31.10.2023, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Assistierte Reproduktion bei Breitmaulnashörnern ist sicher und zuverlässig, zeigt BioRescue-Analyse von 65 Eingriffen
Das BioRescue-Projekt entwickelt fortschrittliche Technologien der assistierten Reproduktion (aART), um das drohende Aussterben mehrerer Nashornarten und -unterarten zu verhindern. In einer neuen wissenschaftlichen Analyse, die in der Fachzeitschrift „Reproduction“ veröffentlicht wurde, wertete das Team 65 aART-Eingriffe aus, die von 2015 bis 2022 durchgeführt wurden. Die Auswertung zeigt, dass aART sicher und erfolgreich ist – 51 Embryonen konnten in 65 Eingriffen ohne schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit der betroffenen Tiere produziert werden. Vielmehr kamen regelmäßige OPUs der reproduktiven Gesundheit der Nashornweibchen zugute.
Die ausgewerteten aArt-Eingriffe umfassten hormonelle Stimulation der Eierstöcke, Entnahme von Eizellen (ovum pick-up, OPU), In-Vitro-Reifung und In-Vitro-Befruchtung (in vitro fertilisation, IVF) von Eizellen sowie Embryokultur und Kryokonservierung. Die Auswertung zeigt, dass aART sicher und erfolgreich ist – 51 Embryonen konnten in 65 Eingriffen ohne schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit der betroffenen Tiere produziert werden. Vielmehr kamen regelmäßige OPUs der reproduktiven Gesundheit der Nashornweibchen zugute, indem sie nachweislich die Funktion der Eierstöcke verbesserten, die Zahl der Follikel erhöhten und die Rückbildung pathologischer Strukturen wie Zysten bewirkten.
Da die meisten Nashornarten und -unterarten vom Aussterben bedroht sind und zum Teil aufgrund niedriger Bestandsdichten und seltener Paarungsereignisse Schwierigkeiten bei der natürlichen Fortpflanzung haben, sind neue Methoden für ihre Erhaltung und die Verbesserung ihrer reproduktiven Fähigkeiten erforderlich. Der vielversprechendste neue Ansatz ist die Entwicklung und Erprobung fortgeschrittener Technologien der assistierten Reproduktion (aART), wie das Ovum Pick-up (OPU) – die Entnahme unreifer Eizellen (Oozyten) – und die In-vitro-Fertilisation (IVF). Diese Technologien ermöglichen die Erzeugung von Embryonen im Labor, die später in Leihmütter transferiert und von diesen ausgetragen werden können.
Für das nördliche Breitmaulnashorn, einer Unterart mit lediglich zwei verbliebenen Weibchen, ist dies die einzige Option für Nachwuchs. Beide Weibchen können auf natürlichem Wege nicht trächtig werden und zudem aufgrund gesundheitlicher Probleme keine Schwangerschaft austragen. Das BioRescue-Projekt unter der Leitung des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) entwickelt und erprobt diese Technologien, um den Zuchterfolg von südlichen Breitmaulnashörnern in menschlicher Obhut zu verbessern und das nördliche Breitmaulnashorn vor dem Aussterben zu bewahren. Das Konsortium nimmt die Sicherheit und das Wohlergehen der Tiere, das Qualitätsmanagement und die ethische Risikobewertung sehr ernst und evaluiert ständig seine neuen wissenschaftlichen und veterinärmedizinischen Verfahren.
