12.11.2018, NABU
Storchenjahr besser als erwartet
Im Westen nehmen Storchenbrutpaare weiter zu, im Osten geringerer Bruterfolg
Während sich die Störche schon in ihren afrikanischen und spanischen Winterquartieren von ihrer langen Reise erholen, zieht der NABU eine erste Bilanz der diesjährigen Brutsaison. „Der Bruterfolg war trotz der anhaltenden Trockenheit in den meisten Regionen besser als erwartet“, sagte Christoph Kaatz, Sprecher der NABU-Bundesarbeitsgruppe Weißstorchschutz.
Zwar begann die Brutsaison 2018 vor allem in den ostdeutschen Bundesländern sehr zögerlich, denn viele Störche wurden durch einen Wintereinbruch in Bulgarien und Rumänien an der Rückkehr gehindert. Viele kamen später als üblich zurück und der Brutbestand ging leicht zurück.
In den westlichen Bundesländern nahm die Zahl der Störche dagegen, wie in den Vorjahren, weiter zu. „Die Weststörche ziehen zumeist nicht mehr nach Afrika, sondern überwintern bereits in Spanien, mit der Folge, dass eine größere Zahl zu uns zurückkehrt“, so Kaatz. Die Überwinterung in Spanien sei also die Hauptursache für den rasanten Wiederaufstieg des Weißstorchs im Westen.
Während im verregneten Sommer 2017 zahlreiche Jungstörche der Nässe und Kälte zum Opfer fielen, kamen in diesem Jahr Sonne und Wärme den Jungstörchen eher entgegen. Dass es trotzdem nicht in allen Regionen zu einem erfolgreichen Storchenjahr reichte, liege an der langen Trockenheit. „In Regionen mit vielen Feuchtwiesen und Flussauen gab es mehr Jungstörche als in anderen Regionen, da dort genügend Futter zur Verfügung stand“, so der NABU-Storchenschützer Kaatz. Weißstörche seien auch bei der Nahrungswahl flexibel: Gibt es wenig Regenwürmer und Frösche, weichen sie auf Insekten und Mäuse aus.
In Sachsen-Anhalt und Niedersachsen lag der Bruterfolg bei fast zwei Jungen pro Paar, in Thüringen und Baden-Württemberg sogar darüber. Hessen verzeichnete 2018 eine Zunahme der Bestände um zehn Prozent auf derzeit 700 Paare. In Teilen Brandenburgs war es dagegen vergleichsweise nur ein durchschnittliches Jahr für den NABU-Wappenvogel.
12.11.2018, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Bund unterstützt mit 6,9 Millionen Euro den Bau eines Zentrums zur Wiederansiedlung des Störs
Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat 6,9 Millionen Euro für den Europäischen Stör bewillligt: Auf der Elbinsel in Geesthacht soll ein Zentrum für die wissenschaftliche Begleitung der Wiederansiedlung dieser vom Aussterben bedrohten Fischart unter Leitung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) entstehen. Das IGB hat die Grundlagen zur Wiederansiedelung des Europäischen Störs erarbeitet. Mit der Unterstützung des neuen Zentrums unternimmt der Bund nun einen wichtigen Schritt für die praktische Umsetzung dieser Schutzbemühungen.
Süßwasserfische gehören weltweit zu den am stärksten bedrohten Arten. Aufgrund ihres langen Lebenszyklus, ihrer Größe und ihrer langen Wanderungen sind Störe besonders betroffen. Von 27 bekannten Arten sind 23 als gefährdet und 17 als stark gefährdet eingestuft. So gilt der früher bei uns heimische Europäische Stör seit 40 Jahren als ausgestorben.
Den Stör als charismatische Schirmart für Binnengewässer in Deutschland und Europa wiederanzusiedeln, ist ein wichtiges Ziel der nationalen und EU-weiten Biodiversitätsstrategie. Das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) erforscht in diesem Rahmen die Möglichkeiten der Wiederansiedelung des Europäischen und des Baltischen Störs und führt regelmäßig Besatzmaßnahmen in deutschen Flüssen durch.
