13.11.2023, Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns
Wechsel von Fasten und Essen wichtig für gesundes Altern: Genetischer Kniff rettet alte Fische aus der Dauerfastenfalle
Fastenkuren, bei denen sich Fasten und Essen abwechseln, gelten als gesundheitsfördernd. Doch bei alten Tieren funktioniert das nicht mehr so gut. Am Beispiel des kurzlebigen Killifisches haben Forschende des Max-Planck-Instituts für Biologie des Alterns in Köln gezeigt, dass ältere Fische nicht mehr auf den Wechsel von Fasten und Fressen reagieren können. Stattdessen befinden sie sich in einem dauerhaften Fastenzustand, auch wenn sie Nahrung aufnehmen. Durch die genetische Aktivierung einer bestimmten Untereinheit der AMP-Kinase, eines wichtigen zellulären Energiesensors, kann der positive Effekt der Nahrungsaufnahme nach dem Fasten bei alten Killifischen jedoch wiederhergestellt werden.
In vielen Modellorganismen wurde bereits gezeigt, dass eine reduzierte Nahrungsaufnahme, entweder durch Kalorienrestriktion oder durch Fastenperioden, einen positiven Effekt auf die Gesundheit hat. Für den Menschen ist es jedoch schwierig, sein Leben lang weniger zu essen. Um herauszufinden, wann der beste Zeitpunkt zum Fasten ist, haben die Kölner Forschenden schnell alternden Killifischen in verschiedenen Altersstufen Fastenperioden verordnet. Sie stellten fest, dass das viszerale Fettgewebe älterer Fische weniger auf Fütterung reagierte und Fasten im Alter nicht so vorteilhaft war wie bei Jungtieren. „Es ist bekannt, dass das Fettgewebe am stärksten auf Schwankungen in der Nahrungsaufnahme reagiert und eine wichtige Rolle im Stoffwechsel spielt. Deshalb haben wir es genauer untersucht“, erklärt Roberto Ripa, Erstautor der Studie.
Wechsel zwischen Fasten und Essen entscheidend
Die Forschenden fanden heraus, dass das Fettgewebe der alten Fische in einen dauerhaften Fastenzustand versetzt wird und es deswegen nicht mehr auf die Nahrungsaufnahme reagieren kann: Der Energiestoffwechsel wird heruntergefahren, die Proteinproduktion reduziert und das Gewebe nicht erneuert. „Wir hatten angenommen, dass alte Fische nicht in der Lage sind, nach der Fütterung auf Fasten umzuschalten. Überraschenderweise war das Gegenteil der Fall: Die alten Fische befanden sich in einem dauerhaften Fastenzustand, auch wenn sie Nahrung zu sich nahmen“, sagt Adam Antebi, Direktor am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns und Leiter der Studie.
Fettgewebe im Dauerfastenzustand
Als die Wissenschaftler genauer untersuchten, wie sich das Fettgewebe der alten Fische von dem der jungen unterscheidet, stießen sie auf ein bestimmtes Protein namens AMP-Kinase. Diese Kinase ist ein zellulärer Energiesensor und besteht aus verschiedenen Untereinheiten, wobei die Aktivität der Untereinheit γ1 mit zunehmendem Alter abnimmt.
Wurde die Aktivität dieser Untereinheit durch einen gentechnischen Eingriff erhöht, konnten die alten Fische dem dauerhaften Fastenzustand entkommen, waren gesünder und lebten sogar länger.
Menschliches Altern
Interessanterweise wurde auch ein Zusammenhang zwischen der γ1-Untereinheit und dem menschlichen Altern gefunden. In Proben von älteren Patienten wurden deutlich niedrigere Werte der Untereinheit gemessen. Außerdem konnte in den menschlichen Proben gezeigt werden: Je weniger gebrechlich ein Mensch im Alter ist, desto höher ist der Spiegel der γ1-Untereinheit.
„Natürlich wissen wir noch nicht, ob die γ1-Untereinheit beim Menschen tatsächlich für ein gesünderes Altern verantwortlich ist. Im nächsten Schritt werden wir versuchen, Moleküle zu finden, die genau diese Untereinheit aktivieren und untersuchen, ob wir damit das Altern positiv beeinflussen können“, erklärt Adam Antebi.
Die Forschung für diese Studie wurde am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns durchgeführt und vom CECAD Exzellenzcluster für Alternsforschung an der Universität Köln co-finanziert.
Originalpublikation:
Roberto Ripa, Eugene Ballhysa, Joachim D. Steiner, Raymond Laboy, Andrea Annibal, Nadine Hochhard, Christian Latza, Luca Dolfi, Chiara Calabrese, Anna M. Meyer, Maria Cristina Polidori, Roman-Ulrich Müller, Adam Antebi
Refeeding-associated AMPKγ1 complex activity is a hallmark of health and longevity
Nature Aging, 10 November 2023
https://www.nature.com/articles/s43587-023-00521-y
13.11.2023, Universität Leipzig
Neue Studie: Autorinnen thematisieren die Natur häufiger als Männer
Viele Romane oder Gedichte beinhalten Beschreibungen von Pflanzen oder Tieren – mal mehr, mal weniger detailreich. Wie intensiv Flora und Fauna in einem literarischen Werk thematisiert werden, hängt auch damit zusammen, wer es unter welchen Lebensumständen verfasst hat. So verwenden Autorinnen beispielsweise mehr Artnamen in ihren Texten. Das hat ein Forschungsteam von der Universität Leipzig, dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Goethe-Universität Frankfurt herausgefunden, indem es rund 13.500 literarische Werke von rund 2.900 Autor:innen untersuchte.
Die Studie ist ein Beispiel dafür, wie Methoden aus den Natur- und den Geisteswissenschaften mittels digitaler Techniken miteinander kombiniert werden können.
Dass biologische Vielfalt in der westlich geprägten Literatur seit den 1830er Jahren kontinuierlich abnimmt, hatte das Forschungsteam bereits vor rund zwei Jahren in einer Studie nachgewiesen. Jetzt veröffentlichten die Wissenschaftler:innen eine Folgestudie. Darin legen sie dar, inwieweit Faktoren wie Geschlecht, Wohnort oder Alter des Autors oder der Autorin Einfluss darauf nehmen, welcher Stellenwert in ihren Werken der Natur zukommt. Ihren Ergebnissen zufolge macht es einen Unterschied, ob ein literarisches Werk beispielsweise von einer jungen Frau aus einem US-amerikanischen Dorf oder von einem mittelalten Mann aus einer europäischen Großstadt geschrieben wurde.
An der Studie beteiligten sich Wissenschaftler:innen aus den Digital Humanities, der Biologie und der Literaturwissenschaft. Für die Analyse nutzten die Forscher:innen erneut den Literaturbestand des Project Gutenberg. Die darin enthaltenen Werke – vorrangig der westlichen Literatur aus Europa und Nordamerika – verknüpften sie mit biografischen Informationen über die Schriftsteller:innen, die sie aus Online-Quellen wie Wikidata, LibraryThing.de oder WorldCat.org bezogen und manuell nachbereiteten. Letztendlich konnten so 13.493 Werke aus den Jahren 1705 bis 1969 von 2847 Autor:innen mit Methoden des sogenannten Maschinellen Lernens analysiert werden.