BioRescue führte von 2015 bis 2022 insgesamt 65 aART-Eingriffe durch und veröffentlichte nun eine Auswertung dieser Daten in der Fachzeitschrift „Reproduction“. Das Autorenteam um Prof. Thomas Hildebrandt, Dr. Frank Göritz, Dr. Susanne Holtze vom Leibniz-IZW sowie Dr. Silvia Colleoni und Prof. Cesare Galli von Avantea srl. analysierte für 65 Eingriffe an 20 südlichen und zwei nördlichen Breitmaulnashornweibchen die Tiergesundheit und die gesundheitlichen Auswirkungen der Eingriffe, den Einfluss des Alters, der Jahreszeit, der Unterart, der Herkunft der Individuen, des hormonellen Status und des Zyklus sowie des Stimulationsprotokolls auf die Erfolgsraten der OPU- und IVF-Eingriffe. Die wichtigsten Ergebnisse sind:
• Die aArt-Verfahren erwiesen sich als Garant für die erfolgreiche Produktion von Breitmaulnashorn-Embryonen. Insgesamt wurden bei 65 OPU-Eingriffen 1505 Ovarialfollikel mittels transrektalem Ultraschall gezählt. Von diesen wurden 1171 Follikel punktiert, gespült und aspiriert. Das Team entnahm 402 Eizellen, von denen 393 erfolgreich in das Avantea-Labor transportiert wurden. 150 reiften erfolgreich und wurden mittels Piezo-intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) mit je einer einzigen Samenzelle befruchtet. Daraus entwickelten sich 75 Embryonen und 51 Blastozysten wurden schließlich kryokonserviert – 19 südliche, 22 nördliche und 10 Hybride aus Eizellen des südlichen und Spermien des nördlichen Breitmaulnashorns. Die Zahl der pro Verfahren entnommenen Eizellen, die Eizellgewinnungsrate und die Erfolgsrate der Embryonen nahmen im Laufe der Zeit deutlich zu, was auf technische Optimierung, verbesserte Teamleistung und der kumulative positive Effekt wiederholter OPUs auf die reproduktive Gesundheit der Spenderinnen zurückzuführen ist.
• Auch bei wiederholten OPUs gab es keine Hinweise auf nachteilige Auswirkungen der Eingriffe auf die Gesundheit der Tiere, wie etwa Entzündungen, pathologische Veränderungen der Fortpflanzungsorgane oder ein nachlassendes Ansprechen auf die ovarielle Stimulation. Die Analysen zeigten auch keine nachteiligen Auswirkungen wiederholter OPU-Eingriffe mit vorheriger hormoneller Stimulation auf die reproduktive Gesundheit, die Fruchtbarkeit, die Zyklusaktivität, die Morphologie der Eierstöcke, die Follikelzahl oder die Erfolgsraten auf allen Ebenen des IVF-Programms.
• Das Anästhesierisiko kann als vernachlässigbar angesehen werden: Die Narkosen bei allen 65 Eingriffen sowie bei mehr als 500 Eingriffen, die das Team in der Vergangenheit bei Breitmaulnashörnern zur Samengewinnung, Gesundheitsbewertung oder künstlichen Besamung durchführte, verliefen völlig komplikationslos. Selbst beim nördlichen Breitmaulnashorn Fatu gibt es nach zehn Eingriffen im Abstand von jeweils drei Monaten keine Anzeichen schädlicher Auswirkungen oder Risiken.
• Es gibt jedoch klare Hinweise auf gesundheitliche Vorteile für Individuen nach OPU-Eingriffen. Eine pathologische zystische Eierstockstruktur beim nördlichen Breitmaulnashorn Fatu bildete sich im Laufe von drei Jahren und zehn Eingriffen von 50 mm Durchmesser auf einen von 15 mm zurück. Nach der Entfernung von Ovarialzysten bei zwei südlichen Breitmaulnashörnern im Rahmen von OPU-Eingriffen nahm die Zahl der Follikel zu und die Morphologie der Eierstöcke verbesserte sich. Eine Rückbildung des Fortpflanzungstrakts ist bei weiblichen Nashörnern, die sich nicht regelmäßig paaren und dann schwanger werden, häufig. Diese Degeneration führt zu einer verminderten Fruchtbarkeit und zu einem vorzeitigen Ende der reproduktiven Lebensspanne. Wiederholte OPU-Eingriffe können dies offensichtlich verhindern und dazu beitragen, die reproduktive Gesundheit zu erhalten oder sogar wiederherzustellen, so die Schlussfolgerung des BioRescue-Teams.
