Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

20.02.2024, Georg-August-Universität Göttingen
Vom Regenwald zur Plantage: Umwandlung prägt Nahrungsnetze und Biodiversität
Forschungsteam untersucht Auswirkungen veränderter Landnutzung auf Ökosysteme in Sumatra
Jeden Tag werden große Flächen Regenwald in Plantagen umgewandelt. Die Biodiversität und das Ökosystem verändern sich dabei drastisch. Das Wissen über die Folgen ist jedoch lückenhaft: Bisherige Studien befassten sich entweder mit der Vielfalt von Arten oder mit der Funktionsweise des Ökosystems. Nun hat ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Universitäten Göttingen und Bogor (Indonesien) beide Aspekte in einer Studie vereint.
Die Forschenden erfassten Tiergemeinschaften von mikroskopisch kleinen Milben im Boden bis zu Vögeln in den Baumkronen und analysierten Nahrungsnetze im Regenwald und auf Kautschuk- und Ölpalmenplantagen in Sumatra, Indonesien. Ihre Studie gibt erstmals Aufschluss über die Weitergabe von Energie zwischen den Tieren des Bodens und der Baumkronen in tropischen Ökosystemen, die besonders artenreich sind. Sie zeigt, dass sich mit der Umwandlung von Regenwald in Plantagen die Nahrungsnetze grundlegend verändern. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.
Die Forschenden verglichen 32 Standorte im Regenwald und auf Plantagen im Hinblick auf das Vorkommen von Tieren und Pflanzen sowie die Funktionsweise der Nahrungsnetze anhand ihrer trophischen Struktur, ihrer Biomasse und der Energieflüsse. Mit vielfältigen Methoden erhoben sie Daten zu den Arten mit ihren jeweiligen Individuenzahlen und ihrer Biomasse: Arthropoden der Baumkronen wie Insekten und Spinnen wurden durch „Fogging“ ermittelt, Vögel durch Tonaufnahmen und Beobachtung und Arthropoden des Bodens sowie Regenwürmer aus Bodenkernen. Anschließend analysierten die Forschenden die Daten anhand von Modellen, die Merkmale wie die Körpergröße und Ernährungsweise der Tiere berücksichtigen. So rekonstruierten sie die Nahrungsnetze für jeden Standort und jede Tiergemeinschaft. Die Ergebnisse dienten als Maß für die Verteilung der Energie und den Verbrauch von Ressourcen wie Pflanzen, Tieren, Pilzen und Bakterien in Nahrungsnetzen oberhalb und innerhalb des Bodens. Dieses Vorgehen erlaubt Rückschlüsse auf den Beitrag von Tieren zu Zersetzungsprozessen und ihre Bedeutung als Räuber von beispielsweise Raupen und Käfern.
Bei den Tiergemeinschaften im Regenwald floss laut Studie ein Großteil der Energie zu den Arthropoden im Nahrungsnetz des Bodens. Auf Plantagen verteilte sich die Energie dagegen anders: Die Nahrungsnetze in den Baumkronen waren weniger reichhaltig und weniger komplex. Auch die Nahrungsnetze im Boden waren verändert. Statt einer vielfältigen Gemeinschaft von Arthropoden dominierten hier invasive Regenwurmarten, die den Energiefluss durch das gesamte Nahrungsnetz prägten. Dieser Umstand erklärt den Forschenden zufolge, dass es auf den untersuchten Plantagen nur wenige Räuber, dafür aber relativ viele pflanzenfressende Insekten wie Raupen und Käfer gab.
„Es ist faszinierend, wie all diese Organismen miteinander verbunden sind, von winzigen Arthropoden bis zu Vögeln, vom Boden bis zu den Baumkronen. Diese Verbindungen müssen über die verschiedenen Teilbereiche des Ökosystems erforscht werden. Besonders die Biodiversität im Boden unter unseren Füßen erfordert mehr Aufmerksamkeit“, sagt Erstautor Dr. Anton Potapov, der während der Datenerhebung an der Universität Göttingen und anschließend am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) beschäftigt war.