In der Studie von 2021 hatten die Wissenschaftler:innen bereits Kennzahlen entwickelt, die die Biodiversität in literarischen Werken messbar machen: Sie ermittelten beispielsweise für jedes Werk die Anzahl der Begriffe, die Tiere oder Pflanzen benennen, oder errechneten die Vielfalt des Wortschatzes, mit dem Lebewesen beschrieben werden. Jetzt setzten sie diese Werte mithilfe eines Algorithmus mit den biografischen Informationen über die Autor:innen in Beziehung.
Mehr biololgische Vielfält in Werken von Schriftsteller:innen aus kleinen Orten
Sie stellten fest, dass von Frauen verfasste Werke über alle untersuchten Epochen hinweg durchschnittlich mehr Biodiversität enthalten als die von Männern. Auch Herkunft und Wohnort spielen eine Rolle: So fanden die Forscher:innen in den Werken nordamerikanischer Autor:innen mehr Naturdarstellungen als in Werken aus Europa. Zudem bildeten Schriftsteller:innen aus kleineren Orten in ihren Werken durchschnittlich mehr biologische Vielfalt ab, als Schriftsteller:innen aus größeren Städten.
Beim Alter zeigte sich ein gemischtes Bild: Junge Autor:innen unter 25 Jahren und ältere Autor:innen über 70 Jahren schrieben im Durchschnitt häufiger über Pflanzen und Tiere als Autor:innen mittleren Alters. Ob die schreibende Person Kinder hatte, nahm hingegen laut der Erhebung keinen Einfluss auf die Darstellung von Biodiversität in ihren Werken.
Neben diesen fünf Kernvariablen bezogen die Forschenden zahlreiche weitere Aspekte in die Analyse mit ein, wie beispielsweise den Bildungsstand der Autor:innen, das literarische Genre oder die Intention der Werke.
„Die Ergebnisse sind rechnerisch hochsignifikant“, erklärt Lars Langer, Doktorand am Institut für Informatik der Universität Leipzig und Erstautor der Studie. „Es ist aber wichtig zu betonen, dass es sich um statistische Aussagen handelt, das heißt, dass beim Einzelnen die Lage völlig anders oder gar gegenteilig sein kann.“
Schlussfolgerungen für biodiversitätssensible Erziehung möglich
Zu der Frage, wieso die Lebensumstände der Autor:innen sich auf die Darstellung von Biodiversität in ihren Werken auswirken, liefert die Studie keine direkten Antworten. Langer hat dazu jedoch eine Vermutung: „Nahezu alle Zusammenhänge, die wir finden können, gehen indirekt auf eine geeignete Bildung und Erziehung der Gesellschaft zurück. Hohe Standards in der Allgemeinbildung tragen zur Wertschätzung der Natur bei.“ Aus den Ergebnissen könne man deshalb auch Schlüsse für eine biodiversitätssensible Bildung und Erziehung einzelner Zielgruppen innerhalb der Gesellschaft ziehen.
Quasi als Nebenprodukt konnte im Rahmen der Studie auch eine neue Ressource für die Nachnutzung durch die wissenschaftliche Community erstellt werden. Das um biografische Informationen angereicherte Textkorpus sei eine wertvolle neue Quelle für weitere Forschungsprojekte am Schnittpunkt von Literaturwissenschaft und den Digital Humanities, so das Forschungsteam.
Originalpublikation:
Originaltitel der Publikation in „People and Nature“:
„The relation between biodiversity in literature and social and spatial situation of authors: Reflections on the nature–culture entanglement“, https://besjournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/pan3.10551
14.11.2023, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Verborgen oder ausgestorben? Genomanalyse eines 120 Jahre alten Zitterrochen-Sammlungsstücks bestätigt Artstatus
In Museumssammlungen finden sich immer wieder kleine „Schätze“ – das macht sie so wertvoll für die Forschung. Wissenschaftler*innen des Naturhistorischen Museums Wien und des hessischen LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG) haben nun die genetischen Daten einer seltenen und vermutlich bereits ausgestorbenen Zitterrochen-Art erhoben. Sie wurde 1897 bis 1898 bei der zweiten Österreichisch-Ungarischen Tiefsee-Expedition im Roten Meer gesammelt, konserviert und beschrieben – seitdem jedoch nie wieder beobachtet. Die neuen Ergebnisse bestätigen, dass der Zitterrochen Torpedo suessii eine eigene Art innerhalb der Gattung darstellt.
In Museumssammlungen finden sich immer wieder kleine „Schätze“ – das macht sie so wertvoll für die Forschung. Mit den heutigen Analysemethoden lassen sich den oft Jahrhunderte alten Archiven neue, detaillierte Erkenntnisse entlocken. Wissenschaftler*innen des Naturhistorischen Museums Wien und des hessischen LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG) haben nun die genetischen Daten einer seltenen und vermutlich bereits ausgestorbenen Zitterrochen-Art erhoben. Sie wurde 1897 bis 1898 bei der zweiten Österreichisch-Ungarischen Tiefsee-Expedition im Roten Meer gesammelt, konserviert und beschrieben – seitdem jedoch nie wieder beobachtet. Die neuen Ergebnisse bestätigen, dass der Zitterrochen Torpedo suessii eine eigene Art innerhalb der Gattung darstellt.
Zitterrochen sind bekannt dafür, ihre Beute mittels eines elektrischen Organs aus umgewandelten Muskeln lähmen zu können. Sogar bei Taucher*innen führte ihr Elektroschock schon zur Bewusstlosigkeit. Ansonsten gelten sie als träge Fische, die langsam schwimmen oder sich im Sand oder Schlamm des Meeresbodens vergraben. Die elf bekannten Arten kommen in gemäßigten und tropischen Meeren vor und unterscheiden sich in Form, Farbe und einer Größe zwischen 15 und 180 Zentimetern.
Der nun genomisch analysierte Torpedo suessii, benannt nach dem österreichischen Geologen und Wegbereiter der Wiener Hochquellenwasserleitung Eduard Suess (1831-1914), zählt zu den sehr seltenen Arten. Erstmals beschrieben wurde er vom Wiener Fischkundler und Kurator der Fischsammlung am Naturhistorischen Museum Wien Franz Steindachner (1834-1919) nach einer Expedition ans Rote Meer – unter anderem in den Jemen –, die er wissenschaftlich leitete. Die Ende des 19. Jahrhunderts von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften organisierten Forschungsreisen auf der SMS Pola hatten unter anderem die zoologische Erforschung verschiedener Gewässer, auch des östlichen Mittelmeers und der Adria, zum Ziel.