• Die natürliche Fortpflanzung wurde durch Eizellentnahmen nicht beeinträchtigt. Zwei Breitmaulnashorn-Weibchen mit natürlichem Zyklus und vier bzw. fünf OPU-Eingriffen danach durch eine natürliche Paarung schwanger. Ein zuvor nicht zyklisches Weibchen entwickelte nach zwei erfolgreichen OPU-Eingriffen wieder einen Zyklus, wurde trächtig und brachte ein gesundes männliches Kalb zur Welt. Dies deutet auf einen positiven Einfluss der Eingriffe auf den Zyklus der Weibchen hin. Da die OPU-Eigriffe die reproduktive Gesundheit der Breitmaulnashörner verbesserte, könnte diese „mechanische Reinigung der Eierstöcke“ sogar als optionale Behandlung zur Wiederherstellung der Fruchtbarkeit von Weibchen mit Fortpflanzungsstörungen dienen, so die Schlussfolgerung des Teams.
• Das Alter der Eizellenspenderinnen ist entscheidend für den IVF-Erfolg. In der Studiengruppe konnten bei etwa der Hälfte der OPU-Eingriffen mit weiblichen Breitmaulnashörnern, die älter als 24 Jahre waren, keine Eizellen gewonnen werden. Hingegen wurden bei Weibchen, die 24 Jahre oder jünger waren, nur bei sechs Prozent der OPU-Eingriffe keine Eizellen gewonnen werden. Das Team konnte zudem keine für die Kryokonservierung geeigneten Embryonen im Blastozystenstadium von Spenderinnen erzeugen, die älter als 24 Jahre waren. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Erfolg bei der Embryoproduktion mit der letzten weiblichen Eizellenspenderin des nördlichen Breitmaulnashorns, Fatu und jetzt 23 Jahre alt, in den kommenden Jahren zurückgehen oder ausbleiben könnte. Optimale Ernährung, körperliche Bewegung, das kenianische Klima, die halbwilde Haltung und möglicherweise unterartspezifische Faktoren könnten diesen Zeitraum jedoch möglichweise verlängern.
Das BioRescue-Team betont, wie wichtig es ist, neue entwickelte Technologien an der Grenze des technologisch Machbaren unverzüglich in die Artenschutz-Praxis umzusetzen, dabei aus der Praxis zu lernen und die Verfahren zu verbessern. Regelmäßige Evaluierungen und ethische Risikobewertungen werden weiterhin ein zentrales Element des Programms sein. Die erfolgreiche Produktion der Embryonen – insbesondere der Embryonen des nördlichen Breitmaulnashorns – unterstreicht die Bedeutung der Technologie und ihr Potenzial, eines der drängendsten globalen Probleme unserer Zeit anzugehen: den dramatischen Verlust der Artenvielfalt. Dieser Rückgang führt zu einer unkalkulierbaren Beeinträchtigung wichtiger Ökosysteme und begünstigt gleichzeitig das Auftreten neuartiger Krankheitserreger, die die Lebensgrundlage der Menschheit zerstören können.
Originalpublikation:
Hildebrandt TB, Holtze S, Colleoni S, Hermes R, Stejskal J, Lekolool Isaac, Ndeereh D, Omondi P, Kariuki, L. Mijele, D, Mutisya, S, Ngulu S, Diecke S, Hayashi K, Lazzari G, de Mori B, Biasetti P, Quaggio A, Galli C, Goeritz F (2023): In vitro fertilization (IVF) program in white rhinoceros. Reproduction 166/6, 383–399. DOI: 10.1530/REP-23-0087
02.11.2023, BUND
Wildkatze gewinnt Lebensräume zurück
Neue Nachweise der gefährdeten Art in mehreren Bundesländern
Im Projekt „Wildkatzenwälder von morgen“ gestaltet der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) wildkatzengerechte Lebensräume und sucht nach neuen Vorkommen der Europäische Wildkatze. Die jüngsten Untersuchungen belegen neue Nachweise der Art in Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt. Dem BUND Hessen gelang es, die Wildkatzen im hessischen Odenwald nachzuweisen – erstmals seit 100 Jahren.
