Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

22.08.2023, Universität Regensburg
Ameisen können Warteschlangen vorhersehen und vermeiden sie
Ameisen erkennen, ob ein Ort schnell überfüllt ist, indem sie ihn einfach nur ansehen, und nutzen dieses Wissen, um überfüllte Nahrungsquellen im Voraus zu meiden, ohne die Überfüllung tatsächlich zu sehen.
Wir Menschen sind ziemlich gut darin, herauszufinden, wie voll die Cafeteria auf der Arbeit sein wird, und gehen woanders hin, wenn wir glauben, dass sie voll sein wird. Nun haben Forscher*innen der Universität Regensburg herausgefunden, dass auch Ameisen wissen, dass manche Futterstellen voll werden können und sie meiden diese, wenn sie glauben, dass bereits viele ihrer Artgenossen dort hingehen.
Schlangestehen ist lästig und vergeudet unsere Zeit, also versuchen wir, es zu vermeiden. Stellen Sie sich vor, Ihr Lieblingsimbiss wäre ein winziges Restaurant mit Essen zum Mitnehmen, und Sie sähen viele Leute mit Essen von dort auf Sie zukommen. Wenn Sie wirklich hungrig sind, denken Sie vielleicht: „Oh, da ist bestimmt viel los, vielleicht gehe ich heute woanders hin“. Ameisen können genau das gleiche Problem haben: Sie beziehen einen Großteil ihrer Nahrung von Insekten wie Blattläusen, die Honigtau produzieren. Aber kleine Gruppen von Blattläusen produzieren nur wenig Honigtau und es dauert lange, bis sie wieder mehr produzieren, wenn dieser aufgefressen wurde.
„Ameisen sind uns ähnlicher, als die meisten Menschen denken“, sagt Dr. Laure-Anne Poissonnier, Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Zoologie / Evolutionsbiologie der UR und Leiterin der Studie. „Ich habe mich daher gefragt, ob Ameisen auch versuchen würden, Nahrungsquellen die sie mögen zu meiden, wenn diese nur wenig Platz bieten und belebt aussehen.“ Um dieses zu testen, ließen die Forscher*innen die Ameisen von einem speziellen Zuckerlösungstränker fressen, der entweder genug Löcher für viele Ameisen gleichzeitig oder nur genug Platz für eine Ameise hatte. Dann ließen sie die Ameisen wissen, dass es an einem anderen Ort einen weiteren Futterautomaten gibt, der ebenfalls leicht überfüllt sein kann oder nicht. Als die hungrigen Ameisen wiederkamen, um nach Futter zu suchen, traf die Hälfte von ihnen auf viele bereits gesättigte Ameisen, die von der ersten, bevorzugten Futterstelle zurückkamen und die andere Hälfte traf keine anderen Ameisen. Wenn die hungrigen Ameisen beim letzten Mal Tränker mit vielen Löchern benutzt hatten oder dieses Mal keine anderen Ameisen trafen, gingen sie einfach zu ihrem Lieblingstränker. Hatten die hungrigen Ameisen jedoch Tränker mit nur ein Loch benutzt und trafen viele andere Ameisen, die von der bevorzugten Futterstelle zurückkamen, mieden sie diese und gingen stattdessen zu der weniger beliebten Alternative.
„Das wirklich Verrückte“, sagt PD Dr. Tomer Czaczkes, der ebenfalls an der Studie mitgearbeitet hat, „ist nicht einmal, dass sie den überfüllten Tränker zur Stoßzeit mieden. Das macht Sinn. Die eigentliche Frage ist: Wie haben sie herausgefunden, dass der Tränker überfüllt sein könnte?“ Die Ameisen haben diesen Tränker noch nie in ihrem Leben gesehen und auch noch nie erlebt, dass er überfüllt ist. Dennoch haben sie irgendwie herausgefunden, dass dieses Futterhaus nur einige wenige Ameisen fassen kann. „Das deutet darauf hin“, fügt Dr. Laure-Anne Poissonnier hinzu, „dass die Ameisen ein sehr tieferes Verständnis davon haben, wie die Welt funktioniert.“
Originalpublikation:
Laure-Anne Poissonnier, Yannick Hartmann, Tomer J. Czaczkes (2023), “Ants combine object affordance with latent learning to make efficient foraging decisions.“, Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), DOI: 10.1073/pnas.2302654120
https://doi.org/10.1073/pnas.2302654120