„Für uns stellt dieses Sammlungsstück eine echte Rarität dar, denn für die Art Torpedo suessii sind nur die drei historischen Exemplare in unserer Sammlung bekannt. Seit seiner Entdeckung wurde die Fischart von Wissenschaftler*innen nie wieder gesichtet – trotz seines auffälligen Hautmusters, das mit bis zu acht großen dunkelbraunen Flecken mit helleren Umrissen auf einem hellbraunen Hintergrund an die Flecken einer Giraffe erinnert“, berichtet Privatdozentin Dr. Anja Palandačić, Sammlungsmanagerin der Fischsammlung am NHM Wien. „Wir gehen daher davon aus, dass Torpedo suessii ausgestorben ist. Die Ergebnisse unserer Genomanalyse bestätigen, dass er als eigenständige Art innerhalb der Zitterrochen anzusehen ist“, so Palandačić weiter. Sie ist Erstautorin der im Fachjournal „Zoologica Scripta“ veröffentlichten Studie. Diese entstand in Kooperation des Naturhistorischen Museums Wien und den dortigen Zentralen Forschungslaboratorien sowie mit Expert*innen des bei der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung in Frankfurt am Main angesiedelten LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG), an dem die genomischen Grundlagen der Artenvielfalt anhand unterschiedlichster Organismen erforscht werden.
„Angesichts der zunehmenden Bedrohung der Ökosysteme der Meere und der darin lebenden Fischgemeinschaften aufgrund von Klimawandel und Verschmutzung ist es von entscheidender Bedeutung, die Artenvielfalt der Meere zu inventarisieren, um sie zu schützen. Mit unseren Genomanalysen und den daraus gewonnenen Informationen über Arten wollen wir die biologische Vielfalt auf der Erde besser verstehen und damit zu ihrer Erhaltung beitragen“, so Dr. Carola Greve, Laborleiterin am LOEWE-Zentrum TBG. „Besonders wertvoll für unsere Analysen und spätere Art-Vergleiche sind dabei natürlich seltene Arten oder einmalige Proben wie diejenigen des Torpedo suessii aus Museumsbeständen. Proben zu analysieren, die vor mehr als einhundert Jahren gesammelt wurden und seitdem in den Sammlungen gehütet werden, erfordert große Sorgfalt bei der Laborarbeit und ist ein besonderes Ereignis – vor allem, wenn sich dabei eine eigene Art auch genomisch bestimmen lässt“, resümiert Greve.
Originalpublikation:
Publikation in Zoologica Scripta:
Anja Palandačić, Martin Kapun, Carola Greve, Tilman Schell, Sandra Kirchner, Luise Kruckenhauser, Nikolaus Szucsich, Nina Bogutskaya
“From historical expedition diaries to whole genome sequencing: A case study of the likely extinct Red Sea torpedo ray”
https://doi.org/10.1111/zsc.12632
13.11.2023, Universität zu Köln
Evolution des Geschmacks: Bereits Haifische konnten Bitterstoffe wahrnehmen
Neue genetische Daten zeigen, dass Menschen und Haifische Rezeptoren für bittere Substanzen teilen, obwohl sich die evolutionären Wege vor fast 500 Millionen Jahre trennten / Veröffentlichung in „PNAS“
Ein Forschungsteam der Universität zu Köln hat in Zusammenarbeit mit Kolleg*innen des Leibniz-Instituts für Lebensmittel-Systembiologie in Freising einen Geschmacksrezeptor für Bitterstoffe in zwölf verschiedenen Knorpelfischen (Haie und Rochen) entdeckt. Der Rezeptor gehört zu den sogenannten Typ 2 Geschmacksrezeptoren (T2R), die auch bei Menschen dafür sorgen, bittere und potentiell giftige Nahrungsstoffe wahrzunehmen. Bisher hatte man angenommen, dass solche Rezeptoren nur in Wirbeltieren mit Knochen vorkommen. Die Arbeit wurde unter dem Titel „A singular shark bitter taste receptor provides insights into the evolution of bitter taste perception“ im renommierten Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht.
Der Forschung standen in der Vergangenheit nur begrenzte Informationen über Haifische zur Verfügung, da ihre Genome häufig relativ groß sind. Daher ist die Sequenzierung oft aufwendiger und dauert länger als bei vielen anderen Tieren. Mittlerweile sind die Techniken jedoch so gut, dass immer mehr Informationen zu den Gensequenzen vieler Knorpelfische verfügbar sind. Dies ermöglichte es den Neurobiologen Privatdozent Dr. Maik Behrens und Tatjana Lang vom Leibniz-Instituts für Lebensmittel-Systembiologie sowie Professorin Dr. Sigrun Korsching am Institut für Genetik der Universität zu Köln, gezielt nach Bitterstoffrezeptoren bei den Knorpelfischen zu suchen.
Zwölf von siebzehn untersuchten Knorpelfischgenomen enthielten Gene für die Typ 2 Geschmacksrezeptoren, wobei in jeder Spezies nur ein einziges T2R Gen vorhanden war. Dieses einzelne Gen wurde von den Forschern T2R1 benannt. Die Tatsache, dass das Geschmacksrezeptor-Gen nur einzeln vorlag, spricht dafür, dass es sich dabei um die Urform dieser Bittergeschmacksrezeptoren handelt, die nicht durch Genverdoppelung und nachfolgende unterschiedliche Spezialisierung der resultierenden Rezeptoren verändert wurde.
„Diese Ergebnisse ermöglichen uns ganz neue Einblicke in die Evolution dieser Rezeptoren: Wir können fast 500 Millionen Jahre auf den molekularen und funktionalen Ursprung einer ganzen Familie von Rezeptoren für Bitterstoffe zurückblicken. Denn so alt ist der letzte gemeinsame Vorfahre von Knorpel- und Knochenfischen“, so Sigrun Korsching. Die Autor*innen haben das T2R1 Gen des Bambushais (C. plagiosum) und des Katzenhais (S. canicula) zudem in Labor-Zelllinien eingebracht. Die Ergebnisse zeigten, dass beide Haifische auch dem Menschen bekannte Bitterstoffe wie Colchicin oder Gallensäure wahrnehmen können. Ein Screening von vierundneunzig menschlichen Bitterstoffen identifizierte elf Stoffe, die auch die Haifischrezeptoren aktivieren konnten. Manche dieser elf Stoffe aktivieren auch Bitterrezeptoren des ‚lebenden Fossils‘ Quastenflosser (Coelacanthiformes), einer alten Knochenfischart, wie die Autor*innen in einer früheren Arbeit gezeigt haben. Sigrun Korsching resümiert: „Das ist ein erstaunliches Ausmaß an Konservierung dieser Funktion durch die gesamte Evolution der Wirbeltiere hindurch.“
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1073/pnas.2310347120
15.11.2023, Technische Universität Berlin
Ein Fünftel der Tiere und Pflanzen in Europa bedroht
Umweltplanerin Melanie Bilz erklärt im Interview die Hintergründe zu den alarmierenden Zahlen einer kürzlich u.a. von ihr veröffentlichten internationalen Studie. Lebensraumverlust durch Landwirtschaft, Bebauung und Umweltverschmutzung sind Hauptursachen für Artensterben in Europa.
Eine kürzlich veröffentlichte internationale Studie, initiiert von TU-Alumna Dr. Melanie Bilz während ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit am Institut für Landschaftsplanung, zeigt alarmierende Trends beim Artensterben in Europa. Lebensraumverlust durch Landwirtschaft, Bebauung und Umweltverschmutzung erweisen sich als Hauptursachen für den bedrohlichen Rückgang der biologischen Vielfalt in der Region.