Die Wildkatze soll sich weiter ausbreiten. Daran arbeitet der BUND zusammen mit regionalen Partner*innen, u.a. aus Forst und Jagd. Zusammen entwickeln sie wildkatzengerechte Wälder, Waldränder und Wiesen. Die Zusammenarbeit auf Landesebene funktioniert gut. Diesen Herbst starten die ersten sieben BUND-Landesverbände mit konkreten Waldaufwertungen.
Olaf Bandt, BUND-Vorsitzender: „Die Rückkehr der Wildkatze ist eine Erfolgsgeschichte für den Naturschutz. Die Regionen, in die die Art zurückkehrt, erhalten durch die Wildkatze eine Art Auszeichnung. Wo die Wildkatze sich wohlfühlt, finden auch viele andere Arten wertvollen Lebensraum. Mit unserem überregionalen Verbundprojekt decken wir fast die gesamte Verbreitungsfläche der Wildkatze ab. Somit setzen wir uns effektiv für den Schutz und die Entwicklung der streng geschützten Art ein. Wildkatzenwälder von morgen sind zudem eine Bereicherung für uns alle. Sie sind besser vor Stürmen und Austrocknung geschützt und puffern Klimaextreme ab.“
Die Wildkatze mag ihren Lebensraum unaufgeräumt, naturnah und störungsarm. Deshalb pflanzen der BUND und seine Partner*innen heimische Bäume und Sträucher, schützen alte Bäume und schaffen mehr Totholz im Wald. Gemeinsam arbeiten sie zusätzlich daran, potenzielle Gefahrenquellen im Wald für die Wildkatze zu vermindern.
Der BUND lädt dazu ein, sich beim Schutz für die Wildkatze zu beteiligen. Angesprochen sind Organisationen und Menschen, die Wald besitzen oder verwalten. Ebenso sind Freiwillige gesucht, die sich bei den Pflanzungen oder der Kontrolle von Lockstöcken zum Nachweis von Wildkatzenvorkommen engagieren möchten. Das Engagement bietet eine Möglichkeit, sich aktiv für heimischen Wälder, bedrohte Tierarten und den natürlichen Klimaschutz einzusetzen.
Das sechsjährige Projekt „Wildkatzenwälder von morgen“ wird im Bundesprogramm Biologische Vielfalt durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz gefördert. Das Projekt setzen der BUND-Bundesverband, die BUNDjugend und die BUND-Landesverbände Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen um.
Hintergrund:
Der BUND engagiert sich seit 2004 mit seinem „Rettungsnetz Wildkatze“ für den Schutz der Europäischen Wildkatze in Deutschland. Die Naturschützer*innen untersuchen regelmäßig die aktuellen Bestände der gefährdeten Tierart. Mit dem Wissen um die Verbreitungsgebiete der Wildkatze kann ihr Lebensraum gezielt geschützt und verbessert werden.
Um die Europäische Wildkatze nachweisen zu können nutzt der BUND das sogenannte Lockstock-Monitoring. Freiwillige bringen Holzstöcke in Gebieten aus, in denen die scheue Wildkatze vermutet wird. Sie besprühen die Stöcke mit Baldrian. Der Geruch ist den Sexuallockstoffen der Wildkatze sehr ähnlich und zieht die Tiere magisch an. Die Katzen reiben sich am rauen Holz und hinterlassen einzelne Haare. Die Naturschützer*innen sammeln dies ab. Anschließend schicken sie die Proben für eine genetische Untersuchung zur Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung.