Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

17.12.2018, Universität Wien
Umweltverschmutzung stresst arktische Tierwelt
Vom Menschen verursachte Umweltverschmutzung kann weitreichende Folgen für die Fortpflanzung und Überleben von Tieren haben. VerhaltensbiologInnen Isabella Scheiber von der Universität Wien und Brigitte Weiß von der Universität Leipzig haben gemeinsam mit WissenschafterInnen der Universität Groningen und der Universität Wageningen gezeigt, dass sich auch Verschmutzungen durch längst aufgegebene Kohleminen auf Stressverhalten und physiologische Prozesse negativ auswirken. Die Ergebnisse dieser Studie erscheinen aktuell in der renommierten Zeitschrift „Proceedings of the Royal Society B“.
Umweltverschmutzungen können das Verhalten und die Physiologie von Tieren beeinträchtigen. In Stresssituationen wie der Begegnung mit einem Fressfeind entscheiden angemessene Reaktionen jedoch unmittelbar über Leben und Tod. Im Rahmen einer aktuellen Studie untersuchte das ForscherInnenteam daher den Einfluss von Schadstoffen auf Verhalten und physiologische Prozesse von jungen Nonnengänsen in akuten Stresssituationen.
Ihre Studie führten sie rund um den Ort Ny-Ålesund in Norwegen auf dem arktischen Spitzbergenarchipel durch, wo vor mehr als 50 Jahren eine Kohlemine implodierte. Während die resultierenden Verschmutzungen direkt im Ort beseitigt wurden, wurde das Gebiet um die mittlerweile verlassene Mine in verunreinigten Zustand belassen. Eine seit den 1980er Jahren kontinuierlich erforschte Nonnenganspopulationen zieht in dem Gebiet ihren Nachwuchs auf und nutzt unter anderem das Gebiet der alten Mine als Nahrungsfläche. „Wir wissen durch eine von Nico v. d. Brink geleitete Begleitstudie, dass sowohl der Boden als auch die Vegetation in der verlassenen Mine noch immer erhöhte Schwermetallkonzentrationen aufweisen, und diese Schwermetalle von den Vögeln beim Fressen aufgenommen werden“, erklärt Verhaltensbiologin Scheiber.
Die WissenschafterInnen verglichen junge Gänse (sogenannte Gössel), die in den ersten Lebenstagen in der schadstoffbelasteten Mine oder in unbelasteten Gebieten fraßen. Sie erfassten dabei das Verhalten sowie die Stresshormonwerte nach etablierten Stresstests. Bei diesen Tests waren die Gössel für kurze Zeit von ihren Familienmitgliedern isoliert oder in ihrer Bewegung eingeschränkt, was bei hochsozialen Tieren wie Gänsen eine Stressreaktion hervorruft.
Schadstoff-exponierte Gössel verhielten sich während dieser Tests durchwegs unruhiger und zeigten eine stärkere Erhöhung der Stresshormonwerte als ihre nicht-exponierten Geschwister. „Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass exponierte Gössel die Tests tatsächlich als stressvoller wahrgenommen haben. Insgesamt waren die Reaktionen der exponierten Gössel zudem weniger vorhersagbar“, erläutert Brigitte Weiß.
Um sicher zu stellen, dass die exponierte Gruppe im Gebiet der Mine und die Kontrollgruppe in einem sauberen Gebiet frisst, sammelten die ForscherInnen16 Eier aus Nestern auf unbelasteten Inseln vor Ny-Ålesund und zogen die Gössel selbst auf. Für etwa drei Wochen führten sie eine Hälfte der Gössel zum Fressen in das verlassene Minengebiet, während deren Geschwister in unbelasteten Gebieten grasen durften. Den Rest des Tages verbrachten alle Gössel gemeinsam in Begleitung ihrer menschlichen Zieheltern, um die Aufzuchtbedingungen für alle Tiere so gleich wie möglich zu gestalten.