Die Studie analysierte 14.669 Arten in Europa. Die Ergebnisse sind besorgniserregend: Ein Fünftel der Tiere und Pflanzen in Europa ist bedroht, wobei das Aussterberisiko für Pflanzen (27 %) und Wirbellose (24 %) höher ist als für Wirbeltiere (18 %).
Hintergründe und Datengrundlage
Dr. Melanie Bilz, Zweitautorin der Studie, erklärt die Hintergründe: „Die Europäische Union hat seit 2006 Rote Listen erstellen lassen, die eine breite Palette von Arten abdecken, darunter Säugetiere, Amphibien, Reptilien, Fische, Insekten und Pflanzen. Die umfassende Datenlage ermöglichte es uns, die Bedrohungslage für insgesamt 14.669 Arten zu bewerten.“ Die Basis dieser Daten wurden von hunderten Expert*innen aus verschiedenen Universitäten, Museen und Botanischen Gärten Europas zusammengetragen.
Ein weiteres Ergebnis der Studie: Weltweit sind etwa zwei Millionen Arten gefährdet, doppelt so viele wie bisher angenommen. Dies liegt unter anderem an der vorsichtigen Schätzung des Weltbiodiversitätsrates (IPBES) bezüglich Insektenarten. Dr. Bilz betont die Notwendigkeit, auch Data-Deficient-Arten, zu denen also noch keine Informationen vorliegen, in die Bewertung einzubeziehen, da diese höchstwahrscheinlich ebenfalls gefährdet sind.
Ursachen und Verantwortung
Die intensive wirtschaftliche Nutzung von Landflächen und Meeren wurde als größte Bedrohung und Ursache für das Artensterben identifiziert. Besonders betroffen sind Lebensräume in den Bergen, die viele endemische Arten beherbergen. Melanie Bilz unterstreicht die Verantwortung Europas für den Schutz der heimischen Arten, von denen knapp die Hälfte ausschließlich in Europa vorkommt.
Maßnahmen und politische Forderungen
Die Studie zeigt, dass gezielte Schutzmaßnahmen wie die Schaffung von Schutzgebieten und Überwachungsprogramme notwendig sind, um das Artensterben zu stoppen. Nur regelmäßige Evaluierungen können den Erfolg von Schutzmaßnahmen überprüfen. Melanie Bilz begrüßt die Initiative der Europäischen Union, bis Dezember 2024 etwa 10.000 der untersuchten Arten erneut zu evaluieren. Das Artensterben in Europa erfordere jedoch dringende Maßnahmen und eine verstärkte politische Berücksichtigung der biologischen Vielfalt als Grundlage menschlichen Lebens.
Hoffnung und gesellschaftliches Engagement
Trotz der besorgniserregenden Zahlen zeigte sich Melanie Bilz hoffnungsvoll angesichts des wachsenden Bewusstseins in der Gesellschaft. „Die Untersuchungen zum Insektensterben haben bereits zu einem Umdenken geführt. Jeder kann seinen Ressourcenverbrauch überdenken und damit indirekt den Druck auf Arten und Lebensräume reduzieren.“
15.11.2023, Veterinärmedizinische Universität Wien
Datenlücke zu SARS-CoV-2 bei Tieren
Die Forschung zu SARS-CoV-2 konzentrierte sich bisher weitgehend auf die Auswirkungen für den Menschen. Und das, obwohl es sich beim Virus höchstwahrscheinlich um eine Zoonose, also um eine von einem Tier auf den Menschen übergesprungene Infektion handelt. Insgesamt wurden nicht einmal die Hälfte der bekannten Krankheitsfälle bei Tieren dokumentiert, bei den Todesfällen ist der Wert nochmals deutlich geringer. Laut einer soeben publizierten Studie der Vetmeduni und des Complexity Science Hubs Vienna (CSH) ist diese Datenlücke besonders besorgniserregend, da sich die Politik auf offizielle Datensätze stützt.
Ziel der nun vorgestellten Studie war es, die Datenlücke bei der Zahl von SARS-CoV-2-Fällen und von damit verbundenen Todesfällen bei Tieren zu schließen. Dazu verglichen die Wissenschafter:innen die offiziellen Zahlen, welche der Weltorganisation für Tiergesundheit (WOAH) über ihr World Animal Health Information System (WAHIS) gemeldet wurden, mit jenen, die über zwei andere Datenquellen – ProMED-Mail und wissenschaftliche Veröffentlichungen – registriert wurden.
Bis zu zwei Drittel der tierischen Corona-Todesfälle nicht gemeldet
„Mindestens 52,8 % der SARS-CoV-2-Fälle bei Tieren und 65,8 % der Todesfälle zwischen Februar 2020 und August 2022 wurden nicht an das WAHIS gemeldet“, erklärt Studien-Letztautorin, Amélie Desvars-Larrive, von der Abteilung für Öffentliches Veterinärwesen und Epidemiologie an der Vetmeduni, die auch am Complexity Science Hub Vienna (CSH) forscht. „Diese Datenlücke bei der offiziellen Meldung von Fällen und Todesfällen ist eine große Herausforderung, zumal sich die politischen Entscheidungsträger:innen auf die offiziellen Daten verlassen. Datenverzerrungen und verzerrte Daten können zu einer suboptimalen Politikgestaltung und einer ineffizienten Ressourcenallokation führen“, betont Desvars-Larrive.
Außerdem stellten die Forscher:innen eine „geografische Lücke“ fest. Während einige Länder, vor allem im globalen Norden, routinemäßig Daten über SARS-CoV-2-Fälle bei Tieren austauschen, ist dies im Süden weniger üblich, wo die Verfügbarkeit von Ressourcen ein großes Hindernis für eine effektive Datenerfassung und -verbreitung darstellen kann.
Grundlage dieser Erkenntnis war die Kombination von Informationen aus drei verschiedenen Datenquellen. Daraus erstellte das Forschungsteam eine neue umfassende Liste von 35 Tierarten, die unter natürlichen Bedingungen als anfällig für SARS-CoV-2 gelten. „Dies stellt einen erheblichen Fortschritt gegenüber den Zahlen vom WOAH und der FAO der Vereinten Nationen dar. Darüber hinaus haben wir Tierarten identifiziert, die dem WAHIS in zu geringem Ausmaß gemeldet wurden, und festgestellt, dass Hunde und Katzen in Forschungsstudien die meiste Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben“, so Desvars-Larrive.
One Health: Wertvolle Ansatz zur Vorbeugung neu auftretender Zoonosen
Die Analyse liefert wertvolle Einblicke in die Muster der Meldung von Tierinfektionen mit SARS-CoV-2. Unterstrichen wird dadurch die Notwendigkeit, den Datenaustausch über SARS-CoV-2-Ereignisse bei Tieren zu verbessern, weil dies für eine wirksame One Health-Überwachung, Prävention und Kontrolle neu auftretender Krankheiten zoonotischen Ursprungs von entscheidender Bedeutung ist.
