Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

04.02.2019, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Warum können Wiesel klettern?
Biologinnen und Biologen des Museums für Naturkunde Berlin und der Königlichen Tierärztlichen Hochschule haben erforscht, wie Säugetiere ihre Gliedmaßen zum Klettern, Graben und Schwimmen entwickeln. Dazu wurde die innere Struktur von Gliedmaßenknochen an verschiedenen Arten innerhalb der Familie der Wiesel untersucht.
Grundlegend für den evolutionären Erfolg von Säugetieren waren Spezialisierungen für verschiedene Bewegungsgewohnheiten bzw. Körperfunktionen, wie Klettern, Laufen, Graben und Schwimmen. Das anatomische Verständnis solcher Spezialisierungen konzentrierte sich jedoch überwiegend auf die äußeren Formen und Dimensionen des Gliedmaßen-Skeletts, nämlich die Längen und Durchmesser der einzelnen Knochen. Die inneren Dimensionen und Strukturen der Extremitäten, die entscheidend sind für die Stabilität eines Knochens, haben bisher bei der Untersuchung der Evolution der Fortbewegung deutlich weniger Beachtung gefunden.
Um festzustellen, ob Unterschiede in der Querschnittsstruktur von Extremitätenknochen auf spezielle Bewegungsgewohnheiten bei Säugetieren Einfluss haben, untersuchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Museums für Naturkunde Berlin und der Königlichen Tierärztlichen Hochschule die Querschnittsform in den Vordergliedmaßen der Familie der Wiesel (Musteliden), einer funktionell vielfältigen Linie von Säugetieren, zu denen Wiesel, Otter, Dachse und Marder gehören. Es stellte sich heraus, dass Otter und Dachse die Extremitätenknochen mit den robustesten Querschnitten unter den Musteliden haben. Das passt zu der Prognose der Forscherinnen und Forscher, dass Otter und Dachse aufgrund ihrer jeweiligen Bedürfnisse, nämlich dem Auftrieb beim Schwimmen entgegenzuwirken und mechanischen Belastungen beim Graben standzuhalten, robustere Querschnitte haben.
Unsere Ergebnisse legen daher nahe, dass die Spezialisierung der Gliedmaßen für eine bestimmte Lebensweise und Fortbewegung (z. B. Klettern) während der Evolution der Säugetiere nicht notwendigerweise auf einem einzigen Evolutionsprozess beruhen. Des Weiteren unterliegen die einzelnen anatomischen Komponenten der Gliedmaßen (wie z.B. Knochenlängen, Knochenquerschnittsstruktur) unterschiedlichen Evolutionsprozessen.
Kilbourne BM & Hutchinson JR. 2019. Morphological diversification of biomechanical traits: mustelid locomotor specializations and the macroevolution of long bone cross-sectional morphology. BMC Evolutionary Biology 19: 37 (https://doi.org/10.1186/s12862-019-1349-8).

04.02.2019, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Rätsel um den verschwundenen Federkiel gelöst
Ein neues Laser-stimuliertes Fluoreszenz-Verfahren zeigt, dass ein unbekannter befiederter Dinosaurier und nicht der Urvogel Archaeopteryx vor 150 Millionen Jahren eine Feder über der Solnhofen-Lagune verlor. Zu dieser Erkenntnis kommt ein Forscherteam unter Beteiligung von Daniela Schwarz am Museum für Naturkunde Berlin nach neuen Untersuchungen der Fossilien in den Berliner Forschungssammlungen.
Der Gattungsname des berühmten Urvogels Archaeopteryx bezieht sich auf die erste fossile Feder überhaupt, welche 1861 in der Gegend von Solnhofen gefunden wurde. Über einen langen Zeitraum repräsentierte diese Feder den Holotyp von Archaeopteryx und war eng mit den später gefundenen Körperfossilien von Archaeopteryx verbunden. Im Gegensatz zu den Federeindrücken, die an manchen dieser Körperfossilien zu finden sind, ist die isolierte Feder dunkel gefärbt und von einem Film von Kalk- oder Manganoxiden überzogen. In der detaillierten Beschreibung der fossilen Feder von 1862 wird ein langer Federkiel (Calamus) erwähnt, der allerdings heute am Fossil nicht mehr sichtbar ist. Selbst mit Röntgen-Fluoreszenz-Verfahren und langwelligem UV Licht konnte der „verlorene Federkiel“ nicht mehr sichtbar gemacht werden. Es gab daher Mutmaßungen darüber, ob der Federkiel überhaupt vorhanden gewesen ist. Erschwert wurde so auch die Bestimmung der Lage der Feder, die entweder eine Handschwinge, Armschwinge oder Deckfeder gewesen sein könnte.
Ein internationales Forscherteam unter Beteiligung von Daniela Schwarz vom Museum für Naturkunde Berlin hat die Feder nun mit einer neuartigen Technik untersucht und die im Berliner Museum befindliche Platte mit dem Verfahren der Laser-Stimulierten Fluoreszenz (LSF) untersucht. Dabei konnte ein geochemisches Signal dargestellt werden, welches den originären Federkiel darstellt und auch mit der Beschreibung von 1862 übereinstimmt. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden in der Zeitschrift Scientific Reports veröffentlicht und zeigen das große Potential und die wissenschaftliche Bedeutung der neuartigen Technik LSF. „Wir konnten zeigen, dass es bei der Anwendung solcher neuen Techniken immer wieder Potential für neue Entdeckungen gibt, selbst wenn es sich um schon häufig untersuchte, berühmte Fossilien handelt“, sagt der leitende Autor Thomas Kaye von der Foundation of Scientific Advancemen in Sierra Vista, Arizona; USA.