Direkt neben Europas größter Fischaufstiegsanlage auf der Elbinsel in Geesthacht soll nun eine neue Anlage für die Elterntierhaltung und Aufzucht entstehen. Die Bundesmittel in Höhe von 6,9 Millionen Euro sind vorgesehen für einen Laborbau und eine Leichtbauhalle, in der die Fischhaltung untergebracht wird. Zudem ist ein Informationszentrum geplant, um der Öffentlichkeit Themen der Fließgewässerökologie am Beispiel der Wiederansiedlung des Störs in der Elbe zu vermitteln und für Groß und Klein erlebbar zu machen.
„Das ist ein gewaltiges Programm zur Wiederansiedlung des Störs. Das ist eine nationale Aufgabe, die dringend eine finanzielle Unterstützung des Bundes gebraucht hat. Denn die Zeit drängt. Die Kapazitäten am Standort des IGB in Berlin reichen nicht mehr aus, um die Aufzucht der Störe massiv zu erweitern“, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Norbert Brackmann, der im Kreis der Haushaltspolitiker erfolgreich für die Bereitstellung der Mittel geworben hat.
Dr. Jörn Gessner, Projektleiter des Wiederansiedlungsprogramms am IGB, freut sich sehr über diesen wichtigen Schritt: „Der Fischaufstieg in Geesthacht war bereits ein gutes Beispiel dafür, wie sich die verschiedenen Akteure erfolgreich für den Schutz des Europäischen Störs einsetzen. Das neu geplante Zentrum schafft die Voraussetzungen, um nun auch die Nachzuchten für den Elbe-Besatz bereitzustellen. Der Traum von einer Elbe, in der die bis zu fünf Meter lange Flussriesen wieder heimisch sind, ist damit ein Stück näher gerückt.“
14.11.2018, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Insektensterben – eine schleichende Katastrophe
„Wespen sind wichtige ökologische Regulatoren“, sagt der Biologe Bruno Streit, Seniorprofessor für Ökologie und Evolution der Goethe-Universität, „doch wer denkt schon daran, wenn sie auf dem Zwetschgenkuchen sitzen?“ Dass vor allem jüngere und weniger gebildete Menschen die Bedeutung von Insekten für Ökosysteme unterschätzen, fanden er und seine Kollegen von Bio-Frankfurt kürzlich bei einer Befragung von 1979 Personen heraus. In einem Interview für das Online-Magazin der Goethe-Universität reflektiert Streit über Ursachen und mögliche Lösungen.
Heute gibt es 80 Prozent weniger Insekten in der Luft als zu Zeiten unserer Großeltern. Ältere Menschen bedauern das schleichende Verschwinden der summenden Vielfalt mehr als jüngere. Vielleicht, weil die es nicht anderes kennen. Aber laut Umfrage ist die richtige Einschätzung des Insektensterbens auch eine Frage der Bildung. Das unterscheidet die schleichende Katastrophe am meisten von den plötzlichen, deren Folgen direkt spürbar sind.
„Gäbe es schlagartig keine Insekten mehr, würden alle insektenbestäubten Blütenpflanzen verschwinden, Ab- und Umbauprozesse im Wald weitgehend zum Erliegen kommen. Die auf Insektennahrung spezialisierten Vögel, Fledermäuse, Igel und Spitzmäuse würden weitgehend oder ganz aussterben“, erklärt Bruno Streit. Erst im Laufe vieler Millionen Jahre könnte sich theoretisch wieder eine neue entsprechende Vielfalt einstellen. „So weit wird es zwar nicht kommen, aber eine Abnahme der Singvögel ist teilweise bereits eingetreten“, fügt er hinzu.