FAIRe Daten sind das Um und Auf
Idealerweise sollte dies durch die gemeinsame Nutzung von Daten und Metadaten nach den FAIR-Grundsätzen – Findable, Accessible, Interoperable, Reusable – erfolgen. Für die Bekämpfung von Pandemien zoonotischen Ursprungs sind laut den Forscher:innen zeitnahe, qualitativ hochwertige und genaue Daten über Fälle bei Mensch und Tier von entscheidender Bedeutung. „Denn Entscheidungen und politische Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit werden zunehmend datengesteuert. Höchste Zeit, die Datenlücken zu schließen“, appelliert Desvars-Larrive an die Entscheidungsträger:innen.
Originalpublikation:
Der Artikel „Data on SARS-CoV-2 events in animals: mind the gap!“ von Afra Nerpel, Annemarie Käsbohrer, Chris Walzer und Amélie Desvars-Larrive wurde in „One Health“ veröffentlicht.
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2352771423001738?via%3Dihub
15.11.2023, Deutsche Wildtier Stiftung
Dem Tier des Jahres auf der Spur
Projekt in Sachsen-Anhalt schließt Datenlücke zur Verbreitung des Gartenschläfers
Wo steckt „Zorro“, der kleine Bilch mit der schwarzen Augenmaske? Um diese Frage zu beantworten, startete die Deutsche Wildtier Stiftung im Mai 2023 in Sachsen-Anhalt eine Suchaktion nach dem Gartenschläfer, dem aktuellen Tier des Jahres. Dazu rief sie die Bürger der Einheitsgemeinden Stadt Oberharz am Brocken und der Stadt Wernigerode zur Mithilfe auf: Wer Zorro in seinem Garten entdeckt hatte, konnte dies der Stiftung melden. Mitarbeiterinnen der Stiftung selbst positionierten an 42 Standorten im Harz Fotofallen, um das Vorkommen von Gartenschläfern zu dokumentieren. Mit den Ergebnissen der Erfassung sollte eine Datenlücke geschlossen werden, die bei der „Spurensuche Gartenschläfer“ – einem gemeinsamen Projekt von BUND, Justus-Liebig-Universität in Gießen und Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung – klaffte. Denn während im Nationalpark Harz bereits viele Nachweise von Gartenschläfern vorlagen, existierten außerhalb dieser Fläche in ganz Sachsen-Anhalt bislang lediglich zwei Nachweise.
Im Oktober ging das Tier des Jahres in den Winterschlaf – und die Wissenschaftler machten sich an die Auswertung. Mit erfreulichem Resultat: Insgesamt konnten 15 Nachweise von Gartenschläfern erbracht werden. „Das ist ein ordentliches Ergebnis, zumal einige Wissenschaftler vorab sehr skeptisch waren, ob in dem durch Trockenheit und Borkenkäferbefall stark veränderten Lebensraum in unserem Suchgebiet überhaupt mit Gartenschläfern zu rechnen sei“, sagt Saskia Jerosch, Artenschützerin der Deutschen Wildtier Stiftung und Leiterin des Projekts. „Unsere Suche war sehr aufwendig, viele Standorte, die augenscheinlich perfekt für Gartenschläfer schienen, erbrachten keinen Nachweis.“ Immerhin wurden an diesen Standorten andere Tiere erfasst: Baummarder und Eichhörnchen, aber auch seltene Arten wie Mauswiesel, Luchs und Wildkatze. Dieses Datenmaterial gaben die Mitarbeiterinnen an wissenschaftliche Einrichtungen weiter, die zu diesen Tieren forschen. Ganz beendet ist das Projekt Gartenschläfer für Saskia Jerosch nicht – auch wenn der kleine Bilch den Titel „Tier des Jahres“ bald an ein anderes Wildtier weiterreicht. „Wir werden natürlich auch weiterhin das Vorkommen des Gartenschläfers in Sachsen-Anhalt beobachten“, verspricht Jerosch.
Info: Gartenschläfer gehören zur Familie der Bilche und werden auf der Roten Liste der Säugetiere Deutschlands in der Kategorie „stark gefährdet“ geführt. Ursprünglich in Wäldern mit viel Totholz, Sträuchern und Waldsaumrändern zu Hause, besiedeln die kleinen Wildtiere mittlerweile in manchen Gegenden Deutschlands auch Gärten und Grünanlagen – vorausgesetzt, sie finden dort ausreichend Schutz und Nahrung, etwa durch beerentragende Hecken und Sträucher oder wilde Ecken, die vielen Insekten Unterschlupf bieten.
16.11.2023, Dachverband Deutscher Avifaunisten
Erstnachweis Höckersamtente für Deutschland
Es ist wieder mal der Raritäten-Hotspot Helgoland: Nachdem sich im Oktober dort das erste mutmaßliche Stejnegerschwarzkehlchen Deutschlands aufhielt, dessen Artdiagnose noch durch die DNA-Analyse einer Federprobe bestätigt werden soll, wurde am Dienstag (14.11.) auf der Hochseeinsel eine weitere bislang noch nie in Deutschland beobachtete Vogelart entdeckt. Es handelt sich dabei um eine Höckersamtente (Melanitta deglandi). Diese Meeresente stellt quasi das amerikanische Pendant zur inzwischen hierzulande dreimal nachgewiesenen asiatischen Kamtschatkasamtente (Melanitta stejnegeri) dar. Bis vor wenigen Jahren wurden die beiden Formen als Unterarten einer gemeinsamen Art geführt, inzwischen ist ihr Artstatus jedoch allgemein akzeptiert. Rein optisch unterscheiden sich die beiden Arten vor allem anhand von Schnabelstruktur und -färbung. Die Flanke der Männchen ist bei Höckersamtenten – wie bei dem Vogel auf Helgoland – außerdem bräunlicher im Vergleich zur Kamtschatkasamtente.
Die Höckersamtente wurde am Dienstag vor dem Nordoststrand der Insel entdeckt, es stellte sich im Nachgang jedoch heraus, dass die Ente sich bereits seit mindestens Ende Oktober in den Gewässern um die Insel aufhält. Bereits am 31. Oktober gelangen Fotos desselben Individuums, das vom Fotografen jedoch als Samtente bestimmt worden war. Der Erstnachweis für Deutschland wird hier vorbehaltlich einer Anerkennung durch die Deutsche Avifaunistische Kommission aufgeführt. Er fügt sich in eine inzwischen ganze Reihe von Nachweisen diesseits des Atlantiks ein. Seit den 1990er Jahren wurden Höckersamtenten insgesamt mehr als 30-mal unter anderem in Norwegen, Schweden, Dänemark, Großbritannien, Polen und Spanien nachgewiesen, sodass eine Beobachtung in Deutschland nicht vollkommen überraschend ist. Einzelne Höckersamtenten blieben dabei über längere Zeiträume in einem Gebiet oder suchten Stellen in Folgejahren erneut auf. Wir sind gespannt, wie sich dies bei „unserer“ Höckersamtente darstellen wird.
16.11.2023, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
Eingeschleppte Arten spiegeln weltweite Biodiversität wider: Studie zeigt enormes Potenzial für Zunahme invasiver Arten
Auf unseren globalisierten Handels- und Transportwegen verschleppen wir Menschen – ob absichtlich oder unabsichtlich – Pflanzen, Tiere, Bakterien oder Viren aus ihren ursprünglichen Verbreitungsgebieten in neue Lebensräume, wo sie zu großen Problemen führen können. Wie viele dieser gebietsfremden Arten es weltweit bereits gibt und welche Gruppen von Lebewesen besonders invasiv sind, hat eine Studie am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel untersucht, die jetzt in der Fachzeitschrift Global Ecology and Biogeography erschienen ist.