„Die fortschreitende Umwandlung von Regenwald in Plantagen führt nicht nur zu einem massiven Rückgang der Biodiversität. Sie verändert auch die Funktionsweise dieser Ökosysteme“, betont Prof. Dr. Stefan Scheu, der die Abteilung Tierökologie an der Universität Göttingen leitet und die Studie betreut hat. „Für ein nachhaltiges Management umgewandelter Ökosysteme müssen wir die Auswirkungen auf die darin vernetzten Bestandteile verstehen. Dann kann ein ganzheitlicherer Ansatz entwickelt werden, um das Funktionieren der Ökosysteme ober- und unterirdisch zu fördern.“
Die Forschung wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des Sonderforschungsbereichs (990) „Ökologische und sozioökonomische Funktionen tropischer Tieflandregenwaldtransformationssysteme EFForTS“ gefördert. Ebenfalls an der Studie beteiligt waren Forschende der Universitäten Hohenheim, Bern und Cambridge.
Originalpublikation:
Potapov, A. M. et al. Rainforest transformation reallocates energy from green to brown food webs. Nature (2024). DOI: https://doi.org/10.1038/s41586-024-07083-y

21.02.2024, Universität Wien
Bartenwale haben einen einzigartigen Kehlkopf entwickelt, um zu kommunizieren
Laborversuche und Computersimulationen erklären erstmals, wie Bartenwale ihre Stimme erzeugen
Bartenwale wie Blau-, Grau- und Buckelwale sind in der riesigen Meeresumwelt, in der sie leben, auf die Erzeugung von Tönen angewiesen, die sich in den Ozeanen weit verbreiten. Trotz der Entdeckung der Walgesänge vor mehr als 50 Jahren war jedoch nicht bekannt, wie Bartenwale ihre komplexen Laute erzeugen – bis jetzt. In einer neuen Studie berichten die Stimmforscher Tecumseh Fitch von der Universität Wien und Coen Elemans von der Universität Süddänemark, dass Bartenwale einzigartige Strukturen in ihrem Kehlkopf entwickelt haben, die ihre tieffrequenten Laute ermöglichen, aber auch ihre Kommunikationsreichweite begrenzen. Die Ergebnisse wurden aktuell in der renommierten Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.
Bartenwale sind die größten Tiere, die jemals auf unserem Planeten gelebt haben und spielen eine wichtige Rolle in den marinen Ökosystemen. „Die Zahn- und Bartenwale entwickelten sich aus Landsäugetieren, die einen Kehlkopf hatten, der zwei Funktionen erfüllte: Schutz der Atemwege und Schallerzeugung. Der Übergang zum Leben im Wasser stellte jedoch neue und hohe Anforderungen an den Kehlkopf“, erklärt Tecumseh Fitch. Die neue Studie geht nun dieser Evolution auf den Grund, enthüllt die Geheimnisse des Walgesangs und zeigt: Bartenwale haben neuartige und einzigartige Strukturen entwickelt, die nur bei ihnen zu finden sind – diese erlauben es ihnen ihre einmaligen Töne zu erzeugen.
Im Detail bedeutet das etwa, dass sich die winzigen Knorpel im menschlichen Kehlkopf – die so genannten „Stellknorpel“ oder „Arytenoide“ –, die die Position der Stimmlippen verändern, in der Entwicklung der Wale dramatisch verändert haben. „Die Arytenoide haben sich in große, lange Zylinder verwandelt, die an der Basis miteinander verschmolzen sind und eine große U-förmige, starre Struktur bilden, die sich fast über die gesamte Länge des Kehlkopfes erstreckt“, erklärt Coen Elemans. „Dies dient wahrscheinlich dazu, die Atemwege offen zu halten, wenn bei der intensiven Oberflächenatmung große Mengen an Luft ein- und ausströmen müssen“, ergänzt Fitch. „Wir haben festgestellt, dass diese U-förmige Struktur gegen ein großes Fettpolster im Inneren des Kehlkopfes drückt. Wenn die Wale die Luft aus ihren Lungen an diesem Kissen vorbeidrücken, beginnt es zu vibrieren, und das erzeugt sehr niederfrequente Unterwassergeräusche“, so Elemans weiter.