Das hat auch wirtschaftliche Folgen. Auf chinesischen Obstplantagen wird die Obstblütenbestäubung teilweise schon durch Menschen auf Leitern vorgenommen. Kurzfristig erwartet Streit, dass einige Produkte wie Obst teurer werden. „Wenn aber die globalisierte Weltwirtschaft schrumpft oder zusammenbricht – ein Szenario, das wir derzeit alle ausblenden – und die Bevölkerung auch bei uns wieder stärker zu einer regionalen Selbstversorgung übergeht, werden sich die Nachteile einer irreversibel verarmten Natur durchaus drastisch zeigen“, warnt der Experte.
Denn mit der biologischen Vielfalt verschwinden auch genetische Ressourcen von unserem Erdball. Gezüchtete Pflanzen und Tiere sind meist genetisch verarmt und spezialisiert. Damit erhöht sich das Risiko, dass sie künftigem Parasiten- oder Klimastress zum Opfer fallen. Viele der wenig bekannten Wildarten beherbergen zudem auch Substanzen oder Fähigkeiten, die für uns in der Zukunft noch interessant werden könnten.
Wie man Menschen für die Folgen des Insektensterbens sensibilisieren kann, ist für Bruno Streit und seine Kollegen bei Bio-Frankfurt ein großes Thema. „Man kann die Farbenpracht des Ligusterschwärmers zeigen, die beeindruckende Größe des Hirschkäfers und die Nützlichkeit der vielen Bestäuber für Wildpflanzen und unser Obst zu erläutern. Aber da kommt man bei Menschen mit Ekel, Phobien oder notorischem Desinteresse an ‚Krabbeltieren‘ rasch an die Grenzen seiner Überzeugungskraft“, weiß Streit aus Erfahrung. Viele Kollegen nutzten daher die Honigbiene als Sympathieträger. Aber ausgerechnet die sei ein gezüchtetes Hochleistungsnutztier, das – so wird oft vermutet – regional manche der derzeit noch rund 500 Wildbienenarten erheblich unter Existenzdruck setzt.
Lässt sich das Insektensterben überhaupt noch aufhalten? „Grundsätzlich wäre es noch möglich, die ursprüngliche Insektenfauna wieder zum Krabbeln und Summen zu bringen. Aber dazu müsste unser Landschafts- und Landwirtschaftskonzept radikal geändert werden“, so Streit. Pessimisten wenden ein, dass es politisch nicht umsetzbar sein wird, die endlosen Monokulturen, regulierten Wasserläufe, die Benebelungen durch Biozide und die Verfrachtungen von Schad- und Düngestoffen über Wind, Niederschläge und Sickerwasser zu unterbinden. Denn darüber hinaus müssten auch wieder Hecken, Blumenwiesen und weitere Freiflächen zu Lasten der Landwirtschaftsflächen generiert werden, die zu einem großen Teil der Produktion von Viehfutter dienen. Das würde Kosten, Lohneinbußen und soziale Spannungen erzeugen und letztlich auch die Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt mindern.
Als Kompromiss fordern Streit und seine Kollegen von Bio-Frankfurt den Erhalt von so viel Strukturvielfalt und Niedrigbelastung, wie möglich und sozial akzeptabel ist. Sie setzen sich dafür ein, bei Kindern und noch naturnah empfindenden Erwachsenen den emotionalen Bezug zur Natur zu stärken. Neben den traditionellen Schutzgebieten plädieren sie auch für die Einrichtung von „Wildnis“-Arealen wie sie gerade auf der ehemaligen Müllkippe „Monte Scherbelino“ in Frankfurt entstehen. „Dann hat auch der Nicht-Biologe wieder eine Chance, zu sehen und zu erleben, wie sich Natur entwickelt. Denn das Verständnis ergibt sich nicht einfach durch den Besuch der Zoologischen und Botanischen Gärten oder Museen, so wertvoll und wichtig diese als zusätzliche Motivationshelfer sind und bleiben!“, schließt Streit.