„Unsere Studie zeigt, dass die Schadstoffe aus vergangenen Umweltverschmutzungen langfristig auf einem Niveau bleiben, das ausreicht, um die Stressreaktionen der Tiere entscheidend zu verändern. „, folgert Scheiber. „Es bleibt zu untersuchen, welche Auswirkungen die frühe Aufnahme der Schadstoffe langfristig auf den Reproduktionserfolg und das Überleben der Tiere hat“, schließt Weiß, „besonders in fragilen Ökosystemen wie den Polarregionen“.
Publikation in „Proceedings of the Royal Society B“:
Scheiber, I. B. R., Weiß, B. M., de Jong, M. E., Braun, A., van den Brink, N. W., Loonen, M. J. J. E., Millesi, E. & Komdeur J. Stress behaviour and physiology of developing Arctic barnacle goslings (Branta leucopsis) is affected by legacy trace contaminants.
DOI: 10.1098/rspb.2018.1866
https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rspb.2018.1866

17.12.2018, Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns
Vegetarische Höhlenbären
Im Spätpleistozän (vor 125.000 bis 12.000 Jahren) lebten zwei Bärenarten in Europa: der Braunbär (Ursus arctos) und der heute ausgestorbene Höhlenbär (Ursus spelaeus s.l.). Es wird angenommen, dass frühere Braunbären sich ähnlich ernährten wie moderne Braunbären, aber die Ernährungsweise der Höhlenbären ist noch unklar. Seit seiner Entdeckung wird diskutiert, in welchem Ausmaß der Höhlenbär vegetarisch lebte. Eine neue Veröffentlichung in der Zeitschrift Historical Biology wirft ein neues Licht auf das Thema. Zwei Forscher aus Deutsch-land und Spanien haben nun anhand von Unterkiefermerkmalen entdeckt, dass die Ernährung des Höhlenbären wahrscheinlich hauptsächlich vegetarisch war.
Die charakteristische Form des Schädels, Unterkiefers und der Zähne des Höhlenbären sind Anpassungen an seine Ernährung. Um die Ernährung des Höhlenbären zu verstehen, haben die Forscher die Unterkiefer von Höhlenbären sowie von modernen Bären mit sogenannten „Landmarks“, biologisch bedeutsamen und wiedererkennbaren Messpunkten, versehen und diese digitalisiert. Mit einer statistischen Methode, der sogenannten geometrischen Morphometrie, verglichen die Forscher an Hand dieser „Landmarks“ die dreidimensionale Form der Unterkiefer des Höhlenbären mit der von modernen Bärenarten. „Die Analysen zeigten, dass die Entwicklung des Unterkiefers des Höhlenbären in die gleiche Richtung ging wie bei Riesenpandas. Die Ergebnisse wurden nun in der Zeitschrift Historical Biology publiziert. „Dies gibt uns den Hinweis, dass Höhlenbären an eine ähnliche Ernährung angepasst und primär vegetarisch waren.“, erklärt Anneke van Heteren, Leiterin der Säugetiersektion an der Zoologischen Staatssammlung München (SNSB-ZSM) und Hauptautorin des Artikels.
„In dieser Studie haben wir neueste statistische Methoden benutzt, welche auch die Größe des Tieres und de-ren Verwandtschaft in Bezug nehmen“, sagt Borja Figueirido, Juniorprofessor in der Paläontologiegruppe der Abteilung für Ökologie und Geologie an der Universität Málaga (Spanien) und Ko-Autor der Veröffentlichung.
Für die weitere Erforschung des Höhlenbären wollen die Wissenschaftler noch zusätzliche Untersuchungen vornehmen: Geplant ist die Analyse morphologischer Unterschiede der Schädel verschiedener Unterarten der Höhlenbären, um auch Rückschlüsse auf deren Ernährungsweise zu ziehen. Außerdem soll die dreidimensionale Computersimulation – die sogenannte Finite Element Analyse – der Schädel und Unterkiefer Aufschluss geben über die Bisskraft der ausgestorbenen Höhlenbären.
Originalpublikation:
van Heteren AH, Figueirido B. 2018. Diet reconstruction in cave bears from craniodental morphology: past evi-dences, new results and future directions. Historical Biology. DOI: 10.1080/08912963.2018.1547901,
https://doi.org/10.1080/08912963.2018.1547901

18.12.2018, Forschungsverbund Berlin e.V.
Schutz der Säugetiere Afrikas durch Beobachtung aus dem All
Wissenschaftler des deutsch-russischen Tierbeobachtungssystems Icarus haben in Namibia 30 Individuen zwölf verschiedener Arten mit elektronischen Ohrmarken ausgestattet, darunter Elefanten, verschiedene Antilopen- und Gnu-Arten, sowie Giraffen, Zebras und Geparde. Nachdem Mitte August 2018 russische Kosmonauten die Icarus-Antenne an der Außenseite der Internationalen Raumstation (ISS) angebracht und mit dem Bordcomputer verbunden haben, soll nun Ende Dezember die Testphase für das erdumspannende Beobachtungssystem beginnen.
Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell, dem Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin, der Universität Konstanz, dem Unternehmen I-GOS und der Deutschen Luft- und Raumfahrtagentur haben im privaten Elefantenreservat Okambara in Namibia Mini-Sender an den Ohren und Hörnern der Tiere befestigt. „Wir wollen auf diese Weise testen, welche der Sender für die Beobachtung der Tierwanderungen in der afrikanischen Savanne am besten geeignet sind“, sagt Martin Wikelski, Direktor am Max-Planck-Institut für Ornithologie und Leiter von Icarus. Die Sender speichern ebenfalls die Beschleunigung im Raum, Temperatur, Feuchtigkeit, Luftdruck und Magnetfeldausrichtung und geben damit genaue Auskunft über die Umwelt sowie das Verhalten und die Gesundheit der Tiere.
Schutz auf der Wanderung
Viele der großen Säugetiere Afrikas unternehmen im Lauf eines Jahres ausgedehnte Wanderungen auf der Suche nach neuen Weideplätzen. Dabei geraten sie inzwischen immer häufiger in Konflikt mit dem Menschen. So blockierte beispielsweise von 1968 bis 2004 ein Zaun die Wanderung der Zebras im Okavango-Delta in Botswana. Nachdem das Hindernis entfernt worden war, nahmen die Tiere ihre Wanderungen wieder auf. „Das Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, das Wanderverhalten und die Routen der großen Säuger zu kennen. Die Icarus-Sender werden uns künftig verraten, wo Mensch und Tier aufeinandertreffen und wie wir die Tiere dann am besten schützen können“, erklärt Jörg Melzheimer vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung.
Bis die Testphase von Icarus erfolgreich abgeschlossen ist, werden die Daten der Tiere terrestrisch ausgelesen. Hierfür haben die Wissenschaftler eine lokale Empfangsantenne im Okambara-Reservat installiert.

18.12.2018, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)
Wie Arten entstehe
Die Geschwindigkeit der Evolution lässt sich einerseits von Fossilien, andererseits von Verwandtschaftsbäumen ableiten – oft jedoch mit abweichenden Ergebnissen. Mithilfe eines neuen Modells haben ETH-Forschende den Widerspruch nun aufgelöst.
Die Geschwindigkeit, mit der in der Evolution neue Tier- und Pflanzenarten entstanden oder bereits existierende wieder ausgestorben sind, ist von grossem Interesse – nicht nur für Wissenschaftler. Denn Artbildungs- und Aussterberaten verraten viel über die Vergangenheit unseres Planeten. Tauchen in kurzen Abständen neue Arten auf, deutet das darauf hin, dass die Lebensbedingungen auf der Erde günstig gewesen sein müssen. Hingegen können aussergewöhnliche Ereignisse ein Massenaussterben auslösen. Das berühmteste Beispiel ist das Verschwinden der Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren, wahrscheinlich verursacht durch einen Meteoriteneinschlag oder Vulkanausbrüche.