„Alles, was existiert, kann irgendwann irgendwo gebietsfremd eingeschleppt werden“, sagt Dr. Elizabeta Briski. Die Meeresbiologin ist Expertin für Invasionsökologie am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Gemeinsam mit einem großen internationalen Team renommierter Ökolog:innen hat sie in einer Studie untersucht, ob die Anzahl eingeschleppter Arten proportional die globale Biodiversität widerspiegelt, oder ob bestimmte Artengruppen dazu neigen, sich häufiger außerhalb ihrer angestammten Lebensräume anzusiedeln. Die Ergebnisse sind jetzt in der Fachzeitschrift Global Ecology and Biogeography erschienen.
Von „invasiven Arten“, also „Eroberern“ spricht Briski nicht generell: „Invasoren, das sind die Bad Guys, das sind die, die Probleme verursachen.“ Diese Probleme können gewaltig sein: Biologische Invasoren können heimische Arten ausrotten, immense Kosten verursachen und Krankheiten verbreiten. Das muss aber nicht zwangsläufig der Fall sein, weshalb Briski lieber neutraler von „gebietsfremden Arten“ spricht. Und deren Anzahl nimmt zu. Daher gebe es ein großes Interesse daran, die Ausbreitung umfassend zu verstehen und Vorhersagen über Ausbreitungsmuster zu ermöglichen, erklärt sie die Motivation ihrer Forschung.
„Wir sind der Frage nachgegangen, ob die Anzahl der gebietsfremden Arten Muster in der globalen Biodiversität widerspiegelt. Dann haben wir ermittelt, ob bestimmte Artengruppen überproportional oft eingewandert sind.“ Dazu haben die Forschenden eine umfassende Liste der bislang beschriebenen gebietsfremden Arten erstellt – es sind rund 37.000 weltweit – und diese nach der biologischen Taxonomie gruppiert – vom Stamm über die Klassen, Familien bis hin zur einzelnen Art und Unterart. Diese haben sie dann in Relation zur globalen Biodiversität gesetzt. Das Ergebnis: Egal ob mikroskopisch klein oder nilpferdgroß, ob an Land oder unter Wasser – von allen uns bekannten Lebewesen sind bislang im Durchschnitt etwa ein Prozent irgendwohin auf der Welt eingeschleppt worden oder eingewandert, wo sie ursprünglich nicht existierten.
„Natürlich ist die Datenlage zum Teil sehr unterschiedlich“, gibt Briski zu bedenken. Arten an Land seien generell besser untersucht als solche im Wasser. Größere Forschungsanstrengungen würden daher wahrscheinlich eine beträchtliche Anzahl neuer nichtheimischer Arten in marinen Lebensräumen zutage fördern. Auch andere wenig untersuchte Gruppen, wie etwa Mikroorganismen, würden in den Verzeichnissen nichtheimischer Arten bislang wahrscheinlich stark unterschätzt. „Außerdem gibt es in verschiedenen Ländern unterschiedlich viel Forschung dazu. Es ist also durchaus möglich, dass es zum Beispiel im tropischen Regenwald sehr viele gebietsfremde Arten gibt, von denen wir schlicht nichts wissen.“
Bei einigen Gruppen hat sich außerdem gezeigt, dass sie überproportional häufig außerhalb ihres angestammten Verbreitungsgebiets etabliert sind, darunter Säugetiere, Vögel, Fische, Insekten, Spinnen und Pflanzen. „Das sind meist die Arten, die vom Menschen absichtlich für die Landwirtschaft, den Gartenbau, die Forstwirtschaft oder einfach aus Liebhaberei eingeführt wurden.“ Und mit den gewollten Arten kämen immer auch ungewollte, beispielsweise als blinde Passagiere auf Schiffen. Briski: „Niemand wollte die Ratte bei sich ansiedeln, aber sie ist mit uns um die Welt gereist.“
Insgesamt deuteten ihre Ergebnisse auf ein enormes Potenzial für zukünftige biologische Invasionen in verschiedenen Artengruppen hin, resümieren die Ökolog:innen. Briski: „Wenn bislang nur ein Prozent der globalen Biodiversität betroffen ist, ist davon auszugehen, dass das Ausmaß noch erheblich zunehmen wird.“ Bemerkenswert sei dabei die Zufälligkeit: „Früher oder später kann jede Art auf irgendeine Weise mithilfe unserer Transportwege in Gebiete gelangen, zu denen sie natürlicherweise keinen Zugang hätte.“ Daher mahnen Briski und ihre Kolleg:innen dringend Maßnahmen an, um zukünftige Einschleppungen zu verhindern und die schädlichsten invasiven Arten, die bereits etabliert sind, unter Kontrolle zu bringen.
Originalpublikation:
Briski E., Kotronaki SG., Ross NC. Et al. (2023): Does Non-Native Diversity Mirror Earth’s Biodiversity? Global Ecology and Biodiversity
https://doi.org/10.1111/geb.13781
16.11.2023, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
Keine Winterpause für Zecken in Deutschland
Arbeiten des Instituts für Parasitologie der TiHo zeigen, dass Zecken in Deutschland auch im Winter aktiv sind.
Forschende des Instituts für Parasitologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) beobachten, dass Zecken in Deutschland mittlerweile ganzjährig aktiv sind. Institutsleiterin Professorin Dr. Christina Strube sagt: „Die milden Winter sorgen dafür, das Zecken auch während der kalten Jahreszeit auf Wirtssuche gehen. Das bedeutet, dass Haustiere nunmehr ganzjährig vor Zecken geschützt werden sollten. Und natürlich sollten auch Menschen im Winter achtsam sein und sich nach Aufenthalten im Freien auf Zecken absuchen.“
Durch die Klimakrise steigen die Durchschnittstemperaturen seit Jahrzehnten ganzjährig kontinuierlich an. Die milden Winter und der damit verbundene geringe oder häufig gänzlich ausbleibende Schneefall beeinflussen die Aktivität der Zecken. Die durchschnittliche Temperatur im Winter war laut dem Deutschen Wetterdienst während der Monate Dezember bis Februar in den vergangenen Jahren bis zu 3,1 Grad Celsius höher als in der klimatischen Referenzperiode von 1961 bis 1990.
In Deutschland sind vor allem zwei Zeckenarten verbreitet: der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus) und seit einigen Jahren zunehmend auch die Wiesen- oder Buntzecke (Dermacentor reticulatus). „Wir konnten die winterlichen Aktivitäten dieser beiden Zeckenarten jeweils in drei verschiedenen Ansätzen beobachten: Im Freiland, mit sogenannten Zeckenplots und anhand von Zecken, die Tierärztinnen und Tierärzte uns schickten und die wir auswerteten“, berichtet Strube. Für die Freilandbeobachtungen fingen die Forschenden die Zecken mit der sogenannten Flaggmethode. Dafür ziehen sie ein Baumwolltuch über den Boden. Aktive Zecken klettern auf die Unterseite des Tuchs und können anschließend abgesammelt und gezählt werden. Die Zeckenplots sind ein quasi-natürliches Habitat im Freien, in dem Zecken an dünnen Holzstäben emporklettern können. An diesen Stäben können sie einfach gesehen und gezählt werden. Für die einjährige Einsendungsstudie erfassten die Forschenden knapp 20.000 Zecken und dokumentierten, wie viele Holzböcke und Wiesenzecken in den Wintermonaten Hunde und Katzen gestochen hatten.
Die Wiesenzecke ist über den Winter konstant aktiv – außer wenn es schneit. „Von einer geschlossenen Schneedecke lässt sie sich stoppen“, sagt Strube, „aber auch der Gemeine Holzbock ist inzwischen in milden Wintern von Dezember bis Februar aktiv. Vor allem im Februar können wir einen deutlichen Anstieg der Aktivität beider Zeckenarten beobachten.“
Da Zecken als sogenannte Vektoren fungieren und verschiedene Infektionskrankheiten übertragen können, besteht für Menschen und Tiere inzwischen ein ganzjähriges Infektionsrisiko mit von Zecken übertragenen Krankheiten. Für Tiere sind dabei die Babesiose und Anaplasmose, in geringerem Maß auch die Borreliose von Bedeutung. Die häufigsten zeckenübertragenen Erkrankungen des Menschen sind in Deutschland Borreliose und Frühsommer-Meningoenzephalitis.
Originalpublikation
Winter activity of questing ticks (Ixodes ricinus and Dermacentor reticulatus) in Germany – Evidence from quasi-natural tick plots, field studies and a tick submission study
Julia Probst, Andrea Springer, Anna-Katharina Topp, Michael Bröker, Heike Williams, Hans Dautel, Olaf Kahl, Christina Strube
Ticks and Tick-borne Diseases, https://doi.org/10.1016/j.ttbdis.2023.102225
16.11.2023, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Räumliche Modellierungen zeigen im Detail, wie Wölfe Deutschland wiederbesiedelten und wo sie in Zukunft leben könnten
Sahnestücke zuerst! Die Rückkehr des Wolfs nach Deutschland, die vor rund 23 Jahren in der Lausitz begann, ist ein Prozess von enormer ökologischer und gesellschaftlicher Tragweite. Daher sind ein genaues Verständnis der Wiederbesiedelung des ursprünglichen Lebensraums durch die Raubtiere sowie verlässliche Vorhersagen zu ihrer künftigen potenziellen Verbreitung wertvoll. Ein detaillierter Vergleich unterschiedlicher räumlicher Modellierungsverfahren auf der Basis von Verbreitungsdaten aus 20 Jahren zeigt nun, wie vielschichtig der Prozess ist. Von frühen bis zu späten Phasen änderten sich die Habitatpräferenzen des Wolfs von hoher Selektivität hin zu vergleichsweise geringeren Ansprüchen.
Ein detaillierter Vergleich unterschiedlicher räumlicher Modellierungsverfahren auf der Basis von Verbreitungsdaten aus 20 Jahren zeigt nun, wie vielschichtig der Prozess der Wiederbesiedelung ist. Von frühen bis zu späten Phasen des Prozesses änderten sich die Habitatpräferenzen des Wolfs von hoher Selektivität hin zu vergleichsweise geringeren Ansprüchen, zeigte jetzt ein Team unter Leitung des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) in der Fachzeitschrift „Diversity and Distributions“. Das Team verfeinerte damit die Modellierungsergebnisse aus dem Jahr 2020, die das Bundesamt für Naturschutz veröffentlichte.
Wölfe bevorzugen Lebensräume mit vielen Möglichkeiten, Deckung zu finden, und die in erheblicher Entfernung vom Menschen, seinen Siedlungen und Straßen liegen. Diese Präferenzen bestätigten sich auch bei der Rückkehr nach Deutschland im 21. Jahrhundert und der anschließenden dauerhaften Wiederbesiedelung jenes Lebensraums, in dem sie vor etwa 200 Jahren ausgerottet wurden. Kenntnisse über die Habitatansprüche und -vorlieben des Raubtieres ermöglichen zudem verlässliche Prognosen, wo in der Zukunft Wölfe in Deutschland dauerhaft leben könnten. Im Jahr 2020 veröffentlichte das Bundesamt für Naturschutz (BfN) in Zusammenarbeit mit einem wissenschaftlichen Team der Abteilung für Ökologische Dynamik des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) eine Studie zur Modellierung geeigneter Lebensräume und berechnete, dass potenziell in den Naturräumen Deutschlands Platz für rund 700 bis 1.400 Wolfsterritorien ist. Nun haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler genauer hingeschaut und eine Vielzahl räumlich-zeitlicher Modellierungsverfahren darauf getestet, wie gut sie die tatsächliche Dynamik der Wiederbesiedelung in ihren verschiedenen Phasen wiedergeben.
„Es besteht Grund zur Annahme, dass die Wiederbesiedelung Deutschlands durch den Wolf kein sogenannter stationärer Prozess ist, sondern von sich verändernden Rahmenbedingungen geprägt ist“, erklärt Prof. Stephanie Kramer-Schadt, Leiterin der Abteilung für Ökologische Dynamik am Leibniz-IZW. „Stationäre Prozesse würden in diesem Fall bedeuten, dass die Wölfe in den Regionen, in die sie neu vordringen dieselben oder sehr ähnliche Umweltbedingungen vorfinden – und dass sie in allen Phasen des Wiederbesiedelungsprozesses in gleicher Weise auf die Umweltbedingungen reagieren.“ Beides stand im Falle der Wiederbesiedelung Deutschlands durch den Wolf in Zweifel: Zum einen unterscheiden sich Ostdeutschland und bspw. das Rhein-Ruhr-Gebiet erheblich in Bezug auf die Dichte menschlicher Infrastrukturen, zum zeigen Wölfe womöglich unterschiedliche oder unterschiedlich stark ausgeprägte Habitatpräferenzen, je nachdem ob es sich um eine frühe, erste Phase oder eine späte Sättigungsphase der Wiederbesiedelung handelt.