16.11.2018, Universität Bielefeld
Elf Robbenarten sind Ausrottung knapp entgangen
Studie der Universität Bielefeld erscheint in „Nature Communications“
Das Fell als Rohstoff für Pelzmäntel, das Fett für Öllampen und als Heilmittel in der Kosmetik: Millionen von Robben wurden jährlich bis Ende des 19. Jahrhunderts gejagt und getötet. Welche Folgen die damalige industrielle Jagd für derzeitige Robbenbestände hat, zeigt eine heute (16.11.2018) erschienene Studie in „Nature Communications“. Verhaltensforschende der Universität Bielefeld haben herausgefunden: Elf Robbenarten sind nur knapp der Ausrottung entkommen.
Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist es gelungen, einen Großteil der heute lebenden Arten in ihre Untersuchung einzubeziehen. Die meisten Arten haben laut der Studie die Hochphase der Robbenjagd so gut überstanden, dass ihre genetische Ausstattung weiterhin variantenreich ist.
„Durch Jagd, Seuchen, Klimawandel oder auch Extremwetter können Tierarten in ihren Beständen so stark reduziert werden, dass sie genetisch verarmen“, sagt Professor Dr. Joseph Hoffman, Leiter der Forschungsgruppe Molekulare Verhaltensforschung der Universität Bielefeld und Teilprojektleiter im Transregio-Sonderforschungsbereich „NC³“, der sich mit Tieren und ihren individuellen Nischen befasst. Der Begriff „genetischer Flaschenhals“ beschreibt dieses Phänomen – die Schwierigkeit, trotz „enger“ genetischer Ausstattung als Art zu überleben.
„Wenn die genetische Vielfalt fehlt, verringern sich die Chancen einer Art, sich an verändernde Umweltbedingungen anzupassen oder sich gegen Viren oder Bakterien zu verteidigen. Man kann die genetische Ausstattung mit einem Werkzeugkasten vergleichen: Je weniger Werkzeuge man hat, desto schlechter ist man für verschiedene Situationen gerüstet“, sagt Hoffman.
Die Forschenden haben analysiert, welche Robbenarten sinnbildlich durch den genetischen Flaschenhals mussten. Für die Studie kooperierten sie mit Kolleginnen und Kollegen in zehn Ländern. „So konnten wir genetische Daten für tausende Robben aus 30 verschiedenen Arten zu sammeln“, sagt Martin Stoffel, Erstautor der Studie und Doktorand in der Forschungsgruppe von Joseph Hoffman. Heute existieren noch 33 Robbenarten. Damit ist die Studie die umfassendste Untersuchung zur genetischen Vielfalt bei Robben. Genutzt wurden zum Beispiel Daten aus einer Studie mit Antarktischen Seebären, einer Robbenart auf Bird Island (Südgeorgien) in der Subantarktis. Die Forschung zu Seebären ist Teil des Transregio-Sonderforschungsbereichs „NC³“.
In ihrer Analyse simulierten die Forschenden im Computer, welche genetische Vielfalt pro Robbenart zu erwarten wäre, wenn die Art vor 100 Jahren tatsächlich fast ausgestorben wäre. Diese Berechnungen verglichen sie mit den gesammelten genetischen Daten der heute lebenden Tiere.
Das Ergebnis: Die Robbenjagd vor einem Jahrhundert hätte beinahe ein Drittel der untersuchten Arten ausgerottet. „Die meisten Arten haben sich davon wieder erholt und verfügen trotz der damals intensiven Bejagung und trotz starker Rückgänge der Populationen auch heute noch über eine genetische Vielfalt, sodass zum Beispiel die Zahl der Erbkrankheiten überschaubar bleibt“, sagt Martin Stoffel.
„Es gibt aber vier Ausnahmen: der Nördliche Seeelefant, die Mönchsrobben im Mittelmeer und auf Hawaii und die Saimaa-Ringelrobbe“, sagt Stoffel. „Das Erbgut der einzelnen Tiere innerhalb dieser Arten ist sich sehr ähnlich. Diese vier Arten haben nur bis zu 20 Prozent der genetischen Vielfalt der Arten, die kaum oder gar nicht bejagt wurden. Der Nördliche Seeelefant überlebte nur aufgrund weniger Tiere, wahrscheinlich waren es wenige Dutzend. Daraus entwickelte sich die derzeitige Population von mehr als 200.000 Tieren.“ Stoffel ist Experte für Nördliche Seeelefanten. Um sie für seine Dissertation zu erforschen, war er auf einer Expedition zum San Benitos Archipel, einer unbewohnten Inselgruppe im Pazifik vor der Mexikanischen Küste.
Welche Faktoren erklären, dass bestimmte Arten stärker unter der Bejagung litten als andere? Die Studie weist nach: „Die Populationen von Arten, die ihre Jungen an Land bekommen, sind infolge der früher massiven Jagd deutlich stärker zurückgegangen sind die Populationen der Arten, die auf dem Eis gebären“, sagt Stoffel. „Das erklärt sich dadurch, dass auf dem Eis gebärende Robbenarten sich eher in entlegenen arktischen und antarktischen Gebieten aufhalten. Sie waren für die Jäger nicht zu erreichen.“ Der Populationsflaschenhals lässt sich auch für die Arten feststellen, deren Männchen während der Brutsaison einen Harem aus mehreren Dutzend Weibchen haben. „Das gilt für den Nördlichen und Südlichen Seeelefanten ebenso wie für den Antarktischen Seebären“, sagt Stoffel. „Ihre Paarungssysteme führen dazu, dass sich große Gruppen oder Populationen an einem Ort aufhalten und die Robben so leichte Beute für Jäger sind.“
Wurden Ende des 19. Jahrhunderts noch Millionen von Robben von Jägern getötet, sterben heute laut Tierschutzbund weltweit jährlich 750.000 Robben für kommerzielle Zwecke. Die meisten Robben werden mittlerweile in Kanada, Grönland und Namibia gejagt.
Der Transregio SFB NC³
Warum wählen Tiere ganz individuell ihren eigenen, unverwechselbaren Platz im Ökosystem, ihre ökologische Nische? Wie passen sie sich an sie an? Wann formen sie ihre Nische selbst? Und wie können wir diese Prozesse verstehen? Das sind die zentralen Fragen des Transregio-Sonderforschungsbereichs (SFB/TRR) 212 mit dem Kurznamen „NC³“. Darin verknüpfen die Universitäten Bielefeld, Münster und Jena Verhaltensbiologie und Evolutionsforschung mit theoretischer Biologie und Philosophie. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert NC³ seit Januar 2018 für zunächst vier Jahre mit rund 8,5 Millionen Euro. Sprecher ist Verhaltensforscher Professor Dr. Oliver Krüger von der Universität Bielefeld.
Originalpublikation:
Stoffel, M.A., Humble, E., Paijmans, A.J., Acevedo-Whitehouse, K., Chilvers, B.L., Dickerson, B., Galimberti, F., Gemmell, N., Goldsworthy, S.D., Nichols, H.J., Krüger, O., Negro, S., Osborne, A., Pastor, T., Robertson, B.C., Sanvito, S., Schultz, J.K., Shafer, A.B.A., Wolf, J.B.W. & Hoffman, J.I.: Demographic histories and genetic diversity across pinnipeds are shaped by human exploitation, ecology and life-history. Nature Communications, http://doi.org/10.1038/s41467-018-06695-z, erschienen am 16.November 2018.
16.11.2018, Universität Leipzig
„Pubertäre“ Insekten: Wie sich ihr Wachstum molekular blockieren lässt
Insektenlarven durchleben eine Art Pubertät auf ihrem Weg zum erwachsenen Tier. Hierfür müssen sie vor allem größer und dicker werden. Wissenschaftler der Universitäten Leipzig und Bonn haben am Beispiel von Taufliegen (Drosophila melanogaster) herausgefunden, mit welchen molekularen Prozessen das Größenwachstum der Larven gesteuert wird. Das Protein Obstructor-A dirigiert sowohl die Produktion von Wachstumshormonen, als auch den Aufbau des Chitinpanzers. Letzterer umgibt die Larven wie eine riesige Schutzhülle und begrenzt ihre Körpergröße, macht sie gleichzeitig aber auch nahezu unverwundbar.
Die Forschungsergebnisse sind für die gezielte Bekämpfung von Schädlingen und damit zum Erhalt der Biodiversität relevant. Sie wurden gerade im Fachjournal „Developmental Biology“ veröffentlicht.
Für Entwicklungsbiologen dient die Taufliege (Drosophila melanogaster) als Modelltier zur Untersuchung von Genen während der Entwicklung. Die gewonnen Erkenntnisse lassen sich oftmals auch auf andere Insekten übertragen. Wird bei den Fliegen das Gen Obstructor-A weitgehend inaktiviert oder gar eliminiert, bleiben die Larven klein. „Es findet kein Wachstum mehr statt, zudem wird der Chitinpanzer brüchig. Dies führt zur Austrocknung und zu Besiedelung durch Krankheitserreger, weshalb die Tiere schon frühzeitig sterben“, sagt Privatdozent Dr. Matthias Behr vom Institut für Biologie der Universität Leipzig.
Ein einziges Protein reicht aus, um das gesamte Wachstum zu dirigieren
Die Wissenschaftler der Universitäten Leipzig und Bonn gelangten zu völlig neuen Erkenntnissen: Bislang ging man davon aus, dass Moleküle des Chitinpanzers allein für die wehrhafte Außenhaut der Insekten notwendig sind. Nun hat sich aber herausgestellt, dass ein Molekül des Panzers, Obstructor-A, überraschenderweise auch die hormonelle Kontrolle der Insektenlarven übernimmt. Eine kleine ringförmige Drüse auf dem Insektengehirn produziert in regelmäßigen Zeitabständen pulsartig das Wachstumshormon Ecdyson. Obstructor-A sitzt auf der Oberfläche der Drüse und beeinflusst dort wie ein Dirigent das Einwachsen der Nerven, welche die Ecdyson-Produktion stimulieren. Produzieren die Larven größere Mengen dieses Wachstumshormons, stimulieren sie damit das Größenwachstum und fördern den Aufbau des Chitinpanzers. Das Molekül Obstructor-A sorgt wie ein Baustellenmanager dafür, dass die Baustoffe korrekt in den Schutzpanzer eingebaut werden.
Mücken, Fliegen und Flöhe übertragen unangenehme und auch sehr gefährliche Krankheiten. Die Bekämpfung dieser Schädlinge geht jedoch einher mit dem Verlust vieler Nutzinsekten, wie zum Beispiel der Honigbienen. Die jetzt neu entdeckte Doppelfunktion von Obstructor-A bei der Kontrolle des Größenwachstums und dem Aufbau der Insektenschutzhülle ist einzigartig. Weil das Protein in allen Insekten vorkommt, aber je nach Insektenart Unterschiede in seiner Aminosäuresequenz aufweist, bietet es einen interessanten Hebel zur Generierung artspezifischer Insektizide und damit zur gezielten Bekämpfung von Schädlingen.
Originalpublikation:
Originaltitel der Publikation im Fachjournal “Developmental Biology”: „A cell surface protein controls endocrine ring gland morphogenesis and steroid production“, doi.org/10.1016/j.ydbio.2018.10.007
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0012160618305396?via%3Dihub
16.11.2018, Veterinärmedizinische Universität Wien
Innere Uhr der Spitzbergen-Rentiere tickt trotz Mitternachtssonne und Polarwinter immer
Alle Lebewesen verfügen über eine innere Tagesuhr mit einer Zykluslänge, die geringfügig von 24 Stunden abweicht und die mit externen „Zeitgebern“, zumeist dem täglichen Tag- /Nachtwechsel, synchronisiert wird. Ob diese innere Uhr auch in den Polarregionen funktioniert, wo im Winter monatelang Dunkelheit und im Sommer Dauerlicht herrscht, wurde bezweifelt. Ein Forschungsteam der Vetmeduni Vienna untersuchte in einer Studie an freilebenden Rentieren auf Spitzbergen erstmals mit einem hochauflösenden Telemetriesystem nicht nur das Verhalten, sondern auch die Physiologie der Tiere. Sie fanden heraus, dass, entgegen früherer Befunde, die circadiane Rhythmik das ganze Jahr über bestehen bleibt.
Leben unter extremen Bedingungen
In den Polarregionen herrschen extreme Lebensbedingungen, besonders für pflanzenfressende Säugetiere und Vögel. Die Erhaltung ihrer hohen inneren Körpertemperatur ist während der langen Winterzeit mit kalten Temperaturen und Stürmen eine energetische Herausforderung. Es gibt aber kaum Nahrung und die wenigen, vom Sommer übriggebliebenen Pflanzenreste, sind unter Schnee und Eis verborgen. Pflanzenfresser sind daher im Winter auf ihre Fettreserven angewiesen. Um diese in ausreichendem Maß anzulegen, müssen die Tiere in der kurzen Zeit, in der Futterpflanzen wachsen, so viel wie möglich fressen. Tägliche Ruhephasen, wie sie die innere Tagesrhythmik diktiert, können sie sich während des kurzen arktischen Sommers nicht leisten. Bei Spitzbergen-Rentieren schienen sie in der Tat auch zu fehlen. Man nahm an, dass die natürliche Selektion bei ihnen die innere Tagesrhythmik stillgelegt hat, um im Dauerlicht des Sommers auch Nahrungsaufnahme „rund um die Uhr“ zu gewährleisten.
Die innere Uhr tickt regelmäßig weiter
Gemeinsam mit norwegischen und britischen Kollegen haben Walter Arnold und Thomas Ruf vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Veterinärmedizinischen Universität Wien freilebende Rentiere auf dem arktischen Archipel Spitzbergen mit einem am FIWI entwickelten Telemetriesystem ausgestattet. Dieses System erfasste nicht nur die gesamte Bewegungsaktivität der Tiere kontinuierlich, wie bisherige Studien, sondern gleichzeitig auch die Fressaktivität, die Körpertemperatur und die Herzschlagrate als Maß für den Energieumsatz der Tiere. Ob diese Messwerte sich tagesrhythmisch verändern, wurde mit einem besonders trennscharfen statistischen Verfahren analysiert, das Thomas Ruf für biologische Anwendungen etabliert hatte.
Die Ergebnisse waren überraschend: Es war in allen Messreihen eine klare tagesrhythmische Organisation nachweisbar. Die Stärke dieser Rhythmik nahm im Sommer beträchtlich ab, jedoch nicht wegen des Dauerlichtes der Mitternachtssonne, sondern aufgrund der Verfügbarkeit frisch wachsender Pflanzennahrung. Um so viel zu Fressen wie nur möglich ignorieren die Tiere offenbar weitgehend ihre innere Tagesuhr. Auch im Winter, wenn die Rentiere ihre Stoffwechselaktivität auf weniger als die Hälfte des Sommerniveaus absenken – ein Rekordniveau unter wilden Huftieren – war die circadiane Rhythmik abgeschwächt. Während der Polarnacht wich die Zykluslänge zudem leicht von 24 Stunden ab, mit Unterschieden zwischen den untersuchten Individuen und je nach Messparameter. Dieses „Freilaufen“ des inneren Rhythmus aufgrund des Fehlens einer äußeren Lichtrhythmik im Dauerdunkel war der ultimative Beweis, dass die innere Tagesuhr auch bei Spitzbergen-Rentieren das ganze Jahr über nicht aufhört zu ticken.
Originalpublikation:
Der Artikel “Circadian rhythmicity persists through the Polar night and midnight sun in Svalbard reindeer” von Walter Arnold, Thomas Ruf, Leif Egil Loe, R. Justin Irvine, Erik Ropstad, Vebjørn Veiberg und Steve D. Albon wurde in Scientific Reports veröffentlicht.
https://www.nature.com/articles/s41598-018-32778-4