Rätselhafte Abweichung
Die Frequenz, mit der Arten in der Vergangenheit auftauchten und wieder verschwanden, ist jedoch schwierig zu bestimmen. «Es war ja niemand dabei, als diese Prozesse abliefen», sagt Rachel Warnock, Postdoktorandin in der Forschungsgruppe Computational Evolution an der ETH Zürich.
Deshalb versuchen Wissenschaftler, die Entstehungs- und Aussterberaten mit indirekten Methoden abzuleiten. Wichtige Informationen liefern zum einen Fossilienfunde aus verschiedenen geologischen Zeitaltern. Zum anderen können auch auf DNA-Analysen basierende, sogenannte phylogenetische Verwandtschaftsbäume heute lebender Arten Hinweise geben. Aus diesen Stammbäumen lässt sich mit statistischen Methoden ebenfalls ableiten, wie oft in der Vergangenheit neue Arten entstanden und alte ausstarben.
Für die Wissenschaftler ist jedoch problematisch, dass die beiden genannten Methoden oft abweichende Ergebnisse liefern. Die aus Fossilienfunden abgeleiteten Entstehungs- und Aussterberaten sind oft viel höher als jene von phylogenetischen Methoden. Bisher war unklar, wie es zu dieser Abweichung kommt.
Verschiedene Ansätze vereint
Eine Erklärung haben nun Rachel Warnock und Tanja Stadler, Leiterin der Forschungsgruppe Computational Evolution, zusammen mit weiteren Wissenschaftlern gefunden. «Die beiden Methoden basieren auf unterschiedlichen Annahmen, wie Artbildung abläuft», sagt Warnock. Deshalb gelangen sie zu verschiedenen Ergebnissen. Wird jedoch von denselben Annahmen ausgegangen, lassen sich die Ergebnisse der beiden Methoden in Deckung bringen.
Das konnten die Forschenden am Beispiel verschiedener Tiergruppen zeigen, etwa der Wale, der Hunde- und der Rinderartigen. Gelungen ist ihnen dies mit Hilfe eines eigens entwickelten Computermodells. «Mit diesem ist es nun möglich, beide Sichtweisen zu vereinen», sagt Warnock. Die Resultate der Arbeit wurden in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.
Erkenntnisse zur Artbildung
Man geht davon aus, dass es nicht nur eine, sondern verschiedene Möglichkeiten gibt, wie neue Arten entstehen. Dabei führt jeder Modus zu unterschiedlichen Ergebnissen: Es können entweder eine oder zwei neue Arten gleichzeitig entstehen, während der Vorfahre, die alte Art, entweder weiter existiert oder ausstirbt. «Diese verschiedenen Möglichkeiten hat man in den statistischen Methoden zur Analyse von Stammbäumen und Fossilien bisher nicht explizit berücksichtigt», sagt Warnock. Das neue Modell bezieht sie nun mit ein und erreicht so, dass fossilienbasierte und phylogenetische Informationen vergleichbare Artbildungs- und Aussterberaten liefern.
Es gibt zudem Hinweise darauf, welcher Modus der Artentstehung bei einer Tier- oder Pflanzengruppe vorwiegend am Werk gewesen sein muss. Beispielsweise lässt sich aus dem Stammbaum der Walartigen ableiten, dass der häufigste Modus die Umwandlung war, dass also alte Arten in neue übergegangen sind (Modus 3, siehe Infobox). Somit kann das Modell künftig dazu dienen, neue Erkenntnisse über die Evolution von Organismen zu gewinnen. Zudem erlaubt es, die Ergebnisse fossilienbasierter und phylogenetischer Analysen besser als bisher in Einklang zu bringen.
Originalpublikation:
Silvestro D, Warnock RCM, Gavryushkina A, Stadler T. Closing the gap between palaeontological and neontological speciation and extinction rate estimates. Nature Communications, volume 9, Article number: 5237 (2018). doi: 10.1038/s41467-018-07622-yhttps://doi.org/10.1038/s41467-018-07622-y

18.12.2018, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Versteinerte Konkurrenz
Ökologische Wechselwirkungen zwischen Organismen haben einen entscheidenden Einfluss auf die Artenvielfalt, wirken aber nur kleinräumig und können fossil kaum beobachtet werden. Forscherinnen und Forscher vom Museum für Naturkunde Berlin haben nun versucht dieses Problem zu lösen. Ihre in der Fachzeitschrift PNAS (Proceedings of the National Academy of Science) veröffentlichte Studie gibt Aufschluss darüber, welche biologischen Faktoren zu welchem Zeitpunkt in der Erdgeschichte Diversifizierungsprozesse in Gang gehalten haben.
Tiere stehen miteinander in intensiven Wechselbeziehungen, welche direkten Einfluss auf die Biodiversitätsentwicklung haben können. Das Zusammenspiel aus Konkurrenz, Jagddruck oder der Eroberung neuer Nischen befeuert oder bremst den Artenreichtum in Ökosystemen. Die evolutiven Auswirkungen dieser Prozesse spielen sich auf längeren Zeitskalen ab, was die Betrachtung der Biodiversitätsgeschichte vergangener Erdzeitalter erfordert. Im Fossilbericht lassen sich solche Effekte jedoch nur schwer nachweisen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter der Leitung von Richard Hofmann vom Museum für Naturkunde Berlin haben nun versucht, so nah wie möglich an die räumliche Auflösung von Meereshabitaten in der geologischen Vergangenheit heranzukommen und mit Hilfe von Diversitätsanalysen indirekt auf biologische Wechselwirkung zu schließen.
Die Forschenden nutzten die Datenfülle globaler Fossilvorkommen der PBDB (Paleobiology Database) und rekonstruierten verschiedene Diversitätsmaße für 340 geologische Formationen aus den letzten 540 Millionen Jahren. So lässt sich testen, wie hohe Diversitäten in fossilen Ökosystemen erreicht wurden: entweder durch eine lokale Anreicherung von Arten in Habitaten, die jedoch insgesamt wenig abwechslungsreich sind, oder durch eine Aneinanderreihung von artenarmen, aber untereinander sehr variablen Habitaten. Vergleicht man diese Muster in der Diversitätsverteilung in vielen geologischen Formationen, kann der Einfluss von ökologischen Effekten wie Konkurrenz- oder Jagddruck abgeschätzt werden.
In der in PNAS veröffentlichten Studie konnten die Forscherinnen und Forscher zunächst zeigen, dass der Anstieg der Gesamtdiversität immer vor allem durch einen Anstieg der lokalen Artenanzahl bestimmt wird. So findet sich keine lokale Sättigung in der Artenanzahl, woraus sich ableiten lässt, dass zwischenartliche Konkurrenz kein limitierender Faktor ist. Im Gegenteil: Konkurrenz sorgt dafür, dass sich Arten in Ökosystemen auf Einzelhabitate spezialisieren, welche in Folge dessen in ihrer Zusammensetzung unterschiedlicher und damit insgesamt diverser werden. Dieser Effekt lässt sich jedoch nur bis in mittlere Diversitätsbereiche beobachten. „Daraus können wir schließen, dass zwischenartliche Konkurrenz nur bis zu einer bestimmen Gesamtartenanzahl eine Rolle spielen kann. Ist diese Grenze einmal erreicht, lässt sich die Artenanzahl in einem Ökosystem nicht durch weitere Spezialisierung seiner Bewohner steigern“, erklärt Erstautor Richard Hofmann vom Museum für Naturkunde Berlin.
Noch mehr Arten lokal unterzubringen klappt aber anscheinend immer: So war es überraschend, dass die Diversität hier unbegrenzt scheint. Insbesondere in jüngeren Ablagerungen der letzten 100 Millionen Jahre finden sich die artenreichsten Ökosysteme des betrachteten Zeitraums unter nur noch geringfügigen Veränderungen der Faunenzusammensetzung. Die Häufung dieses Musters in der Diversitätsverteilung seit der Kreidezeit geht mit einer prinzipiellen Komplexitätszunahme in marinen Lebensräumen einher. Der zunehmende Druck durch Räuber bzw. die Reaktion der Beutetiere trieb die Erschließung neuer ökologischer Nischen an, was sich in einer Zunahme der biologischen Vielfalt widerspiegelt.
Die Erkenntnisse sind wichtig um zu verstehen, welche ökologischen Rahmenbedingungen herrschen müssen, um biologisch gesteuerte Artbildungsprozesse in Gang zu halten. So bestätigen die Forscherinnen und Forscher mit ihrer Arbeit ein Diversifizierungsmodell, welches darauf hinweist, dass Konkurrenz ihren Einfluss auf Diversifizierungsprozesse nach immensen Artverlusten verliert.
Hofmann, R, Tietje, M. and Aberhan, M. (2018) Diversity partitioning in Phanerozoic benthic marine communities. Proceedings of the National Academy of Science.
www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1814487116

19.12.2018, Georg-August-Universität Göttingen
Baum der Schrecken
Stab- und Gespenstschrecken (Phasmatodea) gehören zu den charismatischsten Insekten auf der Erde: Sie sind ausgesprochen groß und dank ihrer enormen Fähigkeit, sich zum Schutz perfekt als Äste, Rinde oder Blätter zu tarnen, von bizarrer Erscheinung. Ein deutsch-amerikanisches Forscherteam mit Beteiligung der Universität Göttingen hat nun den bislang umfangreichsten genetischen Stammbaum der Phasmatodea veröffentlicht.
Von den weltweit mehr als 3.000 wissenschaftlich beschriebenen Arten untersuchten die Forscher eine Auswahl von fast 300. Dabei legten sie ihren Fokus auf die Fortpflanzungsstrategien in den unterschiedlichen Evolutionslinien. „Verwandtschaftsbeziehungen sind stärker von der geografischen Verbreitung der Tiere geprägt als von deren anatomischer Ähnlichkeit“, erläutert der Göttinger Biologe Dr. Sven Bradler die Ergebnisse. „Auch haben sich ähnliche Ei-Formen und Strategien in der Ei-Ablage in allen Erdteilen immer wieder aufs Neue entwickelt.“ Darüber hinaus fanden die Forscher heraus, dass sich die meisten Stab- und Gespenstschrecken nach der Kreidezeit entwickelten, also erst nach Aussterben der Dinosaurier vor etwa 66 Millionen Jahren.
Die Eier von Stabschrecken sind äußerst divers gestaltet. Stabschrecken geben auch während der Ei-Ablage ihre Tarnung in der Baumkrone nicht auf – sie schleudern ihre Eier von dort aus auf den Boden. Die extrem harte Ei-Kapsel sorgt dafür, dass der Nachwuchs hierbei nicht zu Schaden kommt. Häufig veranlassen griffförmige Aufsätze auf den Kapseln, die Nährstoffe enthalten, Ameisen dazu, die Eier umherzutragen und so zur Verbreitung der Stabschrecken beizutragen. Andere Stabschrecken kleben Eier auf Pflanzenteile oder stechen sie in Blätter ein. Gespenstschrecken, die auf dem Boden leben, legen speziell geformte Eier tief in die Erde.
„Stabschrecken dienen zunehmend als Modellorganismen in der Evolutionsforschung“, so Bradler. „Der neue Stammbaum bildet somit die Grundlage für eine Vielzahl zukünftiger Studien.“
Originalpublikation:
James A. Robertson, Sven Bradler, Michael F. Whiting. Evolution of oviposition techniques in stick and leaf insects (Phasmatodea). Frontiers in Ecology and Evolution 2018. https://doi.org/10.3389/fevo.2018.00216.

19.12.2018, Universität Wien
Das Musikverständnis der Weißbüscheläffchen
Beim Sprechen und Musizieren hängen die einzelnen Worte und Noten voneinander ab. Menschen können diese Zusammenhänge, das heißt die strukturellen Abhängigkeiten, ausgezeichnet wahrnehmen. Der evolutive Ursprung dieser Fähigkeit ist noch weitgehend ungeklärt. KognitionsbiologInnen der Universität Wien haben nun Playbackexperimente mit Weißbüscheläffchen durchgeführt und herausgefunden, dass die Sensibilität für strukturelle Abhängigkeiten bereits im gemeinsamen Vorfahren von Weißbüscheläffchen und Menschen existiert haben könnte. Die Ergebnisse der Studie erschienen kürzlich im Fachmagazin „Evolution and Human Behavior“.
Alle Affenarten, Menschen und ihre Verwandten, produzieren eine Vielzahl an Lauten. Jedoch nur Menschen besitzen Sprache und Musik. Diese Fähigkeiten verlangen nach der Sensibilität für strukturelle Abhängigkeiten. Menschen erwarten, dass ein Satz ein Nomen und das zugehörige Verb enthält und dass eine Melodie aus aufeinander abgestimmten Tönen besteht. Ist diese „Abhängigkeits-Sensibilität“ ebenfalls exklusiv menschlich oder existiert sie auch in anderen Primaten? Um diese Frage zu beantworten, haben Stephan Reber und Vedrana Šlipogor mit KollegInnen vom Department für Kognitionsbiologie der Universität Wien das Verhalten von Weißbüscheläffchen untersucht. Diese Art gehört zu den Neuweltaffen, die sich vor über 30 Millionen Jahren von den Altweltaffen (inklusive Menschen) abgespalten haben.
Die ForscherInnen spielten den Äffchen Sequenzen aus Pieptönen vor, die mit einem tiefen Ton begannen und endeten – dazwischen fand sich eine variable Anzahl von hohen Tönen. Die tiefen Töne stellten die Abhängigkeit dar und genau wie in Sprache oder Musik war die Distanz zwischen diesen Elementen unterschiedlich lang. Nachdem die Weißbüscheläffchen hunderte dieser Sequenzen gehört hatten, wurden ihnen einzeln zwei neuartige Playbackkategorien vorgespielt: Sequenzen mit dem gleichen Aufbau wie zuvor (auch solche mit einer anderen als der vertrauten Anzahl von hohen Tönen zwischen den beiden tiefen) und Sequenzen bei denen der erste oder der letzte tiefe Ton fehlte. Bei Letzteren fehlte die strukturelle Abhängigkeit.
Die ForscherInnen überprüften, ob die Äffchen je nach abgespielter Kategorie unterschiedlich oft zum Lautsprecher hinschauten. Dabei benutzen sie eine spezielle Software, kreiert von Co-Autor Jinook Oh, die die Kopfbewegungen der Äffchen automatisch verfolgen konnte. Das neuartige Verfahren sorgte für eine nie dagewesene Präzision bei Verhaltensaufzeichnung. „Wahrscheinlich ist der Unterschied zwischen den Sequenzen mit und ohne strukturelle Abhängigkeiten von geringer Bedeutung für unsere Weißbüscheläffchen. Deshalb haben wir ein Verfahren entwickelt, das selbst die kleinsten Kopfbewegungen aufzeichnen kann“, erklärt Reber.
So stellte sich heraus: die Äffchen unterschieden tatsächlich zwischen den Playbacks. Sie drehten sich häufiger zum Lautsprecher um, wenn sie Sequenzen mit den Abhängigkeiten hörten. „Das war überraschend, weil Primaten in solchen Experimenten normalerweise stärker auf unerwartete Reize reagieren. Eine Präferenz für vertraute Sequenzen wird allerdings häufig in Studien an Kleinkindern beobachtet“, so Šlipogor. Der Nachweis einer solchen „Abhängigkeits-Sensibilität“ suggeriert, dass dieser wichtige Aspekt der Sprache bereits im gemeinsamen Vorfahren von Alt- und Neuweltaffen, von Weißbüscheläffchen und Menschen, existiert hat.
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1016/j.evolhumbehav.2018.11.006

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