Die nun wieder vollständig sichtbare Feder ermöglicht neue Vergleichsmöglichkeiten mit den am Skelett von Archaeopteryx erhaltenen Federn und den Federn heutiger Vögel. Die Gesamtproportionen der Feder machten ursprünglich eine Bestimmung als Deckfeder des Flügels von Archaeopteryx wahrscheinlich, die LSF Untersuchungen zeigen allerdings, dass diese Feder sich von den Deckfedern heutiger Vögel durch das Fehlen einer ausgeprägt s-förmigen Mittellinie unterscheidet. Das Forschungsteam konnte daher ausschließen, dass es sich hierbei um eine Handschwinge, Armschwinge oder Schwanzfeder von Archaeopteryx handelt. Es ist wahrscheinlicher, dass die berühmte Feder stattdessen von einem anderen gefiederten Dinosaurier aus dem Gebiet der Solnhofen-Lagune stammt und den Körperfossilien des berühmten Urvogels Archaeopteryx fälschlich zugeordnet wurde. „Es ist faszinierend, wie durch diese neue Technik das Rätsel um den verschwundenen Federkiel gelöst werden konnte“ sagt dazu Daniela Schwarz, Co-Authorin der Studie und Kustodin für die fossilen Vogelreste am Museum für Naturkunde Berlin. Diese Entdeckung zeigt aber auch, dass die Diversität gefiederter Dinosaurier im Solnhofen Archipel wohl größer war als es die bisher gefundenen Körperfossilien vermuten lassen. Die hier beschriebene, erfolgreiche Anwendung der neuartigen Technik der LSF ist damit nur der Startpunkt für ihre Anwendung auch an anderen, ähnlich bedeutenden Fossilien.
Veröffentlicht in: Thomas G. Kaye, Michael Pittman, Gerald Mayr, Daniela Schwarz & Xu Xing, 2019. Detection of lost calamus challenges identity of isolated Archaeopteryx feather. Scientific Reports
Die vollständige Publikation ist hier zu lesen:
https://www.nature.com/articles/s41598-018-37343-7

06.02.2019, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
T. rex: Flexibler Kopf – Fleischfressender Dinosaurier besaß einzigartigen Schädel
Senckenberg-Wissenschaftler Ingmar Werneburg hat mit einem internationalen Team erstmalig die Schädelkonstruktion des Tyrannosaurus rex untersucht. Mit Hilfe einer „Anatomischen Netzwerk Analyse“ zeigen sie in ihrer heute im Fachjournal „Scientific Reports“ erschienenen Studie, dass die Schädelstruktur des fleischfressenden Dinosauriers sehr komplex war. Verschiedene Knochenmodule führten zu einer Flexibilität des Schnauzenteils, welche beim Zerlegen von Beutetieren hilfreich war.
Tyrannosaurus rex – der „König der Schreckensechsen“ trägt seinen Namen auch aufgrund seines beeindruckenden Gebisses und Schädels. Letzteren hat ein internationales Team aus Deutschland der Schweiz, Großbritannien, Spanien und den USA nun genauer unter die Lupe genommen. „Wir haben den Schädel des T. rex mit Schädelkonstruktionen heutiger Landwirbeltiere verglichen und mit Hilfe einer ‚Anatomischen Netzwerk Analyse’ untersucht, welche Schädelknochen miteinander in Verbindung stehen“, erläutert Erstautor der Studie PD Dr. Ingmar Werneburg vom Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen.
Die Analyse ergab, dass der große Fleischfresser unter allen untersuchten Tiergruppen die meisten „Schädelmodule“ – Schädelknochen, die Einheiten mit umliegenden Knochen bilden –besaß. Daraus resultierte eine besonders hohe Beweglichkeit des Schädels. „Besonders überrascht waren wir von der Entdeckung eines oberen und unteren Schnauzenmoduls, welche sich wohl unabhängig voneinander bewegen konnten“, ergänzt der Tübinger Wissenschaftler.
Die Forschenden gehen davon aus, dass die Nahrungsgewohnheiten des Tyrannosaurus rex zur Komplexität seines Schädels führten. Die Unterteilung in ein unteres und oberes Schnauzenmodul ermöglichte eine gewisse Flexibilität des zahntragenden Schnauzenteils beim kraftvollen Herausreißen von Nahrungsteilen aus den Beutetieren. „Diese Eigenschaft gepaart mit den in Zahntaschen verankerten Zähnen und zwei großen Schläfenfenstern als Ansatzflächen für eine kräftige Kiefermuskulatur machten T. rex zum ‚idealen Fleischfresser’“, fasst Werneburg zusammen.
Die Natur mit ihrer unendlichen Vielfalt an Lebensformen zu erforschen und zu verstehen, um sie als Lebensgrundlage für zukünftige Generationen erhalten und nachhaltig nutzen zu können – dafür arbeitet die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung seit nunmehr 200 Jahren. Diese integrative „Geobiodiversitätsforschung“ sowie die Vermittlung von Forschung und Wissenschaft sind die Aufgaben Senckenbergs. Drei Naturmuseen in Frankfurt, Görlitz und Dresden zeigen die Vielfalt des Lebens und die Entwicklung der Erde über Jahrmillionen. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ist ein Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Das Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt am Main wird von der Stadt Frankfurt am Main sowie vielen weiteren Partnern gefördert. Mehr Informationen unter www.senckenberg.de.
Originalpublikation:
Ingmar Werneburg, Borja Esteve-Altava, Joana Bruno, Marta Torres Ladeira & Rui Diogo (2019): Unique skull network complexity of Tyrannosaurus rex among land vertebrates. Scientific Reports volume 9, Article number: 1520 (2019) | DOI: 10.1038/s41598-018-37976-8

06.02.2019, Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL
Borkenkäferbefall in der Schweiz verdoppelte sich 2018
Der Borkenkäfer setzt seinen Vormarsch in der Schweiz fort. Mit landesweit 735’000 m3 vom Buchdrucker (Ips typographus) befallenem Fichtenholz war die Holzmenge 2018 mehr als doppelt so gross wie im Vorjahr und erreichte damit den höchsten Stand seit 2006. Dies ergab eine Umfrage der Eidg. Forschungsanstalt WSL in allen Forstrevieren der Schweiz.