Neues 3D-Modell kann natürliche Laute voraussagen
Untersuchungen wie diese sind jedoch nicht einfach, denn die einzige Gelegenheit dazu bietet sich nur bei gestrandeten Walen – was wiederum schwierig ist, da das Gewebe der Tiere rasch verwest und dann nicht mehr untersuchbar ist. Den Wissenschafter*innen gelang es nun einen Seiwal, einen Buckelwal und einen Zwergwal aus Netzen für gestrandete Meeressäuger zu untersuchen. Im Laborversuch wurde die Tonproduktion dieser Tiere erfolgreich rekonstruiert. Um zu verstehen, wie die Muskelaktivität die Rufe verändern könnte, erstellten die Wissenschafter*innen weiters ein Computermodell des gesamten Wal-Kehlkopfes. Mit dieser funktionellen 3D-Rekonstruktion der Stimmproduktions-Anatomie konnte simuliert werden, wie Muskelkontraktionen die Frequenzen des Walgesangs beeinflussen. Das Modell erlaubte überdies, die Meerestiefen, in denen Wale ihre Gesänge produzieren, vorherzusagen.
Menschlicher Lärm macht es Walen teils unmöglich sich zu verständigen
Die neuen Ergebnisse bringen jedoch auch eine bedauerliche Erkenntnis: Wale erzeugen aufgrund ihrer speziellen anatomischen Kehlkopfausprägung ihre Unterwasser-Laute in exakt jenen Meerestiefen und Tonfrequenzen, wo vom menschlichen Schiffsverkehr produzierter Lärm häufig dominiert. Das schränkt ihre Kommunikationsreichweite empfindlich ein.
Originalpublikation:
Coen Elemans, Tecumseh Fitch et al.: ‚Evolutionary novelties underlie sound production in baleen whales
DOI: 10.1038/s41586-024-07080-1
https://www.nature.com/articles/s41586-024-07080-1

22.02.2024, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Neurobiologie: Wie Fledermäuse verschiedene Laute unterscheiden
Fledermäuse leben in einer Hörwelt. Sie nutzen ihre Stimme sowohl zur Kommunikation mit ihren Artgenossen, als auch zur Orientierung in der Umwelt. Dazu stoßen sie Ortungslaute im Ultraschallbereich aus, aus deren Echos sie ein Abbild ihrer Umgebung formen. Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftler der Goethe-Universität haben nun herausgefunden, wie es der südamerikanischen Brillenblattnase gelingt, aus einer Geräuschkulisse die wichtigen Signale herauszufiltern und dabei insbesondere zwischen Echoortungs- und Kommunikationsrufen zu unterscheiden.
Die Brillenblattnasen-Fledermaus (Carollia perspicillata) lebt in den subtropischen und tropischen Wäldern Mittel- und Südamerikas und ernährt sich dort hauptsächlich von Pfefferfrüchten. Die Tage verbringen die Tiere in Gruppen von 10 bis 100 Individuen in Baumhöhlen und Felsgrotten, nachts gehen sie gemeinsam auf Futtersuche. Dabei verständigen sie sich mit Kommunikationslauten, die in der Kolonie eine ausgeprägte Geräuschkulisse bilden – wie das Stimmengewirr auf einer lebhaften Party. Gleichzeitig nutzen die Fledermäuse ihre Stimme aber auch für die Orientierung in der Umwelt: Für die Echoortung senden sie Ultraschalllaute aus, die von festen Oberflächen zurückgeworfen werden. Aus diesen Echos gewinnen die Tiere ein Abbild ihrer Umgebung.
