁ (2018) Diet may drive influenza A virus exposure in African mammals. J Infect Dis.
07.03.2019, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Forscher am Naturkundemuseum Berlin entdeckt neue Erdviper in Westafrika
Ein internationales Forscherteam unter Leitung von Mark-Oliver Rödel vom Museum für Naturkunde Berlin fand im Nordwesten Liberias und im Südosten Guineas drei Erdvipern, die später als eine bisher unbekannte Art (Atractaspis branchi) identifiziert wurden. Die Entdeckung, die in der Zeitschrift Zoosystematics and Evolution publiziert wurde, belegt erneut den einzigartigen Status des westlichen Teils der Waldzone Oberguineas als Zentrum reicher und endemischer Biodiversität. Erdvipern haben einen Schädelaufbau der es ihnen ermöglicht, mit einem Reißzahn, der aus dem Mundwinkel ragt, seitlich zu stechen.
Erdvipern besitzen im Verhältnis zur Länge des Kopfes die längsten Fangzähne unter den Schlangen. Sie liegen in horizontaler Lage auf dem Oberkieferknochen. Die Giftzähne sind nur wenig beweglich und können seitlich aus dem Maul rausgesteckt werden. Erdvipern haben damit ein ungewöhnliches Giftabgabesystem, das es ihnen erlaubt, anzugreifen und seitlich mit einem aus dem Mundwinkel ragenden Reißzahn zu stechen. Das Maul kann dabei mehr oder weniger geschlossen bleiben. Die meisten dieser grabenden Schlangen sind nicht giftig genug, um einen Menschen zu töten, allerdings sind einige in der Lage, schwere Gewebenekrosen zu verursachen. Das beschriebene Verhalten macht es aber unmöglich, sie mit den Fingern hinter dem Kopf zu halten.
Die neue Art wurde zu Ehren des kürzlich verstorbenen südafrikanischen Herpetologen Prof. William Roy (Bill) Branch, einem weltweit führenden Experten für afrikanische Reptilien, benannt. Die neue Art Atractaspis branchi lebt im primären Regenwald und am Rande des Regenwaldes im westlichen Teil der Wälder Oberguineas. Die Schlange ist höchstwahrscheinlich endemisch in dieser bedrohten biogeographischen Region, die bereits für ihre einzigartige und vielfältige Fauna bekannt ist.
„Die Entdeckung einer neuen und vermutlich endemischen Art ist nicht sehr überraschend“, so Mark Oliver Rödel, „Es sind jedoch weitere Untersuchungen erforderlich, um das Verbreitungsgebiet der neuen Schlangenart zu erfassen und mehr Informationen über ihre ökologischen Bedürfnisse und biologischen Eigenschaften zu sammeln.“
Der Originalartikel kann heruntergeladen werden unter: https://zse.pensoft.net/article/31488/
07.03.2019, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Schimpansen verlieren ihre kulturelle Vielfalt
Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) hat untersucht, ob sich die Verhaltensdiversität von Schimpansen verringert, je stärker der Mensch in ihren Lebensraum eingreift. Dazu haben die Forschenden das Schimpansenverhalten zahlreicher Gruppen im Freiland miteinander verglichen, die jeweils unterschiedlich starken Störungen durch den Menschen ausgesetzt waren. Ihren Ergebnissen zufolge ist die Verhaltensvielfalt derjenigen Gruppen deutlich geringer, die besonders starken Störungen und Umweltveränderungen durch den Menschen ausgesetzt sind.
Im Vergleich zu allen anderen Arten mit Ausnahme des Menschen verfügen Schimpansen über eine außergewöhnlich hohe Verhaltensvielfalt. Diese Vielfalt zeigt sich zum Beispiel im Zusammenhang mit der Gewinnung von Nahrung, der Kommunikation und der Anpassung an Hitze. Viele dieser Verhaltensweisen werden durch soziales Lernen von erwachsenen Individuen an Jungtiere weitergegeben, sind gruppenspezifisch und gelten als Belege dafür, dass es unterschiedliche Schimpansenkulturen gibt. Wie alle anderen Menschenaffen sind auch Schimpansen durch menschliche Aktivitäten, die den natürlichen Lebensraum der Tiere verändern, zunehmend bedroht. Ihr Lebensraum, die tropischen Regenwälder und Baumsavannen, wird zunehmend in landwirtschaftliche Nutzflächen, Plantagen und Siedlungen umgewandelt oder durch den Abbau von Bodenschätzen und die Entwicklung der Infrastruktur massiv verändert.
Ein Großteil der empirischen Studien und daraus resultierenden Diskussionen über den Verlust der biologischen Vielfalt beschäftigte sich bisher mit dem Rückgang von Arten, dem Verlust von genetischer Vielfalt oder auch dem Funktionieren von Ökosystemen. Doch auch die Verhaltensvielfalt ist eine Facette der Biodiversität. Mangels empirischer Daten war bisher jedoch unklar, ob auch die Verhaltensdiversität durch menschliche Einflüsse negativ beeinflusst wird.
Daten aus 15 Ländern
Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Hjalmar Kühl und Ammie Kalan von der Abteilung für Primatologie am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) trug einen umfangreichen Datensatz zusammen, der über 31 Verhaltensweisen von Schimpansen aus 144 Gruppen dokumentiert. Die untersuchten Gruppen waren dabei über das gesamte Verbreitungsgebiet frei lebender Schimpansen verteilt. Ein Teil dieser Informationen war in der wissenschaftlichen Literatur bereits verfügbar. Zahlreiche weitere Daten erhob das internationale Forschungsteam im Laufe der letzten neun Jahre im Rahmen des Projekts Pan African Programme an 46 Standorten in 15 afrikanischen Ländern, in denen Schimpansen leben. Zu den Verhaltenskategorien, die in dieser Studie untersucht wurden, gehören die Entnahme und der Verzehr von Termiten, Ameisen, Algen, Nüssen und Honig; die Verwendung von Werkzeugen zur Jagd oder zum Graben nach Knollen, die Verwendung von Steinen sowie die Nutzung von Tümpeln und Höhlen.
Die Forschenden untersuchten das Auftreten von Verhaltensweisen im Verhältnis zum menschlichen Einfluss auf die Umwelt. Der menschliche Einfluss wurde als eine Gesamtheit verschiedener Ebenen ermittelt, darunter die Bevölkerungsdichte, das Vorhandensein von Straßen, Flüssen oder Waldbedeckung. Diese Ebenen gelten als Indikatoren, die das Ausmaß von Störungen und Landnutzungsänderungen in den Lebensräumen der Schimpansen belegen. „Unsere Analysen zeigen ganz deutlich: An Orten mit einer hohen Belastung durch den Menschen ist die Verhaltensvielfalt der Schimpansen deutlich geringer“, erklärt Kalan, Forscherin am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. „Dieses Muster war durchgängig und unabhängig davon, welcher Kategorie eine bestimmte Verhaltensweise zugeordnet war. Im Durchschnitt ist die Verhaltensvielfalt der Schimpansen an Orten mit dem stärksten menschlichen Einfluss um 88 Prozent reduziert.“
Erklärungen für den Verlust von Verhaltensweisen
Wie beim Menschen spielt möglicherweise auch bei Schimpansen die Bevölkerungsgröße eine wichtige Rolle für den Erhalt kultureller Eigenschaften. Schrumpfende Populationen haben eine geringere Kapazität für Verhaltensvielfalt. Auffällige Verhaltensweisen, wie etwa das Nüsse knacken, könnten die Tiere vermeiden, um Jägern ihren Aufenthaltsort nicht preiszugeben. Möglicherweise findet auch wegen der Lebensraumverschlechterung und Ressourcenverknappung die Weitergabe von Wissen und lokalen Traditionen von einer Generation zur nächsten nicht mehr vollständig statt. Zudem trägt der Klimawandel möglicherweise zu einer reduzierten Verhaltensdiversität bei, da er die Produktion wichtiger Nahrungsressourcen beeinflussen und deren Verfügbarkeit für die Tiere unvorhersehbar machen könnte. Sehr wahrscheinlich hat eine Kombination dieser verschiedenen Mechanismen zu einer Verringerung des Verhaltensrepertoires der Schimpansen geführt.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Strategien zur Erhaltung der Biodiversität auch auf den Schutz der Verhaltensdiversität von Tieren ausgedehnt werden sollten“, sagt Kühl, ein Ökologe am Forschungszentrum iDiv und am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. „Orte mit außergewöhnlichen Verhaltensweisen können als ‚Schimpansen-Kulturerbe‘ geschützt werden, und dieses Konzept kann auch auf andere Arten mit hoher kultureller Variabilität ausgedehnt werden, wie zum Beispiel Orang-Utans, Kapuzineraffen oder Wale.“ Diese Vorschläge stehen im Einklang mit bereits laufenden Bemühungen zum Erhalt der biologischen Vielfalt, wie zum Bespiel dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) oder dem Übereinkommen zur Erhaltung der wandernden wild lebenden Tierarten (CMS) im Rahmen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP), das den Schutz der biologischen Vielfalt in ihrer Gesamtheit fordert, einschließlich der Verhaltens- und kulturellen Vielfalt von Tierarten.
Originalpublikation:
Hjalmar S. Kühl, et al.
Human impact erodes chimpanzee behavioral diversity
Science, 07. März 2019