22.08.2023, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels
Insektizide beeinflussen Wasserinsekten auf unerwartete Weise
Der Einsatz von Insektiziden in der Landwirtschaft hat negative Folgen für Flüsse und die darin lebenden Tiere. Eine aktuelle Studie unter Federführung des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB) liefert erste Hinweise zu Veränderungen des genetischen Programms in Insektenlarven, die in Flüssen leben.
Schädlingsbekämpfungsmittel (Pestizide) gehören weltweit zu den am häufigsten eingesetzten Chemikalien und beeinträchtigen Ökosysteme wie Flüsse äußerst negativ. Ungeklärt ist bislang, welche genetischen Effekte in Insektenlarven, die in Flüssen leben, durch Pestizidbelastung hervorgerufen werden. Die aktuell im Fachmagazin Environmental Pollution veröffentlichte Studie legt erste Ergebnisse für eine veränderte Genaktivität vor.
Landwirtinnen und Landwirte setzen das Insektizid Chlorantraniliprol breit gegen Schmetterlingslarven ein. Jedoch, so die Studie, werden nicht nur sogenannte Schädlinge von diesem toxischen Mittel beeinflusst: Insbesondere Köcherfliegenlarven, die nächsten Verwandten der Schmetterlinge, aber auch Eintagsfliegenlarven zeigten eine veränderte Genaktivität, wenn sie dem Insektizid ausgesetzt wurden.
Überraschenderweise beobachteten die Forschenden in beiden Tiergruppen eine Veränderung der Aktivität von Genen, welche die Entwicklung der Insekten vom Larvenstadium zum ausgewachsenen Tier kontrollieren. Dies ist besorgniserregend, da die erwachsenen Exemplare der untersuchten Insektenarten für Vögel und andere Tiere eine wichtige Futterquelle bieten.
„Veränderungen im Entwicklungszyklus der Larven können somit nicht nur das Leben in den Flüssen, sondern auch Nahrungsnetze in angrenzenden Wiesen, Wäldern und Feldern beeinflussen“, betont Marie Brasseur, Erstautorin und Doktorandin am LIB. „Insofern kann Pestizidbelastung ökosystemübergreifende Konsequenzen haben. Pestizide beeinträchtigen nicht nur die Arten, gegen die sie eingesetzt werden, sondern auch viele weitere Tiergruppen.“
Für die Untersuchung entnahmen die Forschenden Wasser aus dem Bach Bieber in Hessen. Im Labor erzeugten sie während der zehntägigen Versuchsphase einen geschlossenen Wasserkreislauf. Mittels RNA-Sequenzierung entschlüsselten sie genetische Reaktionen der untersuchten Organismen, die durch das Pestizid hervorgerufen wurden und erhielten darüber Informationen, welche Gene durch das Pestizid aktiviert oder gehemmt wurden.
Die international begutachtete Studie ist frei verfügbar und entstand im Rahmen einer Kooperation zwischen dem LIB, Museum Koenig Bonn, der Aquatischen Ökosystemforschung der Universität Duisburg-Essen und der Forschungsgruppe Landschaftsökologie der RPTU Kaiserslautern-Landau.
Originalpublikation:
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0269749123013088
Marie V. Brasseur, Florian Leese, Ralf B. Schäfer, Verena C. Schreiner, Christoph Mayer, Transcriptomic sequencing data illuminate insecticide-induced physiological stress mechanisms in aquatic non-target invertebrates, Environmental Pollution, Volume 335, 2023, 122306, ISSN 0269-7491, https://doi.org/10.1016/j.envpol.2023.122306.

25.08.2023, Dachverband Deutscher Avifaunisten
Eddis Weg in die Karte: Ein Wissenschaftscomic über die Arbeit mit vogelkundlichen Daten
Die NFDI4Biodiversity-Partnereinrichtungen Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) und Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) arbeiten gemeinsam daran, Formate der Wissensvermittlung zu entwickeln. Herausgekommen ist unter anderem ein Wissenschaftscomic, der auf anschauliche Weise erklärt, wie Informationen über Vogelbestände erhoben werden und wie aus Forschungsdaten eine Karte entsteht.
Wissenschaftscomics sind eine einzigartige Art der Wissensvermittlung. Durch die Verbindung von anschaulichen Bildern und leicht verständlichen Texten machen sie komplexe Zusammenhänge zugänglich und wecken Interesse an der Wissenschaft.
„Eddis Weg in die Karte“ wurde von den Autor*innen Robert Köpke, Jana Moser und Christian Hanewinkel in enger Zusammenarbeit mit der Illustratorin Katrin Wolff entwickelt. Der Comic veranschaulicht auf spannende Weise die Bedeutung und Nutzung von Daten in Biodiversitätsforschung und -schutz. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Arbeit des DDA, der während der jährlichen Wasservogelzählung systematisch Angaben über Vogelbestände sammelt. Diese wertvollen Daten sind von großer Bedeutung für den Naturschutz, denn sie dokumentieren, wie sich die Bestände und Verbreitungsgebiete der Vögel im Lauf der Zeit verändern. Gefördert wurde die Veröffentlichung von NFDI4Biodiversity, in dessen Rahmen die Kollaboration von IfL und DDA entstand.
Eddi, der Erpel, übernimmt die Rolle des Erzählers und führt die Leserinnen und Leser mit Leichtigkeit und einer Prise Humor durch die Welt der Datengewinnung, -verarbeitung und -nutzung. Den Leserinnen und Lesern wird so auf anschauliche und unterhaltsame Art erklärt, wie man Vorkommensdaten nutzt und welche Schritte erforderlich sind, um diese Daten in einer Karte darzustellen. Das Hauptziel besteht darin, einer breiten Öffentlichkeit wissenschaftliche Inhalte zu vermitteln und das Interesse an Vogelkunde, Kartographie und Forschungsdaten zu wecken.
„Der Comic ‚Eddis Weg in die Karte‘ ist ein tolles Beispiel dafür, wie ein Wissenschaftscomic genutzt werden kann, um das Bewusstsein für die Bedeutung von Daten in der Biodiversität zu schärfen und das Thema der Datenerhebung zugänglicher zu machen”, sagt NFDI4Biodiversity-Sprecher Frank Oliver Glöckner über die Veröffentlichung. “Durch seinen intuitiven Illustrationsstil und die mitreißende Geschichte bietet der Comic eine spannende Gelegenheit, sich mit der Vogelkunde, Kartographie und Forschungsdaten zu beschäftigen.”
Der Comic ist frei zugänglich unter https://leibniz-ifl.de/fileadmin/Redaktion/Forschung/Geovisualisierungen/Eddis-Weg-in-die-Karte_Comic_230221.pdf

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