Wie aber gelingt es der Brillenblattnase, aus einer permanenten Geräuschkulisse die wichtigen Laute herauszufiltern? Ein gängiges Erklärungsmodell besagt, dass das Gehirn laufend Vorhersagen für das nächste Signal macht und auf ein unerwartetes Signal stärker reagiert als auf ein erwartetes. Die Mechanismen dieser Abweichungserkennung (Deviance Detection) untersuchen Neurowissenschaftler*innen um Johannes Wetekam und Prof. Manfred Kössl aus der Abteilung Neurobiologie und Biosensorik am Institut für Zellbiologie und Neurowissenschaften der Goethe-Universität. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen konnten sie bereits 2021 zeigen, dass die Verarbeitung der Signale nicht erst in höheren Hirnregionen beginnt, sondern bereits im Hirnstamm, der für die Steuerung wesentlicher Lebensfunktionen wie Atmung und Herzfrequenz zuständig ist. Diese Studien hatten allerdings lediglich künstliche Stimuli verwendet, die für die Tiere keine Bedeutung haben.
In einer jetzt veröffentlichten Studie hat das Team um Wetekam und Kössl die Experimente mit natürlichen Kommunikations- und Echoortungslauten wiederholt. „Mit unserer Studie wollten wir herausfinden, wie sich die Abweichungserkennung verhält, wenn anstelle von bedeutungslosen Stimuli solche präsentiert werden, die in der Hörwelt der Brillenblattnasen auch wirklich vorkommen“, fasst Wetekam zusammen.
Dafür wurden den Fledermäusen zwei haarfeine Elektroden unter die Kopfhaut geschoben, um dort die Hirnströme aufzuzeichnen. Obwohl dies für die Tiere schmerzlos ist, werden die Messungen unter Narkose durchgeführt, da Bewegungen die Ergebnisse verfälschen könnten.
Auf Geräusche reagiert das Fledermausgehirn auch im Narkoseschlaf. Den Tieren wurden dann entweder Echoortungs- oder Kommunikationsrufe vorgespielt, in die mit einer Wahrscheinlichkeit von zehn Prozent der jeweils andere Laut eingestreut war.
An den gemessenen Hirnströmen ließ sich dann ablesen, dass der Hirnstamm Echoortungs- und Kommunikationsrufe unterschiedlich verarbeitet. Während seltene Echoortungslaute tatsächlich stärkere Signale hervorriefen als häufige – also Abweichungserkennung zeigten – hatte bei den Kommunikationslauten die Auftrittswahrscheinlichkeit keinen Einfluss auf die Antwortstärke. „Wahrscheinlich werden während der Echoortung schnellere Reaktionszeiten benötigt als bei der Kommunikation mit Artgenossen“, vermutet Manfred Kössl. „Da der Hirnstamm die akustischen Signale als erste Station im Gehirn empfängt, könnte es nötig sein, schon hier die Auftrittswahrscheinlichkeiten von Echoortungsrufen und vor allem deren Echos zu berechnen, damit das Tier Hindernissen rechtzeitig ausweichen kann.“ Die stärkere Antwort auf die seltenen Rufe entsteht vermutlich durch eine bessere Synchronisation der Neuronen.
Weiterhin zeigte die Studie, dass der Hirnstamm neben Unterschieden in der Tonhöhe auch noch andere Merkmale der Fledermausrufe wie schnelle Frequenz- oder Lautstärkeänderungen für die Abweichungserkennung nutzen kann. „Dies ist erstaunlich, da es sich beim Hirnstamm um ein recht primitives Hirnareal handelt, dem man nicht zugetraut hatte, stark an der Signalverarbeitung beteiligt zu sein“, so Wetekam. „Seine Rolle wurde eher darin gesehen, Signale vom Hörnerv zu empfangen und an höhere Hirnregionen weiterzuleiten.“
Diese Erkenntnisse können auch in Bezug auf medizinische Anwendungen beim Menschen von Bedeutung sein. So sollten bei der Untersuchung von Krankheiten wie ADHS oder Schizophrenie, die in Verbindung mit einer gestörten Verarbeitung von Umweltreizen stehen, die niedrigeren Hirnareale einbezogen werden. Die Tatsache, dass verschiedene komplexe akustische Signale im Hirnstamm der Fledermaus unterschiedlich verarbeitet werden, kann auch dabei helfen zu verstehen, wie die Komplexität der menschlichen Sprache im Gehirn entschlüsselt und verarbeitet wird.
Originalpublikation:
Johannes Wetekam, Julio Hechavarria, Luciana López-Jury, Eugenia Gonzáles-Palomares, Manfred Kössl: Deviance detection to natural stimuli in population responses of the brainstem of bats. Journal of Neuroscience (2024) https://doi.org/10.1523/JNEUROSCI

23.02.2024, Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart
Forschende stellen einen 240 Millionen Jahre alten „chinesischen Drachen“ vor.
Ein internationales Team von Wissenschaftler*innen aus China, USA und Europa, darunter Dr. Stephan Spiekman, Paläontologe am Naturkundemuseum Stuttgart, hat neue Fossilien des Meeressauriers Dinocephalosaurus orientalis erforscht. Diese Untersuchungen haben es ermöglicht, das bizarre, sehr eindrucksvolle Tier zum ersten Mal vollständig zu beschreiben.
Dinocephalosaurus orientalis hatte einen außergewöhnlich langen Hals und erinnert die Forschenden an den schlangenartigen, mythischen chinesischen Drachen. Die Forschungsergebnisse zu Dinocephalosaurus orientalis wurden nun in der Fachzeitschrift „Earth and Environmental Science Transactions of the Royal Society of Edinburgh“ veröffentlicht – pünktlich zu Beginn des chinesischen Jahres des Drachen.
Im Jahr 2003 wurden ein Schädel und die ersten drei Halswirbel von Dinocephalosaurus orientalis in der Guanling-Formation der Provinz Guizhou entdeckt und untersucht. Seitdem wurden im Südwesten Chinas weitere Exemplare entdeckt, die heute im Institut für Wirbeltierpaläontologie und Paläoanthropologie in Peking und im Zhejiang Museum für Naturgeschichte in Hangzhou aufbewahrt werden. Diese Funde haben es Forscher*innen aus Schottland, Deutschland, den USA und China ermöglicht, in einer zehn Jahre dauernden Studie nahezu das komplette Skelett dieses Meeresreptils zu beschreiben.
„Die Entdeckung der weiteren Fossilien ermöglicht es uns, dieses bemerkenswerte langhalsige Tier zum ersten Mal in seiner Gesamtheit zu sehen. Es erinnert an den langen, schlangenartigen, mythischen chinesischen Drachen. Wir sind sicher, dass Dinocephalosaurus orientalis aufgrund seines auffälligen Aussehens, die Fantasie auf der ganzen Welt beflügeln wird“, so Dr. Nick Fraser vom National Museum of Scotland, einer der Autoren der Studie.
Mit 32 separaten Halswirbeln hatte Dinocephalosaurus orientalis tatsächlich einen außergewöhnlich langen Hals. Dies legt einen Vergleich mit dem langhalsigen Giraffenhalssauriers Tanystropheus hydroides nahe. Tanystropheus kam zur Zeit der mittleren Trias sowohl in Europa als auch in China vor. Beide Reptilien waren von ähnlicher Größe und haben mehrere Merkmale des Schädels gemeinsam, darunter ein fischreusenartiges Gebiss.
„Dinocephalosaurus ist insofern einzigartig, als dass er sowohl im Nacken als auch im Rumpf viel mehr Wirbel besitzt als der Giraffenhalssaurier Tanystropheus. Dinocephalosaurus war lebendgebärend und offensichtlich sehr gut an eine ozeanische Lebensweise angepasst, wie die Flossenglieder und die hervorragend erhaltenen Fische in seiner Magengegend zeigen“, so Dr. Stephan Spiekman, Spezialist für langhalsige Meeresreptilien am Naturkundemuseum Stuttgart.
Trotz oberflächlicher Ähnlichkeiten war Dinocephalosaurus aber nicht eng mit den berühmten Plesiosauriern verwandt, die sich erst rund 40 Millionen Jahre später entwickelten und die als Inspiration für das Monster von Loch Ness dienten.
„Dies war eine internationale Anstrengung. In Zusammenarbeit mit Kolleg*innen aus den Vereinigten Staaten von Amerika und Europa haben wir neu entdeckte Exemplare genutzt, um unser bisheriges Wissen über Dinocephalosaurus zu erweitern. Unter all den außergewöhnlichen Funden aus der Triaszeit, die wir in der Provinz Guizhou gemacht haben, ragt dieser Meeressaurier wahrscheinlich als der bemerkenswerteste heraus“, so Dr. Li Chun vom Institut für Wirbeltierpaläontologie und Paläoanthropologie in Peking.
Die Wissenschaftler*innen hoffen, dass sie in Zukunft durch weitere Untersuchungen mehr Erkenntnisse über die Evolution dieser Tiergruppe zu gewinnen. Insbesondere über die genaue Funktion des langen Halses bei den Meeresreptilen.
Originalpublikation:
Stephan Spiekman, Wei Wang, Lijun Zhao, Olivier Rieppel, Nicholas C. Fraser and Chun Li: Dinocephalosaurus orientalis Li, 2003: A remarkable marine archosauromorph from the Middle Triassic of southwestern China. Earth and Environmental Science Transactions of the Royal Society of Edinburgh.
DOI: https://doi.org/10.1017/S175569102400001X

23.02.2024, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Kriebelmücken: Zunahme der Blutsauger in Deutschland erwartet
Forschende der Goethe-Universität und des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums in Frankfurt haben erstmalig die räumlichen Verbreitungsmuster von Kriebelmücken in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen modelliert. In der im renommierten Fachjournal „Science of the Total Environment“ erschienenen Studie zeigt das Forschungsteam, dass in Deutschland Kriebelmücken in drei Gruppen eingeteilt werden können, die sich in ihren Verbreitungsmustern und ökologischen Ansprüchen unterscheiden. Die Forschenden warnen davor, dass insbesondere die medizinisch relevanten Arten durch den voranschreitenden globalen Klima- und Landnutzungswandel vermehrt auftreten könnten.
Sie sind nur zwei bis sechs Millimeter groß, ihr Aussehen ähnelt dem harmloser Stubenfliegen, doch ihre Stiche sind sehr unangenehm: Kriebelmücken (Simuliidae). Die flugfähigen und überwiegend schwarzen Insekten gehören zu den „Poolsaugern“: Weibliche Tiere raspeln mit scharfen „Zähnchen“ die Haut des Wirts auf und nehmen anschließend den sich dort bildenden Blutstropfen zu sich. „Durch die von den Mücken in die Wunde eingetragenen gerinnungshemmenden und betäubenden Substanzen können die Stiche schwerwiegende allergische Reaktionen auslösen, oder es kann zu bakteriellen Sekundärinfektionen kommen“, erklärt Prof. Dr. Sven Klimpel vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum, der Goethe-Universität Frankfurt, dem LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG) und dem Fraunhofer IME Gießen und fährt fort: „Kriebelmücken sind zudem vektorkompetent, also in der Lage, durch ihren Stich Infektionskrankheiten auslösende Erreger zu übertragen.“ Der bekannteste durch Kriebelmücken übertragene Erreger ist der auf dem afrikanischen Kontinent heimische Nematode Onchocerca volvulus, welcher die sogenannte Onchozerkose („Flussblindheit“) auslösen kann. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation erlitten durch die Krankheit weltweit bereits über 1,15 Millionen Menschen einen Sehverlust.
Erstautorin Sarah Cunze von der Goethe-Universität Frankfurt erläutert: „Etwa 98 Prozent der insgesamt 2000 auf allen Kontinenten – mit Ausnahme der Antarktis – vorkommenden Kriebelmückenarten ernähren sich von Blut. Dies ist für die Entwicklung ihrer Eier unerlässlich. In Deutschland wurden bisher 57 Kriebelmückenarten beschrieben. Anhand von 1.526 Datensätzen aus Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen haben wir die zwölf häufigsten dort heimischen Arten in drei biogeografische Gruppen unterteilt: Arten, die an Gewässeroberläufen leben, über verschiedene Landschaften weit verbreitete Arten und Tieflandarten.“
Für die drei Gruppen sagen die Forschenden in ihrer aktuellen Studie unterschiedliche Populationsentwicklungstrends unter dem voranschreitenden globalen Klima- und Landnutzungswandel voraus: Die Gruppe der Arten mit einem Verbreitungsschwerpunkt in den Gewässeroberläufen wird aufgrund steigender Temperaturen und zunehmender chemischer Belastung der Gewässer als potentiell gefährdet eingeschätzt. Arten der dritten Gruppe hingegen, zu denen insbesondere auch veterinär- und humanmedizinisch relevante Kriebelmückenarten zählen, zeichnen sich durch breitere Nischen und somit eine höhere Toleranz gegenüber anthropogenen Veränderungen aus. Diese Arten könnten durch den anthropogenen Wandel gefördert werden und ausgehend von ihrem bisherigen Verbreitungsschwerpunkt in größeren Flüssen des Tieflandes in Zukunft häufiger auftreten. Medizinisch relevante Arten zeichnen sich durch ein besonders aggressives Stechverhalten gegenüber Säugetieren und Menschen aus und treten häufig in sehr hoher Zahl auf. „Nachbarländer wie beispielsweise Polen reagieren auf dieses Massenauftreten, welches durch einen synchronisierten Schlupf der aquatisch lebenden Larven gefördert wird, damit, dass Vieh in Gebieten mit bekanntermaßen hohem Vorkommen während der betreffenden Zeiträume nur im Stall gehalten oder nur nachts auf die Weide gelassen wird. Zukünftige höhere Temperaturen könnten zu verkürzten Entwicklungszeiten, zu mehr Generationen pro Jahr und damit insgesamt zu einem häufigeren Auftreten von Kriebelmücken führen“, fügt Cunze hinzu.
In weiteren Arbeiten möchte das Team seine Ergebnisse mit empirischen Tests untermauern sowie durch Labortests klären, inwieweit Simuliiden-Arten in der Lage sind, bestimmte Infektionskrankheiten auslösende Erreger unter den derzeit in Europa herrschenden Bedingungen zu übertragen. „Die aus den Ergebnissen unserer Studie abgeleiteten Entwicklungstrends für die medizinisch relevanten Kriebelmückenarten sind ein Beispiel dafür, wie vektorübertragene Infektionskrankheiten durch den globalen Wandel gefördert werden können. Unsere Modellierungsansätze und -ergebnisse helfen uns dabei, Monitoring und Maßnahmenprogramme für vektorkompetente Arten effizient zu gestalten und Vorhersagen über zukünftige Entwicklungen abzuleiten“, fasst Klimpel zusammen.
Originalpublikation:
Sarah Cunze, Jonas Jourdan, Sven Klimpel (2024): Ecologically and medically important black flies of the genus Simulium: Identification of biogeographical groups according to similar larval niches, Science of The Total Environment, Volume 917, 2024, 170454, https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2 024.170454

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