„Diese Fragen sind für die Güte der Prognose hochrelevant“, sagt Erstautorin Dr. Aimara Planillo aus Kramer-Schadts Abteilung. „Wenn Modelle mit den Umweltbedingungen einer bestimmten Region entwickelt werden, könnten sie die Eignung einer stark abweichenden anderen Region falsch einschätzen. Zugleich können Modelle, die mit Daten aus frühen Wiederbesiedelungsphasen erstellt wurden, die Eignung von Habitaten für späte Phasen unterschätzen – weil die Wölfe in frühen Phasen noch die freie Wahl haben, sich die Sahnestücke der verfügbaren Lebensräume auszusuchen und damit erheblich wählerischer erscheinen als dies für die späten Phasen gilt. Ebenso ist es umgekehrt: Die Daten aus späten Wiederbesiedelungsphasen zeigen Wölfe als wesentlich anspruchsloser, weshalb die Selektivität ihrer Habitatnutzung in neu besiedelten Gebieten wahrscheinlich unterschätzt würde.“
Das Team um Planillo und Kramer-Schadt, dem auch Forschende vom LUPUS Institut für Wolfsmonitoring und -forschung in Deutschland, der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde, der Technischen Universitäten in Dresden und Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin, des Bundesamts für Naturschutz sowie der Veterinärmedizinischen Universität Wien angehörten, testete eine Vielzahl moderner Modellierungsverfahren und -algorithmen mit verschiedenen Daten aus mehr als 20 Jahren Wolfsmonitoring in Deutschland, um ihre Eignung zur Abbildung der Dynamik des Prozesses festzustellen. Sie entwickelten die Modelle dabei mit einer Auswahl der Radiotelemetrie- und Beobachtungsdaten und prüften, wie gut diese die darauffolgenden Phasen des Besiedelungsprozesses vorhersagen konnten. „Wir sehen uns in zweierlei Hinsicht bestätigt“, schließen Planillo und Kramer-Schadt. „Zum einen erweisen sich unsere Hochrechnungen von 2020 im Wesentlichen als zutreffend. Zum anderen zeigen die teilweise deutlichen Unterschiede der Modellprognosen verschiedener räumlicher Phasen des Prozesses, dass dieser tatsächlich nicht stationär verläuft“, so die Autorinnen und Autoren. „Wölfe sichern sich bei der Wiederbesiedlung eines Gebietes immer die besten Habitate zuerst, die Sahnestücke sozusagen. Es scheint also so, als seien sie sehr wählerisch, was die Auswahl geeigneter Umweltbedingungen betrifft. Benachbarte B-Lagen werden in späteren Phasen aber ebenso zuverlässig besiedelt, in vielen Regionen Ostdeutschlands konnten wir das nachweisen.“ Das Team konnte damit ihre Vorhersagen validieren und verfeinern. Räumlich-zeitliche Hochrechnungen von Lebensräumen expandierender Arten seien mit großer Umsicht durchzuführen, schließen sie.
Die wichtigsten Faktoren für geeignete Wolfslebensräume sind eine hohe Nähe zu Wäldern oder anderen Gebieten, die ausreichend Deckung bieten, sowie eine große Entfernung zu Straßen. Im Norden und Nordosten sowie im Süden Deutschlands befinden sich daher die besten Lebensräume für Wölfe, im Westen sind tendenziell Habitate von geringerer Qualität zu finden. Im Süden Bayerns und in einigen Waldgebieten Mitteldeutschlands (im Harz sowie in Spessart, Odenwald und Rhön) waren zum Zeitpunkt der Analysen noch größere Lebensräume von hoher Qualität von Wölfen unbesetzt. Es wurde als wahrscheinlich angesehen, dass dort die ersten Wölfe zunächst in Ideallagen ansässig würden – was nach aktueller Datenlage mittlerweile passiert ist – und erst später über die Zeit auch Lagen mittlerer Güte besiedeln. „Mit Blick auf unsere neuesten Modellierungen und ähnlichen Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern, wo bei hoher Wolfsdichte auch qualitativ minderwertigere Lebensräume dauerhaft genutzt werden, sind bisherige Habitatmodellierungen wohl in der Tendenz zu konservativ“, sagt Kramer-Schadt. „Sie stellen aber eine gute räumliche Prognose für die Erstbesiedelung neuer Lebensräume dar.“
Originalpublikation:
Planillo A, Wenzler-Meya M, Reinhardt I, Kluth G, Michler F, Stier N, Louvrier J, Steyer K, Gillich B, Rieger S, Knauer F, Kuemmerle T, Kramer-Schadt S (2023): Understanding habitat selection of range-expanding populations of large carnivores: 20 years of grey wolves (Canis lupus) recolonizing Germany. Diversity and Distribution 00, 1–16. https://doi.org/10.1111/ddi.13789
16.11.2023, Deutsche Wildtier Stiftung
Dachse sind Tiefbauspezialisten mit Familiensinn und Tradition: Ihre unterirdischen Burgen werden über 100 Jahre alt und beherbergen Generationen
Dachse haben einen elf Kilometer langen Bahndamm in Nordrhein-Westfalen durchlöchert und unterhöhlt. Die Sanierung kommt einem Neubau gleich, die Strecke bleibt auf Jahre unpassierbar. Wer ist dieser tierische Baumeister, der ein ganzes Schienensystem lahmlegt? Die Deutsche Wildtier Stiftung stellt den familienfreundlichen Tiefbauspezialisten vor, dessen Burgen unter Tage manchmal mehr als hundert Jahre alt werden und mehrere Dachs-Generationen gleichzeitig beherbergen können.
Dachse sind nachtaktive Tiere und kommen mit Ausnahme besonders feuchter Lebensräume wie zum Beispiel Mooren überall in Deutschland vor. Ihre Bauanlagen liegen häufig innerhalb von Waldgebieten, manchmal aber auch in der offenen Feldflur. In dem gigantischen Dachsbau zwischen Fröndenberg und Unna fanden die Gutachter 140 Erdlöcher „Dachse sind bekannt für ihre architektonischen Meisterwerke unter Tage“, sagt Dr. Andreas Kinser, Leiter Natur und Artenschutz bei der Deutschen Wildtier Stiftung. Nicht selten erreichen die Burgen unter der Erde einen Durchmesser von bis zu 50 Metern. Den großen Wohnkessel, der mit Moos, Blättern und Farnen warm ausgepolstert ist, legt der Tiefbauspezialist in bis zu fünf Metern unter dem Erdboden an. Dazu kommen oft kleinere Kessel in verschiedenen Etagen, deren Luftzufuhr über das verzweigte Gangsystem geregelt wird. Dachse, die zur Familie der Marder gehören und bis zu 20 Kilogramm schwer werden können, sind perfekt an ihre Bautätigkeit angepasst: Die langen Nägel an ihren Pfoten sind perfekte Grabwerkzeuge – die die für Dachse charakteristische Fußspur hinterlassen. Mit ihrem kompakten Körper schieben die Tiere die ausgegrabene Tunnelerde aus der Burg.
In ihrem verzweigten Bau leben Dachse verschiedener Generationen miteinander: Neben den beiden Elterntieren gehören der jüngste Nachwuchs und die Jungen des vorherigen Jahres zum Clan. Ist der Boden stabil und der Lebensraum geeignet, bleiben die Burgen in der Familie. Jede Generation erweitert das Gangsystem. Eine Besonderheit sind die Dachs-Latrinen. Für ihre Hinterlassenschaften legen die reinlichen Tiere außerhalb des Baus flache Mulden an. Die echten Löcher dienen aber nicht nur dem Dachs, sondern werden oft auch von anderen gegraben und genutzt. Denn Dachse leben manchmal in einer Art Wohngemeinschaft: „Sie teilen sich ihre Baue mitunter mit anderen höhlenbewohnenden Wildtieren, etwa Füchsen“, so Kinser. Der Dachs ist also auch im vorliegenden Fall möglicherweise nicht der alleinige Verursacher. Für Schäden an wallartiger Infrastruktur, zu denen auch Dämme und Deiche gehören, kommen übrigens in Deutschland neben dem Dachs auch Biber, Bisam, Nutria und Wildkaninchen in Frage.