In allen Kantonen auf der Alpennordseite nahm die Menge des Käferholzes bis Ende 2018 im Vergleich zum Vorjahr deutlich zu. Die Werte variierten jedoch stark zwischen den Regionen, wie die Borkenkäfer-Umfrage von „Waldschutz Schweiz“ an der Eidg. Forschungsanstalt WSL zeigt. Die Käfer profitierten vom ausreichend zur Verfügung stehenden Brutmaterial: durch Sturm und Trockenheit geschwächte Fichten. Im Winter 2017/18 hatten mehrere Stürme auf der Alpennordseite zehntausende von Bäumen umgeworfen oder gebrochen, im Frühling stieg dann die Temperatur markant an und im Sommer sorgten schliesslich die anhaltende Regenarmut und Hitze für extrem trockene Verhältnisse. Diese Kombination machte zahlreiche Fichten anfällig für Borkenkäfer und bot diesen Nahrung und Lebensraum im Überfluss. Dank der hohen Temperaturen konnte der Buchdrucker in den Tieflagen statt der üblichen zwei sogar drei Generationen anlegen. Die überwinternde Käferpopulation ist dadurch grösser als in früheren Jahren.
Besonders aus dem Mittelland, dem Jura und der Ostschweiz meldeten die Forstdienste eine starke Zunahme der Käferholzmengen. Im Extremfall stieg die befallene Holzmenge im Vergleich zum Vorjahr bis um das Zwölffache an. Im Gegensatz dazu blieb der Käferbefall in den Alpen und in der Südschweiz nahezu konstant oder nahm in einzelnen Regionen sogar leicht ab. Die Zahl neu befallener Fichtengruppen (Befallsherde) verdoppelte sich nahezu im Vergleich zum Vorjahr von schweizweit 4’600 auf 9’100.
Ausblick
Sollte das Jahr 2019 erneut sehr warm und trocken werden, dürfte die Befallssituation durch den Buchdrucker kritisch bleiben. Auch ohne neue Extremereignisse wie Stürme oder Trockenperioden befinden sich in den Waldbeständen weiterhin zahlreiche geschwächte, bruttaugliche Fichten aus dem Vorjahr*. Die Situation dürfte sich nur langsam beruhigen. Dementsprechend ist dem Monitoring und der Bekämpfung des Buchdruckers auch 2019 die nötige Beachtung zu schenken. Vor allem Waldbestände, in denen schon 2018 zahlreiche stehende Fichten von Borkenkäfern befallen wurden, sollten ab April regelmässig beobachtet werden. Dies betrifft vor allem von Sturm heimgesuchte Gebiete, der Sonne ausgesetzte kritische Waldränder und im Vorjahr von Käfern befallene Fichtengruppen.
Um weiterem Borkenkäferbefall vorzubeugen, empfiehlt die WSL, neu befallene Fichten rechtzeitig, also bevor die nächste Käfergeneration ausfliegt, zu fällen und aus dem Wald abzuführen oder zu entrinden.
* Entgegen der landläufigen Meinung, dass liegen gelassenes totes Holz den Borkenkäfer fördert, gedeihen die Käfer nur auf frisch abgestorbenen Fichten, und dies in der Regel nur im ersten Jahr nach deren Tod.

06.02.2019, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Kompetente Schimpansen-Nussknacker
Menschen werden häufig als überlegene Werkzeugnutzer betrachtet, die andere Menschen auf einzigartige Weise in ihren Fertigkeiten unterrichten. Ein klares Verständnis der Unterschiede zwischen Menschen und Tieren zu erlangen, wurde bisher jedoch eingeschränkt durch die Schwierigkeit, verschiedene Arten in ihrem natürlichen Umfeld miteinander zu vergleichen. Ein Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und des University College London verglich nun Menschen und Schimpansen, die bei der Nahrungssuche im afrikanischen Regenwald die gleiche Nussart zu knacken erlernten.
Der Mensch betrachtet sich selbst als Werkzeugnutzer per excellence. Alle bekannten menschlichen Populationen verwenden täglich Werkzeuge, wenn auch unterschiedlich häufig. Frühere Studien, die den Werkzeuggebrauch des Menschen mit dem anderer Tierarten verglichen haben, untersuchten die Tiere meist unter künstlichen Bedingungen und außerhalb ihres natürlichen Lebensraums. Solche Vergleiche könnten die Tiere jedoch benachteiligen und dazu führen, dass die technologischen Fähigkeiten von Wildtierpopulationen unterschätzt werden. In einem ersten Vergleich zwischen Individuen zweier Gruppen von Menschen und Schimpansen, die Nüsse auf natürliche Weise in ihrem Lebensraum knacken, konnten wir nun untersuchen, wie schnell und in welchem Umfang Lernende beider Arten die Technik erwerben. Dazu verglichen die Forschenden die für ihr Nüsseknacken bekannten Taï-Schimpansen von der Elfenbeinküste mit den Mbendjele BaYaka, die in den Wäldern der Republik Kongo gewöhnlich die gleiche Nussart, Panda oleosa, knacken. Sie folgten Gruppen von Mbendjele-Frauen, die im Wald nach Nahrung suchten, und wendeten dieselben Effizienzmessungen an wie zuvor bei den Taï-Schimpansen, um festzustellen, wie beide Arten sich die Technik im Wald aneignen.
In einer 2017 veröffentlichten Studie haben Boesch und Kollegen die Nussknackeffizienz der erwachsenen Weibchen beider Arten miteinander verglichen und entdeckten überraschende Ähnlichkeiten hinsichtlich der Leistung beider Populationen, obwohl sie unterschiedliche Werkzeuge verwenden. Die Menschen benutzen Metallhämmer mit scharfen Schneiden, während die Schimpansen Steinhämmer verwenden. In der aktuellen Studie lernten die „Auszubildenden“ beider Arten die Technik langsam, wobei ähnliche Fehler aufgetreten sind, wie zum Bespiel: den Amboss direkt mit der Nuss zu treffen oder die Nuss auf den Boden – anstatt auf den Amboss – zu legen. Darüber hinaus benötigen beide Arten Jahre der Übung, um Experten zu werden. „Diese Studie ist die erste, bei der wir Menschen und Schimpansen miteinander vergleichen, die dieselbe Nussknacktechnik im Wald anwenden“, sagt Christophe Boesch, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und Hauptautor der Studie. „Dadurch stellen wir sicher, dass beide Arten über das gleiche Erfahrungsniveau beim Handhaben der Werkzeuge und der Nüsse verfügen und auch die Möglichkeit haben, Experten bei der Arbeit zu beobachten. Bei beiden Arten ist der Wissenstransfer der Schlüssel zum Erwerb technischer Fähigkeiten.“
Selbst nachdem die Forschenden die Ergebnisse korrigiert hatten, um Unterschiede im Reifungsprozess beider Arten zu berücksichtigen, erlernten Schimpansen die Technik verhältnismäßig schneller als Menschen und erreichten auch früher als diese die Effizienz eines Erwachsenen. „Natürlich meistern die Mbendjele in Kongos Regenwald täglich sehr viel komplexere technische Herausforderungen, aber es ist dennoch interessant zu sehen, dass im Falle des Nüsseknackens Schimpansen die technischen Fähigkeiten schneller erwerben als Menschen. Nüsse sind bei Schimpansen über viele Monate im Jahr hinweg ein wichtiger Bestandteil ihrer Ernährung, während sie für den Menschen eine geringere Rolle spielen. So könnten bestimmte Umweltbedingungen durch selektiven Druck den Erwerb überlebenswichtiger Fähigkeiten fördern“, schlussfolgert Boesch.
Darüber hinaus beobachteten die Forschenden bei beiden Arten eine regelmäßige Weitergabe von Wissen von Experten an „Auszubildende“, die die Technik gerade erlernten – obwohl bisher häufig angenommen wurde, nur Menschen würden andere unterrichten. Das Nussknacken ist eine relativ komplexe Technik, bei der drei verschiedene Objekte verwendet werden: die Nuss, der Amboss und der Hammer. Diese Objekte werden auf eine ganz bestimmte Weise angeordnet und verwendet, um die Nüsse zu öffnen, ohne ihren Inhalt zu zerschlagen. Die Häufigkeit der Lehrinteraktionen, die die Forschenden bei beiden Arten beobachtet haben, verdeutlicht, dass Unterricht den Erwerb einer Fähigkeit erleichtert und zum Erwerb komplexerer Fertigkeiten bei beiden Arten häufiger zur Anwendung kommt.
Die relativ ähnliche Häufigkeit von Lehrinteraktionen bei beiden Arten und der verhältnismäßig schnellere Erwerb von Nussknack-Expertise bei Schimpansen sind überraschend, wenn man annimmt, dass Menschen Tieren beim Werkzeuggebrauch im Allgemeinen überlegen sind. Die Autoren betonen, dass sich sowohl Schimpansen als auch Menschen an die Herausforderungen anpassen müssen, mit denen sie täglich in ihrer Umwelt konfrontiert werden. Je mehr sich diese ähneln, umso ähnlicher entwickeln sich möglicherweise auch die Lösungsansätze und kognitiven Fähigkeiten beider Arten. Ähnliche Vergleiche unter natürlichen Bedingungen werden zukünftig dazu beitragen, die technischen Fähigkeiten beider Arten vergleichend zu bewerten und einzuschätzen, auf welche Art und Weise sich der Mensch beim Werkzeuggebrauch tatsächlich unterscheidet.
Originalpublikation:
Christophe Boesch, Dasa Bombjakoca, Amelia Meier & Roger Mundry
Learning curves and teaching when acquiring nut-cracking in humans and chimpanzees
Scientific Reports, 06. Februar 2019, DOI: https://doi.org/10.1038/s41598-018-38392-8

07.02.2019, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Knochenkrebs an der ältesten fossilen Schildkröte entdeckt
In einer gemeinsamen Forschungsarbeit, publiziert im amerikanischen Journal für Krebsforschung der American Medical Association, JAMA Oncology, entdeckte ein Team von Paläontologen und Medizinern aus Deutschland, Kanada und den USA unter Beteiligung des Museums für Naturkunde Berlin, eine Krebserkrankung bei Pappochelys rosinae. Es handelt sich um ein Exemplar der ältesten bekannten Schildkröte der Welt aus der Trias-Zeit vor 240 Millionen Jahren.
“Untersuchungen der äußeren Morphologie sowie mikro-CT Aufnahmen des erkrankten Knochens ergaben, dass das Tier unter Knochenkrebs gelitten hat”, erklärt Yara Haridy vom Museum für Naturkunde Berlin und Leiterin dieser Studie. „Dies ist einer der ältesten Fälle von Krebs im Fossilbericht, und sein ältestes bekanntes Auftreten bei Amnioten überhaupt, also der Gruppe von Tieren, zu denen die Reptilien, Vögel und Säugetiere gehören”, sagt Florian Witzmann, Mitautor und Haridys Kollege am Museum für Naturkunde in Berlin. Die paläopathologische Studie wurde im angesehenen amerikanischen Journal für Krebsforschung der American Medical Association, JAMA Oncology, veröffentlicht. Paläopathologie beschäftigt sich mit Krankheiten und Fehlbildungen bei Lebewesen der Vorzeit. Dieser Wissenschaftszweig dient dem Verständnis, wie Krankheiten, Pathogene und auch Heilung evolvierten. Es ist eine junge Wissenschaft, die auf der interdisziplinären Zusammenarbeit von Paläontologen und Medizinern beruht. “Paläopathologien sind grundsätzlich selten bei Fossilien, und dies gilt insbesondere für bösartige Tumore, die bei Fossilien fast unbekannt sind. Das macht unseren Fund so bedeutend”, so Mitautor Patrick Asbach, Radiologe an der Charité – Universitätsmedizin Berlin.
Die Urschildkröte Pappochelys wurde im Steinbruch Schumann in Vellberg-Eschenau, Baden-Württemberg, entdeckt und machte 2015 Schlagzeilen als ein wesentliches Teil im Puzzle der frühen Evolution von Schildkröten. Das pathologische Pappochelys-Exemplar wird im Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart aufbewahrt. “Über die Frage nach dem Ursprung der Schildkröten und ihres hochspezialisierten Bauplans haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jahrzehntelang gerätselt”, erklärt Mitautor Rainer Schoch vom Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart und einer der Entdecker dieses für unser Verständnis der Evolution von Schildkröten so wichtigen Tieres. “Pappochelys steht an der Basis der Entwicklung zu den modernen Schildkröten, gefolgt von Formen, die unseren heutigen Schildkröten zunehmend ähnlicher sehen.” So besitzt Pappochelys beispielsweise noch keinen vollständigen Schildkrötenpanzer und gibt den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern damit einen Hinweis, wann und wie sich der Panzer in der Evolution entwickelt hat. In seiner paläopathologischen Studie arbeitete das Team an einem isolierten Oberschenkelknochen von Pappochelys, das einen auffälligen, zunächst rätselhaften Auswuchs aufweist. Mit der Unterstützung von Kristin Mahlow, wissenschaftliche Mitarbeiterin im micro-CT Labor des Museums für Naturkunde Berlin, konnte der Auswuchs als sogenanntes periosteales Osteosarkom diagnostiziert werden, einer bestimmten Form von bösartigem Knochenkrebs, die es auch beim Menschen gibt.
Krebs wird im Allgemeinen als unkontrollierte Teilung abnormaler Zellen definiert. Dies gilt sowohl für Weichteil-Tumore als auch für solche in Hartgeweben wie Knochen und Zähnen. „Bei Fossilien sind meist nicht die Weichgewebe erhalten, weshalb wir nur Pathologien untersuchen können, die sich im Hartgewebe des Skeletts manifestieren“, so der Mitautor und Paläopathologe Bruce Rothschild vom Carnegie Museum in Pittsburgh und dem Indiana University Ball Memorial Hospital in Muncie, Indiana, USA. Anhand von Pathologien im Fossilbericht können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler herausfinden, wann bestimmte Eigenschaften in der Evolution aufgetreten sind. In diesem Fall verrät uns das Vorkommen von unkontrolliertem Zellwachstum, also Krebs, dass es bei Wirbeltieren für gewöhnlich einen Regulator gibt, der das Zellwachstum in Schach hält. „Im Fall der Urschildkröte hat wahrscheinlich eine Genmutation eine Funktionsstörung des Regulators bewirkt. Beim Menschen heißen solche Gene Tumorsuppressorgene, und sie stellen momentan ein sehr aktuelles Thema in der medizinischen Forschung dar“, sagt Mitautorin Nadia Fröbisch vom Museum für Naturkunde Berlin. Leider können wir weder wissen, ob die Urschildkröte dieselben krebserzeugenden Gene besessen hat wie heute der Mensch, noch ob diese Krebserkrankung tödlich für das Tier war. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Krebs nicht auf den modernen Menschen beschränkt ist. Stattdessen reicht die Anfälligkeit für diese Krankheit weit zurück in der evolutionären Geschichte der Wirbeltiere, hunderte von Millionen Jahren vor der Entstehung des Menschen“, folgert Yara Haridy.

07.02.2019, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Älteste Körnerfresser entdeckt – Früheste Verwandte der Sperlingsvögel beschrieben
Senckenberg-Wissenschaftler Gerald Mayr hat gemeinsam mit US-amerikanischen Kollegen zwei neue fossile Vogelarten aus 50 MiIlionen Jahre alten Fossilfundstellen in Deutschland und Nordamerika beschrieben. Bei den mit finkenartigen Schnäbeln ausgestatteten Tieren handelt es sich um die bislang bekannten ältesten körnerfressenden Vögel. Die Studie erscheint heute im Fachjournal „Current Biology“.
Mit über 6000 Arten sind die Sperlingsvögel heute die artenreichste Vogel-Ordnung – dieser Erfolg ist auch auf die Vielzahl ihrer Schnabelformen zurückzuführen. Die unterschiedlichen Schnäbel ermöglichen den kleinen Vögeln eine breite Palette an Nahrungsstrategien, wie etwa den Verzehr von harten Samen und Körnern, die Jagd nach Insekten, sowie das Fressen von weichen Früchten und Blütennektar.
„Anhand in der Grube Messel und der Green-River-Formation ‒ einer etwa gleichalten nordamerikanischen Fundstelle ‒ gefundenen Vogel-Fossilien konnten wir nun zeigen, dass sich eine vergleichbare Vielfalt an Schnabeltypen schon im Zeitalter des Eozän bei sehr frühen Vorfahren der Sperlingsvögel entwickelte”, erklärt Dr. Gerald Mayr vom Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt und fährt fort: „Die beiden neuen Arten gehören zu einer ausgestorbenen Vogelgruppe, deren Arten zu den ältesten bekannten Vorfahren der Sperlingsvögel zählen.”
Die fossilen Skelette der als Eofringillirostrum boudreauxi und Eofringillirostrum parvulum neu beschriebenen Vögel besitzen einen finkenartigen Schnabel, der dem des heutigen Goldzeisigs ähnelt. „Diese Schnäbel eignen sich besonders für den Verzehr von kleinen, harten Samen”, erläutert Dr. Daniel T. Ksepka, Erstautor der Studie und Kurator am Bruce Museum im US-amerikanischen Greenwich.
Bislang waren Vögel mit finkenartigen Schnäbeln nur aus der jüngeren Erdgeschichte bekannt – bei den beiden etwa 50 Millionen alten Fossilfunden handelt es sich demnach um die bisher bekannten ältesten körnerfressenden Vögel.
„Die beiden weit voneinander entfernten Fundorte lassen vermuten, dass diese Vögel im Eozän geographisch weit verbreitet waren – die wenigen Fossilienfunde sprechen dagegen für eine eher geringe Individuenzahl”, so Ksepka.
Offen ist die Frage warum die eozänen Sperlingsvogel-Verwandten trotz ihrer Anpassung an ein diverses Nahrungsangebot ausstarben, um dann von echten Sperlingsvögeln in den gleichen Nahrungsnischen ersetzt zu werden.
Einen möglichen Grund sieht das Forscherteam in der Brutbiologie der Sperlingsvögel, deren komplizierte Nestkonstruktionen das freie Nisten im Geäst von Bäumen und Sträuchern ermöglichen.
„Möglicherweise brüteten die eozänen Vögel dagegen noch in Baumhöhlen. Einen Hinweis auf ein unterschiedliches Brutverhalten könnte eventuell auch der unterschiedliche Fußbau der fossilen Arten sein, die einen Klammerfuß mit zwei nach hinten gedrehten Zehen aufweisen. Ein ähnlicher Fußbau findet sich bei einigen heutigen Vögeln, die in Höhlen nisten, beispielsweise Spechte oder Papageien”, fasst Mayr die These zusammen. Lance Gande, ein weiter Co-Autor der Studie, ergänzt: „Wir hoffen auf weitere Fossilien, die uns helfen die bisher noch kaum verstanden frühe Evolution der Sperlingsvögel besser zu verstehen.“
Die Natur mit ihrer unendlichen Vielfalt an Lebensformen zu erforschen und zu verstehen, um sie als Lebensgrundlage für zukünftige Generationen erhalten und nachhaltig nutzen zu können – dafür arbeitet die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung seit nunmehr 200 Jahren. Diese integrative „Geobiodiversitätsforschung“ sowie die Vermittlung von Forschung und Wissenschaft sind die Aufgaben Senckenbergs. Drei Naturmuseen in Frankfurt, Görlitz und Dresden zeigen die Vielfalt des Lebens und die Entwicklung der Erde über Jahrmillionen. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ist ein Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Das Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt am Main wird von der Stadt Frankfurt am Main sowie vielen weiteren Partnern gefördert. Mehr Informationen unter www.senckenberg.de.
Originalpublikation:
Daniel T. Ksepka, Lance Grande, Gerald Mayr (2019): Oldest finch-beaked birds reveal parallel ecological radiations in the earliest evolution of passerines. Current Biology.

07.02.2019, Ludwig-Maximilians-Universität München
Evolution – Eine Frage der Daten
Der Vergleich genetischer Daten ermöglicht wichtige Einblicke in die frühe Evolution der Tiere. Eine neue Methode bezieht eine breitere Datenbasis ein und bestätigt klassische Ansichten über die stammesgeschichtliche Entwicklung der Tiere.
Die Rekonstruktion der stammesgeschichtlichen Entwicklung der Tiere liefert wichtige Hinweise auf zentrale Fragen der Evolution, etwa den Ursprung und die Entwicklung von Organen, Nerven oder Muskeln. Deshalb ist die Aufklärung von Verwandtschaftsbeziehungen eine der wichtigsten Herausforderungen für Evolutionsbiologen. Dabei spielt der Vergleich von Aminosäure-Sequenzdaten eine wichtige Rolle. Trotz mittlerweile großer genomskaliger „phylogenomischer“ Datensätze gibt es bis heute keinen allgemein anerkannten evolutionären „Stammbaum“ der Tiere. Insbesondere die korrekte Einordnung der Linien nahe der Basis dieses Stammbaums wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Ein Team von Wissenschaftlern unter der Leitung von Professor Gert Wörheide (Department für Geo- und Umweltwissenschaften und GeoBio-Center der LMU), Dr. Walker Pett (Iowa State University, USA) und Professor Davide Pisani (University of Bristol, UK) hat nun einen neuen Ansatz entwickelt, der Einschränkungen herkömmlicher sequenzbasierter Analyseverfahren überwindet und klassische Hypothesen über die stammesgeschichtlichen Beziehungen der Tiere unterstützt. Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin Molecular Biology and Evolution.
Um die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Tiergruppen aufzuklären, vergleichen Evolutionsbiologen homologe Gene verschiedener Spezies, also Gene mit ähnlichen Aminosäure-Sequenzen die von einem gemeinsamen Vorläufer abstammen. Allerdings wurde bisher in der Regel nur eine bestimmte Untergruppe homologer Gene in die Analysen einbezogen: Sogenannte orthologe Gene, von denen man annimmt, dass sie sich direkt von einem gemeinsamen Vorfahren der untersuchten Spezies herleiten. „Gerade bei Linien, die sich evolutionär schnell weiterentwickeln, in denen sich also in relativ kurzer Zeit viele neue Mutationen anhäufen, können sich Gene aber schnell und stark verändern. Dann wird die Identifikation orthologer Gene sehr schwierig“, sagt Wörheide. Dies schränkt die Datenbasis für sequenzbasierte phylogenetische Analysen ein und reduziert deren Aussagekraft. Deshalb entwickelten die Wissenschaftler einen neuen Ansatz, bei dem nicht wie bisher die Gensequenzen selbst sondern der Geninhalt der Genome verglichen wurde, also ob homologe Gene vorhanden sind oder nicht. Bei dieser Geninhaltsanalyse wurde nun erstmals die zweite Untergruppe homologer Gene – sogenannte paraloge Gene – in die Analyse einbezogen. Diese Gene gehen auf Genduplikationen eines Vorläufergens im Lauf der Evolution zurück. „Wenn alle homologen Genfamilien in die vergleichende Geninhaltsanalyse mit einbezogen werden und nicht nur strikt orthologe Gene, stehen wesentlich mehr Informationen zur Verfügung“, sagt Walker Pett, Erstautor der Studie.
Als Test untersuchten die Wissenschaftler die frühe Stammesgeschichte der Tiere sowohl mit herkömmlichen Methoden als auch mit dem neuen Ansatz. Zu den früh abzweigenden Tiergruppen gehören unter anderem die Schwämme und Rippenquallen, für die immer noch umstritten ist, welche von beiden Gruppen die Schwestergruppe der restlichen Tiere ist. „Unsere Ergebnisse ergaben unabhängig von der verwendeten Methode immer, dass die Schwämme die Schwestergruppe aller anderen rezenten Tiere sind“, sagt Wörheide. Die Rippenquallen dagegen wurden mit der herkömmlichen Methode, also der Analyse von nur orthologen Genen, als Schwestergruppe der Scheibentiere, Nesseltiere und der Bilateria – den sogenannten Zweiseitern, zu denen 95 Prozent aller rezenten Tiere gehören – klassifiziert. Mit der neuen Methode der Analyse homologer Genfamilien dagegen wurden sie als Schwestergruppe der Nesseltiere eingestuft – ein Ergebnis, das die auf morphologischen Studien basierte sogenannte „Coelenterata“-Hypothese bestätigt, die bereits Mitte des 19. Jahrhunderts postuliert, aber in den letzten Jahrzehnten kaum noch vertreten wurde.
„Wir schließen aus unseren Ergebnissen, dass die Platzierung einiger stark divergierender Linien wie etwa der Rippenquallen die Grenze der Auflösung herkömmlicher sequenzbasierter Methoden, die auf orthologen Genen beruhen, überschreiten kann“, sagt Wörheide. „Um die Ergebnisse dieser Analysen zu testen, sollte deshalb ergänzend die von uns vorgestellte Methode durchgeführt werden – das ist ähnlich wie in der Kriminalistik: Wenn zwei unabhängige Datensätze zum gleichen Ergebnis kommen, ist diesem Ergebnis mehr zu vertrauen als nur dem jeweils einzelnen.“
Molecular Biology and Evolution 2019
Originalpublikation:
The role of homology and orthology in the phylogenomic analysis of metazoan gene content
Walker Pett, Marcin Adamski, Maja Adamska, Warren R. Francis, Michael Eitel, Davide Pisani, Gert Wörheide
Molecular Biology and Evolution 2019
https://doi.org/10.1093/molbev/msz013

07.02.2019, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Wählerische Bachflohkrebse
Bachflohkrebse der Spezies Gammarus roeselii bewachen ihr auserwähltes Weibchen, indem sie es oft tagelang mit sich herumtragen und es gegen potentielle Rivalen verteidigen. Dieses Verhalten kostet viel Energie und Zeit, weswegen die Männchen ihre Auswahl mit Sorgfalt treffen. Wissenschaftler der Goethe-Universität haben nun untersucht, unter welchen Umständen die Männchen bereit sind, ihre Entscheidung zu revidieren.
In ihrer Studie verglichen Carolin Sommer-Trembo, Konrad Lipkowski und ihre beiden Kollegen das Verhalten von Gammarus-Männchen, die aus zwei Populationen mit sehr unterschiedlicher Dichte stammten. Sie sammelten die im Wasser lebenden Versuchstiere aus zwei umliegenden Gebieten und gewöhnten sie während der ersten Tage in großen Aquarien ein. Während dieser Zeit bildeten sich Paare, bei dem ein Männchen sein Weibchen fest ergreift und es bis zur Befruchtung nicht mehr loslässt (Amplexuspaare).
Im nächsten Schritt trennten sie die Amplexuspaare vorsichtig voneinander und boten den Männchen ein jeweils anderes (morphologisch ähnliches) Weibchen an, für das sie sich zuvor nicht freiwillig entschieden hatten. Die Männchen, die aus der Population mit einer sehr niedrigen Dichte stammten, ergriffen das neue Weibchen innerhalb kurzer Zeit. Sie waren erwartungsgemäß nicht besonders wählerisch, da sie in ihrer natürlichen Umgebung nur selten auf ein Weibchen treffen und daher ihre Chance umgehend nutzen müssen.
Die Männchen aus der Population mit vielen Individuen suchten deutlich länger ihr kleines Testbecken nach alternativen (möglicherweise besseren) Weibchen ab, bevor sie das von den Forschern ausgesuchte Weibchen akzeptierten. „Oftmals kam es hier aber überhaupt nicht zur Bildung eines Amplexuspaares“, berichtet Carolin Sommer. „Gaben wir diesen Männchen nach der Trennung das von Ihnen selbst ausgewählte Weibchen zurück, nahmen sie es genauso schnell an, wie ihre männlichen Artgenossen der anderen Population es bei einem neuen Weibchen taten.“
Die nur wenige Millimeter kleinen Krebse sind also tatsächlich wählerisch, wobei das Ausmaß von der Populationsdichte in ihrer natürlichen Umgebung abhängt. „Die Populationsdichte hat also enormen Einfluss darauf, ob Mann es sich leisten kann, bei seiner Auserwählten genauer hinzusehen“, schlussfolgert Konrad Lipkowski.
Originalpublikation:
Lipkowski K, Plath M, Klaus S, Sommer-Trembo C. Population density affects male mate choosiness and morphology in the mate-guarding amphipod Gammarus roeselii (Crustacea: Amphipoda). Biological Journal of the Linnéan Society, https://dx.doi.org/10.1093/biolinnean/bly201

08.02.2019, Dachverband Deutscher Avifaunisten
Massensterben von Trottellummen entlang der niederländischen Küste
Bereits seit mehreren Wochen fallen entlang der niederländischen Nordseeküste ungewöhnlich viele tot angespülte Trottellummen auf. Eine tote Trottellumme pro Kilometer Strandabschnitt pro Tag – das liegt weit über den zu dieser Jahreszeit üblichen Totfunden. Mittlerweile wurden rund 20.000 tote Trottellummen gefunden, zahlreiche geschwächte Individuen werden in Auffangstationen gepflegt. Die Gründe für das Massensterben sind bislang unklar.
Die Vögel weisen keine äußerliche Verschmutzung auf, zeigen aber deutliche Zeichen schwerer Entkräftung und Darmschäden. Ein Zusammenhang mit der Havarie des Containerschiffs „MSC Zoe“ Anfang Januar, bei der vor der niederländischen Küste mehr als 300 teils mit Gefahrgut beladene Container über Bord gingen, konnte bislang nicht belegt werden. Erste Untersuchungen ergaben, dass sich in den Mägen der Vögel zumindest keine Plastikteile befanden. Eine genauere Analyse steht allerdings noch aus.
Stürmische Bedingungen können im Winter die Nahrungssuche der Vögel erschweren. In diesem Fall wäre es jedoch schwer erklärbar, wieso das Massensterben nur in den Niederlanden so deutlich ausfällt. Zwar wurden entlang der deutschen Nordseeküste ebenfalls mehr tote Trottellummen als üblich gefunden, jedoch nicht annähernd in einer solchen Dimension wie in den Niederlanden.
Um das Ausmaß entlang der deutschen Küste besser nachvollziehen zu können, sollten aktuelle Totfunde von Trottellummen in ornitho.de gemeldet und als Detailangabe unter „Präzisierung der Beobachtung“ mit „Totfund / Rupfung“ markiert werden.

07.02.2019, Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Sind sich Fische ihrer selbst bewusst?
Putzerfische scheinen sich selbst im Spiegel zu erkennen
Schimpansen, Delfine, Krähen und Elstern erkennen ihr Spiegelbild als Abbild des eigenen Körpers. Bislang gilt dies als Anzeichen dafür, dass diese Arten ein Bewusstsein von sich selbst besitzen. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell und der Universität Konstanz sowie der Osaka City University haben nun entdeckt, dass auch Putzerfische auf ihr Spiegelbild reagieren und versuchen, Flecken auf ihrem Körper zu entfernen, wenn sie diese im Spiegel sehen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese Fische deutlich höhere geistige Fähigkeiten besitzen als bisher angenommen. Gleichzeitig stoßen sie eine Diskussion darüber an, wie Wissenschaftler die Intelligenz von Lebewesen ermitteln können, die vom Menschen so verschieden sind.
Beim klassischen Spiegeltest markieren Forscher das Gesicht oder andere Stellen des Körpers eines Tieres mit Farbflecken. Um den Test zu bestehen, müssen die Tiere die markierte Stelle genau in Augenschein nehmen oder gezielt berühren.
Um zu überprüfen, ob Fische sich selbst im Spiegel erkennen können, haben die Forscher die Reaktion von Putzerfischen (Labroides dimidiatus) auf einen Spiegeltest untersucht. Putzerfische leben in den Ozeanen und ernähren sich von Parasiten auf der Haut anderer Fische. Die Wissenschaftler markierten die Fische an einer Stelle des Körpers, die diese nur im Spiegel betrachten konnten. Der Test galt als bestanden, wenn die Fische die markierte Stelle an einer Oberfläche reiben und so versuchen, die Farbe zu entfernen.
Tatsächlich versuchten die Putzerfische, die Flecken auf ihrer Haut zu entfernen. Versahen die Forscher die Tiere mit Flecken, gaben ihnen jedoch keinen Spiegel, reagierten die Fische dagegen nicht darauf, ebenso wenig wie auf transparente Markierungen, die im Spiegel nicht sichtbar waren. Putzerfische versuchen zudem beim Anblick anderer markierter Artgenossen nicht, vermeintliche Flecken an ihrem eigenen Körper zu entfernen. Auf Flecken direkt auf dem Spiegel reagieren sie ebenfalls nicht. „Durch all diese Beobachtungen können wir ausschließen, dass die Fische instinktiv auf an Parasiten erinnernde Markierungen in ihrer Umwelt reagieren. Nur der Anblick von Flecken auf der eigenen Haut stellt folglich für einen Putzerfisch einen Reiz dar, auf den er reagiert. Damit erfüllt das Verhalten der Putzerfische alle Kriterien für einen bestandenen Spiegeltest“, erklärt Alex Jordan vom Max-Planck-Institut für Ornithologie und der Universität Konstanz.
Belegen die Ergebnisse nun, dass Putzerfische tatsächlich ein Bewusstsein für das eigene Selbst besitzen – eine Eigenschaft die man bisher nur einigen Säugetieren und Vögeln zuschreibt? Oder sind für das Bestehen eines Spiegeltests andere Fähigkeiten nötig als bisher angenommen? „Unsere Beobachtungen lassen nur wenig Zweifel, dass dieser Fisch mit seinem Verhalten alle Kriterien für einen bestandenen Spiegeltest erfüllt. Weniger klar ist dagegen, ob man daraus schließen kann, dass Fische sich ihrer selbst bewusst sind – auch wenn in der Vergangenheit vielen Tieren ein Selbst-Bewusstsein zugeschrieben worden ist, nachdem sie den Spiegeltest bestanden hatten“, sagt Jordan.
Das Argument, dass das Verhalten der Fische nicht eindeutig genug ist, um von einem bestandenen Spiegeltest zu sprechen, würde die generelle Glaubwürdigkeit des Spiegeltests in Frage stellen. Schließlich haben sich die Putzerfische während des Tests ähnlich verhalten wie andere Tiere bei gleichem Versuchsaufbau. „Die nahe liegende Erklärung ist, dass die Fische zwar den Spiegeltest bestehen, sie sich aber nicht ihrer selbst bewusst sind. Vielmehr erkennen sie ihr Spiegelbild als Abbild des eigenen Körpers, verstehen jedoch nicht, was es bedeutet. Wir müssen also den Spiegeltest kritisch hinterfragen und überlegen, ob er weiterhin als Standard für den Selbst-Bewusstseins-Nachweis bei Tieren eingesetzt werden sollte“, sagt Jordan.
Originalpublikation:
Masanori Kohda, Hatta Takashi, Tmohiro Takeyama, Satoshi Awata, Hirokazu Tanaka, Jun-ya Asai, Alex Jordan
Cleaner wrasse pass the mark test. What are the implications for consciousness and self-awareness testing in animals?
PLOS Biology; 7 February, 2019 (DOI: 10.1101/397067)

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